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Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota (2)

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Titel: Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota. 2. Belagerung von Fort Ridgley.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 162–165
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: ein erfolgloser zweimaliger Indianerangriff auf Fort Ridgley in Minnesota
Fortsetzung von „Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota
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[162]

Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota.

2. Belagerung von Fort Ridgley.

Zwölf Meilen südöstlich von der „Unteren Agentur“ am nördlichen Ufer des Minnesota, ungefähr eine halbe Meile vom Flusse entfernt, liegt Fort Ridgley am Rande der hohen Prairie. Zwischen dieser letzteren und dem Wasser zieht sich eine mit dichtem Buschwerk und höheren Bäumen bewachsene Niederung hin, die sich dann gegen den Prairierand zu zwei vielfach durchschluchteten Waldhöhen erhebt, das Fort gleichsam mit zwei Armen umfassend.

Unter einem solchen sogenannten Fort im Westen der Vereinigten Staaten muß der Leser sich freilich nichts einer Festung Aehnliches vorstellen. Es besteht in der Regel aus nichts als einer Reihe niedriger Holzbaracken für die Soldaten, einigen besseren Wohnhäusern für die Officiere und einer Anzahl anderer leichter Gebäude, theils zu wirthschaftlichen Zwecken, theils für die Familien der Besatzung bestimmt, das Ganze mit Palissaden oder einer leichten Mauer umgeben. Alles ist nur darauf berechnet, den umwohnenden Ansiedlern Schutz gegen die Räubereien und gelegentlichen Feindseligkeiten der Indianer zu gewähren, sowie diesen letzteren durch die Anwesenheit einer Militärmacht den nötigen Respect einzuflößen.

Fort Ridgley war einer der am oberflächlichsten befestigten dieser kleinen Militärposten. Erst vor zehn Jahren angelegt, hatte es sich noch nie gegen ernstliche Angriffe zu vertheidigen gehabt. Ueberdies hatte man bei dem allgemeinen Sicherheitsgefühl, dem sich Alles hingegeben hatte, verabsäumt, auch die nöthigsten Vorsichtsmaßregeln gegen etwaige Feindseligkeiten ernsterer Art zu treffen. Die Südseite des Forts, gegen den Fluß zu, bestand aus einer langen Reihe leichter Holzbaracken; zwischen diesen und dem ziemlich steil abfallenden Prairierand befanden sich ein großer Stall, eine Scheune und zwei alte Häuser. Die Ostseite, an der sich eine Schlucht hinaufzieht, wurde ebenfalls von Soldatenbaracken gebildet; zwischen diesen und der Schlucht stand eine Anzahl kleiner Blockhäuser, die gewöhnlich von Soldatenfamilien als Wohnungen benutzt wurden. An der Westseite lagen, außerhalb des Forts, das Wohnhaus und das Magazin des Postenhändlers. Nach Norden dehnte sich die weite, freie Prairie unabsehbar aus.

Die ganze Umgebung bot einem auf Indianerweise kämpfenden Feinde hinreichend Schutz und Deckung dar. Dazu kam noch, daß das Wetter schon seit einiger Zeit sehr trocken gewesen, die mit Schindeln gedeckten sich weithin streckenden Dächer ausgedörrt wie Zunder waren, und im Fort selbst sich weder Brunnen noch Cisternen befanden, sondern das Wasser aus einer sechszig Ruthen entfernten Quelle in der östlichen Schlucht geholt werden mußte. Der Leser wird es daher begreiflich finden, daß die Besatzung nicht ohne Besorgniß war, als am 18. August Vormittags um neun Uhr der erste Bote eintraf, welcher den Ausbruch und das Blutbad an der „Unteren Agentur“ meldete. Es befanden sich in dem Augenblick nur achtzig Mann vom fünften Minnesota-Freiwilligenregiment im Fort, unter dem Befehl des Capitains J. S. Marsh. Vierundzwanzig Stunden vorher waren zwei Abtheilungen von je fünfzig Mann, die eine nach Fort Ripley am oberen Mississippi, die andere nach Fort Snelling bei St. Paul, abgeschickt worden. Kaum hatte der Unglücksbote seinen Bericht erstattet, als der tapfere Capitain sich, schnell entschlossen, an die Spitze von sechsundvierzig Mann stellte und in Begleitung des Dolmetschers Quinn unverzüglich nach dem zwölf Meilen entfernten Schauplatz der Blutscene aufbrach. Es blieben also nur vierunddreißig Mann unter Lieutenant Culver zurück, die nebst drei Geschützen unter Sergeant Jones die ganze militärische Besatzung des Forts ausmachten, wozu allerdings eine Anzahl Civilisten kamen, die im Laufe des Tages [163] als Flüchtlinge eintrafen und als meistens geübte Schützen in dem bevorstehenden Kampfe ebenso brauchbar waren wie die Soldaten.

