Eine Audienz bei dem König von Italien

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: v. G.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine Audienz bei dem König von Italien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 71–72
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[71]

Eine Audienz bei dem König von Italien.

Mit der Eisenbahn in der freien Schweiz angekommen, durchzog ich dieselbe zu Fuß und eilte dann raschen Schrittes dem schönen Italien zu. Ausgeruht und gestärkt im gastlichen Hospiz, drückte ich zum Dank hierfür und als einzige Belohnung den braven Vätern vom Orden St. Bernhard nochmals die Hand, blickte wiederholt rückwärts auf die Schweiz und beflügelte sodann meinen Fuß, die prächtige Simplonstraße abwärts steigend, um Italien zu erreichen. Wenig kümmerten mich die schwindelnden Höhen der Alpen und das Riesigschöne der Natur; nur vorwärts dachte mein Sinn. Nach Italien hieß die Losung, und nach Italien hieß die Parole.

Endlich erblickte mein Auge einen hohen Marmorstein mit der einfachen Inschrift Italia. Es war die Grenze. Schneller eilte ich nun abwärts und vorbei an den italienischen Zollwächtern und Carabinieri, ihnen ein „Evviva Italia!“ zurufend. Freudig und mit Enthusiasmus wurde mein Ruf erwidert. Rascher und rascher ging ich durch die schönen Städte und Dörfer, am herrlichen Lago Maggiore entlang, nach dem glänzenden reichen Turin. Gastfreundlich und großherzig von der edlen und freien Stadt aufgenommen, war mein Erstes, mich auch im königlichen Schlosse umzusehen. Ich schritt durch das Schloßthor und dessen Hofraum. Beides war der eisernen Gitter und der Thorflügel entledigt, gleichsam zum Zeichen, daß hier nur Friede und Einigkeit herrsche und daß man das Schloß nur der Obhut des Volks anvertraue. Eine Doppelschildwache der activen Armee und der Nationalgarde stand am Hauptportale, und beide Posten unterhielten sich gerade so miteinander, als wenn sie nur einer und derselben innig verbündeten Familie angehörten.

Weiter schreitend, gelangte ich an eine Marmortreppe, an deren Fuß ein herculischer Portier, gleich einem Riesen, in scharlachrothem, goldverbrämtem Rocke, mir auf alle Fragen mit einer Gefälligkeit und Höflichkeit Auskunft gab, wie es nur bei Italienern und Südländern überhaupt vorkommt. Meine Frage, ob ich wohl Audienz bei Seiner Majestät dem Könige erhalten könne, wurde schnell beantwortet. Der Portier lächelte bei dem Aufdrucke „Sr. Majestät“, und sagte einfach: „Der König verweigert Niemand, wer es auch immer sei, eine Audienz;“ zu diesem Behufe habe ich mich nur in ein Buch einzuschreiben, worauf dann das Nöthige erfolgen würde. Er wies mich sodann an einen andern Diener, welcher mich in das Secretariat des Königs begleitete. In einem schönen, aber nicht überreich geschmückten Zimmer wurde ich hier empfangen und zum Sitzen genöthigt. Ohne mich nur zu fragen, was ich denn eigentlich bei dem Könige wolle, ließ man mich meinen Namen in ein großes Buch einzeichnen und bedeutete mir hierauf, daß ich des andern Tags Morgens neun Uhr wieder nachfragen könne, wann die Stunde der Audienz bestimmt sei. Ein Diener begleitete mich abermals die Treppe hinab und bemerkte mir sogar dabei, daß ich, wenn ich morgen nicht selbst kommen wolle, die Bezeichnung der Stunde brieflich in meine Wohnung zugesandt erhalten würde. Ich dankte jedoch für das letztere Anerbieten und antwortete, daß ich selbst kommen würde, indem ich müßige Zeit genug besäße.

