Entzündung

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Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Entzündung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 472–473
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Naturheilkraft.

Entzündung.

Entzündungen werden, ebenso wie Blutungen (s. Gartenlaube Jahrg. III. Nr. 29), in den allermeisten Fällen durch den Naturheilungsproceß (s. Gartenlaube Jahrg. III. Nr. 25) geheilt, und diese Heilung ist entweder eine ganz vollständige oder sie hinterläßt mehr oder weniger deutliche und beschwerliche Folgezustände, welche in mannigfachen Veränderungen des früher entzündeten Theiles bestehen. Bisweilen artet eine Entzündung aber auch bis zum Absterben des ergriffenen Theiles aus, und dies heißt dann der (heiße, schwarze oder feuchte) Brand. – Nur bei wenigen Entzündungen und vorzugsweise bei sichtbaren Entzündungen äußerer Theile ist ärztliche Hülfe von wirklichem und offenbarem Vortheile, während bei Entzündungen innerer Organe der Naturheilungsproceß nur wenig, aber doch in Etwas, durch den Arzt unterstützt werden kann. – Bei der homöopathischen Heilmethode, wo doch die Arzneien gleich Nichts sind, muß bei Entzündungen die Natur natürlich ganz allein wirksam sein, und deshalb ist allerdings die homöopathische Behandlung dieser Krankheiten (gewöhnlich mit Aconit) scheinbar sehr oft von gutem Erfolge, sie kann aber auch durch Unterlassung gewisser Hülfeleistungen (z. B. bei Augenentzündungen) großen Schaden anrichten.

Was ist Entzündung? eine widernatürliche Anhäufung von Blut in den feinsten, meistens erweiterten Blutgefäßchen, welches hier nun entweder viel langsamer fließt oder auch wohl ganz stockt. Diese feinsten Gefäßchen heißen Haargefäße, Capillaren (s. Gartenlaube Jahrg. I. Nr. 9 und 45), und sie sind es, von denen aus der Stoffwechsel, also die Ernährung, das Leben aller Organe (s. Gartenlaube Jahrg. II Nr. 9 und Jahrg. III. Nr. 6) unterhalten wird. Indem nämlich das Blut langsam durch die äußerst dünnwandigen und netzförmig alle Theile unseres Körpers durchziehenden Haargefäße, welche die letzten Endchen der Pulsadern mit den ersten Anfängen der Blutadern vereinigen, hindurchströmt, tritt aus demselben durch die Haargefäßwände hindurch flüssiges Ernährungsmaterial in die Gewebe heraus; gleichzeitig dringt aber auch aus diesen Geweben ein Theil der abgestorbenen und wieder flüssig gewordenen Bestandtheile durch die Haargefäßwände hinein in den Blutstrom und wird nach den Blutadern hin fortgeführt. So findet also durch die Haargefäße ebensowohl Absonderung wie Aufsaugung statt, und beide Processe müssen natürlich bei einer Entzündung, wo ja die Haargefäße und ihr Blutstrom in Unordnung gerathen sind, gestört sein. Somit muß aber auch die richtige Ernährung (der Stoffwechsel) des entzündeten Theiles eine Störung erleiden, und diese ist nach dem Grade der Blutanhäufung, der Erweiterung der Haargefäße und der Stockung des Blutes eine mehr oder weniger bedeutende. Bei geringerem Grade und baldigem Vorübergehen dieses Zustandes pflegt der Arzt von Congestion oder Blutandrang zu sprechen, während er den höheren und länger andauernden Grad als Entzündung bezeichnet. Stets ist bei der letzteren das aus den erweiterten und mit Blut überfüllten Haargefäßen Austretende, was doch gutes Ernährungsmaterial sein sollte, nicht mehr ein solches, sondern eine andere, zur Ernährung der Gewebe nicht mehr taugliche Flüssigkeit, welche aber natürlich ebenfalls aus guten, nur in falschem Verhältniß zu einander stehenden Blutbestandtheilen (Faserstoff, Eiweißstoff, Fett, Salzen, Wasser) besteht, und Ausgeschwitzes, Exsudat genannt wird. Dieses Exsudat ist nun das Material, aus welchem sich die krankhaften, ebensowohl flüssigen wie festen, gut- oder bösartigen, Vortheil oder Nachtheil bringenden Materien (wie Eiter, Jauche, Faser- und Krebsgeschwülste etc.) hervorbilden, und sonach kann das Exsudat ebensowohl zur Zerstörung und Geschwulstbildung, wie zur Heilung (von Wunden, Geschwüren, Knochenbrüchen u. s. f.) Veranlassung geben. Da der Arzt bei solchen Ausschwitzungen in Folge von Entzündung niemals im Voraus genau bestimmen kann, wie sich das Ausgeschwitzte in seiner Beschaffenheit und in seinen fernern Metamorphosen verhalten wird, so ist er auch niemals den Ausgang und die Folgen einer Entzündung mit Sicherheit anzugeben im Stande. Ebensowenig läßt sich nun auch die Dauer der Entzündung mit ihrer nachfolgenden Ausschwitzung genau voraussagen.

