Entstehung der Arten (1876)/Sechstes Capitel

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Fünftes Capitel Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein (1876)
von Charles Darwin
Siebentes Capitel


[193]
Sechstes Capitel.
Schwierigkeiten der Theorie.
Schwierigkeiten der Theorie einer Descendenz mit Modificationen.Abwesenheit oder Seltenheit der Übergangsvarietäten.Übergänge in der Lebensweise.Differenzirte Gewohnheiten in einerlei Art.Arten mit weit von denen ihrer Verwandten abweichenden Sitten.Organe von äußerster Vollkommenheit.Übergangsweisen.Schwierige Fälle.Natura non facit saltum.Organe von geringer Wichtigkeit.Organe nicht in allen Fällen absolut vollkommen.Das Gesetz von der Einheit des Typus und von den Existenzbedingungen enthalten in der Theorie der natürlichen Zuchtwahl.

Schon lange bevor der Leser zu diesem Theile unseres Buches gelangt ist, wird sich ihm eine Menge von Schwierigkeiten dargeboten haben. Einige derselben sind von solchem Gewichte, daß ich bis auf den heutigen Tag nicht an sie denken kann, ohne in gewissem Maße wankend zu werden; aber nach meinem besten Wissen sind die meisten von ihnen nur scheinbare, und diejenigen, welche in Wahrheit beruhen, dürften meiner Theorie nicht verderblich werden.

Diese Schwierigkeiten und Einwendungen lassen sich in folgende Rubriken zusammenfassen; erstens: wenn Arten aus anderen Arten durch unmerkbar kleine Abstufungen entstanden sind, warum sehen wir nicht überall unzählige Übergangsformen? Warum bietet nicht die ganze Natur ein Gewirr von Formen dar, statt daß die Arten, wie sie sich uns zeigen, wohl begrenzt sind?

Zweitens: Ist es möglich, daß ein Thier, z. B. mit der Constitution und Lebensweise einer Fledermaus, durch Umbildung irgend eines andern Thieres mit ganz verschiedener Lebensweise und verschiedenem Bau entstanden ist? Ist es glaublich, daß natürliche Zuchtwahl einerseits ein Organ von so unbedeutender Wichtigkeit, wie z. B. den Schwanz einer Giraffe, welcher als Fliegenwedel dient, und andererseits ein Organ von so wundervoller Structur, wie das Auge hervorbringen kann?

Drittens: Können Instincte durch natürliche Zuchtwahl erlangt [194] und abgeändert werden? Was sollen wir z. B. zu einem so wunderbaren Instincte sagen, wie der ist, welcher die Bienen veranlaßt, Zellen zu bauen, durch welche die Entdeckungen tiefsinniger Mathematiker practisch anticipirt worden sind?

Viertens: Wie ist es zu begreifen, daß Species bei der Kreuzung mit einander unfruchtbar sind oder unfruchtbare Nachkommen geben, während, wenn Varietäten mit einander gekreuzt werden, deren Fruchtbarkeit ungeschwächt bleibt?

Die zwei ersten dieser Hauptfragen sollen hier, einige verschiedene Einwürfe in dem nächsten Capitel, Instinct und Bastardbildung in den beiden darauf folgenden Capiteln erörtert werden.


Mangel oder Seltenheit vermittelnder Varietäten.

Da die natürliche Zuchtwahl nur durch Erhaltung nützlicher Abänderungen wirkt, so wird jede neue Form in einer schon vollständig bevölkerten Gegend streben, ihre eigene minder vervollkommnete Stammform, so wie alle anderen minder vollkommenen Formen, mit welchen sie in Concurrenz kommt, zu verdrängen und endlich zu vertilgen. Aussterben und natürliche Zuchtwahl gehen daher Hand in Hand. Wenn wir folglich jede Species als Abkömmling von irgend einer anderen unbekannten Form betrachten, so werden Urstamm und Übergangsformen gewöhnlich schon durch den Bildungs- und Vervollkommnungsproceß der neuen Form selbst zum Aussterben gebracht sein.

Da nun aber doch dieser Theorie zufolge zahllose Übergangsformen existirt haben müssen, warum finden wir sie nicht in unendlicher Menge in den Schichten der Erdrinde eingebettet? Es wird angemessener sein, diese Frage in dem Capitel von der Unvollständigkeit der geologischen Urkunden zu erörtern. Hier will ich nur anführen, daß ich die Antwort hauptsächlich darin zu finden glaube, daß jene Urkunden unvergleichbar minder vollständig sind, als man gewöhnlich annimmt. Die Erdrinde ist ein ungeheueres Museum, dessen naturgeschichtliche Sammlungen aber nur unvollständig und in einzelnen Zeitabschnitten eingebracht worden sind, die unendlich weit auseinander liegen.

Man kann nun aber einwenden, daß, wenn einige naheverwandte Arten in einerlei Gegend beisammen wohnen, wir sicher in der Gegenwart viele Zwischenformen finden müßten. Nehmen wir einen einfachen [195] Fall an. Wenn man einen Continent von Norden nach Süden durchreist, so trifft man gewöhnlich von Zeit zu Zeit auf andere einander nahe verwandte oder stellvertretende Arten, welche offenbar ungefähr dieselbe Stelle in dem Naturhaushalte des Landes einnehmen. Diese stellvertretenden Arten grenzen oft an einander oder greifen in ihr Gebiet gegenseitig ein, und in dem Maße, als die eine seltener und seltener wird, wird die andere immer häufiger, bis die eine die andere ersetzt. Vergleichen wir aber diese Arten da, wo sie sich mengen, mit einander, so sind sie in allen Theilen ihres Baues gewöhnlich noch eben so vollkommen von einander unterschieden, wie die aus der Mitte des Verbreitungsbezirks einer jeden entnommenen Exemplare. Nun sind indeß nach meiner Theorie alle diese Arten von einer gemeinsamen Stammform ausgegangen; jede derselben ist erst während des Modificationsprocesses den Lebensbedingungen ihrer Gegend angepaßt worden und hat dort ihren Urstamm sowohl als die Mittelstufen zwischen ihrer ersten und jetzigen Form ersetzt und verdrängt. Wir dürfen daher jetzt nicht mehr erwarten, in jeder Gegend noch zahlreiche Übergangsformen zu finden, obwohl dieselben existirt haben müssen und ihre Reste wohl auch in die Erdschichten aufgenommen worden sein könnten. Aber warum finden wir in den Zwischengegenden, wo doch die äußeren Lebensbedingungen einen Übergang von denen des einen in die des anderen Bezirkes bilden, nicht jetzt noch nahe verwandte Übergangsvarietäten? Diese Schwierigkeit hat mir lange Zeit viel Kopfzerbrechen verursacht; indessen glaube ich jetzt, sie lasse sich großentheils erklären.

An erster Stelle sollten wir sehr vorsichtig mit der Annahme sein, daß eine Gegend, weil sie jetzt zusammenhängend ist, auch schon seit langer Zeit zusammenhängend gewesen sei. Die Geologie veranlaßt uns zu glauben, daß fast jeder Continent noch in der späteren Tertiärzeit in viele Inseln getheilt gewesen ist; und auf solchen Inseln können sich verschiedene Arten gebildet haben, ohne die Möglichkeit mittlerer Varietäten in den Zwischengegenden zu liefern. In Folge der Veränderungen der Landform und des Climas mögen auch die jetzt zusammenhängenden Meeresgebiete noch in verhältnismäßig später Zeit weniger zusammenhängend und einförmig gewesen sein, als sie es jetzt sind. Doch will ich von diesem Mittel, der Schwierigkeit zu entkommen, absehen; denn ich glaube, daß viele vollkommen unterschiedene Arten auf ganz zusammenhängenden Gebieten entstanden [196] sind, wenn ich auch nicht daran zweifle, daß der früher unterbrochene Zustand jetzt zusammenhängender Gebiete einen wesentlichen Antheil an der Bildung neuer Arten, zumal sich häufig kreuzender und wandernder Thiere, gehabt hat.

Hinsichtlich der jetzigen Verbreitung der Arten über weite Gebiete finden wir allgemein, daß sie auf einem großen Theile derselben ziemlich zahlreich vorkommen, dann aber ziemlich plötzlich gegen die Grenzen hin immer seltener werden und endlich ganz verschwinden; daher ist das neutrale Gebiet zwischen zwei stellvertretenden Arten gewöhnlich nur schmal im Vergleich zu dem einer jeden Art eigenen. Wir begegnen derselben Thatsache, wenn wir an Gebirgen emporsteigen; und zuweilen ist es sehr auffällig, wie plötzlich, nach Alphons DeCandolle’s Beobachtung, eine gemeine Art in den Alpen verschwindet. Edw. Forbes hat dieselbe Wahrnehmung gemacht, als er die Tiefen des Meeres mit dem Schleppnetze untersuchte. Diese Thatsache muß alle diejenigen in Verlegenheit setzen, welche die äußeren Lebensbedingungen, wie Clima und Höhe, als die allmächtigen Ursachen der Verbreitung der Organismenformen betrachten, indem der Wechsel vom Clima und Höhe oder Tiefe überall ein allmählicher und unfühlbarer ist. Wenn wir uns aber erinnern, daß fast jede Art, selbst im Mittelpunkte ihrer Heimath, zu unermeßlicher Zahl anwachsen würde, wenn sie nicht in Concurrenz mit anderen Arten stünde, – daß fast alle von anderen Arten leben oder ihnen zur Nahrung dienen, – kurz, daß jedes organische Wesen mittelbar oder unmittelbar auf die bedeutungsvollste Weise zu anderen Organismen in Beziehung steht, so erkennen wir, daß die Verbreitung der Bewohner irgend einer Gegend keineswegs ausschließlich von der unmerklichen Veränderung physikalischer Bedingungen, sondern zu einem großen Theile von der Anwesenheit oder Abwesenheit anderer Arten abhängt, von welchen sie leben, durch welche sie zerstört werden, oder mit welchen sie in Concurrenz stehen; und da diese Arten bereits scharf bestimmt sind und nicht mehr unmerklich in einander übergehen, so muß die Verbreitung einer Species, welche doch eben von der Verbreitung anderer abhängt, scharf umgrenzt zu werden streben. Überdies wird jede Art an den Grenzen ihres Verbreitungsbezirkes, wo ihre Anzahl geringer wird, durch Schwankungen in der Menge ihrer Feinde oder ihrer Beute oder in dem Wesen der Jahreszeiten einer gänzlichen Zerstörung im äußersten Grade ausgesetzt [197] sein; und hierdurch wird ihre geographische Verbreitung noch schärfer bestimmt werden.

Da verwandte oder stellvertretende Arten, wenn sie ein zusammenhängendes Gebiet bewohnen, gewöhnlich in einer solchen Weise vertheilt sind, daß jede von ihnen eine weite Strecke einnimmt, und daß diese Strecken durch verhältnismäßig enge neutrale Zwischenräume getrennt werden, in welchen jede Art beinahe plötzlich seltener und seltener wird, — so wird dieselbe Regel, da Varietäten nicht wesentlich von Arten verschieden sind, wohl auf die einen wie die anderen Anwendung finden; und wenn wir in Gedanken eine veränderliche Species einem sehr großen Gebiete anpassen, so werden wir zwei Varietäten jenen zwei großen Untergebieten und eine dritte Varietät dem schmalen Zwischengebiete anzupassen haben. Diese Zwischenvarietät wird, weil sie einen schmalen und kleineren Raum bewohnt, auch in geringerer Anzahl vorhanden sein; und in Wirklichkeit genommen, paßt diese Regel, so viel ich ermitteln kann, ganz gut auf Varietäten im Naturzustande. Ich habe auffallende Belege für diese Regel in Varietäten von der Gattung Balanus gefunden, welche zwischen ausgeprägteren Varietäten derselben das Mittel halten. Und ebenso scheinen nach den Belehrungen, die ich den Herren Watson, Asa Gray und Wollaston verdanke, allgemein Mittelvarietäten, wo deren zwischen zwei anderen Formen vorkommen, der Zahl nach weit hinter jenen zurückzustehen, die sie verbinden. Wenn wir nun diese Thatsachen und Folgerungen als richtig annehmen und daraus schließen, daß Varietäten, welche zwei andere Varietäten mit einander verbinden, gewöhnlich in geringerer Anzahl als diese letzten vorhanden gewesen sind, so kann man, wie ich glaube, daraus auch begreifen, warum Zwischenvarietäten keine lange Dauer haben, warum sie einer allgemeinen Regel zufolge früher vertilgt werden und verschwinden müssen, als diejenigen Formen, welche sie ursprünglich mit einander verketteten.

Denn eine in geringerer Anzahl vorhandene Form wird, wie schon früher bemerkt worden, überhaupt mehr als die in reichlicher Menge verbreiteten in Gefahr sein, zum Aussterben gebracht zu werden; und in diesem besonderen Falle dürfte die Zwischenform vorzugsweise den Übergriffen der zwei nahe verwandten Formen zu ihren beiden Seiten ausgesetzt sein. Aber eine weit wichtigere Betrachtung scheint mir die zu sein, daß während des Processes weiterer Umbildung, wodurch [198] nach meiner Theorie zwei Varietäten zu zwei ganz verschiedenen Species erhoben und ausgebildet werden, die zwei Varietäten, welche in größerer Anzahl vorhanden sind, weil sie größere Flächen bewohnen, einen großen Vortheil gegen die mittlere Varietät haben werden, welche in kleinerer Anzahl nur einen schmalen dazwischen liegenden Raum bewohnt. Denn Formen, welche in größter Anzahl vorhanden sind, werden immer eine bessere Aussicht als die in geringerer Zahl vorhandenen seltenen Formen haben, innerhalb einer gegebenen Periode noch andere nützliche Abänderungen zur natürlichen Zuchtwahl darzubieten. Daher werden in dem Kampfe um’s Dasein die gemeineren Formen die selteneren zu verdrängen und zu ersetzen streben, weil diese sich nur langsam abzuändern und zu vervollkommnen vermögen. Es scheint mir hier dasselbe Princip zu gelten, wornach, wie im zweiten Capitel gezeigt wurde, die gemeinen Arten einer Gegend durchschnittlich auch eine größere Anzahl von Varietäten darbieten als die selteneren. Ich kann, um meine Meinung zu erläutern, einmal annehmen, es sollten drei Schafvarietäten gehalten werden, von welchen eine für eine ausgedehnte Gebirgsgegend, die zweite für einen verhältnismäßig schmalen hügeligen Streifen, und die dritte für weite Ebenen an deren Fuße geeignet sein soll; ich will ferner annehmen, die Bewohner seien alle mit gleichem Geschick und Eifer bestrebt, ihre Rassen durch Zuchtwahl zu verbessern; in diesem Falle wird die Wahrscheinlichkeit des Erfolges ganz auf Seiten der großen Heerdenbesitzer im Gebirge und in der Ebene sein, weil diese ihre Rassen schneller als die kleinen in der schmalen hügeligen Zwischenzone veredeln; die Folge wird sein, daß die verbesserte Rasse des Gebirges oder der Ebene bald die Stelle der minder verbesserten Hügellandrasse einnehmen wird; und so werden die zwei Rassen, welche ursprünglich schon in größerer Anzahl existirt haben, in unmittelbare Berührung mit einander kommen ohne fernere Einschaltung der verdrängten Zwischenrasse.