Andern Tags um neun Uhr Morgens war ich wieder im Schlosse und in dem mir bekannten Secretariatszimmer. Hier erhielt ich eine Karte, auf welcher mein Name stand und daß ich morgen um eilf Uhr mich zur Audienz bei dem Könige einzufinden hätte. Innerhalb achtundvierzig Stunden von meiner Anfrage an sollte ich also vor dem Könige stehen. Dies ist gewiß schnell und pünktlich. Ich machte deshalb auch dem Secretär eine Bemerkung hierüber, indem ich zugleich meinen Dank beifügte. „Nicht dankenswerth, ist gern geschehen, Signor,“ hieß die freundliche Antwort, „wenn Sie aber mit der Audienz Eile haben, so ist vom Könige der Befehl gegeben, daß Jedermann allsogleich angemeldet werden solle; Sie können deshalb auch, wenn Sie Dringliches haben, in wenigen Stunden zur Audienz zugelassen werden.“ Ich verneinte die große Dringlichkeit, verbeugte mich, noch mehr verwundert, und ging dann auf dem nämlichen Wege wieder fort, den ich gekommen war.

Am nächsten Tage suchte ich mich in mein bestes Aussehen, nämlich in ein militärisches, zu werfen. Ich besorgte mit einer gewissen Sorgfalt Haar und Bart, weil ich hörte, daß auch der König viel auf seinen langen Schnurr- und Knebelbart und auf sein militärisches Aussehen halte. Schon etwas vor eilf Uhr traf ich nun ein, wo ich in den Saal der ehemaligen Schweizer, welcher, als eines der äußeren Vorzimmer des Königs, jetzt der Leibgarde zu Fuß als Versammlungsort dient, geführt wurde. Der Saal ist groß und geräumig, mit schönen Frescomalereien, Gold- und Silbersachen, sowie Möbels mit Sammet überzogen, geziert. Von dem Plafond herab hängen in schönster Symmetrie fünf große Gaskronleuchter, ebenso sind an den Wänden noch viele Vorrichtungen für Gasflammen. An einer Thür zu den innern Gemächern des Königs stand ein Leibgardist mit einfacher, aber dennoch schöner und praktischer Uniform und Armatur als Schildwache. Dieser Gardist gehörte zur Leibwache zu Fuß, bei der alle Soldaten Unterofficiersrang besitzen. Dem gedienten Soldaten sah man die Garde aber nicht allein an den Orden und Medaillen an, die ihn zierten, sondern auch an seinen wahrhaft schönen Gesichtszügen und dem hohen und schlanken Wuchse des Italieners. Mit dem Schlage eilf Uhr erschien aus den Zimmern des Königs ein Kammerherr und ein Adjutant und bedeuteten uns – da mittlerweile alle Gesuchsteller, sieben an Zahl, eingetroffen waren – einstweilen hier Platz zu nehmen. Nachdem man uns einiges Nöthige erklärt hatte, wurde bemerkt, daß nunmehr die Audienz beginnen werde, und daß wir nach der Reihenfolge unserer Anmeldung und Einzeichnung vorgerufen werden würden.

