Eines deutschen Mannes Bild/3. Unter den badischen Liberalen – Wieder in der Fremde – Minister

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Autor: M. B.
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Titel: Unter den badischen Liberalen. – Wieder in der Fremde. – Minister
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 262–265
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eines deutschen Mannes Bild.

3. Unter den badischen Liberalen. – Wieder in der Fremde. – Minister.

Als der Schulmeister von Grenchen, der am 3. Februar 1868 als erster Minister Badens starb, an jenem düstern Decembermorgen des Jahres 1840, dem Rufe der Freunde folgend, in die Heimath zurückkehrte, bedurfte diese seiner in der That. Winter, der liberale Minister, war gestorben, Nebenius, ebenfalls freisinnig, aber in bureaukratischer Form, zurückgetreten, v. Blittersdorff stand an der Spitze der Geschäfte, und dieser Name sagt Alles. Er bedeutete für Baden die Herrschaft der Schule Metternich’s, die [263] rücksichtsloseste, gewaltthätigste Reaction. Schwere Aufgaben, harte Kämpfe standen der freisinnigen Partei bevor, und für diese war Mathy mit seiner Sachkunde und seiner seltenen Arbeitskraft, mit seiner gediegenen Beredsamkeit und vor Allem mit der ihm eigenen Unerschrockenheit, die keine Furcht kannte, in jeder Beziehung der rechte Mann.

Zunächst war Mathy, wie vor seiner Uebersiedelung nach der Schweiz, in der Presse thätig, als Redacteur des neugegründeten Oppositionsblattes, der „Badischen Zeitung“, die aber bald wieder einschlief, darauf als weiter eines Landtagsblattes und zugleich als Mitarbeiter der „Mannheimer Abendzeitung“. Diese letztere erschien bei seinem Freunde Bassermann, an dessen Verlagsgeschäft er seit 1843 Antheil hatte. Später gab Mathy die „Rundschau“ heraus, ein kleines, aber einflußreiches Blatt.

Mittlerweile war 1842 die Kammer aufgelöst worden, und es war selbstverständlich, daß sich bei den Neuwahlen die Blicke der freigesinnten Partei auf Mathy richteten. Fickler, im Seekreise von großem Einfluß, wirkte dort eifrig für ihn, und die Stadt Constanz schickte Mathy als ihren Vertreter nach Karlsruhe. Die Opposition erhielt durch diese Wahl eine sehr wesentliche Verstärkung. „Hier bringe ich Euch einen, wie Ihr ihn noch nicht gehabt habt,“ sagte Itzstein, als er ihn den Parteifreunden vorstellte. Mathy war nicht nur eine Stimme mehr, die Blittersdorfs’s absolutistischen Gelüsten, dann dessen bureaukratischen Nachfolgern gegenüber nie fehlte, wenn es die Sache der Freiheit zu verfechten galt, sondern die Linke gewann in ihm zugleich einen gründlichen Kenner des Staatshaushalts und der Volkswirthschaft, wie sie ihn bis dahin noch nicht besessen hatte. Als Redner trat Mathy anfangs nicht oft auf. Nur bei solchen wichtigen Fragen, in denen er vollständig zu Hause war, ergriff der schweigsame, verschlossene Mann das Wort, dann aber auch immer so, daß es tief traf und weithin wirkte. Man empfand dann unter den Freunden, wie unter den Gegnern, daß es wohlerwogene Gedanken waren, die er vorzutragen hatte. Seine Rede war in der Regel kühl wie Eisen, aber auch einschneidend wie Eisen, von mächtiger Beweiskraft, voll Witz und Ironie, nicht selten voll bittern Spotts; doch mangelte ihm die Gabe, zartere Saiten anzuschlagen, keineswegs. Mit schonungsloser Entschiedenheit geißelte er das empörende Unwesen der Censur, und mit eindringlichstem Ernst verfocht er die gerechten Ansprüche des deutschen Volkes Angesichts der kläglichen Verkümmerung, welcher in dieser Periode das Leben der Nation verfallen war. Mancherlei Talente saßen damals auf den Bänken der badischen Opposition, keines von ihnen aber, auch der brillante Hecker nicht, war dem alten System, wie dessen Anhänger offen und stillschweigend eingestanden, ein so gefährlicher Feind, wie Mathy mit seiner reichen Bildung, seiner vornehmen, sichern Ruhe und Besonnenheit, seiner unerbittlich strengen Logik. Es war kein leichtes Plänkeln von Schützen vor den Mauern ihrer Burg, wenn er sich erhob, sondern schwerstes Geschütz, mit scharfem Blick gerichtet und mit schmetternder Wucht am Ziele einschlagend.

