Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839/Erster Theil/V

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aus: Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839. Erster Theil. S. 226–302.
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von: Felix Lichnowsky
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V.

Rückzug bis zur Alcarria. — Die Häuptlinge der Mancha. — Einnahme von Guadalajara. — Affaire von Aranzueque. — Rückmarsch durch Neu- und Alt-Castilien. — Uebergang des Duero bei Gormaz. — Vereinigung mit Zaratiegui und Affaire bei Aranda de Duero. — Marsch in die Pinaren. — Der Pfarrer Merino. — Schlacht von Retuerta. — Theilung des Expeditions-Corps und Züge in den Pinaren. — Marsch bis Casa de la Reina. — Moreno’s Journal. — Trennung vom Infanten und mein Marsch über den Ebro bis Estella.

(13. September bis 21. October 1837.)

[229] Gegen Mitternacht waren alle Truppen in Arganda concentrirt und harrten ungeduldig der nächsten Befehle. Die Ueberzeugung eines baldigen Einzugs stand noch bei Jedem fest. Bereits hatten die Quartiermeister (Aposentadóres) den General- und Flügel-Adjutanten und den Chefs der Corps Quartierzettel ausgetheilt, um Unordnungen im ersten Augenblicke des Einzugs zu verhüten. Mir war der Pallast des Herzogs von Villa-Hermosa im Prado bestimmt worden. Hundert verschiedene Erklärungen des verzögerten Einzugs wurden gegeben. Es hieß, es sei zu spät am Tage gewesen; am nächsten Morgen wolle der König sich selbst an die Spitze der Colonne stellen und in Madrid einrücken. In den Vorgemächern des Pallastes stritt man sich, ob zu Pferde oder zu Wagen und in welchem Costüm er den Einzug halten würde; [230] endlose Rangverhältnisse, wer ihm zunächst, wer vor- oder nachreiten solle, wurden mit vielem Ernste besprochen. Große Gnaden, Avancemens, Standeserhöhungen, Grandezzen sollten verliehen werden; man designirte die Bothschafter, an alle Höfe abzusenden; ja in seinem kleinen Cabinet fertigte Herr von Corpas, der sich schon Premier-Minister dünkte, eine Liste von zwölf Personen, die mit der Kette des goldenen Vließes beim nächsten Capitel geschmückt werden sollten. Hierüber war es zwei Uhr Morgens geworden; in allen Straßen ward Alarm geschlagen, und die königliche Colonne defilirte, in Madrid entgegengesetzter Richtung, dem hügelichen Landstriche zu, der, zwischen dem Tajo und der Tajuña gelegen, die Kornkammer Castiliens bildet und die Alcarria genannt wird.

Mein Freund und Kriegsgefährte, der im Verlaufe dieser Erinnerungen öfters erwähnte General von Rahden, hat in seinem interessanten Buche über Cabrera die Vermuthung aufgestellt, daß, würde der Infant durch seine eigenen Adjutanten, statt indirecter Weise durch den eines Unter-Generals (den Obersten Gaëta, Adjutant Cabrera’s), beim König um die Erlaubniß nachgesucht haben, einrücken zu dürfen, [231] Moreno dann hätte gehorchen müssen. Ich hatte zu dieser Zeit die Ehre, Adjutant Sr. Königl. Hoheit zu sein, und kann dieser Ansicht um so weniger beistimmen, als mir gar wohl bewußt ist, daß am 12. Nachmittags im Cabinet des Königs, in Abwesenheit des Infanten, geheimes Conseil gehalten wurde. Einer der dabei gegenwärtigen Rathgeber des Königs, der für den unverweilten Einzug eifrig stimmte, hat mich seither oft versichert, daß Moreno und Arias Teijeiro, obgleich oft divergirender Meinung, dießmal unglücklicher Weise ganz einig waren und einzig für das Nicht-Einrücken votirten, indem sie Espartéro’s Armee als zu nahe darstellten, um einen so entscheidenden Schritt vornehmen zu können, ehe man ihm Schlacht angeboten habe. Eine Niederlage würde die Räumung der Hauptstadt zur Folge haben, deren moralischer Effect dann unberechenbar wäre. – Der König, der sich während der Debatten aller Meinungs-Aeußerung enthalten haben soll, stimmte zuletzt Moreno und Arias Teijeiro bei, und so ward, während wir am Thore von Atocha standen, der Rückzug in die Alcarria unabänderlich festgesetzt und vom Könige sanctionnirt.

[232] Nach fünf Leguas Marsch hielten wir in Mondéjar, dem Hauptorte dieser Gegend. Noch hatte das Volk an einen Rückzug nicht glauben können, da doch wir selbst, bei Annahme dieser, in jeder Beziehung vortheilhaften Position, mit Sicherheit darauf rechneten, den Marsch hierher nur deßhalb unternommen zu haben, um Espartéro, der sich noch immer in Alcalá de Henáres aufhielt, vor der Besetzung Madrid’s Schlacht anzubieten. Dieß schien ganz vernünftig, da die Stabilität einer Occupation der Hauptstadt durch ein zweifelhaftes Gefecht vor den Thoren leicht gefährdet werden konnte. Zwar waren Viele der Meinung, daß, wenn der König, nach Einrückung in Madrid und vorläufigem Verständniß mit der Königin Christine, Espartéro glänzende Anerbietungen gemacht hätte, dieser bereitwillig in Unterhandlungen getreten wäre. Doch ist es mir nicht möglich, mich hierüber näher auszulassen, und ich darf nur bemerken, daß dieser hie und da halb entwickelte Plan auf hohe Opposition und heftigen Widerstand stieß.

Die fruchtbare Alcarria, bis dahin vom Kriege verschont, versprach lange für alle Bedürfnisse eines selbst größeren Heeres zuzureichen. Das Volk war, wie [233] in ganz Castilien, entschieden königlich gesinnt, und von allen Seiten kamen Schaaren von Freiwilligen, wohl auch berittene Abtheilungen, meist von ihren Pfarrern geführt, sich der königlichen Colonne einzuverleiben. Viele von ihnen waren bewaffnet, wenn auch unvollkommen, andere desarmirten die Nationalgarden der benachbarten Orte und präsentirten sich im Hauptquartier mit allen Stücken ausgerüstet. Nur von unseren Häuptlingen der Mancha war nicht viel zu sehen. – Einige Klagen wegen Erpressungen, selbst gutgesinnter Einwohner, waren zum Könige gekommen, und sie mochten befürchten, zur Rechenschaft gezogen oder wenigstens ihrer Freizügigkeit beraubt zu werden, wenn ihre Banden in unsre Escadrons eingetheilt würden. Ihre Hauptbeschäftigung war das Devalisiren der Diligencen, Abfangen der Convois, Abschneiden aller Art Communication und Aussäckeln der christinischen Steuer-Cassen, Depôts und Douanen. Die weiten Ebenen der Mancha und der Provinz Toledo waren der Schauplatz ihrer Heldenthaten; mitunter wagten sie es auch, auf anderem Gebiete zu jagen, und dehnten ihre Excursionen bis Estramadura oder Andalusien aus, wo diese Art Kriegsführung oder vielleicht [234] diese Gattung Erwerb bedeutenden Anklang gefunden zu haben schien, und in der Sierra de Badajoz, so wie in den vier Reichen Andalusiens, sich ähnliche Banden zu bilden anfingen. Sie hatten wenig oder keine Infanterie, und die meisten bestanden aus 40 bis 100 Pferden. Obwohl der König den mächtigsten unter ihnen, Don Vicente Rugieros, genannt Palillos el Padre (zum Unterschiede von seinem Sohne), zum Brigadier und General-Commandanten der Mancha ernannte, so waren sie doch sämmtlich einer vom andern durchaus geschieden, unabhängig, und führten auf eigene Faust mittelalterlich Krieg; erhielten keinen Pardon, gaben daher auch keinen, waren im Glück und Mißgeschick auf sich selbst beschränkt, und theilten sich auch ohne Weiteres alle goldenen Früchte ihrer Unternehmungen zu. Palillos, der, in Vereinigung mit seinem Sohne, ungefähr 800 Reiter befehligte, hatte eine für seine Zwecke und Kräfte ganz passende, eigene Art Kriegsführung erfunden. Wenn er das Land durchstrich, und eine große Ebene erreicht hatte, die er sich vornahm zu requiriren, trennte er seine Truppe in Haufen von 30 bis 40 Reiter, die dann auf einer Fläche von acht bis zehn Quadrat-Leguas [235] alle Dörfer besetzten. Jeder Bauer mußte für die Bedürfnisse des einquartirten Reiters und Pferdes sorgen, und das Dorf die Steuern, nach Maßgabe des christinischen Catasters, an Palillos entrichten. Im Mittelpunkte dieses occupirten Landes hauste er selbst, und etablirte sich immer im Pfarrhause so comfortabel als möglich. Sobald er oder seine Reiter ein Dorf besetzten, mußten alle Glocken schweigen, und auf jedem Thurme war eine Wache, die in den weiten Ebenen, auch bei den hellen südlichen Nächten auf große Entfernungen Alles beobachten konnte. Genau bestimmte Zeichen wurden durch Glockenschläge gegeben, so daß, einer telegraphischen Linie gleich, Palillos mit der größten Schnelligkeit von Allem informirt war, und auf demselben Wege seine Befehle zurückgab. Ein allgemeiner Ueberfall war unmöglich; denn wurden selbst mehrere Dörfer gleichzeitig angegriffen, so waren ein paar Glockenschläge genügend, in weiter Runde alle Reiter Palillos’ auf die Pferde zu jagen, zum Angriff oder zur Flucht zu bestimmen. Der alte Häuptling selbst attaquirte selten rein militairischer Rücksichten wegen, selbst wenn er es mit großer Gewißheit gegen einen schwächern Feind [236] thun konnte; sein ganzer Unternehmungsgeist erwachte aber, sobald es sich darum handelte, über Convois herzufallen, wenn auch durch weit überlegene Kräfte gedeckt. Er, sein Sohn und alle seine Collegen, Xara, Orejita, Padre Eterno, und wie sie alle geheißen, erinnerten mich stets an die Zampas oder Fra Diavolos deutscher Provinzial-Bühnen. Das Costüm wenigstens paßte vortrefflich. Der hohe spitze Hut von schwarzem Sammt, mit unendlichen Knöpfen, Schnallen, Glöckchen und Schaumünzen behangen, und mit einem kleinen schwarzen Büschchen gekrönt, das glatt rasirte Gesicht, faustdicke Backenbärte, die halbmondförmig in die Wangen eingreifen, die kurze, schwarzsammtne Jacke mit fünf Reihen Peseten (Franken); – einige Chefs trieben diese Eleganz mit Doublonen – ein breiter schwarzer Gürtel mit 40 Patronen, Dolch und Pistolen, ein paar der letztern in den Taschen der kurzen, schwarzsammtnen Hose; braunlederne Gamaschen, und Schuhe mit langen Sporen; ein breiter Säbel, noch ein paar Pistolen im Sattel, und oft noch 1 bis 2 Tromblons, worin ein Dutzend Kugeln geladen; dieß bildete den Aufzug des Partidario manchego. Sie ritten meist starke Hengste, [237] deren stetes Wiehern Ueberfälle bei Nacht oft vereitelte.

Von diesen Leuten zeigten sich, wie erwähnt, damals nur wenige, doch war das Landvolk so zugelaufen, daß, als am zweiten Tage unseres Aufenthaltes in Mondejar der Infant große Revue über alle Truppen hielt, die castilischen Bataillone 1000 Mann mehr zählten, als beim Uebergang des Arga.

Am 15. traf die Nachricht ein, Zaratiegui habe den Escurial verlassen, die Sierra de Guadarama überschritten, und über Segovia sich in der Richtung von Valladolid zurückgezogen. Diese Kunde schien großen Eindruck zu machen, wenigstens war eine anhaltende Gährung bemerkbar. Alle Vereinigung mit dem Zaratiegui’schen Corps, zu einer combinirten Operation vor Madrid, war von nun an unmöglich; doch tröstete man sich bald mit jener Sorglosigkeit, die den Grundtypus des spanischen Charakters bildet. Sobald das berühmte n’importa ausgesprochen, war alles vergessen.

Am 16. Morgens verließen wir Mondejar, und marschirten 5 Leguas über Loreáca und Aranzueque bis Chiloeches, auf eine kleine Stunde von Guadalajara. Dort ward die Nacht zugebracht.

