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Eine Saison beim „Director“ Lampe in Goslar

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Textdaten
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Autor: Friedrich Wilhelm von Varchmin, Carl Ernst Bock
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Titel: Eine Saison beim „Director“ Lampe in Goslar
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 167–170
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Kurdirektor Friedrich Lampe in Goslar
Friedrich Wilhelm von Varchmin: Die Wilden-Medicin der Jetztzeit und ihre Koryphäen Johann Hoff, Daubitz, Jacobi, Lampe etc. : überall auf eigene Erfahrung gestützt, vor dem Forum der Oeffentlichkeit, 2. Aufl, 1866, digital: SUB Hamburg.
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[167]
Eine Saison beim „Director“ Lampe in Goslar.[1]
Von W. v. V., einem Curgast Lampe’s.


Ein großer Theil meiner Leser wird schon von dem ehemaligen Schuhmacher Lampe gehört haben, der jetzt als Kräuterheilkünstler und Heilanstaltsdirector in Goslar sein Unwesen treibt und sich seines ungemeinen Zulaufs von Patienten aus allen Theilen Deutschlands erfreut. Zu diesem Lampe hatte auch ich vor einigen Jahren meine Zuflucht genommen, denn wer Jahre lang krank ist und nirgends Heilung findet, setzt leider nur zu leicht sein Vertrauen in Mittel, die mit der Quacksalberei so ziemlich identisch sind.

Klopfenden Herzens trat ich einige Stunden nach meiner Ankunft in Goslar in das am Viti-Thor belegene Haus Lampe’s ein; das blaue Schild mit der in Gold gefaßten bedeutungsvollen Inschrift „Heilanstalt“ machte mich wonnetrunken. Endlich sollte ich den Mann mit leiblichen Augen schauen, auf den mein geistig Auge schon längst mit Bewunderung geblickt hatte; endlich sollte ich Heilung finden!

Aber meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt; das Erscheinen einer ältlichen Frauensperson, mehr noch ihre Frage nach Namen und Stand, sowie der kurze Bescheid, „mich andern Tags in den Vormittagsstunden wieder einzufinden,“ dies Alles riß mich plötzlich aus meinem Freudentaumel und machte mich schnell nüchtern. Ich wußte ja nicht, daß Lampe’s angeborenes und durch vieljährige Praxis ausgebildetes Talent der Krankheitserkennung (Diagnose) sich in Einzelerscheinungen wohl einmal täuschen darf, in der Hauptsache aber der Krankheit jeder Zeit auf den Grund sehen muß. Welch’ furchtbares Aufsehen hätte es nun machen müssen, wenn Lampe ganz unvorbereitet mich empfangen und mir Leiden dictirt hätte, die mir vielleicht dem Namen nach bekannt waren, von denen mein Leib aber nichts wußte! Darum ist es eine gute Sitte, daß der Kranke in Goslar dem Director Lampe nicht so ohne Weiteres gegenübertreten darf; Lampe läßt sich nicht darauf ein, den Patienten anzuhören; er bezeichnet die Krankheit selbst ganz genau; ob’s dem Kranken richtig scheint oder nicht, ist ihm sehr gleichgültig und damit „basta“. Um nun aber den guten Ruf über die Gabe des „sicheren Erkennens“ zu bewahren, ist es doch erforderlich, daß der Kranke die Ansichten Lampe’s mit den eigenen wenigstens einigermaßen in Harmonie zu bringen im Stande ist. Lampe forscht daher sehr genau nach der Krankheit – bevor er den Patienten vor sich treten läßt.

Am folgenden Tage begab ich mich zu angegebener Stunde von Neuem zu Lampe; ich erhielt ohne Weiteres Zutritt. Da stand er vor mir, der siebenzigjährige Held des Stückes, er, dem ich mein Schicksal anzuvertrauen Willens war, grau von Kopf bis zu Fuß, wie einer seiner Biographen uns erzählt, den Oberkörper etwas nach vorn gebückt, ein Auge halb auf, das andere nicht geschlossen, [168] nur bisweilen um die Wette zwinkernd mit der schelmischen Falte um den großen Mund. Er würde uns nicht verrathen, daß seine Wiege und sechszig Jahre seines Lebens in einer Schusterwerkstatt gestanden, wenn nicht die linkischen Bewegungen, das Fuchteln mit den langen Armen und die eigenthümliche Behandlungsweise seines Anzugs seine frühere Lebensstellung kennzeichneten. Mütze und Schlafrock gehören zu seinen Lieblings-Bekleidungs-Requisiten; er trägt die Mütze im Freien und in der Stube, nur mit dem Unterschiede, daß er da, wo es gilt, sich zu zeigen, den Schirm, wie jeder andere Mensch, gerade vor die Stirn rückt, während er denselben für gewöhnlich mehr zur Seite, nach rechts hin zieht; der graue Schlafrock, von welchem man umgekehrt sagen kann, was von den englischen Bedientenröcken gilt: „Sehr gut, aber etwas zu kurz gerathen,“ erscheint auf seinem Leibe als ein ungewohntes Bekleidungsstück; er bindet die Schnur desselben nicht vorn, sondern hinten zu und benutzt die daran hängenden rothen Troddeln gleichsam als Verzierung seines Hintertheils.

