Einleitung über Leben und Schriften des Aphraates

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Autor: Gustav Bickell
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Titel: Einleitung über Leben und Schriften des Aphraates
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aus: Bibliothek der Kirchenväter, Band 38, S. 9–16
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Auflage: 1
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Jos. Koesel’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kempten
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[009]

Einleitung

über Leben und Schriften des Aphraates.




Der Schriftsteller, welcher unsere Aufmerksamkeit jetzt in Anspruch nehmen wird, hat das sonderbare Geschick erfahren, daß der größte Theil seiner Schriften schon lange Zeit vor Feststellung seiner persönlichen Identität bekannt gemacht worden war. Bereits im Jahre 1756 erschien nämlich zu Rom die alte armenische Übersetzung des Aphraates,[1] welche neunzehn von den im syrischen Original enthaltenen dreiundzwanzig Abhandlungen umfaßte. In dieser Übersetzung war aber durch ein später zu erklärendes Mißverständniß der hl. Bischof Jakob von Nisibis, Ephräm’s Lehrer, als Verfasser und der Apostel Armeniens, Gregorius Illuminator, als Veranlasser und Empfänger dieser Unterweisungen [010] bezeichnet. An der Richtigkeit dieser Angabe zweifelte man um so weniger, als schon Gennadius, welcher gegen Ende des fünften Jahrhunderts den Autorenkatalog des hl. Hieronymus fortsetzte, die ihm bekannten syrischen Abhandlungen unseres Aphraates in gleichem Irrthume dem hl. Jakob von Nisibis zugeschrieben hatte. Das uralte Mißverständniß schwand erst, seit die zum Theil noch älteren syrischen Handschriften unseres Autors für das britische Museum erworben und im Jahre 1869 von Wright herausgegeben worden waren. In diesen Handschriften wird der Verfasser entweder als „der persische Weise“ oder als Mar Jakob bezeichnet. Nun aber erfahren wir durch die syrischen Schriftsteller Bar Bahlul (aus dem zehnten Jahrhundert), Elias Bar Schinaja (eilfstes Jahrhundert)[2] und Ebedjesu,[3] daß der „persische Weise“ den Namen Aphrahat führte. Barhebräus gibt ihm[4] denselben Namen in der jüngeren Form Farhad; an einer anderen Stelle[5] nennt er ihn Buzitis[BN 1], was aber offenbar nur ein Abschreibefehler ist. Das Verhältniß seiner beiden Namen zu einander erklärt in höchst befriedigender Weise eine handschriftliche Notiz im britischen Museum, wonach er ursprünglich Aphraates hieß und diesen Namen syrischer Sitte gemäß bei seiner Erhebung zu kirchlichen Würden mit Jakob vertauschte.[6] Derselben Quelle verdanken wir auch die Angabe, daß Aphraates Bischof zu Mar Mattai (Matthäus) war, einem östlich von Mossul gelegenen Kloster, welches noch jetzt jakobitischer Bischofssitz ist. Die Zuverlässigkeit dieser Angabe bestätigt sich dadurch, daß Aphraates in der Encyclika, mit deren Abfassung ihn [011] das Concil von Seleucia beauftragte, von der Priesterweihe als von einer „heiligen Handauflegung, welche die Menschen von uns empfangen,“ spricht.