In Summa glaube ich, daß Arten leidlich gut umschriebene Objecte sein können, und zu keiner Zeit ein unentwirrbares Chaos veränderlicher und vermittelnder Formen darbieten: erstens, weil sich neue Varietäten nur sehr langsam bilden, indem Abänderung ein äußerst langsamer Vorgang ist und natürliche Zuchtwahl so lange nichts auszurichten vermag, als nicht günstige individuelle Verschiedenheiten oder Abänderungen vorkommen und nicht ein Platz im Naturhaushalte [199] der Gegend durch Modification eines oder des anderen ihrer Bewohner besser ausgefüllt werden kann. Und das Auftreten solcher neuen Stellen wird von langsamen Veränderungen des Climas oder der zufälligen Einwanderung neuer Bewohner und, in wahrscheinlich viel bedeutungsvollerem Grade, davon abhängen, daß einige von den alten Bewohnern langsam abgeändert werden, wobei dann die hierdurch entstehenden neuen Formen mit den alten in Wechselwirkung gerathen. Daher müßten wir in jeder Gegend und zu jeder Zeit nur wenige Arten zu sehen bekommen, welche einigermaßen bleibende geringe Modificationen der Structur darbieten. Und dies sehen wir auch sicherlich.

Zweitens: viele jetzt zusammenhängenden Bezirke der Erdoberfläche müssen noch in der jetzigen Erdperiode in verschiedene Theile getrennt gewesen sein, in denen viele Formen, zumal solche, welche sich für jede Brut begatten und beträchtlich wandern, sich einzeln weit genug zu differenziren vermochten, um als Species gelten zu können. Zwischenvarietäten zwischen diesen verschiedenen stellvertretenden Species und ihrer gemeinsamen Stammform müssen in diesem Falle wohl vordem in jeder dieser isolirten Theile des Bezirkes existirt haben, sind aber später während des Verlaufs der natürlichen Zuchtwahl ersetzt und ausgetilgt worden, so daß sie lebend nicht mehr vorhanden sind.

Drittens: wenn zwei oder mehrere Varietäten in den verschiedenen Theilen eines völlig zusammenhängenden Bezirkes gebildet worden sind, so werden wahrscheinlich Zwischenvarietäten zuerst in den schmalen Zwischenzonen entstanden sein; sie werden aber nur eine kurze Dauer gehabt haben. Denn diese Zwischenvarietäten werden aus schon entwickelten Gründen (nach dem nämlich, was wir über die jetzige Verbreitung einander nahe verwandter oder stellvertretender Arten und anerkannter Varietäten wissen) in den Zwischenzonen in geringerer Anzahl, als die Hauptvarietäten, die sie verbinden, vorhanden sein. Schon aus diesem Grunde allein werden die Zwischenvarietäten gelegentlicher Vertilgung ausgesetzt sein, werden aber zuverläßig während des Processes weiterer Modification durch natürliche Zuchtwahl von den Formen, welche sie mit einander verketten, meistens deshalb verdrängt und ersetzt werden, weil diese ihrer größeren Anzahl wegen unter ihrer Masse mehr Varietäten darbieten und daher durch natürliche Zuchtwahl weiter verbessert werden und weitere Vortheile erlangen.

[200] Endlich müssen auch, nicht bloß zu einer sondern zu allen Zeiten, wenn meine Theorie richtig ist, zahllose Zwischenvarietäten, welche die Arten einer nämlichen Gruppe eng mit einander verbinden, sicher existirt haben; aber gerade der Proceß der natürlichen Zuchtwahl strebt, wie so oft bemerkt worden ist, beständig darnach, sowohl die Stammformen als die Mittelglieder zu vertilgen. Daher könnte ein Beweis ihrer früheren Existenz höchstens noch unter den fossilen Resten der Erdrinde gefunden werden, welche aber, wie in einem späteren Abschnitte gezeigt werden soll, nur in äußerst unvollkommener und unzusammenhängender Weise aufbewahrt sind.


Ursprung und Übergänge von Organismen mit eigenthümlicher Lebensweise und Structur.

Gegner solcher Ansichten, wie ich sie vertrete, haben mir die Frage vorgehalten, wie denn z. B. ein Landraubthier in ein Wasserraubthier habe verwandelt werden können, denn wie hätte denn das Thier in einem Zwischenzustande bestehen können? Es würde leicht sein zu zeigen, daß innerhalb derselben Raubthiergruppe Thiere vorhanden sind, welche jede Mittelstufe zwischen wahren Land- und echten Wasserthieren einnehmen; und da ein Jedes durch einen Kampf um’s Dasein existirt, so ist auch klar, daß jedes durch seine verschiedene Lebensweise wohl für seine Stelle im Naturhaushalte geeignet ist. So hat z. B. die nordamericanische Mustela vison eine Schwimmhaut zwischen den Zehen und gleicht der Fischotter in ihrem Pelz, ihren kurzen Beinen und der Form des Schwanzes. Den Sommer hindurch taucht dieses Thier in’s Wasser und nährt sich von Fischen; während des langen Winters aber verläßt es die gefrorenen Gewässer und lebt gleich anderen Iltissen von Mäusen und Landthieren. Hätte man einen andern Fall gewählt und mir die Frage gestellt, auf welche Weise ein insectenfressender Vierfüßler in eine fliegende Fledermaus verwandelt worden sei, so wäre diese Frage weit schwieriger zu beantworten gewesen. Doch haben nach meiner Meinung solche Schwierigkeiten kein großes Gewicht.

Hier wie in anderen Fällen befinde ich mich in einem großen Nachtheil; denn aus den vielen treffenden Belegen, die ich gesammelt habe, kann ich nur ein oder zwei Beispiele von Übergangsformen der Lebensweise und Organisation bei nahe verwandten Arten derselben Gattung und von vorübergehend oder bleibend veränderten Gewohnheiten [201] einer nämlichen Species anführen. Und mir scheint, als sei nur ein langes Verzeichnis solcher Beispiele genügend, die Schwierigkeiten der Erklärung eines so eigenthümlichen Falles zu verringern, wie der der Fledermaus ist.

Sehen wir uns in der Familie der Eichhörnchen um, so finden wir hier die schönsten Abstufungen von Thieren mit nur unbedeutend abgeplattetem Schwanze und, nach Sir J. Richardson’s Bemerkung, von anderen mit einem etwas verbreiterten Hinterleibe und vollerer Haut an den Seiten des Körpers bis zu den sogenannten fliegenden Eichhörnchen; und bei Flughörnchen sind die Hintergliedmaßen und selbst der Anfang des Schwanzes durch eine ansehnliche Ausbreitung der Haut mit einander verbunden, welche als Fallschirm dient und diese Thiere befähigt, auf erstaunliche Entfernungen von einem Baum zum andern durch die Luft zu gleiten. Es ist kein Zweifel, daß jeder Art von Eichhörnchen in ihrer Heimath jeder Theil dieser eigenthümlichen Organisation nützlich ist, indem er sie in den Stand setzt, den Verfolgungen der Raubvögel oder anderer Raubthiere zu entgehen, oder Nahrung schneller einzusammeln oder wie wir anzunehmen Grund haben, auch die Gefahr gelegentlichen Fallens zu vermindern. Aus dieser Thatsache folgt aber noch nicht, daß die Organisation eines jeden Eichhörnchens auch die bestmögliche für alle natürlichen Verhältnisse sei. Gesetzt, Clima und Vegetation veränderten sich, neue Nagethiere träten als Concurrenten auf, oder neue Raubthiere wanderten ein oder alte erführen eine Abänderung, so müßten wir aller Analogie nach auch vermuthen, daß wenigstens einige der Eichhörnchen sich an Zahl vermindern oder ganz aussterben würden, wenn ihre Organisation nicht ebenfalls in entsprechender Weise abgeändert und verbessert würde. Daher finde ich, zumal bei einem Wechsel der äußeren Lebensbedingungen, keine Schwierigkeit für die Annahme, daß Individuen mit immer vollerer Seitenhaut vorzugsweise erhalten werden, bis endlich, da jede Modification von Nutzen ist und da auch jede fortgepflanzt wird, durch Häufung aller einzelnen Effecte dieses Processes natürlicher Zuchtwahl aus dem Eichhörnchen ein Flughörnchen geworden ist.

Betrachten wir nun den sogenannten fliegenden Lemur oder den Galeopithecus, welcher vordem zu den Fledermäusen gezählt wurde, von dem man aber jetzt annimmt, daß er zu den Insectivoren gehöre. Er hat eine sehr breite Seitenhaut, welche von den Winkeln der Kinnladen [202] bis zum Schwanze reichend die Beine und verlängerten Finger einschließt, auch mit einem Ausbreitemuskel versehen ist. Obwohl jetzt keine, das Gleiten durch die Luft ermöglichenden, abgestuften Zwischenformen den Galeopithecus mit den anderen Insectivoren verbinden, so sehe ich doch keine Schwierigkeiten für die Annahme, daß solche Zwischenglieder einmal existirt und sich auf ähnliche Art von Stufe zu Stufe entwickelt haben, wie die noch wenig gut gleitenden Eichhörnchen, und daß jeder Grad dieser Bildung für den Besitzer von Nutzen war. Auch kann ich keine unüberwindlichen Schwierigkeiten darin erblicken, es ferner für möglich zu halten, daß die durch die Flughaut verbundenen Finger und der Vorderarm des Galeopithecus sich in Folge natürlicher Zuchtwahl allmählich verlängert haben; und dies würde genügen, denselben, was die Flugwerkzeuge betrifft, in eine Fledermaus zu verwandeln. Bei gewissen Fledermäusen, deren Flughaut nur von der Schulterhöhe bis zum Schwanze geht und die Hinterbeine einschließt, sehen wir vielleicht noch die Spuren einer Vorrichtung, welche ursprünglich mehr dazu gemacht war durch die Luft zu gleiten als zu fliegen.

Wenn etwa ein Dutzend Vogelgattungen erlöschen sollte, wer hätte nur die Vermuthung wagen dürfen, daß es jemals Vögel gegeben habe, welche wie die Dickkopf-Ente (Micropterus brachypterus Eyton) ihre Flügel nur als Klappen zum Flattern über den Wasserspiegel hin, oder wie die Penguine als Ruder im Wasser und als Vorderbeine auf dem Lande, oder wie der Strauß als Segel gebraucht oder welche endlich wie der Apteryx functionell zwecklose Flügel besessen hätten? und doch ist die Organisation eines jeden dieser Vögel unter den Lebensbedingungen, worin er sich befindet und um sein Dasein zu kämpfen hat, für ihn vortheilhaft; sie ist aber nicht nothwendig die beste unter allen möglichen Einrichtungen. Aus diesen Bemerkungen darf übrigens nicht gefolgert werden, daß irgend eine der oben angeführten Abstufungen der Flügelbildungen, die vielleicht alle nur Folge des Nichtgebrauches sind, einer natürlichen Stufenreihe angehöre, auf welcher emporsteigend die Vögel das vollkommene Flugvermögen erlangt haben; aber sie können wenigstens zu zeigen dienen, was für mancherlei Wege des Übergangs möglich sind.

Wenn man sieht, daß eine kleine Anzahl Formen aus derartigen Classen wasserathmender Thiere wie Kruster und Mollusken zum Leben auf dem Lande geschickt sind, wenn man sieht, daß es fliegende [203] Vögel, fliegende Säugethiere, fliegende Insecten von den verschiedenartigsten Typen gibt und daß es vordem auch fliegende Reptilien gegeben hat, so wird es auch begreiflich, daß fliegende Fische, welche jetzt weit durch die Luft gleiten und mit Hilfe ihrer flatternden Brustfloßen sich leicht über den Meeresspiegel erheben und senken, allmählich zu vollkommen beflügelten Thieren hätten umgewandelt werden können. Und wäre dies einmal bewirkt, wer würde sich dann je einbilden, daß sie in einer früheren Zeit Bewohner des offenen Meeres gewesen seien und ihre beginnenden Flugorgane, wie uns jetzt bekannt, bloß gebraucht haben, um dem Rachen anderer Fische zu entgehen?

Wenn wir ein Organ zu irgend einem besondern Zwecke hoch ausgebildet sehen, wie eben die Flügel des Vogels zum Fluge, so müssen wir bedenken, daß Thiere, welche frühe Übergangsstufen solcher Bildungen zeigen, selten noch bis in die Jetztzeit erhalten sein werden; denn sie werden durch ihre Nachkommen verdrängt worden sein, welche mittelst natürlicher Zuchtwahl allmählich vollkommen geworden sind. Wir können ferner schließen, daß Übergangsstufen zwischen zu ganz verschiedenen Lebensweisen dienenden Bildungen in früherer Zeit selten in großer Anzahl und mit mancherlei untergeordneten Formen ausgebildet worden sein werden. So scheint es, um zu dem gewählten Beispiele von einem fliegenden Fische zurückzukehren, mir nicht wahrscheinlich, daß zu wirklichem Fluge befähigte Fische sich in vielerlei untergeordneten Formen, zur Erhaschung von mancherlei Beute auf mancherlei Wegen, zu Wasser und zu Land entwickelt haben würden, bis ihre Flugwerkzeuge eine so hohe Stufe von Vollkommenheit erlangt hätten, daß sie im Kampfe um’s Dasein ein entschiedenes Übergewicht über andere Thiere erlangten. Daher wird die Wahrscheinlichkeit, Arten auf Übergangsstufen der Organisation noch im fossilen Zustande zu entdecken, immer nur gering sein, weil sie in geringerer Anzahl als die Arten mit völlig entwickelten Bildungen existirt haben.

Ich will nun zwei oder drei Beispiele verschiedenartig gewordener und veränderter Lebensweise bei den Individuen einer und derselben Art anführen. In allen Fällen wird es der natürlichen Zuchtwahl leicht sein, ein Thier durch irgend eine Abänderung seines Baues für seine veränderte Lebensweise oder ausschließlich für nur eine seiner verschiedenen Gewohnheiten geschickt zu machen. Es ist [204] indessen schwer und für uns unwesentlich zu sagen, ob im Allgemeinen zuerst die Gewohnheiten und dann die Organisation sich ändere, oder ob geringe Modificationen des Baues zu einer Änderung der Gewohnheiten führen; wahrscheinlich ändern oft beide fast gleichzeitig ab. Was Änderung der Gewohnheiten betrifft, so wird es genügen, auf die Menge britischer Insectenarten zu verweisen, welche jetzt von ausländischen Pflanzen oder ganz ausschließlich von Kunsterzeugnissen leben. Vom Verschiedenartigwerden der Gewohnheiten ließen sich zahllose Beispiele anführen. Ich habe oft in Süd-America eine Würgerart (Saurophagus sulphuratus) beobachtet, die das eine Mal wie ein Thurmfalke über einem Fleck und dann wieder über einem anderen schwebte und ein andermal steif am Rande des Wassers stand und dann plötzlich wie ein Eisvogel auf den Fisch hinabstürzte. Hier in England sieht man die Kohlmeise (Parus major) bald fast wie einen Baumläufer an den Zweigen herum klimmen, bald nach Art des Würgers kleine Vögel durch Hiebe auf den Kopf tödten; und oft habe ich gesehen und gehört, wie sie die Samen eines Eibenbaumes auf einem Zweige aufhämmerte, also sie wie ein Nußhacker aufbrach. In Nord-America sah Hearne den schwarzen Bär vier Stunden lang mit weit geöffnetem Munde im Wasser umherschwimmen, um fast nach Art der Wale Wasserinsecten zu fangen.

