Erinnerungen an eine treue Seele
Wer von dem Walddorfe Hummelshain im Herzogthum Altenburg südöstlich auf der Straße, welche nach Neustadt an der Orla führt, wandert und dann im Hochwalde den nächsten Weg rechts zwischen dem duftigen Grün eines Dickichts von zierlichen, jungen Fichten einschlägt, gelangt bald auf einem niedersteigenden Wege nach einem grünen, frischen Grunde, in dem viele einzelne Thalgründe von den verschiedensten Seiten, aus bewaldeten Höhen herab zusammentreffen, und aus ihren Quellen nach und nach
[146] ein Bächlein bilden, das bald auf schmalem Wiesengrunde, bald unter kleinen Partien dichter Fichten gar klar und lustig dahinflüstert. Tiefer Waldfrieden und beschattetes Halblicht umgiebt den Wanderer.
Folgt dieser nun im engen Thale dem neben dem Bache sich rechts windenden Wege weiter, so erinnert ihn nur noch der gebahnte Weg an Menschen und ihre Lebensspuren. Sonst scheint hier die Natur noch ungestört und unbeschränkt ihr stilles, hohes Leben zu führen. Rings ist Alles so schweigsam ernst, nur der Bach drunten springt munter und plätschernd über die ruhenden Steine wie ein fröhliches, ausgelassenes Kind, weiter und weiter. Plötzlich wendet sich der Grund mehr südlich, die Berge mit ihren Waldbäumen treten zurück, das Thal wird weit, der blaue Spiegel eines Teiches und eine Mühle bringen lautes Leben, ärmliche Häuser erscheinen in dem sich nach rechts biegenden Thale einzeln, als kleine gesonderte Heimwesen, – damit beginnt das Dorf Langendembach.
In ihm verlebte eine Genossin und eine der letzten Pflegerinnen unseres Schiller still, einfach ihres reichen Lebens ruhevollen Abend. Niemand hat das Leben Schiller’s von 1798 bis 1805 und seine Lebensgenossen klarer und unmittelbarer kennen lernen als diese Lebensgenossin, welche Schiller selbst „seine treue Seele“ zu nennen pflegte. An der Kirche und dem Pfarrhause vorbei kommen wir zu dem kleinen, aber gar freundlich einladenden Hause, das sich, auf rebenbekränzter Anhöhe, Wilhelmine Schwenke hat bauen und anlegen lassen, um nach dem Tode ihrer zur Freundin gewordenen Herrin Karoline v. Wolzogen, geborenen v. Lengefeld, ihren Lebensabend neben der Stätte ihrer Geburt und Kindheit zu verleben. Ist doch auch der wackere Pfarrer des Ortes ihres Bruders Sohn.
Gehen wir hinauf und treten still ein in das bescheidene Haus. Dort sitzt auf dem hohen Lehnstuhle eine hochbejahrte Matrone, – das bleiche, edle Gesicht unter dem weißen Häubchen sieht uns mit den großen, dunklen Augen wohlwollend, friedvoll an. Die ganze hohe, noch gerade Gestalt in ihrer so einfachen und doch so edlen Haltung erscheint uns wie eine Ahnfrau aus großer Zeit. Und eine große Zeit hat sie mit wunderbarem Gedächtnisse durchlebt. Gar nahe gestanden hat sie als Vertraute der Schwägerin Schiller’s, Karoline v. Wolzogen, unseren Heroen Schiller, Goethe, Körner, Wilhelm und Alexander v. Humboldt, vertraut war sie mit Pestalozzi, bekannt mit Herder. Ruhig, fast vergeßlich für die Dinge der Gegenwart, das Heute nur matten Auges ansehend, lebt sie auf, dringt Feuer in das Auge, wird die Erinnerung wunderbar klar, wenn sie von der großen Zeit redet, wo sie mit Schiller verkehrt, wo sie mit den Brüdern Humboldt umgegangen, wo sie mit Goethe sich unterhalten hat, wo sie in Paris (1802, 1807 und 1808), in Dresden und Loschwitz, in Stuttgart, in Wien (1813) mit der Familie Wolzogen lebte. Da führt sie uns, wie neu erwacht, mit klaren, lebensvollen Bildern hinein in die bedeutungsvolle Zeit, vor die ehrwürdigen und genialen Gestalten. Und doch ist Alles, was sie sagt und wie sie es sagt, so einfach bescheiden, so weiblich discret! –
Wer wollte da nicht gern einen nähern Blick thun in das Leben, das hinter dieser Matrone liegt? Wie interessant auch ein tieferes, specielleres Eingehen in ihr Leben wäre, so müssen wir uns doch versagen, unserer Erzählung das Interesse der Specialität zu geben, denn wir würden die Achtung vor der so bescheidenen, discret-getreuen Freundin schwer verletzen. Wir dürfen nur einen ganz allgemeinen Umriß geben.