Was die Ursachen betrifft, welche eine Entzündung veranlassen können, so sind diese so viel- und mannigfache äußere und [473] innere Schädlichkeiten (Reize), daß sie nur in äußerst wenig Fällen genau zu ermitteln sind, zumal da dieselben ihre Wirkung zunächst ebensowohl auf die Haargefäßwände und ihre Umgebung, wie auf die Nerven und das Blut der Capillaren äußerte können. Kurz, es ist zur Zeit noch unmöglich, die Vorgänge beim Entstehen einer Entzündung genau anzugeben. Dagegen lassen sich die Erscheinungen bei entwickelter Entzündung und Ausschwitzung sehr deutlich wahrnehmen und besonders durch das Mikroscop verfolgen.

Die Kennzeichen einer Entzündung, welche natürlich nur an entzündeten äußeren Theilen wahrgenommen werden können, sind kurz gefaßt: Röthe, Geschwulst, Hitze, Schmerz und Funktionsstörungen; jedoch ist von diesen Symptomen bald das eine bald das andere in höherem oder niederem Grade vorhanden, und sie verschwinden in der Regel um so mehr, je deutlicher die Ausschwitzung mit ihren Veränderungen hervortritt. – Die Röthe entzündeter Stellen hängt von der Menge der Haargefäße und des in diesen angehäuften Blutes ab; sie ist bald hell, bald dunkel, gleichmäßig ausgebreitet oder baum- und netzförmig; sie weicht in Folge der Ausschwitzung und macht dann gewöhnlich einer weißlichen Färbung Platz. – Die entzündliche Geschwulst richtet sich nach der Quantität des in den Gefäßen angehäuften Blutes und des Ausgeschwitzten; sie ist bald weich, bald hart, je nachdem das Exsudat ein flüssiges oder ein geronnenes ist. – Die Hitze bei Entzündungen, welche ebensowohl der Kranke wie auch die aufgelegte Hand eines Andern fühlt, ist vom Blute abhängig und übersteigt zu Anfange die natürliche Wärme um einige Grade. – Die Schmerzen und widernatürlichen Empfindungen (Schwere, Vollsein, Brennen u. s. w.), welche in entzündeten Theilen wahrgenommen werden, sind Folgen der Reizung der Empfindungsnerven dieser Theile, und nach der Menge und Reizbarkeit dieser Nerven, sowie nach dem Grade der Reizung derselben von verschiedener Heftigkeit. Sehr oft verschwindet der Schmerz in entzündeten Theilen ganz plötzlich von selbst in Folge der Ausschwitzung, und giebt so zu dem Glauben Veranlassung, als ob er durch die angewendeten Mittel vertrieben worden wäre und als ob die Entzündung verschwunden sei, obschon das Exsudat doch noch vorhanden und die Krankheit noch lange nicht beendigt ist. – Die Störung der Thätigkeit des entzündeten Organes kann nach der Ausdehnung und dem Grade der Entzündung eine mehr oder weniger bedeutende sein, ja sie ist nicht selten ganz aufgehoben. Ebenso erleidet stets die Ernährung, sowie öfters auch die Form und Größe des entzündeten Theiles Abänderungen. – Noch trifft man ferner bei Entzündungen stärkere oder schwächere Blutungen, die durch Zerreißung einzelner oder vieler, von Blut strotzender Haargefäße veranlaßt wurden. – Werden zahlreiche Empfindungsnerven durch die Entzündung heftiger gereizt, dann bedingt diese Reizung mittels Ueberstrahlung (Reflex) auf die Herznerven eine Beschleunigung der Herzthätigkeit (häufigern Pulsschlag) und Fieber. Je reizbarer ein Mensch ist, desto leichter gesellt sich bei demselben zu Entzündungen Fieber. – Das sichere Erkennen von Entzündungen innerer, dem Auge unzugänglicher Organe ist für den Arzt in vielen Fällen ganz unmöglich, in andern dagegen nicht durch die äußeren Krankheitserscheinungen, sondern nur durch innere, mit Hülfe der physicalischen Untersuchungsmethode (besonders durch Beklopfen und Behorchen) zu ergründender physicalischer Veränderungen des entzündeten Organes zu ermöglichen. Deshalb sind auch die Homöopathen in den allermeisten Fällen von Entzündungen nicht im Stande, die nöthige Rechenschaft über den Stand der Krankheit zu geben.

