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Eine Rheinfahrt

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Textdaten
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Autor: Karl Konrad
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Titel: Eine Rheinfahrt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 460–464
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Rheinfahrt.

Der Rhein, ein Bild des Menschenlebens. – Constanz. – Eine Erinnerung an den Burggrafen Friedrich von Nürnberg. – Der Bodensee. – Schloß Gottlieben. – Die „Gangfischli“ vom Untersee. – Der schweizerische Sitz der Napoleoniden. – Reichenaus Glanz und Verfall. – Stein am Rhein mit Hohenklingen. – Von Diessenhofen nach Schaffhausen.

Unter den Tausenden und aber Tausenden, welche sich alljährlich von den Wellen des deutschen Lieblingsstromes tragen lassen, entschließen sich nur Wenige, die Flußfahrt südlich von Mainz fortzusetzen, und wen es etwa zu den herrlichen Münstern von Worms, Speier und Straßburg zieht, der wählt den Schienenweg – nicht mit Unrecht; denn die Stromufer sind flach und dürftig, Nur durch die fern blauenden Bergketten des Schwarzwaldes und der Vogesen gewinnt die Landschaft einigen Reiz, der aber kann für die Monotonie des Vordergrundes entschädigt. Anders freilich wird es, wenn man den Fluß noch weiter aufwärts, bis in das Land seiner Geburt verfolgt. Aber wer kümmert sich dort um den weiter nördlich so hochgepriesenen Rhein? Gleichgültig eilt an ihm der Reisende vorüber; nur bei Dachsen etwa wird ein Zug übersprungen, um im Fluge den berühmten Schaffhausener Wasserfall zu besuchen. Denn diesen, von dem man weiß, daß er nächst dem Trollhätta und Imatra alle Stromfälle Europas an Majestät übertrifft, muß man doch füglich gesehen haben. Alsdann geht es rastlos weiter, der lockend winkenden Alpenwelt entgegen – der Rhein bleibt unbeachtet zur Seite. Hier aber verdient er solche Zurücksetzung nicht; hier prangen seine Gestade, von Geschichte und Sage verklärt, in so reicher, abwechselnder Schönheitsfülle, wie nur irgendwo auf seinem späteren Laufe.

Mutwillig kommt der junge Strom, seine künftige Größe noch nicht ahnen lassend, aus seiner kühlen Gletscherwiege hoch von den nebeligen Höhen des Gotthard herabgebraust; mit jugendlichem Ungestüm bricht er sich seinen Pfad durch die wildromantischen Schluchten Graubündens, bevor er in den Canton St. Gallen tritt. Auch hier noch ist die Landschaft herrlich. In kühnen Zacken, scheinbar nur dem Fluge des Adlers zugänglich, starren überall grandiose Massen kahlen zerrissenen Gesteins empor, und an ihren Klippen und Vorsprüngen kleben graue, zerfallene Felsennester, die Stammburgen uralter, noch heute hochangesehener Geschlechter. Die breite Thalsohle schmückt eine üppige, fast südliche Vegetation; frischgrüne Triften begleiten den rasch und ungestüm bergab eilenden Fluß. Noch trägt dieser keine Lasten – kaum wagt sich ein leichtgebauter Fischernachen ungestraft in den tosenden Strudel – noch weilt er im sonnigen Zauberlande der Kindheit, wo es nur heitere Spiele, keine ernsten Pflichten giebt. Aber der Bodensee ist ihm eine strenge Schule, aus der das undurchsichtige, weißlichgraue Gletscherwasser geläutert und smaragdklar hervorgeht. Nun tritt der Ernst des Lebens an den stattlich Emporgewachsenen heran; dem Verkehr und der Gewerbthätigkeit muß er fortan dienstbar sein. Aber noch immer eilt er raschen, übermütigen Laufes zwischen seinen grünen Waldbergen vorwärts, ein leichtlebiger Jüngling, dem die lustigen Knabenspiele noch nicht allzufern liegen. Noch einmal scheint die Erinnerung an dieselben mit überwältigender Macht in ihm zu erwachen – da macht er seinen letzten tollen Jugendstreich. Von hoher Felswand herab stürzt er sich lautaufjauchzend in’s Thal; alle ihm aufgedrungenen Lasten abschüttelnd, braust er mit ausgelassenem Jubel dahin, bis sich allmählich sein stürmischer Uebermuth legt und er gesetzteren Schrittes weiterwallt. Und nun lenkt er als wolle er gänzlich mit der stürmischen Vergangenheit brechen,

