Eine Nacht unter Wölfen
[398] Eine Nacht unter Wölfen. „Vor einer Reihe von Jahren zog ich mit meiner Familie nach Wisconsin,“ erzählte mir ein alter Farmer, „und siedelte mich in einem Walde an, wo wir etwa zehn Meilen von der nächsten Ortschaft entfernt waren, und fünf Meilen von uns der nächste Nachbar wohnte. Ringsumher war Wald, und in diesem gab es so viel wilde Thiere und schwärmten so zahlreiche Indianer, daß meine Freunde im Osten, denen ich unsere Lage schilderte, ihre Besorgniß für unsere Sicherheit äußerten und erklärten, sie würden sich weniger darüber wundern, wenn sie einmal hörten, daß wir sämmtlich todtgeschlagen oder aufgefressen seien, als wenn ich ihnen meldete, daß wir noch am Leben seien. Ich selbst fühlte mich jedoch wenig beunruhigt darüber, und ebensowenig war es meine Frau, die so muthig ist, wie der beste Jäger; aber wir hatten drei Kinder, deren ältestes erst zehn Jahr alt war, und manchmal, wenn ich fern vom Hause war und das Brummen eines Bären, das Geheul von Wölfen oder den Schrei eines Panthers hörte, schlug mir das Herz bei dem Gedanken an meine Kleinen.
Zuerst erschreckte sie dies Geschrei und Geheul der wilden Thiere zur Nachtzeit sehr, und auch meine Frau sowie ich selbst fuhren zuweilen auf, wenn uns die Schreie der Panther wie Indianerrufe vorkamen; mit der Zeit gewöhnten wir uns jedoch an diese Töne und kümmerten uns nicht darum, und als ich erst ein Paar Acker um unsere Hütte entwaldet und eingezäunt hatte, hielten sich die Bestien ferner von uns, als verständen sie, daß sie da, wo Menschen sich angesiedelt, nichts mehr zu thun hätten. Ab und zu schoß ich auch ein Paar todt und lichtete dadurch ihre Reihen, so daß sie uns immer weniger belästigten. In dem ersten Jahr geriet ich zwar einmal durch einen Bären, und ein andermal durch einen Panther in Gefahr, die mich anfallen wollten, doch diese Abenteuer sind nichts gegen ein anderes, das ich im zweiten Winter zu bestehen hatte, wo ich eine Nacht mitten unter Wölfen zubringen mußte.
Es war ein kalter Morgen und der Boden ringsum mit festgefrorenem Schnee bedeckt, als ich eines meiner Pferde für meine Frau sattelte, die nach der Colonie in unserer Nachbarschaft reiten wollte, um etwas zu kaufen. Obwohl ihre eigenen Kleider sie gut einhüllten, gab ich ihr noch einen weiten Büffelrock um und bat sie beim Abschiede, ja recht zeitig aufzubrechen, weil es bei Nacht in den Wäldern vielerlei Gefahren gibt.
Den ganzen Tag über fühlte ich mich unruhig und es war mir, als könnte sich irgend etwas ereignen, und als ich die Sonne sich neigen sah und noch keine Spur von meiner Frau erblickte, griff ich unwillkürlich nach meinen Pistolen, meiner Büchse, Jagdmesser und Schießbedarf, sattelte mein zweites noch wenig zugerittenes Pferd, bat die Kinder, nicht über die Schwelle zu gehen, schloß das Haus und ritt meiner Frau entgegen, die ich bei jeder Wendung des Weges zu treffen hoffte. Immer wieder fand ich mich jedoch getäuscht, ich sah nichts von ihr und wurde immer unruhiger, je mehr Meilen ich zurücklegte.
Es wurde gerade dunkel, als die Lichter der Pflanzungen mir entgegen schimmerten; ehe ich diese jedoch erreichte, sah ich meine Frau eilig auf mich zukommen. Sie war durch einen alten Bekannten aus dem Osten, der Neuigkeiten brachte, und durch das Abendessen aufgehalten worden, die Zeit war ihr vergangen, sie wußte nicht wie, und sie war herzlich erfreut, daß ich ihr entgegenkam. Ich selbst war gleich froh, sie gesund wiederzusehen. Als ich ihr von meinen bösen Ahnungen sprach, wollte sie nichts davon wissen, sondern lachte mich aus, indem sie muthig ihr Roß vorwärs trieb.
Wir ritten im scharfen Trabe durch einen dichten, finstern, unheimlichen Wald, der unsern Weg von beiden Seiten begrenzte, und hatten etwa fünf Meilen zurückgelegt, als wir durch eine Reihe lange anhaltender Klagetöne alarmirt wurden, die von verschiedenen Entfernungen und Richtungen auf uns zudrangen, und bei denen wir uns nach unserer Erfahrung sagen mußten, daß sie von Wölfen herrührten, die sich durch den Wald einander zuheulten.