[238] Am nächsten Morgen wurden alle Hügel, die Guadalajara von zwei Seiten umgeben, durch die königlichen Truppen besetzt, und die Vorposten bis auf 1/4 Stunde von der Stadt, an das Ufer des Henáres, ausgestellt. Um elf Uhr ward eben in Chiloeches feierlicher Gottesdienst zu Ehren des Festes der schmerzenreichen Jungfrau gehalten, als die Nachricht eintraf, Espartéro’s Colonne rücke auf der Heerstraße von Alcalá vor. Wir eilten auf die erwähnten Höhen, wo unsre Truppen bivouaquirten, doch war in der ganzen weiten Ebene vom Feinde nichts zu sehen. Die Division Forcadell und vier navarresischen Bataillons unter Sanz, hielten in dem Olivenwalde, an der Berglehne, bis auf Kanonenschußweite von Guadalajara, dessen Castell von Zeit zu Zeit uns Kugeln zuschickte. Cabrera, Forcadell und Arroyo mit einigen Offizieren ritten vor, setzten über den Henáres, und recognoscirten die flache Gegend zwischen Cavanillas und Marchamálo. Als wir die Ueberzeugung erlangt hatten, weit und breit sei kein Feind zum Entsatze der Stadt im Anzuge, ward der Oberst Don Cyprian Fulgósio als Parlementair abgeschickt, jedoch von der Garnison des [239] Castells mit Flintenschüssen empfangen. Nachmittags postirten sich einige feindliche Truppen auf das rechte Ufer des Henáres und unter die Mauern der Stadt, kaum 50 Schritte von unsern Vorposten. Auf wiederholte Anfrage des Generals Sanz, ob er sie angreifen und die Stadt mit Sturm nehmen dürfe, ward verneinend geantwortet. So standen wir den ganzen Tag in unthätiger Beobachtung. Vor uns lag das schöne Guadalajara in einer herrlichen Ebene; der prachtvolle Pallast des Herzogs von Ynfantado ragte königlich über alle Gebäude, einer kleinen Stadt durch seinen Umfang gleich. Wir konnten unsern Mißmuth nicht verbergen, das dritte Mal vor einer großen Stadt zu sein, ohne einzurücken. Am heftigsten äußerte sich Cabrera, der als Chef seines Corps, das stets den Vortrab bildete, immer halb unabhängig von Moreno geblieben. Als es Nacht ward, rief er einige von uns bei Seite, und frug Sanz, ob er einrücken wolle; auf dessen Weigerung, unter Vorschützung seiner untergeordneten Stellung, versicherte Cabrera, er werde es auf eigene Verantwortung thun. Es kam Allen zu gelegen, als daß wir ihm abgerathen hätten. Um Mitternacht [240] schlich sich zwischen den Olivenwäldern, unter Benützung der Erdrisse, die Grenadier-Compagnie des ersten Bataillons von Tortosa bis unter die Mauern der Stadt, welches ungehindert dort geschehen konnte, da bei einbrechender Dämmerung die feindlichen Truppen sich in die Stadt zurückgezogen hatten. Ein Posten wurde überrumpelt, ein kleines Thürchen geöffnet, und in Kurzem war ein Bataillon in der Stadt, welches von innen eines größeren Postens an einem Hauptthore sich bemächtigte. Um zwei Uhr Morgens rückten die Divisionen Forcadell und Llagostera unter klingendem Spiele in Guadalajara ein. Als es graute, stand Cabrera, in seinen weißen Mantel gehüllt, auf dem Balcon des Rathhauses, auf dem großen Platze; seine Truppen waren auf demselben formirt, und seine Janitscharen-Musik weckte die letzten Schläfer in kriegerischen Klängen. Die Verwunderung der Einwohner war sonderbar zu sehen, so groß, als hätte es auf 100 Meilen keine Carlisten gegeben. Doch enthielten sie sich aller Demonstrationen, vielleicht aus Furcht, daß ihnen ein Gleiches widerfahren möchte, wie den armen Einwohnern von Arganda, welche der Feind nach unserm Abzuge für [241] ihren lauten Enthusiasmus schwer büßen ließ. Nur durch wenige geöffnete Fenster und halb zugezogene Gardinen war hie und da ein erschrockenes Frauengesicht in Nachthaube zu sehen. In den wenigen Häusern, die wir öffnen ließen, empfing man uns mehr verlegen als feindlich, auch ward schnell alles verabreicht, was wir begehrten. Cabrera ließ die über seinem Haupte am Rathhause in Stein gehauene Inschrift: „Viva Ysabel II! Plaza de la constitucion.“ zerstücken und herabwerfen. Unsre Freude war jedoch nur von kurzer Dauer, denn um sieben Uhr Morgens ward die Annäherung des Feindes signalisirt und gleich darauf kam ein königlicher Befehl Guadalajara zu räumen, was auch um neun Uhr geschah. An Besitznahme des Castells, worin die Garnison der Stadt sich zurückgezogen, konnte natürlich nicht gedacht werden. – Kaum waren die letzten Truppen Cabrera’s zur Stadt hinaus, als Espartéro’s Reiter zum Thore von Alcalá einsprengten. Von den Höhen sahen wir die Heerstraße mit Feinden bedeckt. Nach Aussage unsrer Spione war es nicht das ganze Corps Espartéro’s, sondern nur eine Colonne von 5 bis 6000 Mann, welche unter Anführung eines Unterbefehlshabers [242] uns gegenüberstand. Espartéro selbst mit dem Gros seiner Armee, war in Alcalá zurückgeblieben. Als dieß im Generalstabe bekannt wurde, erwarteten alle, wir würden über den Henáres gehen und durch Besetzung der Chaussee von Alcalá den Feind vom Haupt-Corps abschneiden. Das hügeliche Terrain wäre uns ganz vortheilhaft gewesen, und unbezweifelt hätte der leichtsinnig vordringende Feind vernichtet werden können. Doch ging dieser Plan nicht durch, und nach einer Stunde Aufenthalt auf den Höhen von Guadalajara, auf Kanonenschußweite vom Feinde, zogen wir uns über Chiloeches nach Aranzueque zurück, wo wir Nachmittags anlangten. Um elf Uhr Nachts setzten wir uns wieder in Bewegung und marschirten in aller Stille über Valdarachas, el Pozo, Santorcaz, Anchuelo, auf der Heerstraße bis zu den Höhen von Zulema im Angesichte von Alcalá de Henáres vor, in der Absicht, die feindliche Armee zu überfallen. Während dessen war das nach Guadalajara detachirte, feindliche Corps zurückgekehrt, so daß Espartéro, mit der 8000 Mann starken Colonne Lorenzo’s vereinigt, uns 25000 Mann Infanterie und 2000 Pferde entgegenstellen konnte, von denen die Hälfte in [243] der Ebene zwischen Alcalá und den Höhen von Zuléma uns gegenüber bivouaquirte. Den projectirten Ueberfall noch unmöglicher zu machen, war das ganze Hoflager, Gepäcke, Maulthiere und Train mitgeschleppt worden, so daß das Schreien der Leute und Wiehern der Pferde auf eine halbe Stunde Distanz unser Heranrücken verrieth. Als die tête der königlichen Colonne auf den Höhen von Zuléma ankam, stand der Feind gegenüber in Schlachtordnung aufgestellt. Da ward denn eine Stunde mit Debatten zugebracht, und um vier Uhr Morgens der Rückzug angetreten. Dieser ging anfangs in bester Ordnung vor sich, doch während zwei Stunden Rast in el Pozo erreichte uns der feindliche Vortrab. Wir konnten, in einer halb offenen Gegend, mit ermüdeten und schlecht verpflegten Truppen, nur schwachen Widerstand leisten. Sonach zog die Infanterie sich echelonsweise bis Aranzueque zurück, und die Cavallerie war den feindlichen Angriffen entgegengestellt. Durch den Brigadier Delpan nur sehr lau geführt, brachte sie durch übereiltes Repliiren noch mehr Unordnung in die Reihen unserer Infanterie, statt schleunig über die tête des feindlichen Corps herzufallen und dessen Formation zu verhindern. In [244] Aranzueque wurde Halt gemacht und die nächste Anhöhe besetzt. Dieser Ort liegt am Fuße einer hohen Gebirgskette, von deren Lehnen er durch die Tajuña und ein kleines flaches Terrain getrennt ist. Der Feind hatte seit drei viertel Stunden von seiner Verfolgung abgelassen, doch kaum fing man an, die Pferde zu füttern, als er am Eingang des schmalen Thales, an dessen Ende wir uns befanden, ansichtig wurde, die ganze Breite desselben einnahm und halbmondförmig vorrückte von drei Seiten aus anzugreifen. Sogleich ward über die kleine Brücke, die Aranzueque von der Berglehne trennt, abmarschirt. Ein panischer Schreck schien sich der Meisten bemächtigt zu haben. Die letzten Compagnien, die auszogen, wurden auf die Brücke postirt, als die feindliche Cavallerie in Aranzueque einritt. Der Train und die Equipagen, durch eine Bergschlucht auf die andere Seite der Lehne aus dem Bereiche des feindlichen Geschützes gebracht, hielten zuerst in Orgáz, dann in Carabaña, eine kleine Stunde von Aranzueque. Die Cavallerie ward in dem kleinen ebenen Raum aufgestellt, der vom Eingange der Bergschlucht bis zur Brücke sich dehnte, letztere dann aufgegeben und einige Bataillons auf [245] die vorragendsten Punkte der Lehne, die den Fluß dominiren, echelonirt. Der Feind versuchte endlich vorzudringen, doch in mehreren Cavallerie-Chargen geworfen, beschränkte er sich darauf, vor der Kirche, dem höchsten Punkte von Aranzueque, eine schwere Batterie zu etabliren und eine Anzahl Bomben auf unsere Positionen zu werfen, die wir bis Einbruch der Nacht behaupteten, und uns dann nach Hontóba und Hueba zurückzogen, wo wir einige Stunden verweilten. Espartéro bivouaquirte vor Aranzueque.

Am 20. Morgens ward der Marsch mit dem Frühesten fortgesetzt. Cabrera’s Division sollte die Arrieregarde formiren; doch als die Expeditions-Colonne Hueba verlassen, wandte er sich plötzlich rechts, setzte über den Tajo, und eilte in forcirten Märschen mit allen seinen Truppen seiner Heimath zu. Dieß ist Cabrera sehr zur Last gelegt, und behauptet worden, es sei strafbar gewesen, daß er den König verlassen. Ich kann dieß nicht beurtheilen, da ich nicht weiß, ob er mit demselben persönlich hierüber Rücksprache genommen; jedoch ist sicher, daß weder der Infant, noch Moreno, noch irgend Jemand im ganzen Generalstabe von dieser Trennung Cabrera’s [246] wußte. Was jedoch ihre Folgen betrifft, so waren sie unbezweifelt sehr vortheilhaft, da sie eine augenblickliche Theilung des feindlichen Heeres bewirkte, von dem ein beträchtlicher Theil Cabrera nachsetzte. Auch hätte seine längere Vereinigung mit der Expeditions-Colonne keine glücklichere Wendung unsern Operationen gegeben; er wäre mit uns geschlagen und zurückgedrängt worden. Das düstre Geschick, das seinen feindlichen Einfluß seit dem Rückzug vor Madrid auf uns übte, hätte seine Gegenwart nicht zu beschwören vermocht, und wäre er am Ende gezwungen gewesen, mit uns über den Ebro zu setzen, so war es um allen Einfluß, alles Gewicht der königlichen Waffen in Aragon und Valencia für immer geschehen. So aber ist er gerade zur rechten Zeit wieder dort eingetroffen, um eine gänzliche Desorganisation und Debandirung in diesen Ländern zu verhindern. Wie glänzend er seine große Aufgabe gelöst, hat die Campagne von 1838 bewiesen, so brillant in Aragon, während nichts im alten Kriegsschauplatze geschah. – Es mag hier bemerkt werden, daß ein eignes Unheil Cabrera zu bedrohen schien, so oft er oder seine Häuptlinge sich an ein Expeditionscorps anzuschließen hatten. Als er [247] sich 1836 mit Gomez vereinigen mußte, kehrte er, von wenigen Reitern begleitet, flüchtig zurück. Sein Zusammenwirken mit der königlichen Expedition wäre ihm beinahe noch theurer zu stehen gekommen, und 1838, als Don Basilio Garcia zum General-Commandanten von Castilien und Estramadura ernannt, von ihm eine Hülfsdivision begehrte, ward der unglückliche Tallada in den Gebirgen von Granada geschlagen, sein Corps aufgerieben, er gefangen und erschossen.