Bei meinem Eintritt in das Sprechzimmer machte ich eine Verbeugung; bevor ich aber noch meinen Namen zu nennen im Stande war, redete mich Lampe wie Jeden, dem die Zahlungsunfähigkeit nicht geradezu auf der Stirn geschrieben steht, mit der Frage an: „Sie wollen bei mir in die Cur treten?“ Als ich dies bejahte, drehte er mich mit einem kräftigen Ruck an den Schultern dem Fenster zu, so daß das Tageslicht auf mein Gesicht fiel, ruckte den Schirm seiner Mütze etwas mehr zur Seite, heftete den Blick eine Zeit lang stier auf mein Gesicht, zwinkerte mit den Augen, räusperte sich und zählte dann, den Zeigefinger des lang ausgestreckten rechten Armes wie ein Pistol auf meine Brust setzend, in einem Athem die Leiden her, von welchen ich geplagt sein sollte: „Leberanschwellung, Stockungen im Unterleibe, Congestionen zum Kopf, Appetitlosigkeit, Schwindel, Nervenerregtheit.“ – Dies waren die Beschwerden, welche er mit solcher Bestimmtheit nannte, daß ich an deren Vorhandensein gar nicht zweifeln konnte. Anfänglich überraschte mich diese Diagnose, bald aber sah ich ein, daß Alles ganz natürlich sei; ich hatte meine Leiden mit denselben Worten brieflich geschildert, und Lampe gewann zwischen meinem ersten Besuch, der ihm die Kenntniß meines Namens eintrug, und dem zweiten soviel Zeit, daß er mir zur Noth meinen ganzen, vier Seiten langen Brief hätte hersagen können.

Nach Feststellung der Krankheit richtete Lampe die Frage an mich: „Was hätten Sie gemacht, wenn ich nicht da wäre? Die dummen Kerls, die Aerzte, haben schon viel Unheil in Ihrem Körper angerichtet.“

„Das wissen die Götter“ antwortete ich, „Sie aber wollen mir offen gestehen, ob Hoffnung zur Genesung noch vorhanden ist.“

„Sie sollen nicht sterben“ war seine Entgegnung, die er mit einem freundlichen Lächeln und leisem Klopfen auf meine Schulter begleitete.

Nachdem ich noch meinen Namen und Stand in das Curbuch eingetragen, erhielt ich mein Quartier angewiesen, und empfahl mich, begleitet von der nochmaligen Versicherung Lampe’s: „Sie sollen nicht sterben.“ Zum Sterben war ich freilich nicht nach Goslar gekommen, aber ich muß gestehen, daß mir diese, eigentlich nichtssagende Redensart mehr imponirte, als es früher mit den trostreichsten Versicherungen je der Fall gewesen.

Die Art der Krankheiten, die ich in dem mir zur Wohnung angewiesenen Hause vertreten fand, mußte mein Vertrauen zu Lampe entweder grenzenlos steigern oder aber total vernichten und Lampe als Charlatan vom reinsten Wasser hinstellen. Ich sah Zuckerkrankheit, Schwindsucht, Gelbsucht, Gicht etc. vertreten, und jeder einzelne Repräsentant dieser Leiden erzählte mir ganz treuherzig, wie er höchst elend nach Goslar gekommen, jetzt aber sich bedeutend wohler fühle. So kam es, daß die Wagschale, in welche ich die Gefühle pro et contra Lampe warf, sich vorerst entschieden zu Gunsten Lampe’s neigte. Die Zeit der Verblendung war aber für mich nur kurz; schon das, was ich gleich bei Beginn der Cur sah und hörte, mußte mich mit Recht nachdenkend und argwöhnisch machen.

Die Sommersaison zwar noch nicht eröffnet; wir genossen den sogenannten Kräutertrank in unserer Behausung; die Tochter des Hauswirths holte ihn Morgens und Nachmittags zur bestimmten Stunde aus der Wohnung des Directors.