Vom Schweizersaal aber sah man in einen anderen kleineren und offen stehenden Saal, in welchem es ungemein anmuthig und lieblich aussah. Feine Teppiche lagen hier auf dem Boden und außer anderen Zierrathen standen auch in den Ecken des Zimmers auf vergoldeten Etageren viele wohlriechende Gewächse und Blumen. An der inneren Thür war von der Leibgarde zu Pferd eine Schildwache aufgestellt. Von dieser Garde ist jeder Soldat Officier und aus den besten und tüchtigsten langgedienten Officieren der Armee ausgewählt. Diese Schildwache hatte etwas wahrhaft Imposantes, man glaubte einen Kriegsgott selbst zu sehen. Auch hier war nichts mit Flitterwerk überladen; eine dunkelblaue Uniform mit scharlachrothem Kragen, silbernen Litzen, Epaulettes mit Fransen, Bandelier und Cartouchier von Silber, sowie ein Säbel mit gerader Klinge, dienten allein als Schmuck und Waffe zugleich. Die blaue Officiersschärpe hing über Schulter und Brust und ein Federhut mit der Tricolorkokarde bedeckte – schräg auf den Kopf gedrückt – die halbe und hohe Stirn; Schnurr- und Knebelbart aber zeigten schon viele graue Haare; die rechte Hand des Officiers hielt den Carabiner. Auch diese Wache trug, wie jene der Garde zu Fuß, die Orden des Unabhängigkeitskrieges. Nach dem kleineren Saale aber kam das Gemach des Königs selbst und hier stand die Officiersschildwache. Wir saßen nun Alle, wie wir uns angemeldet hatten, ohne Rücksicht auf Stand oder Alter. Der erste der Eingezeichneten schien mir, dem Aeußern nach, ein gewöhnlicher Arbeiter zu sein. Derselbe that aber nichts weniger als fremd, vielmehr als wenn er hier zu Hause und heimisch wäre. Er ließ sich ohne weiteres auf den ersten Sammetsessel nieder. Der zweite war ein schlichtes Bäuerlein, der sehr extrem-demokratische Grundsätze haben mochte, denn währenddem alle Anwesenden im Saale die Kopfbedeckung natürlich abnahmen, behielt der Bauer den Hut auf dem Kopfe. Wir mußten Alte lachen, den Bauer genirte dies aber nicht. Er behielt noch so lange den Hut auf dem Kopfe, bis ihm ein Adjutant freundlich lächelnd bedeutete, daß er doch den Hut abnehmen möge, indem er sich hier in den Vorzimmern des Königs befinde und er auch mit dem Hute in der Hand mit dem Könige sprechen müsse. Der bäuerliche Demokrat nahm nun ganz gelassen den Hut ab und meinte, daß hier eine andere Mode als bei seinem Bürgermeister sei. Dieser spräche nie mit ihm, ohne daß er zuvor gesagt hätte: „Aufgesetzt!“ und er dürfe nur mit dem Hute auf dem Kopfe mit dem Bürgermeister sprechen. Der Adjutant gab unter abermaligem allgemeinem Lachen nun wieder die Antwort, daß es überall Ausnahmen gäbe, und so bestände auch eine solche hier, wo man gewöhnt sei, den Hut abzuziehen; wenn er, der Bauer, aber wieder zu seinem Bürgermeister komme, so könne er immerhin seinen Hut aufbehalten.

Höchst auffallend ist es wirklich, mit welcher wohl beispiellosen [72] Freiheit und Gleichheit man in Italien behandelt wird. Fast überall behält der Italiener den Hut auf dem Kopfe und häufig wird man, selbst von Behörden und in Zimmern, ersucht, ehe man spricht, sich wieder zu bedecken. Mir begegnete es mehrmals, daß man sagte, man spräche nicht eher mit mir, bis ich mich wieder bedeckt habe. Man sei hier dies gewöhnt und dies sei Sitte und Gleichheit vor dem Gesetze. Der Arbeiterstand und dergleichen Leute halten viel auf dies Vorrecht; sie treten häufig sans façon mit bedecktem Kopfe vor Hoch und Niedrig, vor Behörde und Gericht.

Weil das gute Bäuerlein so redselig war, so erfuhr man auch schon im Audienzsaale, was er wolle. Er hatte nämlich eine Ziege verloren und den Verlust sollte ihm der König ersetzen.

Nach dem Bauer aber kam eine hohe, feingekleidete, junge Dame mit einem etwa vierjährigen Kinde. Das Kind mit seinen großen, schwarzen Augen und seinem Lockenhaare, mit seinen naiven Fragen und Bewegungen schien die Anmuth und der Liebreiz selbst. Die Mutter, denn dies war gewiß die Dame, schien eine Officierswittwe. Sie war ganz schwarz gekleidet und spielte bald mit dem Kinde, bald suchte sie an dessen Kleidung etwas zu ordnen. Ein Bouquet, wohl für den König bestimmt, hielt das Kind in seiner Hand. Ich selbst kam neben die Dame und deren Kind zu sitzen, denn ich war der Viertangemeldete. Nach mir kamen ein Pole und ein Ungar und dann wieder eine Dame. Diese Letzte von uns Sieben war eine ältere Frau oder vielleicht auch eine alte Jungfrau. Jedenfalls war sie etwas Xanthippe und zur Herrschsucht geneigt, denn sie wollte durchaus nicht die Letzte sein, trotzdem, daß sie erst nach allen Anderen zur Anmeldung gekommen war. Der Protest der vergilbten und veralteten Jungfrau nützte aber nichts. Man sprach offen, bezugnehmend auf unsere Zahl und auf die Alte selbst, von bösen Sieben und bewies ihr deutlich, daß ihr nur dieser und der letzte Platz gehöre. Sie mußte sich, die hier wohl allein Aergerliche, in das Unvermeidliche fügen und bekam auch noch ein Lachen und Zischen mit in den Kauf. Wahrlich, Geselligeres und Ungenirteres habe ich noch nie gesehen, als hier in den Zimmern des Königs. Unsere Ausgelassenheit war so groß, daß der Adjutant mehrmals mit „Bst! Bst!“ erinnern mußte.

