Eine Meeresfahrt im Archipel

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Titel: Eine Meeresfahrt im Archipel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 547–548
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[547] Eine Meeresfahrt im Archipel. (Ein Erlebniß von Pr. v. C.) Es war eine heitere Gesellschaft, die das Schicksal den 4. Mai 1853 auf dem Verdeck des kleinen griechischen Dampfboots „Suliot“, versammelte, Engländer, Italiener, Deutsche, Armenier, Griechen, Polen, meist aber Franzosen, und zwar Französinnen saßen in bunten Gruppen auf den Polsterdivans umher, und im Gemisch der Stimmen und Sprachen war es auch hier die französische, die alle Nationalitäten verschmolz und es den schlanken griechischen Stutzern und den ernsten Armeniern möglich machte, mit den Damen schöne Worte und vielleicht auch jene flüchtigen Gefühle zu tauschen, die, wo südliche Feueraugen in die sanfteren des Nordens blicken, so schnell die Herzen beschleichen und die Elasticität der Gemüther erhöhen. Zwei blonde Töchter der Provence, die mit ihrem Vater, einem reichen Seidenhändler, von Smyrna nach Marseille unterwegs waren, sangen, von jungen Landsleuten unterstützt, Romanzen und Lieder in die laue Sommerluft hinaus, denen bald die übrige Gesellschaft lauschte; die Engländer unterbrachen ihr Schachspiel, die Italiener politische Discourse und ein paar deutsche Gelehrte, die von der Ebene von Troja kamen, ihren Streit über die Lage von Priams Weste, um den Melodien der provencalischen Liebeslieder zu horchen, die so sanft und schmelzend über die Lippen der schönen Mädchen glitten, und so gut zu dem herrlichen Abend stimmten, der die phantastischen Formen der griechischen Felseninseln mit Purpur färbte. Man hatte am Vormittag den Golf von Smyrna verlassen, und wogte nun, vom linden Südwind getrieben, unter der Küste von Chios, der schönsten Insel des Archipels, hinter derem kühn geschweiften Felsgebirge, das die Myrthe und der Lorbeer ewig grün umkränzen, die Sonne niedersank. Wie ein kolossaler Blumenkorb ragt Chios aus der schwarzblauen See, und aus den Thälern voll Orangenhainen trug der Abendwind die Blüthendüfte weithin über das Meer, das hier spiegelglatt zu schlummern scheint, und wenig den Ungestüm ahnen läßt, mit dem es an dem Klippengestade im Norden der Insel brandet.

Die Gesellschaft am Bord war bezaubert von dem Reiz den Abends, und als das letzte Sonnengold aus den Fluten erblich, und wir im Hafen von Kalamoty auf eine Stunde anlegten, ging man vom Gesänge zum Tanze über, und begrüßte jubelnd den Mond, der über die Küste Kleinasiens aufging, und die Erleuchtung des improvisirten Ballsaales vervollkommnete. Böte brachten Früchte und Blumen, die bald die Tänzerinnen schmückten, die nach den Klängen einer Guitarre so ahnungslos auf dem schwankenden Schiffe wie auf dem Rasen ihrer Heimath hüpften. Ach, wie waren Louison und Henriette, die Sängerinnen, fröhlich, und wie innige Blicke hatten ihre Tänzer, der Römer und der Pole, für sie, denen die hinter’s Ohr gesteckte rothe Rose so gut zu den dunkeln Locken stand. Immer noch höre ich die Freudenklänge jenes Abends und sehe die heitern Gestalten, die so bald im nassen Abgrund verschwinden sollten.

Wir, Graf S., der mich nach dem Piräus begleitete, und ich, hatten uns ganz hinten in’s Schiff an die Flaggenstange zurückgezogen, wo wir niemand störten, und Himmel und Meer überblickend war uns längst ein schwaches Wetterleuchten aus einem schmalen Wolkenstreif aufgefallen, der im Norden auf der See zu ruhen schien, und da wir nicht Neulinge auf dem Wasser, waren wir ganz auf einen schnellen Wechsel der uns umgebenden [548] Scene vorbereitet und beklagten die lustigen Gefährten, die bald den Leiden der Seekrankheit anheim fallen würden.