Da wir zuweilen Individuen Gewohnheiten befolgen sehen, welche von denen anderer Individuen ihrer Art und anderer Arten derselben Gattung weit abweichen, so könnten wir erwarten, daß solche Individuen mitunter zur Entstehung neuer Arten mit abweichenden Sitten und einer nur unbedeutend oder beträchtlich vom eigenen Typus abweichenden Organisation Veranlassung geben. Und solche Fälle kommen in der Natur vor. Kann es ein auffallenderes Beispiel von Anpassung geben, als den Specht, welcher an Bäumen umherklettert, um Insecten in den Rissen der Bäume aufzusuchen? Und doch gibt es in Nord-America Spechte, welche großentheils von Früchten leben, und andere mit verlängerten Flügeln, welche Insecten im Fluge haschen. Auf den Ebenen von La Plata, wo kaum ein Baum wächst, gibt es einen Specht (Colaptes campestris), welcher zwei Zehen vorn und zwei hinten, eine lange spitze Zunge, steife Schwanzfedern und einen geraden kräftigen Schnabel besitzt. Doch sind die Schwanzfedern nur steif genug, um den Vogel in senkrechter Stellung auf einem Pfahle zu unterstützen, und nicht so steif wie bei den typischen Spechten. [205] Auch der Schnabel ist weniger gerade und nicht so stark wie bei den typischen Spechten, obwohl stark genug, um in’s Holz zu bohren. Demnach ist dieser Colaptes in allen wesentlichen Theilen seiner Organisation ein echter Specht. So unbedeutende Charactere sogar wie seine Färbung, der schrille Ton seiner Stimme und der wellige Flug, Alles überzeugte mich von seiner nahen Blutverwandtschaft mit unseren gewöhnlichen Spechten. Aber dieser Specht klettert, wie ich sowohl nach meinen eigenen wie nach den Beobachtungen des genauen Azara versichern kann, in gewissen großen Bezirken niemals an Bäumen, und baut sein Nest in Höhlen an Ufern. In gewissen andern Bezirken besucht aber dieser selbe Specht, wie Mr. Hudson angibt, Bäume und bohrt Löcher in Baumstämme behufs des Nestbaues. Ich will noch als ferneres Beispiel der abgeänderten Lebensweise in dieser Gruppe erwähnen, daß de Saussure einen mexicanischen Colaptes beschrieben und von ihm mitgetheilt hat, wie er in hartes Holz Löcher bohrt, um einen Vorrath von Eicheln hineinzulegen.

Sturmvögel sind unter allen Vögeln diejenigen, die am meisten in der Luft leben und am meisten oceanisch sind, und doch gibt es in den ruhigen stillen Meerengen des Feuerlandes eine Art, Puffinuria Berardi, die nach ihrer Lebensweise im Allgemeinen, nach ihrer erstaunlichen Fähigkeit zu tauchen, nach ihrer Art zu schwimmen und zu fliegen, wenn sie zu fliegen genöthigt wird, von Jedem für einen Alk oder Lappentaucher (Podiceps) gehalten werden würde; sie ist aber nichtsdestoweniger ihrem Wesen nach ein Sturmvogel nur mit einigen tief eindringenden zu ihrer neuen Lebensweise in Beziehung stehenden Änderungen der Organisation, während beim Spechte von La Plata der Körperbau nur unbedeutende Veränderungen erfahren hat. Bei der Wasseramsel (Cinclus) dagegen würde man auch bei der genauesten Untersuchung des todten Körpers nicht im mindesten eine halb und halb an’s Wasser gebundene Lebensweise vermuthet haben. Und doch verschafft sich dieser mit der Drosselfamilie verwandte Vogel seinen ganzen Unterhalt nur durch Tauchen, wobei er seine Flügel unter Wasser gebraucht und mit seinen Füßen Steine ergreift. Alle Glieder der Hymenopteren-Ordnung sind Landthiere, mit Ausnahme der Gattung Proctotrupes, welche, wie Sir John Lubbock neuerdings gefunden hat, in ihrer Lebensweise ein Wasserthier ist. Sie geht oft in’s Wasser, taucht unter, nicht mit Hilfe ihrer Beine, sondern ihrer Flügel und bleibt bis zu vier Stunden unter [206] Wasser. Und doch kann in ihrem Bau nicht die geringste, mit so abnormer Lebensweise in Übereinstimmung zu bringende Modification nachgewiesen werden.

Wer des Glaubens ist, daß jedes Wesen so geschaffen worden sei, wie wir es jetzt erblicken, muß schon gelegentlich überrascht gewesen sein, ein Thier zu finden, dessen Organisation und Lebensweise durchaus nicht miteinander in Einklang standen. Was kann klarer sein, als daß die Füße der Enten und Gänse mit der großen Haut zwischen den Zehen zum Schwimmen gemacht sind? und doch gibt es Hochlandgänse mit solchen Schwimmfüßen, welche selten oder nie in’s Wasser gehen; — und außer Audubon hat noch Niemand den Fregattenvogel, dessen vier Zehen sämmtlich durch eine Schwimmhaut verbunden sind, sich auf den Spiegel des Meeres niederlassen sehen. Andererseits sind Lappentaucher (Podiceps) und Wasserhühner (Fulica) ausgezeichnete Wasservögel, und doch sind ihre Zehen nur mit einer Schwimmhaut gesäumt. Was scheint klarer zu sein, als daß die langen, durch keine Haut verbundenen Zehen der Sumpfvögel ihnen dazu gegeben sind, damit sie über Sumpfböden und schwimmende Wasserpflanzen hinwegschreiten können? Rohrhuhn und Landralle sind Glieder dieser Ordnung; und doch ist das Rohrhuhn (Ortygometra) fast eben so sehr Wasservogel als das Wasserhuhn, und die Landralle (Crex) fast eben so sehr Landvogel als die Wachtel oder das Feldhuhn. In solchen Fällen, und viele andere könnten noch angeführt werden, hat sich die Lebensweise geändert ohne eine entsprechende Änderung des Baues. Man kann sagen, der Schwimmfuß der Hochlandgans sei verkümmert in seiner Verrichtung, aber nicht in seiner Form. Beim Fregattenvogel dagegen zeigt der tiefe Ausschnitt der Schwimmhaut zwischen den Zehen, daß eine Veränderung der Fußbildung begonnen hat.

Wer an zahllose getrennte Schöpfungsacte glaubt, wird sagen, daß es in diesen Fällen dem Schöpfer gefallen habe, ein Wesen von dem einen Typus für den Platz eines Wesens von dem andern Typus zu bestimmen. Dies scheint mir aber nur eine Umschreibung der Thatsache in einer würdevoll klingenden Fassung zu sein. Wer an den Kampf um’s Dasein und an das Princip der natürlichen Zuchtwahl glaubt, der wird anerkennen, daß jedes organische Wesen beständig nach Vermehrung seiner Anzahl strebt und daß, wenn es in Organisation oder Gewohnheiten auch noch so wenig variirt, und hierdurch [207] einen Vortheil über irgend einen anderen Bewohner der Gegend erlangt, es dessen Stelle einnehmen kann, wie verschieden dieselbe auch von seiner eigenen bisherigen Stelle sein mag. Er wird deshalb nicht darüber erstaunt sein, Gänse und Fregattenvögel mit Schwimmfüßen zu sehen, wovon die einen auf dem trockenen Lande leben und die anderen sich nur selten auf’s Wasser niederlassen, oder langzehige Wiesenknarren (Crex) zu finden, welche auf Wiesen statt in Sümpfen wohnen; oder daß es Spechte gibt, wo kaum ein Baum wächst, daß es Drosseln und Hymenopteren gibt, welche tauchen, und Sturmvögel mit der Lebensweise der Alke.


Organe von äußerster Vollkommenheit und Zusammengesetztheit.

Die Annahme, daß sogar das Auge mit allen seinen unnachahmlichen Vorrichtungen, um den Focus den mannichfaltigsten Entfernungen anzupassen, verschiedene Lichtmengen zuzulassen und die sphärische und chromatische Abweichung zu verbessern, nur durch natürliche Zuchtwahl zu dem geworden sei, was es ist, scheint, ich will es offen gestehen, im höchsten möglichen Grade absurd zu sein. Als es zum ersten Male ausgesprochen wurde, daß die Sonne stille stehe, und die Erde sich um ihre Achse drehe, erklärte der gemeine Menschenverstand diese Lehre für falsch; aber das alte Sprichwort „vox populi, vox dei“ hat, wie jeder Forscher weiß, in der Wissenschaft keine Geltung. Die Vernunft sagt mir, daß, wenn zahlreiche Abstufungen von einem unvollkommenen und einfachen bis zu einem vollkommenen und zusammengesetzten Auge, die alle nützlich für ihren Besitzer sind, nachgewiesen werden können, was sicher der Fall ist, — wenn ferner das Auge auch nur im geringsten Grade variirt und seine Abänderungen erblich sind, was gleichfalls sicher der Fall ist, — und wenn solche Abänderungen eines Organes je nützlich für ein Thier sind, dessen äußere Lebensbedingungen sich ändern: dann dürfte die Schwierigkeit der Annahme, daß ein vollkommenes und zusammengesetztes Auge durch natürliche Zuchtwahl gebildet werden könne, wie unübersteiglich sie auch für unsere Einbildungskraft scheinen mag, doch die Theorie nicht völlig umstürzen. Die Frage, wie ein Nerv für Licht empfänglich werde, beunruhigt uns schwerlich mehr, als die, wie das Leben selbst ursprünglich entstehe; doch will ich bemerken, daß es, wie manche der niedersten Organismen, bei denen [208] keine Nerven nachgewiesen werden können, als für das Licht empfindlich bekannt sind, nicht unmöglich erscheint, daß gewisse sensitive Elemente der Sarcode, aus welcher sie hauptsächlich gebildet sind, aggregirt und zu Nerven entwickelt worden sind, die mit dieser specifischen Empfindlichkeit begabt sind.

Suchen wir nach den Abstufungen, durch welche ein Organ in irgend einer Species vervollkommnet worden ist, so sollten wir ausschließlich bei deren directen Vorgängern in gerader Linie nachsehen. Dies ist aber schwerlich jemals möglich, und wir sind in jedem dieser Fälle genöthigt, uns unter den anderen Arten und Gattungen derselben Gruppe, d. h. bei den Seitenabkömmlingen derselben ursprünglichen Stammform umzusehen, um zu finden, was für Abstufungen möglich sind, und ob es wahrscheinlich ist, daß irgend welche Abstufungen ohne alle oder mit nur geringer Abänderung vererbt worden seien. Aber selbst der Zustand desselben Organs in verschiedenen Classen kann beiläufig Licht auf den Weg werfen, auf dem es vervollkommnet worden ist.

Das einfachste Organ, welches ein Auge genannt werden kann, besteht aus einem, von Pigmentzellen umgebenen und von durchscheinender Haut bedeckten Sehnerven, aber noch ohne Linse oder andere lichtbrechende Körper. Nach Jourdain können wir aber selbst noch einen Schritt weiter hinabgehen und finden Aggregate von Pigmentzellen, welche, ohne einen Sehnerven zu besitzen, einfach auf der Sarcodemasse aufliegen und dem Anscheine nach als Sehorgane dienen. Augen der erwähnten einfachen Art gestatten kein deutliches Sehen, sondern dienen nur dazu, Licht von Dunkelheit zu unterscheiden. Bei manchen Seesternen sind kleine Vertiefungen in dem den Nerven umgebenden Pigmentlager, wie es der ebengenannte Schriftsteller beschreibt, mit einer durchsichtigen gallertigen Masse erfüllt, welche mit einer gewölbten Oberfläche, wie die Hornhaut bei höheren Thieren, nach außen vorragt. Er vermuthet, daß diese Einrichtung nicht dazu diene, ein Bild entstehen zu lassen, sondern nur die Lichtstrahlen zu concentriren und ihre Wahrnehmung leichter zu machen. In dieser Concentration der Strahlen erhalten wir den ersten und weitaus wichtigsten Schritt zur Bildung eines wahren, Bilder entwerfenden Auges; denn wir haben nun bloß die freie Endigung des Sehnerven, der in manchen niederen Thieren tief im Körper vergraben, bei anderen der Oberfläche näher liegt, in die richtige Entfernung von dem [209] concentrirenden Apparate zu bringen, und ein Bild muß dann auf ihm entstehen.

In der großen Classe der Gliederthiere können wir von einem einfach mit Pigment überzogenen Sehnerven ausgehen, welches erstere zwar zuweilen eine Art Pupille bildet, jedoch weder eine Linse noch eine andere optische Einrichtung darbietet. Bei Insecten weiß man jetzt, daß die zahlreichen Facetten auf der Hornhaut der großen zusammengesetzten Augen wahre Linsen bilden und daß die Kegel eigenthümlich modificirte Nervenfäden einschließen. Es ist aber die Structur der Augen bei den Gliederthieren so mannichfach, daß Joh. Müller früher drei Hauptclassen von zusammengesetzten Augen mit sieben Unterabteilungen annahm, zu denen er noch eine vierte Hauptclasse fügt, die der aggregirten einfachen Augen.

Wenn wir diese, in Bezug auf die große, mannichfaltige und abgestufte Reihe der Augenbildung bei niederen Thieren hier nur allzu kurz und unvollständig angedeuteten Thatsachen erwägen und ferner bedenken, wie klein die Anzahl aller lebenden Arten im Vergleich zu den bereits erloschenen sein muß, so kann ich doch keine allzu große Schwierigkeit für die Annahme finden, daß der einfache Apparat eines von Pigment umgebenen und von durchsichtiger Haut bedeckten Sehnerven durch natürliche Zuchtwahl in ein so vollkommenes optisches Werkzeug umgewandelt worden sei, wie es bei irgend einer Form der Gliederthiere gefunden wird.