Nachdem wir Alle geordnet waren und Platz genommen hatten – es war noch nicht halb zwölf Uhr – öffnete sich schon die innere Thür und das Königsgemach selbst. Ein Kammerherr stand innerhalb der Thür, da, wo die Officiersschildwache außen stand. Der Ruf: „Avanti!“ – es war des Königs Stimme – ertönte und Nr. 1, der Arbeiter, erhielt vom Adjutanten das Zeichen, in den innern Saal und dann sofort in des Königs Zimmer selbst zu treten. Nur wenige Minuten blieb der Arbeiter aus, kam dann mit einem Papier und freudiger Miene zurück und entfernte sich. Nun kam es an den Bauern. Auch er war nur kurze Zeit bei dem Könige, klapperte bei dem Austritte mit Thalern in der Hand und schien somit seine Rechnung oder vielmehr seine Ziege wiedergefunden zu haben. Wieder rief es: „Avanti!“ wobei die junge und zarte Dame sichtlich erschrak, denn an ihr war nun die Reihe. Schnell und sicher erhob sie sich jedoch nunmehr und schritt zierlichen und leichten Schrittes, mit dem Kinde an der Hand, vorwärts in des Königs Gemach. Etwas länger, als die Vorhergehenden, blieb diese; sodann kam auch sie, ohne daß man eine besondere Veränderung der Gesichtszüge an ihr bemerkt hätte, wieder in unsern Saal und entfernte sich. Nur das Kind schien noch freudiger zu sein und hüpfte spielend und tändelnd an der Mutter empor. Statt des Straußes trug das Kind eine Papierrolle.

Wieder erscholl der bekannte Ruf „Avanti!“, diesmal, wie mir schien, noch stärker, als zuvor. Es galt jetzt also mich selbst. Bei mir machte jener Ruf jedoch gerade die umgekehrte Wirkung, wie bei der Dame. Er erinnerte mich an die volle und helle Stimme eines Feldherrn und eines Patrioten. Das „Avanti!“ war hier für mich das Commando eines gewaltigen Kriegers, der seine Truppen vorwärts sendet zur Schlacht. Des Königs Ruf ermunterte und ermuthigte mich. Rasch und freudig mich erhebend, eilte ich festen und sicheren Schrittes durch die Gemächer, um mich dem König vorzustellen. Jetzt stand ich vor ihm und jetzt erst konnte ich dessen Gemach überblicken. Es war freundlich und schön. Es schien ein Arbeitszimmer des Königs, denn viele Papiere und Bücher sah man in demselben. An einem kleinen Tische saß ein Secretär mit der Feder in der Hand. Der König selbst, eine hohe und stattliche Gestalt, mit einem großen und dichten Schnurr- und Knebelbarte, trug einen einfachen Civil- oder Jagdrock. Nur ein einziges Bändchen – es war das Band zur Erinnerung an den Unabhängigkeitskrieg – zierte ein Knopfloch des Rockes. Die Gesichtszüge des Königs schienen auf den ersten Blick streng und markirt, doch sprach bei näherer Betrachtung eine ungemeine Gutmüthigkeit und Leutseligkeit aus den Augen des Monarchen. Er stand gerade aufrecht, wie ein Soldat, sich nur mit einer Hand auf einen großen runden Tisch stützend. Auf dem Tische selbst lagen wieder viele Papiere und unter einem marmornen Briefbeschwerer zeigten sich auch verschiedene Banknoten. Eine große silberne Schüssel war fast voll von Thalern, eine andere mehr tellerartige flache Schüssel war angehäuft mit Goldstücken. Zur Seite des Königs stand ein graubärtiger General in voller Uniform und mit vielen Orden geschmückt. In einer Ecke des Zimmers aber lag auf einem einfachen Teppiche ein großer Jagdhund und schlief den Schlaf des Gerechten. Der treue Hund mochte wohl wissen, daß sein Herr und Gebieter nichts zu fürchten habe. Im Ganzen zeigte das Zimmer weniger Luxus und Reichthum, als die beiden äußeren Säle. König, General und Secretär richteten bei meinem Eintritt die Augen fest auf mich und schienen nicht unangenehm berührt zu sein. Ich aber trat bis auf drei Schritte auf den König zu und brachte nach einer kurzen Kopfneigung sogleich mein Anliegen vor. „Bene!“ sagte der König, „Sie zeigen sich als Mann und als Soldat. Melden Sie sich morgen bei meinem Adjutant und nun addio!“ Indem ich mich abermals etwas verbeugte, trat ich einige Schritte rückwärts und entfernte mich, um meinem Nebenmanne, dem Polen, und den noch Uebrigen Platz zu machen. Somit war die Audienz schnell und leicht beendigt.