Weitere Nachrichten über Aphraates fehlen gänzlich, da sein Andenken und seine Schriften schon frühzeitig einer fast vollständigen Vergessenheit anheimfielen. Zwar muß ihn Isaak von Antiochien noch gekannt haben, da er, wie wir später zeigen werden, seine Abhandlung über das Fasten stark benutzt; aber schon der Araberbischof Georg gesteht im Jahre 714, daß ihm nicht das Geringste über die Lebensverhältnisse des „persischen Weisen“ bekannt sei.[7] Diese Nichtbeachtung mag ihren Hauptgrund in gewissen sonderbaren und irrigen Meinungen haben, welche sich mitunter bei unserem Autor finden. Wenigstens antwortet Georg seinem Fragesteller Josue in Betreff der seltsamen Meinung des Aphraates über den Zustand der Seele zwischen Tod und Auferstehung folgendermaßen: „Deine brüderliche Weisheit darf diesen persischen Schriftsteller ja nicht etwa zu den bewährten Autoren, deren Werke maßgebend sind, rechnen und hinzuzählen, so daß du dich nun für verpflichtet hieltest, deine Gedanken anzustrengen und dir den Geist darüber zu zerarbeiten, um von allen in seinen Abhandlungen vorkommenden Äußerungen die richtige Erklärung zu erfassen und die Tragweite einzusehen. Denn wenn er auch, wie bemerkt, ein scharfsinniger und in den heiligen Schriften bewanderter Mann war, so gehört er doch keineswegs zu jenen mustergiltigen Lehrern, deren Lehre man als unbedingt zuverlässig liest. Auch hatte man zu seiner Zeit und in seinem Lande keine Gelegenheit, Studien zu machen und seine Gedanken und Worte nach denen jener großen Lehrer zu bilden. Deßhalb findet auch der, welcher das, was er liest, wie geschrieben steht, einsieht und versteht, viele Fehler und kraß unverständige [012] Äußerungen in seinem Buche. Zu diesen Äußerungen gehört auch die, welche deiner Brüderlichkeit Bedenken verursacht hat.“

Übrigens lassen sich aus den Abhandlungen unseres Schriftstellers selbst einige Schlüsse auf seine Lebensumstände ziehen. Am deutlichsten ergibt sich daraus seine Zeit; denn er sagt ausdrücklich,[8] daß er die zehn ersten alphabetischen Abhandlungen im Jahre 337, die zwölf folgenden im Jahre 344 und die Rede von der Traube im Jahre 345 verfaßt habe. Aus diesen Daten geht mit vollster Sicherheit hervor, daß Aphraates nicht mit Jakob von Nisibis, welcher schon im Jahre 338 starb,[9] verwechselt werden darf. Ferner ergibt sich aus seiner Abhandlung über den Ordensstand, daß er selbst Mönch war,[10] jedenfalls Abt des Matthäus-Klosters, in welchem er als Bischof residirte. Noch wissen wir von ihm, daß er im Auftrage des Concils zu Seleucia-Ktesiphon ein Rundschreiben an die christlichen Gemeinden abfaßte, welches er unter seine Abhandlungen an vierzehnter Stelle aufgenommen hat. Die furchtbare Christenverfolgung, welche der persische König Sapor, dessen Reiche Aphraates angehörte, im Jahre 344 begann, wird zwar erwähnt, jedoch ohne daß wir etwas Näheres über die Schicksale unseres Autors während derselben erfahren. Er sagt nur (S. 507), daß er im Jahre 344 (dem fünfunddreissigsten Regierungsjahre Sapors) seine alphabetischen Abhandlungen vollendet habe, und daß nachher, aber noch in demselben Jahre, die Einreissung der Kirchen und die Hinrichtung vieler Martyrer angeordnet worden sei, worauf er im August 345 den Traktat über die Traube geschrieben habe.

Bei der Dürftigkeit der Nachrichten über das Leben des Aphraates beschränkt sich unser Interesse fast ausschließlich auf seine Schriften. Es sind dieß dreiundzwanzig Abhandlungen, [013] welche mit Ausnahme der letzten alphabetisch geordnet sind, indem ihre Anfangsbuchstaben nach der Ordnung des syrischen Alphabets auf einander folgen. Alle diese Abhandlungen waren für einen Mönch, wahrscheinlich einen Abt, bestimmt, welcher den Aphraates in einem kurzen Briefe um geistliche Belehrung, und zwar zunächst über den Glauben, gebeten hatte. Die ersten Zeilen dieses Briefes, welche die Überschrift und den Namen des Briefstellers enthielten, sind in den syrischen Handschriften verloren gegangen; er hieß aber höchst wahrscheinlich Gregor, wodurch dann der armenische Übersetzer veranlaßt wurde, ihn mit Gregorius Illuminator zu identificiren, ebenso wie der kirchliche Name unseres Aphraates, Jakob, welchen ihm sein Correspondent jedenfalls im Eingange des Briefes gab, die irrthümliche Identificirung des „persischen Weisen“ mit dem hl. Jakob von Nisibis herbeiführte.