Friederike Wilhelmine Schwenke war die Tochter eines Pfarrers in dem zur Grafschaft Oppurg gehörigen großherzoglich weimarschen Dorfe Langendembach. Aus sehr einfachen, stillen Verhältnissen, aber mit einem frommen, treuen Sinne und großer Gewissenhaftigkeit ging sie früh in das Leben hinaus. Noch nicht achtzehn Jahre alt, trat sie im Juli des Jahres 1798 in dienstliche Verhältnisse bei Karoline v. Wolzogen, Gattin des weimarschen Geheimraths und Oberhofmeisters v. Wolzogen, der schriftstellerisch bekannten Schwägerin von Schiller. Sie selbst schrieb damals: „Welch großer Unterschied zwischen einem Kinde des Hauses und einer dienenden Person, welche Niemand beachtet und der man, wenn sie ihre Arbeit gehörig verrichtet, es überläßt, zu leben, wie sie will!“ Aber das reine, echt fromme Haus, aus dem sie gegangen mit der lebhaften Erinnerung an einen ehrwürdigen Vater, dabei ein gewisser edler Stolz, verbunden mit der Neigung, mehr zurückgezogen zu leben, schützte das junge Wesen in der neuen großen, glänzenden, aber auch versuchungsvollen Umgebung. Dazu hatte sich frühe in Wilhelmine Schwenke ein ungewöhnlich klarer, praktischer Verstand entwickelt, welcher sie bei ihrer großen Zuverlässigkeit, ihrer Treue und bescheidenen Hingabe mehr und mehr beachten ließ. „Viele herbe Stunden habe ich bestehen müssen,“ schreibt sie, „doch schützte mich mein Verstand vor Bitterkeit, und nie konnte ich das ehrwürdige Gesicht meines Vaters vergessen, wenn er mir Kernsprüche der Bibel einpflanzen wollte.“ Und das war es, was ihr auch bald Achtung von Menschen erwarb, die sie näher kennen lernten, und nach und nach ihre ganze Stellung in der Familie v. Wolzogen hob und sie dieser näher führte. Dabei sollten ihre großen Vorzüge durch die ungewöhnlichen Lebensverhältnisse und einige sehr schwierige Lagen der Familie v. Wolzogen sich immer mehr entfalten und dabei klarer hervortreten, was die Achtung gegen sie vermehrte.
Kleinere Reisen abgerechnet, lebte sie mit der Familie v. Wolzogen zunächst in Weimar zu einer Zeit, wo diese an sich kleine Stadt die größten und edelsten Männer des Volkes in sich schloß, wo ein geistiger Verkehr lebte, wie er nirgends wieder erschienen ist. Und gerade die Familie, in welcher unsere Wilhelmine Schwenke lebte, war ein Sammelplatz jener Männer, ein Mittelpunkt dieses Verkehrs.
Auf die Familie v. Wolzogen, deren Persönlichkeiten und Beziehungen hier näher einzugehen, möchte nicht am Orte sein; denn dieselben sind den Gebildeten unseres Volkes unter den hohen Erinnerungen an eine literarisch große Zeit bekannt, selbst von literarischer Freibeuterei vielfach an das Licht gestellt.
