Eine Wallfahrt nach Shakspeare’s Geburtsort Stratford

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Titel: Eine Wallfahrt nach Shakspeare’s Geburtsort Stratford
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 235–238
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Wallfahrt nach Shakspeare’s Geburtsort Stratford.

Es war am ersten Osterfeiertage dieses Jahres, als wir, d. h. ich und noch zwei deutsche Landsleute, von London aus einen Abstecher nach dem durch Shakspeare’s Namen und Ruhm geweihten Ort beschlossen. Die Sonne schien heiter und lebenbringend auf die fruchtbaren und grünen Hügel des Landes nieder und in kurzer Zeit waren wir in einem jener luxuriösen fliegenden Salons, welche uns das Eisenbahnsystem gebracht hat, und dahin ging es in brausender Eile auf unserem Wege. In demselben Coupè mit uns waren zwei Engländer, der eine wollte predigen, der andere seine Andacht verrichten in einem Tempel von Menschenhänden gemacht. Ich konnte mich der Vorstellung nicht enthalten, wie mild und schön der Geist der christlichen Religion sei, welcher uns erlaube in die Ferne zu wandern, in edlerer Gemeinschaft und in einem schöneren Tempel unsere Anbetung zu verrichten. In der nächsten Station verließen uns unsere beiden englischen Reisegefährten und wir waren im Nu in Warwick, wo uns gerade noch Zeit genug blieb, einen flüchtigen Blick auf die Ruinen zu werfen, die ein vortreffliches Probestück bieten von den makellosen Schätzen, welche von dem herrlichen Glanze des Ritterthums auf diese unpoetische und baumwollene Zeit überkommen sind. Der Betrachter, welcher seinen Stand auf der Brücke, die über die Avon führt – genommen hat und auf das ergraute, ehrwürdige Burgschloß schaut, wie es da liegt auf seinem hohen Felsen, sieht sich nothgedrungen in die Zeit zurückversetzt, wo Richard Nevil – der brave und stolze Königmacher – [236] dort seinen Hof hielt. Die Sonne scheint kaum Ein Mal ihre Bahn vollendet zu haben seit jenen Tagen, wo der heitere und gottlose Edward IV. und sein verschlagener Bruder mit ihren lustigen Höflingen innerhalb der Wälle festmahlten und jubelten, welche jetzt schweigend und im rauhen Festkleide des hohen Alters dastehen. Doch hier ist keine Zeit für romantische Träumereien, fort geht’s auf unserem Wege und bald sind wir in den klassischen Gefilden von Stratford. Die Stadt unterscheidet sich ihrer äußern Erscheinung nach durch Nichts von einer ganz gewöhnlichen Provinzialstadt. Wir stiegen in dem ersten Gasthofe ab und nachdem wir pflichtgemäß unserer Wirthin sorgfältig auf’s Gewissen gebunden hatten, gegen unsere Zurückkunft ja einige gute Rumpsteaks etc. etc. well done in Bereitschaft zu halten, ging’s per pedes apostolorum weiter auf unserer Pilgerfahrt. Das erste Gebäude, welches unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, war die Stadthalle, die durchaus keine architektonische Prätensionen zu machen hat, jedoch den Reisenden für einen Augenblick fesselt, weil er an der Außenseite in einer Nische eine Statue des unsterblichen Dichters bemerkt, welche, wie man ihn unterrichtet, von David Garrick geschenkt ist. In einem großen Saale des Gebäudes in dem die häufigen Stadtbälle – für welche, als uns unsere Führerin informirte, Stratford weit berühmt ist – statt zu finden pflegen, befindet sich ein Portraits Garrick’s von Gainsborough und ein anderes von Shakspeare, gemalt von Wilson. Wir erkundigten uns hierauf nach dem Orte, in welchem der Barde lebte und starb. Das Haus wurde leider von einem Vandalen – Francis Gastrell – bis zum Grunde gänzlich verwüstet, sein Name, wir hoffen, wird wie ein zweiter Ephialtes schmachvollen Andenkens der Nachwelt für alle Zeiten aufbewahrt werden. Wir gingen dann zu der Kirche, welche die letzten irdischen Ueberreste des großen Dichters in sich schließt. Dieses Gebäude ist eine Structur von bedeutender Ausdehnung und ungewöhnlicher Schönheit. Der Eingang zur Kirche ist durch eine schöne Lindenallee verziert.