Die Abhandlungen selbst handeln über die folgenden Gegenstände:

1) Über den Glauben.
2) Über die Liebe.
3) Über das Fasten.
4) Über das Gebet.
5) Über die Kriege der Weltmächte.
6) Über den Ordensstand.
7) Über die Buße.
8) Über die Auferstehung der Todten.
9) Über die Sanftmuth.
10) Über die Seelenhirten.
11) Über die Beschneidung.
12) Über das Pascha.
13) Über den Sabbath.
14) Ermahnungsschreiben im Auftrag des Concils von Seleucia.
15) Über den Unterschied der Speisen.
16) Beweis, daß die Heidenvölker an die Stelle des jüdischen Volkes getreten sind.
17) Beweis, daß Christus der Sohn Gottes ist.

[014]

18) Vertheidigung der Heiligkeit des jungfräulichen Standes gegen die Juden.
19) Gegen die Behauptung der Juden, daß sie einst wieder versammelt werden würden.
20) Über Almosengeben.
21) Über die Christenverfolgung.
22) Über den Tod und das Ende der Welt.
23) Über die Traube, welche wegen der gesegneten Beere nicht vertilgt werden soll.[11]

In der armenischen Übersetzung fehlen die vier letzten Abhandlungen. Gennadius gibt ihre Anzahl auf sechsundzwanzig an; aber nach den Titeln zu schließen, die er einzeln aufführt, lag ihm das Werk in demselben Umfang vor, wie in unseren syrischen Handschriften. Antonelli glaubte, das Ermahnungsschreiben der Synode von Seleucia habe nicht zu der ursprünglichen Sammlung gehört; aber Aphraates erwähnt es ausdrücklich als seine eigene Arbeit in der vorletzten Abhandlung, abgesehen davon, daß schon die alphabetische Anordnung jede Ausscheidung verbietet. Diese Encyclika ist eben nur formell ein Schreiben der Synode, thatsächlich hat sie den mit ihrer Anfertigung beauftragten Aphraates zum Verfasser, welcher sie dann nachträglich auch den zur Belehrung seines Fragestellers bestimmten Aufsätzen einverleibte. Ausser den obigen dreiundzwanzig Abhandlungen scheint Aphraates Nichts geschrieben zu haben, da einige scheinbar für das Gegentheil sprechende Äusserungen von Gennadius, Barhebräus und Ebedjesu offenbar theils auf Mißverständniß, theils nur auf ungenauer Ausdrucksweise beruhen.