Nach der Trennung Cabrera’s betrug unsere Colonne noch 6500 Mann Infanterie und 500 Pferde. Mit diesen geringen Kräften konnte kein ernstliches Engagement vorgenommen werden; auch waren Menschen und Thiere durch die vielen unnöthigen Contremärsche so herabgekommen, daß bei fortdauernd angestrengten Märschen wir eine gänzliche Auflösung befürchten mußten. Während eines momentanen Haltes in Tendilla, blieben mehrere vom Schlafe überwältigt in ihren Quartieren liegen, und wurden vom nachziehenden Feinde noch schlafend gefangen genommen. General Sanz, den ein gleiches Schicksal bedrohte, konnte sich, von seiner Division getrennt, und im letzten Augenblicke geweckt, nur durch den größten Zufall [248] retten, da der Feind bereits in seinem Hause war. Er trieb sich mit einem Haufen Marodeurs und spät geweckter Schläfer fünf Tage in den Bergen herum, bis es ihm durch Hülfe eines guten Spions gelang, die königliche Colonne am Duero wieder zu erreichen. Die allgemeine Erschlaffung war grenzenlos. Wenn durch irgend ein Hinderniß der Marsch nur auf Minuten stockte, schliefen Soldaten stehend oder fielen auf ihrem Platze zu Boden, durch Ermattung überwältigt. Dabei war die Hitze gräßlich, und es schien, als wären mit Willen die ärmsten und gebirgigsten Striche von Neu-Castilien gewählt worden, dem Feinde die Verfolgung zu verleiden. Wir zogen über Fuente la Encina, Peñalver, Yrueste, Valhermoso de Tajuña und Archilla bis Brihuega, wo wir um fünf Uhr Nachmittags, nach vielem Verluste, todmüde ankamen. Der Feind war bis Tendilla nachgefolgt, und bivouaquirte in Horche. Brihuega ist eine ziemlich große, wohlhabende Fabrikstadt, auf einem Bergkegel, an der Tajuña gebaut. Zwei große Tage in der spanischen Geschichte erinnern an diesen Ort. 1713 ward Carl von Oesterreich, nachmals Kaiser Carl VI., durch Philipp’s V. Generale hier geschlagen, und [249] 1823 erfocht General Bessières bei Brihuega einen entscheidenden Sieg über die constitutionellen Truppen. An unsere Gegenwart sollte sich aber kein dritter Sieg königlicher Waffen knüpfen. Als wir eben im Zuge waren, uns etwas zu erholen, wurde am nächsten Nachmittage in allen Straßen Alarm geschlagen. Es hieß, der Feind sei auf eine halbe Legua und würde uns einschließen. Alles dachte nur daran, die Stadt schleunigst zu verlassen und ein kleines Plateau zu erreichen, das sie dominirt. Dort wurde zwei Stunden gehalten, als endlich der Feind auf den Höhen uns gegenüber sein Bivouac zu etabliren anfing, in der Dämmerung abmarschirt, und in nordöstlicher Richtung, in einem ziemlich coupirten Terrain, über Olmeda del Estremo, vier Leguas bis Cifuentes, gezogen, wo wir am nächsten Morgen um drei Uhr anlangten und fünf Stunden blieben. Es ist mir erinnerlich, daß wir hier große Vorräthe von einmarinirten Fischen (escabechádo) fanden, womit diese Stadt großen Handel treiben soll. Ich glaube nicht, daß nach unserm Abmarsch viel von diesem Artikel übrig geblieben ist.

Von Cifuentes durchzogen wir den nördlichsten [250] Theil der Alcarria, setzten bei Torrecuadradilla über die Tajuña, hielten Mittags in Torrecuadrada und machten dann einen Seitenmarsch bis Renales einem kleinen zerstörten Dorfe, um das wir an einer Berglehne bivouaquirten. Ein anhaltender Platzregen nöthigte uns die schlechten Hütten aufzusuchen, wo wenigstens Feuer gemacht werden konnte. In einer der Elendsten hatte ich Unterkunft gefunden und versuchte eben etwas zu schlafen, als ein großes Gepolter über meinem Kopfe mich weckte und ich zu meiner nicht geringen Verwunderung über mir die vier Beine eines auf einem Balken reitenden Maulthiers gewahrte, das von seinem Treiber, von der Bergseite aus, in den Speicher meines Hauses geführt, durchgebrochen war. Nach kurzem Balanciren fiel das Thier neben mir zu Boden, und ich prügelte es zum Hause hinaus. Die weniger scherzhafte Seite war eine kaum zu unterdrückende Sedition in den meisten Bataillons, die sich gänzlich zu debandiren drohten, wenn nicht dieses Elend bald ein Ende nähme. Der Feind, der die letzte Nacht ober Brihuega zugebracht, besetzte diese Stadt am nächsten Morgen, verfolgte uns beständig über Cifuentes und bivouaquirte endlich [251] drei viertel Stunden von Renales bei Torrecuadrada. Wir erwarteten jeden Augenblick angegriffen zu werden; eine gänzliche Zersprengung der königlichen Colonne wäre unfehlbar gewesen, doch verhielt sich der Feind ruhig und unser Marsch wurde unangefochten fortgesetzt. Wir drangen über Cortes und Luzága drei Leguas weit in die Bergkette, welche die Sierra Ministra mit der Sierra de Solorio verbindet, und hielten bei Alcoléa del Pinar. Unsre Vorposten, die auf der Straße von Zaragoza nach Madrid postirt waren, hielten die Diligence an, die nach letzterem Orte fuhr. Drei englische Offiziere befanden sich darin, durch Lord Palmerston nach Madrid und in Espartéro’s Hauptquartier als Militair-Commissaire geschickt. – Es waren der Oberst Lacy von der reitenden Artillerie, der Capitain Montgommery und der Lieutenant Crafton. Die Uniformen, die sich unter ihrem Gepäcke befanden, die Säbel und Pistolen, die sie mitführten, und mehr als alles Uebrige, ihre Pässe, gaben über ihren militairischen Charakter, den sie auch nicht läugneten, die vollgültigsten Beweise; somit waren sie nach allem Kriegsrechte unsere Gefangene. Demungeachtet befahl der König, sie augenblicklich freizugeben [252] und bis vor unsere Vorposten zu begleiten, nachdem sie einen Revers unterzeichnet, während der Dauer des Krieges nicht die Waffen zu führen (de ne pas prendre les armes tant que durera la lutte des deux partis qui se disputent actuellement la couronne de l’Espagne). Ihre Waffen wurden ihnen wieder zugestellt, und noch denselben Nachmittag konnten sie ruhig ihre Reise nach Madrid fortsetzen, während wir noch eine Legua weiter bis Bujarrabál marschirten, und dort, so gut es ging, uns einquartirten. Der Feind war den ganzen Nachmittag im Angesicht gewesen, schien uns aber nicht angreifen zu wollen und, besetzte Alcoléa, als wir diesen Ort kaum verlassen, obwohl er auf einer der schönsten Straßen Spaniens vordringen und uns jeden Augenblick aus diesem Orte hätte werfen können. Nachts campirte er eine halbe Legua von uns. Am 24. ward um halb zwei Uhr Morgens in aller Stille abgezogen. Bei Sonnenaufgang kamen wir nach Salinas de Yman, wo die christinischen Zollbeamten mitgenommen und auf 34 mit Salz beladene Maulthiere Beschlag gelegt wurde. Nach kurzer Rast ward bis Atienza marschirt, einem bedeutenden Orte an den Abhängen der Sierra de las [253] Cillas, welche die Grenze zwischen Neu- und Alt-Castilien bildet. Hier wurden die Truppen reichlich verpflegt, doch konnten ihnen nur einige Stunden Ruhe gegönnt werden, da schon um sechs Uhr Abends der Feind sich in der Ebene zeigte. Es war Espartéro, der mit 11000 Mann Infanterie und 1000 Pferden uns auf dem Fuße folgte, während Lorenzo, am Morgen von ihm detachirt, mit 4000 Mann Infanterie und 500 Pferden[WS 1] über Somosierra, den Weg nach Alt-Castilien einschlug. Sogleich wurde aufgebrochen und in den Bergen, eine Legua von Atienza, bei einem kleinen Dorfe, Cañamares, am Ufer eines Baches, bivouaquirt, da Niemand daran denken konnte, in diesen schmutzigen Hütten zu übernachten, die denen der Wilden in den Südsee-Inseln ähnlich sehen. Es war keine Gattung Lebensmittel aufzutreiben, und da wir unglücklicher Weise vergessen, aus Atienza Provisionen mitzunehmen, wollte ich wenigstens Chocolade in einem großen Topfe kochen lassen. Meine Ordonnanz, ein schlanker Sohn der Rioja, vom vierten Reiter-Regiment, sollte Wasser vom nächsten Bache dazu holen; nach langem Ausbleiben kam er endlich ganz durchnäßt zurück; er war in das Wasser so ungeschickt gefallen, daß er in dem [254] kleinen Bache bald ertrunken wäre. Die deutschen Offiziere, die um mein Feuer mit mir lagen, konnten sich des Lachens nicht erwehren, als sie den Burschen, triefend und vor Kälte schlotternd, ankommen sahen. Er war ein ächter Spanier. Unteroffizier, und Sohn eines Guerilla-Capitains, verband er mit der größten Anhänglichkeit und Unterwürfigkeit gegen mich, die stolzeste Unbeugsamkeit gegen alle Anderen, und erinnert mich, während ich diese Zeilen schreibe, an den Palikaren, dessen Fürst Pückler im letzten Theile seiner griechischen Leiden erwähnt, mit dem er wohl einige Aehnlichkeit gehabt haben mag.

