Eine deutsche Colonie in Neuschottland

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Titel: Eine deutsche Colonie in Neuschottland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 809–812
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch in einer von Deutschen, Tschechen und Böhmen bewohnten Bergbausiedlung in Nova Scotia (Kanada)
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Eine deutsche Colonie in Neuschottland.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika macht das deutsche Element nicht blos einen numerisch sehr bedeutenden Bruchtheil der Bevölkerung aus, sondern hat sich auch staatlich allmählich zu einem solchen Einflusse aufgeschwungen, daß es wohl als keine illusorische Hoffnung erscheint, wenn man den Deutschen die Zukunft der großen transatlantischen Republik vindicirt. Schreitet man dagegen über die nördlichen Grenzen der Union nach dem kolossalen Ländercomplex hinüber, welchen die britischen Besitzungen in Nordamerika umfassen, Canada, Neubraunschweig, Neuschottland, Neufundland, die Hudsonsbailänder, so findet man außer in einigen größeren Hafenstädten kaum noch deutsche Landsleute, überall aber sind sie so zerstreut vertheilt, daß sie der anglosächsischen, in Canada auch der französischen Bevölkerung gegenüber ganz und gar in den Hintergrund treten. Stößt man tiefer im Innern des Landes einmal auf einen Sprößling der alten Heimath diesseit oder jenseit des Maines, so ist das vollends ein Ereigniß, welches man nicht freudig genug begrüßen, nicht hoch genug feiern kann.

In Geschäften war ich von Halifax, der ansehnlichen und sich immer vergrößernden Hafenstadt Neuschottlands, nach dem kleinen Orte Windsor, weiter drin im Lande, gefahren. Meinen Hinweg hatte ich Nachts gemacht, zurück fuhr ich jetzt mit einem Tageszuge der Eisenbahn. Da bemerkte ich mitten im Herzen der traurigen steinigen Wildniß, etwa halbwegs zwischen den beiden genannten Plätzen, eine beträchtliche Anzahl hölzerner Blockhäuser, die offenbar noch nicht lange errichtet waren. Ich frug meinen Reisegefährten im Coupé, einen doppelt und dreifach destillirten Yankee, wie sich der selige Sealsfield ausdrücken würde, was das für eine Niederlassung sei.

„Weiß nicht,“ gab mir der Amerikaner zur Antwort, nachdem er seine Portion Kautabak von einem Kinnbacken zum andern geschoben hatte; „aber das Land sieht jämmerlich und gottverlassen genug aus.“

Der Schaffner konnte mir die gewünschte Auskunft ertheilen. „’s ist German-Town (Deutschstadt),“ sagte er, „und drinnen wohnen fast lauter Deutsche; sie stehen im Dienste einer großen deutschen Bergwerksgesellschaft, die hier auf Gold baut.“

Weiteres wußte auch er nicht, allein man kann sich denken, welches Interesse mir die Kunde einflößte. Als ich am andern Morgen in Halifax die daselbst erscheinende Zeitung, das „Morning Chronicle“, in die Hand nahm, beiläufig ein ganz gut geleitetes und reichhaltiges Blatt, fiel merkwürdiger Weise mein erster Blick auf eine kurze Notiz, die dem Publicum mittheilte, daß ein achthundert Unzen wiegender Goldblock, eine Monatsausbeute aus den Minen der deutschen Gesellschaft, augenblicklich auf dem Bergamte (Government Office of Mines) im Parlamentshause zu allgemeiner Ansicht ausgestellt sei.

Hatte ich schon gestern den Entschluß gefaßt, unsern Landsleuten in German-Town einen Besuch zu machen, so bestärkte mich diese Mittheilung noch mehr in meiner Absicht. Zunächst begab ich mich nach dem Parlamentshause, um mir den riesigen Block zu beschauen und zugleich Näheres über die Colonie zu erfahren, von deren Existenz ich bis jetzt keine Ahnung gehabt hatte. Da hörte ich denn, daß der Bezirk, in welchem diese ergiebigen Goldbergwerke liegen, eigentlich und officiell Waverley, auch wohl Gold-Waverley, im Munde des Volkes aber neuerdings allgemein German-Town heiße, weil er zum großen Theile von Deutschen bewohnt sei. Der Berginspector, der mich als Deutschen erkannte und sah, welche Theilnahme ich seinen Aufschlüssen schenkte, erbot sich liebenswürdig, mich andern Tages selbst nach den Minen zu begleiten, und mir alle ihre Merkwürdigkeiten zu zeigen, – ein Vorschlag, den ich selbstverständlich dankbarst annahm.

