Eine Frucht des Krieges in der Krim
Am 14. Novbr. 1854 wurde bekanntlich die französische und englische Flotte im schwarzen Meere von einem furchtbaren Sturme heimgesucht, welcher den „Heinrich IV.“ an die Küste warf, mehrere Transport-Fahrzeuge zertrümmerte und fast alle andern Schiffe mehr oder minder beschädigte. Der Sturm erstreckte sich über die ganze Krim wie über das ganze schwarze Meer, während man fast gleichzeitig stürmisches Wetter in Frankreich und in dem Mittelmeere beobachtete. Die Erscheinung war demnach keine örtliche, sondern die Folge irgend eines Vorganges in der Luft, der sich über weite Flächen, vielleicht über ganz Europa, erstreckte und es wurde wünschenswerth zu ermitteln, wie eine solche Lufterschütterung hatte entstehen, sich entwickeln und verbreiten können. Der französische Kriegsminister beauftragte denn auch den Director der Sternwarte zu Paris, die erforderlichen Nachforschungen anzustellen und Leverrier erließ ein Rundschreiben an alle Meteorographen in der Welt, in welchem er sie aufforderte, ihm ihre Beobachtungen von einigen Tagen vor jenem 14. Novbr. mitzutheilen. Es gingen darauf über zweihundertundfunfzig Antworten mit namentlich den barometrischen Beobachtungen ein, die genau zu gleicher Zeit an den verschiedensten Orten gemacht worden waren und es galt nun, diese Masse von Beobachtungen zu prüfen und zu ordnen, eine Arbeit, die Liais mit glänzendem Erfolge durchgeführt hat.
Am 12. Novbr., als in Paris genau Mittag war, befand sich die Atmosphäre an verschiedenen Punkten Europa’s in sehr verschiedenem Zustande. Der Barometer stand an einigen Orten viel höher als an andern und diese Orte waren nicht unregelmäßig vertheilt. Bezeichnete man sie auf der Karte, so gaben sie eine wenig gebogene Linie, die von Norden nach Süden lief. Diese Linie ging über England unter dem 55° n. Br., durch den Kanal von Bristol nach der Spitze von Cornwall. Von hier schritt sie über den Kanal, durchschnitt die Bretagne und Frankreich und trat über Narbonne in das mittelländische Meer ein. Da verschwand sie aber nicht; man fand sie an der algierischen Küste wieder. Auf dieser langen Linie hielt sich der Barometer auf 770 Millim.; entfernte man sich von ihr nach Osten oder Westen [423] hin, so ergab sich minderer Luftdruck, der geringer wurde, je weiter man sich entfernte.
Es war demnach zuerst bewiesen, daß am 12. Novbr. Mittags der atmosphärische Druck auf der erwähnten ganzen langen Linie ein Maximum erreicht hatte. Weil nun dieser Druck von den Luftschichten über dem Barometer herrührt, so mußte die Luft an den angegebenen Punkten in jener Zeit eine größere Dicke erreicht, sich da aufgehäuft haben und eine Luftwoge bilden, die von England nach Afrika, von Norden nach Süden, lief und deren höchste Spitze oder Kamm sich genau über den Punkten befand, welche jene Linie bezeichnete. Um sich eine genaue Vorstellung von der Erscheinung zu machen, denke man sich die bewegte Fläche des Meeres und folge in Gedanken der sich fortbewegenden Linie, welche der Kamm einer Welle bildet.
Von dem Augenblicke an, den wir als Anfang der Beobachtungen angenommen haben, sinkt der Barometer auf der ganzen Bogenlinie, während er östlich von derselben allmälig steigt. Die große Luftwelle ist also nicht unbeweglich, sondern läuft weiter wie eine Welle im Meere. Um Mitternacht des 12. ist sie über den Kanal gegangen und befindet sich über Holland, Paris, Lyon. Am 13. Mittags, vierundzwanzig Stunden nachdem man sie das erste mal beobachtet hat, verliert sie sich im Mittelmeere. Ihre beiden Endpunkte scheinen sich etwas rascher zu bewegen. Am 15. treffen wir sie an den Karpathen; am 16. ist sie über das schwarze Meer gezogen und weiter können wir sie nicht verfolgen, weil es weiterhin an Beobachtungen fehlt.
