Eine Wolfsjagd in den Vogesen

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Autor: J. Weber
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Titel: Eine Wolfsjagd in den Vogesen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 53, S. 885–887
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[885]

Verbissen.
Originalzeichnung von F. Specht.

[886]

Eine Wolfsjagd in den Vogesen.

Von J. Weber. Mit Illustration von F. Specht.

Lange, ehe wir Deutschen im Besitze des jetzigen Reichslandes waren, führte mich eine dienstliche Veranlassung in die Vogesen. Ich war von einem Marquis von W., welcher dort große Forsten besitzt, aufgefordert worden, einen Wirthschaftsplan für dessen Privatwald aufzustellen, und folgte jenem Antrage um so lieber, als mir dadurch nicht nur eine günstige Gelegenheit zu meiner weiteren forstlichen Ausbildung, sondern auch die Gelegenheit zur Wolfsjagd gegeben wurde.

Zufälligerweise sollte mein Wunsch gleich bei meiner Ankunft in Erfüllung gehen. Es war schon dämmerig geworden, als ich an einem Novemberabend durch das hohe, mit dem gräflichen Wappen gezierte Thor in den Schloßhof einfuhr. Im ersten Stocke war eine große Anzahl von Fenstern hell erleuchtet, und das herzliche Lachen einer Anzahl von Herren verrieth mir, daß da oben eine Versammlung von Waidmännern stattfinde, die der Jagdgöttin Diana ein Trankopfer zu bringen im Begriff sei.

Als ich vom Jagdwagen abstieg, kam ein alter Portier an den Wagen, begrüßte mich höflich und eröffnete mir, nachdem er sich über meine Persönlichkeit orientirt, daß ich heute Nacht mit im großen Jagdsaale schlafen müsse, weil gegen dreißig Gäste zur Wolfsjagd eingetroffen seien, von denen einige ihre Frauen mitgebracht hätten, so daß alle Einzelzimmer bereits belegt seien. Für mich war das gleichgültig. Der Portier geleitete mich nach dem „Jagdsaale“ und wies mir ein Bett an; dann ging er, um meinen Koffer zu holen.

Ich befand mich in einem hohen gewölbten Raume, der einen außerordentlich malerischen Anblick bot. Das war ein Jagdlager, anders konnte man es kaum nennen. Die Wände waren über und über geziert mit Geweihen, Sauköpfen, alten Hörnern, Jagdwaffen und alten, ganz dunkel gewordenen Oelgemälden. In dem Saale standen in entsprechenden Abständen dreißig Betten, neben jedem ein Tisch und ein kleiner Sessel, vor welchem eine Wolfshaut lag. Mitten in dem Saale befand sich ein langer Tisch aus Eichenholz, in welchen gar mancher Jäger, der in diesen gastlichen Mauern geweilt, seinen Namen eingeschnitten hatte. Nun denke man sich noch, daß in malerischer Unordnung gegen dreißig Jäger ihre Jagdrequisiten, wo sich eben hierzu Platz fand, untergebracht hatten und man wird mir Recht geben, wenn ich dieses Gemach mit dem Namen „Jagdlager“ bezeichne.

Ich war eben im Begriffe Toilette zu machen, als der Herr des Hauses eintrat und mich begrüßte, man hatte ihm meine Ankunft gemeldet. Wahrlich! Die Gestalt paßte in den Raum, in welchem wir uns befanden. Eine große elegante Figur, breite Schultern, langwallender, schneeweißer Bart, feingeschnittene Gesichtszüge mit geradezu klassischer Nase: das Alles imponirte mir so sehr, daß ich im ersten Augenblicke nicht die rechten Worte für meine Empfindung fand. Der Marquis half mir darüber hinweg.

„Sie werden ermüdet sein, Verehrtester,“ sagte er in gebrochenem Deutsch, „da hilft zunächst mein Mittel, um die Geister wieder aufzufrischen“, und damit führte er mich an der Hand nach einem Eckschranke, der wohl zwanzig verschiedene - nennen wir’s mit dem deutschen Namen - Schnäpse barg, denn „Liköre“ waren’s wahrlich nicht. Er kredenzte mir ein Gläschen seines alten Zwetschenbranntweins, der berühmt ist wegen seines nachhaltigen Feuers, und es wurde mir thatsächlich ganz anders zu Muthe.