Der Morgen unserer Fahrt war entzückend, weder heiß noch kalt, so daß ich im Stillen bedauerte, die Tour nicht zu Fuß machen zu können. Gleich bei Halifax ging es auf einem Fährboote nach der andern Seite der Bucht hinüber, nach dem kleinen Orte Darmouth, wo wir die Fähre wieder verließen, um nun auf einer vortrefflich gehaltenen Chaussee dahin zu rollen. Kurz hinter einander kamen wir an verschiedenen Lagern der Micmac-Indianer vorüber, aus denen uns wohl eine halbe englische Meile weit die jüngeren Sprößlinge männlichen und weiblichen Geschlechts kreischend nachliefen und um „Pennies“ bettelten. Warfen wir ihnen aus unserm Wagen ein paar kleine Münzen hinaus, so entstand darum allemal ein Gerauf und Gebalge, wie ich’s blos noch unter den Straßenbettlern in den beglückten Staaten des Heiligen Vaters gesehen habe, mit dem Unterschiede nur, daß die bettelnden Indianerkinder bei Weitem nicht so schmutzig und verkommen aussahen, wie die kleinen Unterthanen Pio Nono’s.

Die Luft hatte etwas eigenthümlich Erquickliches, und über uns wölbte sich ein kristallklarer blauer Himmel. Nur in Amerika und vielleicht an den afrikanischen Küsten des Mittelmeeres kann man solch tiefes, durchsichtiges Blau wahrnehmen. In Deutschland hat man von dieser Reinheit und Transparenz der Luft wirklich keine Vorstellung. Auf der einen Seite unserer Straße dehnte sich endlos der Urwald aus, – Schierlingstannen, Sprossenfichten und Lärchenbäume, mit Ahorn und Buche untermischt, – und die Rauchsäulen, welche sich da und dort über den Baumwipfeln kräuselten, gaben Kunde von einem in das Dickicht gebetteten Indianerwigwam. Zur andern Hand hatten wir nach einander drei stille, anmuthsvolle Seen, nicht, gleich dem Ontario-, dem Erie- und Michigansee, zu groß für Ueberblick und Bewunderung, sondern wahre kleine Bijoux, in deren ruhigen, kaum von einem Hauche bewegten Gewässern das schöne Uferbild mit seinen Hügeln und Wäldern sich noch einmal vor unserm entzückten Auge entfaltete. Und im Herbste muß man diese Wälder sehen! Was ist all’ das Gelb und Roth und Braun unserer deutschen Herbstbelaubung im Vergleich mit dem Farbenglanze und dem Farbenreichthum, wie ihn das scheidende Jahr hier in diesen Breiten über die Wäldbäume ausgießt! Die vorherrschenden Tinten sind Hellcarmin, Scharlach und Goldgelb, aber auch alle Schattirungen von Grün, vom zartesten Hauche der ersten Frühlingsblätter bis zur tiefen Nuance der Cypresse und des Eibenbaumes, sind vertreten, ebenso die dunklen Ocker- und Umbrafarben, bis schließlich der ganze Wald glüht und leuchtet wie ein Blumengarten im Juni.

So wie wir uns dem Ende des dritten Sees näherten, veränderte sich mit einem Male der Charakter der Landschaft; Alles ward kahler und wilder. Nackte Felsen erheben sich zu einer Höhe von siebenhundert bis tausend Fuß über dem Wasserspiegel, an dessen Rändern nur eine sehr kümmerliche Vegetation noch gedeiht. Bald kommt die Stadt Waverley oder German-Town in Sicht, und jeder Bergrücken und jede Felsenkuppe ist von einer hölzernen Baracke gekrönt, entweder der Wohnung eines [810] Bergmanns oder dem Eingange eines Schachts. Hölzerne, unangestrichene, roh gezimmerte Häuser bedecken weit und breit die Landschaft, ein Beweis, daß der Ort erst gestern entstanden ist und aller Wahrscheinlichkeit nach auch blos ein temporäres Leben haben wird – so lange die Berge noch ihre goldene Ausbeute gewähren.

