Entstehung der Arten (1876)/Achtes Capitel
← Siebentes Capitel | Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein (1876) von Charles Darwin |
Neuntes Capitel → |
- Instincte vergleichbar mit Gewohnheiten, doch andern Ursprungs. — Abstufungen der Instincte. — Blattläuse und Ameisen. — Instincte veränderlich. — Instincte domesticirter Thiere und deren Entstehung. — Natürliche Instincte des Kuckucks, des Molothrus, des Straußes und der parasitischen Bienen. — Sclavenmachende Ameisen. — Honigbienen und ihr Zellenbau-Instinct. — Veränderung von Instinct und Structur nicht nothwendig gleichzeitig. — Schwierigkeiten der Theorie natürlicher Zuchtwahl der Instincte. — Geschlechtslose oder unfruchtbare Insecten. — Zusammenfassung.
Viele Instincte sind so wunderbar, daß ihre Entwickelung dem Leser wahrscheinlich als eine Schwierigkeit erscheint, hinreichend groß, meine ganze Theorie über den Haufen zu werfen. Ich will hier vorausschicken, daß ich nichts mit dem Ursprunge der geistigen Grundkräfte noch mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe. Wir haben es nur mit der Verschiedenheit des Instinctes und der übrigen geistigen Fähigkeiten der Thiere in einer und der nämlichen Classe zu thun.
Ich will keine Definition des Wortes zu geben versuchen. Es würde leicht sein, zu zeigen, daß gewöhnlich ganz verschiedene geistige Fähigkeiten unter diesem Namen begriffen werden. Doch weiß jeder, was damit gemeint ist, wenn ich sage, der Instinct veranlasse den Kuckuck zu wandern und seine Eier in andrer Vögel Nester zu legen. Wenn eine Handlung, zu deren Vollziehung selbst von unserer Seite Erfahrung vorausgesetzt wird, von Seiten eines Thieres und besonders eines sehr jungen Thieres noch ohne alle Erfahrung ausgeübt wird, und wenn sie auf gleiche Weise bei vielen Thieren erfolgt, ohne daß diese ihren Zweck kennen, so wird sie gewöhnlich eine instinctive Handlung genannt. Ich könnte jedoch zeigen, daß keiner von diesen Characteren des Instincts allgemein ist. Eine kleine Dosis von Urtheil oder Verstand, wie Pierre Huber es ausdrückt, kommt oft [288] mit in’s Spiel, selbst bei Thieren, welche sehr tief auf der Stufenleiter der Natur stehen.
Frédéric Cuvier und verschiedene ältere Metaphysiker haben Instinct mit Gewohnheit verglichen. Diese Vergleichung gibt, wie ich denke, einen genauen Begriff von dem Zustande des Geistes, in dem eine instinctive Handlung vollzogen wird, aber nicht nothwendig, auch von ihrem Ursprunge. Wie unbewußt werden manche unserer habituellen Handlungen vollzogen, ja nicht selten in geradem Gegensatz zu unserem bewußten Willen! und doch können sie durch den Willen oder Verstand abgeändert werden. Gewohnheiten verbinden sich leicht mit andern Gewohnheiten oder mit gewissen Zeitabschnitten und Zuständen des Körpers. Einmal angenommen erhalten sie sich oft lebenslänglich. Es ließen sich noch manche andere Ähnlichkeiten zwischen Instincten und Gewohnheiten nachweisen. Wie bei Wiederholung eines wohlbekannten Gesanges, so folgt auch beim Instincte eine Handlung auf die andere durch eine Art Rhytmus. Wenn Jemand beim Gesange oder bei Hersagung auswendig gelernter Worte unterbrochen wird, so ist er gewöhnlich genöthigt, wieder zurückzugehen, um den gewohnheitsgemäßen Gedankengang wieder zu finden. So sah es P. Huber auch bei einer Raupenart, wenn sie beschäftigt war, ihr sehr zusammengesetztes Gewebe zu fertigen; nahm er sie heraus, nachdem dieselbe ihr Gewebe, sagen wir bis zur sechsten Stufe vollendet hatte, und setzte er sie in ein anderes nur bis zur dritten vollendetes, so fertigte sie einfach die vierte und fünfte Stufe nochmals mit der sechsten an. Nahm er sie aber aus einem z. B. bis zur dritten Stufe vollendeten Gewebe und setzte sie in ein bis zur sechsten fertiges, so daß sie ihre Arbeit schon größtentheils gethan fand, so sah sie bei weitem diesen Vortheil nicht ein, sondern fieng in großer Befangenheit über diesen Stand der Sache die Arbeit nochmals vom dritten Stadium an, da wo sie solche in ihrem eigenen Gewebe verlassen hatte, und suchte von da aus das schon fertige Werk zu Ende zu führen.
Wenn wir nun annehmen – und es läßt sich nachweisen, daß dies zuweilen eintritt –, daß eine durch Gewohnheit angenommene Handlungsweise auch auf die Nachkommen vererbt wird, dann würde die Ähnlichkeit zwischen dem, was ursprünglich Gewohnheit, und dem was Instinct war, so groß sein, daß beide nicht mehr unterscheidbar wären. Wenn Mozart statt in einem Alter von drei Jahren das [289] Pianoforte nach wunderbar wenig Übung zu spielen, ohne alle vorgängige Übung eine Melodie gespielt hätte, so könnte man mit Wahrheit sagen, er habe dies instinctiv gethan. Es würde aber ein bedenklicher Irrthum sein anzunehmen, daß die Mehrzahl der Instincte durch Gewohnheit schon während einer Generation erworben und dann auf die nachfolgenden Generationen vererbt worden sei. Es läßt sich genau nachweisen, daß die wunderbarsten Instincte, die wir kennen, wie die der Korbbienen und vieler Ameisen, unmöglich durch die Gewohnheit erworben sein können.
Man wird allgemein zugeben, daß für das Gedeihen einer jeden Species in ihren jetzigen Existenzverhältnissen Instincte eben so wichtig sind, als die Körperbildung. Ändern sich die Lebensbedingungen einer Species, so ist es wenigstens möglich, daß auch geringe Änderungen in ihrem Instincte für sie nützlich sein werden. Wenn sich nun nachweisen läßt, daß Instincte, wenn auch noch so wenig, variiren, dann kann ich keine Schwierigkeit für die Annahme sehen, daß natürliche Zuchtwahl auch geringe Abänderungen des Instinctes erhalte und durch beständige Häufung bis zu einem vortheilhaften Grade vermehre. In dieser Weise dürften, wie ich glaube, alle und auch die zusammengesetztesten und wunderbarsten Instincte entstanden sein. Wie Abänderungen im Körperbau durch Gebrauch und Gewohnheit veranlaßt und verstärkt, dagegen durch Nichtgebrauch verringert und ganz eingebüßt werden können, so ist es zweifelsohne auch mit den Instincten der Fall gewesen. Ich glaube aber, daß die Wirkungen der Gewohnheit in vielen Fällen von ganz untergeordneter Bedeutung sind gegenüber den Wirkungen natürlicher Zuchtwahl auf sogenannte spontane Abänderungen des Instinctes, d. h. auf Abänderungen in Folge derselben unbekannten Ursachen, welche geringe Abweichung in der Körperbildung veranlassen.
Kein zusammengesetzter Instinct kann möglicherweise durch natürliche Zuchtwahl anders als durch langsame und stufenweise Häufung vieler geringer, aber nutzbaren Abänderungen hervorgebracht werden. Hier müßten wir, wie bei der Körperbildung, in der Natur zwar nicht die wirklichen Übergangsstufen, die jeder zusammengesetzte Instinct bis zu seiner jetzigen Vollkommenheit durchlaufen hat, – die ja bei jeder Art nur in ihren Vorgängern gerader Linie zu entdecken sein würden –, wohl aber einige Beweise für solche Abstufungen in den Seitenlinien von gleicher Abstammung finden, oder wenigstens nachweisen [290] können, daß irgend welche Abstufungen möglich sind; und dies sind wir sicher im Stande. Bringt man aber selbst in Rechnung, daß fast nur die Instincte von in Europa und Nordamerica lebenden Thieren näher beobachtet worden und die der untergegangenen Thiere uns ganz unbekannt sind, so war ich doch erstaunt zu finden, wie ganz allgemein sich Abstufungen bis zu den Instincten der zusammengesetztesten Art entdecken lassen. Instinctänderungen mögen zuweilen dadurch erleichtert werden, daß eine und dieselbe Species verschiedene Instincte in verschiedenen Lebensperioden oder Jahreszeiten besitzt, oder wenn sie unter andere äußere Lebensbedingungen versetzt wird u. s. w., in welchen Fällen dann wohl entweder nur der eine oder nur der andere Instinct durch natürliche Zuchtwahl erhalten werden wird. Beispiele von solcher Verschiedenheit des Instinctes bei einer und derselben Art lassen sich in der Natur nachweisen.
Nun ist, wie es bei der Körperbildung der Fall und meiner Theorie gemäß ist, auch der Instinct einer jeden Art nützlich für diese und so viel wir wissen niemals zum ausschließlichen Nutzen anderer Arten vorhanden. Eines der triftigsten Beispiele, die ich kenne, von Thieren, welche anscheinend zum bloßen Besten anderer etwas thun, liefern die Blattläuse, indem sie, wie Huber zuerst bemerkte, freiwillig den Ameisen ihre süßen Excretionen überlassen. Daß sie dies freiwillig thun, geht aus folgenden Thatsachen hervor. Ich entfernte alle Ameisen von einer Gruppe von etwa zwölf Aphiden auf einer Ampferpflanze und hinderte ihr Zusammenkommen mehrere Stunden lang. Nach dieser Zeit glaubte ich sicher, daß die Blattläuse das Bedürfniß der Excretion hätten. Ich beobachtete sie eine Zeit lang durch eine Lupe: aber nicht eine gab eine Excretion von sich. Darauf streichelte und kitzelte ich sie mit einem Haare, so gut ich es konnte auf dieselbe Weise, wie es die Ameisen mit ihren Fühlern machen, aber keine Excretion erfolgte. Nun ließ ich eine Ameise zu, und aus ihrem eifrigen Hin- und Herrennen schien hervorzugehen, daß sie augenblicklich erkannt hatte, welch’ ein reicher Genuß ihrer harre. Sie begann dann mit ihren Fühlern den Hinterleib erst einer und dann einer anderen Blattlaus zu betasten, deren jede, sowie sie die Berührung des Fühlers empfand, sofort den Hinterleib in die Höhe richtete und einen klaren Tropfen süßer Flüssigkeit ausschied, der alsbald von der Ameise eingesogen wurde. Selbst ganz junge Blattläuse benahmen sich auf diese Weise und zeigten, daß ihr Verhalten ein instinctives und nicht die [291] Folge der Erfahrung war. Nach den Beobachtungen Huber’s ist es sicher, daß die Blattläuse keine Abneigung gegen die Ameisen zeigen, und wenn diese fehlen, so sind sie zuletzt genöthigt, ihre Excretionen auszustoßen. Da nun die Aussonderung außerordentlich klebrig ist, so ist es ohne Zweifel für die Aphiden von Nutzen, daß sie entfernt werde; und so ist es denn wahrscheinlich auch mit dieser Excretion nicht auf den ausschließlichen Vortheil der Ameisen abgesehen. Obwohl kein Zeugniß dafür existirt, daß irgend ein Thier in der Welt etwas zum ausschließlichen Nutzen einer andern Art thue, so sucht doch jede Art Vortheil von den Instincten anderer zu ziehen und macht sich die schwächere Körperbeschaffenheit anderer zu Nutze. So können denn auch in einigen Fällen gewisse Instincte nicht als absolut vollkommen betrachtet werden, was ich aber bis ins einzelne auseinanderzusetzen hier unterlassen will, da ein derartiges Eingehen nicht unerläßlich ist.
Da im Naturzustande ein gewisser Grad von Abänderung in den Instincten und die Erblichkeit solcher Abänderungen zur Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl unerläßlich ist, so sollten wohl so viel Beispiele als möglich angeführt werden, aber Mangel an Raum hindert mich es zu thun. Ich kann bloß versichern, daß Instincte gewiß variiren, wie z. B. der Wanderinstinct nach Ausdehnung und Richtung variiren oder sich auch ganz verlieren kann. So ist es mit den Nestern der Vögel, welche theils je nach der dafür gewählten Stelle, nach den Natur- und Wärmeverhältnissen der bewohnten Gegend, theils aber auch oft aus ganz unbekannten Ursachen abändern. So hat Audubon einige sehr merkwürdige Fälle von Verschiedenheiten in den Nestern derselben Vogelarten, je nachdem sie im Norden oder im Süden der Vereinigten Staaten leben, mitgetheilt. Warum, hat man gefragt, hat die Natur wenn Instinct veränderlich ist, der Biene nicht „die Fähigkeit ertheilt, andere Materialien da zu benützen, wo Wachs fehlt?“ Aber welche andere Materialien könnten Bienen benützen? Ich habe gesehen, daß sie mit Cochenille erhärtetes und mit Fett erweichtes Wachs gebrauchen und verarbeiten. Andrew Knight sah seine Bienen, statt emsig Pollen einzusammeln, ein Cement aus Wachs und Terpentin gebrauchen, womit er entrindete Bäume überstrichen hatte. Endlich hat man kürzlich Bienen beobachtet, die, statt Blüthen um ihres Samenstaubs willen aufzusuchen, gerne eine ganz verschiedene Substanz, nämlich Hafermehl, verwendeten. – Furcht vor irgend [292] einem besonderen Feinde ist gewiß eine instinctive Eigenschaft, wie man bei den noch im Neste sitzenden Vögeln zu erkennen Gelegenheit hat, obwohl sie durch Erfahrung und durch die Wahrnehmung von Furcht vor demselben Feinde bei anderen Thieren noch verstärkt wird. Aber Thiere auf abgelegenen kleinen Eilanden lernen wie ich anderwärts gezeigt habe, sich nur langsam vor dem Menschen fürchten; und so nehmen wir auch in England selbst wahr, daß die großen Vögel, weil sie vom Menschen mehr verfolgt werden, sich viel mehr vor ihm fürchten als die kleinen. Wir können die stärkere Scheuheit großer Vögel getrost dieser Ursache zuschreiben; denn auf von Menschen unbewohnten Inseln sind die großen nicht scheuer als die kleinen; und die Elster, so furchtsam in England, ist in Norwegen eben so zahm wie die Krähe (Corvus cornix) in Ägypten.