Es ist damit eine gewiß höchst merkwürdige Erscheinung nachgewiesen: das Luftmeer hat seine Wellen, die regelmäßig sich fortbewegen wie die des Meeres. Die Welle, welcher wir gefolgt sind, geht über ganz Europa und braucht vier Tage, um von London in das schwarze Meer zu gelangen. Wir erkennen aber auch örtliche Ursachen, die sie aufhalten. Während sie, nach den vorliegenden Beobachtungen, vom 12. Mittags bis zum 13. Mitternachts die ebene Fläche im Norden weithin durchläuft, hält sie sich lange an den Alpen auf, weil sie dieselben nicht sogleich übersteigen kann. Sie braucht vierundzwanzig Stunden dazu. Gleichen Kampf kosten ihr die Karpathen und der Balkan.
Vor allen Dingen darf man diese Luftwellen nicht mit den Wirkungen des Windes verwechseln, welcher die Luft von einem Orte zum andern treibt, nicht mit einem Sturm, der die Atmosphäre vom Norden nach Süden wirft. Die große Luftwoge, der wir nachgingen, zog über Europa hin, während der Wind nach den verschiedensten Seiten blies und ihrem Gange kein Hinderniß entgegenstellte. Ein Jeder hat sicherlich einmal einen Knaben mit einem langen Stricke spielen sehen, den er auf den Boden legt, während er das Ende in der Hand behält. Hebt er dies und senkt es dann rasch, so läuft die Bewegung wie Schlangenringel allmälig über den ganze Strick. Gerade so läuft eine Welle.
Aus den vorliegenden Documenten ergiebt sich ferner, daß die Luftwelle überall trotz allen klimatischen Verschiedenheiten heiteres ruhiges Wetter brachte, das dem hohen Barometerstände entsprach. Und doch steht diese Ruhe mit dem Sturme, der diese Untersuchungen veranlaßte, in genauem Zusammenhange. Gehen wir vor den 12. Novbr. zurück, so finden wir, daß vom 10. zum 12. an der bezeichneten Linie der Barometer sehr tief stand, also eine Verminderung der Höhe der Atmosphäre stattfand und ihre Oberfläche eine Einsenkung oder Vertiefung zeigen mußte. Diese Vertiefung oder Höhlung war anfangs nicht sehr bedeutend. Sie bewegte sich vorwärts, wie wir den Wogenkamm vorwärts gehen sahen. Am 12. erreichte sie Oesterreich, am 13. das schwarze Meer, am 14. die Krim; dabei vertiefte sie sich mehr und mehr bis sie in der Krim ungewöhnlich tief wurde. Der Luftaufthürmung ging also eine Lufteinsenkung voraus und so ließ sich voraussehen, daß ihr eine Einsenkung auch folgen würde, ganz wie bei Wasserwellen. Und so war es, wie die Beobachtungen dargethan haben. Während man aber auf dem Meere die Wellenberge mehr als die Wellenthäler fürchtet, ist es mit der Luft umgekehrt, denn die Luftwellenberge bringen klares Wetter und Windstille, während die Luftwellenthäler Regen verbreiten, Wind und selbst Sturm erzeugen. Das Luftwellenthal, das dem großen Luftwellenberge voranging, brachte am 14. Novbr. den Sturm in der Krim und das Wellenthal, das dem Wellenberge folgte, zog am 15. und 16. mit Sturm über Frankreich.
Erinnern wir uns nun, daß die Luftwelle vier Tage brauchte, um von England nach der Krim zu kommen, während durch den Telegraphen eine Nachricht in solche Entfernung in sehr kurzer Zeit befördert werden kann, so wird sich von selbst ergeben, von welchem Nutzen die Entdeckung der im Luftmeere fortlaufenden Wellen in Verbindung mit dem Gebrauch der Telegraphen werden kann und wird.
Angenommen, es zeigte sich in Petersburg ein Orkan. Augenblicklich kann man dort bei allen russischen Observatorien anfragen, und wenige Stunden darauf wird man wissen, in einer wie langen Strecke er erscheint. Es ergiebt sich, daß er sich nach Deutschland zu wendet und man wird die Astronomen von Berlin, Wien u. s. w. benachrichtigen. Diese sind vorbereitet und können den Orkan, wenn er kommt, beobachten. Sie melden sein Erscheinen weiter nach Frankreich und England. Alle sind auf eine gewaltige Erschütterung vorbereitet und die, welche dadurch bedroht werden, können Vorsichtsmaßregeln ergreifen. Die Gefahren, auf die man vorbereitet ist, verlieren von ihrer Bedeutung. Die Telegraphen erhalten demnach in der Zukunft eine noch weit größere Wichtigkeit. Jetzt melden sie auf den Eisenbahnen, es komme ein Zug; bald werden sie warnend ganzen Ländern anzeigen, es nahe ein Sturm, und man wird Zeit haben, seinen Verwüstungen wenigstens einigermaßen vorzubeugen.