Wie lachte ich über die sonderbare Manier, mit welcher Lampe die Unterscheidung zwischen den einzelnen Flaschen der Medicin bewerkstelligt! Wie erstaunte ich aber, als ich Wirthsleute wie Curgäste allen Ernstes jene Merkmale als von höchster Wichtigkeit, als Barometer des Befindens hinstellen hörte! Ein viereckiges Stück eines französischen Kartenblattes, vermitelst eines durch zwei Ecken gezogenen Bindfadens über den Hals der Flaschen gehängt, bildet die Etiquette; aus der Farbe der zur Marke benutzten Karte ersieht der Patient seine und Herrn Lampe’s Hoffnungen. Findet der Curgast seine Flasche mit einer rothen Farbe, mit Coeur oder Carreau bezeichnet, so mag er jubeln, denn mit seiner Krankheit ist es dann nicht weit her, die Heilung ist eine Kleinigkeit; aber wehe, wehe, erhält er eine schwarze Farbe, Trefle oder Pique, vielleicht gar Pique-Aß, als memento mori! Sein Zustand ist dann bedenklich, wenn auch Lampe hinterher so thun sollte, als ob er von der ganzen Sache nichts wisse.

Ich habe dieser Alfanzerei nur Erwähnung gethan, weil ich überzeugt bin, der Leser wird schließlich mit mir zu der Einsicht gelangen, daß die ganze Lampe’sche Cur eben nichts weiter als eine großartige Possenreißerei ist.

Ueber das sonst so gemüthliche und naturwüchsige Goslar ist mit dem officiellen Breitmachendürfen der Lampe’schen Cur eine fast unglaubliche Corruption hereingebrochen. Die Gier nach dem Gelde der düpirten Kranken wäre noch zu verzeihen, aber unverzeihlich ist es, daß die große Mehrzahl Derer, denen durch Lampe materieller Nutzen erwächst, sich auch zu Werkzeugen der abscheulichsten Gaukelei machen. Man forscht den neu ankommenden Kranken erst gründlich aus, meldet die Krankheit dem Herrn Director und dieser hat dann eben keine schwierige Aufgabe, die Leiden festzustellen.

Der Kranke ahnt gar nicht den Zweck der zudringlichen Fragen seiner Wirthsleute; diese stellen sich gewöhnlich auch so dumm an, als ob sie die unschuldigsten Leute von der Welt wären. So wird denn z. B. ein Schwindsüchtiger gefragt: „Sie haben wohl die Wassersucht?“

„Nein,“ erwidert der Gefragte, „ich habe starken Husten mit Auswurf und Anlage zur Schwindsucht.“

„Das sieht Ihnen aber kein Mensch an,“ entgegnet der verschmitzte Wirth, wenn auch der Kranke bereits auf dem letzten Loche pfeift, und erhält nach und nach alles das zu wissen, was ihm, mehr noch was Lampe in seinen Kram paßt. Der Wirth ist nun aber auch nobel und revanchirt sich durch gleiche Offenherzigkeit; er erzählt dem Patienten Wundercuren, gegen welche die Heilung von Schwindsucht eine wahre Bagatelle ist; er versichert vorzugsweise, daß von Goslar Niemand ungeheilt fortginge.

Nur durch die Quartiergeber in Goslar, also durch Lampe’s Creaturen, lernt man, wie die Kunst im Heilen, so auch die Mildthätigkeit Lampe’s kennen. Da heißt es denn: „Ach, der Herr Director ist ein sehr guter Mann; er curirt Viele für die Hälfte, ein großer Theil hat die Cur ganz umsonst.“ Ich erwidere darauf: Lampe nimmt, abgesehen von zwei bis drei Exemplaren, die als Repräsentanten seiner Mildthätigkeit figuriren müssen, Niemanden in die Cur, dem er die Zahlungsunfähigkeit ansieht oder abfragt; wer aber Monate lang den abscheulichen Curtrank genossen, mit schwerem Gelde bezahlt und noch nicht die Lust verloren hat, die Cur aufzugeben, dem bewilligt Lampe zuweilen großmüthig die halbe Curtaxe. Man bedenke aber, was das sagen will! Man hat beispielsweise in acht Wochen mit achtundvierzig Thalern – die Flasche fünfzehn Silbergroschen! – einen Trank bezahlt, den jeder Apotheker für etwa sechs Thaler – die Flasche zwei Silbergroschen gerechnet – mit Freuden liefern würde, und erhält nun hinterher vom Herrn Director die Vergünstigung, fortan die Flasche statt acht nur etwa vier Mal höher als bei jedem Apotheker bezahlen zu dürfen. Der Aufenthalt in Goslar wäre nicht zu theuer; der Wirth erhält für Logis und Kost nur sechs, höchstens acht Thaler wöchentlich; Lampe aber vertheuert den Aufenthalt, indem er sich für den abscheulichen Trank eben so viel wie für Logis und Kost bezahlen läßt. Ich weiß bestimmt und habe es mit eigenen Ohren gehört, daß, wo Lampe über die Geldverhältnisse eines Kranken zweifelhaft war, er denselben ohne alle Umstände nach dem Bestand seiner Casse fragte und hiernach die Länge der Cur bestimmte oder wohl auch den armen Kranken gar nicht annahm. –