Daß die geistigen Qualitäten der Individuen einer Species im Allgemeinen, auch wenn sie in der freien Natur geboren sind, vielfach abändern, kann mit vielen Thatsachen belegt werden. Auch ließen sich bei nicht gezähmten Thieren Beispiele von zufälligen und fremdartigen Gewohnheiten anführen, die, wenn sie der Art nützlich wären, durch natürliche Zuchtwahl zu ganz neuen Instincten Veranlassung gegeben haben könnten. Ich weiß aber wohl, daß diese allgemeinen Behauptungen, ohne einzelne Thatsachen zum Belege, nur einen schwachen Eindruck auf den Leser machen werden, kann jedoch nur meine Versicherung wiederholen, daß ich nicht ohne gute Beweise so spreche.
Die Möglichkeit oder sogar Wahrscheinlichkeit, Abänderungen des Instinctes im Naturzustande zu vererben, wird durch Betrachtung einiger Fälle bei domesticirten Thieren noch stärker hervortreten. Wir werden dadurch auch zu sehen in den Stand gesetzt, welchen relativen Einfluß Gewöhnung und die Züchtung sogenannter spontaner Abweichungen auf die Abänderungen der Geistesfähigkeiten unserer Hausthiere ausgeübt haben. Es ist notorisch, wie sehr domesticirte Thiere in ihren geistigen Eigenschaften abändern. Unter den Katzen z. B. geht die eine von Natur darauf aus, Ratten zu fangen, eine andere Mäuse; und man weiß, daß diese Neigungen vererbt werden. Nach St. John [293] brachte die eine Katze immer Jagdvögel nach Hause, eine andere Hasen oder Kaninchen, und eine andere jagte auf Marschboden und fieng fast allnächtlich Haselhühner oder Schnepfen. Es läßt sich eine Anzahl merkwürdiger und verbürgter Beispiele anführen von der Vererblichkeit verschiedener Abschattungen der Gemüthsart, des Geschmacks oder der sonderbarsten Einfälle in Verbindung mit gewissen geistigen Zuständen oder mit gewissen periodischen Bedingungen. Bekannte Belege dafür liefern uns die verschiedenen Hunderassen. So unterliegt es keinem Zweifel (und ich habe selbst einen schlagenden Fall der Art gesehen), daß junge Vorstehehunde zuweilen stellen und selbst andere Hunde zum Stellen bringen, wenn sie das erstemal mit hinausgenommen werden. So ist das Apportiren der Wasserhunde gewiß oft ererbt, wie junge Schäferhunde geneigt sind, die Heerde zu umkreisen statt auf sie los zu laufen. Ich kann nicht einsehen, daß diese Handlungen wesentlich von Äußerungen wirklichen Instinctes verschieden wären; denn die jungen Hunde handeln ohne Erfahrung, ein Individuum fast wie das andere in derselben Rasse, mit demselben entzückten Eifer und ohne den Zweck zu kennen. Denn der junge Vorstehehund weiß noch eben so wenig, daß er durch sein Stellen den Absichten seines Herren dient, als der Kohlschmetterling weiß, warum er seine Eier auf ein Kohlblatt legt. Wenn wir eine Art Wolf sähen, welcher noch jung und ohne Abrichtung bei Witterung seiner Beute bewegungslos wie eine Bildsäule stehen bliebe und dann mit eigenthümlicher Haltung langsam auf sie hinschliche, oder eine andere Art Wolf, welche statt auf ein Rudel Hirsche zuzuspringen, dasselbe umkreiste und so nach einem entfernten Punkte triebe, so würden wir dieses Verhalten gewiß dem Instincte zuschreiben. Domesticirte Instincte, wie man sie nennen könnte, sind gewiß viel weniger fest fixirt als die natürlichen; es hat aber auch eine viel minder strenge Zuchtwahl auf sie eingewirkt und sie sind eine bei weitem kürzere Zeit hindurch unter minder steten Lebensbedingungen vererbt worden.
Wie streng diese domesticirten Instincte, Gewohnheiten und Neigungen vererbt werden und wie wunderbar sie sich zuweilen mischen, zeigt sich ganz wohl, wenn verschiedene Hunderassen mit einander gekreuzt werden. So ist eine Kreuzung mit Bullenbeißern auf viele Generationen hinaus auf den Muth und die Beharrlichkeit des Windhundes von Einfluß gewesen, und eine Kreuzung mit dem Windhunde [294] hat auf eine ganze Familie von Schäferhunden die Neigung übertragen Hasen zu verfolgen. Diese domesticirten Instincte, auf solche Art durch Kreuzung erprobt, gleichen natürlichen Instincten, welche sich in ähnlicher Weise sonderbar mit einander verbinden, so daß sich auf lange Zeit hinaus Spuren des Instinctes beider Eltern erhalten. So beschreibt Le Roy einen Hund, dessen Urgroßvater ein Wolf war; dieser Hund verrieth die Spuren seiner wilden Abstammung nur auf eine Weise, indem er nämlich, wenn er von seinem Herrn gerufen wurde, nie in gerader Richtung auf ihn zukam.
Domesticirte Instincte werden zuweilen als Handlungen bezeichnet, welche bloß durch eine langfortgesetzte und erzwungene Gewohnheit erblich werden; dies ist aber nicht richtig. Gewiß hat niemals jemand daran gedacht oder versucht, der Purzeltaube das Purzeln zu lehren, was, wie ich selbst erlebt habe, auch schon junge Tauben thun, welche nie andere purzeln gesehen haben. Man kann sich denken, daß einmal eine einzelne Taube Neigung zu dieser sonderbaren Bewegungsweise gezeigt habe und daß dann in Folge sorgfältiger und langfortgesetzter Zuchtwahl der besten Individuen in aufeinanderfolgenden Generationen die Purzler allmählich das geworden sind, was sie jetzt sind; und wie ich von Herrn Brent erfahre, gibt es bei Glasgow Hauspurzler, welche nicht dreiviertel Ellen weit fliegen können, ohne sich einmal kopfüber zu bewegen. Ebenso ist es zu bezweifeln, ob jemals irgend Jemand daran gedacht habe, einen Hund zum Vorstehen abzurichten, hätte nicht etwa ein individueller Hund von selbst eine Neigung verrathen, es zu thun, und man weiß, daß dies zuweilen vorkommt, wie ich es selbst einmal an einem ächten Pinscher beobachtete; das „Stellen“ ist wahrscheinlich, wie Manche gedacht haben, nur eine verstärkte Pause eines Thieres, das sich in Bereitschaft setzt, auf seine Beute einzuspringen. Hatte sich ein erster Anfang des Stellens einmal gezeigt, so mögen methodische Zuchtwahl und die erbliche Wirkung zwangsweiser Abrichtung in jeder nachfolgenden Generation das Werk bald vollendet haben; und unbewußte Zuchtwahl ist noch immer in Thätigkeit, da jedermann, wenn auch ohne die Absicht eine verbesserte Rasse zu bilden, sich gern die Hunde verschafft, welche am besten vorstehen und jagen. Andrerseits hat auch Gewohnheit allein in einigen Fällen genügt. Kaum irgend ein Thier ist schwerer zu zähmen als das Junge des wilden Kaninchens, und kaum ein Thier zahmer als das Junge des zahmen Kaninchens; und doch kann [295] ich kaum glauben, daß die Hauskaninchen nur der Zahmheit wegen gezüchtet worden sind; wir müssen daher wenigstens zum größeren Theile die erbliche Veränderung von äußerster Wildheit bis zur äußersten Zahmheit der Gewohnheit und lange fortgesetzten engen Gefangenschaft zuschreiben.
Natürliche Instincte gehen im domesticirten Zustande verloren; ein merkwürdiges Beispiel davon sieht man bei denjenigen Geflügelrassen, welche selten oder nie brütig werden; d. h. welche nie eine Neigung zum Sitzen auf ihren Eiern zeigen. Nur die tägliche Gewöhnung verhindert uns zu sehen, in wie hohem Grade und wie beständig die geistigen Fähigkeiten unserer Hausthiere durch Zähmung verändert worden sind. Es ist kaum möglich daran zu zweifeln, daß die Liebe zum Menschen beim Hund instinctiv geworden ist. Alle Wölfe, Füchse, Schakals und Katzenarten sind, wenn man sie gezähmt hält, sehr begierig Geflügel, Schafe und Schweine anzugreifen, und dieselbe Neigung hat sich bei solchen Hunden unheilbar gezeigt, welche man jung aus Gegenden zu uns gebracht hat, wo wie im Feuerlande und in Australien die Wilden jene Hausthiere nicht halten. Und wie selten ist es auf der andern Seite nöthig, unseren civilisirten Hunden, selbst wenn sie noch jung sind, die Angriffe auf jene Thiere abzugewöhnen. Ohne Zweifel machen sie manchmal einen solchen Angriff und werden dann geschlagen und, wenn das nicht hilft, endlich weggeschafft, – so daß Gewohnheit und wahrscheinlich einige Zuchtwahl zusammengewirkt haben, unseren Hunden ihre erbliche Civilisation beizubringen. Andererseits haben junge Hühnchen, ganz in Folge von Gewöhnung, die Furcht vor Hunden und Katzen verloren, welche sie zweifelsohne nach ihrem ursprünglichen Instincte besaßen; denn ich erfahre von Capt. Hutton, daß die jungen Küchlein der Stammform Gallus bankiva, wenn sie auch von einer gewöhnlichen Henne in Indien ausgebrütet worden, anfangs außerordentlich wild sind. Dasselbe ist auch mit den jungen Fasanen aus Eiern, die man in England von einem Haushuhn hat ausbrüten lassen, der Fall. Und doch haben die Hühnchen keineswegs alle Furcht verloren, sondern nur die Furcht vor Hunden und Katzen; denn sobald die Henne ihnen durch Glucken eine Gefahr anmeldet, laufen alle (zumal junge Truthühner) unter ihr hervor, um sich im Grase und Dickicht umher zu verbergen, offenbar in der instinctiven Absicht, wie wir bei wilden Bodenvögeln sehen, es ihrer Mutter möglich zu machen davon zu fliegen. Freilich ist [296] dieser bei unseren jungen Hühnchen zurückgebliebene Instinct im gezähmten Zustande ganz nutzlos geworden, weil die Mutterhenne das Flugvermögen durch Nichtgebrauch gewöhnlich fast eingebüßt hat.
Es läßt sich nun hieraus schließen, daß im Zustande der Domestication Instincte erworben worden und natürliche Instincte verloren gegangen sind, theils durch eigene Gewohnheit und theils durch die Einwirkung des Menschen, welcher viele aufeinanderfolgende Generationen hindurch eigenthümliche geistige Neigungen und Fähigkeiten, die uns in unserer Unwissenheit anfangs nur ein sogenannter Zufall geschienen, durch Zuchtwahl gehäuft und gesteigert hat. In einigen Fällen hat erzwungene Gewöhnung genügt, um solche erbliche Veränderungen geistiger Eigenschaften zu bewirken; in anderen ist durch Zwangszucht nichts ausgerichtet worden und Alles ist nur das Resultat der Zuchtwahl, sowohl unbewußter als methodischer, gewesen; in den meisten Fällen aber haben Gewohnheit und Zuchtwahl wahrscheinlich zusammengewirkt.
Nähere Betrachtung einiger wenigen Beispiele wird vielleicht am besten geeignet sein es begreiflich zu machen, wie Instincte im Naturzustande durch Zuchtwahl modificirt worden sind. Ich will nur drei Fälle hervorheben, nämlich den Instinct, welcher den Kuckuck treibt, seine Eier in fremde Nester zu legen, den Instinct gewisser Ameisen Sclaven zu machen, und den Zellenbautrieb der Honigbienen; die zwei zuletzt genannten sind von den Naturforschern wohl mit Recht als die zwei wunderbarsten aller bekannten Instincte bezeichnet worden.