Die Nacht kam heran, doch ohne den so heiß ersehnten Regen zu bringen. Die Mannschaft war im Fort und in den Außengebäuden vertheilt und wachte in fieberhafter Spannung. Jeden Augenblick konnte man erwarten, das Kriegsgeheul der heimlich durch die Niederung und die Schluchten herangeschlichenen Wilden zu hören und Brandpfeile auf die so leicht entzündlichen Dächer fallen zu sehen. In diesem Falle blieb der kleinen Schaar nichts übrig, als ihr Leben so theuer wie möglich zu verkaufen und sich unter den Trümmern ihrer Festung begraben zu lassen. Doch es regte sich nichts. Der Morgen brach an, und Alles athmete leichter. Gegen Mittag erschien ein Trupp, der auf das Fort zukam und bald als aus Weißen bestehend erkannt wurde. Es war der traurige Ueberrest von Capitain Marsh’s tapferer Schaar, der in den Vormittagsstunden des Dienstags ankam, um schlimme Kunde zu überbringen. Die Leute, vor Aufregung und Wuth zitternd, erzählten was sie erlebt: von den sechsundvierzig Mann des Capitain Marsh waren dreiunddreißig, sowie der Capitain selbst und der Dolmetscher theils erschossen, theils in dem zu passirenden Flusse auf der Flucht ertrunken. Sie allein, dreizehn Mann an der Zahl, hatten sich gerettet.

Tiefe Trauer ergriff die Besatzung und zugleich eine ingrimmige Begierde, die feigen Mörder ihres geliebten Commandanten und fast der Hälfte ihrer Cameraden zu rächen. Aber wie sollte dies geschehen? Ein Blick auf ihre zusammengeschmolzene Schaar und auf die völlig unzureichenden Schutzmittel machte auch das tapferste Herz erzittern bei dem Gedanken, daß sie bei einem Angriff völlig außer Stande sein würden, etwas auszurichten, und, wenn nicht schleunige Hülfe kam, unrettbar dem Scalpirmesser der rothen Teufel verfallen waren. Denn das wußte man im Fort gut genug, daß die Indianer in solcher Uebermacht angreifen würden, daß die Hand voll Leute durch die Menge in kurzer Zeit erdrückt werden mußte. In ängstlicher Spannung verstrich der Dienstag Nachmittag; weder Freund noch Feind zeigte sich.

Endlich, als die Sonne schon im Westen sank, wurde etwas auf der Prairie, von Nordosten herkommend, wahrgenommen. Als es näher kam, erkannte man, daß es Leute zu Fuß seien; es waren also wahrscheinlich keine Indianer. Da ertönte ein Freudengeschrei; man sah deutlich Bajonnete blitzen; es waren die, wie gesagt, am Sonntag Morgen nach Fort Ripley detachirten fünfzig Mann unter Lieutenant Sheehan, denen ein Bote mit dem Befehl zur Umkehr am Montag nachgeschickt worden war, und die jetzt als Retter mit stürmischem Jubel begrüßt wurden.