Läge German-Town mit seinen fast zweitausend Bewohnern im Gebiete der Vereinigten Staaten und nicht in einer britischen Colonie, so besäße es sonder Zweifel schon seine zwei bis drei Zeitungen – wie und wovon diese existiren, ist in Nordamerika oft genug ein Räthsel –; ebenso viele Wochenschriften, von denen jede immer den Widerpart der andern bildet, in politischen, religiösen, literarischen und allen sonstigen Beziehungen; desgleichen ein Monstrehôtel, in welchem die gesammte Bevölkerung beherbergt und gespeist werden könnte; ein Dutzend Kirchen und Capellen; eine Synagoge; ein großes Schulhaus; wenigstens zwei sich befehdende Banken und vor allen Dingen eine stattlich uniformirte Feuerwehr. Da es indeß sich zu dieser amerikanischen Civilisation noch nicht aufgeschwungen hat, so müssen drei kleine, doch behagliche Wirthshäuser an der Straße die Stelle des Monstrehôtels vertreten und eine einzige Kirche und eine kleine Capelle dem Andachtsbedürfniß der gesammten Gemeinde genügen. Die Bank befindet sich in Halifax, und Zeitungen sind, wie ich mich überzeugte, nicht vorhanden; meine deutschen Landsleute schienen mir im Allgemeinen auch nicht am Lesefieber zu leiden.

Als wir vor einem der erwähnten Wirthshäuser vorfuhren, um zunächst unsere leibliche Wohlfahrt zu bedenken, sah ich vor der Thür eine Gruppe von sechs Jägern stehen, die mit einer erklecklichen Beute an Rebhühnern eben von einem Waidgange heimzukehren schienen.

„Das sind Alles Bergleute und Alles Deutsche,“ sagte mein Begleiter, während wir aus unserm leichten Korbvehikel sprangen.

Wie man sich denken kann, faßte ich die Männer mit dem lebhaftesten Interesse in’s Auge, aber weder Gesichtsbildung noch Sprache waren deutsch. Es waren Czechen, welche hier natürlich für Deutsche gelten und sich auch als solche fühlen und landsmannschaftlich mit den Anderen zusammenhalten. Der Deutschenhaß, der ihre Brüder in der alten Heimath geradezu bis zum Blöd- und Wahnsinn erfüllt, scheint sich glücklicher Weise nicht bis in das ferne Neuschottland verpflanzt zu haben. Ich mischte mich unter die Männer und ward von ihnen mit sichtbarer Freude als Landsmann begrüßt.

Nach genossenem Imbiß brachen wir zu den Minen auf. Zunächst erreichten wir ein etwas stattlicheres Haus, als die rings verstreut liegenden Gebäude. Vor acht Jahren war es das einzige, welches in der Wildniß stand; es hat der Stadt den Namen gegeben.

„Ein gewisser Allan,“ erzählte mir mein Gefährte, „ein Böttcher aus Schottland und ein eifriger Bewunderer seines großen Landsmannes Sir Walter Scott, hatte sich hier niedergelassen und sein Haus nach dem berühmtesten Romane des Dichters ‚Waverley-Cottage‘ getauft. Daß Gold unter den Felsen seines neuen Wohnsitzes lag, und zwar in ungewöhnlicher Mächtigkeit, davon hatte der gute Küfermeister keine Ahnung. Auch ist das erste Gold in Neuschottland nicht hier gefunden worden. Erst nachdem man im Jahre 1861 bei dem Orte Tangier in der Grafschaft Halifax auf Gold gestoßen war und beim Graben von Abzugscanälen in der letztern Stadt selbst unverkennbare Spuren einer Ader von goldhaltigem Quarze entdeckt hatte, begann man, wie die ganze Gegend, so auch die Felsen um Allan’s Einsiedelei nach dem kostbaren Metalle zu durchwühlen, und es zeigte sich, daß, wenige Schritte von Waverley-Cottage beginnend, das Gestein auf mehrere Meilen in der Runde in der That außerordentliche Quantitäten von Gold enthielt, noch dazu fast unmittelbar unter der Oberfläche. Ehe noch ein Jahr vergangen war, hatte sich um das Haus des Schotten eine völlige Stadt angesiedelt und dieser selbst seine Faß- und Eimerfabrikation mit einer lohnenderen Beschäftigung vertauscht.“