Als ich meine Toilette beendigt hatte, führte mich der Marquis in den Speisesaal und stellte mich jedem der dort in behaglichen Fauteuils um eine riesige Punschbowle ausgestreckten Waidmänner vor. Es waren alles Franzosen bis auf einen Holzhändler aus der Pfalz. Zu ihm gesellte ich mich und bald waren wir im eifrigsten Gespräche, das sich natürlich in erster Linie um die Wolfsjagd drehte. Inzwischen verschwand einer der Jagdgäste nach dem anderen und der Pfälzer schien sich auch zurückziehen zu wollen, weßhalb wir denn schließlich von der brillanten Bowle Abschied nahmen und nach dem Schlafsaale gingen. Dort schnarchten bereits Einige, daß es eine wahre Freude war; Andere lasen im Bette noch Briefe; Einige saßen auch noch an dem langen Eichentische und schrieben; der eine von diesen letzteren war kein Anderer, als der mehrere Jahre später so berühmt gewordene Gambetta.

Bald war ich eingeschlafen; im Traume schoß ich Wölfe und Bären. – –

Ein hellklingendes Trompetensignal vom Hofe her weckte uns am anderen Morgen. Schnell sprang Alles aus den Federn und nicht lange dauerte es, da fanden wir uns Alle im großen Eßsalon wieder zusammen. Auf dem Tische stand – ein echtes Jägeressen – eine Schüssel voll dampfender Erbsensuppe mit eingeschnittenen Schweinsohren, welche wir uns Alle vortrefflich munden ließen. Unter den Jägern bemerkte ich zu meinem Erstaunen auch den ziemlich beleibten Abbé des Marquis, der über den kurzen schwarzen Rock ein Bandelier mit anhängendem Hirschfänger geschnallt hatte und in eifrigem Gespräche mit seinem Nachbarn das Essen ganz zu vergessen schien. So sehr hatte ihn die Jagdleidenschaft erfaßt.

Als wir unser Frühstück beendet hatten, ging ein Flüstern durch die Menge; Einer sagte dem Anderen Etwas ins Ohr; jetzt raunte auch mir’s mein Nachbar zu. Ich verstand: „Auf, in die Messe!“

„Wie beliebt?“ fragte ich nochmals.

Als jener meine erstaunte Miene sah, klärte er mich auf: „Der Abbé thut’s nicht anders; ehe wir zur Jagd ausziehen, hält er uns erst eine Jagdmesse.“

Nach der Messe trafen wir uns Alle auf dem Hofe wieder. Die Wagen konnten nicht benützt werden, da wir gleich steil bergauf mußten, was gar manchem Aktenmenschen dicke Schweißtropfen kostete; aber unser Marquis bildete die Spitze und führte uns in einer so ruhigen, aber stäten Gangart den Gebirgspfad hinauf, daß wir nach etwa einstündigem Marsche unser Ziel – ein kleines Plateau - erreicht hatten. Dort erwartete uns der „Louvetier“. Diese Leute waren damals in Lothringen – und sind es in Frankreich heute noch – eigens zur Vertilgung der Wölfe angestellte Beamte, welche vom Staate ihre Besoldung beziehen. Der Louvetier hielt mit dem Marquis eine kurze Rücksprache, während welcher Zeit ich Muße hatte, mir die Hunde [887] anzusehen, welche zu zwei und zwei gekoppelt von den Treibern gehalten wurden. Es waren sehr starke, der Bulldogge ähnliche Hunde, welche ein handbreites, mit scharfen Stahlstacheln besetztes Halsband trugen. Wird der Wolf nämlich von den Hunden attackirt, so greift er dieselben – falls er sich zur Wehr setzt – fast stets am Halse an und würde den Hunden unfehlbar die Pulsadern aufreißen, wenn diese nicht durch die Halsbänder geschützt würden. Ein Hund war anderer Rasse. Er war eine Art Schäferhund und diente dazu, die Wölfe aufzuspüren, während die schweren Doggen als „Packer“ benutzt wurden.

Inzwischen waren die Dispositionen getroffen worden. Das Treiben, welches wir zunächst vornehmen sollten, bestand aus einer steilen Bergwand, welche mit dichtem Weichholz und stellenweise fast undurchdringlichem Dorngestrüpp bewachsen war. Das sollte der Lieblingsaufenthalt jener rothröckigen Raubritter sein.