Mitternacht war schon vorüber; die unheimlichste Stunde der Nacht lag beklemmend auf den schweigend auf ihren Posten stehenden Männern. Da regt sich’s leise in südöstlicher Richtung über der in tiefstes Dunkel gehüllten Schlucht hin; es klingt, als ob eine Anzahl Menschen näher kommen. Jeder ist fertig, auf das erste Zeichen den Kampf zu beginnen; athemlos lauschend sucht jedes Auge die schwarze Nacht zu durchdringen. Da ertönt auf einmal ein Ruf. Die Herankommenden sind an den äußersten Vorposten angelangt; aber es ist kein Kriegsruf der Wilden; kein Brandpfeil durchschwirrt die Luft; kein Büchsenknall erwidert den Gruß. Neue Freude! es sind abermals Helfer, die jetzt am Fort erscheinen und mit stillem Händedruck und auch mit mancher warmen Mannesthräne im dankbaren Auge begrüßt werden. Es waren wieder fünfzig Mann, die ebenfalls am vorigen Sonntag nach Fort Snelling abgegangenen, durch einen Eilboten zurückbeorderten Cameraden. Sie trafen gerade noch zur rechten Zeit ein, um das Fort und die Besatzung zu retten. Es war, als habe die Vorsehung ihre schützende Hand über diese von aller Rettung scheinbar abgeschnittenen Braven gehalten. Wären die Wilden nach vollbrachter Arbeit an der Agentur an jenem verhängnißvollen Montag sogleich in Masse nach dem Fort aufgebrochen, um dieses zu stürmen, es wäre kein Mann mit dem Leben davon gekommen. So aber hatten sie sich die beiden ersten Tage in kleinen Abtheilungen, mordend und brennend, über die Prairie nördlich und südlich von ihrer Reservation verbreitet und sammelten sich erst, nachdem die beiden Detachements unbelästigt in’s Fort eingezogen waren.

Mittwoch, der 20. August, brach an. Lieutenant Sheehan, der als ältester Officier das Commando übernommen hatte, musterte seine kleine Schaar. Sie bestand aus ungefähr hundertundfünfzig Soldaten, nebst etwa fünfzig waffenfähigen Civilisten mit drei sechspfündigen Haubitzen. Letztere, auf die man hauptsächlich bei der Vertheidigung rechnete, wurden dem Sergeanten John Jones und zwei andern alten Artilleristen übergeben und an den geeignetsten Stellen aufgepflanzt, Erstere möglichst vortheilhaft in den außerhalb des Forts gelegenen Häusern und im Fort selbst vertheilt. So wartete man gefaßt der Dinge, die da kommen sollten. Verstärkung war in den nächsten Tagen nicht denkbar; der Angriff aber mußte, wenn er überhaupt stattfand, bald geschehen.

Die Sonne stand hoch und heiß am wolkenlosen Himmel – und im August strahlt sie auf der weiten baumlosen Prairie mit sengender Gluth – die schlaflosen Nächte und die beständige Spannung wirkte erschlaffend auf die Mannschaften; sie begannen fast einen Angriff herbei zu wünschen, um nur von dieser tödtlichen Ungewißheit befreit zu werden. Da – es war drei Uhr Nachmittags – rollte plötzlich eine donnernde Salve durch die Niederung. Der Feind war endlich da. Echt indianisch hatte er sich am Flußufer entlang herangeschlichen, und, wie aus dem Erdboden gestampft, erhoben sich Hunderte wilder Gestalten aus dem dichten Gebüsch und langen Grase. Blitzschnell bewegten sich die mit grellen Kriegsfarben bemalten, halb nackten rothen Krieger auf’s Fort zu, Salve auf Salve im Marsch entsendend, offenbar mit der Absicht, dasselbe durch einen einzigen wüthenden Anlauf im Sturme zu nehmen. Die in den Schluchten vertheilten Vorposten wurden rasch zurückgetrieben; Lieutenant Sheehan formirte augenblicklich auf dem Paradegrunde seine Leute, und nun begann die Vertheidigung. Was nur Deckung gewähren konnte, wurde benutzt; hinter den Außengebäuden, hinter Kisten und Wagen, in allen Fenstern lagen und standen die Männer, kühl und ruhig, wie es nur der an Gefahren aller Art gewöhnte Grenzbewohner vermag. Da fiel kein unnöthiger Schuß; jeder Einzelne wartete die Gelegenheit kaltblütig ab und nahm seinen Feind, wo er sich zeigte, sicher und fest auf’s Korn. Wenn je, so gab das doppelte Gefühl der Selbsterhaltung und der Rache diesen Männern heute einen Arm, der nicht zitterte, und ein Auge, das sein Ziel nicht fehlte.