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Von Constanz bis Schaffhausen.
Originalzeichnung von Robert Stieler.
Diessenhofen. Castell von Schaffhausen. Steckborn.
Hohenklingen. Stein am Rhein. Arenenberg.
Schloß Gottlieben. Insel Reichenau. Constanz

[462] seinen bisher westlichen Lauf mit scharfer Biegung gen Norden. Langsam und breiter sich ausdehnend, strömt er aus den Bergen hinaus in’s Flachland: aus dem poetischen, heiteren Jugendtraum in die verstandesnüchterne Periode des Mannesalters – ein Bild des Menschenlebens.

Solcher Art ist der Weg unseres Rheines durch das schöne Schweizerland, ein Weg, den der große Fremdenstrom nur an wenigen Punkten kreuzt oder berührt. Selbst dort, wo der wilde Alpensohn, zu scheinbarer Reise gediehen, den Reisenden im bequemen Dampfer auf seinem Rücken dahin trägt, wird er verhältnißmäßig nur wenig aufgesucht. Dort aber wollen wir ihn heute betrachten.

Entweder auf dem von den ernsten Tannenbergen des Schwarzwaldes herabsteigenden Schienenwege oder im schnellen Dampfboote die heitere, blaublitzende Fläche des Schwabenmeeres kreuzend, nähern wir uns der altehrwürdigen Bischofsstadt Constanz, die mit ihrem hochragenden Dome stolz über die weiten Gewässer schaut. Wie stattlich sie sich auch heutigen Tages noch darstellt, wie herrlich auch ihre Lage ist, so wurzelt doch das Interesse, welches sie dem Wanderer einflößt, fast ausschließlich in der Vergangenheit.

Wer sich die Geschichte der Stadt in ihren bedeutsamsten Momenten vor Augen geführt sehen will, der richte seine ersten Schritte nach dem hart am Seegestade sich erhebenden Kaufhause, einem massiven düsteren Bau des vierzehnten Jahrhunderts, in dem das berühmteste Concil auf deutschem Boden seine Sitzungen abhielt. Der große, wohlerhaltene Conciliumssaal ist neuerdings durch die Maler Pecht und Schwörer mit interessanten Fresken ausgeschmückt, die uns in chronologischer Folge die wechselnden Geschicke der alten, einst so mächtigen Stadt zeigen. In den Straßen der Stadt begrüßt uns noch manch stattliches Giebelhaus aus früheren Jahrhunderten, vor allen aber fesselt uns das unscheinbare Gebäude, in welchem einst Kaiser Sigismund den Burggrafen Friedrich von Nürnberg mit der Mark Brandenburg belehnte. Jener 18. April des Jahres 1417 war wohl der wichtigste und folgenschwerste Tag in der Geschichte des Hohenzollernhauses, ein Tag, ohne welchen es jetzt vielleicht kein neues deutsches Reich gäbe. Weiter schreitend, gelangen wir zu dem stattlichen Dom, dessen ursprüngliche, dem zehnten Jahrhundert entstammende Anlage im Laufe der Zeiten vielfach durchgreifenden Veränderungen unterworfen wurde. Heute prangt er im Innern mit plastischem und malerischem Schmuck aus der gothischen Periode. Ihn schmückte Wessenberg's Andenken. (Vergl. „Gartenlaube“ 1863, Nr. 3.)