Am nächsten Morgen marschirten wir 21/2 Leguas über Samolinos bis Campisábalos, wo fünf Stunden angehalten ward, während der Feind, erst am selben Morgen in Atienza eingerückt, uns in so geringer Entfernung folgte, daß öfters die tête seiner Colonne gesehen wurde. Doch incommodirte er den Marsch der königlichen Colonne nicht im Geringsten, und rückte in Compisábalos erst ein, nachdem wir diesen Ort in aller Ruhe verlassen hatten. Wir überschritten die Grenze von Alt-Castilien und kamen, nach drei Leguas Marsch, über Cañicera nach Caracena, einem kleinen, in einer [255] Schlucht gelegenen Orte, durch ein großes, nun zerstörtes Castell dominirt. Diese unvortheilhafte Position, dem nacheilenden Feinde gegenüber, flößte uns ernstliche Besorgnisse für die nächste Nacht ein, und die Wortbedeutung von Caracena (theures Abendessen) gab zu vielfachen Allusionen für die nächsten Stunden Anlaß. Doch hielt der Feind eine halbe Stunde vom Dorfe, und stellte seine Vorposten bis auf die nächsten Anhöhen. Dieses beständige Nachfolgen eines so überlegenen Corps wurde immer unbegreiflicher. – Um vier Uhr Morgens ward der Zug in aller Ruhe über Carascosa und Fresno fortgesetzt. Nach vier Leguas waren wir am Duero, und vor uns, auf einem Bergkegel, dominirend, zeichneten sich hoch in die blauen Lüfte, in großartigen Dimensionen, die ehrwürdigen Mauern und Thürme des alten Ritterschlosses Gormaz. Welchem Deutschen wäre Uhland’s Ballade hier nicht eingefallen! Wir marschirten über die Brücke, die barricadirt ward, und campirten, durch sieben Stunden, bei dem Dorfe Gormaz, am Fuße des Schloßberges. Ich benützte diese Zeit, ihn zu erklimmen. – Man sieht an der verfallenen Ruine, wie mächtig diese Burg einst gewesen. Hohe Wälle, zwei breite [256] Gräben, sieben Eck- und zwei Hauptthürme, eine Warte auf einem vorspringenden Fels, die waldigen Hügel beherrschend; vier Höfe, wovon einer so groß, daß zwei Bataillons darin manoeuveriren können, große Keller, Verließe und unterirdische Gänge, deren einer durch den Berg und unter dem Duero bis auf das andere Ufer führt; Alles, von Quadern, Basaltblöcken und rothem Marmor, schien der Ewigkeit trotzen zu können – und war doch zerstört. Heidelberg, Chambord und Warwick, die größten Schlösser dreier Länder, geben alle drei zusammen kein Gormaz. Ich stand auf der höchsten Zinne und konnte über alle Sierren, in beide Castilien bis in die Ebenen des Niedern Aragon, und auf der andern Seite, in weitester Entfernung, die Gebirgsketten von Leon sehen. Da erblickte ich tief unter mir eine große Staubwolke, die ganz nahe zu sein schien, und doch so weit war, daß ich nur mit Hülfe meines Fernrohrs die feindliche Colonne unterscheiden konnte, die auf dem Wege von Fresno angerückt kam. Es war ein Uhr Nachmittags, als ihre Cavallerie an den Duero kam, doch die von uns besetzte Brücke nicht zu passiren wagte. Sie stellte sich in Schlachtordnung in der Ebene auf, und manoeuvrirte [257] auf halbe Kanonenschußweite von unserm Bivouac, nur durch den Duero von uns getrennt, über zwei Stunden, mit einem Aufwande von militairischer Pünktlichkeit, der an friedliche Paradeplätze erinnerte. Don Diego Leon, Bruder des bei Huesca gebliebenen, und nunmehr Graf von Belascoain, befehligte sie. Er ritt einen englischen Rappen, Courtand, und trug reiche Husaren-Uniform, himmelblau und weiß, in der er sich sehr zu gefallen schien. Mehrere ausgeschickte Adjutanten versuchten eine Furth aufzufinden; doch waren ihre Bemühungen vergeblich. Dieß Alles sahen wir ruhig an, und war in unserer unangreifbaren Stellung ein ergötzliches Schauspiel. Nachdem ich es zur Genüge betrachtet hatte, ritt ich mit einigen Offizieren nach Quintaná de Gormaz, eine halbe Legua vom Schlosse, wo wir bei dem Pfarrer des Ortes, einem würdigen alten Geistlichen, ein vortreffliches Mittagessen einnahmen. Er war früher Hofkaplan Yturbide’s gewesen, als dieser unter dem Titel Kaiser Augustin I., Mexico beherrschte, und wußte viel von diesen ephemeren Herrlichkeiten zu erzählen. Gegen Abend zogen wir nach und nach unsere Truppen von ihren Positionen am Ufer des Duero ab, und marschirten [258] über Osma, nach dem Burgo de Osma, einer reichen, bedeutenden Stadt, wo die Nacht zugebracht ward. Das Metropolitan-Capitel empfing uns vortrefflich; der Infant schlug sein Hauptquartier im Hôtel des Domdechant auf, wo ein sehr ausgesuchtes Abendessen bereit stand. Wir waren in die Residenzen der Domherrn einquartirt worden, die uns gastfrei aufnahmen, besonders jene, die durch die Madrider Regierung ernannt, üble Folgen befürchten mochten. Dieß war mit meinem Hausherrn der Fall, und als ich gegen Mitternacht vom Souper des Infanten in mein Haus kam, fand ich abermals den Tisch gedeckt, und mußte trotz alles Sträubens mich sogleich daran machen. Uebrigens dachte ich, daß es in Kurzem wohl nicht mehr so gut gehen dürfte, und ließ mir einen sanften Zwang anthun, der Küche des guten Domherrn alle Ehre zu erweisen. – Nachdem wir die Brücke von Gormaz aufgegeben, riß der Feind unsere Barricaden nieder, setzte an’s rechte Ufer, und schlug sein Nachtlager, eine kleine Legua von uns, in Osma auf. Der König, der im Burgo de Osma nicht hatte verweilen wollen, brachte die Nacht, zwei Leguas weiter, in Berzósa zu, durch welchen Ort unsere Colonne am nächsten [259] Morgen passirte, und dann den Marsch, durch vier Leguas, über Villalva, la Torre, Cuscurrita und Casanova bis Peñaranda fortsetzte. Dort traf die Kunde von dem Ueberfall Lorenzo’s in Valladolid ein, der Zaratiegui zu schleunigem Ausmarsch aus dieser Stadt, mit Zurücklassung eines großen Theils seines Trains, gezwungen hatte. Sichre Nachrichten über seinen gegenwärtigen Aufenthalt konnten nicht eingeholt werden, da die Einen behaupteten, er habe sich, über Lerma und Burgos, in die Pinaren geworfen; Andere, er habe über den Duero, durch die Furthen unterhalb Peñafiel gesetzt, und dringe von Neuem in Neu-Castilien ein. Am wahrscheinlichsten schien eine, spät Nachts zugekommene Version, der zufolge er eben in Aranda de Duero eingerückt. Dieß ward zur Gewißheit am nächsten Morgen, worauf um halb zehn Uhr aufgebrochen, und der Weg nach Aranda eingeschlagen ward. Wir marschirten drei Leguas über San Juan del Monte, Zazuár und Quemada. Als wir nach letzterem Orte kamen, stieß der später bekannt gewordene Balmaseda (damals Cavallerie-Oberst), zu uns, von Zaratiegui abgesandt, zu berichten, er sei in Aranda vom Feinde angegriffen, wehre sich und [260] vertheidige die Brücke. Der Marsch ward eiligst fortgesetzt, und einige Adjutanten vorausgeschickt, die Lage der Dinge zu beobachten. Zaratiegui hatte vorgeschlagen, daß die königliche Colonne sich sogleich dem Duero zuwenden, durch eine bezeichnete Furth denselben überschreiten, und den am linken Ufer befindlichen Feind im Rücken angreifen solle. Diesem vortrefflichen Plane, der die ganze Colonne Lorenzo’s vor ihrer Vereinigung mit dem nacheilenden Espartéro, uns in die Hände geliefert hätte, ward jedoch kein Gehör gegeben, und wir marschirten auf dem rechten Ufer weiter, dem Feinde freien Abzug lassend. Zaratiegui hatte unterdessen die Brücke barricadirt, das Thor gesperrt, und die Fenster und Dächer aller am Strome liegenden Häuser mit Soldaten besetzt, die auf den attaquirenden Feind ein mörderisches Feuer richteten. Dieser sah sich nach bedeutendem Verluste gezwungen, den Angriff der Brücke aufzugeben, und in der Richtung nach Peñafiel sich zurückzuziehen. Augenblicklich ließ Zaratiegui seine Barricaden abbrechen, und anfänglich durch Infanterie, darauf durch seine ganze Cavallerie, und eine Batterie 6 und 8 Pfünder den retirirenden Feind verfolgen. [261] In diesem Momente kamen die vom Infanten abgesendeten Adjutanten bei ihm an. Nachdem seinem Plan zur Abschneidung der feindlichen Colonne nicht Gehör gegeben worden, war auch jedes fernere Verfolgen des in größter Ordnung auf der Heerstraße repliirenden Feindes, der auch ein hügeliches Terrain für sich hatte, unnöthig geworden. Zaratiegui zog seine Truppen zurück, und marschirte wieder in Aranda ein.

Seine Colonne bestand aus 4500 Mann Infanterie, worunter zwei neuformirte Bataillons, 600 Pferden und 6 bespannten Geschützen. Er hatte abwechselnd bedeutende Städte besetzt, seine Truppen in Valladolid equipirt, Münzen in Segovia geschlagen, die königlichen Wässer von San Ildefonso (la Granja) zur Belustigung seiner Truppen springen lassen, in den prachtvollen Hallen des Escurial sein Hauptquartier aufgeschlagen, und im Angesicht von Madrid bivouaquirt. Auch er hatte große, erinnerungsreiche Tage erlebt, und wenn gleich zum Rückzug gezwungen, waren seine Soldaten doch nie solchem Elende preisgegeben, wie wir. Auch sahen sie sehr stattlich aus, im Vergleiche zu der physisch und moralisch herabgekommenen Mannschaft der königlichen Colonne. [262] Die Cavallerie war vortrefflich beritten, in neue scharlachrothe und grüne Spencer gekleidet; die Infanterie ganz neu uniformirt, und die Offiziere, denen mehrere Mal Gehalt ausbezahlt worden, hatten Zeit gehabt, in Valladolid elegante Uniformen sich anzuschaffen. Alles war wohl genährt, gut beschuht, mit Munition versehen, und hatte ein so disciplinirtes und zufriedenes Aussehen, wie wir es seit Uebergang des Arga an unsern Truppen nicht mehr gewohnt.

Wäre unsere Vereinigung mit der Colonne Zaratiegui’s auf oben erwähnte Weise benutzt worden, so hätte sie von großen Folgen sein, und vielleicht noch Alles ersetzen können, was die letzte Woche entrissen. Doch da dieß nicht geschehen, blieben uns noch zwei Wege übrig. Der erste war der Vorschlag des Infanten, mit beiden Corps augenblicklich auf das linke Duero-Ufer zu setzen, und nach Eilmärschen über Segovia und San Ildefonso den Kriegsschauplatz von Neuem in die Umgegend von Madrid, und zwar dießmal in die Sierra de Guadarama zu versetzen. Vom Escurial aus sollte der König Proclamationen an die Hauptstadt erlassen, und durch diese [263] zweite Annäherung einen Theil jenes großen Zaubers an seine Waffen fesseln, der in der letzten Zeit so schnell geschwunden. Dieser Plan war vielleicht gewagt, doch jedenfalls kühn und ritterlich. Zaratiegui und Elio schlugen eine soforte Trennung beider Colonnen vor, wodurch auch der Feind gezwungen würde, seine Kräfte zu theilen. Sie wollten von Neuem in die neucastilischen Ebenen eindringen, während der König in die Pinaren von Soria ziehen, und dort einen allgemeinen Aufstand organisiren solle. Die Gegenwart des Pfarrers Merino, des greisen Häuptlings jener Gegenden, sollte hiezu vortheilhaft mitwirken. Keiner dieser beiden Vorschläge ging durch; der erste, als zu gefährlich, ward verworfen, der zweite im Hoflager laut getadelt, von vielen als Hochverrath bezeichnet. Zaratiegui und Elio ward bitter vorgeworfen, daß sie nicht in der Umgegend von Madrid geblieben, mit der königlichen Expedition in combinirter Operation die Hauptstadt zu bedrohen, und den Feind anzugreifen. Vergeblich bewiesen beide Generale, daß sie beim Uebergang des Ebro, nach der Einnahme von Segovia, aus la Granja, aus dem Escurial, nach erfolgtem Rückzuge abermals aus [264] Segovia, und zuletzt aus Valladolid geschrieben, Spione abgeschickt und sich Verhaltungsbefehle erbeten hätten; daß mehrere ihrer Spione im königlichen Hauptquartier eingetroffen, ihre Briefe abgegeben und tagelang dort verweilt, ohne daß ihnen je ein bestimmter Befehl zugekommen. Als im Niedern Aragon der Bericht von der Einnahme des Schlosses (Alcazar) von Segovia nebst Geldstücken zukam, die Zaratiegui auf der dortigen Münzstätte mit der Effigie des Königs hatte schlagen lassen, ward ihm geantwortet, um seine Avancemens-Vorschläge zu approbiren, ihm ein Großkreuz, und Elio eine Generals-Schärpe zuzuschicken; im Uebrigen aber nur hinzugefügt, er möge handeln, wie es die Umstände (circunstancias) und das Beste des königlichen Dienstes erforderten. Wäre Zaratiegui und Elio nur die leiseste Andeutung von der Annäherung der königlichen Colonne zugekommen, sie würden den Escurial und ihre Position vor Madrid bis auf den letzten Mann vertheidigt haben. Aber dieselbe Nachlässigkeit, die beim Uebergang des Arga, beim Eintritt in Aragon, nach der Schlacht von Barbastro obgewaltet, und damals eine Vereinigung mit Cabrera am mittleren Ebro verhindert, [265] diese Schlafsucht in allen Dicasterien, und dieses blinde, blödsinnige Vertrauen, daß die Standarte der schmerzenreichen Jungfrau und die Gegenwart des Königs genügen würden, alle Thore zu öffnen und alle Heere zu schlagen, dieser faulende Marrasme allein, trägt die Schuld unserer Vernichtung, die man dann böswillig und gewissenlos auf Zaratiegui und Elio gewälzt hat, alles Unheil ihnen zuschrieb, auf unwürdige Weise diese beiden verdienten Generale nach unserer Rückkehr in die Provinzen ins Gefängniß warf, und blos darum monatelang ohne Verhör darin schmachten ließ, weil kein einziger Anklagegrund das kleinste Strafurtheil auch nur scheinbar hätte rechtfertigen können. Zaratiegui und Elio gehören zu den ausgezeichnetsten Erscheinungen, die der spanische Bürgerkrieg in beiden Feldlagern hervorgebracht, sie haben vom ersten Augenblicke ihres Auftretens bis zum Uebergange über die französische Grenze nur gute und ersprießliche Dienste geleistet, und als Männer von Ehre, als loyale, gehorsame Diener des Königs sich gezeigt. Nachdem sie über so große Mittel geboten, so reiche Städte besetzt, an der Spitze so bedeutender Streitkräfte gestanden, – führen sie in diesem [266] Augenblick, arm und von Allem entblößt, ein elendes, kummervolles Leben in französischen Depôts. Schon dieses allein spricht für ihre Treue. Beide sind noch junge Männer; Don Juan Antonio Zaratiegui war Militairsecretär Zumalacarregui’s, sein Freund und Vertrauter; aus seiner Feder flossen jene begeisternden Proclamationen des großen Feldherrn, mit der Spitze seines siegreichen Degens geschrieben.