Ein tödtliches Feuer ergoß sich auf die mit betäubendem Kriegsgehäul anstürmenden Rothhäute. Fast jede Kugel aus dem Fort traf, während die Indianer in ihrer Wuth nur ein wildes und darum sehr unwirksames Feuer unterhielten. Zwei Soldaten und ein Bürger fielen bei diesem ersten Anlauf, dessen Hitze bald nachließ, nachdem der Feind die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß er den Platz so leichten Kaufes nicht würde nehmen können. Die Schwäche der Besatzung bis zum Mittwoch Morgen hatte es unmöglich gemacht, irgend welche neue Befestigungen aufzuwerfen; nicht einmal die hölzernen Außengebäude und die vielen Heuschober in den Schluchten und der Niederung hatten entfernt werden können. Diese dienten nun dem Feinde als bequeme Schutzpunke, hinter denen er Stellung nehmen und so den Angriff wirksamer fortsetzen konnte.

Am Abend entspann sich der Hauptkampf an der Ostseite des Forts in der dort befindlichen Schlucht. Hier stand, wie schon erwähnt, eine Reihe alter Blockhäuser, die von einer Abtheilung Soldaten besetzt waren. Der Feind stürmte unaufhörlich die Schlucht hinauf, nach geringster Berechnung vier- bis fünfhundert Mann stark und unter persönlicher Anführung des berühmten Häuptlings Little Crow, der sie zu immer wüthenderen Anläufen anstachelte. Sie fielen zu Haufen unter den gut gezielten Schüssen der Besatzung. Unter wahrhaft teuflischem Geheul drangen immer neue Schaaren vorwärts, trugen die Gefallenen und Verwundeten zurück und näherten sich allmählich ihrem Ziele. Schon ist es ihnen gelungen, einige der Blockhäuser zu erstürmen; aus denselben und hinter mehreren großen Heuschobern unterhalten sie ein heftiges Feuer auf das Fort. Da schlagen einige Granaten in die von ihnen besetzten Häuser. Augenblicklich steht die ganze Reihe in Flammen, ebenso die Heuhaufen und sie sind gezwungen, die Stellung aufzugeben. Eines dieser Gebäude war ein mit Heu gefüllter Stall. Als dasselbe in Brand gerieth, sprangen mehrere Indianer hinaus, um in die Schlucht zu fliehen, wurden aber sogleich von den Kugeln zweier Halbindianer, Latour und Dashner, die im Fort standen, niedergestreckt. [164] Einer derselben raffte sich wieder auf und rannte weiter. Dashner warf sogleich seine Büchse nieder, und seinem Gefährten zurufend, ihm zu folgen, erreichten sie den verwundeten Wilden in einigen Minuten. Ihn ergreifen und trotz seines verzweifelten Widerstandes in die Flammen werfen, war das Werk eines Augenblicks. Selbst das indianische Kriegsgeschrei anstimmend, kehrten die Beiden nach vollbrachter blutiger That unverletzt in’s Fort zurück. Dieses Beispiel mag zeigen, wie diese blutigen Grenzkriege manchmal geführt werden, nicht gerade von den Weißen, wohl aber gelegentlich von ihren halb oder ganz wilden Verbündeten.

Bis zum dunkeln Abend hatte der Kampf gewüthet, weniger heftig auf der Südfront. Die Flammen der brennenden Gebäude schlossen die wilde Scene des Tages und beleuchteten die abziehenden Feinde, die bald in Masse auf ihren kleinen Ponies nach der Agentur zu weggaloppirten. Die Geschütze warfen noch eine Zeit lang Granaten in die Schluchten, doch ohne Antwort zu erhalten, und stellten dann ihr Feuer ein.