Als 1801 der Geheimrath v. Wolzogen vom Herzoge Karl August von Weimar nach Petersburg gesendet wurde wegen der beabsichtigten Verbindung des weimarschen Erbprinzen mit der Großfürstin Marie Paulowna, reiste Wilhelmine Schwenke mit Frau v. Wolzogen und deren sechsjährigem Sohne Adolph nach Dresden und zog im Sommer auf die Villa Körner’s bei Loschwitz, wo auch Friedrich Schiller mit seiner Gattin lebte; und mehr und mehr wurde auch unsere Schwenke eine vertrautere Genossin des geistreichen Kreises der drei vereinten Familien und ihrer Gäste. Wie natürlich mußte sich da der edle Kern des jungen Mädchens – in solcher Gemeinschaft und in dieser Gegend – zu entfalten beginnen! Neben ernsten wissenschaftlichen Verhandlungen (z. B. über Kant) das liebliche Spiel der Poesie, neben hoher Tragik liebenswürdiger Scherz – wir erinnern an „Gustel von Blasewitz“ – welche Funken geistreicher Einfälle und Gedanken mögen da herüber- und hinübergesprüht haben!
Als im Herbste Schillers nach Weimar zogen, ging Frau v. Wolzogen nach Dresden, bis auch sie am Ende des Jahres nach Weimar zurückkehrte. Schon im Frühjahr 1802 mußte Frau v. Wolzogen nach kurzem Aufenthalt auf ihrem elterlichen Gute Bauerbach bei Meiningen nach Paris reisen, wo Napoleon gerade als Consul das Ende der Republik herbeiführte. Eine neue Welt war vor unserer Wilhelmine in großartigen Erscheinungen und mächtigen Ereignissen aufgegangen. Wie viel sah, hörte und erlebte die Schwenke mit zweiundzwanzig Jahren gerade in dem Kreise, dem sie mehr und mehr angehörte, schon in der glänzenden Riesenstadt mit ihren Kunstschätzen und häßlichen Verschrobenheiten, mit ihrem übernächtlichen Siegesrausche und ihren tollen Gemeinheiten!
Erst gegen das Ende des September 1802 reiste die Familie v. Wolzogen über Straßburg nach Stuttgart und Ludwigsburg. In Straßburg hatte der Münster einen überwältigenden Eindruck, aber nach Paris auch einen versöhnenden auf unsere Schwenke gemacht. In Stuttgart und Ludwigsburg, wo unsere Wilhelmine schon mehr als Vertraute ihrer Herrin auftrat, machte sie die anziehendsten Bekanntschaften, von denen sie noch als von „ihren lieben schwäbischen Freunden“ im hohen Alter mit der lebhaftesten Anerkennung sprach.
Nachdem man in Weimar wieder Ende November eine längere Niederlassung gefunden, kam Wilhelmine Schwenke in lebhaften Verkehr mit Herder, Goethe und der Familie Schiller. Mit dieser Familie trat sie besonders in Jena in die freundlichste Beziehung. Frau v. Wolzogen war im Sommer von 1804 dahin gezogen, weil deren Schwester, Frau v. Schiller, ihre Entbindung in Jena erwartete. Leider wurde Schiller selbst ernstlich krank. Seine [147] Lage war natürlich beim Zustande seiner Gattin, an einem interimistischen Aufenthaltsorte recht traurig hülflos. Da wurde unsere Wilhelmine seine unermüdliche, treue Krankenpflegerin. Was sie hier in der Ruhe und Umsicht ihres praktischen Verstandes, ihrer Hingabe, die keine Aufopferung anschlug, und in ihrer beharrlichen Treue geleistet, ist vielfach von Denen anerkannt worden, welche damals der Familie Schiller nahe standen, und namentlich von Schiller selbst. Auch in Weimar, wohin die Familie Wolzogen sich begeben hatte, und wohin auch Schillers wieder zogen, wurde Schiller von Neuem krank. Auch auf diesem, seinem letzten Krankenbette, das leider ein gar sorgenvolles, schweres wurde, war „seine treue Seele“, wie Schiller unsere Schwenke nannte, eine seiner treuesten Pflegerinnen. Gern möchte man einen dichten Schleier über die gar traurige, fast verlassene Lage unseres sterbenden Schiller ziehen, welcher sorgenvoll, oft einsam auf seinem schweren Lager duldete, während Weimar gerade von Fest zu Fest in lautem Jubel vielgeschäftig eilte.