Ich begann die Cur und trank regelmäßig den mir vorgesetzten Kräutertrank. Es ist in der That keine Kleinigkeit, den abscheulichsten Trank von der Welt in Portionen von je einem Quart [169] des Morgens und Nachmittags herunterwürgen zu müssen, und ich habe Manchen gesehen, bei dem derselbe ohne Weiteres den Weg zurücknahm, den er kurz zuvor gegangen. Da nimmt es freilich nicht Wunder, wenn oftmals in kürzester Zeit in dem Befinden des Patienten eine Krisis eintritt, auf die Lampe, Quartiergeber und Gast gleich stark, wie auf eine Verheißung, rechnen. In Goslar ist die Krisis das geworden, was beim Bäcker die Semmel ist; man mag jammern oder frohlocken – alle Welt fragt, und die Frage paßt auch auf alle Fälle: „haben Sie schon die Krisis gehabt?“

In den ersten Tagen der Cur erging es mir, gleich manchem anderen Patienten: die Hoffnung auf Heilung erweckte in mir Muth und Vertrauen. Der bis dahin finstere Blick belebte sich neu und wurde noch heiterer, als meine Gattin, nach überstandenem Wochenbette, als Trösterin zu mir eilte. – Wie erstaunte ich aber, als Lampe gleich bei dem ersten Besuche, welchen er meiner Frau abstattete, die Verordnung gab, daß auch sie den Kräutertrank genießen sollte; meinen Begleiter, dem er, wie fast aller Welt, versteckte Hämorrhoiden zudictirte, hatte er bereits zum Curgast gemacht, und selbst unser neugebornes Kind sollte von dem Safte nicht verschont bleiben. Wir mußten sammt und sonders purgirt werden, denn das Purgiren schwächt nicht, wie Lampe hoch und theuer versichert. Unser Kind blieb auf den von mir erhobenen und durch das Alter von erst sechs Wochen begründeten Protest von der Strafe des „Trinkens“ zwar verschont, es wurde dafür aber die Strafe der „Einreibung“ substituirt. Diese Einreibungen bilden einen wichtigen Theil der Lampe’schen Cur; sechs Mal in der Woche wird der ganze Körper des Patienten, besonders Rückgrat, Bauch und Brust, mit einer eigens dafür hergerichteten Fichtennadelsalbe stark und gehörig eingerieben. Dies Geschäft besorgt ein durch Lampe geschulter Curdiener, Namens Lentje, resp. dessen Frau.

Ich habe mich nicht überzeugen können, daß diese Einreibungen so ganz harmloser Art sind; die Salbe enthält Terpentin und kann zuweilen gefährliche Entzündungen hervorrufen. Eine Frau von K…e aus der Provinz Sachsen kam nach Goslar, um sich von rheumatischen Leiden heilen zu lassen. Die Einreibungen wurden forcirt, und bald stellten sich an einem Knie Entzündung und Geschwulst ein. „Hic haeret aqua“ hieß es nun für Lampe und der Physicus Dr. Müller wurde herbeigeholt. Lampe ersuchte diesen, die Geschwulst zu schneiden, Dr. Müller erklärte solches Beginnen für wahnsinnig, da sich die Rose eingestellt hatte. Herr von K., der seine Gattin mit einfachem Rheumatismus nach Goslar reisen ließ, erhielt sie von Lampe nur als – Leiche zurück. –

An einem Kinde von sechs Wochen, das wird mir Jeder zugestehen, der ein derartiges Geschöpf je genauer betrachtet, ist äußerst wenig einzureiben; ich glaubte den Wünschen meines Kindes, welches selbst noch unfähig zum Ausdruck derselben war, entgegen zu kommen, wenn ich um möglichste Schonung bat. Nach einiger Zeit ließ ich die Reibungen einstellen; das Kind bekam, wahrscheinlich vom Schreien dabei, einen Nabelbruch.