Die ermüdete Besatzung begann ihre dritte schlaflose Nacht. Auf den Außenposten vertheilt, spähten die Tapfern nach dem hinterlistigen Feind, bis der Morgen graute. Die größte Gefahr bestand jetzt darin, daß die Indianer einzeln durch das Buschwerk an die Gebäude heranschlichen und Miene machten, mit brennenden Pfeilen die dürren Dächer in Brand zu setzen. Geschah dies, dann waren Alle verloren.

Gegen Morgen endlich kam die so lange ersehnte Hülfe. Gewitterwolken hatten sich am Horizonte aufgethürmt, und nun öffnete der Himmel unter Blitz und Donner und Sturm seine Schleußen, eine wahre Sündfluth herabsendend, die Alles so gründlich durchnäßte, daß eine Ueberrumpelung durch Feuer für den Augenblick unmöglich wurde. Mit welchem Gefühl die ersten Tropfen von den ermüdeten Kämpfern begrüßt wurden, läßt sich kaum beschreiben.

Donnerstag war ein verhältnißmäßig stiller Tag. Nur kleine Partien Indianer wurden in weiter Entfernung auf der Prairie bemerkt, augenscheinlich um zu recognosciren, ob Verstärkungen einträfen. Es regnete bis gegen Abend, als die Wolken sich verzogen und die Sterne wieder klar und freundlich auf die müden Kämpfer niederblickten. Kühl und labend zog der Wind über die mächtige Prairie hin; erfrischend stieg der Duft von Blüthen und Blättern aus den grünen Schluchten herauf; kein feindlicher Laut regte sich in der weiten, stillen Gegend. Wahrlich, es war schwer, den Gedanken zu fassen, daß vor kaum vierundzwanzig Stunden hier die wildesten Leidenschaften getobt und das Blut von Hunderten den Boden befleckt hatte, schwer, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß diese feierliche Ruhe jeden Augenblick durch den Ruf zu neuem Blutvergießen entweiht werden konnte!

Noch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, während der Regensturm in voller Wuth tobte, wurde John Frazer, ein alter Ansiedler, der alle Indianerschliche gründlich kannte, abgeschickt, um Depeschen an Gouverneur Ramsey nach St. Paul zu befördern, was ihm in der Folge auch gelang. Am nächsten Tage wurde eine große Anzahl mit Hafer gefüllter Säcke, die in der Scheune gelegen, sowie eine Masse Brennholz an verschiedenen Stellen um das Fort herum aufgestapelt, um der Besatzung als Schutzwehr gegen die Angreifer zu dienen. Ferner wurden die ziemlich flachen Dächer der am meisten ausgesetzten Gebäude mit Erde bedeckt, um gegen die Brandpfeile gesichert zu sein; kurz, es geschah Alles, was sich in der Eile thun ließ, um die Befestigungen zu verstärken.

Zwei Umstände aber erregten die ernstesten Besorgnisse. Es wurde schon im Anfang erwähnt, daß sich im Fort selbst weder Brunnen noch Cisternen befanden. Das Trinkwasser, welches von einer nahen Quelle herbeigeschafft zu werden pflegte, war am Freitag Morgen ausgegangen, und trotz des heftigen Regens war es bei den schlechten Vorrichtungen nicht möglich gewesen, genug Wasser für die Besatzung zu sammeln, abgesehen davon, daß dasselbe bei der wieder eingetretenen Hitze unbrauchbar werden mußte. Es blieb also nichts übrig, als eine Expedition auszurüsten, um Wasser aus der Schlucht herbeizuschaffen.

Obwohl die Gegend ziemlich rein von Indianern zu sein schien, war diese Aufgabe dennoch keine gefahrlose. Wer wußte, wie viele Feinde sich wieder in den dichten Gebüschen am Flusse und in den Schluchten herangeschlichen haben mochten? wer konnte berechnen, wann sie wieder, schnell wie der Blitz, heranstürmen und ihren Angriff erneuern würden? Als die Leute den Brunnen in der östlichen Schlucht erreichten, fanden sie, was freilich vorauszusehen war, das Reservoir zerstört und die Quelle verschüttet. Sie konnten daher nichts Anderes thun, als an einer weniger ausgesetzten Stelle, näher am Fort, einen neuen Brunnen graben, fanden auch bald Wasser und hatten bis Mittag so viel in Sicherheit gebracht, daß die Besatzung wenigstens für zwei bis drei Tage hinreichend versorgt war.