Die badischen Liberalen waren damals der Reaction gegenüber noch durchaus Eins. Nur in nationalen Fragen zerfielen sie in solche, die einen engern, und solche, die einen weiteren Gesichtskreis hatten. Rotteck z. B. war ein Gegner Preußens und des Zollvereins, andere Mitglieder der Partei theilten diese Feindschaft nicht, und als selbstverständlich haben wir es anzusehen, daß Mathy von jener Engherzigkeit von Anfang an nichts wußte, daß er vielmehr in dem preußischen Staate den natürlichen Führer auf dem Wege der Deutschen zur Einigung erblickte.

Zu freiheitlichem Ansprüchen und Forderungen ging die Partei bis über die Mitte der vierziger Jahre einträchtig vor. Dann aber lösten sich allmählich die Radicalen von denen, die es zwar mit den durch die Verfassung gewährleisteten Rechten ernst meinten und den Absolutismus wie die Bureaukratie in allen Formen ihres Auftretens entschieden bekämpften, aber von der Nothwendigkeit einer festen Ordnung in staatlichen Dingen überzeugt waren. Die radicale Presse griff die Liberalen als „Bourgeois“ an, schied zwischen „Ganzen“ und „Halben“ und zeigte fortwährend deutlicher, daß ihr Ziel möglichst die Aufrichtung einer Republik war. Auf radicaler Seite standen von bekannteren Namen Struve, Brentano, Itzstein, zuletzt auch Hecker, auf liberaler Sander, Soiron, Bassermann und Mathy. Noch einmal versuchte man, und, wie es schien, mit Erfolg, den Riß zu heilen. Ende November 1846 fand in Durlach eine Zusammenkunft von hervorragenden Mitgliedern der Opposition statt, in der alle Schattirungen derselben vertreten waren, und das Ergebniß der Besprechung war ein Abkommen, welches wie eine Versöhnung zwischen den „Ganzen“ und den „Halben“ aussah.

Die Revolution von 1848 zeigte, daß das constitutionelle Wesen durch die Mißregierung der Jahre bis 1846 in Baden stark erschüttert war und daß der Gegensatz der Liberalen und Radicalen eine Verständigung zwischen denselben für die Dauer nicht zuließ. Schon bei den Kammerverhandlungen von 1847 und vorzüglich bei der Debatte über die sogenannte Fabrikfrage hatte man gesehen, daß der Bruch zwischen den „Entschiedenen“ und den Gemäßigten unheilbar war. Es handelte sich hier nicht um ein politisches Interesse, sondern lediglich darum, ob der Staat den betreffenden industriellen Unternehmungen durch seine Bürgschaft zu Hülfe kommen sollte. Die Erörterung dieser Frage bot ein anziehendes Bild des Streites, in welchen die bedeutendsten Talente der Kammer miteinander gerathen waren. Am heftigsten trat gegen die Forderung einer Staatsunterstützung für die Fabriken Hecker auf, am ruhigsten und fachgemäßesten kämpfte Mathy für dieselbe.

Als die Kunde von den Februarereignissen nach Baden gelangte, trat der Liberalismus noch einmal eng verbunden mit der radicalen Partei in die Schranken. Am 27. Februar fand in Mannheim eine zahlreich besuchte Bürgerversammlung statt, in welcher Mathy, Bassermann und Soiron sich noch mit Itzstein und Struve auf Einem Boden sahen. In den Forderungen, die man jetzt an die Regierung richten wollte, war man gleicher Meinung, nur über die stärkere oder mildere Weise des Auftretens war man verschiedener Ansicht. Zuletzt vereinigten sich Alle zu der von Struve entworfenen Adresse an die Volksvertretung, welche zunächst Volksbewaffnung, unbedingte Preßfreiheit, Schwurgerichte und sofortige Errichtung eines deutschen Parlamentes verlangte und welche nicht blos in Baden massenhafte Unterstützung fand, sondern der Anstoß zu ähnlichen Kundgebungen in ganz Deutschland wurde.

