Zum Inhalt springen

Eine grausige That

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<<
Autor: v. H.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine grausige That
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 526
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[526] Eine grausige That. – Vor einigen Tagen ging in New-York ein elegant gekleideter Herr, ein hübsch angezogenes Kind im Arme tragend, nach dem bekannten French-Hotel. Das Kind, welches anscheinend krank war, wurde von ihm in ziemlich roher Weise auf die Treppe gesetzt und mit folgenden hartherzigen Ausdrücken ausgescholten:

„Geh’ die Treppe selbst hinauf. Ich trage Dich wenigstens nicht,“ worauf das Kind mit zarter, flehender Stimme zu bitten anfing:

„O, lieber Papa, thu’ es doch! Du weißt ja, daß, seitdem ich vom Wagen überfahren worden bin und meine Füße verloren habe, ich nicht mehr gehen kann.“

Bei diesen Worten sammelten sich viele Herren um die Gruppe und ein Murmeln des Mißfallens ging durch die Menge. Doch der hartherzige Vater schien nicht darauf zu achten:

„Unsinn!“ schrie er. „Gehst Du nicht sofort die Treppe hinauf, so schlage ich Dich braun und blau.“ Und gleichsam diesen Ausspruch bestätigend, schlug er das unglückliche Kind so stark auf den Kopf, daß es umfiel. Dies Benehmen reizte die Menge auf’s Aeußerste.

„Ist das Ihr Kind?“ fragte ein Herr.

„Was geht Sie das an?“ war die schnelle Antwort.

„Er ist mein Vater, er ist mein Vater,“ schrie nun das Kind; „er hat meine Mutter getödtet und wird auch mich noch tödten.“

Der Vater ballte in voller Wuth seine Faust und wollte dem armen Kinde wieder einen Schlag versetzen; doch wurde er glücklicher Weise von einem starken Herrn daran gehindert.

„Wenn Sie nicht sofort Ihr brutales und verdammungswürdiges Benehmen aufgeben,“ sagte er, „so werde ich Sie durch einen Polizeibeamten verhaften lassen.“

Durch diese Worte noch wüthender gemacht, riß sich der Vater mit gewaltiger Kraftanstrengung los und suchte nach einer Waffe.

„Er nimmt sein Messer; nimm Dich in Acht!“ schrie das Kind; „er sticht Euch.“

Bei diesen Worten stob die Menge auseinander; nur zwei Muthige behaupteten den Platz.

„Holt einen Polizeibeamten, verhaftet ihn!“ riefen sie.

„Wenn ich verhaftet werden soll, brüllte darauf der Vater, „so will ich doch wissen, weshalb.“

Und ehe auch nur einer der Herren es verhindern konnte, vergrub er mit voller Kraft das Messer in des Kindes Körper.

Ein unarticulirter Ruf „Ich bin ermordet, er hat mich ermordet“ war das letzte Lebenszeichen des unglücklichen Wesens.

Alle stürzten sich auf den Vater. Doch dieser nahm ganz gelassen sein Kind auf den Arm, und seinen Hut abziehend, sagte er: „Meine Herren, dies ist ein hölzernes Kind; ich bin Bauchredner, und sollten Sie mir eine kleine Gabe verabreichen, so würden Sie mich dadurch sehr erfreuen.“ Lächelnd und mit reicher Ernte zog er sich zurück.

„Das war ein ausgezeichneter Spaß,“ meinten die Umstehenden. „Etwas mager!“ erklärte ein Weiser. „Die Welt will betrogen werden.“
v. H.