Der zweite Uebelstand war Mangel an kleiner Munition; die meisten Kugeln waren im Mittwochskampfe verschossen worden. Schnell wurde eine Anzahl Männer und Frauen angestellt, aus den in großer Menge vorhandenen Kartätschenladungen Patronen zu machen, und so wurde bald ein ziemlicher Vorrath hergestellt, und zwar weder umsonst, noch zu früh; denn Freitag Nachmittags ein Uhr erschien der Feind wieder.

Von der „Unteren Agentur“ herkommend, stürmten die Indianer in wildem Galopp über die Prairie daher und verschwanden in den Ufergebüschen des Flusses, um gleich darauf in der Niederung zu Fuß zu erscheinen. Ihre Zahl war bedeutend größer, als am Mittwoch, und mit der Menge schien auch die Wuth und die Entschlossenheit in ihnen gewachsen zu sein, das Fort diesmal um jeden Preis zu nehmen. Im vollem Lauf stürmten sie durch die Niederung, beide Schluchten im Osten und Westen herauf, als wollten sie den Gegner in ihrer wilden Umarmung ersticken. Der Anblick dieser Scene war ein großartig schauerlicher. Hunderte dämonisch aussehender Gestalten, in vollem Kriegerschmuck, denen die abscheuliche Bemalung, die wehenden Adlerfedern im Haar und die bestienartige Beweglichkeit der nackten Glieder ein wahrhaft unnatürliches Aussehen verlieh, das markerschütternde Kriegsgeheul, mit dem sie die Luft erzittern machten, die hochgeschwungenen blitzenden Tomahawks und Messer, das Krachen der Büchsen – alles zusammen machte einen Eindruck, als sei die Hölle selbst losgelassen und schicke sich an, eine ihr zugewiesene Beute in den Abgrund zu reißen. Aber die hartbedrängte Garnison erlag solchen Schrecken nicht. Die Tapferen wußten wohl, daß jetzt der Entscheidungskampf gekommen sei; unterlagen sie diesem Angriff, dann war den Meisten der Tod auf dem Schlachtfelde gewiß, den Ueberlebenden aber standen Qualen bevor, wie sie nur die teuflische Erfindungsgabe des wilden Indianers ersinnen kann. Schlugen sie diesmal den Feind zurück, dann war zu erwarten, daß er seinen Angriff nicht erneuern würde, bis Verstärkungen anlangten. Die an der westlichen Schlucht gelegene schöne Wohnung des Postenhändlers Randall loderte sogleich in hellen Flammen auf; der Hauptangriff war indeß diesmal auf die dem Fluß zunächstgelegene Südfront des Forts gerichtet. Hier standen die meisten und leichtesten Holzgebäude dicht zusammengedrängt, hier befanden sich außerhalb der Forts der große Stall, die Scheune, das Waarenlager und zwei andere größere Gebäude.

Schnell war der steile Abhang der Prairie erstiegen und die Indianer erschienen in Masse am Rande derselben. Aber die Männer im Fort wußten sie zu empfangen. Fast bis an die Gebäude herangekommen, wurden sie von einem so entsetzlichen Feuer aus den Häusern und von einem solchen Hagel von Kartätschen aus den drei Geschützen der braven Artilleristen empfangen, daß der enge Raum bis zum Rande der Niederung mit Gefallenen bedeckt war. Die Uebrigen zogen sich schleunigst außerhalb Schußweite[WS 1] in den Schutz der Gebüsche zurück, verfolgt von den Geschossen der Kanonen, die tod- und verderbenbringend zwischen ihnen niederschlugen. Der Rückzug war jedoch nur ein augenblicklicher; sie sammelten sich schnell wieder und stürmten mit verdoppelter Wuth die Anhöhen. Diesmal gelang es ihnen, den großen Stall zu gewinnen, ebenso mehrere andere Außengebäude der Südseite. Jetzt wurde der Kampf ernstlicher. Der Vortheil, den die Wilden errungen hatten, begann sich fühlbar zu machen. Ihr Feuer wurde stetiger und wirksamer. Immer größere Haufen erstiegen die Höhen, geschützt durch die von den Ihrigen genommenen Häuser. Einige Soldaten fielen, mehrere wurden verwundet; die gegenüberliegenden Baracken waren von Kugeln förmlich durchlöchert.