Die Heilung von Entzündungen, zumal die innerer Organe, wird in den meisten Fällen von der Natur ganz allein besorgt (weshalb die Homöopathen mit ihren Nichtsen auch Entzündungen zu kuriren scheinen), und zwar theils dadurch, daß das in den erweiterten Haargefäßen angehäufte und stockende Blut allmälig wieder flott wird, theils durch Aufsaugung oder Ausführen des Ausgeschwitzten aus dem Körper. Freilich können auch die ausgeschwitzten Materien im entzündeten Theile zurückbleiben und sich, wie ein späterer Aufsatz lehren wird, auf verschiedene Weise umändern, so daß dann Zustände veranlaßt werden (wie Vereiterung, Verschwärung, Verhärtung u. s. w.), die man als Folgen der Entzündung (Nachkrankheiten) bezeichnet und die gar nicht selten ebensowohl von sehr großem Vortheile wie Nachtheile für den Körper sind. – Aber auch von Seiten des Arztes kann bei Entzündungen, zumal bei denen äußerer und innerer zugänglicher Theile, gar nicht selten ein sehr heilsamer Einfluß ausgeübt werden, indem dieser die mit Blut übermäßig erfüllten und erweiterten Haargefäße zur Entleerung und Verengerung zwingt. Die Mittel, welche er hierbei anwendet, sind nach der Dauer und dem Sitze der Entzündung zu verschiedene, als daß sie hier im Allgemeinen besprochen werden könnten. Der homöopathische Arzt schadet bei Entzündungen gar nicht selten dadurch, daß er seine ganz unwirksamen Arzneimittel anstatt dieser offenbar wirksamen allopathischen in Gebrauch zieht (von denen später, bei den Entzündungen der einzelnen Organe, die Rede sein soll). – Eine ganz andere Behandlung ist übrigens bei Entzündungen dann einzuschlagen, wenn die Ausschwitzung zu Stande kam und damit in der Regel die Blutüberfüllung in den Haargefäßen verschwand. Jetzt handelt es sich nicht mehr, wie vorher, um die Entfernung des widernatürlich angehäuften Blutes, sondern um das Wegschaffen oder Unschädlichmachen des Ausgeschwitzten (s. später).
(Bock.)