Instincte des Kuckucks. Einige Naturforscher nehmen an, die unmittelbare und Grundursache für den Instinct des Kuckucks seine Eier in fremde Nester zu legen beruhe darin, daß er dieselben nicht täglich, sondern in Zwischenräumen von zwei oder drei Tagen lege, so daß, wenn der Kuckuck sein eigenes Nest zu bauen und auf seinen eigenen Eiern zu sitzen hätte, die erst gelegten Eier entweder eine Zeitlang unbebrütet bleiben oder Eier und junge Vögel von verschiedenem Alter im nämlichen Neste zusammenkommen müßten. Wäre dies der Fall, so müßten allerdings die Processe des Legens und Ausschlüpfens unzweckmäßig lang währen, besonders da der [297] Kuckuck sehr früh seine Wanderung antritt, und die zuerst ausgeschlüpften jungen Vögel würden wahrscheinlich vom Männchen allein aufgefüttert werden. Allein der americanische Kuckuck findet sich in dieser Lage; denn er baut sich sein eigenes Nest, legt seine Eier hinein und hat gleichzeitig Eier und successiv ausgebrütete Junge. Man hat es sowohl behauptet, als auch geleugnet, daß auch der americanische Kuckuck zuweilen seine Eier in fremde Nester lege; ich habe aber kürzlich von Dr. Merrell, aus Jowa, gehört, daß er einmal in Illinois einen jungen Kuckuck mit einem jungen Heher in dem Neste eines Blauhehers (Garrulus cristatus) gefunden habe; und da sie beide fast vollständig befiedert waren, konnte in ihrer Bestimmung kein Irrthum vorfallen. Ich könnte auch noch mehrere andere Beispiele von Vögeln anführen, von denen man weiß, daß sie ihre Eier gelegentlich in fremde Nester legen. Nehmen wir nun an, der alte Stammvater unseres europäischen Kuckucks habe die Gewohnheiten des americanischen gehabt und zuweilen ein Ei in das Nest eines andern Vogels gelegt. Wenn der alte Vogel von diesem gelegentlichen Brauche darin Vortheil hatte, daß er früher wandern konnte oder in irgend einer anderen Weise, oder wenn der junge durch einen aus dem irrthümlich angenommenen Instinct einer anderen Art fließenden Vortheil kräftiger wurde, als er unter der Sorge seiner eigenen Mutter geworden sein würde, weil diese mit der gleichzeitigen Sorge für Eier und Junge von verschiedenem Alter überladen gewesen wäre; so gewannen entweder die alten Vögel oder die auf fremde Kosten gepflegten Jungen dabei. Der Analogie nach möchte ich dann glauben, daß in Folge der Erblichkeit das so aufgeäzte Junge mehr geneigt sei, der zufälligen und abweichenden Handlungsweise seiner Mutter zu folgen, und auch seinerseits nun die Eier in fremde Nester zu legen und so erfolgreicher im Erziehen seiner Brut zu sein. Durch einen fortgesetzten Proceß dieser Art wird nach meiner Meinung der wunderliche Instinct des Kuckucks entstanden sein. Es ist auch neuerdings von Adolf Müller nach genügenden Beweisen behauptet worden, daß der Kuckuck gelegentlich seine Eier auf den nackten Boden legt, sie ausbrütet und seine Jungen füttert; dies seltene und merkwürdige Ereignis ist wahrscheinlich ein Rückschlag auf den lange verloren gegangenen, ursprünglichen Instinct der Nidification.
Es ist mir eingehalten worden, ich habe andere verwandte Instincte und Anpassungserscheinungen beim Kuckuck, von denen man [298] als nothwendig coordinirt spricht, nicht erwähnt. In allen Fällen ist aber Speculation über irgend einen, uns nur in einer einzigen Species bekannten Instinct nutzlos, denn wir haben keine uns leitenden Thatsachen. Bis ganz vor Kurzem kannte man nur die Instincte des europäischen und des nicht parasitischen americanischen Kuckucks; Dank den Beobachtungen E. Ramsay’s wissen wir jetzt etwas über die drei australischen Arten, welche ihre Eier in fremde Nester legen. Drei Hauptpunkte kommen hier in Betracht: erstens legt der gemeine Kuckuck mit seltenen Ausnahmen nur ein Ei in ein Nest, so daß der junge große und gefräßige Vogel reichliche Nahrung erhält. Zweitens ist das Ei so merkwürdig klein, daß es nicht größer als das Ei einer Lerche, eines viermal kleineren Vogels als der Kuckuck ist. Daß die geringe Größe des Eies ein wirklicher Fall von Adaptation ist, können wir aus der Thatsache entnehmen, daß der nicht parasitische americanische Kuckuck seiner Größe entsprechende Eier legt. Drittens und letztens hat der junge Kuckuck bald nach der Geburt schon den Instinct, die Kraft und einen passend geformten Schnabel, um seine Pflegegeschwister aus dem Neste zu werfen, die dann vor Kälte und Hunger umkommen. Man hat nun kühner Weise behauptet, dies sei wohlwollend eingerichtet, damit der junge Kuckuck hinreichende Nahrung erhalte und daß seine Pflegegeschwister umkommen, ehe sie viel Gefühl erlangt haben!
Wenden wir uns nun zu den australischen Arten: obgleich diese Vögel allgemein nur ein Ei in ein Nest legen, so findet man doch nicht selten zwei und selbst drei Eier derselben Kuckucksart in demselben Neste. Beim Bronzekuckuck variiren die Eier bedeutend in Größe von acht bis zehn Linien Länge. Wenn es nun für diese Art von irgend welchem Vortheil gewesen wäre, selbst noch kleinere Eier gelegt zu haben, als sie jetzt thut, so daß gewisse Pflegeeltern leichter zu täuschen wären, oder, was noch wahrscheinlicher wäre, daß sie schneller ausgebrütet würden (denn man hat angegeben, daß zwischen der Größe der Eier und der Incubationsdauer ein bestimmtes Verhältnis bestehe), dann ist es nicht schwer zu glauben, daß sich eine Rasse oder Art gebildet haben könne, welche immer kleinere und kleinere Eier legte; denn diese würden sicherer ausgebrütet und aufgezogen werden. Ramsay bemerkt von zwei der australischen Kuckucke, daß, wenn sie ihre Eier in ein offenes und nicht gewölbtes Nest legen, sie einen entschiedenen Vorzug für Nester zu erkennen geben, [299] welche den ihrigen in der Färbung ähnliche Eier enthalten. Die europäische Art zeigt sicher Neigung zu einem ähnlichen Instinct, weicht aber nicht selten davon ab, wie zu sehen ist, wenn sie ihre matt und blaß gefärbten Eier in das Nest des Graukehlchens (Accentor) mit seinem hellen grünlich-blauen Eiern legt: hätte unser Kuckuck unveränderlich den obengenannten Instinct gezeigt, so müßte dieser ganz sicher denen beigezählt werden, welche, wie anzunehmen ist, alle auf einmal erworben sein müssen. Die Eier des australischen Bronzekuckucks variiren nach Ramsay außerordentlich in der Farbe, so daß in Rücksicht hierauf wie auf die Größe natürliche Zuchtwahl sicher irgend eine vortheilhafte Abänderung gesichert und fixirt haben könnte.
Was den europäischen Kuckuck betrifft, so werden die Jungen der Pflegeeltern gewöhnlich drei Tage nach dem Ausschlüpfen des Kuckucks aus dem Neste geworfen; und da der letztere in diesem Alter sich in äußerst hülflosem Zustande befindet, so war Mr. Gould früher zu der Annahme geneigt, daß der Act des Hinauswerfens von den Pflegeeltern selbst besorgt würde. Er hat aber jetzt eine zuverlässige Schilderung eines jungen Kuckucks erhalten, welcher, während er noch blind und nicht einmal seinen eigenen Kopf aufrecht zu halten im Stande war, factisch in dem Momente beobachtet wurde, wo er seine Pflegegeschwister aus dem Neste warf. Eins derselben wurde von dem Beobachter wieder in das Nest zurückgebracht und wurde von Neuem hinausgeworfen. Ist es nun, wie es wahrscheinlich der Fall ist, für den jungen Kuckuck von großer Bedeutung gewesen, während der ersten Tage nach der Geburt so viel Nahrung als möglich erhalten zu haben, so kann ich in Bezug auf die Mittel, durch welche jener fremdartige und widerwärtige Instinct erlangt worden ist, insofern keine Schwierigkeit finden, als er durch aufeinander folgende Generationen allmählich den blinden Trieb, die nöthige Kraft und den geeignetsten Bau erlangt hat, seine Pflegegeschwister hinauszuwerfen; denn diejenigen unter den jungen Kuckucken, welche diese Gewohnheit und diesen Bau am besten entwickelt besaßen, werden die best ernährten und am sichersten aufgebrachten gewesen sein. Der erste Schritt zu der Erlangung des richtigen Instincts dürfte bloß unbeabsichtigte Unruhe seitens des jungen Vogels gewesen sein, sobald er im Alter und in der Kraft etwas fortgeschritten war; die Gewohnheit wird später verbessert und auf ein früheres Alter überliefert worden sein. Ich sehe [300] hierin keine größere Schwierigkeit als darin, daß die noch nicht ausgeschlüpften Jungen anderer Vögel den Instinct erhalten, ihre eigene Eischale zu durchbrechen; oder daß die jungen Schlangen am Oberkiefer, wie Owen bemerkt hat, einen vorübergehenden scharfen Zahn zum Durchschneiden der zähen Eischale erhalten. Denn wenn jeder Theil zu allen Zeiten individuellen Abänderungen unterliegen kann und die Abänderungen im entsprechenden oder früheren Alter vererbt zu werden neigen – Annahmen, welche nicht bestritten werden können –, dann kann sowohl der Instinct als der Bau des Jungen eben so sicher wie der des Erwachsenen langsam modificirt werden, und beide Fälle stehen und fallen zusammen mit der großen Theorie der natürlichen Zuchtwahl.
Einige Species von Molothrus, einer ganz verschiedenen Gattung americanischer Vögel, welche mit unsern Staaren verwandt sind, haben parasitische Gewohnheiten, wie die des Kuckucks; und die Arten bieten eine interessante Stufenreihe in der Vervollkommnung ihrer Instincte dar. Wie ein ausgezeichneter Beobachter, Mr. Hudson angibt, leben die Geschlechter des Molothrus badius zuweilen in Heerden ganz willkürlich durcheinander, zuweilen paaren sie sich. Entweder bauen sie sich ihr eigenes Nest, oder sie nehmen eines, was irgend einem anderen Vogel gehört, und werfen die Nestlinge des Fremden hinaus. Sie legen ihre Eier entweder in das in ihrer Weise angeeignete Nest oder bauen sich wunderbar genug ein solches für sich auf jenes oben darauf. Sie brüten gewöhnlich ihre eigenen Eier selbst und ziehen ihre eigenen Jungen auf. Aber Mr. Hudson hält es für wahrscheinlich, daß sie gelegentlich parasitisch leben; denn er hat gesehen, wie die Jungen dieser Species alten Vögeln einer verschiedenen Art nachfolgten und sie um Nahrung anriefen. Die parasitischen Gewohnheiten einer andern Species von Molothrus, des M. bonariensis, sind viel höher entwickelt als die der ersteren, sind aber bei weitem noch nicht vollkommen. So weit es bekannt ist, legt dieser Vogel seine Eier unveränderlich in die Nester Fremder; es ist aber merkwürdig, daß zuweilen mehrere von ihnen zusammen anfangen, ein unregelmäßiges, unordentliches eigenes Nest an eigenthümlich schlecht passender Örtlichkeit zu bauen, wie auf den Blättern einer großen Distel. Indeß vollenden sie, soweit es Mr. Hudson ermittelt hat, niemals ein Nest für sich selbst. Sie legen häufig so viele Eier – von fünfzehn bis zwanzig – in ein und dasselbe fremde Nest, daß nur wenig oder gar keine ausgebrütet werden können. Überdies haben sie die außerordentliche Gewohnheit, [301] Löcher in die Eier zu picken, mögen es Eier ihrer eigenen Species oder solche ihrer Pflegeeltern sein, die sie in den angeeigneten Nestern finden. Sie lassen auch viele Eier auf den nackten Boden fallen, welche demzufolge verwüstet werden. Eine dritte Art, der Molothrus pecoris, in Nord-America, hat vollkommen die Instincte des Kuckucks erlangt, denn er legt niemals mehr als ein Ei in ein Pflegenest, so daß der junge Vogel sicher aufgezogen wird. Mr. Hudson ist entschieden ungläubig der Entwickelungstheorie gegenüber; er scheint aber durch die unvollkommenen Instincte des Molothrus bonariensis so sehr frappirt worden zu sein, daß er meine Worte citirt und fragt: „Müssen wir nicht diese Gewohnheiten nicht etwa als specielle Begabungen oder anerschaffene Instincte, sondern vielmehr als kleine Folgen eines allgemeinen Gesetzes, nämlich des Übergangs, betrachten!“
Verschiedene Vögel legen, wie bereits bemerkt wurde, gelegentlich ihre Eier in fremder Vögel Nester. Dieser Brauch ist unter den hühnerartigen Vögeln nicht ganz ungewöhnlich, und wirft etwas Licht auf die Entstehung des gewöhnlichen Instinctes der straußartigen Vögel. Mehrere Straußhennen vereinigen sich hier und legen zuerst einige wenige Eier in ein Nest und dann in ein anderes; und diese werden von den Männchen ausgebrütet. Man wird zur Erklärung dieser Gewohnheiten wahrscheinlich die Thatsache mit in Betracht ziehen können, daß diese Hennen eine große Anzahl von Eiern und zwar wie beim Kuckuck in Zwischenräumen von zwei bis drei Tagen legen. Jedoch ist dieser Instinct beim americanischen Strauße wie bei dem Molothrus bonariensis noch nicht vollkommen entwickelt; denn es liegt dort auch noch eine so erstaunliche Menge von Eiern über die Ebene zerstreut, daß ich auf der Jagd an einem Tage nicht weniger als zwanzig verlassene und verdorbene Eier aufzusammeln im Stande war.