Die Wölfe dieses Landes gehören der größeren, wilderen Art an, und wenn sie sich auch einzeln nicht leicht an einen Menschen wagen, so thun sie es doch in Rudeln, wenn sie der Hunger treibt, wie es zu dieser Jahreszeit häufig geschieht, und ich war nicht ohne Besorgniß, daß uns dies begegnen könne. Wir trieben unsere Pferde zur Eile an, aber je weiter wir vorwärts kamen, desto mehr fühlte ich mich beunruhigt, denn das Geheul kam uns immer näher. Wir ritten gerade durch eine tiefe Schlucht, wo ein Paar große alte Bäume ihre Riesenzweige über ein Dickicht streckten. als ich das Geheul dicht bei uns hörte. Im nächsten Augenblick raschelte das Gebüsch, und es kamen sechs oder acht große Wölfe zum Vorschein, die rasend vor Hunger hinter uns herstürmten. Dies geschah so plötzlich und unerwartet, daß meine Frau aufschrie und den Zügel fallen ließ, worauf ihr Pferd, sich bäumend und hinten ausschlagend, sie abwarf und mitten unter die wilden Bestien schleuderte, deren Augen im Dunkeln wie feurige Kohlen glühten.
Glücklicherweise erschreckte der plötzliche Fall auch sie, so daß sie zurückwichen und meiner Frau Zeit ließen, den Büffelrock so dicht um sich zu ziehen, daß sie für’s Erste vor ihren Bissen sicher war. Gleich darauf sprangen aber die wildesten Thiere auf sie, auf mich und die Pferde los. Das meiner Frau schüttelte sie ab und entfloh, Das meine stieg und schlug in solcher Weise um sich, daß ich zu keiner meiner Waffen gelangen konnte und alle Kraft daran setzen mußte, es zu halten und sein Fortlaufen mit mir zu verhindern.
Das waren furchtbare Augenblicke der entsetzlichsten Angst, bis ich mich aus den Steigbügeln losmachen und mit einem Schrei zu Boden springen konnte. Dabei entglitt mir die Büchse und entlud sich selbst, und durch den Knall erschreckt, flog mein Pferd wie ein Blitz über den gefrorenen Schnee davon. Glücklicherweise hatte ich meine Pistolen und mein Jagdmesser gut zur Hand, so daß ich sie gleich gebrauchen konnte. Ich war furchtbar aufgeregt und konnte zuerst Nicht anders denken, aln daß mein geliebtes Weib, die Mutter meiner Kinder, unter drei oder vier dieser Bestien lag, die ihr an’s Leben wollten; so faßte ich in halbem Wahnsinn in jede Hand eine der Pistolen, deren Hahn ich rasch gespannt hatte, sprang mitten unter meine Feinde, setzte die Mündung an ihre Köpfe und schoß beide Läufe zugleich ab.
Beide Schüsse trafen Gott sei Dank, zwei Bestien rollten zurück und wälzten sich in ihrem Blute, worauf die andern, als sie dieses witterten, über sie mit Wuth herfielen, sie wörtlich in Stücke rissen und vor meinen Augen, beinahe über dem Körper meiner Frau verschlangen, was mir in kaum einer Minute zu geschehen schien. Nachdem ich mich durch ein Paar Fragen vergewissert, daß meine Frau am Leben und unverletzt war, bat ich sie, ruhig liegen zu bleiben, hob meine Büchse auf und lud sie und meine Pistolen mit größter Eile. So wie ich die erste Kugel heruntergestoßen hatte, fühlte ich mich in Versuchung, noch eine Bestie todtzuschießen, aber in diesem Augenblick hörte ich neues fernes Geheul, und da ich fürchten mußte, es werde ein zweites Rudel herankommen, bewahrte ich meine Frau für die nächste größte Gefahr und lud rasch die Pistolen. Während dieser Zeit stahlen sich die ersten Angreifer, die sich vollgefressen hatten, nach und nach hinweg, aber das Geheul der andern kam immer näher und warnte mich, auf der Hut zu sein. Ich hatte gerade meine Frau noch dichter eingehüllt, das Beste, was ich jetzt für sie thun konnte, und mich mit den Pistolen in der Hand zur Vertheidigung vor sie hingestellt, als acht bis zehn neue wilde Bestien aus dem Gebüsch hervorsprangen. Es entstand eine kurze Pause, als sie mich erblickten und mit ihren mordfunkelnden Augen anstierten, dann kamen sie unter furchtbarem Geheul immer näher und umgaben mich im Kreise, so daß der Raum zwischen ihnen und mir immer enger wurde. Endlich sprang einer, der kühner und hungriger war, als die andern, vorwärts und erhielt sogleich einen Pistolenschuß zwischen die Augen, der ihn auf den Schnee warf, worauf die andern ebenso wie vorher über ihn herfielen und ihn verschlangen. Ich hatte aber nicht Zeit, mir Glück hierzu zu wünschen, denn gleich darauf fühlte ich die nagenden Bisse einer Bestie an meinem Schenkel und konnte mich nicht enthalten, einen Schrei auszustoßen. Meine arme Frau hörte und erwiderte ihn; sie glaubte, es sei vorbei mit mir, und war eben im Begriff, aufzuspringen und dem Furchtbarsten entgegenzutreten; ich rief ihr jedoch zu, sie solle sich nicht rühren, setzte die Pistole an den Kopf meines Angreifers und streckte ihn todt zu Boden. Noch hatte ich meine Büchse als Reserve, erhob sie und entlud ihren Inhalt auf das heulende Rudel. Wie viel ich erlegte, weiß ich nicht, aber ich sah, daß sie sofort aus meiner nächsten Nähe flohen, einige hinkten und wurden beim Fliehen von den andern angefallen.