Der Weg nach den Bergwerken war höchst beschwerlich und ging zuletzt eine beinahe senkrechte Schutt- und Schlackenhalde hinauf, wo man immer wieder einen Schritt abwärts rutschte, nachdem man zwei in die Höhe gethan hatte. Oben auf dem Gipfel des steilen Hügels stand der Schuppen – anders kann ich das Bauwerk nicht nennen – in welchem die Verwaltung der deutschen Werke ihre verschiedenen Kanzeleien aufgeschlagen hatte. Der oberste Vorstand derselben war von unserem Kommen unterrichtet und empfing uns schon an der Thür der Baracke. Er war auch ein Deutscher, ein Westphale, aus der Nähe von Dortmund, ein echter fester Sohn der rothen Erde und ein sehr liebenswürdiger Mann, welchem die Freude über den Besuch des deutschen Landsmannes aus den biederen, treuherzigen Augen lachte. Er war in Freiberg gebildet, dann Jahre lang im Ural auf den Hüttenwerken eines russischen Fürsten, hierauf nacheinander in mehreren Minen der Cordilleren gewesen und jetzt von der deutschen Bergwerksgesellschaft in Waverley – die jedoch ihren Sitz in Boston hat – als Director der hiesigen Werke angestellt worden. Deutschland hatte er seit einem Vierteljahrhundert nicht wieder gesehen.

„Das ist schön, das ist schön,“ begann er, „daß Sie mich Einsamen besuchen. Sie sehen mich fragend an, aber das soll wohl sein, ich bin doch recht einsam hier, trotz der mehr als tausend Deutschen, welche in German-Town, zum größeren Theil als unsere Arbeiter, leben. Die Leute sind ganz gut und fleißig, rechte Deutsche sind’s indessen nicht mehr. Mit Mühe habe ich eine kleine Liedertafel zusammengebracht, meine einzige Erholung hier in dieser Wüstenei; vielleicht kann ich Ihnen heut’ Nachmittag eine Probe von ihren Leistungen zum Anhören geben, wenn meine Sänger Schicht gemacht haben.“

„Sie haben viele Böhmen hier, wie ich schon vernommen habe?“ frug ich.

„Böhmen, Czechen und Deutschböhmen, fast zweihundert, aber auch Ungarn, das heißt Magyaren. Die passiren hier ebenfalls als Deutsche.“

„Aus welchen deutschen Vaterländern hat sich denn Ihre Colonie hauptsächlich recrutirt?“ forschte ich weiter.

„So ziemlich aus allen,“ antwortete der Director. „Hessen und Schwaben haben mir jedoch das stärkste Contingent zu meinen Arbeitern geliefert, und sehr viele meiner Leute sind gar nicht in Deutschland, sondern als Söhne eingewanderter Deutscher schon in Amerika geboren. Frauen haben wir nur wenige unter uns, und diese wenigen sind Amerikanerinnen, welche kein Wort Deutsch verstehen. Auf solche Weise geht das deutsche Element hier unter uns, so weit ich überhaupt von einem solchen reden kann, immer mehr und mehr zu Grunde. Die Kinder sprechen fast nur Englisch, und auch Vielen von den Arbeitern ist nachgerade die fremde Zunge geläufiger geworden als die Muttersprache. Ueberdies, wie Sie sehen, hat hier Alles blos einen gewissermaßen provisorischen Anstrich; giebt uns das Gold einmal keine lohnende Ausbeute mehr, so stäubt die ganze Colonie auseinander.“

„Sind die Mehrzahl Ihrer Arbeiter Bergleute von Profession?“ frug ich von Neuem.