Manche Bienen schmarotzen und legen ihre Eier regelmäßig in Nester anderer Bienenarten. Dies ist noch merkwürdiger als beim Kuckuck; denn diese Bienen haben nicht allein ihren Instinct, sondern auch ihren Bau in Übereinstimmung mit ihrer parasitischen Lebensweise geändert; sie besitzen nämlich die Vorrichtung zur Einsammlung des Pollens nicht, deren sie unumgänglich bedürften, wenn sie Nahrung für ihre eigene Brut vorräthig aufhäufen müßten. Einige Arten von Sphegiden (wespenartigen Insecten) schmarotzen bei andern Arten, und Fabre hat kürzlich Gründe nachgewiesen, zu glauben, [302] daß, obwohl Tachytes nigra gewöhnlich ihre eigene Höhle macht und darin noch lebende oder gelähmte Beute zur Nahrung ihrer eigenen Larven in Vorrath niederlegt, dieselbe doch, wenn sie eine schon fertige und mit Vorräthen versehene Höhle einer andern Sphex findet, davon Besitz ergreift und für diesen Fall Parasit wird. In diesem Falle, wie bei dem Molothrus und dem Kuckuck, sehe ich keine Schwierigkeit, daß die natürliche Zuchtwahl aus dem gelegentlichen Brauche einen beständigen machen könnte, wenn er für die Art nützlich ist und wenn nicht in Folge dessen die andere Insectenart, deren Nest und Futtervorräthe sie sich räuberischer Weise aneignet, dadurch vertilgt wird.
Instinct Sclaven zu machen. Dieser merkwürdige Instinct wurde zuerst bei Formica (Polyerges) rufescens von Pierre Huber beobachtet, einem noch besseren Beobachter als sein berühmter Vater gewesen war. Diese Ameise ist unbedingt von ihren Sclaven abhängig; ohne deren Hülfe würde die Art sicherlich schon in einem Jahre gänzlich zu Grunde gehen. Die Männchen und fruchtbaren Weibchen arbeiten durchaus nicht. Die arbeitenden oder unfruchtbaren Weibchen dagegen, obgleich sehr muthig und thatkräftig beim Sclavenfangen, thun nichts anderes. Sie sind unfähig, ihre eigenen Nester zu machen oder ihre eigenen Larven zu füttern. Wenn das alte Nest unpassend befunden und eine Auswanderung nöthig wird, entscheiden die Sclaven darüber und schleppen dann ihre Herren zwischen den Kinnladen fort. Diese letztern sind so äußerst hülflos, daß, als Huber deren dreißig ohne Sclaven, aber mit einer reichlichen Menge des von ihnen am meisten geliebten Futters und zugleich mit ihren Larven und Puppen, um sie zur Thätigkeit anzuspornen, zusammensperrte, sie nichts thaten; sie konnten nicht einmal sich selbst füttern und starben großentheils Hungers. Huber brachte dann einen einzigen Sclaven (Formica fusca) dazu, der sich unverzüglich an’s Werk machte, die Larven pflegte und Alles in Ordnung brachte. Was kann es Außerordentlicheres geben, als diese wohlverbürgten Thatsachen? Hätte man nicht noch von einigen andern sclavenmachenden Ameisen Kenntniß, so würde es ein hoffnungsloser Versuch gewesen sein, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie ein so wunderbarer Instinct zu solcher Vollkommenheit gedeihen könne.
Eine andere Ameisenart, Formica sanguinea, wurde gleichfalls [303] zuerst von Huber als Sclavenmacherin erkannt. Sie kömmt im südlichen Theile von England vor, wo ihre Gewohnheiten von F. Smith vom Britischen Museum beobachtet worden sind, dem ich für seine Mittheilungen über diese und andere Gegenstände sehr verbunden bin. Wenn auch volles Vertrauen in die Versicherungen der zwei genannten Naturforscher setzend, vermochte ich doch nicht ohne einigen Zweifel an die Sache zu gehen, und es mag wohl zu entschuldigen sein, wenn Jemand an einen so außerordentlichen Instinct, wie der ist, Sclaven zu machen, nicht unmittelbar glauben kann. Ich will daher dasjenige, was ich selbst beobachtete habe, mit einigen Einzelnheiten erzählen. Ich öffnete vierzehn Nesthaufen der Formica sanguinea und fand in allen einzelne Sclaven. Männchen und fruchtbare Weibchen der Sclavenart (F. fusca) kommen nur in ihrer eigenen Gemeinde vor und sind nie in den Haufen der F. sanguinea gefunden worden. Die Sclaven sind schwarz und von nicht mehr als der halben Größe ihrer rothen Herren, so daß der Gegensatz in ihrer Erscheinung sogleich auffällt. Wird der Haufe nur wenig gestört, so kommen die Sclaven zuweilen heraus und zeigen sich gleich ihren Meistern sehr beunruhigt und zur Vertheidigung bereit. Wird aber der Haufe so zerrüttet, daß Larven und Puppen frei zu liegen kommen, so sind die Sclaven mit ihren Herren zugleich lebhaft bemüht, dieselben nach einem sichern Platze fort zu schleppen. Daraus ist klar, daß sich die Sclaven ganz heimisch fühlen. Während der Monate Juni und Juli habe ich in drei aufeinanderfolgenden Jahren in den Grafschaften Surrey und Sussex mehrere solcher Ameisenhaufen stundenlang beobachtet und nie einen Sclaven aus- oder eingehen sehen. Da während dieser Monate der Sclaven nur wenige sind, so dachte ich, sie würden sich anders benehmen, wenn sie in größerer Anzahl vorhanden wären; aber auch Hr. Smith theilt mir mit, daß er die Nester zu verschiedenen Stunden während der Monate Mai, Juni und August in Surrey wie in Hampshire beobachtet und, obwohl die Sclaven im August zahlreich sind, nie einen derselben aus- oder eingehen gesehen hat. Er betrachtet sie daher lediglich als Haussclaven. Dagegen sieht man ihre Herren beständig Nestbaustoffe und Futter aller Art herbeischleppen. Im Jahre 1860 jedoch traf ich im Juli eine Gemeinde an mit einem ungewöhnlich starken Sclavenstande und sah einige wenige Sclaven unter ihre Herren gemengt, das Nest verlassen und mit ihnen den nämlichen Weg zu einer hohen [304] Kiefer, fünfundzwanzig Yards entfernt, einschlagen und am Stamm hinauflaufen, wahrscheinlich um nach Blatt- oder Schildläusen zu suchen. Nach Huber, welcher reichliche Gelegenheit zur Beobachtung gehabt hat, arbeiten in der Schweiz die Sclaven gewöhnlich mit ihren Herren zusammen an der Aufführung des Nestes, aber sie allein öffnen und schließen die Thore in den Morgen- und Abendstunden; jedoch ist, wie Huber ausdrücklich versichert, ihr Hauptgeschäft, nach Blattläusen zu suchen. Dieser Unterschied in den herrschenden Gewohnheiten von Herren und Sclaven in zweierlei Gegenden dürfte wahrscheinlich lediglich davon abhängen, daß in der Schweiz die Sclaven zahlreicher gefangen werden als in England.
Eines Tages bemerkte ich glücklicher Weise eine Wanderung von F. sanguinea von einem Nesthaufen zum andern, und es war ein sehr interessanter Anblick, wie die Herren ihre Sclaven sorgfältig zwischen ihren Kinnladen davon schleppten, anstatt selbst von ihnen getragen zu werden, wie es bei F. rufescens der Fall ist. Eines andern Tages wurde meine Aufmerksamkeit von etwa zwei Dutzend Ameisen der sclavenmachenden Art in Anspruch genommen, welche dieselbe Stelle durchstreiften, doch offenbar nicht des Futters wegen. Sie näherten sich einer unabhängigen Colonie der sclavengebenden Art, F. fusca, wurden aber kräftig zurückgetrieben, so daß zuweilen bis drei dieser letzten an den Beinen einer F. sanguinea hiengen. Diese letzte tödtete ihre kleineren Gegner ohne Erbarmen und schleppte deren Leichen als Nahrung in ihr neunundzwanzig Yards entferntes Nest; aber sie wurde verhindert, Puppen aufzunehmen, um sie zu Sclaven aufzuziehen. Ich entnahm dann aus einem andern Haufen der F. fusca eine geringe Anzahl Puppen und legte sie auf eine kahle Stelle nächst dem Kampfplatz nieder. Diese wurden begierig von den Tyrannen ergriffen und fortgetragen, die sich vielleicht einbildeten, doch endlich Sieger in dem letzten Kampfe gewesen zu sein.
Gleichzeitig legte ich an derselben Stelle eine Parthie Puppen einer andern Art, der Formica flava, mit einigen wenigen Ameisen dieser gelben Art nieder, welche noch an Bruchstücken ihres Nestes hiengen. Auch diese Art wird zuweilen, doch selten zu Sclaven gemacht, wie Smith beschrieben hat. Obwohl so klein, so ist diese Art doch sehr muthig, und ich habe sie mit wildem Ungestüm andere Ameisen angreifen sehen. Einmal fand ich zu meinem Erstaunen unter einem Steine eine unabhängige Colonie der Formica flava noch [305] unterhalb eines Nestes der sclavenmachenden F. sanguinea; und da ich zufällig beide Nester zerstört hatte, so griff die kleine Art ihre große Nachbarin mit erstaunlichem Muthe an. Ich war nun neugierig, zu erfahren, ob F. sanguinea im Stande sei, die Puppen der F. fusca, welche sie gewöhnlich zur Sclavenzucht verwendet, von denen der kleinen wüthenden F. flava zu unterscheiden, welche sie nur selten in Gefangenschaft führt, und es ergab sich bald, daß sie dies sofort unterschied; denn ich sah sie begierig und augenblicklich über die Puppen der F. fusca herfallen, während sie sehr erschrocken schienen, wenn sie auf die Puppen oder auch nur auf die Erde aus dem Neste der F. flava stießen, und rasch davon rannten. Aber nach einer Viertelstunde etwa, kurz nachdem alle kleinen gelben Ameisen fortgekrochen waren, bekamen sie Muth und führten auch diese Puppen fort.
Eines Abends besuchte ich eine andere Colonie der F. sanguinea und fand eine Anzahl derselben auf dem Heimwege und beim Eingang in ihr Nest, Leichen und viele Puppen der F. fusca mit sich schleppend, also nicht auf einer Wanderung begriffen. Ich verfolgte eine ungefähr vierzig Yards lange Reihe mit Beute beladener Ameisen bis zu einem dichten Haidegebüsch, wo ich das letzte Individuum der F. sanguinea mit einer Puppe belastet herauskommen sah; aber das verlassene Nest konnte ich in der dichten Haide nicht finden, obwohl es nicht mehr fern gewesen sein kann; denn zwei oder drei Individuen der F. fusca rannten in der größten Aufregung umher und eines stand bewegungslos auf der Spitze eines Haidezweiges mit ihrer eigenen Puppe im Maul, ein Bild der Verzweiflung über ihre verwüstete Heimath.
Dies sind die Thatsachen, welche ich, obwohl sie meiner Bestätigung nicht erst bedurft hätten, über den wundersamen sclavenmachenden Instinct berichten kann. Zuerst ist der große Gegensatz zwischen den instinctiven Gewohnheiten der F. sanguinea und der continentalen F. rufescens zu bemerken. Diese letzte baut nicht selbst ihr Nest, bestimmt nicht ihre eigenen Wanderungen, sammelt nicht das Futter für sich und ihre Brut und kann nicht einmal allein fressen; sie ist absolut abhängig von ihren zahlreichen Sclaven. Die Formica sanguinea dagegen hält viel weniger und zumal im ersten Theile des Sommers äußerst wenige Sclaven; die Herren bestimmen, wann und wo ein neues Nest gebaut werden soll; und wenn sie wandern, [306] schleppen die Herren die Sclaven. In der Schweiz wie in England scheinen die Sclaven ausschließlich mit der Sorge für die Larven beauftragt zu sein, und die Herren allein gehen auf den Sclavenfang aus. In der Schweiz arbeiten Herren und Sclaven mit einander, um Nestbaumaterial herbeizuschaffen; beide, aber vorzugsweise die Sclaven, besuchen und melken, wie man es nennen könnte, ihre Aphiden, und so sammeln beide Nahrung für die Colonie ein. In England verlassen allein die Herren gewöhnlich das Nest, um Baustoffe und Futter für sich, ihre Larven und Sclaven ansusammeln, so daß dieselben hier von ihren Sclaven viel weniger Dienste empfangen als in der Schweiz.