Es ist ein schöner Trost in dem alten Worte enthalten: „wer weiß, wozu es gut ist?“ Auch ich tröstete mich damit und lernte bald erkennen, daß alle Wege der Vorsehung zum Besten dienen. Das kranke Kind durfte ich nicht länger in Lampe’s Behandlung lassen, auch der Zustand meiner Frau gab zu mancherlei Bedenken Anlaß, ich selbst aber fühlte das Herannahen der Krisis, vor welcher ich eine unerklärliche Furcht hatte; so erbat ich mir denn ohne Zögern den Besuch des mir zunächst wohnenden Arztes, des Stadt-Physicus Dr. Müller.

Bevor ich nun näher auf mein Verhältniß zu genanntem Arzte eingehe, will ich noch in Kürze Kunde von dem geben, was ich bei Lampe zu der Zeit sah und hörte, als mein Vertrauen zu seiner Kunst noch nicht ganz erschüttert war. Der Leser wird dann begreifen, warum ich mit der Zeit auf einen wirklichen Arzt wie auf eine Verheißung wartete. –

Ich erlitt also alle Qualen der Cur in Geduld, auch selbst dann noch, als sich bereits sehr bedenkliche Erregtheit, Appetitlosigkeit und gänzliche Schlaflosigkeit eingestellt hatten. Während der Nacht mußte ich, so leid es mir that, den Schlaf meiner ruhebedürftigen Frau stören; sie mußte mich trösten und die Bedenken zerstreuen, welche nach und nach immer lebendiger vor meine Seele traten. Bei Tage besorgte dies Geschäft Herr Lampe; zu ihm nahm ich, so oft es nur anging, meine Zuflucht, theils allein, theils in Begleitung anderer Curgäste, um mir Trost zu erbitten. Ich fand denselben auch regelmäßig, theils in Gestalt eines kleinen Schnapses, theils in der bestimmten Angabe der Ursachen, welche störend auf den Heilungsproceß influirten. „Sehen Sie nicht,“ so begann Lampe auf meine Klagen nach der Wetterfahne zeigend, „daß wir Westwind haben“ – und ich war befriedigt. War es kein Westwind, so thaten Nord-, Ost- und Südwind dieselben Dienste, und war es ganz windstill, so mußten, unter andern Dingen, Neumond, erstes Viertel, Vollmond und letztes Viertel herhalten. War Lampe guter Laune, so nahm er zu der Zeit, als die eigentliche Saison noch nicht eröffnet war, mich und sämmtliche Patienten in seine Stube und erzählte uns von seinen Wundercuren.

Lampe nimmt, wie schon erwähnt, Jedermann in Behandlung, der nicht zahlungsunfähig oder vielleicht mit Ekel erregender, ansteckender Krankheit behaftet ist. Schwindsüchtige nimmt er recht gern auf; diese Patienten incommodiren ihn in der Regel nicht lange, er muß nur Acht darauf haben, daß er dieselben als „geheilt“ oder mit der Weisung, „in einiger Zeit wieder zu kommen“, aus Goslar jagt, bevor ihnen die Vorsehung den Weg in das Jenseits anweist. Bei Schwindsüchtigen läßt die Krisis nicht lange auf sich warten; der abscheuliche Trank, mit dem man im Stande ist, auch den verstocktesten Sündern die Seele aus dem Leibe zu purgiren, raubt dem Schwindsüchtigen die letzte Lebenskraft und beschleunigt sein Ende. – Bei Schwindsüchtigen vertritt Lampe in Wahrheit das Amt eines Nachrichters.

Es ist eine grobe Lüge, wenn Rolffs, der Biograph Lampe’s, erzählt, daß Lampe für jeden Kranken eine besondere Medicin bereite; er verfährt vielmehr ganz nach früheren Erinnerungen, indem er Alles über Einen Leisten schlägt. Purgiren schwächt nicht, der Stoffwechsel muß herbeigeführt, daher auch alle Welt purgirt werden, ob schwind- oder wassersüchtig. Lampe bezeichnet die Flaschen verschieden durch Kartenblätter, er holt sie auch, sobald die Cur im Garten begonnen, aus verschiedenen Abtheilungen hervor; es ist das Alles aber pure Gaukelei. Ich habe die Flaschen von Schwindsüchtigen, Zuckerkranken, Podagristen etc. gekostet; überall dieselbe Mixtur, bestehend aus Aloe, Faulbaumrinde, Rhabarber, Sennesblättern, Enzian, Ellernrinde, ja sogar gewöhnlicher Gerberlohe, wie auch der von Lampe fortgeschickte Apotheker angiebt.[2]