Wer nun so weit gehen will, braucht, wenn er nach dem Durchlesen dieses Buches findet, daß sich durch die Theorie der Descendenz mit Modificationen eine große Menge von anderweitig unerklärbaren Thatsachen begreifen läßt, kein Bedenken zu haben, einen Schritt weiter zu gehen und anzunehmen, daß durch natürliche Zuchtwahl auch ein so vollkommenes Gebilde, wie das Adlerauge ist, hergestellt werden könne, wenn ihm auch die Zwischenstufen in diesem Falle gänzlich unbekannt sind. Es ist eingewendet worden, daß, um das Auge zu modificiren und es doch als vollkommenes Werkzeug zu erhalten, viele Veränderungen gleichzeitig bewirkt worden sein müssen, was, wie man meint, nicht durch natürliche Zuchtwahl geschehen könne. Wie ich aber in meinem Werke über „Variiren der Thiere im Zustande der Domestication“ zu zeigen versucht habe, ist es nicht nothwendig anzunehmen, daß alle Modificationen gleichzeitig waren, wenn sie äußerst gering und allmählich waren. Verschiedene [210] Arten der Modification werden auch demselben allgemeinen Zwecke dienen können; so bemerkt Mr. Wallace: „wenn eine Linse eine zu kurze oder eine zu weite Brennweite hat, so kann sie entweder durch eine Änderung in der Krümmung oder durch eine Änderung in der Dichte verbessert werden; ist die Krümmung unregelmäßig und treffen die Strahlen nicht in einem Punkte zusammen, so wird jede Zunahme der Regelmäßigkeit der Krümmung eine Verbesserung sein. So sind die Contraction der Iris und die Muskelbewegungen des Auges beides für das Sehen nicht wesentlich, sondern nur Verbesserungen, welche auf jedem Punkte der Bildung des Werkzeugs hätten hinzugefügt und vervollkommnet werden können.“ Bei den Wirbelthieren, der am höchsten organisirten Abtheilung des Thierreichs können wir von einem so einfachen Auge ausgehen, daß es, wie beim Amphioxus, nur aus einer kleinen mit Pigment ausgekleideten und mit einem Nerven versehenen faltenartigen Einstülpung der Haut besteht, nur von durchscheinender Haut bedeckt, ohne irgend einen anderen Apparat. In den beiden Classen der Fische und Reptilien ist, wie Owen bemerkt, „die Reihe von Abstufungen der dioptrischen Bildungen sehr groß.“ Es ist eine sehr bezeichnende Thatsache, daß selbst beim Menschen, nach Virchow’s (und Früherer) Autorität, die Linse sich ursprünglich nur aus einer Anhäufung von Epidermiszellen in einer sackförmigen Falte der Haut entwickelt, während der Glaskörper sich aus dem embryonalen subcutanen Gewebe bildet. Es ist allerdings für einen Forscher, welcher den Ursprung und die Bildungsweise des Auges mit all seinen wunderbaren und doch nicht absolut vollkommenen Behaftungen erwägt, unumgänglich, seine Phantasie von seiner Vernunft besiegen zu lassen. Ich habe aber selbst die Schwierigkeit viel zu lebhaft empfunden, um mich darüber zu wundern, wenn Andere zaudern, das Princip der natürlichen Zuchtwahl in einer so überraschend weiten Ausdehnung anzunehmen.

Man kann kaum vermeiden, das Auge mit einem Telescop zu vergleichen. Wir wissen, daß dieses Werkzeug durch langfortgesetzte Anstrengungen der höchsten menschlichen Intelligenz verbessert worden ist, und folgern natürlich daraus, daß das Auge seine Vollkommenheit durch einen ziemlich analogen Proceß erlangt habe. Sollte aber dieser Schluß nicht voreilig sein? Haben wir ein Recht anzunehmen, der Schöpfer wirke vermöge intellectueller Kräfte ähnlich denen des Menschen? Sollten wir das Auge einem optischen Instrumente vergleichen, so müßten wir in Gedanken eine dicke Schicht eines durchsichtigen [211] Gewebes nehmen, mit von Flüssigkeit erfüllten Räumen und mit einem für Licht empfänglichen Nerven darunter, und dann annehmen, daß jeder Theil dieser Schicht langsam aber unausgesetzt seine Dichte verändere, so daß verschiedene Lagen von verschiedener Dichte und Dicke in ungleichen Entfernungen von einander entstehen, und daß auch die Oberfläche einer jeden Lage langsam ihre Form ändere. Wir müßten ferner annehmen, daß eine Kraft, durch die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Passendsten dargestellt, vorhanden sei, welche aufmerksam auf jede geringe zufällige Veränderung in den durchsichtigen Lagen achte, und jede Abänderung sorgfältig erhalte, welche unter veränderten Umständen in irgend einer Weise oder in irgend einem Grade ein deutlicheres Bild hervorzubringen geschickt wäre. Wir müßten annehmen, jeder neue Zustand des Instrumentes werde millionenfach vervielfältigt, und jeder werde so lange erhalten, bis ein besserer hervorgebracht sei, dann würden aber die alten sämmtlich zerstört. Bei lebenden Körpern bringt die Abänderung jene geringen Verschiedenheiten hervor, die Zeugung vervielfältigt sie fast in’s Unendliche und die natürliche Zuchtwahl findet mit nie irrendem Tacte jede Verbesserung heraus. Denkt man sich nun diesen Proceß Millionen Jahre lang und jedes Jahr an Millionen von Individuen der mannigfaltigsten Art fortgesetzt: sollte man da nicht erwarten, daß das lebende optische Instrument endlich in demselben Grade vollkommener als das gläserne werden müsse, wie des Schöpfers Werke überhaupt vollkommener sind, als die des Menschen?


Übergangsweisen.

Ließe sich irgend ein zusammengesetztes Organ nachweisen, dessen Vollendung nicht möglicher Weise durch zahlreiche kleine auf einander folgende Modificationen hätte erfolgen können, so müßte meine Theorie unbedingt zusammenbrechen. Ich vermag jedoch keinen solchen Fall aufzufinden. Zweifelsohne bestehen viele Organe, deren Vervollkommnungsstufen wir nicht kennen, insbesondere bei sehr vereinzelt stehenden Arten, deren verwandte Formen nach meiner Theorie in weitem Umkreise erloschen sind. So muß auch, wo es sich um ein allen Gliedern einer großen Classe gemeinsames Organ handelt, dieses Organ schon in einer sehr frühen Vorzeit gebildet worden sein, seit welcher sich erst alle Glieder dieser Classe entwickelt haben; und wenn wir die frühesten Übergangsstufen entdecken wollen, welche [212] das Organ durchlaufen hat, so müssen wir uns bei den frühesten Anfangsformen umsehen, welche jetzt schon längst wieder erloschen sind.

Wir sollten äußerst vorsichtig sein mit der Behauptung, ein Organ habe nicht durch stufenweise Veränderungen irgend einer Art gebildet werden können. Man könnte zahlreiche Fälle anführen, wie bei den niederen Thieren ein und dasselbe Organ zu derselben Zeit ganz verschiedene Verrichtungen besorgt; athmet doch und verdaut und excernirt der Nahrungscanal in der Larve der Libellen wie in dem Fische Cobitis. Wendet man die Hydra wie einen Handschuh um, das Innere nach außen, so verdaut die äußere Oberfläche und die innere athmet. In solchen Fällen könnte die natürliche Zuchtwahl das ganze Organ oder einen Theil desselben, welches bisher zweierlei Verrichtungen gehabt hat, ausschließlich nur für einen der beiden Zwecke specialisiren und so in unmerklichen Schritten die ganze Natur des Organes allmählich umändern, wenn damit irgend ein Vortheil erreicht würde. Es sind viele Fälle von Pflanzen bekannt, welche regelmäßig zu derselben Zeit verschieden gebildete Blüthen produciren; sollten derartige Pflanzen nur eine Form hervorbringen, so würde verhältnißmäßig eine große Veränderung in ihrem specifischen Character eintreten. Es ist indessen wahrscheinlich, daß die zwei Arten von Blüthen auf derselben Pflanze ursprünglich durch fein graduirte Abstufungen hervorgebracht worden sind, welche in einigen Fällen noch verfolgt werden können.

Ferner verrichten zuweilen zwei verschiedene Organe oder ein und dasselbe Organ unter zwei sehr verschiedenen Formen gleichzeitig einerlei Function in demselben Individuum, und dies ist ein äußerst wichtiges Übergangsmittel. So gibt es, um ein Beispiel anzuführen, Fische mit Kiemen, womit sie die im Wasser vertheilte Luft einathmen, während sie zu gleicher Zeit atmosphärische Luft mit ihrer Schwimmblase athmen, welches Organ zu dem Ende durch einen Luftgang mit dem Schlunde verbunden und innerlich von sehr gefäßreichen Zwischenwänden durchzogen ist. Um noch ein anderes Beispiel aus dem Pflanzenreich zu geben: Pflanzen klettern durch drei verschiedene Mittel, durch eine spirale Windung, durch Ergreifen von Stützen mittelst ihrer empfindlichen Ranken und durch die Emission von Luftwurzeln; diese drei Mittel findet man gewöhnlich in besonderen Gattungen oder Familien; einige wenige Pflanzen bieten aber zwei oder selbst alle drei Mittel in demselben Individuum vereint dar. In allen solchen Fällen [213] kann das eine der beiden dieselbe Function vollziehenden Organe leicht verändert und so vervollkommnet werden, daß es immer mehr die ganze Arbeit allein übernimmt, wobei es während dieses Modificationsprocesses durch das andere Organ unterstützt wird; und dann kann das andere entweder zu einer neuen und ganz verschiedenen Bestimmung modificirt werden oder gänzlich verkümmern.

Das Beispiel von der Schwimmblase der Fische ist sehr belehrend, weil es uns die hochwichtige Thatsache zeigt, wie ein ursprünglich zu einem besonderen Zwecke, zum Flottiren, gebildetes Organ für eine ganz andere Verrichtung umgeändert werden kann, und zwar für die Athmung. Auch ist die Schwimmblase als ein Nebenbestandtheil für das Gehörorgan mancher Fische mitverarbeitet worden. Alle Physiologen geben zu, daß die Schwimmblase in Lage und Structur den Lungen höherer Wirbelthiere „homolog“ oder „ideell gleich“ sei; daher ist kein Grund vorhanden, daran zu zweifeln, daß die Schwimmblase wirklich in eine Lunge oder in ein ausschließlich zum Athmen benutztes Organ verwandelt worden sei.

Nach dieser Ansicht kann man wohl schließen, daß alle Wirbelthiere mit echten Lungen auf dem gewöhnlichen Fortpflanzungswege von einer alten unbekannten Urform abstammen, welche mit einem Schwimmapparat oder einer Schwimmblase versehen war. So mag man sich, wie ich aus Professor Owen’s interessanter Beschreibung dieser Theile entnehme, die sonderbare Thatsache erklären, wie es komme, daß jedes Theilchen von Speise und Trank, die wir zu uns nehmen, über die Mündung der Luftröhre weggleiten muß mit einiger Gefahr in die Lungen zu fallen, der sinnreichen Einrichtung ungeachtet, wodurch der Kehldeckel die Stimmritze schließt. Bei den höheren Wirbelthieren sind die Kiemen gänzlich verschwunden, aber die Spalten an den Seiten des Halses und der schlingenförmige Verlauf der Arterien deuten in dem Embryo noch ihre frühere Stelle an. Doch ist es begreiflich, daß die jetzt gänzlich verschwundenen Kiemen durch natürliche Zuchtwahl zu einem ganz anderen Zwecke umgearbeitet worden sind; so hat z. B. Landois gezeigt, daß sich die Flügel der Insecten von den Tracheen aus entwickeln; es ist daher in hohem Grade wahrscheinlich, daß in dieser großen Classe Organe, die einst zur Athmung gedient haben, jetzt factisch zu Flugorganen umgewandelt worden sind.

Was die Übergangsstufen der Organe betrifft, so ist es so wichtig [214] sich mit der Wahrscheinlichkeit einer Umwandlung einer Function in die andere vertraut zu machen, daß ich noch ein weiteres Beispiel anführen will. Die gestielten Cirripeden haben zwei kleine Hautfalten, von mir Eierzügel genannt, welche bestimmt sind, mittelst einer klebrigen Absonderung die Eier festzuhalten, bis sie im Eiersack ausgebrütet sind. Diese Rankenfüsser haben keine Kiemen, indem die ganze Oberfläche des Körpers und Sackes mit Einschluß der kleinen Zügel zur Athmung dient. Die Balaniden oder sitzenden Cirripeden dagegen haben keine solchen eiertragenden Zügel oder Frena, indem die Eier lose auf dem Grunde des Sackes in der wohl geschlossenen Schaale liegen; aber sie haben in derselben relativen Lage wie die Frena große stark gefaltete Membranen, welche mit den Kreislauflacunen des Sacks und des Körpers frei communiciren und von allen Forschern für Kiemen erklärt worden sind. Nun denke ich, wird Niemand bestreiten, daß die Eierzügel der einen Familie streng homolog mit den Kiemen der andern sind, wie sie denn auch in der That stufenweise in einander übergehen. Daher darf man nicht bezweifeln, daß die beiden kleinen Hautfalten, welche ursprünglich als Eierzügel gedient haben, welche aber auch in geringerem Grade schon bei der Athmung mitwirkten, durch natürliche Zuchtwahl stufenweise in Kiemen verwandelt worden sind bloß durch Zunahme ihrer Größe bei gleichzeitiger Verkümmerung ihrer adhäsiven Drüsen. Wären alle gestielten Cirripeden erloschen (und sie haben bereits mehr Vertilgung erfahren als die sitzenden): wer hätte sich je denken können, daß die Athmungsorgane der Balaniden ursprünglich den Zweck gehabt hätten, die zu frühzeitige Ausführung der Eier aus dem Eiersacke zu verhindern?

Es gibt noch eine andere mögliche Art des Übergangs, nämlich die Beschleunigung oder Verlangsamung der Reproductionsperiode. Dies ist vor Kurzem von Prof. Cope und Andern in den Vereinigten Staaten betont worden. Man weiß jetzt, daß einige Thiere in einem sehr frühen Alter fortpflanzungsfähig sind, ehe sie die Charactere des vollkommenen Zustandes erlangt haben; und wenn dies Vermögen in einer Species durchaus gut entwickelt werden würde, so scheint es wahrscheinlich, daß der erwachsene Entwickelungszustand früher oder später werde verloren werden. In diesem Falle, und besonders wenn die Larve von der reifen Form bedeutend abwiche, würde der Character der Species sehr verändert und degradirt. Ferner fahren nicht wenig Thiere, nachdem sie die Reife erlangt haben, immer noch fort ihre [215] Charactere beinahe während ihres ganzen Lebens zu ändern. So ändert sich z. B. bei Säugethieren die Form des Schädels häufig mit dem Alter, wofür Dr. Murie einige auffallende Beispiele von Robben angeführt hat; Jedermann weiß, wie das Geweihe der Hirsche immer mehr und mehr verzweigt wird und wie sich die Schmuckfedern einiger Vögel immer schöner entwickeln, je älter die Thiere werden. Professor Cope gibt an, daß die Zähne gewisser Eidechsen mit dem vorschreitenden Alter ihre Form ändern; bei den Crustaceen nehmen nicht bloß viele bedeutungslose, sondern auch einige wichtige Theile, wie Fritz Müller geschildert hat, nach der Reife eine neue Beschaffenheit an. In allen solchen Fällen — und es ließen sich noch viele anführen — würde, wenn das fortpflanzungsfähige Alter später einträte, der Character der Species, wenigstens in ihrem erwachsenen Zustande, modificirt werden; auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß die vorausgehenden früheren Entwickelungsstufen in manchen Fällen durcheilt und schließlich verloren würden. Ob Species häufig oder ob überhaupt jemals durch diese vergleichsweise plötzliche Art des Übergangs modificirt worden sind, darüber kann ich mir keine Meinung bilden; wenn es aber vorgekommen ist, so werden wahrscheinlich die Verschiedenheiten zwischen den Jungen und den Erwachsenen und zwischen den Erwachsenen und den Alten ursprünglich in allmählichen Abstufungen erlangt worden sein.


Fälle von besonderer Schwierigkeit in Bezug auf die Theorie der natürlichen Zuchtwahl.