Aber bald darauf, am 1. März, öffnete die Kluft sich wieder, die zwischen den Gemäßigten und den Männern der äußersten Linken sich gebildet. Hecker und Brentano brachten im Namen von acht Abgeordneten im Landtage jene und andere Forderungen zur Sprache und verlangten unverzügliche Berathung und Bewilligung derselben.

Sie stellten dies Verlangen in ungestümer Weise und wurden dabei von den Galerien durch lärmende Zurufe unterstützt. Die Mehrheit der Versammlung war mit den tiefgreifenden Veränderungen und Neuschöpfungen, die man verlangte, zwar im Wesentlichen einverstanden, aber nicht geneigt, sie ohne Prüfung durch einen Ausschuß gut zu heißen. Mathy vorzüglich erklärte mit gewohnter Kaltblütigkeit und Schärfe, er werde eher auf seinem Posten sterben, als sich durch Einschüchterung von seiner Ueberzeugung abbringen lassen. Der vorgeschlagene Weg laufe auf Ueberrumpelung hinaus, und dazu lasse er sich nicht gebrauchen. Vergebens brauste Hecker in seiner hastigen, feurigen Weise dagegen, umsonst ließ Brentano die Verdächtigung fallen, Mathy wolle die Forderungen „todtschlagen“. Die Majorität der Kammer stimmte wie Mathy und ließ sich durch das Drängen und Drohen der Massen nicht schrecken.

Noch einmal nahm Mathy an einer gemeinsamen Besprechung der beiden Fractionen der freisinnigen Partei Theil. Es war die, welche auf Itzstein’s Zimmer den Plan zu der großen Volksversammlung berieth, die am 19. März zu Offenburg stattfand. Dieser Plan, der auf Bearbeitung der Masse, Gründung von Clubs und Wohlfahrtsausschüssen und überhaupt auf Bahnung des Weges zu einem Umsturz des bisherigen Regiments hinauslief, hatte Struve zum Urheber. Hecker ging bereitwillig darauf ein, Mathy erklärte sich entschieden dagegen, und es war das letzte Mal gewesen, daß er mit den Radicalen in nähere Berührung gekommen war. Er sah sie unpraktische Wege einschlagen, und er war ein praktischer Geist vom Wirbel bis zur Zehe; er sah sie auf das Ausland ihre Hoffnung setzen, und er war ein guter, deutscher Patriot.

In ganz Deutschland hatten die Sturmpetitionen des März ihren Zweck erreicht. Die alte Politik der Höfe gab in der elften Stunde nach, das Volk „blieb vor den Thronen stehen“, der Strom der Aufregung trat in das friedliche Bett der Reform. Es war jedenfalls nicht mehr zeitgemäß, wenn man in dem kleinen Baden jetzt noch an Errichtung einer Republik dachte. Die erste Aufgabe des wahren Patrioten war nunmehr, mit den neuen Errungenschaften eine neue Ordnung der Dinge fest [264] zu begründen, die vorhandenen staatlichen Formen mit dem Wesen der jungen Freiheit zu erfüllen. Von einer Revolution war nichts zu erwarten, als Unheil. Im besten Falle riß sich der südwestliche Winkel Deutschlands dann vom großen Vaterlande los und verband sich als republikanischer Rheinbund mit Frankreich. Aber viel wahrscheinlicher war, daß ein Losbruch in Baden die alten Gewalten zu einem Kampfe aufrief, der mit der Rebellion begann und mit dem Belagerungszustand endigte.

Die Radicalen sahen dies nicht. Ihre Bemühungen zur Aufregung des Volkes waren besonders in Mannheim, wo Struve, und im Seekreise, wo Joseph Fickler wirkte, von Erfolg. Hier, am Bodensee und auf dem Schwarzwald, wohnt ein kräftiger Menschenschlag, derb, freiheitsliebend, ausdauernd in Liebe und Haß bis zum zähen Eigensinn; das Gefühl des Mißbehagens über das alte Regierungssystem hatte hier breite und tiefe Wurzeln geschlagen. Dazu kamen materielle Mißstände. Dazu trat endlich die Nachbarschaft der Schweiz, wo es keinen Beamtendruck und keine Ueberlastung mit Steuern gab. Freisinnige Beamte konnten dagegen nicht viel ausrichten, denn das Volk hatte sich hier gewöhnt, allen Beamten zu mißtrauen, und so hörte es nur auf die Stimme der Radicalen. Einer der geschicktesten und rührigsten unter diesen war Fickler. Hatte er früher mit Eifer gegen Blittersdorff, dann für den Deutschkatholicismus gearbeitet, so war jetzt die Republik sein Ziel. Schon zu Anfang des März hatte er Versammlungen auf Versammlungen gehalten, um sie zu empfehlen, und daneben wirkte er in den „Seeblättern“, einem kleinen, aber durch seine volksthümliche Sprache in den Kreisen der Landleute und Kleinbürger sehr einflußreichen Blatte, mit großem Eifer nach derselben Richtung.