Kaum eine Stunde von Kalamoty entfernt, wo die Küste nach Westen zurückweicht und dem Fahrwasser keinen Schutz mehr gewährt, fing der Suliot zu schwanken und seinerseits so lustig zu tanzen an, daß den Tänzern oben die Lust verging, und alle bald auf den Decken und Matratzen hingestreckt lagen. Der Wind war nach Nordwesten umgesprungen und jagte kleine griechische Fahrzeuge mit vollen Segeln, weißen, flatternden Möven gleichend, im hellen Mondscheine an uns vorüber. Aber auch die Wolkenwand kam höher heraus, und es schien als ob mit ihr auch der Wind wüchse und pfeifend und heulend die Wogen aufhetzte. Es war noch lange kein Sturm, und schon zitterte und krachte das kleine Dampfboot in allen Fugen und die schwache Maschine arbeitete sich träg und kraftlos durch die Wogen, die es hoben und stürzten und bald über das niedrige Vordertheil weggingen. Ein starkes gut gebautes Boot hätte das Unwetter, das im Anzüge war, spielend aufgenommen, aber der Suliot, der früher zwischen dem Piräus und Nauplia lief, war ein altes, eigentlich nur zur Küstenfahrt gebautes Schiff, das die Regierung, ohne viel zu prüfen, einer Handelsgesellschaft abgekauft und dem Kapitän Spiro Adamophilos zur Packetfahrt zwischen Syra und der Levante übergeben hatte; es machte die Reise zum sechsten Male und da die Sache fünfmal gut gegangen, war kein Grund vorhanden für die jetzige Fahrt zu fürchten, meinte der Kapitain, der wenigstens ein dreister und erprobter Seemann schien, und in der Funstanella mit dem nationalen Waffenschmuck, dem rothen Fez auf dem schwarzen Gelock, einer der schönsten Männer war, die man sehen konnte. Aber die schwarze Wolke stand jetzt wie ein Baum, der am Horizonte wurzelnd seine Wipfel bis in den Zenith hinaufstreckte, und von Norden her dem ächzenden Boote entgegen wälzte sich das Meer in immer wilderer Brandung. Das Verdeck von den Wellen überspült war längst von den Passagieren geräumt, die von den Schiffsleuten – fünf Matrosen und ein Schiffsjunge – mehr getragen als geführt in den Cabinen verschwanden. Nur wir beschlossen oben auszuharren und hatten am Kasten des Steuerruders uns hinter hohe Rollen von Tauwerk verschanzt und ein Stück getheertes Segel über unsere Köpfe gezogen, das wenigstens für den ersten Anprall den Wassers schützte; wir litten zwar nicht von der Seekrankheit, waren aber nicht ohne Sorge, da die Bewegung des Schafes, das machtlos, wie ein Ball umhergeschleudert ward, und die fast ganz gehemmte Bewegung der Räder nur zu deutlich die Gefahr für die Maschine verriethen.

Es war Mitternacht vorüber, als das Boot von einer schweren See in die Flanke gefaßt, plötzlich einen halben Kreis machte und sich dann so tief auf die Seite legte, daß das eine Rad in der Luft arbeitete und jeden Augenblick ein völliges Umschlagen des Schiffes bevorzustehen schien. – Aus den Cabinen stieg ein Angstschrei empor, der den Wogendonner übertönte, aber unsere Lage war mit einem Mal auch eine verzweifelte geworden. Die Maschine und das Steuer waren gleichzeitig zerbrochen und das Boot ein hülfloses Wrack geworden, das vor Wind und Wellen trieb. Der Kapitän, todtenblaß aber gefaßt und besonnen, ließ die Schaluppen an die hoch über die See gehobene Seite des Schiffes bringen, klammerte sich in die Taue, die sie hielten, und wehrte die unglücklichen Passagiere, die bald aus den unteren Räumen hervorgekrochen kamen, mit vorgehaltener Pistole von diesem letzten Rettungsmittel ab, das zu benutzen er noch für zu früh hielt, und mit Recht, denn man war noch zu weit von einer Küste entfernt, als daß die schwache Bemannung die Schaluppen hätte bergen können, und – es sollte noch schlimmer kommen. Der Mond war gesunken und zwei Stunden lag tiefe Dunkelheit auf dem Meere, die einzelne große Sterne, die durch zerrissenes Gewölke blitzten, nicht zu erhellen vermochten, – wie ein offner Sarg trieb unser Boot durch das weite nasse Grab, das jeden Augenblick die 57 Leben, die zwischen seinen krachenden Planken sich schaudernd vor dem Tode sträubten, zu verschlingen drohte …