Ich will mich nicht vermessen zu errathen, auf welchem Wege der Instinct der F. sanguinea sich entwickelt hat. Da jedoch Ameisen, welche keine Sclavenmacher sind, wie wir gesehen haben, zufällig um ihr Nest zerstreute Puppen anderer Arten heimschleppen, so ist es möglich, daß sich solche, vielleicht zur Nahrung aufgespeicherte Puppen dort auch noch zuweilen entwickeln, und die auf solche Weise absichtslos im Hause erzogenen Fremdlinge mögen dann ihren eigenen Instincten folgen und das thun, was sie können. Erweiset sich ihre Anwesenheit nützlich für die Art, welche sie aufgenommen hat, und sagt es dieser letzten mehr zu, Arbeiter zu fangen als zu erzeugen, so kann der ursprünglich zufällige Brauch, fremde Puppen zur Nahrung einzusammeln, durch natürliche Zuchtwahl verstärkt und endlich zu dem ganz verschiedenen Zwecke, Sclaven zu erziehen, bleibend befestigt werden. Wenn dieser Instinct einmal vorhanden, aber in einem noch viel minderen Grade als bei unserer F. sanguinea entwickelt war, welche noch jetzt, wie wir gesehen haben, von ihren Sclaven weniger Hülfe in England als in der Schweiz empfängt, so kann natürliche Zuchtwahl dann diesen Instinct verstärkt und, immer vorausgesetzt, daß jede Abänderung der Species nützlich gewesen sei, allmählich so weit abgeändert haben, daß endlich eine Ameisenart in so verächtlicher Abhängigkeit von ihren eigenen Sclaven entstand, wie es F. rufescens ist.
Zellenbauinstinct der Korbbienen. Ich beabsichtige nicht, über diesen Gegenstand in kleine Einzelnheiten einzugehen, sondern will mich darauf beschränken, eine Skizze von den Folgerungen zu geben, zu welchen ich gelangt bin. Es muß ein beschränkter Mensch sein, welcher bei Untersuchung des ausgezeichneten Baues einer Bienenwabe, [307] die ihrem Zwecke so wundersam angepaßt ist, nicht in begeisterte Verwunderung geriethe. Wir hören von Mathematikern, daß die Bienen praktisch ein schwieriges Problem gelöst und ihre Zellen in derjenigen Form, welche die größtmögliche Menge von Honig aufnehmen kann, mit dem geringstmöglichen Aufwand des kostspieligen Baumaterials, des Wachses nämlich, hergestellt haben. Man hat bemerkt, daß es einem geschickten Arbeiter mit passenden Maßen und Werkzeugen sehr schwer fallen würde, regelmäßige sechseckige Wachszellen zu machen, obwohl dies eine wimmelnde Menge von Bienen in dunklem Korbe mit größter Genauigkeit vollbringt. Was für einen Instinct man auch annehmen mag, so scheint es doch anfangs ganz unbegreiflich, wie derselbe solle alle nöthigen Winkel und Flächen berechnen, oder auch nur beurtheilen können, ob sie richtig gemacht sind. Inzwischen ist doch die Schwierigkeit nicht so groß, wie es anfangs scheint; denn all’ dies schöne Werk läßt sich, wie ich denke, von einigen wenigen, sehr einfachen Instincten herleiten.
Ich bin, diesen Gegenstand zu verfolgen, durch Hrn. Waterhouse veranlaßt worden, welcher gezeigt hat, daß die Form der Zellen in enger Beziehung zur Anwesenheit von Nachbarzellen steht, und die folgende Ansicht ist vielleicht nur eine Modification seiner Theorie. Wenden wir uns zu dem großen Abstufungsprincipe und sehen wir zu, ob uns die Natur nicht ihre Methode zu wirken enthülle. An dem einen Ende der kurzen Stufenreihe sehen wir die Hummeln, welche ihre alten Cocons zur Aufnahme von Honig verwenden, indem sie ihnen zuweilen kurze Wachsröhren anfügen und ebenso auch einzeln abgesonderte und sehr unregelmäßig abgerundete Zellen von Wachs anfertigen. Am andern Ende der Reihe haben wir die Zellen der Korbbiene, eine doppelte Schicht bildend; jede Zelle ist bekanntlich ein sechsseitiges Prisma, dessen Basalränder so zugeschrägt sind, daß sie an eine stumpfdreiseitige Pyramide von drei Rautenflächen gebildet passen. Diese Rhomben haben gewisse Winkel, und die drei, welche die pyramidale Basis einer Zelle in der einen Zellenschicht der Scheibe bilden, gehen auch in die Bildung der Basalenden von drei anstoßenden Zellen der entgegengesetzten Schicht ein. Als Zwischenstufe zwischen der äußersten Vervollkommnung im Zellenbau der Korbbiene und der äußersten Einfachheit in dem der Hummel haben wir dann die Zellen der mexicanischen Melipona domestica, welche [308] P. Huber gleichfalls sorgfältig beschrieben und abgebildet hat. Diese Biene selbst steht in ihrer Körperbildung zwischen unserer Honigbiene und der Hummel in der Mitte, doch der letztern näher; sie bildet einen fast regelmäßigen wächsernen Zellenkuchen mit cylindrischen Zellen, worin die Jungen gepflegt werden, und überdies mit einigen großen Zellen zur Aufnahme von Honig. Diese letzten sind fast kugelig, von nahezu gleicher Größe und in eine unregelmäßige Masse zusammengefügt; am wichtigsten aber ist daran zu bemerken, daß sie in einem Grade nahe aneinander gerückt sind, daß sie einander schneiden oder durchsetzen müßten, wenn die Kugeln vollendet worden wären; dies wird aber nie zugelassen, die Bienen bauen vollständig ebene Wachswände zwischen die Kugeln, da wo sie sich kreuzen würden. Jede dieser Zellen hat mithin einen äußeren sphärischen Theil und 2–3 oder mehr vollkommen ebene Seitenflächen, je nachdem sie an 2–3 oder mehr andere Zellen seitlich angrenzt. Kommt eine Zelle in Berührung mit drei andern Zellen, was, da alle von fast gleicher Größe sind, nothwendig sehr oft geschieht, so vereinigen sich die drei ebenen Flächen zu einer dreiseitigen Pyramide, welche, nach Huber’s Bemerkung, offenbar als eine rohe Wiederholung der dreiseitigen Pyramide an der Basis der Zellen unserer Korbbiene zu betrachten ist. Wie in den Zellen der Honigbiene, so nehmen auch hier die drei ebenen Flächen einer Zelle an der Zusammensetzung dreier anderen anstoßenden Zellen nothwendig Theil. Es ist offenbar, daß die Melipona bei dieser Art zu bauen, Wachs und, was noch wichtiger ist, Arbeit erspart; denn die ebenen Wände sind da, wo mehrere solche Zellen aneinander grenzen, nicht doppelt, sondern nur von derselben Dicke wie die äußeren kugelförmigen Theile; und doch nimmt jedes ebene Stück Zwischenwand an der Zusammensetzung zweier aneinanderstoßenden Zellen Theil.
Indem ich mir diesen Fall überlegte, kam ich auf den Gedanken, daß, wenn die Melipona ihre kugeligen Zellen in einer gegebenen gleichen Entfernung von einander und von gleicher Größe gefertigt und symmetrisch in eine doppelte Schicht geordnet hätte, der dadurch erzielte Bau wahrscheinlich so vollkommen als der der Korbbiene geworden sein würde. Demzufolge schrieb ich an Professor Miller in Cambridge, und dieser Geometer hat die folgende, nach seiner Belehrung entworfene, Darstellung durchgesehen und mir gesagt, sie sei völlig richtig.
[309] Wenn eine Anzahl unter sich gleicher Kugeln so beschrieben wird, daß ihre Mittelpunkte in zwei parallelen Ebenen liegen, und das Centrum einer jeden Kugel um Radius × √2 oder Radius × 1.41421 (oder weniger) von den Mittelpunkten der sechs umgebenden Kugeln in derselben Schicht und eben so weit von den Centren der angrenzenden Kugeln in der anderen parallelen Schicht entfernt ist, und wenn alsdann Durchschneidungsflächen zwischen den verschiedenen Kreisen beider Schichten gebildet werden, so muß sich eine doppelte Lage sechsseitiger Prismen ergeben, welche von aus drei Rauten gebildeten dreiseitig-pyramidalen Basen verbunden werden, und alle Winkel an diesen Rauten sowie den Seitenflächen der sechsseitigen Prismen werden mit denen identisch sein, welche an den Wachszellen der Bienen nach den sorgfältigsten Messungen vorkommen. Ich höre aber von Professor Wyman, der zahlreiche sorgfältige Messungen angestellt hat, daß die Genauigkeit in der Arbeit der Bienen bedeutend übertrieben worden ist, und zwar in einem Grade, daß er hinzufügt, was auch die typische Form der Zellen sein mag, sie werde nur selten, wenn überhaupt je, realisirt.
Wir können daher wohl sicher schließen, daß, wenn wir die jetzigen noch nicht sehr ausgezeichneten Instincte der Melipona, welche an und für sich nicht sehr wunderbar sind, etwas zu verbessern im Stande wären, diese Biene einen eben so wunderbar vollkommenen Bau zu liefern vermöchte, als die Korbbiene. Wir müssen annehmen, die Melipona habe das Vermögen, ihre Zellen wirklich sphärisch und und gleichgroß zu machen, was nicht zum Verwundern sein würde, da sie es schon jetzt in gewissem Grade thut und viele Insecten sich vollkommen cylindrische Gänge in Holz aushöhlen, indem sie sich offenbar dabei um einen festen Punkt drehen. Wir müssen ferner annehmen, die Melipona ordne ihre Zellen in ebenen Lagen, wie sie es bereits mit ihren cylindrischen Zellen thut; und müssen weiter annehmen (und dies ist die größte Schwierigkeit), sie vermöge irgendwie genau zu beurtheilen, in welchem Abstande von ihren Mitarbeiterinnen sie ihre sphärischen Zellen beginnen müsse, wenn mehrere gleichzeitig an ihren Zellen arbeiten; wir sahen sie aber ja bereits Entfernungen hinreichend bemessen, um alle ihre Kugeln so zu beschreiben, daß sie einander in einem gewissem Maße schneiden, und sahen sie dann die Schneidungspunkte durch vollkommen ebene Wände mit einander verbinden. Dies sind die an sich nicht sehr wunderbaren [310] Modificationen des Instinctes (wenigstens nicht wundersamer als jene, die den Vogel bei seinem Nestbau leiten), durch welche, wie ich glaube, die Korbbiene auf dem Wege natürlicher Zuchtwahl zu ihrer unnachahmlichen architectonischen Geschicklichkeit gelangt ist.
Doch diese Theorie läßt sich durch Versuche bewähren. Nach Tegetmeier’s Vorgänge trennte ich zwei Bienenwaben und fügte einen langen dicken rechtwinkligen Streifen Wachs dazwischen. Die Bienen begannen sogleich kleine kreisrunde Grübchen darin auszuhöhlen; die sie immer mehr erweiterten, je tiefer sie wurden, bis flache Becken daraus entstanden, die für das Auge vollkommene Sphären oder Theile davon zu sein schienen und ungefähr vom Durchmesser der gewöhnlichen Zellen waren. Es war mir sehr interessant, zu beobachten, daß überall, wo mehrere Bienen zugleich neben einander solche Aushöhlungen zu machen begannen, sie in solchen Entfernungen von einander blieben, daß, als jene Becken die erwähnte Weite, d. h. die ungefähre Weite einer gewöhnlichen Zelle erlangt hatten, und ungefähr den sechsten Theil des Durchmessers des Kreises, wovon sie einen Theil bildeten, tief waren, sie sich mit ihren Rändern einander schnitten oder durchsetzten. Sobald dies der Fall war, hielten die Bienen mit der weiteren Austiefung ein und begannen auf den Schneidungslinien zwischen den Becken ebene Wände von Wachs senkrecht aufzuführen, so daß jedes sechsseitige Prisma auf den unebenen Rand eines glatten Beckens statt auf die geraden Ränder einer dreiseitigen Pyramide zu stehen kam, wie bei den gewöhnlichen Bienenzellen.
Ich brachte dann statt eines dicken rechtwinkligen Stückes Wachs einen schmalen und nur messerrückendicken Wachsstreifen, mit Cochenille gefärbt, in den Korb. Die Bienen begannen sogleich von zwei Seiten her kleine Becken nahe beinander darin auszuhöhlen, in derselben Weise wie zuvor; aber der Wachsstreifen war so dünn, daß der Boden der Becken bei gleichtiefer Aushöhlung wie vorhin von zwei entgegengesetzten Seiten her hätte ineinander brechen müssen. Dazu ließen es aber die Bienen nicht kommen, sondern hörten bei Zeiten mit der Vertiefung auf, so daß die Becken, sobald sie etwas vertieft waren, Boden mit ebenen Seiten bekamen; und diese ebenen Flächen, aus dünnen Plättchen des rothgefärbten Wachses bestehend, die nicht weiter ausgenagt wurden, kamen, so weit das Auge es unterscheiden konnte, genau längs der imaginären Schneidungsebenen zwischen den Becken der zwei entgegengesetzten Seiten des Wachsstreifens [311] zu liegen. Stellenweise waren kleine Anfänge, an anderen Stellen größere Theile rhombischer Tafeln zwischen den einander entgegenstehenden Becken übrig geblieben; aber die Arbeit wurde in Folge der unnatürlichen Lage der Dinge nicht sauber ausgeführt. Die Bienen müssen in ungefähr gleichem Verhältnis auf beiden Seiten des rothen Wachsstreifens gearbeitet haben, als sie die kreisrunden Vertiefungen von beiden Seiten her ausnagten, um bei Einstellung der Arbeit an den Schneidungsflächen die ebenen Bodenplättchen auf der Zwischenwand übrig lassen zu können.