Nach der Niederlage, welche die republikanische Partei im Vorparlamente erlitten, nachdem dieses nicht, wie sie gehofft, zum Convent geworden war, beschloß man, wenigstens in Baden die Republik einzuführen. Hecker und Struve erklärten am 2. April, nachdem sie aus dein Vorparlament ausgetreten, einer Deputation, daß die Zeit zum Handeln gekommen sei. Der Ausbruch der Revolution war auf die letzten Tage des April festgesetzt; dieselbe konnte für eine kurze Zeit gelingen, sie konnte der Regierung wenigstens ernste Verlegenheit bereiten und großes Unheil hervorrufen. Da trat ein Ereigniß ein, welches dem Plane die Spitze abbrach.

Fickler war im Begriff, vom Unterlande, wo er mit den Gesinnungsgenossen die letzten Verabredungen getroffen, nach dem Süden zurückzukehren, als Mathy ihn am Morgen des 8. April auf dem Karlsruher Bahnhof verhaftete. Der Beamte, der dabei behülflich sein sollte, mußte, ängstlich wie er war, zur Mitwirkung förmlich gezwungen werden. Fickler, der schon im Waggon Platz genommen, weigerte sich anfangs, wieder auszusteigen, aber er kannte Mathy, und so ergab er sich nach einigem Zögern in sein Schicksal.

Diese entschlossene That Mathy’s hat damals eine sehr verschiedene Beurtheilung erfahren. Fickler und Mathy nannten sich Du, dieser dankte jenem manchen Freundschaftsdienst, der über der Entfremdung, die 1847 zwischen ihnen eingetreten war, nicht vergessen sein durfte. Nicht blos der Philister, auch mancher Weitersehende erblickte in Mathy’s Einschreiten gegen den alten Freund eine unerhörte Impietät, eine beispiellose Undankbarkeit, und nicht wenig andere alte Freunde wandten sich auf die Kunde von diesem Ereigniß für immer von ihm ab. Sie vergaßen, daß in politischen Dingen das Herz kein Recht hat, darein zu reden, wenn der Kopf etwas als nothwendig erkannt hat. Mathy und Fickler standen sich jetzt als politische Feinde gegenüber, und Mathy handelte, als er seinen Gegner unschädlich machte und damit den ganzen Plan der Radicalen störte, im Gefühl der Pflicht gegen seine Partei und gegen den Staat.

Auch darüber, ob dieses Gefühl ein richtiges gewesen, konnte man damals verschiedener Ansicht sein und sind noch jetzt die Meinungen getheilt. Gewiß ist, daß nicht gewöhnlicher Muth dazu gehörte, ihm Folge zu geben.

Die Verhaftung Fickler’s erregte bei den badischen Radicalen allenthalben Erbitterung und Schrecken, vielleicht nirgends aber mehr Zorn und Ingrimm als in Mathy’s Vaterstadt Mannheim. Er aber kannte keine Furcht, und so erschien er noch am Nachmittag des 8. April mitten unter dieser fanatisch aufgeregten Bevölkerung. Er war kaum eingetroffen in seiner Wohnung, als sich mehrere Wortführer der revolutionären Partei bei ihm einstellten und ungestüm Rechenschaft von ihm verlangten. Zu gleicher Zeit sammelten sich Volkshaufen vor seinen Fenstern, die allerlei drohendes Geschrei ausstießen. Nur dadurch, daß sich auch von dem ihm wohlwollenden Theile der Bürgerwehr einige Abtheilungen einfanden, wurden Gewaltthätigkeiten verhütet. Man kam schließlich dahin überein, daß Mathy sich nach dem Rathhause verfügen und dort den Gemeindebehörden Mittheilungen über die Gründe seines Verfahrens machen solle. Von Freunden begleitet, von der Wuth der Masse umtobt, begab Mathy sich nach dem Rathhause. Dort brachte er eine kurzgefaßte Erklärung zu Papier, in der hieß es :