Endlich dämmerte die Morgenröthe aus und zeigte uns die Inseln Sinos und Mycone; Strom und Wind – der nach Mitternacht wieder südlich geworden – trieben uns in die schmale – zwei engl. Meilen breite – Meerenge hinein, die beide Inseln trennt, und die als das gefährlichste Fahrwasser des Archipels bekannt ist, da in ihr über unterseeische Klippen die wildeste Brandung tobt … Das wußten die bleichen Gestalten nicht, die beim Anblick des nahen Landes, Gott dankend sich auf die Knie warfen, aber der Kapitain wußte es, der noch immer die Schaluppen bewachte und die Richtung, in der wir fortgerissen wurden, nicht aus den Augen ließ.

Wir kamen Mycone immer näher, die dunkelblaue See war kreideweiß von Schaum und Gischt, der hoch aufspritzte, – da plötzlich erscholl ein lauter Ausruf des Kapitains, ein furchtbarer Stoß hob das Schiff, es war als ob eine Rieseneiche im Walde niederkrachte, – wir saßen auf einem Felsenriff, das Schiff drohte zu bersten. In fünf Minuten waren die Schaluppen gefüllt, jede faßte 16 Menschen, die Frauen, Kinder und die jüngsten Männer hatten den Vorrang bei dem Rettungswerke. Wir sahen noch, wie der brave Pole die ohnmächtige Louisan in die Schaluppe trug und unbesorgt um das eigene Leben auf’s Wrack zurückkehrte, das nun noch 25 Personen barg, die den drohenden Untergang vergaßen, um mit starren Blicken die Schaluppen in ihrem Kampf mit der Brandung zu verfolgen. Sie hatten 1/6 Meile ungefähr bis zum Strande zurückzulegen, dessen Felsenriffe, die überall in’s Meer vorspringen, vermieden sein wollten, daß dazu bei der schweren See die Kraft der wenigen Ruderer in jeder Schaluppe ausreichen werde, war kaum glaublich, und unser Wrack, das halb voll Wasser doch durch die Klippe, auf der es fest saß, vor’m Sinken gehalten ward, schien, nach dem ersten Todesschreck wenigstens, eine eben so sichere Zuflucht als die Boote zu sein. Und horch, ein gellender Schrei klang zu uns hinüber, er kam aus der letzten Schaluppe, die dicht neben sich die erste hatte Wasser schöpfen und in die Tiefe wirbeln sehen … mochte der Schreck bei solchem Anblick die Ruderer in der ersten lahmen, wer kann es sagen – aber eine Minute später war es auch um diese geschehen, eine Woge hob sie hoch empor und schleuderte sie gegen die Felsen … Der Kiel nach oben gekehrt, sah man sie wieder zum Vorschein kommen. Von allen denen, die sich zu retten gehofft, tauchte Keiner aus dem schäumenden Abgrund auf, der erbarmungslos die jugendlichen Leben, die heiteren Herzen verschlang.

Jammer um die Verlorenen erfüllte unser Wrack; der alte Vater, der seine Töchter versinken sah, konnte nur mit Mühe von einem Sprung in’s Meer zurückgehalten werden; eine Griechin, die ihre Enkelkinder in den Schaluppen hatte, füllte die Lüfte mit ihrem Wehgeschrei. Starr, mit dumpfer Ergebung blickten die Anderen nach den Inseln hinüber und kaum merkte es jemand wie die Sonne dunkelroth über Sinos aufging und ihren erster Strahl wie Oel in die Wogen goß; – plötzlich wie das Unwetter gekommen, schwand es beim Erscheinen der Sonne und schon eine Stunde später konnten Boote von Sanedicolo auslaufen, um uns Gerettete vom Wrack des Sulioten abzuholen. Der Untergang der Gefährten, die alle wie wir hätten gerettet werden mögen, ließ die Freude keine laute werden. Angst vor dem Untergange hatte sie dem Tode in die Arme geworfen, und wieder war es bestätigt: daß ein auf Klippen sitzendes Wrack bei hoher See und naher Küste nicht mit den Rettungsbooten vertauscht werden soll.