„Freiwillige vor,“ wandte sich der Marquis zu uns Jüngeren. „Sechs Herren müssen mit in die Bergwand hineinsteigen; es ist allerdings recht beschwerlich, aber dort sind die besten Stände, und man kommt dort am ersten zu Schusse.“

Die sechs Freiwilligen waren bald gefunden, ich war unter ihnen. Der Louvetier ging mit uns. Wir stiegen eine vier Meter breit aufgehauene Jagdschneise den Berg hinab. Freilich manchmal war es mehr ein Rutschen und Schieben über Felsgerölle, und nicht ohne Besorgniß dachte ich an den Rückweg. Dann aber tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß Diana ihrem Jünger wohl hold sein werde, wenn sie seine Mühen um den Preis sähe.

„Hier!“ flüsterte mir der Louvetier zu. „Ein trefflicher Stand, um einen Wolf zu schießen. Passen Sie also auf!“

Grüßend zog er das Käppi und ging mit den Anderen weiter.

Ich schaute mich auf meinem Stande um und machte mich schußfertig. Vor mir lag ein dichtes Dornengebüsch, und es schien mir unmöglich, daß ein Wolf sich durch dasselbe durcharbeiten könnte. Etwa vierzig Schritte unterhalb von mir war allerdings eine kleine Lücke, und die beschloß ich auch vor allen Dingen im Auge zu behalten.

So stand ich lange da; es mochte wohl schon eine Stunde verflossen sein. Nichts hörte ich als das Rauschen eines kleinen Gebirgsbaches. Meine Aufmerksamkeit wollte ab und zu erschlaffen; wenn ich mich über diesem Fehler, in welchen man auf dem Anstande sehr leicht verfällt, ertappte, dann verdoppelte ich meine Vorsicht, um einen vorsichtig anschleichenden Wolf ja nicht zu verpassen.

In weiter Ferne hörte ich jetzt den Schrei eines Treibers, dem gleich darauf das zornige Gebell eines Hundes folgte. Nicht lange darauf fielen auf der oberen Seite des Treibens in schneller Folge vier Schüsse.

Da! Knacks! Dicht vor mir krachte ein Zweig, als ob ein schweres Stück Wild auf denselben getreten wäre. Athemlos lauschte ich; meine Augen wollten das dichte Dornengestrüpp schier durchbohren – Alles umsonst! Ich hörte und sah Nichts. So mochte ich ungefähr fünf bis sechs Minuten verharrt haben – es mag wohl auch weniger gewesen sein, aber in solchen Augenblicken werden Sekunden zu Minuten – als plötzlich der Kopf eines Wolfes aus der kleinen Bestandeslücke vierzig Schritte unter mir herauslugte. Meine rechte Hand legte sich fester um den Hals der Flinte; jeden Augenblick durfte ich darauf gefaßt sein, daß der Wolf auf die Jagdschneise austreten würde, als derselbe – wahrscheinlich witterte er Unrath – Kehrt machte und mit einem gewaltigen Satze wieder in der Dickung verschwinden wollte. Jetzt gab’s kein Zögern mehr, im Moment lag die Flinte am Kopf, und ich kam mit meinem Schusse noch auf den eben verschwindenden Wolf ab. Freilich ziemlich weit hinten. Dann hörte ich noch einige Sätze desselben im Gebüsche und es wurde Alles ruhig. Ich wünschte mir die Treiber herbei, damit ich meinen Stand verlassen und mich auf dem Anschusse überzeugen könnte, ob ich den Wolf überhaupt getroffen habe. Aber die waren noch weit von mir weg, und schon glaubte ich, mich noch einige Zeit getrösten zu müssen, als plötzlich nicht weit von mir im Dickicht der zornige Standlaut eines der Packer an mein Ohr schlug. An den knurrenden und gurgelnden Lauten erkannte ich gar bald, daß der Hund mit dem von mir angeschossenen Wolfe im Kampfe sei, und nun gab’s für mich kein Halten mehr. Die Dornen, welche ich vor Kurzem noch für undurchdringlich gehalten hatte, waren für mich kein Hinderniß. Ich achtete nicht der Wunden, welche mir das Gestrüpp in Hände und Gesicht riß. Vorwärts! Vorwärts! war meine Losung. Nach ungefähr fünfzig Schritten erreichte ich eine kleine Blöße, und dicht daran hörte ich den Kampf toben. Vorsichtig schlich ich zum Rande der Lichtung, schob die Aeste des Unterholzes zur Seite und sah mich jetzt einer Scene gegenüber, die ich nie vergessen werde. Zu schwach sind Worte, um die bis zum Aeußersten getriebene Wuth auszumalen, welche in den Augen der beiden Kämpen lag. Der Hund und der Wolf standen auf den Hinterläufen aufrecht gegen einander wie zwei Männer, die im Zweikampfe mit einander ringen; der Rüde hatte den Wolf am rechten Schulterblatte gefaßt und dieser biß in ohnmächtiger Wuth in das Stachelhalsband seines Gegners. Mit gewaltiger Kraftanstrengung warf jetzt der Hund den Wolf auf den Rücken, im nächsten Momente hatte er ihn an der Kehle gefaßt, und nun dauerte es nur noch wenige Augenblicke, bis mir die konvulsivischen Zuckungen des Raubthieres verkündeten, daß es unter der Erdrosselung der Dogge verendet sei. Ich war gerade zur rechten Zeit gekommen, um der Schlußscene des mörderischen Duells beizuwohnen.