„Gestern Vormittag in dem Ständehause und gestern Abend bei Herrn Präsidenten Mittermaier überzeugte ich mich, daß urkundliche Beweise vorliegen, welche darthun, daß Herr Fickler im Auslande Verbindungen mit Ausländern und Deutschen gepflogen hat, die einen bewaffneten Einfall in Baden bezweckten. Diese Handlung ist Landesverrath; jeder Bürger, der davon zuverlässige Kenntniß erhält, hat die Pflicht, solchem Verbrechen entgegenzutreten, und diese Pflicht habe ich erfüllt, indem ich Herrn Fickler verhaftete.“

Der Gemeinderath und der Bürgerausschuß ließen diese Erklärung sofort drucken und fügten einen Aufruf hinzu, welcher zu ruhiger, gesetzlicher Haltung ermahnte. Unterdeß hatte sich auf dem Platz vor dem Rathhause eine dichtgedrängte Volksmenge gesammelt, aber auch die Bürgerwehr war fast vollständig erschienen. Indeß zeigte letztere in mehreren Compagnien seine zweifelhafte Gesinnung, und die Masse des Volks gab, auch nachdem Mathy’s Erklärung und der Aufruf der städtischen Behörden mitgetheilt war, sehr deutlich ihre Neigung zu erkennen, an dem „Verräther“, der Fickler verhaftet, ein Beispiel zu statuiren.

„Mathy ’raus!“ schrie es von unten herauf, und sofort erschien der Gerufene auf dein Balcon, um zu der nun stillwerdenden Menge gelassen, aber entschlossen, wie es seine Art war, einige Worte zu sprechen, die mit der Versicherung: „Hätte ich das, was ich heute Morgen gethan, noch einmal vor mir, so würde ich es abermals thun, selbst wenn es mein Leben kosten sollte; denn ich bin überzeugt, dem Vaterlande einen Dienst erwiesen zu haben.“ Als Mathy auf den Balcon hinaustrat, wagte er es unzweifelhaft auf die Gefahr hin, lebend nicht zurückzukommen. Als er gesprochen, brach die Bürgerwehr in ein lautschallendes begeistertes Hoch auf ihn aus, von der Menge aber, die unten gelärmt, wagte keiner auf den eisernen Mann oben den Stein zu werfen, der sich für diesen schon in tausend Händen befand.

In der That, hätte sich das Ministerium Bekk-Rebenius durch Mathy ergänzt, viel Unglück wäre verhütet worden. Wie er die Revolution von 1848 in Baden mit einem bloßen Putsch enden ließ, so wäre vor seiner mannhaften Unerschrockenheit und andererseits vor seiner Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Freiheit für das Leben der Staaten und Völker die Revolution von 1849 überhaupt nicht ausgebrochen. Daß man seinen Werth in damaliger kritischer Zeit zu Karlsruhe nicht erkannte, war einer der verhängnißvollsten Fehler der großherzoglichen Regierung und eine der Hauptursachen ihres kläglichen Zusammenbruchs.

Man brachte es lediglich dazu, ihn zum Staatsrath zu machen, während er an die Spitze der Geschäfte gehörte. Von einem würtembergischen Kreise in den Reichstag gewählt. der in der Frankfurter Paulskirche tagte, dann Unterstaatssecretär im Reichsministerium, widmete er sich den ihm hier obliegenden Arbeiten mit Eifer, aber bald ohne viel Hoffnung auf Erfolg. Nachdem er als Vertreter eines schlesischen Wahlbezirks auch dem Erfurter Parlament beigewohnt, kehrte er, von der in Baden jetzt mächtigen Reaction ohne Weiteres seiner Stelle enthoben, in das Comptoir der Buchhandlung zurück, die er mit Bassermann in Mannheim gegründet hatte und welche dadurch von Interesse ist, daß in ihr der Werth von Auerbach’s Dorfgeschichten zuerst gewürdigt wurde.

1853 zog er nach Köln, wo ihm eine Stelle in dem Schafhausenschen Bankverein angeboten wurde. Im folgenden Jahre trat er, von Hansemann für die Berliner Discontogesellschaft gewonnen, als Director in die Leitung dieses Unternehmens, welches damals sich zu einem Organismus von Bankgeschäften in ganz Deutschland erweitern sollte. Später nahm er, dem Hansemann’s übergroße Rührigkeit nicht behagte, den ihm angetragenen Posten des Directors der Bank an, die er in Gotha gegründet hatte. [265] 1859 rief ihn die deutsche Creditanstalt in Leipzig in ihr Directorium. In allen diesen Stellungen bewährte sich seine tüchtige Art. Er war ein Kenner der Geschäfte wie Wenige, ein rastloser Arbeiter, ein Disponent vorn weitesten Gesichtskreis. Die Anstalten gediehen unter ihm zusehends, seine Untergebenen blickten zu ihm mit Achtung und Liebe aus. Dasselbe wiederholte sich, als ihn 1862 das Ministerium Roggenbach zur Mitarbeit an der Umgestaltung der Verhältnisse in Baden nach liberalen Grundsätzen einlud. Erst als Director der Hofdomänenkammer, dann als Vorstand des Handelsministeriums that er außerordentlich viel für die Hebung des Landes, welches seiner Umsicht und Thätigkeit namentlich ein Eisenbahn- und Telegraphennetz verdankt, wie es kein anderer deutscher Staat besitzt. Die Sorge für die angefangenen neuen Maschen dieses Netzes vorzüglich war es auch, was ihn, den entschieden national gesinnten Politiker, 1866 abhielt, sofort dem Beispiel Roggenbach’s zu folgen, als dieser vor dem Siege der österreichischen Partei in Baden sein Ministerportefeuille in die Hände des Großherzogs zurückgab. Erst einige Wochen später legte auch Mathy sein Amt nieder.

Der Tag von Königgrätz brachte in Karlsruhe die Rückkehr zu den früheren Grundsätzen und Bestrebungen. Mathy wurde vom Großherzog mit der Bildung eines neuen Cabinets beauftragt. Sofort rief er das badische Contingent von der am Main gegen die Preußen im Felde stehenden Reichsarmee zurück und ordnete an, daß von dem General Manteuffel ein Waffenstillstand begehrt wurde. Dann ging er mit gewohnter Umsicht und Energie an die Neuordnung der durch den Krieg schwer beeinträchtigten badischen Finanzen. Verhältnismäßig günstige Anleihen wurden geschlossen, und rasch führte Baden die von Preußen geforderte Kriegsentschädigung nach Berlin ab. Eine Steuererhöhung, die von den Ständen fast ohne Widerspruch bewilligt wurde, half die erhöhten Ausgaben decken. Eine ganze Anzahl von neuen Einrichtungen wurde vorbereitet, zum Theil durchgeführt, um Baden für den Eintritt in den norddeutschen Bund zu ordnen.

Mit eisernem Fleiß arbeitete Mathy, der jetzt nicht weniger als drei Ministerien zugleich vorstand, nach allen diesen Richtungen hin. Sorgen und Mühen aller Art in seinem Arbeitscabinet, anstrengende Debatten im Plenum und in den Commissionen der Kammer vermochten nicht ihm die Thätigkeit für ein ersehntes Ziel zu verleiden. Aber seine Gesundheit litt darunter. Ein Herzleiden entwickelte sich, welches seinen Tod in nicht langer Zeit zur Folge gehabt haben würde, wenn ihm nicht eine Erkältung, die er sich um Weihnachten zugezogen und die in eine Brustentzündung überging, zuvorgekommen wäre. Schon hoffte man, er werde sich von dem Uebel erholen, als es ihn von Neuem auf das Lager warf, welches in der Nacht vom 3. auf den 4. Februar sein Sterbebett wurde. Er verschied, das brechende Auge auf seine Gattin geheftet, die ihn vom Jahre 1833 an durch das Leben begleitet. Seine Kinder waren ihm vorausgegangen, zwei in zartem Alter, einer als Student fern von den Eltern in Palermo.

Es war das Leben eines bedeutenden Menschen, welches wir hier geschildert haben, das Leben einer glänzenden Ausnahme von der Regel seiner Partei, wenn wir ihn überhaupt den Gothanern beizählen dürfen. Er hat nie mit hohen Augenbrauen herabgesehen auf das niedere Volk, sich nie vom Ehrgeiz allein leiten lassen, nie Vorsicht für das bessere Theil der Tapferkeit betrachtet, wie so viele seiner Parteigenossen. Er war wie nicht wenige derselben ein hochbefähigter, kenntnißreicher, auch in den Gebieten der Kunst und Dichtung heimischer Geist, ein treuer Freund, ein guter Patriot, aber er war vor Allem und in Allem auch ein Mann!

M. B.