In dieser Bedrängniß erwiesen sich die Geschütze als die Retter der Besatzung. Es gelang denselben, die sämmtlichen Außengebäude in Brand zu schießen, und bald loderten fünf [165] große Häuser in hellen Flammen zum Himmel empor. Die Flammen und der Qualm des Brandes, der Donner der Kanonen, das Krachen der Büchsen, das unaufhörliche Knattern der Musketen und in all dem Toben die dämonischen Gestalten der kämpfenden Wilden, die, rasend vor Wuth über das Mißlingen ihres Planes, den Platz nicht aufgeben wollten, bis sie endlich mit Geheul in die schützende Niederung zurückflohen: alles dies bot des eigenthümlich Grauenhaften so viel, daß dieser Kampf selbst in den Gemüthern solcher, die in größeren Schlachten mitgefochten hatten, einen unvergeßlichen Eindruck des Schreckens zurücklassen mußte.

Auch dieser zweite mißlungene Sturm hatte die Wilden noch nicht ganz entmuthigt. Sie wandten sich nach den Schluchten und setzten von dort aus, im hohen Grase und hinter den großen Bäumen liegend, das Gefecht aus der Ferne bis zum späten Abend fort. Vergebens versuchte Little Crow, sie zu verschiedenen Malen wieder zu einem dritten Sturm zu sammeln. Man sah ihn am Abend einen letzten Versuch machen. Er hatte eine große Anzahl zusammengebracht und feuerte sie augenscheinlich in einer seiner die Indianer so hinreißenden Reden zum Angriff an; sie schienen ihm Gehör zu geben und begannen sich zu formiren. Da fielen einige glückliche Kartätschenschüsse in den dichtesten Haufen, und mit einem wahrhaft überirdischen Wuthgeheul stob der Schwarm auseinander.

Ein Gefangener sagte später aus, daß diese letzten Schüsse neunzehn Wilde tödteten[WS 2] oder schwer verwundeten. Dies war das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch. Schnell, wie es gekommen, verschwand das wilde Heer, über die Prairie dahinjagend, um neue und wehrlosere Opfer ihrer Mordlust zu suchen. Jones fuhr fort, bis zur einbrechenden Dunkelheit Granaten in die Schluchten zu werfen; dann wurde Alles still, und wie in allen vorigen Nächten der Woche begann die todesmüde Besatzung ihre schwachen Werke zu bewachen und nach dem falschen, schlauen Feinde auszuspähen. Langsam schlichen die Stunden der Nacht dahin. Aber die Soldaten dürfen nicht schlafen: ihr Feind kennt keinen Schlaf, wenn er auf dem Kriegspfad ist; sie dürfen sich nicht zur ersehnten Ruhe niederlegen: ihr Feind kennt keine Müdigkeit und ruht nimmer, wenn er ein Werk der Rache zu vollbringen hat; sie dürfen kein Auge abwenden von den dunkeln Gründen zu ihren Füßen und von den leicht entzündlichen Dächern ihrer Festung: ihr Feind kann jeden Augenblick seine rothen Pfeile entsenden oder, heimlich heranschleichend, die Brandfackel an die dürren Wände legen. Endlich steigt die Sonne am wolkenlosen Himmel empor; aber der Feind ist nicht wieder gekommen.

Noch vier heiße Tage und vier schlaflose Nächte! Weder Freund noch Feind zeigte sich. Es war, als sei das Fort mit seiner Besatzung allein übrig geblieben in der öden, menschenleeren Wildniß.