Der Gefährte des Ruhmes und der Leiden Zaratiegui’s, Don Joaquin Elio, aus den Grafen von Ezpeleta, gehört einem großen Hause Navarra’s an. Als ich nach Spanien kam, war er – wie ich seiner Zeit erwähnt – Brigadier und Militairsecretär des Infanten. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, die hohen Fähigkeiten dieses jungen Offiziers zu erkennen und zu schätzen. Beim Ausgang der königlichen Expedition befürchteten einige damals mächtige Personen seinen Einfluß auf den Charakter des jungen Prinzen; er ward beim Uebergange des Arga entfernt, und durch einen jungen Generalstabs-Offizier, den Obersten Arjona, ersetzt, worauf er in Navarra blieb, bis er mit Zaratiegui als Chef seines Generalstabes [267] auszog. – Einer der späteren Anklagepunkte gegen Zaratiegui und Elio war auch, daß sie das Castell oder befestigte Kloster von Valladolid nicht genommen, und durch Lorenzo in dieser Stadt überrascht wurden. Ersteres wäre bei dem Mangel an Belagerungsgeschützen ganz unmöglich gewesen, Letzteres hätte vielleicht durch Besetzung einer kleinen Brücke unterhalb dieser Stadt vermieden, oder doch wenigstens ein ruhiger Abmarsch dadurch bewerkstelliget werden können. Doch war es wohl an uns, nach so vielen namenlosen Fehlern ein geringfügiges Versehen, vielleicht eines untergeordneten Generalstabsoffiziers, so strenge an unsern besten Generalen zu rügen, und gar als Hochverrath zu bezeichnen!

Die Vereinigung mit dem Zaratiegui’schen Corps, die eine so glückliche Wendung unsern Operationen hätte geben können, hat im Gegentheil nur dazu gedient, der Zwietracht und dem Getreibe der Intriguanten im Hoflager ein weiteres Feld zu öffnen, die nun, nachdem sie das königliche Expeditionscorps zu Grunde gerichtet, eine gleiche Auflösung mit dem Zaratiegui’schen vornahmen. Dieß Unheil schien Elio vorauszusehen; als wir über die Brücke [268] von Aranda ritten, und ich die schöne Haltung seines Corps lobte, sagte er mir traurig, in wenig Wochen würde es so aussehen, wie unsere Colonne. Er hat nur zu wahr prophezeit.

In Aranda war indessen das lustigste Leben. Offiziere und Soldaten beider Corps feierten freudig ihre Vereinigung; alle Leiden schienen bei geräuschvoller Mittheilung ihrer abenteuerlichen Züge vergessen. Aranda, ein guter Ort in einer reichen Ebene, bot alles zur besten Verpflegung der Truppen im Ueberfluß; und Jeder befand sich in bester Stimmung, als wegen Annäherung Espartéro’s bis Peñaranda noch denselben Abend der Abmarsch befohlen ward. Wir zogen ziemlich mißmuthig auf der Heerstraße von Burgos, und nahmen nach zwei Leguas unser Hauptquartier in Gumiel de Yzan. Nachts brachten unsere Spione die Nachricht, daß Espartéro sich mit Lorenzo, und diese Beiden mit Carondelet vereinigt hätten, so daß die feindlichen Kräfte, die uns gegenüber standen, 19000 Mann Infanterie und 1800 Pferde betrugen. Um drei Uhr Morgens ward aufgebrochen, die Heerstraße verlassen, und sechs Leguas in den Gebirgen, mit kurzem Aufenthalt in Pinilla [269] de Trasmonte, fortmarschirt. Abends ward das Hauptquartier mitten in den Bergen in Cobarrubias de Cervera, am Ufer des Arlanza[WS 2], aufgeschlagen. Die feindliche Colonne war, kurz nach unserm Abmarsche, durch Gumiel de Yzan passirt, und stand noch am selben Abend 21/2 Leguas von uns in Lerma.

So waren wir denn am Eingange jener berüchtigten Pinaren, des rauhesten Landstrichs der Halbinsel, vor dem wir stets einen gewissen Abscheu gehabt und die finstersten Bilder von Hunger, Elend und Entbehrungen aller Art damit verknüpft hatten. Die Pinaren, in zwei große Theile getheilt, von Burgos und von Soria, dehnen sich von Südosten nach Nordwesten durch ganz Alt-Castilien. Sie sind ein großer gebirgiger, unbebauter Landstrich, durchaus mit halb krüppelhaftem Nadelholz bewachsen, daher ihr Name. Die wenigen Städte liegen auf Oasen, sonst sind auf große Entfernungen nur einzelne ärmliche Dörfer, in den Gebirgsschluchten gelegen, an die Gesenke gelehnt, oder wohl auch auf die höchsten Kuppen gebaut. Die elenden Häuser, gleich den Baraken eines Bivouacs, sind aus Feldsteinen zusammengefügt, sehr niedrig und mit unbezimmerten Balken nothdürftig gedeckt. [270] Kleine Lücken, ohne Schutz gegen Wind und Regen, lassen nur spärliches Licht ein, und gewähren wie die vielen Fugen im Dache dem Rauche einen Ausweg. Nur die bessern haben Fenster von in Oel getränktem Papier; keine Thüre schließt, und im Innern dieser Behausungen wimmelt es von Ungeziefer. Die Frauen sind durchgehend scheußlich und ekelhaft schmutzig, die männlichen Einwohner, ein kräftiger, verwegener Volksstamm, wild, roh, und von hottentottischer Unwissenheit. Die Pinaren, die in guten Jahren nicht viel tragen, sind auch meist durch Mißwachs und Dürre ihrer kleinen Triften und wenigen mit Steinen besäten Felder geplagt. Dieß war 1837 der Fall, und unbegreiflich wovon die Einwohner lebten, obwohl sie die ungenießbarsten Dinge verzehrten. So sah ich Kinder Tannzapfen ausklopfen, deren Samen in Handmühlen gemahlen und zu Brod gebacken wird. In den höchsten Gebirgsstrichen Cataloniens, am obern Segre in der Grafschaft Paillasse, habe ich fünfviertel Jahre später etwas ähnliches gesehen. Dort waren die Einwohner in manchen einzelnen Orten durch den sechsjährigen Krieg und beständige Durchzüge so herabgekommen, daß sie aus Eicheln und Traubenkernen Brod anfertigten; [271] doch ein so allgemeines Elend wie in den Pinaren ist in keinem Theile Spaniens anzutreffen. Dieß Land ist der Kriegsschauplatz des berühmtesten Guerilléros neuerer Zeit. Don Gerónimo Merino, Pfarrer von Villaviado, ist jedem Grenadier des Kaiserreichs, jedem Soldaten der Heere Wellington’s und Beresford’s bekannt; doch wo sein Andenken sich noch frisch und lebhaft erhalten, das ist in diesen wilden rauhen Strichen, Zeugen seiner Siege und der Niederlagen selbst größerer Heere. Er allein hat es vermocht, ihre Einwohner zu den Waffen zu rufen, und noch nach dreißig Jahren war er in allgemeiner Verehrung in beiden Pinaren; seine Gegenwart allein konnte die Bewohner aus ihrem stumpfen, apathischen Dahinbrüten wecken.

Merino’s Erscheinung, seine ganze Lebensweise und öffentliches Wirken tragen mit merkwürdiger Consequenz den kräftigen Stempel ungesuchter, wirklicher Originalität. Eine zweite Individualität dieser Art dürfte ebenso wenig angetroffen werden, als Merino wohl je Nachahmer finden. In Vielem mag er vielleicht mit Stofflet, dem berühmten Chef in der Vendée, zu vergleichen sein. In der niedrigsten Sphäre [272] geboren, war er zuerst Schäfer und trieb sich, monatelang von aller menschlichen Gesellschaft entfernt, mit seinen Heerden in den Pinaren herum. Die Nächte brachte er im Freien zu, oder in den auf jedem Plateau, gegen die Unbilden des rauhen Wetters, aufgebauten Hütten (hurdas) transhumirender Schafe. So stählte er seinen Körper, gewöhnte ihn an alle Entbehrungen, und ward mit allen Stegen, Schluchten und Pässen seines wilden Geburtlandes vertraut. Merino kannte die Pinaren so genau, daß er nur nach der Sonne und den höchsten Berggipfeln zu sehen brauchte, um, von jedem Punkte aus, sich sogleich zu orientiren. In seinem zwanzigsten Jahre ward er von seinem mütterlichen Onkel, Pfarrer seines Geburtdorfes Villaviado, als Kirchendiener angestellt. Dann lernte er lesen, schreiben, etwas Latein, und empfing die niedere Weihe, worauf er zum Coadjutor, mit Exspectanz auf die Pfarre, ernannt ward. Als der Krieg mit Frankreich ausbrach, rief er die Einwohner von Villaviado und die Hirten der nächsten Thäler zu den Waffen. In kühnen Zügen fiel er, stets glücklich, über die feindlichen Posten her; sein Anhang vermehrte sich mächtig; bald stand er an der Spitze einiger Tausende, [273] meist Reiter, und brachte den Franzosen, fast immer an Punkten wo sie ihn am wenigsten erwarteten, empfindliche Schläge bei. In den Jahren 1811, 1812 und 1813 war er der furchtbarste Bandenführer der Halbinsel. Der Sieg von Quintanapalla ist bekannt; der große Convoi des Marschalls Soult, Millionen an Werth, fiel an diesem Tage in seine Hände. Er vertheilte Alles unter seine Anhänger, und hatte nur die Neugierde, jeden Karren, jedes Packet selbst öffnen zu wollen, und die vielen, ihm meist unbekannten Gegenstände, von deren Gebrauch er nicht die geringste Ahnung hatte, zu untersuchen, worauf er sie gewöhnlich verächtlich von sich warf. Ein Pack langer schwarzseidner Strümpfe kam ihm unter andern in die Hände; er zog einen über den andern an, fand sie sanft und bequem, und behielt sie. Alles Uebrige, namentlich bedeutende Geldsummen, gab er weg, ohne sich das Geringste zuzueignen. Durch die Regentschaft von Cadix zum Maréchal de camp ernannt, erhielt er bei Rückkehr Ferdinand’s VII., da er nicht fortdienen wollte, zur Belohnung seiner großen Verdienste, zwei reiche Canonicate in Zaragoza und Valencia. Doch resignirte er bald freiwillig darauf, weil ihm die Sitten [274] der großen Städte nicht zusagten, und die Residenz dort allzusehr langweilte. Er zog sich in sein geliebtes Dorf zurück, wo er sich mit mäßiger Pension begnügte. Von seiner früheren Macht und Herrlichkeit hatte er nur seine zwei besten Schlachtpferde und ein paar große Windhunde zurückbehalten, mit denen er in Gebirgsthälern Hasen hetzte. So oft Ferdinand VII. das Alt-Castilien zunächst gelegene Sommerschloß La Granja besuchte, ritt Merino quer feldein, den König zu begrüßen, der ihn stets sehr gnädig empfing, und auf dessen Fragen, ob er sich etwas auszubitten habe, er immer einen bescheidenen Wunsch für arme Bewohner seines Dorfes vortrug, der auch jedes Mal gewährt ward. Als die Constitutions-Epoche Spanien von Neuem mit Krieg überzog, erhob sich Merino, wie aus langem Schlafe. Nach wenigen Wochen waren seine Reiterbanden um ihn versammelt, und er fiel über die constitutionellen Generale her, wo sie sich in Alt-Castilien nur blicken ließen. Der Einmarsch des Herzogs von Angoulême machte bald diesem Allen ein Ende. Merino zog sich von Neuem nach Villaviado zurück, und lebte so ruhig fort, als ob gar keine Unterbrechung stattgefunden hätte. Nach Ferdinand’s [275] VII. Tode war er wieder der Erste, der in jenen Gegenden sich für Carl V. erklärte und das königliche Banner in den Pinaren aufpflanzte. Er vereinte sich mit Cuevillas, einem andern Bandenführer Alt-Castiliens, und an der Spitze einiger hundert Reiter marschirten sie Portugall zu, Carl V. nach Spanien zu bringen. Unterwegs wurden sie überfallen, geschlagen und zersprengt. Vierzig Bataillons Nationalgarde (voluntarios realistas), die sie zu formiren begonnen, liefen von selbst aus einander, und warfen ihre Waffen weg. Cuevillas hat mir mit größtem Ernste erzählt, diese Formation sei im Anfange sehr gut gelungen, aber christinische Emissäre hätten sich zahlreich unter seine Leute gemischt und sie überredet, Don Carlos wäre in Portugall gefangen und nach Sibirien gebracht, worauf eine allgemeine Desertion eingerissen sei.