Wir sind im Mai; die Saison hat begonnen, der Verkehr ist bereits rege und wird täglich lebhafter. Es ist acht Uhr Morgens und die Zeit der Ausgabe des Kräutertranks gekommen; treten wir einmal ein in den Curgarten. Die ganze Anlage desselben ist hausgartenartig, klein und patriarchalisch, von den engen Laubgängen an bis zum Pavillon, der aus einer sommerlichen Theestube zum Orchestersitz umgeschaffen ist. Zweimal des Tages versammelt sich hier zur bestimmten Stunde eine fashionable Welt, Damen und Herren, um den dunkelbraunen Trank, täglich zwei große Flaschen voll, ernst und gewissenhaft bis auf die Neige zu leeren und sich die schlichten Weisen des deutschen Commersbuches: „Wo Muth und Kraft“, „Heute muß ich fort von hier“ etc., vorspielen zu lassen. – Da kommt er selbst, der Veranstalter dieser Komödie, en escarpins, den Schlafrock um den Leib, die unvermeidliche Mütze auf dem Kopf. Er hat seine Frau, Karoline, am Arm und promenirt mit dieser in dem kleinen, dicht vor dem Curhause gelegenen Hofraum, um den Curgästen einstweilen ein glückliches Eheleben vorzuführen. Die Nonchalance, mehr noch die Rücksichtslosigkeit Lampe’s hinsichtlich seines Anzuges, geht oft in’s Unglaubliche.

Einstmals verwies ihm die Gräfin von B…f diese Unziemlichkeit mit den Worten: „Herr Director! Wenn Sie wollen, daß ich und die übrige Damengesellschaft noch ferner Ihren Garten besuchen sollen, so bitten wir Sie, für die Zukunft in einem Costüm zu erscheinen, welches uns die Erfüllung Ihres [170] Gebots zur Möglichkeit macht!“ – „Frau Gräfin, da ist die Thür,“ war die Antwort des erzürnten Directors, und alle Einwendungen halfen hier nichts – die Frau Gräfin mußte den Garten verlassen. Später hat diese Dame dann dem Wunderdoctor viel gute Worte geben müssen, um wieder in die Cur aufgenommen und des Lampe’schen Heils noch ferner theilhaftig zu werden. Das ist eine Probe von Lampe’s Höflichkeit, die ebensosehr wie seine Mildthätigkeit und Sanftmuth gerühmt wird.

Lampe hat nach einiger Zeit das Promeniren mit seiner Karoline aufgegeben und befindet sich mitten unter den Curgästen. Sobald dieser Moment je eintrat, versammelte sich die große Mehrzahl der Gäste schnell um den Director, wie um ein Wunderthier. Er richtete diese und jene Frage an einzelne Patienten, bis ihm dann die Gelegenheit kam, als Apostel aufzutreten. „Sehen Sie, meine Herren,“ so begann Lampe, „Sie sind Alle hier, um gesund zu werden. Die verfluchten Doctors haben viel verdorben; jetzt kommen Sie zu mir, weil Ihnen kein Arzt mehr helfen kann. Sehen Sie, ich könnte auch Doctor sein, aber ich wollte es nicht; der Titel ist mir angeboten, ich wollte aber lieber Director heißen, und das bin ich auch geworden. Ich selbst kann nicht heilen; ich kann nur den Stoffwechsel herbeiführen, die Heilung kommt dann ganz von selbst. Sie Alle werden gesund von Goslar gehen oder doch sehr bald zu Hause gesund werden; aber prägen Sie sich das ein, daß Sie sich vor den dummen Kerls, vor den Doctors, zu hüten haben. Sonst können Sie leicht einen Rückfall bekommen.“ Auf die Bemerkung irgend eines Curgastes, „wie der Herr Director doch so schnell zu Macht und Ansehen gestiegen, und selbst die höchste Anerkennung gefunden,“ brummt er dann vor sich hin: „Ja, wenn der Kronprinz von Hannover nicht zur Zeit meine Hülfe nachgesucht hätte, so –“, und: „wenn der König früher zu mir gekommen wäre, so –.“

Und nun giebt Lampe den neuangekommenen Curgästen lebendige Beispiele seiner Kunst in einer Weise, über die man sich todtlachen müßte, wenn es nicht zum „Todtweinen“ wäre. Für manche Kranke hatte Lampe die „halbe Krisis“ erfunden. Das Wort „Krisis“ war in Goslar in Aller Munde; was Lampe unter halber Krisis verstand, haben sie mir nicht mitgetheilt; ich kann es mir aber wohl denken. – Aus der Krisis geht der Patient in Goslar entweder todt oder lebendig hervor. Tritt der erste Fall ein, so war die Krisis vollständig, ja mehr als das, und man erwähnt ihrer gar nicht erst; im zweiten Falle aber bestimmt Lampe darüber. Hat Jemand die Droguencur schon so lange gebraucht, daß es als ein Wunder zu betrachten ist, wenn er aus der Krisis überhaupt noch auf die Beine kommt, so hat er seine Schuldigkeit gethan und die ganze Krisis überstanden. Es wird ihm einfach erklärt: „Sie sind geheilt und können reisen,“ wenn er auch nichts dem Aehnliches an sich verspürt. Ist er etwa so offenherzig zu erklären: „Ich fühle mich aber doch noch sehr leidend,“ so erhält er den Trost mit auf den Weg, daß die Nachcur die hier begonnene Heilung vervollständigen werde. Ist dagegen die Krisis bald nach Beginn der Cur eingetreten und giebt der Zustand des Betreffenden zu keinem ernsten Bedenken Anlaß, so vindicirt man ihm die halbe Krisis. Er kann weiter trinken und so seine sechs bis acht Wochen, die gewöhnliche Curzeit, unter Zahlung von sechs Thalern pro Woche, abarbeiten.