Am Mittwoch Morgen, den 27. August, ertönte der Ruf der auf den Dächern postirten Wächter: „Reiter auf der Straße von St. Peter über der Schlucht!“ Waren es Freunde oder Feinde? Die Dämmerung ließ noch nichts deutlich erkennen. Langsam recognoscirend rückten sie näher, bis sie endlich die östliche Schlucht erreicht hatten und nun durch diese heraufgaloppirten. Es waren einhundertfünfzig Mann Cavallerie, unter Oberst Samuel Mac Phail, die jetzt unter dem wilden Hurrahruf der Garnison in’s Fort einritten. Am vorigen Abend von St. Peter abgegangen, hatten sie fünfundvierzig Meilen in der Nacht zurückgelegt. Sie brachten die freudige Nachricht, daß General Sibley mit hinreichenden Verstärkungen unterwegs sei, und nächstens eintreffen werde.

Damit endete die in der Geschichte des jungen Staates Minnesota mit blutigen Zügen verzeichnete Belagerung von Fort Ridgley, unbedeutend vielleicht in den Augen dessen, der die Bedeutung von Kriegsereignissen nur an der Zahl der bei denselben Betheiligten abmißt, denkwürdig aber für die Tausende braver, fleißiger Bürger des großen, schönen Minnesotathals, die dem Heldenmuth der kleinen Schaar Tapferer, mit dem sie drei Tage lang die wilden Horden vom weiteren Vordringen zurückhielten, ihr Leben und die Rettung ihres Eigenthums zu verdanken hatten.

Die gefallenen Helden schlafen am Prairierand ihren letzten, langen Schlaf. Es waren ihrer nur wenige, während die Zahl der getödteten und verwundeten Wilden sehr beträchtlich gewesen sein mußte; genauer konnte dieselbe nicht ermittelt werden, da die Feinde nach Indianerweise alle Gefallenen sorgsam weggetragen und in Sicherheit gebracht hatten.

Unsere eigenen Verwundeten fanden einen treuen und geschickten Pfleger an dem vortrefflichen Chirurgen Dr. Alfred Müller, einem Deutschen, und nicht minder an seiner Allen, die damals im Fort eingeschlossen waren, unvergeßlichen Frau Elisa Müller. Die Hospitale vor Sebastopol haben ihre Florence Nightingale gehabt, und in unserem großen Kampfe für das Leben der Union haben auf allen den blutigen Schlachtfeldern im heißen Süden edle Frauen als Engel der Barmherzigkeit gewaltet; sie haben die Kranken und Verwundeten gestärkt und getröstet, die gebrochenen Augen unserer gefallenen Helden sanft geschlossen. Und wenn noch in späteren Jahren die Braven, die verwundet niedersanken in den blutigen Gefechten um Fort Ridgley, bei Birch Coolie und an Woods Lake, ihren Kindern und Enkeln die Geschichten erzählen werden von den blutigen Gründen an den Wassern des Minnesota und ihnen die Narben zeigen, welche die Kugel und das Tomahawk an ihnen zurückgelassen haben: dann werden sie auch mit feuchtem Auge und mit segnenden Lippen erzählen von Elisa Müller, der deutschen Frau, die in jenen dunkeln Nächten und angstvollen Tagen die freundliche Sonne des Hospitals war, die nimmer ermüdete, Schmerzen zu lindern und Trost zu spenden, die wie eine treue Mutter sich selbst ganz aufopferte und ohne deren edle Hingabe Manche von ihnen dem Tode unrettbar verfallen gewesen wären. Kein Denkmal ist ihr zu Ehren errichtet worden. Die Welt kennt ihren Namen nicht. Aber in den Herzen derer, die damals in Minnesota den Kampf der Civilisation gegen die Barbarei kämpfen halfen, lebt ihr Gedächtniß fort; mögen diese Blätter die Botschaft in weitere Kreise tragen, daß es auch hier der stillen deutschen Frauentreue beschieden war, den edelsten und besten Lorbeerkranz davonzutragen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schutzweite
  2. Vorlage: tödten