Berücksichtigt man, wie biegsam dünnes Wachs ist, so sehe ich keine Schwierigkeit für die Bienen ein, es von beiden Seiten her wahrzunehmen, wenn sie das Wachs bis zur angemessenen Dünne weggenagt haben, um dann ihre Arbeit einzustellen. In gewöhnlichen Bienenwaben schien mir, daß es den Bienen nicht immer gelinge, genau gleichen Schrittes von beiden Seiten her zu arbeiten. Denn ich habe halbvollendete Rauten am Grunde einer eben begonnenen Zelle bemerkt, die an einer Seite etwas concav waren, wo nach meiner Vermuthung die Bienen ein wenig zu rasch vorgedrungen waren, und auf der anderen Seite convex erschienen, wo sie träger in der Arbeit gewesen. In einem sehr ausgezeichneten Falle der Art brachte ich die Wabe in den Korb zurück, ließ die Bienen kurze Zeit daran arbeiten, und nahm sie darauf wieder heraus, um die Zelle aufs Neue zu untersuchen. Ich fand dann die rautenförmigen Platten ergänzt und von beiden Seiten vollkommen eben. Es war aber bei der außerordentlichen Dünne der rhombischen Plättchen absolut unmöglich gewesen, dies durch ein weiteres Benagen von der convexen Seite her zu bewirken, und ich vermuthe, daß die Bienen in solchen Fällen von den entgegengesetzten Zellen aus das biegsame und warme Wachs (was nach einem Versuche leicht geschehen kann) in die zukömmliche mittlere Ebene gedrückt und gebogen haben, bis es flach wurde.
Aus dem Versuche mit dem rothgefärbten Streifen ist klar zu ersehen, daß wenn die Bienen eine dünne Wachswand zur Bearbeitung vor sich haben, sie ihre Zellen von angemessener Form machen können, indem sie sich in richtigen Entfernungen von einander halten, gleichen Schritts mit der Austiefung vorrücken und, gleiche runde Höhlen machen, ohne jedoch dieselben einander durchbrechen zu lassen. Nun machen die Bienen, wie man bei Untersuchung des Randes einer [312] in umfänglicher Zunahme begriffenen Honigwabe deutlich erkennt, eine rauhe Einfassung oder Wand rund um die Wabe und nagen darin von den entgegengesetzten Seiten ihre Zellen aus, indem sie bei deren Vertiefung stets kreisförmig vorgehen. Sie machen nie die ganze dreiseitige Pyramide des Bodens einer Zelle auf einmal, sondern nur die eine der drei rhombischen Platten, welche dem äußersten in Zunahme begriffenen Rande entspricht, oder auch die zwei Platten, wie es die Lage mit sich bringt. Auch ergänzen sie nie die oberen Ränder der rhombischen Platten eher, als bis die sechsseitigen Zellenwände angefangen sind. Einige dieser Angaben weichen von denen des mit Recht berühmten älteren Huber ab, aber ich bin überzeugt, daß sie richtig sind; und wenn es der Raum gestattete, so würde ich zeigen, daß sie mit meiner Theorie in Einklang stehen.
Huber’s Behauptung, daß die allererste Zelle aus einer kleinen parallelseitigen Wachswand ausgehöhlt wird, ist, so viel ich gesehen, nicht ganz richtig; der erste Anfang war immer eine kleine Haube von Wachs; doch will ich in diese Einzelnheiten hier nicht eingehen. Wir sehen, was für einen wichtigen Antheil die Aushöhlung an der Zellenbildung hat; doch wäre es ein großer Fehler, anzunehmen, die Bienen könnten nicht eine rauhe Wachswand in geeigneter Lage, d. h. längs der Durchschnittsebene zwischen zwei aneinander grenzenden Kreisen, aufbauen. Ich habe verschiedene Präparate, welche beweisen, daß sie dies können. Selbst in dem rohen umfänglichen Wachsrande rund um eine in Zunahme begriffene Wabe beobachtet man zuweilen Krümmungen, welche ihrer Lage nach den Ebenen der rautenförmigen Grundplatten künftiger Zellen entsprechen. Aber in allen Fällen muß die rauhe Wachswand durch Wegnagung ansehnlicher Theile derselben von beiden Seiten her ausgearbeitet werden. Die Art, wie die Bienen bauen, ist sonderbar. Sie machen immer die erste rohe Wand zehn bis zwanzig Mal dicker, als die äußerst feine Zellenwand, welche zuletzt übrig bleiben soll. Wir werden besser verstehen, wie sie zu Werke gehen, wenn wir uns denken, Maurer häuften zuerst einen breiten Cementwall auf, begännen dann am Boden denselben von zwei Seiten her gleichen Schrittes, bis noch eine dünne Wand in der Mitte übrig bliebe, wegzuhauen und häuften das Weggehauene mit neuem Cement immer wieder auf der Kante des Walles an. Wir haben dann eine dünne, stetig in die Höhe wachsende Wand, die aber stets noch überragt ist von einem riesigen Wall. Da alle Zellen, die erst angefangenen [313] sowohl als die schon fertigen, auf diese Weise von einer starken Wachsmasse gekrönt sind, so können sich die Bienen auf der Wabe zusammenhäufen und herumtummeln, ohne die zarten sechseckigen Zellenwände zu beschädigen, welche nach Professor Miller’s Mittheilung im Durchmesser sehr variiren. Sie sind im Mittel von zwölf am Rande der Wabe gemachten Messungen Zoll dick, während die Platten der Grundpyramide nahezu im Verhältnis von drei zu zwei dicker sind; nach einundzwanzig Messungen hatten sie eine mittlere Dicke von Zoll. Durch diese eigenthümliche Weise zu bauen erhält die Wabe fortwährend die erforderliche Stärke mit der größtmöglichen Ersparung von Wachs.
Anfangs scheint die Schwierigkeit, die Anfertigungsweise der Zellen zu begreifen, noch dadurch vermehrt zu werden, daß eine Menge von Bienen gemeinsam arbeiten, indem jede, wenn sie eine Zeit lang an einer Zelle gearbeitet hat, an eine andere geht, so daß, wie Huber bemerkt, gegen zwei Dutzend Individuen sogar am Anfang der ersten Zelle sich betheiligen. Es ist mir möglich geworden, diese Thatsache experimentell zu bestätigen, indem ich die Ränder der sechsseitigen Wand einer einzelnen Zelle oder den äußersten Rand der Umfassungswand einer im Wachsthum begriffenen Wabe mit einer äußerst dünnen Schicht flüssigen rothgefärbten Wachses überzog und dann jedesmal fand, daß die Bienen diese Farbe auf die zarteste Weise, wie es kein Maler zarter mit seinem Pinsel vermocht hätte, vertheilten, indem sie Atome des gefärbten Wachses von ihrer Stelle entnahmen und ringsum in die zunehmenden Zellenränder verarbeiteten. Diese Art zu bauen kömmt mir vor, wie eine Art Gleichgewicht, in das die Bienen gezwängt sind; indem alle instinctiv in gleichen Entfernungen von einander stehen, und alle gleiche Kreise um sich zu beschreiben suchen, dann aber die Durchschnittsebenen zwischen diesen Kreisen entweder aufbauen oder unbenagt lassen. Es war in der That eigenthümlich anzusehen, wie manchmal in schwierigen Fällen, wenn z. B. zwei Stücke einer Wabe unter irgend einem Winkel aneinander stießen, die Bienen dieselbe Zelle wieder niederreißen und in andrer Art herstellten, mitunter auch zu einer Form zurückkehrten, die sie einmal schon verworfen hatten.
Wenn Bienen einen Platz haben, wo sie in zur Arbeit angemessener Haltung stehen können, – z. B. auf einem Holzstückchen gerade unter der Mitte einer abwärts wachsenden Wabe, so daß die [314] Wabe über eine Seite des Holzes gebaut werden muß, – so können sie den Grund zu einer Wand eines neuen Sechsecks legen, so daß es genau am gehörigen Platze unter den andern fertigen Zellen vorragt. Es genügt, daß die Bienen im Stande sind, in geeigneter relativer Entfernung von einander und von den Wänden der zuletzt vollendeten Zellen zu stehen, und dann können sie, nach Maßgabe der imaginären Kreise, eine Zwischenwand zwischen zwei benachbarten Zellen aufführen; aber, so viel ich gesehen habe, arbeiten sie niemals die Ecken einer Zelle eher scharf aus, als bis ein großer Theil sowohl dieser als der anstoßenden Zellen fertig ist. Dieses Vermögen der Bienen unter gewissen Verhältnissen an angemessener Stelle zwischen zwei soeben angefangenen Zellen eine rohe Wand zu bilden, ist wichtig, weil es eine Thatsache erklärt, welche anfänglich die vorangehende Theorie mit gänzlichem Umsturze bedrohte, nämlich daß die Zellen auf der äußersten Kante einer Wespenwabe zuweilen genau sechseckig sind: inzwischen habe ich hier nicht Raum, auf diesen Gegenstand einzugehen. Dann scheint es mir auch keine große Schwierigkeit mehr darzubieten, daß ein einzelnes Insect (wie es bei der Wespenkönigin z. B. der Fall ist) sechskantige Zellen baut, wenn es nämlich abwechselnd an der Außen- und der Innenseite von zwei oder drei gleichzeitig angefangenen Zellen arbeitet und dabei immer in der angemessenen Entfernung von den Theilen der eben begonnenen Zellen steht, Kreise oder Cylinder um sich beschreibt und in den Schneidungsebenen Zwischenwände aufführt.
Da natürliche Zuchtwahl nur durch Häufung geringer Modificationen des Baues oder Instinctes wirkt, von welchen eine jede dem Individuum in seinen Lebensverhältnissen nützlich ist, so kann man vernünftigerweise fragen, welchen Nutzen eine lange und stufenweise Reihenfolge von Abänderungen des Bautriebes, in der zu seiner jetzigen Vollkommenheit führenden Richtung, der Stammform unserer Honigbienen haben bringen können? Ich glaube, die Antwort ist nicht schwer: Zellen, welche wie die der Bienen und Wespen construirt sind, gewinnen an Stärke und ersparen viel Arbeit und Raum, besonders aber viel Material zum Bauen. In Bezug auf die Bildung des Wachses ist es bekannt, daß Bienen oft in großer Noth sind, genügenden Nectar aufzutreiben; und ich habe von Tegetmeier erfahren, daß man durch Versuche ermittelt hat, daß nicht weniger als 12–15 Pfund trockenen Zuckers zur Secretion von einem Pfund Wachs in einem [315] Bienenkorbe verbraucht werden, daher eine überschwängliche Menge flüssigen Nectars eingesammelt und von den Bienen eines Stockes verzehrt werden muß, um das zur Erbauung ihrer Waben nöthige Wachs zu erhalten. Überdies muß eine große Anzahl Bienen während des Secretionsprocesses viele Tage lang unbeschäftigt bleiben. Ein großer Honigvorrath ist ferner nöthig für den Unterhalt eines starken Stockes über Winter, und es ist bekannt, daß die Sicherheit desselben hauptsächlich gerade von der Größe der Bienenzahl abhängt. Daher muß eine Ersparnis von Wachs, da sie eine große Ersparnis von Honig und von Zeit, auf das Einsammeln des Honigs verwandt, in sich schließt, eine wesentliche Bedingnis des Gedeihens einer Bienenfamilie sein. Natürlich kann der Erfolg der Bienenart von der Zahl ihrer Parasiten und andrer Feinde oder von ganz andern Ursachen abhängen und insofern von der Menge des Honigs unabhängig sein, welche die Bienen einsammeln können. Nehmen wir aber an, dieser letztere Umstand bedinge wirklich, wie es wahrscheinlich oft der Fall ist, die Menge von, unsern Hummeln verwandten Bienen in einer Gegend: und nehmen wir ferner an, die Colonie durchlebe den Winter und verlange mithin einen Honigvorrath, so wäre es in diesem Falle für unsere Hummeln ohne Zweifel ein Vortheil, wenn eine geringere Veränderung ihres Instinctes sie veranlaßte, ihre Wachszellen etwas näher an einander zu machen, so daß sich deren kreisrunde Wände etwas schnitten; denn eine jede auch nur zwei aneinanderstoßenden Zellen gemeinsam dienende Zwischenwand müßte etwas Wachs und Arbeit ersparen. Es würde daher ein zunehmender Vortheil für unsre Hummeln sein, wenn sie ihre Zellen immer regelmäßiger machten, immer näher zusammenrückten und immer mehr zu einer Masse vereinigten, wie Melipona, weil alsdann ein großer Theil der eine jede Zelle begrenzenden Wand auch andern Zellen zur Begrenzung dienen und viel Wachs und Arbeit erspart werden würde. Aus gleichem Grunde würde es ferner für die Melipona vortheilhaft sein, wenn sie ihre Zellen näher zusammenrückte und in jeder Weise regelmäßiger als jetzt machte, weil dann, wie wir gesehen haben, die sphärischen Oberflächen gänzlich verschwinden und durch ebene Flächen ersetzt werden würden, wo dann die Melipona eine so vollkommene Wabe als die Honigbiene liefern würde. Aber über diese Stufe hinaus kann natürliche Zuchtwahl den Bautrieb nicht mehr vervollkommnen, weil die Wabe der Honigbiene, so viel wir einsehen können, [316] hinsichtlich der Ersparnis von Wachs und Arbeit unbedingt vollkommen ist.