Shakspeare’s Geburtshaus.

Das Innere scheint vor nicht allzu langer Zeit restaurirt zu sein und zwar in einer Weise restaurirt, daß den Beschauer – wunderbar genug – die Ausbesserung nicht gereuet. Wenn wir mit dem Gesichte dem Altare zugekehrt stehen, so befindet sich zu unserer linken Seite das Denkmal, welches in stummer und andächtiger Betrachtung während Jahrhunderte von den wechselnden Geschlechtern angestaunt worden. Wo sind die Tausende und Abertausende, welche vor uns an dieser heiligen Stätte in tiefer Bewunderung gestanden? Wo ist das Resultat ihres Denkens? Welches die Frucht ihrer Handlungen?

Das Denkmal ist von Gerard Johnson – einem Holländer von Geburt - mit bedeutender Sorgfalt ausgeführt und war anfänglich mit Farben angestrichen, um so den Barden mehr in seiner natürlichen Erscheinung darzustellen. Malone jedoch, nicht zufrieden gestellt mit der empfindlichen Beleidigung, welche er dem Dichter durch die Herausgabe seiner Werke zugefügt hatte, fühlte sich höchst eigenmächtig bewogen, die ursprüngliche Farbe abzukratzen, und das Ganze mit einem Nichts sagenden Weiß zu übertünchen. In seinem ursprünglichen Zustande bot das Denkmal folgende Erscheinung dar: Die Augen waren von einem hellen Nußbraun; der Anzug bestand aus einem Scharlach-Kamisole, über welches ein weites schwarzes Gewand ohne Aermel lose hingeworfen war. –

Wenige Fuß von der Wand sind die Ueberreste von William Shakspeare; an seiner Seite liegt seine Gattin Anne Hathaway, und nahe dabei schläft seine Tochter verehelichte Hall, von der man sagt, daß sie einen guten Theil von ihres Vaters Genius besessen habe. In demselben Theile der Kirche befindet sich auch die Gruft der Combe’schen Familie. Auf einem ansehnlichen Monumente liegt in voller Lebensgröße das Ebenbild des Sir John Combe, der treue und würdige Freund unsers großen Dichters. Wir sehen uns noch einmal flüchtig das Ganze an, blättern zwei oder drei Minuten in den ungeheuern Folianten, in welche die Besucher ihre Namen einzutragen [237] pflegen, und eilen dann nach Shoterbury, wahrscheinlich auf demselben Fußwege, auf welchem Shakspeare an dem ruhigen Sommerabende mit hoffendem Herzen hinzueilen pflegte, um Anne Hathaway zu werben. Was thut es, daß sie nun ein Paar Jahre älter war als er? Ich habe manches an Jahren wohlgereifte Mädchen gesehen, welches, meiner Meinung nach durchaus fähig war, ein junges warmes Herz mit sehnsüchtiger Liebe zu erfüllen.

Das Innere des Zimmers, in dem Shakspeare am 23. April 1564 geboren ist.