Um schließlich noch Einiges zur Würdigung unseres Aphraates als Schriftsteller zu bemerken, so wird gewiß Jeder seine umfassende Kenntniß der heiligen Schrift und seinen nüchternen, verständigen Sinn bewundern. Freilich ist die erstere oft nicht genug in das Thema hineinverarbeitet, [015] so daß seine biblischen Beispiele und Citate mitunter fast den Eindruck einer Materialiensammlung oder eines vorläufigen Entwurfes machen, und grenzt letztere nahe an Trockenheit und einseitiges Überwiegen des Verstandes. In dieser Hinsicht hat er einen Geistesverwandten an Isaak von Antiochien und steht im schroffen Gegensatz zu dem hl. Ephräm, einem der innigsten und salbungsvollsten Kirchenväter. Seine Lehre stimmt fast durchgängig selbst in den zu seiner Zeit noch nicht definirten Dogmen mit der kirchlichen Orthodoxie überein; so finden wir bei ihm die klarsten Zeugnisse für die Beichte, die reale Gegenwart Christi in der hl. Eucharistie, die Verdienstlichkeit des Ordensstandes u. s. w. Nur ein einziger dogmatischer Irrthum ist uns in seinen Abhandlungen begegnet; auf Grund einer höchst seltsamen und verkehrten Auslegung von I. Kor. 15, 44 behauptet er nämlich, die Seele sei zwischen dem Tode und der Auferstehung im Leibe verborgen und ohne Bewußtsein. Sehr auffallend ist, daß sich der Widerhall der arianischen Streitigkeiten, welche damals die Kirche im römischen Reich so heftig erschütterten, bei unserem persischen Autor auch nicht durch die leiseste Andeutung bemerklich macht. Seine Polemik ist, abgesehen von einigen gelegentlichen Bemerkungen über Gnostiker und Manichäer, ausschließlich gegen die Juden gerichtet, welche damals im persischen Reiche äusserst zahlreich waren und in der Nähe unseres Verfassers ihre großen Akademien hatten, an welchen die Autoritäten des babylonischen Talmuds lehrten. An unmittelbarem Interesse für die Kirche der Gegenwart verliert das Werk des Aphraates allerdings viel durch diese seine so stark hervortretende Beziehung auf das Judenthum. Trotz alledem bleibt es jedoch von unschätzbarem Werthe als das älteste Dokument, welches uns über die kirchlichen Zustände, das religiöse Leben und die theologische Bildung der syrisch-redenden Christenheit im persischen Reiche authentischen Aufschluß gibt.

Unsere Übersetzung haben wir nach dem syrischen Originaltext angefertigt, wie er nunmehr in der Ausgabe von W. Wright (The homilies of Aphraates, the persian sage, [016] London 1869) vorliegt, deren Vorrede wir auch die meisten in der Einleitung angeführten Notizen über Aphraates verdanken. Dieses prachtvoll ausgestattete Werk ist ein ehrenvolles Monument nicht nur für die Gelehrsamkeit des Herausgebers, sondern auch für die großartige Freigebigkeit des Herrn David Murray, Geschäftsinhaber zu Adelaide in Australien, welcher die Druckkosten übernommen hat. Dem Herausgeber standen zwei uralte Handschriften zu Gebot; die eine gehört dem sechsten Jahrhundert an, die andere ist aus zwei Hälften zusammengestellt, deren vordere die zehn ersten Abhandlungen enthält und vom Jahr 474 datirt ist, während die zweite die dreizehn folgenden umfaßt und im Jahre 512 geschrieben ist.




  1. S. Jacobi Nisibeni opera omnia ex armeno in latinum serrmonem translata a. N. Antonelli, S. R. E. Cardinali. – Antonelli’s lateinische Übersetzung des armenischen Textes ist auch wieder abgedruckt im fünften Band der Bibliotheca veterum patrum von Gallandius.
  2. In Wright’s Ausgabe S. 3. 38.
  3. Vgl. Assemani, Bibl. Orient. III, S. 3.
  4. Vgl. Overbeck, S. Ephraemi aliorumque opera selecta, S. 422.
  5. Vgl. Gregorii Barhebraei Chronicon ecclesiasticum, ed. Abbeloos und Lamy, I, S. 85.
  6. Wright, Catalogue of the syriac manuscripts in the British Museum, II.
  7. Der betreffende Brief Georg’s ist vollständig abgedruckt in Lagarde’s Analecta syriaca, S. 108, der auf Aphraates bezügliche Theil auch bei Wright.
  8. In Wright’s Ausgabe S. 440. 507.
  9. Vgl. Bickell, S. Ephraemi Carmina Nisibena, S. 20.
  10. In Wright’s Ausgabe S. 111.
  11. Isaias 65, 8.

Berichtigungen und Nachträge

  1. S. 10, Z. 17–18 ist die Notiz über den Namen Buzitis zu streichen, da Barhebräus nach der richtigen Lesart den Buzitis als einen anderen Schriftsteller von dem persischen Weisen oder Aphraates unterscheidet. Vgl. Barhebraei Chronicon, ed. Abbeloos und Lamy, II., S. 922–923. Berichtigungen und Nachträge, S. 409