So kann nach meiner Meinung der wunderbarste aller bekannten Instincte, der der Honigbiene, durch die Annahme erklärt werden, natürliche Zuchtwahl habe allmählich eine Menge aufeinanderfolgender kleiner Abänderungen einfacherer Instincte benützt; sie habe auf langsamen Stufen die Bienen allmählich immer vollkommener dazu angeleitet, in einer doppelten Schicht gleiche Sphären in gegebenen Entfernungen von einander zu ziehen und das Wachs längs ihrer Durchschnittsebenen aufzuschichten und auszuöhlen, wenn auch natürlich die Bienen selbst von den bestimmten Abständen ihrer Kugelräume von einander ebensowenig als von den Winkeln ihrer Sechsecke und den Rautenflächen am Boden ein Bewußtsein haben. Die treibende Ursache des Processes der natürlichen Zuchtwahl war die Construction der Zellen von gehöriger Stärke und passender Größe und Form für die Larven bei der größtmöglichen Ersparnis an Wachs und Arbeit; der individuelle Schwarm, welcher die besten Zellen mit der geringsten Arbeit machte und am wenigsten Honig zur Secretion von Wachs bedurfte, gedieh am besten und vererbte seinen neuerworbenen Ersparnistrieb auf spätere Schwärme, welche dann ihrerseits wieder die meiste Wahrscheinlichkeit des Erfolges [in] dem Kampfe um’s Dasein hatten.
Man hat auf die vorangehende Anschauungsweise über die Entstehung des Instinctes erwiedert, „daß Abänderung von Körperbau und Instinct gleichzeitig und in genauem Verhältnisse zu einander erfolgt sein müsse, weil eine Abänderung des einen ohne entsprechenden Wechsel des andern den Thieren hätte verderblich werden müssen.“ Die Stärke dieses Einwandes beruht jedoch gänzlich auf der Annahme, daß die beiderlei Veränderungen, in Structur und Instinct, plötzlich erfolgten. Kommen wir zur Erläuterung des Falles auf die Kohlmeise (Parus major) zurück, von welchem in einem früheren Capitel die Rede gewesen ist. Dieser Vogel hält oft auf einem Zweige sitzend Eibensamen zwischen seinen Füßen und hämmert darauf los bis er zum Kerne gelangt. Welche besondere Schwierigkeit könnte nun für [317] die natürliche Zuchtwahl in der Erhaltung aller geringeren Abänderungen in der Form des Schnabels liegen, welche ihn zum Aufhacken der Samen immer besser geeignet machten, bis endlich ein für diesen Zweck so wohl gebildeter Schnabel hergestellt wäre, wie der des Nußpickers (Sitta), während zugleich die erbliche Gewohnheit oder Mangel an anderem Futter, oder zufällige Veränderungen des Geschmacks aus dem Vogel mehr und mehr einen ausschließlichen Körnerfresser werden ließen? Es ist hier angenommen, daß durch natürliche Zuchtwahl der Schnabel nach und nach, aber im Zusammenhang mit dem langsamen Wechsel der Gewohnheit verändert worden sei. Man lasse aber nun auch noch die Füße der Kohlmeise sich verändern und in Correlation mit dem Schnabel oder aus irgend einer andern unbekannten Ursache sich vergrößern, bleibt es dann noch sehr unwahrscheinlich, daß diese größeren Füße den Vogel auch mehr und mehr zum Klettern verleiten, bis er auch die merkwürdige Neigung und Fähigkeit des Kletterns wie der Nußpicker erlangt? In diesem Falle würde dann ein stufenweiser Wechsel des Körperbaues zu einer Veränderung von Instinct und Lebensweise führen. – Nehmen wir einen andern Fall an. Wenige Instincte sind merkwürdiger als derjenige, welcher die Schwalben der ostindischen Inseln veranlaßt ihr Nest ganz aus verdicktem Speichel zu machen. Einige Vögel bauen ihr Nest aus, wie man glaubt, durchspeicheltem Schlamm, und eine nordamericanische Schwalbenart sah ich ihr Nest aus Reisern mit Speichel und selbst mit Flocken von dieser Substanz zusammenkitten. Ist es dann nun so unwahrscheinlich, daß natürliche Zuchtwahl mittelst einzelner Schwalbenindividuen, welche mehr und mehr Speichel absondern, endlich zu einer Art geführt habe, welche mit Vernachläßigung aller andern Baustoffe ihr Nest allein aus verdichtetem Speichel bildete? Und so in andern Fällen. Man muß zugeben, daß wir in vielen Fällen gar keine Vermuthung darüber haben können, ob Instinct oder Körperbau zuerst sich zu ändern begonnen habe.
Ohne Zweifel ließen sich noch viele schwer erklärbaren Instincte meiner Theorie natürlicher Zuchtwahl entgegenhalten: Fälle, wo sich die Veranlassung zur Entstehung eines Instinctes nicht einsehen läßt; Fälle, wo keine Zwischenstufen bekannt sind; Fälle von anscheinend so unwichtigen Instincten, daß kaum abzusehen ist, wie sich die natürliche Zuchtwahl an ihnen betheiligt haben könne; Fälle von fast identischen Instincten bei Thieren, welche auf der Stufenleiter der [318] Natur so weit auseinanderstehen, daß sich deren Übereinstimmung nicht durch Ererbung von einer gemeinsamen Stammform erklären läßt, daß wir vielmehr glauben müssen, sie seien unabhängig von einander durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden. Ich will hier nicht auf diese mancherlei Fälle eingehen, sondern nur bei einer besondern Schwierigkeit stehen bleiben, welche mir anfangs unübersteiglich und meiner ganzen Theorie wirklich verderblich zu sein schien. Ich will von den geschlechtlosen Individuen oder unfruchtbaren Weibchen der Insectencolonien sprechen; denn diese Geschlechtslosen weichen sowohl von den Männchen als den fruchtbaren Weibchen in Bau und Instinct oft sehr weit ab und können doch, weil sie steril sind, ihre eigenthümliche Beschaffenheit nicht selbst durch Fortpflanzung weiter übertragen.
Dieser Gegenstand verdiente wohl eine weitläufigere Erörterung; doch will ich hier nur einen einzelnen Fall herausheben, die Arbeiter- oder geschlechtslosen Ameisen. Anzugeben wie diese Arbeiter steril geworden sind, ist eine große Schwierigkeit, doch nicht viel größer als bei andern auffälligen Abänderungen in der Organisation. Denn es läßt sich nachweisen, daß einige Insecten und andere Gliederthiere im Naturzustande zuweilen unfruchtbar werden; und falls dies nun bei gesellig lebenden Insecten vorgekommen und es der Gemeinde vortheilhaft gewesen ist, daß jährlich eine Art zur Arbeit geschickter aber zur Fortpflanzung untauglicher Individuen unter ihnen geboren werde, so sehe ich keine Schwierigkeit, warum nicht die natürliche Zuchtwahl dies hervorgebracht haben könnte. Doch muß ich über dieses vorläufige Bedenken hinweggehen. Die Größe der Schwierigkeit liegt darin, daß diese Arbeiter sowohl von den männlichen wie von den weiblichen Ameisen auch in ihrem übrigen Bau, in der Form des Bruststückes, in dem Mangel der Flügel und zuweilen der Augen, so wie in ihren Instincten weit abweichen. Was den Instinct allein betrifft, so hätte sich die wunderbare Verschiedenheit, welche in dieser Hinsicht zwischen den Arbeitern und den fruchtbaren Weibchen sich ergibt, noch weit besser bei den Honigbienen nachweisen lassen. Wäre eine Arbeitsameise oder ein anderes geschlechtsloses Insect ein Thier in seinem gewöhnlichen Zustande, so würde ich ohne Zögern angenommen haben, daß alle seine Charactere durch natürliche Zuchtwahl langsam entwickelt worden seien, und daß namentlich, wenn ein Individuum mit irgend einer kleinen nutzbringenden Abweichung des Baues [319] geboren worden wäre, sich diese Abweichung auf dessen Nachkommen vererbt habe, welche dann ebenfalls variiren und bei weiterer Züchtung wieder gewählt wurden, und so fort. In der Arbeiterameise aber haben wir ein von seinen Eltern abweichendes Insect, doch absolut unfruchtbar, welches daher succesiv erworbene Abänderungen des Baues oder Instinctes nie auf eine Nachkommenschaft weiter vererben kann. Man kann daher wohl fragen, wie es möglich sei, diesen Fall mit der Theorie natürlicher Zuchtwahl in Einklang zu bringen?
Zunächst können wir mit unzähligen Beispielen sowohl unter unseren cultivirten als unter den natürlichen Erzeugnissen belegen, daß vererbte Structurverschiedenheiten aller Arten mit gewissen Altersstufen und mit einem der zwei Geschlechter in Correlation getreten sind. Wir haben Verschiedenheiten, die in solcher Correlation nicht nur allein mit dem einen Geschlechte, sondern sogar bloß mit der kurzen Jahreszeit stehen, wo das Reproductivsystem thätig ist, wie das hochzeitliche Kleid vieler Vögel und der hakenförmige Unterkiefer des männlichen Salmen. Wir haben selbst geringe Unterschiede in den Hörnern einiger Rinderrassen, welche mit einem künstlich unvollkommenen Zustande des männlichen Geschlechts in Bezug stehen; denn die Ochsen haben in manchen Rassen längere Hörner als die andrer Rassen, im Vergleich zu denen der Bullen oder Kühe derselben Rassen. Ich finde daher keine wesentliche Schwierigkeit darin, daß irgend ein Character mit dem unfruchtbaren Zustande gewisser Mitglieder von Insectengemeinden in Correlation tritt; die Schwierigkeit liegt nur darin zu begreifen, wie solche in Wechselbeziehung stehende Modificationen des Baues durch natürliche Zuchtwahl langsam gehäuft werden konnten.
Diese anscheinend unüberwindliche Schwierigkeit wird aber bedeutend geringer oder verschwindet, wie ich glaube, gänzlich, wenn wir bedenken, daß Zuchtwahl ebensowohl bei der Familie als bei den Individuen anwendbar ist und daher zum erwünschten Ziele führen kann. Rindviehzüchter wünschen das Fleisch vom Fett gut durchwachsen; ein so characterisirtes Thier ist geschlachtet worden, aber der Züchter wendet sich mit Vertrauen und mit Erfolg wieder zur nämlichen Familie. Man darf der Macht der Zuchtwahl so vertrauen, daß ich nicht bezweifle, daß eine Rinderrasse, welche stets Ochsen mit außerordentlich langen Hörnern liefert, wahrscheinlicherweise langsam durch sorgfältige Anwendung von solchen Bullen und Kühen gezüchtet werden könne, die, miteinander gepaart, Ochsen mit den längsten [320] Hörnern geben, obwohl nie ein Ochse selbst diese Eigenschaft auf Nachkommen zu übertragen im Stande ist. Das folgende ist ein noch besseres und factisch vorliegendes Beispiel. Nach Verlot erzeugen einige Varietäten des einjährigen gefüllten Winterlevkoy in Folge der langfortgesetzten sorgfältigen Auswahl in der passenden Richtung immer aus Samen im Verhältnis sehr viele gefüllte und unfruchtbar blühende Pflanzen; sie bringen aber gleicherweise immer einige einfach und fruchtbar blühende Pflanzen hervor. Diese letzteren, durch welche allein die Varietät fortgepflanzt werden kann, können nun mit den fruchtbaren Männchen und Weibchen einer Ameisencolonie, die unfruchtbaren gefülltblühenden mit den sterilen Geschlechtslosen derselben Colonie verglichen werden. Wie bei den Varietäten des Levkoy, so ist auch bei den geselligen Insecten Zuchtwahl auf die Familie und nicht auf das Individuum zur Erreichung eines nützlichen Ziels angewendet worden. Wir können daher schließen, daß unbedeutende Modificationen des Baus oder Instincts, welche mit der unfruchtbaren Beschaffenheit gewisser Mitglieder der Gemeinde im Zusammenhang stehn, sich für die Gemeinde nützlich erwiesen haben; in Folge dessen gediehen die fruchtbaren Männchen und Weibchen derselben besser und übertrugen auf ihre fruchtbaren Nachkommen eine Neigung unfruchtbare Glieder mit den nämlichen Modificationen hervorzubringen. Dieser Vorgang muß vielmals wiederholt worden sein, bis diese Verschiedenheit zwischen den fruchtbaren und unfruchtbaren Weibchen einer und derselben Species zu der wunderbaren Höhe gedieh, wie wir sie jetzt bei vielen gesellig lebenden Insecten wahrnehmen.
Aber wir haben bis jetzt die größte Schwierigkeit noch nicht berührt, die Thatsache nämlich, daß die Geschlechtslosen bei mehreren Ameisenarten nicht allein von den fruchtbaren Männchen und Weibchen, sondern auch noch untereinander selbst bis zu einem beinahe unglaublichen Grade abweichen und danach in zwei oder selbst drei Kasten getheilt werden. Diese Kasten gehen überdies in der Regel nicht in einander über, sondern sind vollkommen getrennt, so verschieden von einander, wie es sonst zwei Arten einer Gattung oder vielmehr zwei Gattungen einer Familie zu sein pflegen. So kommen bei Eciton arbeitende und kämpfende Individuen mit außerordentlich verschiedenen Kinnladen und Instincten vor; bei Cryptocerus tragen die Arbeiter der einen Kaste allein eine wunderbare Art von Schild an ihrem Kopfe, dessen Gebrauch ganz unbekannt ist. Bei den mexicanischen [321] Myrmecocystus verlassen die Arbeiter der einen Kaste niemals das Nest; sie werden durch die Arbeiter einer andern Kaste gefüttert und haben ein ungeheuer entwickeltes Abdomen, welches eine Art Honig absondert, als Ersatz für denjenigen, welchen die Aphiden, oder wie man sie nennen kann, die Hauskühe, welche unsre europäischen Ameisen bewachen oder einsperren, absondern.