Der Grund ist, Liebe kümmert sich nicht um Kleinigkeiten. Anna Hathaway wurde von Shakspeare herzlich geliebt, und sie war – wir wagen zu behaupten – ein schönes, geistreiches Landmädchen, als sie ihren William in dem alten Landhause erwartete, welches noch dasteht mit demselben Bette und derselben Bank, auf welcher der Dichter mit seinem Liebchen zu kosen pflegte. Wir hätten lange in Shoterbury verweilen können, Alles schien so ächt, so natürlich; doch wir hatten noch die Geburtsstätte des großen Dichters, jetzt ein alter elender Schlächterladen in Henleystreet zu besuchen und bald befanden wir uns in dem fraglichen Zimmer. Wir erkannten es instinktmäßig – das Fenster – die Wände – übersäet mit unzähligen autographischen Verewigungen, schienen uns so heimisch, so wohl bekannt, als hätten wir sie alle Tage besucht. Man kann eine gute Weile an einem solchen Orte zubringen, ohne von der Langenweile geplagt zu werden. Mancherlei und zahlreich waren die ehrenwerthen Namen, welche wir dort gewahrten. Scott und Sockhart waren dagewesen und hatten, wie billig, ihre Namen zusammen gezeichnet. In derselben Weise sahen wir Charles Dickens, Catherine Fox und ihr gemeinsamer Freund Forster. Auch hocharistokratische Namen waren da im Ueberfluß. – König William; König von Sachsen; Königin Adelaide; Gräfin von Nesselrode und die Großherzogin von Rußland. Amerikaner, Franzosen, Deutsche, Italiener, kurz fast alle Nationen haben hier ihre Repräsentanten. Washington Irving hat nicht blos seinen Namen, sondern auch die folgenden Verse niedergeschrieben:

Des mächt’gen Shakespear’s Wiegenstätt ist da!
Die, wo er starb, vergeblich suchst Du sie!
Unnütz die Müh’, unsterblich ist er ja,
Und was unsterblich ist, vergehet nie.

Eine Frau Baroneß Wilson hat ihrer Signatur folgende Worte beigefügt:

Bard des unsterblichen Reim’s
Bard des Gesanges, der nie wird alten,
Dein Lied war für alle Zeit.
Dein lyrisches Feuer wird nie erkalten,
Unlöschbar Licht aus Dir entsprang,
Du Meisterzauberer im Gesang.

Als Curiosum führen wir noch folgende Verse an, welche mit Rothstift geschrieben sich in der einen Ecke des Zimmers befinden:

Auch Schulze war hier mit Müller
Beim Vater von Göthe und Schiller,
Auch Lessing’s Wiege stand hier,
Jean Paul mit ihnen macht vier!
Glücklicher Vater! der solche Söhne gebar,
Glückliche Söhne, denen solch ein Vater war.

Dieses sind nicht die einzigen poetischen Herzensergießungen. In dem Zimmer sind einige schreckliche Erzeugnisse zu Tage gefördert worden; Erzeugnisse, welche noch viel weniger guten Geschmack verrathen, als wir je in dem Stammbuch einer jungen Dame gesehen haben. Es würde in der That eine große Freundlichkeit sein, die Namen, Vornamen, Straßen, Alter, Stand und Beschäftigung der bedauernswerten Wesen durch den Druck zu verewigen, welche alljährlich die geweihte Stätte besuchen, und durch ihre poetischen Ungestalten nicht den Genius Shakspeare’s, wohl aber das Fremdenbuch und den Gemeinsinn auf das allerempfindlichste beleidigen. Zum Schlusse fügen wir noch ein Ereigniß bei, welches uns in der That mit großer Freude erfüllte. Während der Zeit nämlich, daß wir uns in dem Zimmer befanden und damit beschäftigt waren, die Namen der Großen und Guten zu lesen, welche nicht nur zur Befriedigung einer kindischen [238] Neugierde, sondern aus innerer Hochachtung für das Schöne und Wahre diese Stelle betreten hatten, erschien plötzlich ein gewöhnlicher Tagearbeiter mit seiner Ehefrau, und die stille Ehrfurcht, welche sich in ihrem ganzen Wesen so unzweideutig zu erkennen gab, zeigte deutlich die edlen Gefühle, welche ihre Brust erfüllten. Welch’ ein Triumph für den Barden! welch’ ein Ruhm für den ungelehrten Landmann!