Obwohl wir äußerst vorsichtig bei der Annahme sein müssen, daß ein Organ nicht möglicher Weise durch ganz allmähliche Übergänge gebildet worden sein könne, so kommen doch unzweifelhaft sehr schwierige Fälle vor.

Einen der schwierigsten bilden die geschlechtlosen Insecten, die oft sehr abweichend sowohl von den Männchen als den fruchtbaren Weibchen ihrer Species gebildet sind, auf welchen Fall ich jedoch im achten Capitel zurückkommen werde. Die electrischen Organe der Fische bieten einen andern Fall von besonderer Schwierigkeit dar; denn es ist unmöglich sich vorzustellen, durch welche Abstufungen die Bildung dieser wundersamen Organe bewirkt worden sein mag. Dies ist indessen nicht überraschend, denn wir wissen nicht einmal, welches ihr Nutzen ist. Bei Gymnotus und Torpedo dienen sie ohne Zweifel [216] als kräftige Vertheidigungswaffen und vielleicht als Mittel, Beute zu verschaffen; doch entwickelt ein analoges Organ im Schwanze der Rochen wie Matteucci beobachtet hat, nur wenig Electricität, selbst wenn das Thier stark gereizt wird, und zwar so wenig, daß es kaum zu den genannten Zwecken dienen kann. Überdies liegt, wie R. M’Donnell gezeigt hat, außer dem eben erwähnten Organ noch ein anderes in der Nähe des Kopfes, von dem man nicht weiß, daß es electrisch wäre, welches aber das wirkliche Homologen der electrischen Batterie bei Torpedo ist. Es wird allgemein angenommen, daß zwischen diesen Organen und den gewöhnlichen Muskeln eine enge Analogie besteht, in dem feineren Bau, in der Vertheilung der Nerven und in der Art und Weise, wie verschiedene Reagentien auf sie wirken. Es ist auch noch besonders zu beachten, daß die Contraction der Muskeln von einer electrischen Entladung begleitet wird. Dr. Radcliffe hebt noch hervor: „in dem electrischen Apparate der Torpedo scheint während der Ruhe eine Ladung vorhanden zu sein, welche in jeder Hinsicht der entspricht, die in Muskel und Nerv während der Ruhe vorhanden ist; und die Entladung bei Torpedo dürfte, statt eigenthümlich zu sein, nur eine andere Form jener Entladung sein, welche die Thätigkeit der Muskeln und motorischen Nerven begleitet.“ Weiter können wir für jetzt noch nicht auf eine Erklärung eingehen; da wir aber so wenig von dem Gebrauch dieser Organe wissen, und da wir endlich nichts von der Lebensweise und dem Bau der Urerzeuger der jetzt existirenden electrischen Fische wissen, so wäre es äußerst voreilig zu behaupten, daß keine nützlichen Übergänge möglich wären, durch welche die electrischen Organe sich stufenweise hätten entwickeln können.

Diese Organe scheinen aber auf den ersten Blick noch eine andere und weit ernstlichere Schwierigkeit darzubieten, denn sie kommen in ungefähr einem Dutzend Fischarten vor, von denen mehrere verwandtschaftlich sehr weit von einander entfernt sind. Wenn ein und dasselbe Organ in verschiedenen Gliedern einer und derselben Classe und zumal bei Formen mit sehr auseinandergehenden Gewohnheiten auftritt, so können wir gewöhnlich seine Anwesenheit durch Erbschaft von einem gemeinsamen Vorfahren und seine Abwesenheit bei andern Gliedern durch Verlust in Folge von Nichtgebrauch oder natürlicher Zuchtwahl erklären. Hätte sich das electrische Organ von einem alten damit versehen gewesenen Vorgänger vererbt, so hätten [217] wir erwarten dürfen, daß alle electrischen Fische auch sonst in näherer Weise mit einander verwandt seien; dies ist aber durchaus nicht der Fall. Nun gibt auch die Geologie durchaus keine Veranlassung zu glauben, daß vordem die meisten Fische mit electrischen Organen versehen gewesen seien, welche ihre modificirten Nachkommen eingebüßt hätten. Betrachten wir uns aber die Sache näher, so finden wir, daß bei den verschiedenen mit electrischen Organen versehenen Fischen diese Organe in verschiedenen Theilen des Körpers liegen, daß sie im Bau, wie in der Anordnung der verschiedenen Platten, und nach Pacini in dem Vorgang oder den Mitteln, durch welche Electricität erregt wird, von einander abweichen, endlich auch darin, daß die nöthige Nervenkraft (und dies ist vielleicht unter allen der wichtigste Unterschied) durch Nerven von weit verschiedenen Ursprüngen zugeführt wird. Es können daher bei den verschiedenen Fischen, die mit electrischen Organen versehen sind, diese nicht als homolog, sondern nur als analog in der Function betrachtet werden. Folglich haben wir auch keinen Grund anzunehmen, daß sie von einer gemeinsamen Stammform vererbt wären; denn wäre dies der Fall, so würden sie einander in allen Beziehungen gleichen. Die größere Schwierigkeit, zu erklären, wie ein allem Anschein nach gleiches Organ in mehreren entfernt mit einander verwandten Arten auftrat, verschwindet, es bleibt nur die geringere, aber noch immer große, durch welche allmähliche Zwischenstufen diese Organe sich in jeder der verschiedenen Gruppen von Fischen entwickelt haben.

Die Anwesenheit leuchtender Organe in einigen wenigen Insecten aus den verschiedensten Familien und Ordnungen, die aber in verschiedenen Körpertheilen gelegen sind, bietet bei dem jetzigen Stande unserer Unwissenheit eine fast genau parallele Schwierigkeit wie die electrischen Organe dar. Man könnte noch mehr ähnliche Fälle anführen, wie z. B. im Pflanzenreiche die ganz eigenthümliche Entwicklung einer Masse von Pollenkörnern auf einem Fußgestelle, mit einer klebrigen Drüse an dessen Ende, bei Orchis und bei Asclepias, zwei unter den Blüthenpflanzen so weit als möglich auseinander stehenden Gattungen, ganz die nämliche ist; aber auch hier sind die Theile einander nicht homolog. In allen Fällen, wo in der Organisationsreihe sehr weit von einander entfernt stehende Arten mit ähnlichen und eigenthümlichen Organen versehen sind, wird man finden, daß, wenn auch die allgemeine Erscheinung und Function des Organs identisch [218] ist, sich doch immer einige Grundverschiedenheiten zwischen ihnen entdecken lassen. So sind z. B. die Augen der Cephalopoden oder Tintenfische und der Wirbelthiere einander wunderbar gleich; und bei so weit auseinander stehenden Gruppen kann nicht ein Theil dieser Ähnlichkeit der Vererbung von einem gemeinsamen Urerzeuger zugeschrieben werden. Mr. Mivart hat diesen Fall als einen von besonderer Schwierigkeit angeführt; ich bin aber nicht im Stande, die Stärke des Arguments zu sehen. Ein zum Sehen bestimmtes Organ muß aus durchscheinendem Gewebe gebildet sein und irgend eine Form von Linse enthalten, um ein Bild auf dem Hintergrunde einer dunklen Kammer zu bilden. Über diese oberflächliche Ähnlichkeit hinaus findet sich kaum irgend welche wirkliche Gleichheit zwischen den Augen der Tintenfische und Wirbelthiere, wie man beim Nachschlagen von Hensen’s ausgezeichneter Arbeit über diese Organe bei den Cephalopoden sehen kann. Es ist mir unmöglich, hier auf Einzelnheiten einzugehen; ich will indessen einige wenige Differenzpunkte anführen. Die Crystalllinse besteht bei den höheren Tintenfischen aus zwei Theilen, von welchen, wie zwei Linsen, einer hinter dem andern liegt und welche beide eine von der bei Wirbelthieren vorkommenden sehr verschiedene Structur und Disposition haben. Die Retina ist völlig verschieden, mit einer factischen Umkehrung der Elementartheile und mit einem großen in den Augenhäuten eingeschlossenen Nervenknoten. Die Beziehungen der Muskeln sind so verschieden, wie man sich nur möglicherweise vorstellen kann, und so in noch andern Punkten. Es ist daher nicht wenig schwierig, zu unterscheiden, wie weit die nämlichen Ausdrücke bei der Beschreibung der Augen der Cephalopoden und Wirbelthiere angewendet werden dürfen. Es steht natürlich Jedermann frei, zu leugnen, daß in beiden Fällen sich das Auge durch natürliche Zuchtwahl auf einander folgender geringer Abänderungen hat entwickeln können; wird dies aber in dem einen Falle zugegeben, so ist es offenbar in dem andern möglich; und fundamentale Verschiedenheiten des Baues der Sehorgane in zwei Gruppen hätte man in Übereinstimmung mit dieser Ansicht von ihrer Bildungsweise voraussehen können. Wie zwei Menschen zuweilen unabhängig von einander auf genau die nämliche Erfindung verfallen sind, so scheint auch in den vorstehend angeführten Fällen die natürliche Zuchtwahl, die zum Besten eines jeden Wesens wirkt und aus allen günstigen Abänderungen Vortheil zieht, so weit die Function in Betracht kommt, ähnliche Theile in verschiedenen [219] organischen Wesen gebildet zu haben, welche keine der ihnen gemeinsamen Bildungen einer Abstammung von einem gemeinsamen Urerzeuger verdanken.

Fritz Müller hat mit großer Sorgfalt eine nahezu ähnliche Argumentation angestellt, um die von mir in dieser Schrift vorgebrachten Ansichten zu prüfen. Mehrere Krusterfamilien umfassen einige wenige Arten, welche einen luftathmenden Apparat besitzen und im Stande sind, außerhalb des Wassers zu leben. In zwei dieser Familien, welche Müller besonders untersuchte und die nahe mit einander verwandt sind, stimmen die Arten in allen wichtigen Characteren äußerst enge mit einander überein: nämlich im Bau ihrer Sinnesorgane, in ihrem Circulationssystem, in der Stellung jedes einzelnen Haarbüschels, mit denen ihr in beiden Fällen gleich complicirter Magen ausgekleidet ist, und endlich in dem ganzen Bau der wasserathmenden Kiemen, selbst bis auf die mikroskopischen Häkchen, durch welche dieselben gereinigt werden. Es hätte sich daher erwarten lassen, daß der gleich wichtige luftathmende Apparat in den wenigen Arten beider Familien, welche auf dem Lande leben, derselbe sein werde; denn warum sollte dieser eine Apparat, der zu demselben speciellen Zwecke verliehen wurde, verschieden angelegt sein, während alle übrigen wichtigen Organe äußerst ähnlich oder beinahe identisch sind?

Fritz Müller sagte sich nun, daß diese große Ähnlichkeit in so vielen Punkten des Baues in Übereinstimmung mit den von mir vorgebrachten Ansichten durch Vererbung von einer gemeinsamen Stammform zu erklären sei. Da aber sowohl die größte Mehrzahl der Arten der beiden obigen Familien, als auch überhaupt die meisten andern Cristaceen ihrer Lebensweise nach Wasserthiere sind, so ist es im höchsten Grade unwahrscheinlich, daß ihre gemeinschaftliche Stammform zum Luftathmen bestimmt gewesen sei. Müller wurde hierdurch darauf geführt, den Apparat in den luftathmenden Arten sorgfältig zu untersuchen, und fand, daß er in jeder derselben in mehreren wichtigen Punkten, wie in der Lage der Öffnungen, in der Art wie sich diese öffnen und schließen und in mehreren accessorischen Details verschieden sei. Unter der Annahme nun, daß verschiedenen Familien angehörige Arten langsam immer mehr und mehr einem Leben außerhalb des Wassers und der Luftathmung angepaßt worden sind, sind derartige Verschiedenheiten verständlich. Denn diese Species werden, da sie verschiedenen Familien angehören, in gewissem Grade von einander [220] abweichen; und in Übereinstimmung mit dem Grundsatze, daß die Natur jeder Abänderung von zwei Factoren abhängt, nämlich von der Natur des Organismus und der der Lebensbedingungen, wird zuverlässig die Variabilität dieser Kruster nicht genau dieselbe gewesen sein. Folglich wird die natürliche Zuchtwahl verschiedenes Material und verschiedene Abänderungen für ihre Wirksamkeit vorgefunden haben, um zu demselben functionellen Resultate zu gelangen; und die auf diese Weise erlangten Bildungen werden fast nothwendig verschieden geworden sein. Nach der Hypothese verschiedener Schöpfungsacte bleibt der Fall unverständlich. Diese Anschauungsweise scheint Fritz Müller nachdrücklich dahin geführt zu haben, die von mir in der vorliegenden Schrift aufgestellten Ansichten anzunehmen.

Ein anderer ausgezeichneter Zoologe, der verstorbene Professor Claparède hat in derselben Weise gefolgert und ist zu demselben Resultate gelangt. Er zeigt, daß es parasitische, zu verschiedenen Unterfamilien und Familien gehörige Milben (Acaridae) gibt, welche mit Haarklammern versehen sind. Diese Organe müssen sich unabhängig von einander entwickelt haben, da sie nicht von einem gemeinsamen Urerzeuger vererbt worden sein können. In den verschiedenen Gruppen werden sie gebildet durch Modification der Vorderfüße, der Hinterfüße, der Maxillen oder Lippen, und der Anhänge an der untern Seite des hintern Körpertheils.

In den verschiedenen jetzt erörterten Fällen haben wir gesehen, daß in durchaus nicht oder nur entfernt mit einander verwandten Wesen durch, dem Anscheine aber nicht der Entwickelung nach nahezu ähnliche Organe derselbe Zweck erreicht und dieselbe Function ausgeführt wird. Aber durch die ganze Natur herrscht die allgemeine Regel, daß selbst da, wo die einzelnen Wesen nahe mit einander verwandt sind, derselbe Zweck durch die verschiedenartigsten Mittel erreicht wird. Wie verschieden im Bau ist der befiederte Flügel eines Vogels und das von Haut überzogene Flugorgan einer Fledermaus, noch verschiedener sind die vier Flügel eines Schmetterlings, die zwei Flügel einer Fliege und die beiden Flügel eines Käfers mit ihren Flügeldecken. Zweischalige Muscheln brauchen sich nur zu öffnen und zu schließen; aber auf eine wie vielfältige Weise ist das Schloß gebaut, von den zahlreichen Formen gut in einander passender Zähne einer Nucula bis zu dem einfachen Ligament eines Mytilus! Die Verbreitung der Samenkörner beruht entweder auf ihrer außerordentlichen [221] Kleinheit oder darauf, daß ihre Kapsel in eine leichte ballonartige Hülle umgewandelt ist, oder, daß sie in eine mehr oder weniger consistente fleischige Masse eingebettet sind, welche aus den verschiedenartigsten Theilen gebildet, sowohl nahrhaft als durch ihre Färbung so ausgezeichnet ist, daß sie Vögel zum Fressen anlockt; oder darauf, daß sie sich mit Häkchen und Klammern vielfacher Art und mit rauhen Grannen an den Pelz der Säugethiere anhängen, oder endlich, daß sie mit Flügeln oder Fiedern ebenso verschiedenartig in Gestalt als zierlich im Bau versehen sind, so daß sie von jedem Windhauch verweht werden. Ich will noch ein anderes Beispiel anführen; denn der Gegenstand, daß derselbe Zweck durch die verschiedenartigsten Mittel erreicht wird, ist wohl des Nachdenkens werth. Einige Schriftsteller behaupten, daß die organischen Wesen nur der bloßen Verschiedenheit wegen, beinahe wie Spielsachen in einem Laden, auf vielfache Weisen gebildet worden sind; eine solche Ansicht von der Natur ist indeß unhaltbar. Bei getrennt geschlechtlichen Pflanzen und bei solchen, welche zwar Hermaphroditen sind, wo aber doch der Pollen nicht von selbst auf die Narbe fällt, ist zur Befruchtung irgend eine Hülfe nöthig. Bei mehreren Arten wird dies dadurch bewirkt, daß die leichten und nicht zusammenhängenden Pollenkörner bloß zufällig vom Wind auf die Narbe geweht werden; dies ist der denkbar einfachste Plan. Ein fast eben so einfacher, aber sehr verschiedener Plan ist der, daß in vielen Fällen eine symmetrische Blüthe wenige Tropfen Nectar absondert und demzufolge von Insecten besucht wird; diese tragen dann den Pollen von den Antheren auf die Narbe.