Als Merino und Cuevillas nach Coimbra zum Könige kamen, hatten sie noch 14 Reiter, meist Offiziere. Cuevillas begann eine pathetische Rede, worin er sich als den Ersten meldete, der den König in Spanien proclamirt und eine bedeutende Heeresmacht zusammengebracht habe. Nach Erwähnung der [276] 40 Bataillons, umarmte ihn der König, und die Königin (Doña Francisca de Asis, Infantin von Portugal, † 4. September 1834) nahm dem Prinzen von Asturien das große Band des militairischen Sankt Ferdinand Ordens ab und bekleidete Cuevillas eigenhändig damit. „Und wo hast du deine Bataillone?“ fragte ihn dann der König … der nun zur Antwort erhielt: „Sire, sie sind alle desertirt.“ –

Cuevillas war übrigens eben so brav als unüberlegt, und nur zu bedauern, daß dieser, im Dienste der legitimen Sache ergraute Häuptling, am Abende seiner Tage ein langes nicht ruhmloses Leben durch Beistimmung zum Verrathe von Bergara befleckt hat.

Merino, der den König nicht dazu bewegen konnte, seiner Führung durch ganz Spanien bis in die baskischen Provinzen sich anzuvertrauen, verließ bald Portugall und organisirte in Alt-Castilien einige Escadrons, mit denen er später im Kriegsschauplatze eintraf. Seine Wichtigkeit ist von diesem Augenblicke an nur mehr secondär gewesen, denn er war alt geworden, und wenn auch zuweilen sein reger Geist [277] neu aufzuleben schien, doch für den Guerillaskrieg nicht mehr geschaffen. Demungeachtet hatte er seine thätigen Gewohnheiten nicht verändert, und nahm es auf langen Ritten, beschwerlichen Märschen, meilenweitem kecken Jagen durch coupirtes Terrain, mit den Jüngsten und Kräftigsten auf. Er schlief nie mehr als zwei bis drei Stunden, trank nur Wasser und Milch, und nahm sehr wenig Nahrung zu sich.

Merino ist von hohem Körperbau, hager, dürr und dabei kräftig. Sein merkwürdig schöner, antik geformter Kopf ist an Scheitel und Schläfe mit wenig grauen Haaren nur dürftig bedeckt. Dicke, buschige, schwarze Brauen, wie ich sie nur ein Mal wieder an Marschall Marmont gesehen, ragen über hohlliegende Augen, die einen eigenen, gutmüthig sarkastischen Ausdruck haben. Ein beinahe lippenloser Mund schließt sich fest über zwei Reihen vortrefflicher Zähne, die er alle, trotz seines hohen Alters und beständigen Rauchens, erhalten hat. Er trug gewöhnlich eine schwarze Zamarra aus Schaffell, darunter eine schwarze Weste und Binde mit geistlichem Zuschnitt und schwarze weitschlotternde Beinkleider; lange gewichtige Sporen, den spitzzulaufenden schwarzsammtnen Hut der Castilianer [278] und einen dicken, mit Eisen beschlagenen Krückenstock, den er seit dreißig Jahren führt und mir auf den Todesfall vermacht hat. Sein zwanzig Pfund schwerer Säbel, die breiteste Klinge, die ich je sah, hing immer am Pferde. An dem mit einer gestreiften Maulthierdecke behangenen Sattel steckten ein Paar unförmlich große Pistolen und daneben ein Tromblon, worin ein Dutzend Kugeln auf einmal geladen wurden. Er war ein Feind aller Fremden, und zu seinen Eigenthümlichkeiten gehört, daß er sein Portrait nicht wollte nehmen lassen. Den französischen Maler Maguès, der die Hauptpersonen des Hoflagers und Heeres zu zeichnen gekommen, jagte er mit dem Prügel in der Hand aus dem Hause.

In dieser rohen Gestalt war bei aller Unwissenheit eine feinfühlende, poetische Seele, die sich nur selten und gleichsam wider Willen durch hohe Empfindungen kund gab, um sich dann schnell in ihr rauhes Wesen zurückzuziehen und zu verschließen. Nie werde ich eines Tages vergessen, als ich auf einem der höchsten Punkte der Pinaren, auf dem Gipfel eines isolirten Bergkegels, neben dem greisen Partheigänger stand. Unsere Colonne war durch einige Dörfer [279] marschirt und das Volk aus den Hütten gelaufen, den Avuelo (Großvater) zu sehen, unter welcher Bezeichnung er in beiden Castilien bekannt ist. Die Truppen zogen weiter im Thale und allein mit ihm hatte ich den Berg bestiegen. Er war einsylbig und düster, und schien feierlich gestimmt. Oben angelangt, deutete er mit ausgestreckter Hand auf die vielen Sierren und Schluchten, die sich in allen Richtungen durchkreuzten, und zu unsern Füßen in wüster Verwirrung, den plastischen Höhenkarten nicht unähnlich, erdfahl und schwarzgrün, ihre felsigen Spitzen und langen Ketten bis in die Wolken reckten und sich am fernsten Horizonte verloren. Endlich sagte er mit dumpfer, halb wehmüthiger Stimme: „Wo ist die Zeit, wann man sich auf eine dieser Spitzen stellte und Ohe Merino! rief, aus allen Thälern und von jedem Berge Tausende in Waffen sich auf meine Stimme versammelten. Die ist vorbei und wird nie mehr kommen, aber auch mit dem Glücke Spaniens ist es vorbei, denn damals gab es …“

Merino’s Gestalt schien sichtbar gehoben. Eine leichte Röthe überflog sein Antlitz, und der sonst so ruhige Blick schoß Blitze momentaner Begeisterung. [280] Doch kaum waren die letzten Worte verklungen, und noch lauschte ich den Tönen, als er, wie aus Träumen zu sich kommend, ein gellendes C…ajo ausstieß, dann phlegmatisch seine Papier-Cigarre zum Munde führte und schnellen Schritts den Bergpfad hinab eilte. Unten schwang er sich auf seinen harrenden Rappen und jagte im gestreckten Galopp unsrer marschirenden Colonne nach; der poetische Moment war vorüber. Einen zweiten habe ich im französischen Grenzdorfe Saint Pée wahrgenommen, am 14. September 1839, als Carl V. Krone, Heer und Reich verloren und Merino mit seinem Könige auf französischem Boden anlangte, das erste Mal in seinem Leben, daß er die pyrenäische Halbinsel verließ; doch war er dießmal noch düsterer gestimmt, als zwei Jahre vorher in den Pinaren. Jetzt bringt er seine letzten Tage, in einem französischen Depôt, in Trauer und Entbehrung zu.

Cobarrubias ist einer der besten Orte in den Pinaren; zwei unregelmäßige kleine Plätze und ein Dutzend winkeliger Straßen machen die ganze Stadt aus. Ich ward im Hause eines Geistlichen, am Ufer des Arlanza, leidlich einquartirt. Von meinen Fenstern sah ich, über den Fluß hinausgebaut, einen [281] alten Thurm, halb gothischer, halb maurischer Bauart, worin eine Prinzessin vor vielen hundert Jahren eingesperrt gewesen sein soll, und der fälschlich der Thurm der Doña Uraca genannt wird, da diese Tochter König Heinrichs von Trastamara nie gefangen war. In der Sakristei der großen Klosterkirche hing ein schönes, altdeutsches Gemälde, der Heiland zwischen den Häschern; das Zeichen Albrecht Dürer’s konnte man deutlich daran erkennen. Es ist dieß das einzige deutsche Gemälde, welches ich in Spanien sah, und wohl nur durch Zufall mag es sich noch an Ort und Stelle befunden haben, da Franzosen und Christinos in frühern und letzten Kriegen überall damit begannen, die werthvollen Gemälde mitzunehmen. Doch findet man noch zuweilen in kleinen Dörfern, halb versteckt, Werke der größten Meister. So war eine Krönung Mariä von Heréra dem Vater in der Kirche von Villas de los Navarros, ein Gemälde mit mehr als hundert Figuren, so groß wie der berühmte Spasimo im Escurial. Im Nonnenkloster von Vallbona, in Catalonien, sah ich einen herrlichen Zurbaran, in Composition und Ausführung weit dem berühmten Bilde desselben Meisters vorzuziehen, das sich [282] gegenwärtig in der Gallerie Aguado zu Paris befindet. Zwei sehr schöne Mengs fand ich später im Kloster von San Domingo de Silos, in den Pinaren. So sind mitunter die größten Schätze in den kleinsten Orten der Halbinsel zerstreut, und nur in den baskischen Provinzen gar keine anzutreffen. Sie schienen sich über die Berge von Navarra in diese Thäler nie verirrt zu haben, da selbst in dem Kloster von Loyola, mit Ausnahme eines sterbenden heiligen Ignatius von …, kein Stück von Werth ist. In der Abtei von Roncesvalles (Roncevaux) sollen einige schöne Bilder sein, doch war ich nie dort.

Wir brachten unsere Zeit langweilig genug durch mehrere Tage in Cobarrubias zu. Die Blessirten und Kranken wurden nach dem großen Kloster von San Domingo de Silos, drei Leguas weiter, gebracht. Da dieses als neutrales Spital durch Zaratiegui mit Carondelet ausbedungen worden, durften wir annehmen, daß der Feind es respectiren würde, was jedoch nicht der Fall war, da er nach unserm Abzuge gegen allen Kriegsgebrauch wortbrüchig darüber herfiel, und alle zu Gefangenen machte; nur wenige Convalescenten vermochten zu entlaufen.

[283] Die feindlichen Colonnen besetzten während dieser Zeit die Straße zwischen Aranda und Burgos, auf der sie in fortwährender Bewegung blieben; doch schienen sie einen Angriff unserer Seits zu erwarten, und concentrirten endlich das Gros ihrer Kräfte bei Behabow, Lerma und Santa Ynez. Diese Annäherung des Feindes machte auch eine Veränderung unserer Stellung nöthig, und am 3. Abends verließen wir Cobarrubias, und schlugen das Hauptquartier eine Legua davon in Retuerta auf. Der Feind schien diesem Seitenmarsch so wenig zu trauen, daß er am 4. nur mit großer Vorsicht bis Cobarrubias vordrang, und zu diesem Marsche von zwei Leguas neun volle Stunden brauchte. Als wir Morgens die Nachricht von der Besetzung von Cobarrubias durch den Feind erhielten, zogen wir uns wieder 11/2 Leguas zurück, bis Santibañez del Val und San Domingo de Silos, im Thalgebiete des Mataviejas, wo wir Position nahmen, während Lorenzo und Carondelet bis Retuerta vorrückten, so daß die Vorposten der beiden Heere ungefähr 3/4 Leguas von einander standen. Die vereinigten feindlichen Kräfte betrugen 18000 Mann Infanterie und 1800 Pferde; die Unsern 11000 Mann [284] Infanterie und 900 Pferde. Von beiden Theilen sah man einer baldigen Affaire als gewiß entgegen.

Am 5. Morgens standen die beiden Heere sich beinahe parallel gegenüber in folgenden Positionen: der Feind in Cobarrubias, Quintanilla und Retuerta, das königliche Corps in San Vicente, Santibañez und San Domingo; beide Theile an Bergrücken gelehnt. Der Feind hatte den Rückzug nach Lerma, wir nach den hohen Pinaren offen.