Das kam mir wie eine zweite wundervolle Rettung vor, und obwohl meine Wunde mich etwas schmerzte, hielt ich mich ruhig und fand zu meiner Freude, daß sie nicht tief und gefährlich war. Hastig lud ich meine Pistolen und die Büchse wieder, und ließ darauf meine Frau aufstehen, die mich zärtlich umarmte und Gott für unsere Rettung dankte.
„O unsre lieben Kinder,“ rief sie voll mütterlicher Zärtlichkeit aus, „wie wenig wissen sie, daß sie nahe daran waren, Waisen zu werden, allein mitten in der furchtbaren Wildniß! Komm, laß uns rasch nach Hause, zu unsern Kindern, solange noch Zeit ist.“
„Wir haben keine Zeit mehr,“ rief ich düster aus. „Horch! Da kommen mehr von unsern Feinden. Hörst Du?“
„Und kommen sie hierher?“ fragte sie zitternd.
„Ich fürchte es.“
„O Gott, was soll dann aus uns werden?“ fuhr sie jammernd fort, „ich fürchte, wir überleben den dritten Angriff nicht.“
„Ich sehe nur einen Weg der Rettung,“ erwiderte ich ängstlich. „Wir müssen auf einen Baum klettern und den Morgen abwarten.“
„Doch da frieren wir zu Tode,“ sagte sie darauf.
„Ich hoffe, das soll nicht geschehen. Jedenfalls haben wir keine Wahl. Der Büffelrock wird Dich vor der Kälte schützen, wie er Dich vor den Wölfen bewahrt hat, und ich will suchen, mich durch Auf- und Abklettern und das Aufstampfen der Füße warm zu halten.“
„Doch warum zünden wir nicht ein Feuer an?“ fragte sie rasch, und ihre Stimme wurde wieder lebendiger, als eine neue Hoffnung sie durchdrang, die ich aber leider nicht theilen konnte.
„Aus zwei Gründen nicht. Erstens haben wir keine Zeit dazu – hörst Du nicht das Geheul des hungrigen Rudels? – und zweitens fehlt uns das Brennmaterial, da die losen Zweige unter dem Schnee liegen.“
„Dann möge Gott uns helfen,“ stöhnte meine Frau, „hier scheint nichts als der Tod für uns zu sein. O meine armen, lieben Kinder! O großer Gott, laß sie nicht diese Nacht zu Waisen werden!“
Ich bat sie, Muth zu fassen und nicht zu verzweifeln, wählte einen großen Baum aus, dessen untere Zweige stark und breit waren und von unsern Feinden nicht erreicht werden konnten, half meiner Frau hinaufsteigen und kletterte ihr nach. Es war gerade Zeit dazu, denn kaum hatten wir uns in eine bequeme Stellung gesetzt, so kam ein neues Rudel hungriger, wild heulender Bestien an, die ihre Feueraugen gierig nach uns emporrichteten. Wir waren sicher, mußten aber eine lange furchtbare Nacht zubringen und auf ihr scheußliches Kampfgeheul hören, während wir schmerzerfüllt an unsre Kleinen daheim dachten. Die Nacht war entsetzlich kalt, und trotz meiner Bemühungen, mein stockenden Blut in Umlauf zu erhalten, wurde ich noch vor Morgen so benommen, daß ich mich aufgegeben hätte und gestorben wäre, wenn mich nicht meine Frau fortwährend flehend gebeten hätte, um Gotteswillen auszuhalten und sie nicht zur Wittwe und unsre Kinder zu vaterlosen Waisen zu machen.
Endlich dämmerte der Morgen, und nie wurde das Tageslicht mit größerer Freude begrüßt. Unsre Feinde stahlen sich allmählich hinweg und ließen uns allein. Sowie sie fort waren, glitt ich herunter und brachte durch Umherlaufen etwas Wärme in meine Glieder. Dann half ich meiner Frau herunter, und wir eilten nach Hause. Ich brauche wohl nicht [399] zu sagen, daß wir gerade zur rechten Zeit kamen, um unsre armen zu Tode erschreckten Kinder aus ihrer Angst zu befreien. Sie sprangen, als sie uns kommen sahen, halb sinnlos vor Freude uns entgegen und stürzten in unsre Arme.“