Von dieser einfachen Form an bietet sich eine unerschöpfliche Zahl verschiedener Einrichtungen dar, welche alle demselben Zwecke dienen und wesentlich in derselben Weise ausgeführt sind, aber doch Veränderungen in jedem Blüthentheile mit sich bringen: der Nectar wird in verschieden geformten Receptakeln angehäuft, die Staubfäden und Pistille sind vielfach modificirt und bilden zuweilen klappenartige Einrichtungen, zuweilen sind sie in Folge von Irritabilität oder Elasticität genau abgepaßter Bewegungen fähig. Von solchen Bildungen kommen wir dann zu einer solchen Höhe vollendeter Anpassung, wie Crüger neuerdings bei Coryanthes beschrieben hat. Bei dieser Orchidee ist das Labellum oder die Unterlippe zu einem großen eimerartigen Gefäße ausgehöhlt, in welches fortwährend aus zwei über ihm stehenden absondernden Hörnern Tropfen fast reinen Wassers herabfallen; [222] ist der Eimer halb voll, so fließt das Wasser durch einen Abguß an der einen Seite ab. Der Basaltheil des Labellum krümmt sich über den Eimer und ist selbst kammerartig ausgehöhlt mit zwei seitlichen Eingängen; innerhalb dieser Kammern finden sich einige merkwürdige fleischige Leisten. Der genialste Mensch hätte, wenn er nicht Zeuge dessen war, was hier vorgeht, sich nicht vorstellen können, welchem Zwecke alle diese Theile dienten. Crüger sah aber, wie Mengen von Hummeln die riesigen Blüthen dieser Orchideen am frühen Morgen besuchten, nicht um Nectar zu saugen, sondern um die fleischigen Leisten in der Kammer oberhalb des Eimers abzunagen. Dabei stießen sie einander häufig in den Eimer; dadurch wurden ihre Flügel naß, so daß sie nicht fliegen konnten, sondern durch den vom Ausguß gebildeten Gang kriechen mußten. Crüger hat eine förmliche Procession von Hummeln aus ihrem unfreiwilligen Bade kriechen sehen. Der Gang ist eng und vom Säulchen bedeckt, so daß eine Hummel, wenn sie sich durchzwängt, erst ihren Rücken am klebrigen Stigma und dann an den Klebdrüsen der Pollenmassen reibt. Die Pollenmassen werden dadurch an den Rücken der ersten Hummeln angeklebt, welche zufällig durch den Gang einer kürzlich entfalteten Blüthe kriechen, und werden fortgetragen. Crüger hat mir eine Blüthe in Spiritus geschickt mit einer Hummel, welche, getödtet ehe sie ganz durch den Gang gekrochen war, eine Pollenmasse an ihrem Rücken befestigt hatte. Fliegt die so ausgestattete Hummel nach einer andern Blüthe oder ein zweites Mal nach derselben, und wird von ihren Genossen in den Eimer gestoßen, so kommt nothwendig, wenn sie nun durch den Gang kriecht, zuerst die Pollenmasse mit dem klebrigen Stigma in Contact und die Blüthe wird befruchtet. Und jetzt erst sehen wir den vollen Nutzen aller Theile der Blüthe, der wasserabsondernden Hörner, des halb mit Wasser erfüllten Eimers ein, welcher die Hummeln am Fortfliegen hindert und so zwingt durch den Ausguß zu kriechen und sich an den passend gestellten klebrigen Pollenmassen und der klebrigen Narbe zu reiben.

Der Bau der Blüthe einer andern nahe verwandten Orchidee, Catasetum, ist davon weit verschieden, doch dient er demselben Ende und ist gleich merkwürdig. Wie bei Coryanthes besuchen auch diese Blüthen die Bienen, um das Labellum zu benagen. Dabei berühren sie unvermeidlich einen langen spitz zulaufenden, sensitiven Fortsatz, den ich Antenne genannt habe. Die Antenne überträgt, wenn sie [223] berührt wird, eine Empfindung oder eine Schwingung auf eine gewisse Mebran, welche augenblicklich zum Bersten gebracht wird, und hierdurch wird eine Feder frei, welche die Pollenmasse wie einen Pfeil in der richtigen Direction vorschnellt und ihr klebriges Ende an den Rücken der Bienen heftet. Die Pollenmasse einer männlichen Pflanze (denn die Geschlechter sind bei diesen Orchideen getrennt) wird nun auf die Blüthe einer weiblichen Pflanze übertragen, wo sie mit der Narbe in Berührung gebracht wird. Diese ist hinreichend klebrig, um gewisse elastische Fäden zu zerreißen und die Pollenmasse zurückzuhalten, die nun das Geschäft der Befruchtung besorgt.

Man kann wohl fragen, wie können wir in den vorstehenden und in unzähligen andern Fällen die allmähliche Stufenreihe von Complexität und die mannigfaltigen Mittel zur Erreichung desselben Zweckes einsehen? Ohne Zweifel ist die Antwort, wie schon bemerkt wurde, daß, wenn zwei bereits in einem geringen Grade von einander abweichende Formen variiren, die Variabilität nicht genau derselben Art und folglich auch die durch natürliche Zuchtwahl zu demselben allgemeinen Ende bewirkten Resultate nicht dieselben sein werden. Wir müssen uns auch daran erinnern, daß jeder hoch entwickelte Organismus bereits eine lange Reihe von Modificationen durchlaufen hat, und daß jede modificirte Bildung vererbt zu werden strebt; sie wird daher nicht leicht verloren gehen, sondern immer und immer wieder modificirt werden. Die Bildung jedes Theils jeder Species, welchem Zwecke er auch dient, ist daher die Summe der vielen vererbten Abänderungen, welche diese Art während ihrer successiven Anpassungen an veränderte Lebensweise und Lebensbedingungen durchlaufen hat.

Obwohl es endlich in vielen Fällen sehr schwer auch nur zu muthmaßen ist, durch welche Übergänge viele Organe zu ihrer jetzigen Beschaffenheit gelangt seien, so bin ich doch in Betracht der sehr geringen Anzahl noch lebender und bekannter Formen im Vergleich mit den untergegangenen und unbekannten sehr darüber erstaunt gewesen, zu finden, wie selten ein Organ vorkommt, von welchem man keine hinleitenden Übergangsstufen kennt. Es ist gewiß richtig, daß neue Organe sehr selten oder nie plötzlich bei einem Wesen erscheinen, als ob sie für irgend einen besonderen Zweck erschaffen worden wären; — wie es auch schon durch die alte, obwohl etwas übertriebene naturgeschichtliche Regel „Natura non facit saltum“ anerkannt [224] wird. Wir finden dies in den Schriften fast aller erfahrenen Naturforscher angenommen: Milne Edwards hat es treffend mit den Worten ausgedrückt: Die Natur ist verschwenderisch in Abänderungen, aber geizig in Neuerungen. Warum sollte es nach der Schöpfungstheorie so viel Abänderung und so wenig wirklich Neues geben? woher sollte es kommen, daß alle Theile und Organe so vieler unabhängiger Wesen, wenn jedes derselben für seinen eigenen Platz in der Natur erschaffen wäre, doch durch ganz allmähliche Übergänge mit einander verkettet sind? Warum hätte die Natur nicht einen Sprung von der einen Einrichtung zur andern gemacht? Nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl können wir deutlich einsehen, warum sie dies nicht gethan hat; denn die natürliche Zuchtwahl wirkt nur dadurch, daß sie sich kleine allmähliche Abänderungen zu Nutze macht; sie kann nie einen großen und plötzlichen Sprung machen, sondern muß mit kurzen und sicheren, aber langsamen Schritten vorschreiten.


Organe von anscheinend geringer Wichtigkeit von der natürlichen Zuchtwahl berührt.

Da die natürliche Zuchtwahl mit Leben und Tod arbeitet, indem sie nämlich die passendsten Individuen erhält und die weniger gut passenden unterdrückt, so schien mir manchmal der Ursprung oder die Bildung von Theilen geringer Bedeutung sehr schwer zu begreifen. Diese Schwierigkeit, obwohl von ganz anderer Art, schien mir manchmal beinahe eben so groß zu sein als die hinsichtlich der vollkommensten und zusammengesetztesten Organe.

Erstens wissen wir viel zu wenig von dem ganzen Haushalte irgend eines organischen Wesens, um sagen zu können, welche geringe Modificationen für dasselbe wichtig sein können und welche nicht wichtig. In einem früheren Capitel habe ich Beispiele von sehr geringfügigen Characteren, wie der Flaum der Früchte und die Farbe ihres Fleisches, wie die Farbe der Haut und Haare einiger Vierfüsser angeführt, welche, insofern sie mit constitutionellen Verschiedenheiten im Zusammenhang stehen oder auf die Angriffe der Insecten von Einfluß sind, bei der natürlichen Zuchtwahl gewiß mit in Betracht kommen. Der Schwanz der Giraffe sieht wie ein künstlich gemachter Fliegenwedel aus, und es scheint anfangs unglaublich, daß derselbe zu seinem gegenwärtigen Zwecke durch kleine aufeinander folgende Modificationen, von denen eine jede einer so unbedeutenden Bestimmung [225] nämlich Fliegen zu verscheuchen, immer besser und besser angepaßt war, hergerichtet worden sein solle. Doch hüten wir uns selbst in diesem Falle uns allzu bestimmt auszusprechen, indem wir ja wissen, daß das Dasein und die Verbreitungweise des Rindes und anderer Thiere in Süd-America unbedingt von deren Vermögen abhängt den Angriffen der Insecten zu widerstehen; daher wären Individuen, welche einigermaßen mit Mitteln zur Vertheidigung gegen diese kleinen Feinde versehen sind, geschickt, sich über neue Weideplätze zu verbreiten und dadurch große Vortheile zu erlangen. Nicht als ob große Säugethiere (einige seltene Fälle ausgenommen) wirklich durch Fliegen vertilgt würden; aber sie werden von ihnen so unausgesetzt ermüdet und geschwächt, daß sie Krankheiten mehr ausgesetzt werden oder bei eintretender Hungersnoth nicht so gut im Stande sind, sich Nahrung zu suchen, oder den Nachstellungen der Raubthiere in weit größerer Anzahl erliegen.

Organe von jetzt unwesentlicher Bedeutung sind wahrscheinlich in manchen Fällen frühen Vorfahren von hohem Werthe gewesen und nach früherer langsamer Vervollkommnung in ungefähr demselben Zustande auf deren Nachkommen vererbt worden, obwohl ihr jetziger Nutzen nur noch sehr unbedeutend ist; dagegen werden wirklich schädliche Abweichungen in ihrem Baue durch natürliche Zuchtwahl immer gehindert worden sein. Wenn man beobachtet, was für ein wichtiges Organ der Ortsbewegung der Schwanz für die meisten Wasserthiere ist, so läßt sich seine allgemeine Anwesenheit und Verwendung zu mancherlei Zwecken bei so vielen Landthieren, welche durch ihre modificirten Schwimmblasen oder Lungen ihre Abstammung von Wasserthieren verrathen, vielleicht daraus erklären. Nachdem ein Wasserthier einmal mit einem wohl entwickelten Schwanze ausgestattet war, kann derselbe später zu den mannichfaltigsten Zwecken umgearbeitet worden sein, zu einem Fliegenwedel, zu einem Greifwerkzeug, oder zu einem Mittel schneller Wendung im Laufe, wie es beim Hunde der Fall ist, obwohl die Hülfe in letzterem Falle nur schwach sein mag, indem ja der Hase, fast ganz ohne Schwanz, sich noch schneller zu wenden im Stande ist.

Zweitens dürften wir mitunter fälschlich Characteren eine große Wichtigkeit beilegen und irriger Weise glauben, daß sie von natürlicher Zuchtwahl herrühren. Wir dürfen durchaus nicht die directe Wirkung veränderter Lebensbedingungen übersehen, ebenso wenig die [226] der sogenannten spontanen Abänderungen, welche in einem völlig untergeordneten Grade von der Beschaffenheit der Lebensbedingungen abzuhängen scheinen, ferner die der Neigung zum Rückschlag auf lange verlorene Charactere und der complicirten Gesetze des Wachsthums, wie Correlation, Compensation, Druck eines Theils auf einen andern u. s. w. Endlich müssen wir die Wirkungen der sexuellen Zuchtwahl nicht unbeachtet lassen, durch welche Charactere, die dem einen Geschlecht von Nutzen sind, häufig erlangt und dann mehr oder weniger vollkommen auf das andere Geschlecht überliefert werden, trotzdem sie diesem von keinem Nutzen sind. Überdies kann eine in dieser Weise indirect erlangte Abänderung der Structur anfangs oft ohne Vortheil für die Art gewesen sein, kann aber späterhin bei deren unter neue Lebensbedingungen versetzten und neue Gewohnheiten erlangenden modificirten Nachkommen mit Vortheil benutzt worden sein.

Wenn nur grüne Spechte existirten und wir wüßten nicht, daß es viele schwarze und bunte Arten gäbe, so würden wir sicher gemeint haben, daß die grüne Farbe eine schöne Anpassung sei, diese an den Bäumen herumkletternden Vögel vor den Augen ihrer Feinde zu verbergen, daß es mithin ein für die Species wichtiger und durch natürliche Zuchtwahl erlangter Character sei: so aber, wie sich die Sache verhält, rührt die Färbung wahrscheinlich von geschlechtlicher Zuchtwahl her. Eine kletternde Palmenart im Malayischen Archipel steigt bis zu den höchsten Baumgipfeln empor mit Hülfe ausgezeichnet gebildeter Haken, welche büschelweise an den Enden der Zweige befestigt sind, und diese Einrichtung ist zweifelsohne für die Pflanze von größtem Nutzen. Da wir jedoch fast ähnliche Haken an vielen Pflanzen sehen, welche nicht klettern, und da wir in Folge der Verbreitung der dorntragenden Arten in Africa und Süd-America anzunehmen Ursache haben, daß diese Haken einen Schutz gegen die die Pflanzen abweidenden Säugethiere sind, so mögen dieselben auch bei jener Palme anfänglich zu diesem Zwecke entwickelt worden, und von der Pflanze erst später, als sie noch sonstige Abänderung erfuhr und ein Kletterer wurde, zu ihrem Vortheil benützt worden sein. Die nackte Haut am Kopfe des Geyers wird gewöhnlich als eine unmittelbare Anbequemung des oft in faulen Cadavern damit wühlenden Thieres betrachtet; dies kann der Fall sein, oder es ist auch möglicherweise der directen Wirkung faulender Stoffe zuzuschreiben; inzwischen müssen wir vorsichtig sein mit derartigen Deutungen, da ja auch die Kopfhaut des ganz [227] säuberlich fressenden Truthahns nackt ist. Die Nähte an den Schädeln junger Säugethiere sind als eine schöne Anpassung zur Erleichterung der Geburt dargestellt worden, und ohne Zweifel erleichtern sie dieselbe oder sind sogar für diesen Act unentbehrlich; da aber auch solche Nähte an den Schädeln junger Vögel und Reptilien vorkommen, welche nur aus einem zerbrochenen Eie zu schlüpfen brauchen, so dürfen wir schliessen, daß diese Bildungsweise von den Wachsthumsgesetzen herrührt und daß bei der Geburt der höheren Wirbelthiere Vortheil daraus gezogen worden ist.

