Epistel an Emanuel Geibel
Epistel an Emanuel Geibel.[1]
Mit Rückert und mit Platen
Hast Du mich treu berathen:
Und ist mein Reim gerathen, –
Das dank’ ich Deiner Kunst.
Jedoch in eignen Weisen:
Das höre Du mit Gunst! –
Ja, schlürf’ ich hier im Norden,
An Thule’s Nebel-Borden,
Aus Deiner letzten Gabe,
Aus Deinen „Spätherbstblättern“,
Gereift in allen Wettern,
In heißen und in kalten,
So ruf’ ich: „Heil dem Alten,
Des deutschen Wohllauts weichem,
Romanisch formenreichem,
Herrn Gottfried’s Süße gleichem
Heil ihm und seinem Psalter!“
Wer von uns Jüngern just nicht schlecht
Die Reime reimt und radebrecht,
Der dankt es Dir, Du Weibel
Wie schaltest Du in München
Auf handwerkmäßig Tünchen!
Dem Falschreim wurde höllenangst,
Dem Flickwort bange, banger, bangst.
„Hiatus? Elisionen?
Könnt Ihr’s nicht abgewöhnen?
Schock Schwere Noth Schwadronen –
Poeten wollt Ihr heißen?
Doch nicht allein dies A B C
Erlernten wir in Deiner Näh’:
Auch, daß die Weihe müsse schweben
Um echten Dichters Lied und Leben,
Und daß Du selbst nie ausgelernt;
Wie rasch da Eitelkeit zerschmolz
Vor Deinem tief bescheid’nen Stolz!
Auch jetzt sprichst Du bescheiden
Und doch lauscht, sehr zu neiden,
Aus dieser Blätter Schooß,
Aus dieser Reben-Laube
Die goldne Spätherbst-Traube.
Die Roms und Hellas’ Strahl gestreift:
In Deutschland beut uns Keiner
Trank, edler, weicher, reiner,
Fein-blumiger als Deiner.
Königsberg, 1. Mai 1878.
- ↑ Veranlassung zu obiger Huldigung bot die jüngste poetische Gabe Geibel’s, welche unter dem Titel „Spätherbstblätter“ erschienen ist und von dem Dichter selbst als seine „letzte“ bezeichnet wird.
D. Red.