Hat Lampe seinen Vortrag geendet, den ärztlichen Stand, wie immer, nach Möglichkeit und in der brutalsten Weise insultirt, so lohnt ihm reichlicher Applaus seiner Zuhörer. Der seiner Rede zu Theil gewordene Beifall versetzt Lampe in Ekstase; er ruft diesem und jenem zu: „Nu, man nich den Kopf hängen lassen; immer frischen Muth, Ihr müßt Alle gesund von Goslar gehen,“ und befiehlt der Musik, zur Aufheiterung der Gesellschaft einen recht „Lustigen“ zu spielen. Er bezeichnet selbst das zu spielende Stück: “Ach, ich bin so müde, ach, ich bin so matt“, dreht sich, als ob ihn eine Tarantel gebissen, nach dem Tact der Musik im Kreise herum und verschwindet unter einem gnädigen „auf Wiedersehen!“ den Blicken der gaffenden Menge.

Es ist ein Wagstück für einen Curgast Lampe’s, einen wirklichen Arzt zu Rathe zu ziehen; verschwiegen bleibt es nicht lange, und erfährt es Lampe, so ist es mit dem Verweilen in Goslar zu Ende, man erhält den Laufpaß. Der betreffende Quartiergeber muß dem Willen seines Gebieters Folge leisten, und böte man ihm auch den zehnfach höheren Miethspreis, er würde doch eintretenden Falls die Exmission vornehmen und vornehmen müssen, wenn anders er nicht von Stund’ ab auf jede andere Einquartierung zu verzichten gesonnen wäre.

So entschloß auch ich mich nur mit Zagen zu dem Schritt, den Dr. Müller zu consultiren; aber die Nothwendigkeit war geboten, Frau und Kind waren leidend, das letztere, so dachte ich, konnte zur Noth als Ableiter des Lampe’schen Zorns dienen. Ich ging nun gar nicht mehr zu Lampe, ließ mich krank melden und erhielt die zwei Flaschen Kräutertrank pro Tag regelmäßig nach meiner Wohnung. Ich darf wohl nicht erst versichern, daß ich den Trank fortan nicht mehr genoß; ich goß ihn in die Straßenrinne und zahlte, so lange ich noch in Folge der erlittenen Cur unfähig zur Rückreise war, die sechs Thaler per Woche regelmäßig weiter. Lampe schwieg, er traute mir wohl schon längst nicht mehr, ich aber fürchtete ihn jetzt nicht sonderlich, da mir der menschenfreundliche Arzt, Dr. Müller, für den Fall der Exmission bereitwilligst ein Logis bei einem seiner Verwandten zur Verfügung stellte. Ich war übrigens in Folge der entsetzlichen Purgircur so kraftlos geworden, daß ich Tage lang nicht das Zimmer zu verlassen und nicht anders als mit den Händen von Stuhl zum Tisch greifend mich über die Stube fortzubewegen vermochte; die Nerven waren auf’s Furchtbarste angegriffen, ihre Erregtheit hatte eine bedenkliche Höhe erreicht. Dazu traten nun noch als stetes Gefolge einer so sinnlosen Purgircur die heillosesten Unterleibsstockungen, so daß der Gesammtzustand mir in Wahrheit die größten Besorgnisse einflößte.

Nach etwa vierzehntägiger Behandlung durch den Physicus Dr. Müller hatte ich das Unheil, welches die Lampe’sche Cur über meinen Körper gebracht, wenigstens so weit überwunden, um ohne zu große Gefahr die Rückreise antreten zu können. Ich wollte aber doch nicht ganz, wie eine Katze aus dem Taubenschlag, aus Goslar ziehen, und so entschloß ich mich, obschon schweren Herzens, dem Herrn Director noch einen letzten Besuch zu machen. Als ich in den Curgarten trat, fand ich denselben von Curgästen bereits geleert, nur Lampe saß, in Gedanken vertieft, auf einem erhöhten Platz in einer Laube; vielleicht stellte er so seine Betrachtungen über das „die Welt will betrogen sein“ an. Als er meiner ansichtig ward, rief er mir auf den ihm dargebotenen Morgengruß mit rauher Stimme entgegen: „Wo stecken Sie? Warum kommen Sie nicht zur Cur?“

„Ich war sehr leidend,“ war meine Antwort.

„Nun,“ entgegnete der Spaßvogel, „wissen Sie denn nicht, daß wir Neumond haben? Man muß nicht so zimperlich sein; kommen Sie einmal näher.“

Ich mußte mich nun an seine Seite setzen und er fragte weiter: „Wie lange sind Sie in der Cur?“

„Acht Wochen,“ erwiderte ich und erhielt nun die glücklichste Bescheerung in meinem Leben mit den inhaltsschweren Worten:

„Sie sind gesund und können reisen! Was noch an Krankheit in Ihrem Körper etwa vorhanden sein sollte, verschwindet in der Nachcur; ich werde Ihnen das Recept geben, holen Sie sich den Thee und verfahren Sie nach Vorschrift. Nur mäßig in allen Dingen, und die verfluchten Doctors lassen Sie ja in Ruhe!“ –

Wem Geld und Gesundheit lieb ist, der folge meinem Rathe und reise nicht nach Goslar! Nicht Jedem dürfte es ergehen wie mir, der ich bei meiner sonst zähen Constitution noch so mit blauem Auge davongekommen bin, obschon ich noch lange an den Folgen dieser unverantwortlichen Cur zu leiden hatte. Schwache Naturen können nach dieser willkürlichen, mehr für Pferde denn für Menschen eingerichteten Cur den Tod oder doch vollständiges Siechthum davontragen. Vor keinem der bekannten Medicinal-Pfuscher muß so ernstlich gewarnt werden, wie gerade vor Friedrich Lampe in Goslar, trotzdem, oder besser gesagt, weil er Director einer Heilanstalt ist und cum privilegio curirt; in dieser Auszeichnung, die an ihm geradezu zum Hohne wird, liegt die Versuchung und das Verderben für Tausende von Menschen.

Irren ist menschlich und verzeihlich! Nach meiner innersten Ueberzeugung, Keinem zu Gunsten oder Gefallen, rein empirisch, spreche ich meine Ansicht dahin aus: Lampe ist der größte Charlatan der Welt! Durch zähe Ausdauer, durch richtige Speculation auf die Dummheit der Menschen, durch Schlauheit, am meisten aber durch besondere Glücksumstände ist es ihm gelungen, Behörden und Publicum in Täuschung zu versetzen und es schließlich dahin zu bringen, der Vernunft wie dem Rechte officiell in’s Gesicht schlagen zu dürfen.




  1. Ueber die Lampe’sche Charlatanerie, sowie über die vieler anderer Medicaster, ist in einem nächstens erscheinenden Schriftchen unter dem Titel „Die Wilden-Medicin der Jetztzeit im Allgemeinen und Koryphäus Friedrich Lampe insbesondere“, Ausführlicheres zu finden. – Diesem Schriftchen, welches ich von dem mir bekannten Verfasser in den Aushängebogen zugesandt erhielt, entnahm ich die vorstehenden Mittheilungen zur Warnung vor jener Lampe’schen Charlatanerie und empfehle sie den Kranken, die nach Goslar zu pilgern beabsichtigen, zur Beachtung und Beherzigung.
    Bock.
  2. Anweisung zur Bereitung des Lampe-Tranks und der Lampe-Tropfen nach Dr. H. Hager. Trank. Nimm auf ein Quantum von zwei Weinflaschen: Rhabarber ¼ Loth, Sennesblätter ½ Loth, Faulbaumrinde 1 Loth, Enzian, Cardobenedictenkraut, Wermuth, Tausendgüldenkraut von jedem 1/16 Loth, Ellernrinde 1 Loth. Geschnitten wird alles mit drei Pfund Wasser aufgekocht und dann das Flüssige durchgeseiht. Wenn man will, setzt man dazu Glaubersalz und Bittersalz, von jedem ½ Loth.
    Tropfen. Nimm Faulbaumrinde 3 Loth, Rhabarber 3 Loth, Enzian, Cardobenedicten, Wermuth, Tausendgüldenkraut, Galgant, von jedem ½ Loth. Diese Substanzen zerschnitten koche mit 1¼ Pfund Wasser eine Viertelstunde, seihe und presse die Flüssigkeit aus und versetze sie mit ¼ Pfund Spiritus.