Wir wissen ganz und gar nichts über die Ursachen, welche unbedeutende Abänderungen oder individuelle Verschiedenheiten veranlassen, und werden dieser Unwissenheit uns unmittelbar bewußt, wenn wir über die Verschiedenheiten unserer Hausthierrassen in verschiedenen Ländern, und ganz besonders in minder civilisirten Ländern, nachdenken, wo nur wenig planmäßige Zuchtwahl angewendet worden ist. Die in verschiedenen Gegenden von wilden Völkern gehaltenen Hausthiere haben oft um ihr eigenes Dasein zu kämpfen; sie mögen bis zu einem gewissen Grade der natürlichen Zuchtwahl unterliegen; und Individuen mit nur wenig abweichender Constitution gedeihen zuweilen am besten in verschiedenen Climaten. Das Rind ist bei gewisser Färbung den Angriffen der Fliegen mehr ausgesetzt, wie es auch empfänglicher für eine Vergiftung durch gewisse Pflanzen ist, so daß auf diese Weise selbst die Farbe der Wirkung der natürlichen Zuchtwahl ausgesetzt ist. Einige Beobachter sind der Überzeugung, daß ein feuchtes Clima den Haarwuchs afficire, und daß Hörner mit dem Haare in Correlation stehen. Gebirgsrassen sind überall von Niederungsrassen verschieden, und Gebirgsgegenden werden wahrscheinlich auf die Hinterbeine und möglicherweise selbst auf die Form des Beckens wirken, sofern diese daselbst mehr in Anspruch genommen werden; nach dem Gesetze homologer Variation werden dann wahrscheinlich auch die vorderen Gliedmassen und der Kopf mit betroffen werden. Auch dürfte die Form des Beckens der Mutter durch Druck auf die Kopfform des Jungen in ihrem Leibe wirken. Wir haben auch Grund zu vermuthen, daß das nothwendiger Weise in hohen Gebirgen mühevollere Athmen auch die Weite des Brustkastens vermehrt, und wieder würde Correlation in’s Spiel kommen. Die Wirkung unterbleibender Bewegung auf die Gesammtorganisation in Verbindung mit reichlichem Futter ist wahrscheinlich von noch größerer Wichtigkeit; und darin [228] liegt, wie H. von Nathusius kürzlich in seiner ausgezeichneten Abhandlung nachgewiesen hat, offenbar eine Hauptursache der großen Veränderungen, welche die verschiedenen Schweinerassen erlitten haben. Wir haben aber viel zu wenig Erfahrung, um über die vergleichsweise Wichtigkeit der verschiedenen bekannten und unbekannten Abänderungsursachen Betrachtungen anzustellen, und ich habe die vorstehenden Bemerkungen nur gemacht, um zu zeigen, daß, wenn wir nicht im Stande sind, die characteristischen Verschiedenheiten unserer verschiedenen cultivirten Rassen zu erklären, welche doch nichts destoweniger der allgemeinen Annahme zufolge durch gewöhnliche Fortpflanzung von einer oder wenigen Stammformen entstanden sind, wir auch unsere Unwissenheit über die genaue Ursache geringer analoger Verschiedenheiten zwischen echten Arten nicht zu hoch anschlagen dürfen.


Wie weit die Utilitätstheorie richtig ist; wie Schönheit erzielt wird.

Die vorangehenden Bemerkungen veranlassen mich, auch einige Worte über die neuerlich von mehreren Naturforschern eingelegte Verwahrung gegen die Nützlichkeitslehre zu sagen, nach welcher nämlich alle Einzelnheiten der Bildung zum Vortheil ihres Besitzers hervorgebracht sein sollen. Dieselben sind der Meinung, daß sehr viele organische Gebilde nur der Schönheit wegen vorhanden seien, um die Augen des Menschen oder den Schöpfer zu ergötzen (doch liegt die letztere Annahme jenseits der Grenzen wissenschaftlicher Erörterungen), oder wie bereits erwähnt und erörtert wurde, der bloßen Abwechslung wegen. Derartige Lehren müßten, wären sie richtig, meiner Theorie unbedingt verderblich werden. Ich gebe vollkommen zu, daß manche Bildungen jetzt von keinem unmittelbaren Nutzen für deren Besitzer und vielleicht nie von Nutzen für deren Vorfahren gewesen sind; dies beweist aber nicht, daß sie nur der Schönheit oder der Abwechselung wegen gebildet wurden. Ohne Zweifel haben die bestimmte Einwirkung veränderter Lebensbedingungen und die verschiedenartigen kürzlich speciell angeführten Modificationsursachen sämmtlich eine Wirkung und wahrscheinlich eine große Wirkung, unabhängig von einem dadurch erlangten Vortheil hervorgebracht. Aber eine noch wichtigere Erwägung ist die, daß der Haupttheil der Organisation eines jeden lebenden Wesens durch Erbschaft erworben ist, daher denn auch, obschon zweifelsohne jedes Wesen für seinen Platz im Haushalte der Natur ganz wohl gemacht sein mag, viele Bildungen [229] keine sehr nahen und directen Beziehungen zur gegenwärtigen Lebensweise jeder Species haben. So können wir kaum glauben, daß der Schwimmfuß des Fregattenvogels oder der Landgans (Chloëphaga maghellanica) diesen Vögeln von speciellem Nutzen sei; wir können nicht annehmen, daß die nämlichen Knochen im Arme des Affen, im Vorderfuße des Pferdes, im Flügel der Fledermaus und im Ruder des Seehundes allen diesen Thieren einen speciellen Nutzen bringen. Wir können diese Bildungen getrost als Erbschaft ansehen; aber zweifelsohne sind Schwimmfüße dem Urerzeuger jener Gans und des Fregattenvogels eben so nützlich gewesen, als sie den meisten jetzt lebenden Wasservögeln sind. So dürfen wir vermuthen, daß der Stammvater des Seehundes nicht einen Ruderfuß, sondern einen fünfzehigen Geh- oder Greiffuß besessen habe; wir dürfen ferner vermuthen, daß die einzelnen Knochen in den Beinen des Affen, des Pferdes, der Fledermaus ursprünglich nach dem Principe der Nützlichkeit entwickelt worden sind, wahrscheinlich durch Reduction zahlreicherer Knochen in der Floße irgend eines alten fischähnlichen Urerzeugers der ganzen Classe. Es ist kaum möglich zu entscheiden, wie viel auf Rechnung solcher Ursachen der Abänderung, wie die bestimmte Wirkung äußerer Lebensbedingungen, sogenannte spontane Abänderungen, und die complicirten Gesetze des Wachsthums zu bringen ist; aber mit diesen wichtigen Ausnahmen können wir schließen, daß der Bau jedes lebenden Geschöpfes direct oder indirect seinem Besitzer entweder jetzt noch von Nutzen ist oder früher von Nutzen war.

In Bezug auf die Ansicht, daß die organischen Wesen zum Entzücken des Menschen schön erschaffen worden seien, – eine Ansicht, von der versichert wurde, sie sei verderblich für meine Theorie – will ich zunächst bemerken, daß das Gefühl der Schönheit offenbar von dem Geiste des Menschen ausgeht, ganz ohne Rücksicht auf irgend eine reale Qualität des bewunderten Gegenstandes, und daß die Idee dessen, was schön ist, kein eingeborenes und unveränderliches Element des Geistes ist. Wir sehen dies z. B. bei den Männern der verschiedenen Rassen, welche einen völlig verschiedenen Maßstab für die Schönheit ihrer Frauen haben. Wären schöne Objecte allein zur Befriedigung des Menschen erschaffen worden, so müßte gezeigt werden, daß es, ehe der Mensch auf der Bühne erschien, weniger Schönheit auf der Oberfläche der Erde gegeben habe. Wurden die schönen [230] Voluta- und Conus-Schalen der eocenen Periode und die so graciös sculpturirten Ammoniten der Secundärzeit erschaffen, daß sie der Mensch nach Jahrtausenden in seinen Sammlungen bewundere? Wenig Objecte sind schöner als die minutiösen Kieselschalen der Diatomeen: wurden diese erschaffen, um unter stark vergrößernden Mikroskopen untersucht und bewundert zu werden? Im letzteren Falle wie in vielen anderen ist die Schönheit dem Anscheine nach gänzlich eine Folge der Symmetrie des Wachsthums. Die Blüthen rechnet man zu den schönsten Erzeugnissen der Natur, sie sind indessen im Contrast zu den grünen Blättern auffallend und in Folge davon gleichzeitig schön gemacht geworden, damit sie leicht von Insecten bemerkt würden. Ich bin zu diesem Schlusse gelangt, weil ich es als eine unwandelbare Regel erkannte, daß, wenn eine Blüthe durch den Wind befruchtet wird, sie nie eine lebhaft gefärbte Corolle hat. Ferner bringen mehrere Pflanzen gewöhnlich zwei Arten von Blüthen hervor; die eine Art offen und gefärbt, um Insecten anzulocken, die andere geschlossen, nicht gefärbt, und ohne Nectar, die nie von Insecten besucht wird. Wir können hieraus schließen, daß, wenn Insecten niemals an der Erdoberfläche existirt hätten, die Vegetation nicht mit schönen Blüthen geziert worden wäre, sondern nur solche armselige Blüthen erzeugt hätte, wie sie jetzt unsere Tannen, Eichen, Nußbäume, Eschen, Gräser, Spinat, Ampfer und Nesseln tragen, welche sämmtlich durch die Thätigkeit des Windes befruchtet werden. Ein ähnliches Raisonnement paßt auch auf die verschiedenen Arten von Früchten; daß eine reife Erdbeere oder Kirsche für das Auge eben so angenehm ist wie für den Gaumen, daß die lebhaft gefärbte Frucht des Spindelbaums und die scharlachrothen Beeren der Stechpalme schön sind, wird Jedermann zugeben. Diese Schönheit dient aber nur dazu, Vögel und andere Thiere dazu zu bewegen, diese Früchte zu fressen und dadurch die Samen zu verbreiten. Daß dies der Fall ist schließe ich, weil ich bis jetzt keine Ausnahme von der Regel gefunden habe, daß die in Früchten irgend welcher Art (d. h. in einer fleischigen oder breiigen Hülle) eingeschlossenen Samen, wenn die Frucht irgend glänzend gefärbt oder nur auffallend, weiß oder schwarz, ist, stets auf diese Weise verbreitet werden.

Auf der andern Seite gebe ich gern zu, daß eine große Anzahl männlicher Thiere, wie alle unsere prächtigen Vögel, manche Fische, Reptilien und Säugethiere und eine Schaar prachtvoll gefärbter Schmetterlinge [231] der Schönheit wegen schön geworden sind; dies ist aber nicht zum Vergnügen des Menschen bewirkt worden, sondern durch geschlechtliche Zuchtwahl, d. h. es sind beständig die schöneren Männchen von den Weibchen vorgezogen worden. Dasselbe gilt auch von dem Gesang der Vögel. Aus allem diesem können wir schließen, daß ein ähnlicher Geschmack für schöne Farben und musikalische Töne sich durch einen großen Theil des Thierreichs hindurchzieht. Wo das Weibchen ebenso schön gefärbt ist, wie das Männchen, was bei Vögeln und Schmetterlingen nicht selten der Fall ist, da liegt die Ursache dem Anscheine nach darin, daß die durch sexuelle Zuchtwahl erlangten Farben auf beide Geschlechter, statt nur auf das Männchen, vererbt worden sind. Wie das Gefühl der Schönheit in seiner einfachsten Form, – d. h. die Empfindung einer eigenthümlichen Art von Vergnügen an gewissen Farben, Formen und Lauten – sich zuerst im Geiste des Menschen und der niederen Thiere entwickelt hat, ist ein sehr dunkler Gegenstand. Dieselbe Schwierigkeit bietet sich dar, wenn wir untersuchen, woher es kommt, daß gewisse Geschmäcke und Gerüche Vergnügen machen und andere Misvergnügen. In allen diesen Fällen scheint die Gewöhnung in einer gewissen Ausdehnung in’s Spiel gekommen zu sein; es muß aber auch irgend eine fundamentale Ursache in der Constitution des Nervensystems bei jeder Species vorhanden sein.

Natürliche Zuchtwahl kann unmöglich irgend eine Abänderung in irgend einer Species bewirken, welche nur einer anderen Species zum ausschließlichen Vortheile gereichte, obwohl in der ganzen Natur eine Species ohne Unterlaß von der Organisation einer andern Nutzen und Vortheil zieht. Aber natürliche Zuchtwahl kann auch oft hervorbringen und bringt oft in Wirklichkeit solche Gebilde hervor, die anderen Thieren zum unmittelbaren Nachtheil gereichen, wie wir im Giftzahne der Kreuzotter und in der Legeröhre des Ichneumon sehen, welcher mit deren Hülfe seine Eier in den Körper anderer lebenden Insecten einführt. Ließe sich beweisen, daß irgend ein Theil der Organisation einer Species zum ausschließlichen Besten einer anderen Species gebildet worden sei, so wäre meine Theorie vernichtet, weil eine solche Bildung nicht durch natürliche Zuchtwahl bewirkt werden kann. Obwohl in naturhistorischen Schriften vielerlei Behauptungen in diesem Sinne aufgestellt worden, so kann ich doch keine einzige darunter von einigem Gewichte finden. So gesteht man zu, daß die [232] Klapperschlange einen Giftzahn zu ihrer eigenen Vertheidigung und zur Tödtung ihrer Beute besitze; aber einige Autoren nehmen auch an, daß sie ihre Klapper gleichzeitig auch zu ihrem eigenen Nachtheile erhalten habe, nämlich um ihre Beute zu warnen. Man könnte jedoch eben so gut behaupten, die Katze mache die Krümmungen mit dem Ende ihres Schwanzes, wenn sie im Begriffe einzuspringen ist, in der Absicht um die bereits zum Tode verurtheilte Maus zu warnen. Viel wahrscheinlicher ist die Ansicht, daß die Klapperschlange ihre Klappern benutze, die Brillenschlange ihren Kragen ausdehne, die Buff-Otter während ihres lauten und scharfen Zischens anschwelle, um die vielen Vögel und Säugethiere zu beunruhigen, welche bekanntlich auch die giftigsten Species angreifen. Schlangen handeln hier nach demselben Princip, welches die Hennen ihre Federn erzittern und ihre Flügel ausbreiten macht, wenn ein Hund sich ihren Küchlein nähert. Doch, ich habe hier nicht Raum, auf die vielerlei Weisen weiter einzugehen, auf welche die Thiere ihre Feinde abzuschrecken versuchen.