„Gott bewahre,“ erwiderte er, „nur ein verschwindend kleiner Bruchtheil; einige von den Böhmen, ein paar Männer aus dem sächsischen Stück des Erzgebirges und ein halb Dutzend meiner speciellen westphälischen Landsleute. Die meisten sind Burschen, die, wie das hier in Amerika so häufig, sich schon in allen möglichen Berufsarten und Beschäftigungen versucht, die sich vorher in Australien, Mexico, Peru herumgetrieben, damals, als das große Goldfieber die Völkerwanderung nach Californien in’s Werk richtete, sich dieser angeschlossen haben und, trotz so manchem guten Goldfunde, als blutarme Teufel zu uns gekommen sind. Im Ganzen ist’s eine arg verwilderte Schaar, der das wüste californische Treiben Zeitlebens anhängen wird. Aber kommen Sie und sehen Sie sich einmal Leute und Arbeit etwas näher an.“

Einen Bergbau in unserem Sinne des Wortes konnte man die letztere allerdings kaum nennen. Wie schon bemerkt, streicht das Gold nur wenige Fuß unter Tage, so daß von tiefen Schachten hier nirgends die Rede ist und die Leute beinahe im Lichte der Sonne arbeiten. Wir blieben bei verschiedenen Gruppen von Männern stehen, Viele hatten im Aeußern ein entschieden deutsches Gepräge, Einer und der Andere, welchen ich ansprach, äußerte wohl auch seine Freude über das Kommen des Landsmannes – und man sah’s ihnen an, daß sie es aufrichtig damit meinten – Viele aber starrten mich blos dumpf und stumpf an, wie der ungebildete Mensch jede neue oder unvermuthete Erscheinung, Person oder Sache, anzuglotzen pflegt. Von einer gemüthlichen [811] Erregung war bei ihnen nichts zu verspüren. Alle technischen Bezeichnungen der einzelnen Arbeiten und der dazu verwandten Werkzeuge, jedes Commandowort, jeder Anruf waren englisch, nur das schöne, herzige „Glückauf!“ der deutschen Bergleute schien man nicht über Bord werfen zu wollen. Wenigstens wurden wir zu wiederholten Malen damit begrüßt.

Ich frug einen gutmüthig aussehenden alten Mann mit einem stattlichen grauen Bart – es war der Heizer einer der Dampfmaschinen, welche die Pochwerke in Bewegung setzen – ob er nicht Lust habe, nach Deutschland heimzukehren. Er sah mich einen Augenblick verlegen lächelnd an.

„Was soll ich dort?“ entgegnete er dann. „Hier habe ich einen guten Lohn, drübe weiß i net, was i anfange soll, und kenne thu’ ich auch Niemande mehr da drübe.“

Der Alte war ein Pfälzer, wie mir mein Begleiter sagte, und schon als ganz junger Mensch nach Amerika ausgewandert. Wehmüthig wandte ich mich zum Gehen. Da tauchte aus einem Winkel des dunklen Kesselhauses eine zweite Gestalt auf, die ich beim Eintreten nicht bemerkt hatte, und ging auf mich zu. Es war auch schon fast ein Greis mit einem von den Stürmen des Lebens arg mitgenommenen Gesicht.

„Ich möcht’ schon wieder ’nüber,“ sprach er, während ein trübes Lächeln seinen breiten Mund umspielte; „’s ist halt dort doch schöner wie hier. Wenn ich nur wieder ’nüber könnt’. Freilich, Angehörige hab’ ich auch nit mehr drüben, meine Freundschaft ist alle todt.“

Er strich sich über das Auge, das ihm – wer weiß, seit wie langer Zeit zum ersten Male wieder! – feucht geworden sein mochte, und kroch in seinen finstern Winkel hinter dem Kessel zurück.

„Er stammt aus einem Dorf in Böhmen, am Fuße des Erzgebirges, ich glaube aus Bisanken bei Mariaschein, und diesen Deutschböhmen spukt die alte Heimath noch am meisten im Kopf. Es sind die besten Deutschen, die ich habe,“ erläuterte der Director.