Man trennt sich schwer von der alten, interessanten Stadt. Aber das Dampfboot, das an den breiten Quadern des Hafendamms landet, pfeift bereits zum letzten Male. Vom Sonnenglanz übergossen, dehnt sich der Bodensee unabsehbar vor unseren Blicken; jenseits schimmert, in blauem Duft verloren, die lange Kette der Vorarlberger und Appenzeller Alpen, aus deren Mitte die kühne Gestalt des Säntis gewaltig hervorragt. Sehnsuchtsvolle Gedanken schweifen hinüber nach jenen Schluchten oder auch nach dem reizenden, in stiller Seebucht sich sonnenden Eilande Mainau, dem Buen-Retiro des Großherzogs von Baden, in dessen wellenumrauschten Blüthengärten Kaiser Wilhelm oft und gern verweilt.

Unser Dampfer jedoch verfolgt andere Ziele. Langsam rauscht er aus dem Hafen, vorbei an dem kleinen weißen Leuchtturme, vorbei auch an den grauen Mauern des alten Dominikanerklosters, in dessen Kreuzgängen sich jetzt eine bunte internationale Menschenmenge tummelt; denn das ehrwürdige, von reizenden Anlagen und Terrassen umgebene Stift ist zum eleganten Hotel umgewandelt. Dann eine scharfe Wendung nach links, und unter einer stattlichen mit steinernen Standbildern geschmückten Brücke hindurch gelangen wir in ein engeres Fahrwasser, in den dem weiten See in prächtigen Wogen entströmenden Rhein. Die Ufer des Flusses sind hier flach und sumpfig; noch lange begrenzt Constanz mit seinen schlanken Thürmen den Blick; dahinter liegt als schmaler Silberstreifen der Bodensee. Bald erscheint zur Linken ein altertümliches Castell mit massigen Thürmen, Es ist Schloß Gottlieben, Anno 1250 vom Constanzer Bischof Eberhard von Waldburg erbaut und jetzt dem gräflichen Geschlechte von Beroldingen gehörig. Die düstere, altersgraue Wasserveste hat durch Huß, der lange in ihrem Banne gefangen saß, eine traurige Berühmtheit erlangt; gleichzeitig mit ihm ward auch der lasterhafte Papst Johann der Dreiundzwanzigste hier in Gewahrsam gehalten, und dreißig Jahre später mußte Felix Hämmerlin, der unglückliche Züricher Chorherr, seine kühnen Strafpredigten gegen die Sittenlosigkeit des Clerus mit langer peinvoller Einkerkerung in Gottliebens Mauern büßen.

Kurz nachdem der Rhein an dieser so traurige Erinnerungen weckenden Veste vorbei geströmt ist, erweitert er sich zu einem stattlichen Wasserbecken. Das ist der krystallklare Untersee, der seine Wellen bis zu den fernen Hegauer Bergen schickt. Lactus venetus heißt er in den Chroniken des Mittelalters, und in seinen blauen Fluten findet sich ein seltener Fischreichthum, Gegenstand eines ausgebreiteten Handels. Hauptartikel desselben ist der Gangfisch, wie der Blaufelchen, einer der schmackhaftesten Fische des Sees, in seiner unerwachsenen Jugend genannt wird. Marinirt und geräuchert werden die „Gangfischli“, im Geschmacke eine Art Mittelding zwischen Bückling und Sardelle, in Tönnchen verpackt und weithin versendet. Früher wurden sie wohl noch in größerer Menge gefangen, als heutzutage; denn wie in der schwäbischen Chronik des Martin Crusius (Ende des sechszehnten Jahrhunderts) zu lesen ist, gewann man damals mit einem Zuge oft an 40,000 Stück der kleinen Fische, welche der Chronist folgendermaßen beschreibt „Sie sehen weiß aus, sind etwas kleiner denn die Häringe und lassen sich wohl essen, wenn sie eingesalzen und gedörrt sind.“

Der Untersee gewährt einen höchst anmuthigen Anblick. Seine Ufer erheben sich zu sanften Hügeln, die mit Reben bepflanzt und oft von malerische Schlössern gekrönt sind. Unten am Strande aber schimmern aus Fruchtbaumwäldern freundliche Fischerdörfchen hervor. Was Gustav Schwab vom Bodensee singt, das gilt auch von dessen kleinerem Nachbar:

„Der Hauch des Herrn treibt deine Boote;
Dein Netz soll voll von Fischen sein:
Dein Volk nährt sich vom eig’nen Brode
Und trinkt den selbstgezog’nen Wein.“

Das nördliche Ufer des Unterstes ist badisch, das südliche aber gehört zum Canton Thurgau. Hier landet das Dampfboot zuerst in Ermatingen, einem idyllischen Fischerdorfe, das von einem Kranze herrlich gelegener Villen und Schlösser umgeben ist. Von hohem Hügel winkt das stattliche, zinnengeschmückte Schloß Salenstein herab, und von einer tieferen Terrasse desselben Hügels das weißschimmernde Arenenberg, das vor allen Schlössern der Umgegend unser Interesse fesselt; denn seine Besitzerin ist jene merkwürdige Frau, die aus dem Dunkel eines verarmten spanischen Grandenhauses auf den damals glänzendsten Thron der Welt gehoben ward, bis sie ein hartes, aber selbst heraufbeschworenes Geschick abermals in die Vergessenheit hinabriß. In der Geschichte der Napoleoniden spielt Schloß Arenenberg eine wichtige Rolle. Hier verlebte die Exkönigin Hortense als Herzogin von St. Leu manches Jahr; hier wuchs ihr Sohn, der nachmalige Kaiser Napoleon der Dritte, auf; hier versammelte sich eine Zeitlang Alles, was mit Anhänglichkeit und Treue an dem gestürzten Herrscherhaus hing. Die ganze Gegend konnte damals eine bonapartistische Colonie genannt werben. Das nahe Schloß Eugensberg bewohnte Hortensens Bruder, der Herzog von Leuchtenberg, und auch Stephanie Beauharnais, die Großherzogin von Baden, weilte oft in der Nähe ihrer Verwandten aus einer kleinen ihr zugehörigen Besitzung. Nach dem im Jahre 1837 erfolgten Tode der Königin Hortense änderten sich die Verhältnisse. Ihr Sohn, der damals zur Verwirklichung seiner hochstiegenden Pläne flüssiger Geldmittel bedurfte, veräußert das Schlößchen, kauft es aber als Kaiser der Franzosen zurück, um es seiner Gemahlin zum Geschenk zu machen. Letztere hat hier, namentlich als Wittwe, wiederholt die Sommermonate verbracht. Und einen reizenderen Sommersitz kann sich auch die kühnste Phantasie nicht ausmalen. Der prächtige Park mit seinen herrlichen Baumgruppen, schattigen Laubgängen und plätschernden Fontainen steigt bis zu den klaren grünen Fluthen des Sees hinab; überall, namentlich von der obersten Terrasse, bieten sich herrliche Fernsichten über den schimmernden Wasserspiegel die langgestreckte Insel Reichenau und darüber hinweg, weit in’s deutsche Land hinein bis zu des Schwarzwaldes bläulichen Felsenhöhen. Vor einigen Jahren erging das Gerücht, der Arenenberger Park, ja das Schloß selbst, seien durch einen Erdrutsch gefährdet; man fürchtete schon, die ganze reizende Schöpfung könne eines Tages den Hügel hinabgleiten und im See versinken; aber diese Befürchtungen scheinen grundlos oder doch übertrieben gewesen zu sein.

Was nun das Innere des äußerlich sehr schmucklosen Schlößchens anlangt, so verdient dasselbe in Wahrheit, ein Napoleoniden-Museum [463] genannt zu werden. Kaum noch irgendwo anders mögen sich so viele Erinnerungen an dieses berühmte Haus angehäuft finden. Eine fast unübersehbare Menge von Portraits und Büsten, Glieder der Geschlechter Bonaparte und Beaunharnais darstellend, findet sich in den Salons von Arenenberg aufgespeichert, Reminiszenzen aber an die eigene Familie der Besitzerin scheinen mit Consequenz vermieden. Das untere Geschoß ist mit prunkloser Eleganz eingerichtet, wie sie für einen Landaufenthalt paßt, überall aber fällt der Blick auf herrliche Kunstwerke, die man nach der Flucht der kaiserlichen Familie aus den Tuilerien hierher geschafft hat. Unter den Gemälden glänzen Werke von Calame und Horace Vernet, vor Allem aber Winterhalter’s bekanntes poesievolles Portrait der Kaiserin Eugenie. In der greisen gebeugten Frau, die jetzt von der Todesstätte des einzigen Sohnes im heißen Afrika zurückgekehrt ist, würde wohl schwerlich ein Uneingeweihter das Original dieses jugendlich anmuthigen Kopfes wieder erkennen. Zahlreich sind natürlich die Erinnerungen an den unglücklichen jungen Prinzen, aber die meiste Aufmerksamkeit erregt seine lebensgroße Statue in weißem Marmor, die ihn als elfjährigen Knaben, mit dem Lieblingshunde des Kaisers spielend, darstellt.

Im ersten Stock des Hauses finden sich vornehmlich Reliquien der Königin Hortense, darunter ihr Sterbebett, in einem Nebengebäude aber werden die höchst bescheidenen Gemächer gezeigt, welche Napoleon der Dritte als Knabe bewohnte. Zuletzt wird man in die gothische Schloßcapelle geführt, vor Bartolini’s marmornes Grabdenkmal der Hortense Beauharnais. Dieses kostbare Monument, welches auf hohem Sockel die Mutter des Kaisers betend in knieender, etwas vornüber gebeugter Stellung zeigt, erhob sich früher über der Gruft der Fürstin auf französischem Boden und wurde erst nach dem Wiederankauf Arenenbergs hierher versetzt.

Zu Füßen des Schlosses dehnt sich das Dörfchen Mannenbach aus, sowohl Dampfschiff- wie Eisenbahnstation; denn auch ein Schienenstrang, die Bahn voll Constanz nach Winterthur, läuft am südlichen Ufer des Untersees entlang.

Ein leichter Fischernachen trägt uns von Mannenbach nach der Insel Reichenau hinüber. Das ist ein von der Welt und vom Verkehr gemiedenes Fleckchen Erde, zu dem sich nur selten der Fuß eines fremden Wanderers verirrt. Anders im frühen Mittelalter. Da war Reichenau nebst St. Gallen die geistige Metropole dieser Gaue, die Pflanzstätte christlicher Cultur, eine Oase in der Wald- und Bergwüste des allemannischen Landes, bei welcher alles anhielt, was hier des Weges zog. Die Geschichte des Klosters reicht weit zurück. Als im Jahre 724 der Bischof Pirminius unter dem mächtigen Schutze des fränkischen Majordomus Karl Martell ein Kloster nach der Regel des heiligen Benedictus auf diesem Eilande anlegte, das er der Sage nach erst durch einen mächtigen Exorcismus von den hier in Menge nistenden Schlangen und Drachen säubern mußte, da zählte das Heidenthum noch viele Anhänger im Lande. Aber siegreich sandte fortan das christliche Kreuz seine Strahlen über die Fluthen des Untersees bis tief in die Nacht der allemannischen Wälder. „Die reiche Au“ ward die Insel um ihres Reichthums und der üppigen Fruchtbarkeit willen genannt, die sie noch heute auszeichnet. Auch das Kloster ward bald wegen seiner Wohlhabenheit berühmt. Die Sage meldet, daß, wenn ein Reichenauer Abt nach Rom reiste, er auf dem ganzen langen Wege auf eigenem Grund und Boden, das heißt auf seinem Kloster zugehörigen Besitzungen, Nachtlager halten konnte.

Die Glanzperiode des Klosters fällt in das zehnte und elfte Jahrhundert, in die Zeit, da hier Heriman der Lahme, Graf von Beringen, der berühmteste Mönch von Reichenau, seine für jene Zeit so wichtige Chronik schrieb. In späterer Zeit gewannen hier wie überall die in Blüthe kommenden Reichsstädte an Macht und Ansehen auf Kosten der geistlichen Stifter. Auch Reichenau verarmte. Als Kaiser Sigismund mit der Kaiserin Barbara während des Constanzer Concils dem Kloster einen Besuch abstattete, trug es, zu Ehren des Tages, noch einmal einen wahrhaft fürstlichen Glanz zur Schau, aber schon im folgenden Jahrhundert ward es dem Bisthum Constanz einverleibt und 1799 aufgehoben.

Oede und still ist es jetzt auf der kleinen Insel, um deren Gestade die Erinnerung an die alte große Zeit einen eigenen Zauber webt. An Ueberresten der glanzvollen Vergangenheit ist jedoch nur wenig vorhanden. Die ehemalige Klosterkirche ist jetzt Pfarrkirche des Ortes Mittelzell; sie zeigt in einzelnen Theilen noch den ursprünglichen karolingischen Bau: eine Säulenbasilika mit horizontalem Gebälk und einem vorliegenden viereckigen Thurm. Bis zum Jahre 1844 befand sich hier das Grab Karl’s des Dicken.

Die Naturreize der nur im Osten durch einen langen Damm mit dem badischen Festlande zusammenhängenden Insel sind von der in der Mitte sich erhebenden Friedrichshöhe in ihrem ganzen Umfange zu übersehen. Noch mancherlei alte Gebräuche haben sich bei den Inselbewohnern erhalten; so unternehmen sie z. B. am Pfingstdienstag alle im festlichen Putze eine Kahnfahrt um das ganze Eiland und am Tage des heiliger Pirminius opfern sie auf dem Altar der Hauptkirche Gaben an Getreide, Obst und Wein.

Von der sagenumrauschten Klosterstille Reichenaus trägt uns das Dampfboot raschen Fluges hinweg, dem unteren See-Ende entgegen. Immer deutlichere Gestalt gewinnen im Nordwesten die spitzigen Kegel des Hegaues, unter ihnen der Hohentwiel. So geht es an den zwischen Weinbergen idyllisch gelegenen Ortschaften Berlingen und Steckborn vorbei.

Schon lange winkte uns von hohem Bergrücken eine stattliche Burg entgegen, die sich im Näherkommen als Hauptelement eines reizenden Landschaftsbildes erweist. Den Mittelpunkt desselben bildet das Städtchen Stein, das mit spitzem Kirchthurme, alten Ringmauern und fester Rheinbrücke gar zu einladend aussieht, als daß wir hier nicht kurze Rast hielten. Stein ist ein uralter Ort, schon vom Allemannenherzog Burkard, dem Gemahl der stolzen und gelehrten Hadwig, zum Schutz gegen die ungarischen Einfälle ummauert. Kurz darauf wurde das bisher auf dem Hohentwiel befindliche Kloster hierher verlegt, und nachmals kam das Städtchen an die Herren von Klingenberg, von welchen sich die Bewohner im Jahre 1421 durch eine große Summe Geldes loskauften.