Natürliche Zuchtwahl kann niemals in einer Species irgend ein Gebilde erzeugen, was für dieselbe schädlicher als wohlthätig ist, indem sie ausschließlich nur durch und zu deren Vortheil wirkt. Kein Organ kann, wie Paley bemerkt hat, gebildet werden, um seinem Besitzer Qual und Schaden zu bringen. Eine genaue Abwägung zwischen Nutzen und Schaden, welchen ein jeder Theil verursacht, wird immer zeigen, daß er im Ganzen genommen vortheilhaft ist. Wird etwa in späterer Zeit bei wechselnden Lebensbedingungen ein Theil schädlich, so wird er entweder verändert, oder die Art geht zu Grunde, wie ihrer Myriaden zu Grunde gegangen sind.

Natürliche Zuchtwahl strebt jedes organische Wesen eben so vollkommen oder ein wenig vollkommener als die übrigen Bewohner derselben Gegend zu machen, mit welchem dasselbe um sein Dasein zu kämpfen hat. Und wir sehen, daß dies der Grad von Vollkommenheit ist, welcher im Naturzustande erreicht wird. Die Neuseeland eigenthümlichen Naturerzeugnisse sind vollkommen, eines mit dem andern verglichen, aber sie weichen jetzt weit zurück vor den vordringenden Legionen aus Europa eingeführter Pflanzen und Thiere. Natürliche Zuchtwahl will keine absolute Vollkommenheit herstellen; auch begegnen wir, so viel sich beurtheilen läßt, einer so hohen Stufe nirgends im Naturzustande. Die Correction für die Aberration des [233] Lichtes ist, wie Joh. Müller erklärt, selbst in dem vollkommensten aller Organe, dem menschlichen Auge, noch nicht vollständig. Helmholtz, dessen Urtheilsfähigkeit Niemand bestreiten wird, fügt, nachdem er in den kräftigsten Ausdrücken die wundervollen Kräfte des menschlichen Auges beschrieben hat, die merkwürdigen Worte hinzu: „Das was wir von Ungenauigkeit und Unvollkommenheit in dem optischen Apparate und in dem Bilde auf der Netzhaut entdeckt haben, ist nichts im Vergleich mit der Ungenauigkeit, der wir soeben auf dem Gebiete der Empfindungen begegnet sind. Man könnte sagen, daß die Natur daran ein Gefallen gefunden hat, Widersprüche zu häufen, um alle Grundlagen zu einer Theorie einer präexistirenden Harmonie zwischen der äußeren und inneren Welt zu beseitigen.“ Wenn uns unsere Vernunft zu begeisterter Bewunderung einer Menge unnachahmlicher Einrichtungen in der Natur auffordert, so lehrt uns auch diese nämliche Vernunft, daß, trotzdem wir leicht nach beiden Seiten irren können, andere Einrichtungen weniger vollkommen sind. Können wir den Stachel der Biene als vollkommen betrachten, der wenn er einmal gegen die Angriffe von mancherlei Thieren angewandt wird, den unvermeidlichen Tod seines Besitzers bewirken muß, weil er seiner Widerhaken wegen nicht mehr aus der Wunde, die er gemacht hat, zurückgezogen werden kann, ohne die Eingeweide des Insects herauszureißen und so unvermeidlich den Tod des Insects nach sich zu ziehen?

Nehmen wir an, der Stachel der Biene sei bei einer sehr frühen Stammform bereits als Bohr- und Sägewerkzeug vorhanden gewesen, wie es häufig bei anderen Gliedern der Hymenopterenordnung vorkommt und sei für seine gegenwärtige Bestimmung (mit dem ursprünglich zur Hervorbringung von Gallenauswüchsen oder anderen Zwecken bestimmten, später verschärften Gifte) umgeändert aber nicht zugleich verbessert worden, so können wir vielleicht begreifen, warum der Gebrauch dieses Stachels so oft den eigenen Tod des Insects veranlaßt; denn wenn allgemein das Vermögen zu stechen der ganzen Bienengemeinde nützlich ist, so mag er allen Anforderungen der natürlichen Zuchtwahl entsprechen, obwohl seine Beschaffenheit den Tod der einzelnen Individuen veranlaßt, die ihn anwenden. Wenn wir über das wirklich wunderbare scharfe Witterungsvermögen erstaunen, mit dessen Hülfe manche Insectenmännchen ihre Weibchen ausfindig zu machen im Stande sind, können wir dann auch die für diesen einen Zweck [234] bestimmte Erzeugung von Tausenden von Drohnen bewundern, welche, der Gemeinde für jeden anderen Zweck gänzlich nutzlos, bestimmt sind, zuletzt von ihren arbeitenden aber unfruchtbaren Schwestern umgebracht zu werden? Es mag schwer sein, aber wir müssen den wilden instinctiven Haß der Bienenkönigin bewundern, welcher sie treibt, die jungen Königinnen, ihre Töchter, augenblicklich nach ihrer Geburt zu tödten oder selbst in dem Kampfe zu Grunde zu gehen; denn unzweifelhaft ist dies zum Besten der Gemeinde, und mütterliche Liebe oder mütterlicher Haß, obwohl dieser letzte glücklicher Weise äußerst selten ist, gilt dem unerbittlichen Principe natürlicher Zuchtwahl völlig gleich. Wenn wir die verschiedenen sinnreichen Einrichtungen vergleichen, vermöge welcher die Blüthen der Orchideen und vieler anderer Pflanzen vermittelst Insectenthätigkeit befruchtet werden, können wir dann die Anordnung bei unseren Nadelhölzern als eine gleich vollkommene ansehen, vermöge welcher große und dichte Staubwolken von Pollen hervorgebracht werden müssen, damit einige Körnchen davon durch einen günstigen Lufthauch den Eichen zugeführt werden?


Zusammenfassung des Capitels; das Gesetz der Einheit des Typus und der Existenzbedingungen von der Theorie der natürlichen Zuchtwahl umfaßt.

Wir haben in diesem Capitel einige von den Schwierigkeiten und Einwendungen erörtert, welche meiner Theorie entgegengestellt werden könnten. Viele derselben sind ernster Art; doch glaube ich, daß durch ihre Erörterung einiges Licht über mehrere Thatsachen verbreitet worden ist, welche nach der Theorie der unabhängigen Schöpfungsacte ganz dunkel geblieben sein würden. Wir haben gesehen, daß Arten zu irgend welcher Zeit nicht in’s Endlose abändern können und nicht durch zahllose Übergangsformen unter einander zusammenhängen, theils weil der Proceß der natürlichen Zuchtwahl immer sehr langsam ist und in jeder bestimmten Zeit nur auf sehr wenige Formen wirkt, und theils weil gerade dieser selbe Proceß der natürlichen Zuchtwahl auch die fortwährende Verdrängung und Erlöschung vorhergehender und mittlerer Abstufungen schon in sich schließt. Nahe verwandte Arten, welche jetzt auf einer zusammenhängenden Fläche wohnen, müssen oft gebildet worden sein, als die Fläche noch nicht zusammenhängend war und die Lebensbedingungen nicht unmerkbar [235] von einer Stelle zur andern abänderten. Wenn zwei Varietäten an zwei Stellen eines zusammenhängenden Gebietes sich bildeten, so wird oft auch eine mittlere Varietät für eine mittlere Zone passend entstanden sein; aber aus angegebenen Gründen wird die mittlere Varietät gewöhnlich in geringerer Anzahl als die zwei durch sie verbundenen Abänderungen vorhanden gewesen sein, welche letztere mithin im Verlaufe weiterer Umbildung sich durch ihre größere Anzahl in entschiedenem Vortheil vor der weniger zahlreichen mittleren Varietät befanden und mithin gewöhnlich auch im Stande waren, sie zu ersetzen und zu vertilgen.

Wir haben in diesem Capitel gesehen, wie vorsichtig man sein muß zu schließen, daß die verschiedenartigsten Gewohnheiten des Lebens nicht in einander übergehen können, daß eine Fledermaus z. B. nicht etwa auf dem Wege natürlicher Zuchtwahl entstanden sein könne aus einem Thiere, welches anfangs bloß durch die Luft zu gleiten im Stande war.

Wir haben gesehen, daß eine Art unter veränderten Lebensbedingungen ihre Gewohnheiten ändern oder vermannichfaltigen und manche Sitten annehmen könne, die von denen ihrer nächsten Verwandten abweichen. Daraus können wir begreifen, (wenn wir uns zugleich erinnern, daß jedes organische Wesen zu leben versucht, wo es nur immer leben kann), wie es zugegangen ist, daß es Landgänse mit Schwimmfüßen, am Boden lebende Spechte, tauchende Drosseln und Sturmvögel mit den Sitten der Alke gebe.

Obwohl die Meinung, daß ein so vollkommenes Organ, wie das Auge ist, durch natürliche Zuchtwahl hervorgebracht werden könne, mehr als genügt um jeden wankend zu machen, so ist doch keine logische Unmöglichkeit vorhanden, daß irgend ein Organ unter sich verändernden Lebensbedingungen durch eine lange Reihe von Abstufungen in seiner Zusammensetzung, deren jede dem Besitzer nützlich ist, endlich jeden begreiflichen Grad von Vollkommenheit auf dem Wege natürlicher Zuchtwahl erlange. In Fällen, wo wir keine Zwischenzustände oder Übergangsformen kennen, müssen wir uns wohl sehr hüten zu schließen, daß solche niemals bestanden hätten, denn die Metamorphosen vieler Organe zeigen, welche wunderbaren Veränderungen in ihren Verrichtungen wenigstens möglich sind. So ist z. B. eine Schwimmblase offenbar in eine luftathmende Lunge verwandelt worden. Übergänge müssen namentlich da oft in hohem Grade erleichtert [236] worden sein, wo ein und dasselbe Organ mehrere sehr verschiedene Verrichtungen gleichzeitig zu besorgen hatte und dann entweder zum Theil oder ganz für eine von diesen Verrichtungen specialisirt wurde, ferner auch da, wo gleichzeitig zwei verschiedene Organe dieselbe Function ausübten und das eine mit Unterstützung des andern sich weiter vervollkommnen konnte.

Wir haben bei zwei in der Stufenleiter der Natur sehr weit auseinanderstehenden Wesen gesehen, daß ein in beiden demselben Zwecke dienendes und äußerlich sehr ähnlich erscheinendes Organ besonders und unabhängig sich gebildet haben konnte; werden aber derartige Organe näher untersucht, so können beinahe immer wesentliche Differenzen in ihrem Baue nachgewiesen werden, und dies folgt natürlich aus dem Principe der natürlichen Zuchtwahl. Auf der anderen Seite ist eine unendliche Verschiedenheit der Structur zur Erreichung desselben Zweckes die allgemeine Regel in der ganzen Natur; und dies folgt wieder ebenso natürlich aus demselben großen Principe.

Wir sind in vielen Fällen viel zu unwissend, um behaupten zu können, daß ein Theil oder Organ für das Gedeihen einer Art so unwesentlich sei, daß Abänderungen seiner Bildung nicht durch natürliche Zuchtwahl mittelst langsamer Häufung hätten bewirkt werden können. In vielen anderen Fällen sind Modificationen wahrscheinlich das directe Resultat der Gesetze der Abänderung oder des Wachsthums, unabhängig davon, daß dadurch ein Vortheil erreicht wurde. Doch dürfen wir zuversichtlich annehmen, daß selbst solche Bildungen später mit Vortheil benutzt und weiter zum Besten einer Art unter neuen Lebensbedingungen modificirt worden sind. Wir dürfen ferner glauben, daß ein früher hochwichtiger Theil später (wie der Schwanz eines Wasserthieres von den davon abstammenden Landthieren) beibehalten worden ist, obwohl er für dieselben von so geringer Bedeutung ist, daß er in seinem jetzigen Zustande nicht durch natürliche Zuchtwahl erworben sein könnte.

Natürliche Zuchtwahl kann bei keiner Species etwas erzeugen, das zum ausschließlichen Nutzen oder Schaden einer anderen wäre, doch kann sie Theile, Organe und Excretionen herstellen, welche zwar für eine andere Art sehr nützlich und sogar unentbehrlich oder in hohem Grade verderblich, aber doch in allen Fällen zugleich nützlich für den Besitzer sind. Natürliche Zuchtwahl wirkt in jeder wohlbevölkerten Gegend durch die Concurrenz der Bewohner unter einander [237] und kann folglich auf Verbesserung und Kräftigung für den Kampf um’s Dasein lediglich nach dem für diese Gegend giltigen Maßstab hinwirken. Daher müssen die Bewohner einer, und zwar gewöhnlich der kleineren Gegend oft vor denen einer anderen und gemeiniglich größeren zurückweichen. Denn in der größeren Gegend werden mehr Individuen und mehr differenzirte Formen existirt haben, wird die Concurrenz stärker und mithin das Ziel der Vervollkommnung höher gesteckt gewesen sein. Natürliche Zuchtwahl wird nicht nothwendig zur absoluten Vollkommenheit führen, und diese ist auch, so viel wir mit unseren beschränkten Fähigkeiten zu beurtheilen vermögen, nirgends zu finden.

Nach der Theorie der natürlichen Zuchtwahl läßt sich die ganze Bedeutung des alten Glaubenssatzes in der Naturgeschichte „Natura non facit saltum“ verstehen. Dieser Satz ist, wenn wir nur die jetzigen Bewohner der Erde berücksichtigen, nicht ganz richtig, muß aber nach meiner Theorie vollkommen wahr sein, wenn wir alle, bekannten oder unbekannten, Wesen vergangener Zeiten mit einschließen.

Es ist allgemein anerkannt, daß alle organischen Wesen nach zwei großen Gesetzen gebildet worden sind: Einheit des Typus und Bedingungen der Existenz. Unter Einheit des Typus begreift man die Übereinstimmung im Grundplane des Baues, wie wir ihn bei den Gliedern einer und derselben Classe finden und welcher ganz unabhängig von ihrer Lebensweise ist. Nach meiner Theorie erklärt sich die Einheit des Typus aus der Einheit der Abstammung. Der Ausdruck Existenzbedingungen, so oft von dem berühmten Cuvier betont, ist in meinem Principe der natürlichen Zuchtwahl vollständig mit inbegriffen. Denn die natürliche Zuchtwahl wirkt nur dadurch, daß sie die veränderlichen Theile eines jeden Wesens seinen organischen und unorganischen Lebensbedingungen entweder jetzt anpaßt oder in längst vergangenen Zeiten angepaßt hat. Diese Anpassungen können in vielen Fällen durch den vermehrten Gebrauch oder Nichtgebrauch unterstützt, durch directe Einwirkung äußerer Lebensbedingungen leicht afficirt werden und sind in allen Fällen den verschiedenen Wachsthums- und Abänderungsgesetzen unterworfen. Daher ist denn auch das Gesetz der Existenzbedingungen in der That das höhere, indem es vermöge der Erblichkeit früherer Abänderungen und Anpassungen das der Einheit des Typus mit in sich begreift.

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