Der Hund hatte sich verbissen, das heißt, während des in blinder Wuth geführten letzten Angriffes hatte er den Krampf in die Kinnladen bekommen und mußte daher abgebrochen werden. Da ich Nichts bei mir hatte, womit ich dies hätte bewerkstelligen können – es gehört hierzu ein Knebel – so rief ich mit dem Horne einen Treiber herbei. Auf das Signal kam bald nicht nur einer der Treiber, sondern auch der Louvetier, welcher sich ebenfalls im Treiben befunden hatte. Die Dogge wurde angeleint, der Hebel in den Fang derselben gesteckt, und mit einem kräftigen Rucke war der Hund von seiner Qual erlöst. Aber er wollte so leicht von seiner Beute nicht ablassen und stürzte sich mit gewaltigem Satze zum zweiten Male auf den todten Wolf, so daß der Treiber, der sich eines solchen Ruckes nicht versehen hatte, der Länge nach hinfiel. Nur die ganze Energie und die kräftige Anwendung der Peitsche des Louvetier vermochte den Hund endlich zu beschwichtigen, der sich aber, so lange er den Wolf noch sehen konnte, in seiner Halsung fast erwürgte, um loszukommen und sich nochmals auf den todten Isegrim zu stürzen.

Inzwischen kamen die Treiber herbei. Es war kein Wolf mehr im Treiben, und das Signal rief zum Sammeln. Der mühsame Aufstieg ging viel leichter von Statten, als ich mir denselben vorgestellt hatte. Durfte ich mir doch an dem heutigen Tage mit stolzer Freude meinen ersten Wolf in das Jagdmanual eintragen.

Als wir oben ankamen, trafen wir die Jäger schon ziemlich vollständig beisammen und neugierig fragten uns alle nach dem Resultat.

„Ein starker Wolf liegt auf der Strecke!“ war meine Meldung und die Jägerei mochte es meinem erhitzten und freudestrahlenden Gesichte ansehen, daß ich der Schütze sei; denn Alle traten auf mich zu und gratulirten mir aufs Herzlichste.

Aber auch die übrigen Jäger waren nicht ohne Beute; eine alte Wölfin und ein junger Wolf lagen am Feuer, und mit Stolz sagte mir der Abbé:

„Hier der kleine fiel durch meine Hand, er ist auch mein erster; darum wird der heutige Tag für uns Beide in angenehmer Erinnerung bleiben.“

Mein Wolf war inzwischen gebracht worden und wurde wegen seiner Stärke allgemein bewundert. Derselbe wog 68 Pfund, und heute noch liegt die Decke desselben unter meinem Schreibtische – freilich sind fast alle Haare von derselben verschwunden.

Das gastliche Schloß in den Vogesen beherbergte mich noch über sieben Monate, und nur mit schwerem Herzen trennte ich mich von ihm und seinen Bewohnern.

Als ich dann wieder ins Schloß kam, war’s öde und leer dort. Statt der Jagdflinte hatte ich das preußische Zündnadelgewehr in der Hand und gehörte einem Detachement der preußischen Jäger an, welches dort zur Rekognoscirung weilte. Wie wir damals zwanzig Mann hoch einen ganzen französischen Fuhrpark von 60 Wagen aufhoben, erzähle ich vielleicht ein andermal. Für heute: Waidmannsheil!