Dank den treuen, sanften Händen, die ihn da pflegten! –
Schiller starb, Frau v. Wolzogen wurde ernstlich krank; so ging das Jahr 1805 zu Ende.
Traurig war auch das Jahr 1806, denn Geheimrath v. Wolzogen litt lange an einem bösartigen Beinbruche, dann brach im October der unglückliche Krieg mit Frankreich aus. Weimar wurde vor Allem schwer heimgesucht. Frau v. Wolzogen mußte nach dem einsamen Röhla flüchten. Aber gerade in den ruhelosen, gefahrvollen Tagen zeigte die Schwenke eine Klarheit, Umsicht, ruhige Besonnenheit, daß Frau v. Wolzogen noch im späten Lebensalter zu dem Schreiber dieser Erinnerungen mit hoher Anerkennung der großen Verdienste ihrer „treuen“ Wilhelmine sprach.
Nachdem im Jahre 1809 auch Herr v. Wolzogen starb, ward das Haus, welches sonst ein Mittelpunkt des lebendigsten geistigen Verkehrs gewesen war, immer einsamer, trüber und stiller. Um ihren Sohn unter den Augen Pestalozzi’s erziehen zu lassen, wandte sich Frau v. Wolzogen nach der Schweiz, bis die großen Ereignisse der Jahre 1812 und 1813 den jungen Mann zu den Waffen führten und zwar nach Sachsen in ein Reiterregiment. Erst zu Neujahr 1814 sah ihn die sorgenvolle Mutter wieder, indem er sie in Weimar besuchte, um dann mit dem russisch-sächsischen Hauptquartier gegen Frankreich zu ziehen. Theils die Sorge für den Sohn, theils wohl auch eine mächtige Unruhe, welcher überall das fehlte, was sie früher gehabt und geliebt, ließ Frau v. Wolzogen ein wahres Wanderleben führen, zunächst dem Sohne nach, an den Rhein, dann nach Württemberg, Meiningen, Weimar. Im Jahre 1825 traf Frau v. Wolzogen die erschütternde Nachricht, daß ihr Sohn in Frankfurt schwer erkrankt sei, und schon im September dieses Jahres starb derselbe, das einzige Kind.
Dieser Tod raubte beiden Frauen, der Herrin und der Dienerin, den letzten freundlichen Anhalt am Leben; denn nicht nur die Mutter hatte ihren Sohn verloren nach allen Lieben, die ihr angehört hatten und heimgegangen waren, auch die treue Freundin des Hauses hatte den verloren, dem sie seit seiner Kindheit eine zweite Mutter gewesen war, dem sie so vielfach die vielbeschäftigte Mutter ersetzen mußte, welcher ihr aber auch eine fast kindliche Liebe und Verehrung bis an seinen Tod bewahrte.
Wer von da an in das Haus der Frau v. Wolzogen kam, glaubte es an einem Begräbnißtage betreten zu haben, er schien zwei tieftrauernde Wittwen zu finden, die, alles Aeußere von sich weisend und versäumend, allein der resignirten Ruhe, der Wehmuth der Erinnerungen noch lebend, das Dasein nur ertrugen. Wilhelmine Schwenke hielt sich noch an ein Lebenselement, die treueste Pflege, die sie der Freundin mit der umsichtigsten Rücksicht und vielfacher Selbstverleugnung gewährte; denn selbst den alten Staub zu entfernen, schien Frau v. Wolzogen in ihrer Trauer zu stören. So blieb das Trauerhaus auch in Jena, wohin sich die Frauen wendeten, still, fast öde, mehr als einfach, ohne alle jene lieben Dinge, die sonst den Menschen freundlich, heimisch umgeben, Tag um Tag, noch lange Jahre, bis Wilhelmine Schwenke der Lebensgenossin die letzten irdischen Dienste leistete. – Den 11. Januar 1847 starb Karoline v. Wolzogen, mit ihr war das Haus ausgestorben. – Was blieb nun der alten Getreuen, als sie aus dem öden Hause einsam ging, in dem auch die Freundin gestorben war, mit der sie fast ein halbes Jahrhundert unter den außerordentlichsten Verhältnissen auf’s Innigste vereint worden war!