Gegen eine Staatsabgabe von drei Procent vom Ertrage kann sich hier Jedermann ein sogenanntes „Mining area“ (ein Bergwerksareal) kaufen, und anfangs waren es, wie in Californien und Australien, meist Einzelne oder doch nur kleine Gesellschaften, welche mit geringen Mitteln nach Gold zu graben begannen. Jeder besaß meist nur ein ganz unbedeutendes Areal, das er bearbeitete. Wenn aber die Ausbeute nicht alsbald so reichlich ausfiel, wie man erwartete, so warf man ärgerlich und ungeduldig die Flinte meist vorschnell in’s Korn, und so geschah es, daß wirklich reiche Adern als unergiebig wieder verlassen wurden, welche bei nur einiger Ausdauer und angemessenen Mitteln die glänzendsten Erträgnisse gegeben hätten. Dergestalt sind nach und nach alle einzelnen Digger (Goldgräber) und eben so sämmtliche kleinere Gesellschaften aus dem Waverleybezirk wie aus allen übrigen Golddistricten Neuschottlands verschwunden, jedenfalls nur zum Vortheile des weiteren Goldbaus, der, wie mir mein Gewährsmann versicherte, sich erst noch in der Kindheit befindet und noch einer großen Ausdehnung fähig ist.

„Den Raubbau, wie er in Californien und Australien betrieben wird, sind wir somit glücklich los geworden,“ fuhr der Director fort, „denn Glücksfälle wie dort, wo im Laufe eines einzigen Morgens manchmal ein Goldklumpen gefunden wird, groß und schwer genug, um die Arbeit eines ganzen Jahres bezahlt zu machen, kommen bei uns nicht vor. In Neuschottland ist der gesammte Bergbau jetzt ausschließlich in den Händen größerer Compagnien, welche mit reichen pecuniären Mitteln, planmäßig und nach den besten Verfahrungsmethoden arbeiten, welche die neuere Wissenschaft in Anwendung gebracht hat. Unsere deutsche Gesellschaft oder, wie sie officiell heißt, die ‚German Company at Waverley‘ ist die größte dieser Bergwerkscompagnieen in Neuschottland. Wir haben weit über tausend Arbeiter, die im Durchschnitt täglich einen Dollar Lohn bekommen, etwa so viel, wie in Deutschland nur ausnahmsweise besonders geschickte Bergleute verdienen. Bei uns, wie Sie gesehen haben, braucht der Arbeiter keine große fachmännische Schulung; er hat mehr Taglöhnerdienst zu verrichten. Die Hauptsache thun ja unsere theils durch Wasser, theils durch Dampf getriebenen Maschinen. Sie zermalmen den Quarz und waschen das Gold heraus.“

Aus einem gedruckten Rechenschaftsbericht der Compagnie, der jedoch nur die Vorjahre umfaßte, ersah ich, welche hohen Ziffern die Ausbeute der Werke schon damals erreicht hatte, eine Ausbeute, welche inzwischen sehr wesentlich gestiegen und noch lange nicht auf ihrem Culminationspunkte angekommen ist. In einem einzigen Monat, im Juli 1866, hatte die Gesellschaft eintausenddreihundertachtundsechszig Unzen Gold zu Tage gefördert. Die Unze zu vier Pfund Sterling gerechnet, ergiebt diese Ausbeute die erkleckliche Summe von fünftausendvierhundertzweiundsiebenzig Pfund Sterling oder etwa achtunddreißigtausendzweihundertundneunzig Thaler. Die Betriebskosten hatten ungefähr neuntausend Thaler betragen; mithin war der Reingewinn über neunundzwanzigtausend Thaler gewesen! Und doch war das Maximum, was eine Tonne Quarz an Gold ergab, nur eine Kleinigkeit mehr als zwei Unzen. Welche Massen von Gestein mußten folglich bearbeitet, zerstampft und gewaschen werden, um jenen Erfolg zu liefern! Von der gesammten Goldausbeute, welche Neuschottland außer im Waverleydistricte noch in sieben anderen Bezirken gewinnt, kommt auf die deutsche Bergwerkscompagnie über ein Viertel. Nach Europa gelangt das neuschottische Gold ausschließlich mit den regelmäßig nach Liverpool fahrenden Dampfschiffen der Firma Cunard in Boston, die alle vierzehn Tage in Halifax anlaufen, und dasselbe geht auf dem englischen Markte meist unter dem Namen „Bostoner Gold“, was unsere freundlichen Führer einigermaßen zu verdrießen schien.

Der Abend dämmerte bereits, als wir unsere Besichtigungen beendet hatten.