Noch heute zeigt das kleine Nest einen gemütlichen, mittelalterlichen Charakter. Vom malerischen, mit einem alten Brunnen geschmückten Marktplatze blickt man die Hauptstraße hinunter bis zum Schlusse derselben, dem alterthümlichen Stadttore. Die Giebelseiten mancher Häuser sind al fresco bemalt, und unter ihnen zeichnet sich namentlich das Haus „Zum weißen Adler“ mit originellen Costümbildern aus dem sechszehnten Jahrhundert aus. Ein steiler Pfad führt durch Weinberge zu dem 593 Meter über dem Meere thronenden Schloß Hohenklingen empor, das schon im neunten Jahrhundert angelegt wurde. Der jetzige Bau ist natürlich jüngern Ursprungs und mit seinen mächtigen Thürmen und festen Mauern, die enge, düstere Höfe umschließen, wohlerhalten; im Innern freilich liegen die meisten Gemächer in Trümmern; denn schon längst ist das Schloß seiner ritterlichen Bestimmung entzogen. Jetzt haust hier oben ein Pächter, der guten Markgräfler verzapft, bei dem man sich’s wohl sein läßt und aus dessen Fenstern man die entzückendste Aussicht genießt. Zu unseren Füßen lugt enggesammelt das Städtchen Stein mit seinen rothen Dächern freundlich aus Weinbergen hervor. In vielfachen Windungen schlingt sich das Silberband des Rheines, im Westen zwischen dunkelgrünen Waldbergen verschwindend, durch das weite, reizende Thal, das sich östlich gegen den Untersee öffnet, während die gezackte Alpenkette bei klarem Wetter den schönsten Hintergrund abgiebt. Wahrlich, ein herrliches Bild, großartiger als eines an den gepriesenen Ufern des Mittelrheins! An Besuchern scheint es darum auch der Burg Hohenklingen nicht zu fehlen; ihr Fremdenbuch weist manchen berühmten Namen auf.

Von Stein ab wird die Flußreise einförmiger, ohne jedoch an landschaftlicher Schönheit zu verlieren. Der von Bergen eingeengte Strom stießt auf langer Strecke durch einsame Wälder, unter einer kühnen Eisenbahnbrücke hindurch, an malerischen Felspartien und einsamen Fischerhütten vorbei. Dann erscheint das Städtchen Diessenhofen, ein hübscher Ort, dessen Geschichte uns das merkwürdige Beispiel liefert, daß eine einst freie Stadt freiwillig unter die Herrschaft Habsburgs zurückkehrte.

Durch ein etwas breiteres Thal, an stattlichen Klöstern vorüber, trägt uns der Strom weiter. Von fern winkt der dicke, runde Thurm des Schlosses Munoth, an seinem Fuße die Stadt Schaffhausen. Der Rhein fließt schneller, seinem Falle zu – wir aber sind am Ende unserer Flußreise; denn zwischen hier und Basel ist der Rhein für die Schifffahrt viel zu ungestüm.

Schaffhausen, obwohl schon lange zur Schweiz gehörig, hat äußerlich den Charakter der alten schwäbischen Reichsstadt noch treu bewahrt. Lange Reihen hübsch verzierter Eckhäuser, hier und da mit kunstvollen Fresken geschmückt – selbst von der Hand des berühmten Tobias Stimmer – führen zu stattlichen Plätzen mit [464] rauschenden, von originellen Statuen gekrönten Brunnen. Das frühromanische Münster ist ziemlich schmucklos; in seinem Thurme hängt jene Klangspenderin, deren Inschrift: „vivos voco, mortuos plango, fulgura frango“ unsern Schiller zu seinem herrlichen „Lied von der Glocke“ anregte. Das Schloß Munoth, auf steilen Treppenwegen rasch erreichbar, ist fränkischen Ursprungs und besteht nur aus einem mächtigen, von Gräben umgebenen Thurme mit achtzehn Fuß dicken Mauern. Sowohl von hier wie von der hochgelegenen Promenade Fäsenstaub bieten sich reizende Ausblicke auf den smaragdgrünen, raschströmenden Rhein mit seinen großartigen Wasserwerken, auf die malerische Stadt und die ferne Alpenwelt. Alles dieses ist aber nicht im Stande, den Wanderer lange aufzuhalten; denn seine vom Donnern und Brausen des Stromes genährte Sehnsucht zieht ihn rastlos weiter nach dem etwa drei viertel Stunden entfernten Schloß Laufen, von dessen Terrasse sich dem Blicke ein Naturwunder erschließt, das sich in seiner erhabenen Größe kaum begreifen, geschweige denn beschreiben läßt.

Karl Konrad.