Die Dienerin war ja die innigste Vertraute, ja die Freundin ihrer Herrin geworden, und in dem weiten, edlen Kreise der Lebensgenossen dieser hatte sie Achtung und das vollste Vertrauen erlangt. Schiller und dessen Gattin hatten sie wie den Hausgeist der Familiengenossen betrachtet, welcher in sorglicher Liebe allen dient. Wer sie hörte, mußte bei aller Discretion, welche die treue Seele bewahrte, leicht herauslesen, wie innig nahe sie dem edlen Kreise gestanden hatte. Jede Neugier, welche durch sie eindringen wollte in Familienverhältnisse oder persönliche Eigenthümlichkeiten, fand bei ihr nur das Schweigen des edelsten Unwillens. Der größte Beweis, wie hoch sie bei denen stand, mit welchen sie gelebt hatte, ist die Verfügung von Frau v. Wolzogen, welche den zuverlässigen Händen von Wilhelmine Schwenke ihren großen Nachlaß an den gesammelten Briefen, auch den Familienbriefen, testamentarisch vermachte. Und mit welcher großen Discretion hat unsere Schwenke das anvertraute Herzens- und Lebensheiligthum verwaltet! – Selbst den nächsten Ihrigen waren die Kisten mit Briefen fest verschlossen. Und welche Fülle hatte sich gesammelt, da Frau v. Wolzogen es nicht hatte über sich bringen können, einen Brief, den eine liebe Hand geschrieben hatte, zu verbrennen! In den nächsten Jahren nach dem Tode der Frau v. Wolzogen hatte sich gerade der Eifer der Autographensammler bis zur Manie gesteigert, und welcher Schatz lag hier in den vielen gefüllten Kisten; hier gab es Briefe von distinguirten Fürstlichkeiten, zum Beispiel von der Herzogin von Orleans, von den größten und ausgezeichnetsten Männern und Frauen aus dem Ende des achtzehnten und dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Die glänzendsten Anerbietungen wurden für den Nachlaß, selbst für einzelne Briefe gemacht. Man hatte sogar ein Dienstmädchen bestochen, Briefe aus jenem Nachlaß zu entwenden. Aber obgleich Wilhelmine Schwenke in sehr bescheidenen Vermögensverhältnissen lebte, hatte sie entschieden und beharrlich alle Anerbietungen ausgeschlagen. Erst nach jahrelangem Wählen und Sichten, nachdem viele Hunderte von Briefen, die man mit Gold aufgewogen hätte, verbrannt, viele an ihre Verfasser, wenn sie noch lebten, zurückgeschickt waren, erst dann übergab unsere Wilhelmine einem bewährten Manne einen Theil jener Briefe, welche unter dem Titel „Literarischer Nachlaß der Frau Caroline v. Wolzogen“ in zwei Bänden bei Breitkopf und Härtel in Leipzig, 1848 in erster Auflage, 1867 in zweiter Auflage erschienen.
Vor wenigen Wochen, am 24. December 1871, ging Wilhelmine Schwenke im einundneunzigsten Lebensjahre sanft heim, und ruht dort neben den längst Schlafenden, die ihr einst angehörten, an dem Kirchlein, in dem sie von ihrem Vater getauft worden war.
Im kleinen, stillen Dörfchen war sie geboren worden, unter den größten Menschen und mitten unter den weitgehenden Wogen ungewöhnlicher Zeitereignisse hatte sie ein weitgereistes, unruhevolles Pilgerleben gelebt, in der friedlichen Stille im Thale, von Bergen und Waldeinsamkeit umgeben, hatte sie ihr reiches Leben beschlossen.
Legen wir still und dankbar einen Immortellenkranz auf den kleinen Hügel, unter dem sie ruht, und kehren wir auf dem alten Wege, der uns hierher führte, zurück: er ist der friedvolle Zeuge des schönen Lebensabends einer treuen Seele, und das Schweigen der großen, still waltenden Natur, die uns da umgiebt, stört nicht die Weihe unserer Erinnerungen.