Um sieben Uhr Morgens besetzten Lorenzo und Carondelet die vorspringenden Höhen zwischen Retuerta und Quintanilla, und Espartéro den Bergrücken und Kamm zwischen letzterm Orte und Cobarrubias, während das Gros unserer Kräfte vorrückte, und sich auf der Berglehne echelonirte, die den feindlichen Positionen gegenüber sich vor Santibañez ausdehnt. Der rechte Flügel, aus einigen Bataillons Zaratiegui’s bestehend, dehnte sich bis gegen San Vicente; ein schmales Gebirgsthal trennte uns vom Feinde. Wir standen zwischen den beiden Flüssen, dem Arlanza und Mataviejas, die sich erst unterhalb Cobarrubias vereinigen. In unserm Rücken waren einerseits die offenen Ebenen, die sich bis an den [285] Duero hinziehen, auf der andern die hohen Pinaren. Unsere Stellung war also jedenfalls vortheilhaft, und mit etwas Einheit in den Operationen und gutem Willen einiger Chefs hätten wir dem Feinde siegreich die Spitze bieten können. Gegen neun Uhr eröffnete eine, im feindlichen Centrum angebrachte Batterie lebhaftes Feuer. Eine große Menge Raketen wurden auf einige Massen geschleudert. Sie trafen selten, richteten jedoch, wenn es geschah, großen Schaden an; so schlug eine in das zweite Bataillon von Aragon, in Carré formirt, und tödtete 25 Mann. Die Tirailleurs beider Heere stiegen in das Thal hinab, das so eng war, daß, über ihre Köpfe weg, beide Massen sich beschossen. Nach vierstündigem mörderischen Feuer, während die beiderseitige Cavallerie fast unthätig bleiben mußte, warfen sich die Hauptkräfte des Feindes auf unsern linken Flügel, der repliirte. Eine allgemeine Retraite ward angeordnet, und in größter Ordnung bis San Domingo de Silos vorgenommen; der Feind verfolgte nur schwach, und zog sich noch denselben Nachmittag nach Retuerta und Cobarrubias zurück. Unser Verlust an diesem unentschiedenen Tage, dessen Vortheil sich beide Theile zuschreiben, war ziemlich [286] beträchtlich. Der Graf von Madeira war bedeutend am linken Arme verwundet, Villarreal ward ein Pferd unter dem Leibe todtgeschossen, der Oberst Reyna erhielt eine Kugel in die Hüften, und Herr von Keltsch, der preußische Offizier, der in Calamocha zu uns gekommen, ward in den Arm blessirt.

Als wir um vier Uhr Nachmittags in San Domingo de Silos[WS 3] anlangten, schickte mich General Moreno mit dem Berichte des Tags zum Könige, der sich eine Legua von uns in Mamolar[WS 4] befand. Moreno versprach, am nächsten Tage den Feind nochmals anzugreifen, designirte einige Fehler, die während der Affaire begangen worden, und begehrte eine Untersuchung, worauf der König dem Kriegsminister befahl, mit mir nach San Domingo zurück zu reiten. Am 6. blieb der König in Mamolar[WS 5]. Das Gros der Truppen dirigirte sich Nachmittags nach Peñacoba, und setzte noch dieselbe Nacht den Marsch bis Contreras fort, während zwei Bataillons und eine Escadron gegen Retuerta detachirt wurden, die Aufmerksamkeit des Feindes von ersterem Orte abzulenken. Mit Anbruch des Tages bemerkte der Feind die auf den Höhen von Retuerta aufgestellten Truppen, zog sich in die [287] Berge zurück, vereinigte sich dort mit dem in Cobarrubias stehenden Corps, und richtete alle seine Kräfte nach Barbadillo del Mercado. Die königliche Colonne zog rechts ab, über Haedo nach Villanueva de Caraso, wo an der Kirche Position gefaßt, doch nach leichtem Angriffe selbe aufgegeben und bis Gete zurückgezogen ward. Der Feind folgte langsam, entschied sich endlich zum Angriffe, und versuchte zu verschiedenen Malen uns zu delogiren; seine Cavallerie-Chargen wurden geworfen, und er mit Verlust zurückgewiesen, worauf das Gros seiner Armee sich bis Barbadillo zurückzog, seine Vorposten sich bis Villanueva de Caraso, und einige Observationsposten gegenüber auf den Höhen von Gete aufstellten, woselbst die königliche Armee campirte. Der Infant schlug sein Hauptquartier eine halbe Stunde davon, in Pinilla de los Barnacos, auf. Um halb zwei Uhr Nachts ward aufgebrochen, und über Mamolar[WS 6] und Peñacoba nach San Domingo de Silos zurückmarschirt. Nach einigen Stunden Rast zog die königliche Colonne zwei Leguas weiter, über Santibañez nach Castro Ceniza, wo man die Nacht blieb. Der Feind concentrirte seine Kräfte bei Salas und Barbadillo del Mercado. Am 9. Nachmittags [288] schlug der Infant sein Hauptquartier in Quintanilla del Coco auf, während der König in Castro Ceniza blieb. Tags darauf ließ er den Infanten zu sich rufen und theilte ihm mit, daß er beschlossen habe, selbst das Obercommando des Expeditions-Corps zu übernehmen und es in zwei Colonnen zu theilen, wovon die Eine unter seinem unmittelbaren Befehl, die Andere unter dem des Infanten separirt agiren sollte. Die Unmöglichkeit, bei so vorgerückter Jahreszeit, in diesen armen und gebirgigen Landstrichen für eine größere Menschenmasse Lebensmittel zu schaffen, und die Nothwendigkeit, eine Theilung der feindlichen Kräfte durch Separirung unserer eigenen zu bewirken, wurden als Gründe dieser Maßregel angegeben. Nähere Dispositionen und Verhaltungsbefehle waren, so viel mir bekannt, damit nicht verknüpft. Was mich um so mehr dieses glauben läßt, ist, daß durch die nächsten Tage im Gefolge des Infanten und auch im Hoflager des Königs von einem Zuge der zweiten Colonne (der des Infanten) über San Ildefonso bis in die Gebirge von Guadarama viel die Rede war, nachdem doch schon auf den folgenden Märschen eine ganz entgegengesetzte Richtung eingeschlagen wurde. Moreno blieb als Chef des [289] Generalstabs, mit allen seinen Offizieren, bei der Person des Königs, so wie auch sämmtliche Ministerien und sonstige non-combattans. Dem Infanten ward als Chef seines Generalstabs Zaratiegui zugetheilt, nebst den Generalen Villarreal, Graf von Madeira, Elio, Sanz und seiner Maison militaire. Meine Stellung bei seiner Person wies auch mir meinen Platz bei seinem Corps an.

Der König hatte noch am 10. Castro Ceniza verlassen, sein Hauptquartier in Ciruelos de Cervera aufgeschlagen und am 11. den Marsch, über Espinosa de Cervera und Arauzo de Miel, bis Huerta del Rey fortgesetzt, während der Infant am letzten Tage in Quintanilla del Coco blieb. Der Feind marschirte bis gegen Lerma und Santa Ynez zurück, welches nur durch Mangel an Lebensmitteln motivirt sein konnte. Am 11. Nachts schickte mich der Infant mit einigen Depeschen in das Hauptquartier des Königs; ich ritt 41/2 Stunden, und kam um ein Uhr Nachts nach Huerta del Rey. Ueber einen gewissen neidisch-hämischen Geist, den ich bei vielen Personen des königlichen Gefolges wahrgenommen, die sich gegen die Colonne des Infanten bitter ausließen, will [290] ich lieber schweigen. Die nächsten Tage haben die traurigen Folgen dieser Uneinigkeit nur zu deutlich gezeigt. Gegen Mittag ward ich abgefertigt und mir, unter Andern, auch die approbirten und bedeutend modificirten Avancemens- und Ordens-Vorschläge für Villar de los Navarros mitgegeben. Als ich vom Könige Abschied nahm, schien er sehr gefaßt oder an das Verzweifelte seiner Lage nicht zu glauben. Gewiß dachte er damals so wenig als ich, daß wir uns das nächste Mal in den baskischen Provinzen wiedersehen würden. Ich traf das Hauptquartier des Infanten, nach zwei Leguas Ritt, in Peñacoba, wohin er sich am selben Morgen von Quintanilla del Coco gewandt hatte, und wo er diese Nacht blieb. Am 13. marschirten wir 11/2 Leguas bis Arauzo de Miel, einer leidlichen kleinen Stadt am Ausgange eines Thales. Der König war Tags vorher in Huerta del Rey geblieben, und marschirte nun, über Espejon und Navas, bis Ontória del Pinar. Der Feind hatte sich, über Bahabon, nach Gumiel de Yzan gewandt, einen in Aranda angekommenen Convoi in Empfang zu nehmen. Am 14. dirigirte sich der König über Aldéa del Pinar, Rabaneda, Cabezón de la Sierra, Moncalbillo, Palacios, [291] Vilvestre und Canicosa, bis Quintanár de la Sierra. Der Feind, der seinen Convoi erreicht hatte, rückte ihm bis Huerta del Rey nach, wo er zu gleicher Zeit die von Ontória über La Aldéa zurückziehende königliche Colonne verfolgte, und die durch den Brigadier Fernando Cabañas (ältesten Sohn des Kriegsministers) befehligte Cavallerie schlug, während er andrerseits, von seiner Position in Huerta del Rey aus, durch beständiges Plänkeln seiner Tirailleurs, die Colonne des Infanten in Arauzo de Miel beschäftigt hielt. Nach mehrstündigem Kleingewehrfeuer zog der Infant, über Doñasantos, sich bis Peñacoba zurück.

Bis zu diesem Tage waren wir in ununterbrochener Verbindung mit der königlichen Colonne gewesen; von nun an wurde sie immer seltener; die offiziellen Berichte blieben ganz aus, und die durch Spione und Bauern uns zukommenden Nachrichten, meist Gerüchte, waren oft widersprechender Natur. Am 15. marschirten wir, über Carazo und Contreras, nach Cobarrubias; der Feind besetzte San Leonardo und Ontória del Pinar, und die königliche Colonne blieb in Quintanár de la Sierra, wo sie auch am 16. verweilte, während der Feind an letzterem Tage sich über Galléga [292] und Pinilla nach Salas wandte, und mit überlegenen Kräften die Stellung des Infanten in Cobarrubias bedrohte. Dieser sah sich genöthigt, sie zu verlassen, und marschirte zwei Leguas bis Caziajares. Dort kam ihm ein königlicher Befehl zu, sich in gerade entgegengesetzter Richtung nach dem Ebro zu dirigiren, und dort mit der Armee-Abtheilung des Königs wieder zu vereinigen; denn momentan der feindlichen Verfolgungen entledigt, hatte der König beschlossen, sich dem Ebro zu nähern, und Verstärkungen, sowohl an Mannschaft als an Kriegseffecten, aus Navarra an sich zu ziehen. Der Marsch der Colonne wurde augenblicklich unterbrochen, dann 1/4 Stunde von den feindlichen Vorposten der Zug in der befohlenen Richtung angetreten, und durch sieben Leguas, ohne Aufenthalt, über Ortihuela, Villaspazo, Rupélo, Tañabueies und Santa Cruz de Ynarros bis Palazuelos fortgesetzt, wo wir um drei Uhr früh ankamen, und nach zwei Stunden Rast über Brieva, Villazúr und Villafranca de monte de Oca, durch vier Leguas weiter zogen. Nachmittags marschirten wir noch zwei Leguas über Epinósa[WS 7], Villanditia und Tosantos bis Belorádo, wo wir die Nacht zubrachten. Die feindliche Colonne [293] hatte sich indessen abermals getheilt. Lorenzo mit 6000 Mann folgte uns auf dem Fuße; Espartéro hingegen mit 12000 Mann wandte sich nach der Colonne des Königs. Diese feindliche Annäherung und die Nachricht, daß die erwartete Hülfe aus Navarra noch nicht bis an den Ebro gelangt sei, bestimmte den König, sogleich den Befehl an den Infanten abzuschicken, die Bewegungen gegen den Ebro einzustellen, und wieder San Domingo de Silos zu besetzen. Während diese Rückkehr des Infanten erwartet wurde, machte der König am 17. einen Seitenmarsch über Duruelo de la Sierra, Cobaleda und Salduero bis Molinos, wo er am 18. blieb, während Espartéro Ontória del Pinar und San Leonardo besetzte. Wir waren unterdessen mit Tagesanbruch von Belorado weiter gezogen über Tormantos, Villalobar und Cuscurrita, über den Tiron und Osa (vulgo Glera), zwei Nebenflüsse des Ebro, fünf Leguas weit bis Casa de la Reina, eine Legua vom Ebro in der castilischen Rioja, nahe am fortificirten feindlichen Platze Haro. An diesem Tage kamen uns erst die königlichen Befehle, deren ich oben erwähnte, in Cuscurrita zu; doch war es zu spät, und unmöglich zurückzukehren, da zwischen [294] uns und den Pinaren Lorenzo’s Colonne stand. Dieß ward dem Könige zurückgeschrieben, und in Erwartung seiner ferneren Befehle, das Corps in Casa de la Reina cantonirt. Der mit größter Gefahr an den König abgeschickte Brigadier Arjona langte am 20. in Quintanár de la Sierra an, wohin die königliche Colonne am 19. zurückgekehrt war. Als im Hoflager bekannt wurde, daß die Colonne des Infanten nicht in die Pinaren zurückkehre, schrie alles gegen die ihn umgebenden Generale, und klagte sie des Ungehorsams an, der nun den König und sein Gefolge ins Verderben stürzen würde. Allerdings war die Position der königlichen Colonne nicht angenehm, und der König auf seine eigenen Kräfte, von ungefähr 5500 Mann aller Waffen zusammen, angewiesen, den vereinten feindlichen Kräften gegenüber, indem die mehr als doppelt so starke Colonne Espartéro’s auf zwei Leguas stand, während Lorenzo zwischen der königlichen Colonne und der des Infanten aufgestellt, die Zugänge durch die Rioja zum Ebro abschnitt. Da legte Moreno dem Könige folgenden Plan zum Rückzuge vor, den ich wörtlich aus dem Journal dieses Generals abschreibe, das in Original mir vorliegt. [295] Er proponirte: den ersten Tag durch einen Abmarsch aus der linken Flanke sich der Verfolgung Espartéro’s, den zweiten durch einen Rechtsabmarsch der Lorenzo’s zu entziehen, den dritten Tag aber sich dem obern Ebro, zwischen Burgos und Bribiesca, zu nähern, und die Furthen dieses Flusses zwischen Cilla Perlata und Cubillo de Ebro zu passiren. Die Ausführung eines so zusammengesetzten Planes forderte größte Eile und genaueste Berechnung der Bewegungen, so wie die höchste Präcision in der Art zu operiren, um wenigstens den ersten Tagmarsch Lorenzo abzugewinnen. Ich halte diesen vollkommen glücklich ausgeführten Marsch für das strategische Meisterstück Moreno’s, und obgleich ich demselben nicht beigewohnt, erlaube ich mir, diesen Zug aus dem obenerwähnten Journal hier wörtlich zu übertragen.