„Jetzt führe ich Sie in meine eigene Wohnung, meine Herren,“ sagte der Director, „dort das Haus gleich neben den Kanzleien.“

Die Behausung des Directors unterschied sich äußerlich wenig oder nicht von den anderen hölzernen Baracken umher; innen aber war sie nicht blos behaglich und bequem, sondern selbst in englischer Weise elegant und mit mancherlei Erinnerungen an die alte deutsche Heimath erfüllt.

„Sie müssen fürlieb nehmen, wie Sie es bei einem Junggesellen hier in der weltentlegenen Wüste eben finden,“ entschuldigte er sich, indem er uns einlud, uns mit ihm an den schmucken gedeckten Mittagstisch zu setzen, an welchem außerdem noch drei seiner Beamten, sämmtlich Engländer, Theil nahmen. „Auf meinen vielen Kreuz- und Querzügen dies- und jenseits des Oceans habe ich nicht die Zeit und die Ruhe gehabt, mir ein Weib zu nehmen.“

Das Mahl ließ aber nichts zu wünschen übrig. Ganz vortrefflich namentlich waren die Birkhühner, die, kleiner als unsere europäischen, viel zarter von Geschmack sind, als diese, und der feurige Rüdesheimer, der in echten grünen rheinischen Gläsern funkelte, erwies sich als Primagewächs.

„Den lass’ ich niemals ausgehen,“ nahm unser liebenswürdiger Wirth wiederum das Wort. „Er hat mir schon über manche schwere und einsame Stunde hinweggeholfen, wenn mir’s im Herzen gar zu sehr nach meinem guten wackern Westphalen pochte. Das soll wohl sein! Und auf diese Heimath, auf unser ganzes, großes schönes Deutschland – ja, Ihr Herren Engländer, es ist doch das allerschönste Land auf der ganzen weiten Erde! – lassen Sie uns die Gläser zusammenklingen. Kommen Sie, Herr Landsmann. Auf das ganze, ungetrennte einige Vaterland!“

Herzhaft stießen wir die Römer aneinander – nur Eines that mir wehe, daß, den übrigen Gästen zu lieb, der deutsche Toast und unsere Tischunterhaltung überhaupt in englischer Zunge gesprochen werden mußten. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür des Nebenzimmers, und ein Dutzend klangvoller und wohlgeschulter Männerstimmen fiel mit einem jubelnden Tusche ein.

„Da haben Sie meine Liedertafel,“ sagte der Director lächelnd, „und der junge Mann dort, der einzige, den ich mir direct aus Deutschland verschrieben habe, ist mein Liedermeister und zugleich mein specieller Amanuensis.“

Der junge Mann hatte ein sehr hübsches intelligentes Gesicht, er war ein Rheinländer, aus der Aachener Gegend, wenn ich nicht irre, und hielt seine Sänger in vortrefflicher Zucht. Aber sie machten die wunderlichste deutsche Liedertafel aus, die ich je im Leben gehört und gesehen habe: drei Viertel der verwetterten Kerle waren nämlich Czechen. Das hinderte indessen nicht, daß sie unsere prächtigen deutschen Lieder von Mendelssohn, von Zöllner, von Otto, von Schubert, von Methfessel gar wacker vortrugen, so daß es mir recht bang und heimwehmüthig um’s Herz wurde. Das deutsche Lied hier im fernen, öden Neuschottland, Tausende von Meilen von der deutschen Heimath – es hatte etwas unsäglich [812] Ergreifendes! Der Director hatte sich still in seinen Stuhl zurückgesetzt und schien den feuchten Nebel nicht wegwischen zu können, welcher sich ihm plötzlich vor die Augen gelegt hatte.

„Darin, in dem Liede und dem Gesange, da thut’s Euch Deutschen doch Niemand nach,“ sagte mein Reisegefährte, indem er dem Director zum Abschiede warm die Hand drückte.

Ich hatte versprochen, noch einmal und zu längerem Besuche nach German-Town zu kommen, meine plötzliche Abreise aus Halifax und Neuschottland verhinderten aber die Ausführung meines Vorsatzes. Vielleicht kommen dem Director und einem oder dem anderen seiner Bergleute diese Zeilen zu Gesicht. Mögen sie ihnen ein willkommener Gruß sein aus der alten Heimath!