Man wird in der That denken, daß ich ein übermäßiges Vertrauen in das Princip der natürlichen Zuchtwahl setze, wenn ich nicht zugebe, daß so wunderbare und wohlbegründete Thatsachen meine Theorie auf einmal gänzlich vernichten. In dem einfacheren Falle, wo geschlechtslose Ameisen nur von einer Kaste vorkommen, die nach meiner Meinung durch natürliche Zuchtwahl von den fruchtbaren Männchen und Weibchen verschieden gemacht worden sind, in einem solchen Falle dürfen wir aus der Analogie mit gewöhnlichen Abänderungen zuversichtlich schließen, daß jede succesive geringe nützliche Abweichung nicht alsbald an allen geschlechtslosen Individuen eines Nestes zugleich, sondern nur an einigen wenigen zum Vorschein kam, und daß erst in Folge des Überlebens der Colonien mit Weibchen, welche die meisten so vortheilhaft modificirten Geschlechtslosen producirten, alle Geschlechtslosen endlich den gewünschten Character erlangten. Nach dieser Ansicht müßte man auch im nämlichen Neste zuweilen noch geschlechtslose Individuen derselben Insectenart finden, welche Zwischenstufen der Körperbildung darstellen; und diese findet man in der That und zwar, wenn man berücksichtigt, wie wenig außerhalb Europa’s solche Geschlechtslosen untersucht worden sind, nicht einmal selten. F. Smith hat gezeigt, wie erstaunlich dieselben bei den verschiedenen englischen Ameisenarten in der Größe und mitunter in der Farbe variiren, und daß selbst die äußersten Formen zuweilen vollständig durch aus demselben Neste entnommene Individuen untereinander verbunden werden können. Ich selbst habe vollkommene Stufenreihen dieser Art mit einander vergleichen können. Zuweilen geschieht es, daß die größeren oder die kleineren Arbeiter die zahlreicheren sind; oder auch beide sind gleich zahlreich mit einer mittleren weniger zahlreichen Zwischenform. Formica flava hat größere und kleinere Arbeiter mit einigen wenigen von mittlerer Größe; und bei dieser Art haben nach Smith’s Beobachtung die größeren Arbeiter einfache Augen (Ocelli), welche, wenn auch klein, doch deutlich zu beobachten sind, während die Ocellen der kleineren nur rudimentär [322] erscheinen. Nachdem ich verschiedene Individuen dieser Arbeiter sorgfältig zergliedert habe, kann ich versichern, daß die Ocellen der kleineren weit rudimentärer sind, als aus ihrer im Verhältnis geringeren Größe allein zu erklären wäre, und ich glaube fest, wenn ich es auch nicht gewiß behaupten darf, daß die Arbeiter von mittlerer Größe auch Ocellen von mittlerem Vollkommenheitsgrade besitzen. Hier finden sich daher zwei Gruppen steriler Arbeiter in einem und demselben Neste, welche nicht allein in der Größe, sondern auch in den Gesichtsorganen von einander abweichen, jedoch durch einige wenige Glieder von mittlerer Beschaffenheit miteinander verbunden werden. Ich könnte nun noch weiter gehen und sagen, daß, wenn die kleineren die nützlicheren für den Haushalt der Gemeinde gewesen wären und demzufolge immer diejenigen Männchen und Weibchen, welche die kleineren Arbeiter liefern, bei der Züchtung das Obergewicht gewonnen hätten, bis alle Arbeiter einerlei Beschaffenheit erlangten, wir eine Ameisenart haben müßten, deren Geschlechtslose fast wie bei Myrmica beschaffen wären. Denn die Arbeiter von Myrmica haben nicht einmal Augenrudimente, obwohl deren Männchen und Weibchen wohlentwickelte Ocellen besitzen.
Ich will noch ein anderes Beispiel anführen. Ich erwartete so zuversichtlich Abstufungen in wesentlichen Theilen des Körperbaues zwischen den verschiedenen Kasten der Geschlechtslosen in einer nämlichen Art zu finden, daß ich mir gern Hrn. F. Smith’s Anerbieten zahlreicher Exemplare von demselben Neste der Treiberameise (Anomma) aus Westafrica zu nutze machte. Der Leser wird vielleicht die Größe des Unterschiedes zwischen diesen Arbeitern am besten bemessen, wenn ich ihm nicht die wirklichen Ausmessungen, sondern ein völlig entsprechendes Beispiel mittheile. Die Verschiedenheit war eben so groß, als ob wir eine Reihe von Arbeitsleuten ein Haus bauen sähen, von welchen viele nur fünf Fuß vier Zoll und viele andere bis sechszehn Fuß groß wären (1 : 3); dann müßten wir aber noch außerdem annehmen, daß die größeren vier- statt dreimal so große Köpfe als die kleineren und fast fünfmal so große Kinnladen hätten. Überdies ändern die Kinnladen dieser Arbeiter verschiedener Größen wunderbar in Form, in Größe und in der Zahl der Zähne ab. Aber die für uns wichtigste Thatsache ist, daß, obwohl man diese Arbeiter in Kasten von verschiedener Größe unterscheiden kann, sie doch unmerklich in einander übergehen, wie es auch mit der so weit auseinander weichenden [323] Bildung ihrer Kinnladen der Fall ist. Ich kann mit Zuversicht über diesen letzten Punkt sprechen, da Sir John Lubbock Zeichnungen dieser Kinnladen mit der Camera lucida für mich angefertigt hat, welche ich von den Arbeitern verschiedener Größen abgelöst hatte. Bates hat in seiner äußerst interessanten Schrift „Naturalist on the Amazons“ einige analoge Fälle beschrieben.
Mit diesen Thatsachen vor mir glaube ich, daß natürliche Zuchtwahl, auf die fruchtbaren Ameisen oder die Eltern wirkend, eine Art zu bilden im Stande ist, welche regelmäßig auch ungeschlechtliche Individuen hervorbringen wird, die entweder alle eine ansehnliche Größe und gleichbeschaffene Kinnladen haben, oder welche alle klein und mit Kinnladen von sehr verschiedener Bildung versehen sind, oder welche endlich (und dies ist die Hauptschwierigkeit) gleichzeitig zwei Gruppen von verschiedener Beschaffenheit darstellen, wovon die eine von einer gewissen Größe und Bildung und die andere in beiderlei Hinsicht verschieden ist; beide sind aus einer anfänglichen Stufenreihe wie bei Anomma hervorgegangen, wovon aber die zwei äußersten Formen in Folge des Überlebens der sie erzeugenden Eltern immer zahlreicher überwiegend werden, bis kein Individuum der mittleren Form mehr erzeugt wurde.
Eine analoge Erklärung des gleich complexen Falles, daß gewisse malayische Schmetterlinge regelmäßig zu derselben Zeit in zwei oder selbst drei verschiedenen weiblichen Formen erscheinen, hat Wallace gegeben, ebenso Fritz Müller von verschiedenen brasilischen Krustern, die gleichfalls unter zwei weit verschiedenen männlichen Formen auftraten. Der Gegenstand braucht aber hier nicht erörtert zu werden.
So ist nach meiner Meinung die wunderbare Erscheinung von zwei streng begrenzten Kasten unfruchtbarer Arbeiter in einerlei Nest zu erklären, welche beide weit von einander und von ihren Eltern verschieden sind. Wir können einsehen, wie nützlich ihr Auftreten für eine sociale Ameisengemeinde gewesen ist, nach demselben Principe, nach welchen die Theilung der Arbeit für die civilisirten Menschen nützlich ist. Die Ameisen arbeiten jedoch mit ererbten Instincten und mit ererbten Organen und Werkzeugen, während der Mensch mit erworbenen Kenntnissen und fabricirtem Geräthe arbeitet. Aber ich muß bekennen, daß ich bei allem Vertrauen in die natürliche Zuchtwahl doch nie erwartet haben würde, daß dieses Princip sich in so [324] hohem Grade wirksam erweisen könne, hätte mich nicht der Fall von diesen geschlechtslosen Insecten von der Thatsache überzeugt. Ich habe deshalb auch diesen Gegenstand mit etwas größerer, obwohl noch ganz ungenügender Ausführlichkeit abgehandelt, um daran die Macht natürlicher Zuchtwahl zu zeigen und weil er in der That die ernsteste specielle Schwierigkeit für meine Theorie darbietet. Auch ist der Fall darum sehr interessant, weil er zeigt, daß sowohl bei Thieren als bei Pflanzen jeder Betrag von Abänderung in der Structur durch Häufung vieler kleinen und anscheinend zufälligen Abweichungen von irgend welcher Nützlichkeit, ohne alle Unterstützung durch Übung und Gewohnheit, bewirkt werden kann. Denn eigenthümliche, auf die Arbeiter und unfruchtbaren Weibchen beschränkte Gewohnheiten vermöchten doch, wie lange sie auch bestanden haben möchten, die Männchen und fruchtbaren Weibchen, welche allein die Nachkommenschaft liefern, nicht zu beeinflussen. Ich bin erstaunt, daß noch Niemand den lehrreichen Fall der geschlechtslosen Insecten der wohlbekannten Lehre Lamarck’s von den ererbten Gewohnheiten entgegengesetzt hat.
Ich habe in diesem Capitel kurz zu zeigen versucht, daß die Geistesfähigkeiten unserer domesticirten Thiere abändern, und daß diese Abänderungen vererblich sind. Und in noch kürzerer Weise habe ich darzuthun gestrebt, daß Instincte im Naturzustande etwas abändern. Niemand wird bestreiten, daß Instincte von der höchsten Wichtigkeit für jedes Thier sind. Ich sehe daher keine Schwierigkeit, warum unter sich verändernden Lebensbedingungen natürliche Zuchtwahl nicht auch im Stande gewesen sein sollte, kleine Abänderungen des Instinctes in einer nützlichen Richtung bis zu jedem Betrage zu häufen. In vielen Fällen haben Gewohnheit oder Gebrauch und Nichtgebrauch wahrscheinlich mitgewirkt. Ich behaupte nicht, daß die in diesem Abschnitte mitgetheilten Thatsachen meine Theorie in einem irgend bedeutenden Grade stützen; doch ist nach meiner besten Überzeugung auch keine dieser Schwierigkeiten im Stande sie umzustoßen. Auf der andern Seite aber eignen sich die Thatsachen, daß Instincte nicht immer absolut vollkommen und selbst Irrungen unterworfen sind, – daß kein Instinct aufgeführt werden kann, welcher zum ausschließlichen Vortheil eines andern Thieres entwickelt ist, wenn auch Thiere von Instincten anderer Nutzen ziehen, – daß der naturhistorische [325] Glaubenssatz „Natura non facit saltum“ ebensowohl auf Instincte als auf körperliche Bildung anwendbar und aus den vorgetragenen Ansichten eben so erklärlich als auf andere Weise unerklärbar ist: alle diese Thatsachen führen dahin, die Theorie der natürlichen Zuchtwahl zu befestigen.
Diese Theorie wird noch durch einige andere Erscheinungen hinsichtlich der Instincte bestärkt; so durch die alltägliche Beobachtung, daß einander nahe verwandte, aber sicherlich verschiedene Species, wenn sie entfernte Welttheile bewohnen und unter beträchtlich verschiedenen Existenzbedingungen leben, doch oft fast dieselben Instincte beibehalten. So z. B. läßt sich aus dem Erblichkeitsprincip erklären, warum die südamericanische Drossel ihr Nest mit Schlamm auskleidet, ganz so wie es unsere europäische Drossel thut: warum die Männchen des ostindischen und des africanischen Nashornvogels beide denselben eigenthümlichen Instinct besitzen, ihre in Baumhöhlen brütenden Weibchen so einzumauern, daß nur noch ein kleines Loch in der Kerkerwand offen bleibt, durch welches sie das Weibchen und später auch die Jungen mit Nahrung versehen; warum das Männchen des americanischen Zaunkönigs (Troglodytes) ein besonderes Nest für sich baut, ganz wie das Männchen unserer einheimischen Art: Alles Sitten, die bei andern Vögeln gar nicht vorkommen. Endlich mag es wohl keine logisch richtige Folgerung sein, es entspricht aber meiner Vorstellungsart weit besser, solche Instincte, wie die des jungen Kuckucks, der seine Nährbrüder aus dem Neste stößt, wie die der Ameisen, welche Sclaven machen, oder die der Ichneumoniden, welche ihre Eier in lebende Raupen legen, nicht als eigenthümliche oder anerschaffene Instincte, sondern nur als geringe Ausflüsse eines allgemeinen Gesetzes zu betrachten, welches zum Fortschritt aller organischen Wesen führt, nämlich: Vermehrung und Abänderung, die Stärksten siegen und die Schwächsten erliegen.
← Siebentes Capitel | Nach oben | Neuntes Capitel → |
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |