Einiges vom Marschall Mac Mahon
Einiges vom Marschall Mac Mahon.
Vor wenigen Monaten noch ritt der Marschall Mac Mahon jeden Morgen nach dem Boulogner Hölzchen – der Lieblingspromenade der Pariser - begleitet von einem seiner Ordonnanzoffiziere in Uniform. Gerade und fest zu Pferde sitzend, glich der 85jährige Mann einem gut konservierten Fünfziger, und auch in engern Kreisen, im Salon, riefen seine stramme Haltung, das klare Auge, die unverwüstliche Frische und Lebenskraft Staunen hervor.
Um so unerwarteter kam sein Ende, das am 17. Oktober erfolgte.
Sein Name, der 40 Jahre lang auf allen Schlachtfeldern wiederhallte, wo welsche Waffen fochten, ist populär über Frankreichs Grenzen hinaus, selbst in Deutschland, trotzdem oder weil er der berühmteste Feldherr war, der 1870 unserem deutschen Heere gegenüberstand; auch an den glänzenden Botschafter, der im Jahre 1861 bei der Krönung König Wilhelms den Kaiser von Frankreich mit großem Prunke vertrat, erinnert sich wohl noch mancher unserer Landsleute: und besonders im italienischen Kriege von 1859 hat dieser Soldat so maßgebend in die europäischen Geschicke eingegriffen, daß ein getreues Bild von ihm vielen willkommen sein mag.
Ueber den Ursprung der Familie ist manches Irrige im Umlaufe, weshalb wir denselben in Kürze erwähnen.
Jeder edle Irländer stammt bekanntlich von den „Königen von Irland“ ab; so auch die Mac Mahons, welche mit dem letzten Könige aus dem Hause Stuart, Jakob II., nach Frankreich flohen und sich in der Gegend von Autun niederließen. Wenn der König Jakob selbst ausschließlich von einem Gnadengehalt Ludwigs XIV. lebte, so war das Elend seiner Anhänger noch größer, und es hat daher nichts Auffallendes, daß wir den Ahnherrn der heutigen Mac Mahons als Heilkünstler und Empiriker finden, in welcher Eigenschaft er die von allen patentierten Aerzten aufgegebene Marquise v. Equilly vom sicheren Tode rettete. Sein Honorar war die Hand und das Vermögen der reichen Dame. Nun wurde auch, durch Dekret vom 23. Juni 1750, „der Adel des Johann Mac Mahon, aus Limerick in Irland, in Frankreich anerkannt und beibehalten“, und Ludwig XV. übertrug auf ihn das Marquisat seiner Frau.
Sein Nachkomme, der Marquis von Mac Mahon, Generallieutenant während der Restauration, hatte vier Söhne und vier Töchter. Titel und Vermögen gingen auf den ältesten über, der sich im Jahre 1845 bei einem Hindernißrennen in Autun den Hals brach: aber zu unerwartetem Glanze gelangte das Haus durch den dritten, den Grafen Marie Edme Patrice Maurice, der am 13. Juni 1808 auf dem Schloße Sully das Licht der Welt erblickte.
Zum Soldaten bestimmt, bezog er die Spezialschule von St. Cyr. [766] Seine Karriere war eine der unerhörtesten an Schnelligkeit: Unterlieutenant im Jahre 1827, war er im Jahre 1833 schon Hauptmann; 1840 – längste Wartezeit! Bataillonschef; 1842 Oberstlieutenant; 1845 Oberst; 1848 Brigadegeneral; 1852 Diyisionär und Großkreuz der Ehrenlegion. Allerdings stieg er nicht im ruhigen Schatten der Kaserne empor, sondern auf den heißen Schlachtfeldern Algeriens, wo er auch, vor Konstantine, verwundet wurde. Doch mehr als seinen Verdiensten verdankte er seine Grade der Gunst seines engern Landsmannes, des Generals Changarnier, der auch ein Kind der Stadt Autun war. Das Verhältniß der beiden Männer war um so merkwürdiger, als sie den vollständigsten Gegensatz bildeten, der sich denken läßt. So einfach, natürlich, sogar etwas roh Mac Mahon auftrat, so geschniegelt, gebügelt; affektiert war Changarnier. Er trug Korsett und Haartour, und obwohl Soldat in der Seele, schmeichelte er doch der unter Louis Philipp herrschenden Richtung. Zudem war er ein Pedant und würzte seine Worte gern mit lateinischen Phrasen.
Mac Mahons Name klang auch durch Enropa, als er vor Sebastopol (1855) die Feste Malakoff erstürmte, und ganz besonders im Jahre 1859. Da warf er, trotz anderer Befehle auf den Kanonendonner zumarschierend, am 4. Juni bei Magenta die siegreich vordringenden Oesterreicher zurück und rettete durch sein unerwartetes, rasches Eingreifen seinen Kaiser selbst, Napoleon III., vor schmählicher Gefangenschaft. Er erhielt noch auf dem Schlachtfelde den Marschallstab sowie den Titel eines Herzogs von Magenta.
Im Jahre 1870 endlich kommandierte er die erste französische Armee, wir wissen alle, mit welchem Unstern. Seine Truppen eröffneten jene Reihe von Niederlagen, welche für die stehende Armee einestheils mit der Uebergabe von Metz, anderntheils mit dem unvergeßlichen Tage von Sedan endete. Die Schule von Afrika, wo aus parlamentarischen Rücksichten die Franzosen sich beständig in der Minderzahl befanden, aber diese Minderzahl nicht nur durch Tapferkeit, sondern besonders durch bessere Bewaffnung und Disziplin ausgleichen konnten, hatte sich gegen mindestens ebenbürtige, sorgsam geführte Truppen nicht bewährt.
Uebrigens hatte Mac Mahon, der den verhängnißvollen Marsch nach Sedan gegen bessere Einsicht auf ausdrücklichen Befehl des Ministerraths und der Kaiserin unternommen hatte, das Glück, bei Beginn der Schlacht verwundet und somit des Kommandos sowie der gesetzlichen Verantwortlichkeit enthoben zu werden. Es kleidete ihn dies in einen Nimbus; er war und blieb „der glorreiche Besiegte“, während seine Kollegen später vor den Kriegsgerichten mehr oder weniger gerechtfertigten Tadel einstecken mußten.
Nach Heilung seiner Wunde stellte er sich den deutschen Behörden, die ihm Wiesbaden zum Aufenthalt anwiesen. Nach dem Friedensschlusse übertrug ihm Thiers das Oberkommando über die mühsam reorganisierten Truppen, welche nach fürchterlichem Blutbade die Kommune niederwarfen.
Mit Civilverhältnissen und Staatskünsten hatte sich der Marschall bisher nicht viel abgegeben; der „pékin“ (Nichtsoldat) war ihm zuwider.
Eine erste und böse Erfahrung, die sein Vorurtheil zu ändern nicht angethan war, machte er, vor 1870, in seiner Stellung als Generalgouverneur von Algier. Wie alle, die das Land aus eigener und langer Erfahrung kannten, wollte er dessen Blüthe auf die Eingeborenen selbst gründen, deren gute Eigenschaften er zu würdigen wußte und die er, gerade ihres kriegerischen Werthes wegen, liebte. Er stieß aber auf die herrische Einmischung der Politiker, welche von Paris aus die Kolonie zu lenken und besonders aufs schamloseste auszubeuten sich anmaßten; und an Ort und Stelle selbst gerieth er aufs heftigste mit dem Erzbischof Lavigerie zusammen, dessen ungemessenem Bekehrungseifer der sonst streng katholische Gouverneur Grenzen zu stecken suchte.
Soldat war er, Soldat wollte er bleiben. Während sein Freund Changarnier an drei Orten sich zum Abgeordneten wählen ließ, dem Präsidenten Thiers in eigennütziger Absicht den Hof machte und dessen Egeria, dem bekannten Fräulein Dosne, täglich ein Sträußchen mit einer Visitenkarte schickte, auf welcher stand: „General Changarnier, immer noch nicht Marschall“ – lehnte Mac Mahon jede politische Kandidatur ab und hielt sich von den Parteien fern.
Ging Mohammed nicht zum Berge, so kam diesmal der Berg zu Mohammed. Die zum größten Theil aus legitimistischen, orleanistischen und bonapartistischen Elementen zusammengesetzte Kammer stürzte am 24. Mai 1873 den Präsidenten Thiers und ernannte mit großer Mehrheit den Herzog von Magenta zum provisorischen Präsidenten der Republik.
Diejenigen, die ihn so erhoben hatten, erwarteten von ihm die Herstellung einer Monarchie, über deren Name und Farbe sie freilich selbst unter sich in bitterer Fehde lagen. Er sollte den „rechtmäßigen Fürsten“ auf den Thron setzen – ob Heinrich V., Philipp VII. oder Napoleon, blieb dahingestellt. Der Marschall aber war vor allem „Mac Mahonist“ und keineswegs gesonnen, seine erste Amtspflicht, die Sicherung der bestehenden Gesetze, zu verrathen. Erst als nach zahlreichen Ergänzungswahlen immer mehr demokratische Abgeordnete die alte Mehrheit bedrohten, versuchte der Marschall am 10. Mai 1877 eine Art gesetzlichen Staatsstreichs, löste die Kammern auf, ordnete Neuwahlen an, bediente sich der alterprobten rücksichtslosen Agenten der Kaiserzeit – dennoch siegten die Radikalen unter Führung Gambettas. Da gab der Marschall nach, und der alte Republikaner Dufaure übernahm die Leitung des Ministeriums.
Mac Mahon enthielt sich hinfort jeder persönlichen Einmischung. Er „repräsentierte“, eröffnete am 1. Mai 1878 die Weltausstellung, empfing den Schah von Persien. Als aber die Sieger gar Miene machten, das Ministerium vom 16. Mai in Anklagestand zu versetzen, da dankte der Marschall ab, 30. Januar 1879. Ihn ersetzte dann JUles Grevy.
Damit war seine öffentliche Rolle zu Ende. Sie entsprach in ihren Licht- und Schattenseiten dem Charakter und den geistigen Fähigkeiten des Mannes: frisch zuschlagender Haudegen, aber nicht Stratege; zu einem raschen Federzug bereit, aber fein angelegten Intriguen, langsam reifenden Plänen nicht gewachsen.
Seine persönliche Tapferkeit war sprichwörtlich, und mit Recht führte er den Löwen in seinem Wappen.
Den Angriff auf Malakoff leitete er von einer dem Feuer ausgesetzten Erhöhung aus; fünf Boten schickte ihm der Oberbefehlshaber Pelissier mit dem Befehl, den gefährlichen Standpunkt zu wechseln. „Ich lasse dem General danken!“ gab jedesmal Mac Mahon zur Antwort und verließ den Platz erst, als er in Malakoff selbst eindringen konnte. Kaum war er in dessen Besitz, als Spione sowohl wie Ingenieure ihn zu sofortiger Räumung aufforderten, da das Fort unterminiert sei und mit sämtlichen Truppen in die Luft fliegen werde. „Da bin ich, da bleibe ich!“ lautete die berühmte Antwort des Generals. Die Warnung war übrigens richtig; und nur einer zufälligen Unterbrechung der elektrischen Leitung nach Sebastopol verdankten die Franzosen samt ihrem Führer das Leben.
Ein weniger bekannter und für die Tollkühnheit des Marschalls noch bezeichnenderer Zug ist der folgende: Auf der Terrasse von St. Germain-en-Laye, welche das Seinethal bis Paris beherrscht, ritt Mac Mahon, damals Oberst, ein besonders störrisches Pferd zu, welches beständig stieg und durchzubrennen suchte. „So, Du willst setzen, Luder?“ schrie endlich wüthend der Oberst, „nun, so setze!“ Damit ließ er die Zügel nach, gab die Sporen – und über die Mauer, hinunter in die grausige Tiefe! Das Pferd blieb auf der Stelle tot, der Reiter erhob sich unverletzt.
Politisch gehörte er der gemäßigt legitimistischen Partei an. Dennoch stimmte er im Jahre 1852 für den neuen Cäsar. Als einige seiner nächsten Freunde ihn darüber zur Rede stellten, antwortete er, nicht ohne feinen Humor: „Ich war unentschlossen und sah zu, wie die Soldaten kompagnieweise ihre Stimme abgaben. Das lautete bald ,Ja‘, bald ‚Nein‘. Schließlich kamen die Disciplinäre[1] dran. Die stimmten alle wie ein Mann ,Nein!‘ Nun, ich konnte mich doch nicht ihnen anschließen!“
Diesen halben Skepticismus hegte er auch auf religiösem Gebiete. Er galt als klerikal und war es theilweise, für andere wenigstens; den ausübenden Theil der kirchlichen Pflichten überließ er seiner Gemahlin. Es hindert dies nicht, wie wir schon gesehen haben, daß er z. B. dem Erzbischof von Algier scharf gegenübertrat.
Er war eben vor allem eine etwas rohe Soldatennatur alten Schlages, eine „alte Lederhose“, wie die Franzosen sagen. Ihm blieb das barsche Wesen, das Schwören und Fluchen selbst im Salon, selbst im Ministerrath. Und dennoch suchte er gewählte Gesellschaft, spielte er den Mann von Welt; ja, in den Jahren 1845 bis 1855 zählte er, soweit es die kurzen Abstecher nach Paris erlaubten, zu den elegantesten Mitgliedern des Jokeyklubs, bezahlte etwa, wie der Herzog von Fitz-James, eine 15-Centimesbriefmarke mit einem 20-Frankstück, ohne sich herausgeben zu lassen u. dgl. m.
Er liebte überhaupt glanzvolles Auftreten, und das große Vermögen, welches ihm seine Frau, ein Fräulein von Castriers, zugebracht hatte, erlaubte ihm dies. Während seiner Präsidentschaft setzte er aus eigener Tasche über 11/2 Millionen Franken zu, obwohl seine Civilliste die Summe von 1200000 Franken betrug. Einen großen Theil bekamen die Armen.
Einen „theuren“ Freund hatte er in dem Schah von Persien, dem ersten Monarchen, der seit dem Kriege Paris mit seiner Gegenwart beehrte und mit königlichen Ehren empfangen wurde. Der Schah schenkte unter anderem der Frau Marschall einen Schmuck im Werthe von 80000 Franken, übersah aber die Bereinigung der Kleinigkeit, wie sich nach seiner Abreise herausstellte. In solchen Fällen pflegt man die geheimen Fonds anzugreifen; Mac Mahon aber bezahlte ohne weiteres diesen und viele andere Posten des orientalischen Despoten aus seiner Privatkasse.
Das Talent der Rede fehlte ihm gänzlich, und dies gab zu manchem Spaß Anlaß. An Stegreifreden durfte er nicht denken; auch stieß er etwas mit der Zunge an. Selbst das Auswendiglernen glückte nicht immer. So begann er einmal bei Gelegenheit einer landwirthschaftlichen Feier:
„Die Agrikultur ist alles, meine Herren! Die Agrikultur, welcher wir ... welche uns ...“
Da blieb er stecken und rief unwillig: „Zum Teufel mit der Agrikultur!“
Ein andermal – Toulouse war von fürchterlichen Ueberschwemmungen heimgesucht worden und das Staatsoberhaupt hatte sich zur moralischen Hebung der bedrückten Gemüther an Ort und Stelle begeben – stand er inmitten der verwüsteten Felder. Alles lauschte.
„Was Wasser! Was Wasser!“ seufzte endlich der Marschall mit bewegter Stimme.
War aber der Mund verschlossen, so war die Hand um so offener; und anstatt mit einer schönen Rede beschenkte er die armen Ueberschwemmten mit einer fürstlichen Gabe.
[767] Seine letzten Jahre widmete er überhaupt guten Werken. Er wandte sein Augenmerk vor allem der Armee zu, die er von Herzen liebte, sorgte in jeder Weise für die „Verwundeten der Land- und Seetruppen“ und ging hierin wie bei jeder Gutthat mit eigenem Beispiel voran, wie auch seine Frau, welche das Departement der bürgerlichen Armen und Elenden verwaltete.
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Nun, da ich diese Erinnerungen niederschreibe, liegt der alte Held der Krim still und bleich auf seinem Lieblingsschloß La Forest – während in Paris die Fahnen flattern, Trompeten schmettern, Trommeln rasseln und der russische Admiral Avellan auf dem Balkon des Cercle militaire die Trikolore küßt.
Im ganzen hat wohl selten ein Sterblicher in solchem Maße der „Götter Gunst“ erfahren wie Mac Mahon. Selbst berufliche Mißgriffe endeten schließlich zu seinem persönlichen Besten; eine gewisse Naivetät, sein gerader Sinn, seine reine Hand und reine Sitte entwaffneten den Gegner. Ueber den Soldaten, den Staatsmann gehen die Ansichten auseinander; aber sein Land ehrt in ihm den modernen „Ritter ohne Furcht und Tadel“, und in dieser Zeit der verdächtigen Kompromisse und der unsaubersten Selbstsucht hat er seinen Werth, der einstimmige Nachruf: „Er war ein braver Mann!“
Hätten wir Sitz und Stimme im Familienrath, so würden wir auf seinen Grabstein die Worte eingraben lassen, mit denen er sein Entlassungsschreiben schloß:
„Während meiner 53jährigen Thätigkeit als Soldat und Bürger handelte ich stets nach Ehre und Pflicht und mit unbegrenzter Hingebung an das Vaterland!“
- ↑ Ausschließlich aus solchen Rekruten zusammengesetzt, die schon vor ihrer Einberufung gemeiner Verbrechen halber bestraft worden waren.