„Der Rückmarsch begann um zwei Uhr Morgens; eine Escadron bildete die Avantgarde, um sich aller Zugänge und Schluchten in der Fronte und linken Flanke bis Belorado zu sichern. Zu gleicher Zeit wurden Spione abgeschickt, jede Bewegung des Feindes zu beobachten. Die Colonne marschirte über [296] Huerta de Ariba, Bezáres, Barbadillo de Herréros und Riocabado[WS 8] bis Pineda de la Sierra. Nachdem dieser so wichtige Tag vorübergegangen, ohne daß irgend eine feindliche Bewegung, weder bei der Arrieregarde, noch auf der Seite von Belorado wahrgenommen worden, setzte sich am 22. die Colonne in Bewegung über Villazur de Herréros, Galarde, San Juan de Ortéga und Los Barrios, in der Richtung von Fresno de Rodilla, den Furthen des Ebro, die man suchte, drei Mal näher, als Belorado; denn sobald Fresno erreicht war, hatte man vor Lorenzo einen Vorsprung von wenigstens fünf Stunden gewonnen, und derselbe befand sich dann im Rücken der Colonne und in der Verlängerung der rechten Flanke; Espartéro dagegen stand auf acht bis zehn Stunden von der äußersten Arrieregarde. Somit befand sich der König bereits aus den Schlingen befreit, die man ihm in den Pinaren gelegt, obwohl noch zehn Stunden am rechten Ebro-Ufer zu machen blieben, und man nicht wußte, ob die Furthen, die man suchte, nicht etwa besetzt oder unzugänglich wären. Nachts traf die Kunde ein, daß Lorenzo, der bis in die Rioja die Colonne des Infanten verfolgt, beim [297] Anmarsch des Königs schnell umgekehrt, sich gegen Belorado gewandt habe, in der Absicht, ihn vom Ebro abzuschneiden; doch war dieß unwirksam, und die Colonne setzte ihren Rückzug ruhig am 23. bis Barrios de Buréba fort, welches Dorf sie am 24. um zwei Uhr Morgens verließ, zwischen Laparte und Busto durchmarschirte, und auf der neuen Chaussee von Pancorbo nach Pozo debouchirte; dann veränderte sie plötzlich ihre Richtung, passirte durch Terminon, eilte durch die Abgründe von Cantabrana und Herrera, krönte um sieben Uhr Morgens die hohen Gipfel des Condado, und stand um neun Uhr am Ebro, an den Brücken und Furthen von Arenas, durch diese schnellen Operationen die Sicherheit des Uebergangs feststellend.“

So weit das Journal Moreno’s, an dessen militairischer Genauigkeit nicht zu zweifeln ist. Am Schlusse hat er mit eigener Hand einige Bemerkungen beigefügt, die ich für zu charakteristisch halte, um sie nicht unverändert hier wieder zu geben. Es versteht sich, daß dieß Moreno’s, und nicht meine Ansichten sind, und daß ich die Verantwortlichkeit derselben in keiner Beziehung übernehme. Ich lasse Moreno sprechen:

[298] „Aus dieser kurzen Uebersicht (Itineraire des Rückzuges der königlichen Colonne von Alcalá bis zum Ebro. 18. Septbr. bis 24. Octbr. 1837) ersieht man folgende Hauptmomente. Die feindliche Armee bivouaquirte in der Nacht des 19. September bei Aranzueque, auf Kanonenschußweite von der königlichen Colonne, und passirte am 22. auf 3/4 Stunden von ihr, die seit Cabrera’s Trennung noch um ein Drittel geschmälert war; am 23. bivouaquirte der Feind auf 5/4 Stunden vom Könige, während sich Se. Majestät auf einem, von allen Seiten offenen Terrain befand. In der Nacht des 24. waren die feindlichen Vorposten auf Flintenschußweite von den Unsrigen, und die königliche Colonne in vollem Marsche, in einer von allen Seiten zugänglichen Gegend. – Am 7. October Morgens zog sich der Feind im Angesichte der tête der königlichen Colonne zurück, griff endlich Abends an, ward abgewiesen, und ging auf große Entfernung zurück. Mit Ausnahme der Attaquen (la puenta) der feindlichen Escadrons, am Morgen des 14. October bei Huerta del Rey, hat seit dieser Epoche der Feind sich nie auf zwei Stunden der königlichen Colonne genähert; es hatte vielmehr den Anschein, [299] als vermeide er einen allgemeinen und entscheidenden Schlag, welches wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre, wenn der diesseitige General, der die Operationen dirigirte, gefehlt (faltado) hätte, dessen Ermordung, wie man behauptet, in seinem eignen Heere, unter dem Vorwande verabredet wurde, daß er sich beständig einer schmählichen Rückkehr des Heeres über den Ebro widersetze. Diese Ereignisse bedürfen keiner weitern Deutung, und lösen die Aufgabe, die sich von selbst stellt: ein Armeecorps auf dem Rückzuge zu sehen, ohne Verluste erlitten zu haben, gegen seinen Vortheil, und ohne Feinde, die es hätten zwingen können, den Kampfplatz zu verlassen. (de ver a un cuerpo de ejercito retirarse sin descalabros, contra su interés y sin enemigos que pudieran hacerle abandonar el campo.)“




Von allen diesen Bewegungen der königlichen Colonne hatte man im Hauptquartier des Infanten, zu Casa de la Reina, nicht die geringste Ahnung. Auch war man entschlossen, die Position in der Rioja, so lange es ginge, zu halten, und dachte gar nicht [300] daran über den Ebro zu setzen. Demungeachtet sollte die Nähe Navarras benutzt werden, um die Blessirten und Kranken in unsere Spitäler zu bringen, die für den Kriegsdienst noch nicht tauglichen Rekruten, die Zaratiegui in Castilien angeworben, gegen frische Bataillons zu vertauschen und die Colonne mit Munition und Kleidungsstücken zu versehen. Zu diesem Ende befahl der Infant den Generalen Sanz, Marquis de Boveda und mir, mit zwei Bataillons Volontairs von Burgos und von Segovia (so hießen die Recruten Zaratieguis) und allen Untauglichen unter Bedeckung eines kleinen Detachements Cavallerie den Ebro zu passiren und bis Estella zu marschiren; daselbst mit dem General-Capitain Uranga, der in Abwesenheit des Königs in Navarra und in den baskischen Provinzen befehligte, die nöthigen Maßregeln zu verabreden, und nach schnell erfolgtem Austausch der Truppen wieder nach Casa de la Reina zurückzukehren. Wir sollten wo möglich 10 bis 12 Bataillone mitbringen, und deßhalb Uranga alle Truppen zu unsrer Verfügung stellen, die zur Vertheidigung seiner Positionen und Occupation des Landes nicht unumgänglich nöthig wären. In Folge dieses Auftrags verließen [301] wir am 19. Morgens Casa de la Reina, passirten nach einer Stunde die Furthen des Ebro, im Angesichte der feindlichen Festung Háro, und marschirten fünf Leguas durch die Rioja von Alava bis Peñacerrada, einer kleinen Festung, die den Schlüssel zum Ebro und zu den navarresischen Thälern bildet, und von Uranga vor ein paar Monaten genommen worden. Dort brachten wir die Nacht zu, und setzten am nächsten Morgen unsern Marsch durch die Thäler und Schluchten von Alava fort. Mittags setzten wir über den Ega und hielten bei Santa Cruz. Hier war vor einigen Wochen unser General-Commandant von Alava, Brigadier Verastégui, auf einer Runde vom feindlichen Parteigänger Zurbano im Bette gefangen genommen worden, worüber mir einige nicht uninteressante Details erzählt wurden. Verastégui hatte seinen mit Quadrupeln gefüllten Gurt unter sein Kopfkissen gelegt. Als Zurbano ihn weckte und ihm erklärte, daß er sein Gefangener sei, war Verastégui sehr bestürzt und beklagte seinen Unfall. Da sah Zurbano unter dem Kissen das Ende des Gurts hervorblicken, zog ihn an sich, und sagte: „Herr von Verastégui, mit diesen Quadrupeln im Gurte fängt man Zurbano [302] nicht, und wenn er mitten unter Feinden schliefe; aber ich zahle meine Spione mit Gold und Ihr nicht einmal mit Kupfer.“

Nachmittags marschirten wir weiter bis Ulibarri, und am nächsten Morgen um zehn Uhr ritten wir in Estella ein. Nach vier Tagen, während wir eben beschäftigt waren ein kleines Corps zu organisiren und zum Infanten zu stoßen, kam der Oberst Merry, einer seiner Adjutanten, mit der Nachricht, die Colonne des Infanten, vom Feinde hart bedrängt und ohne alle Nachricht von der des Königs, habe über den Ebro gesetzt und bivouaquire bei Peñacerrada. Alle unsre Vorbereitungen hörten somit von selbst auf, und als ich zwei Tage darauf nach Tolosa kam, erfuhren wir, daß auch der König den Ebro passirt habe, und in Arciniega im obern Alava angelangt sei.

So ging diese Expedition, die so glücklich begonnen und uns dem Ziele so nahe geführt hatte, schmählich zu Ende; alle Hoffnungen auf ein baldiges Ende dieses langwierigen Kampfes waren vernichtet, und wir von Neuem auf den alten Kriegsschauplatz verwiesen, um mit jedem Tage einem sichern Verderben näher zu kommen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Perden
  2. Seite 376, Errata: „Seite 269. Zeile 3 v. o. Arlanga soll heißen Arlanza.“
  3. Seite 376, Errata: „Seite 286. Zeile 8 v. o. Pilos soll heißen Silos.“
  4. Seite 376, Errata: „Seite 286. Zeile 10 v. o. Mamolas soll heißen Mamolar.“
  5. Seite 376, Errata: „Seite 286. Zeile 16 v. o. Mamolas soll heißen Mamolar.“
  6. Seite 376, Errata: „Seite 287. Zeile 6 v. u. Mamolas soll heißen Mamolar.“
  7. Seite 376, Errata: „Seite 292. Zeile 2 v. u. Epinosa soll heißen Espinosa.“
  8. Seite 376, Errata: „Seite 296. Zeile 2 v. o. Riveabado soll heißen Riocabado.“