Ich bemerke ausdrücklich, daß diese Audienz noch in Turin, also vor der Uebersiedelung nach Florenz stattfand, zur Zeit, als der König noch in der höchsten Volksgunst stand. Jetzt ist das anders. Man zürnt dem König, die Garde grüßt ihn nicht mehr so enthusiastisch wie früher, und er selbst ist um Vieles verschlossener, zugeknöpfter. Nur im engsten Kreise seiner Vertrauten thaut er auf und es mag wahr sein, was neulich der Mailänder Correspondent der Independance mitgetheilt. „Ich glaube,“ erzählt dieser, „man macht sich über Victor Emanuel viele Illusionen außerhalb Italiens. Man denkt ihn sich gewöhnlich wie einen biedern Landjunker, großen Nimrod und ,flotten Kerl’, der seine Minister regieren läßt und nur hier und da auf der Bühne erscheint, wenn er die Kanonen der Schlachten donnern hört. Die, welche dies behaupten, befinden sich im tiefsten Irrthume. Der König beschäftigt sich viel mit Politik, er hält sehr fest an seinem Königreich Italien und hat nicht immer so große Lust abzudanken, wie die Blätter häufig aussprengen. Und noch mehr, er hat viel röthere Ansichten oder wenigstens Geschmack für rothe Ansichten und ihre Vertreter, als die Royalisten seines Parlaments. Er verabscheut durchaus nicht die ,Corporale der Linken’, und ich würde Sie sehr in Erstaunen setzen, wenn ich Ihnen die ,Fortschrittsmänner’ nennte, die er jede Woche einmal zu Tische einladet. Neulich waren Crispi und Nicotera dabei. Letzterer hat selbst folgende Episode der lieblichen Tafelgespräche berichtet. Man trank tüchtig. Der König neckte Nicotera mit seinem ,eiligen Rückzug’ nach Neapel. Dieser wurde ärgerlich und sagte:

,Unter solchen Umständen wären Sie auch fortgelaufen, Majestät!’

,Ich brauche gar keine Courage zu haben,’ sagte lachend der König, ,dazu sind die Rothjacken da.’

,Die Mentana noch röther gemacht hat,’ sagte Crispi sehr beißend.

,Nun – wir zahlen’s den Leutchen noch einmal heim,’ erwiderte Victor und sein Gesicht verdüsterte sich. Und darauf declamirte er – eine der furchtbarsten Tiraden Alfieri’s gegen die Franzosen, welche bekanntlich der Turiner Poet ärger als den Tod haßte.

,Die Verse sind gut,’ sagte Nicotera.

,Und wir werden sie einmal in Prosa übersetzen,’ sprach lachend der Monarch, der offenbar sehr guten Vino d’Asti bei Tische führt.“

v. G.