Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839/Erster Theil/VI

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VI. Kapitel
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aus: Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839. Erster Theil. S. 303–376.
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von: Felix Lichnowsky
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[303]

VI.

Stimmung des Volks und Heeres bei Rückkehr des Königs. — Das Manifest von Arciniega. — Arrestationen und Veränderungen. — Don Juan Echeverria. — Der Graf von Madeira. — Amurrio. — Don Basilio’s Expedition. — Ausflug nach der Küste. — Urbiztondos Rückkehr. — Das Hoflager in Azcoitia. — Unterhandlungen mit dem französischen Consul in Bilbao. — Das Hoflager in Estella. — Regris Expedition. — Ritt nach Zugarramurdi und Rückkehr durch den Bastan. — Abreise.

(November 1837 bis 1. April 1838.)

[305] Die Rückkehr des Königs auf den alten Kriegsschauplatz machte auf die Basken und Navarresen den übelsten Eindruck. In stummer Verzweiflung schienen alle ihre Lebenskräfte paralysirt; sie konnten sich nicht fassen, wenn sie an vier Jahre Kämpfe, Noth und Entbehrungen dachten, deren Ende sie gehofft, und die nun wieder unabsehbar über sie kommen sollten. Im blinden Vertrauen an die Expedition des Königs hatten sie jedes Wort seines Manifestes, vor Ausgang derselben, als untrügliche Prophezeihung, apodiktische Gewißheit angenommen, und fest darauf gebaut. Die Anrede an die Truppen, beim Uebergange des Aragon am 20. Mai, aus Cáseda, war ihnen schnell zugekommen; mit Jubel lasen sie darin: „der Ausgang ist nicht zweifelhaft; eine einzige Anstrengung, und Spanien ist frei (el escito no es dudóso: un solo [306] esfuerzo y España es libre).“ Je mehr die königliche Expedition sich von den Provinzen entfernte, desto seltner und unbestimmter waren die Nachrichten über sie. Doch wurden unsere Siege schnell bekannt; mit Glockenklang, Tedeum, Stiergefechten und öffentlichen Lustbarkeiten feierten alle Orte die Schlachten von Huesca und Babastro, den Uebergang des Ebro, die Vernichtung der feindlichen Colonne bei Herréra, und den Zug gegen Madrid. Wenn manchmal üble Kunde eintraf, so hielten die königlichen Autoritäten sie mit großer Sorgfalt geheim, oder sprengten schnell Gerüchte von irgend einem glücklichen Gefechte oder vortheilhaften Marsche unter das Volk aus. Alles Gute, mit Begeisterung aufgenommen, fand schnell Glauben; Niemand zweifelte am Ausgange. Die Einnahmen von Yrun und Fuentarrabia durch den Feind, kurze Zeit nach Ausmarsch der Expedition, wurden sogar von den zunächst betheiligten Guipuzcoanern nur als secondaire Ereignisse betrachtet. Die im alten Kriegsschauplatz zurückgebliebenen Truppen wollten mit den Ausgezogenen wetteifern, und obgleich ihr General-Capitain Uranga ein in jeder Beziehung untauglicher Mann war, hatte sich doch Alles in so großer Harmonie um [307] ihn vereint, daß die glücklichsten Resultate erzielt wurden. Die Expedition Zaratiegui’s, aus den tüchtigsten Bataillons mit Sorgfalt zusammengesetzt und ausgerüstet, bezeichnete ihren ersten Ausmarsch durch einen Sieg über die Portugiesen am Ebro. Kurze Zeit darauf kam dem erfreuten Volk die Nachricht der Einnahme von Segóvia zu. Lerin und Peñacerrada, zwei wichtige Plätze, wurden mit Sturm genommen; die Ebro-Linie war frei, Espartéro bei seinem Abmarsch unterhalb dos Hermanas hart bedrängt, und am 14. September Leopold O’Donell durch Yturriza, Alzáa und Bargas bei Andoain auf’s Haupt geschlagen. Noch im letzten Momente, während König und Infant schon im vollsten Rückzuge begriffen waren, errangen unsere Truppen in den Provinzen neue Vortheile; die Linie von Zubiri, in Navarra, wurde durch Garcia forcirt, und der Feind geschlagen. Alle Erwartungen waren auf das Höchste gespannt, jede Hoffnung sollte verwirklicht werden – da passirten der König und der Infant den Ebro, und kamen zurück, verfolgt, geschlagen; das schöne Corps, das am 17. Mai über den Arga gesetzt, war aufgelöst, demoralisirt – so gut wie vernichtet.

[308] Das Entsetzen der Bevölkerung vermag keine Feder zu schildern; je unbedingter der Glaube gewesen, desto ungeheurer war die Enttäuschung. Das Vertrauen an die Siege unserer Waffen, an die Zukunft der legitimen Sache, an die Tüchtigkeit der Führer war gewichen, und es stand zu befürchten, daß auch der Glaube an den König wanken würde. Seine Umgebung schien dieß zu ahnen und das Peinliche unserer Lage zu fühlen. Dennoch war nicht Alles rettungslos verloren. Eine freie, aufrichtige Sprache hätte den Sturm gewiß beschworen[WS 1], Volk und Armee beruhigt. Wenn der König alle disponiblen Kräfte an sich gezogen, beliebte und erprobte Häuptlinge an die Spitze gestellt, und wieder den Ebro passirt hätte, von Neuem den Schauplatz in die Umgegend der Hauptstadt zu versetzen, wären Alle zufrieden gewesen. Die auf der königlichen Expedition herabgekommenen Truppen, in den Provinzen zurückgelassen, hätten durch Ruhe, Pflege und Reorganisation sich physisch und moralisch erholt, und mit den Einwohnern genügt, den heimathlichen Heerd zu vertheidigen; neue Chancen hätten neuen Hoffnungen Raum gegeben. So aber sahen Alle mit Schrecken die combinirten Kräfte des Feindes auf den alten Kriegsschauplatz [309] eindringen, und alle Gräuel dieses langwierigen Krieges sich abermals auf Navarra und die drei baskischen Provinzen wälzen. Man befürchtete mit Recht, zu dieser drohenden Gefahr werde sich Hungersnoth gesellen, und es war, bei eintretender rauher Jahreszeit, nicht abzusehen, wie eine solche Menschenmasse, auf ein so kleines Land beschränkt, bis zum Frühjahr würde leben können. Daß diese trüben Bilder in ihrer ernsten Wahrheit den Rathgebern des Königs vorschwebten, ist nicht zu bezweifeln. Sie sahen die Nothwendigkeit ein, irgend eine Maßregel zu ergreifen, die Gährung im Volk und Heere zu beschwichtigen, und in ihrer Angst und Verlegenheit nahmen sie zu der allerschlechtesten und unredlichsten ihre Zuflucht. Am 29. October erschien aus dem königlichen Hoflager zu Arciniega, eine Proclamation an das Heer, die ich hier wörtlich wiedergeben zu müssen glaube:

„Volontairs! Die besiegte und gedemüthigte Revolution nahe daran, Euren übermenschlichen Anstrengungen zu unterliegen, hat ihre Hoffnungen auf ihrer Treulosigkeit würdige Waffen gesetzt, um ihre elende Existenz noch auf wenige Tage zu fristen. Aber glücklicher Weise sind ihre Anschläge entdeckt; [310] Ich werde sie zu vereiteln wissen. Um dieses zu bewerkstelligen, um Mittel zu ergreifen, welche sobald als möglich diesem mörderischen und verzweifelten Kampfe ein Ende machen, bin Ich für kurze Zeit (momentáneamente) in diese getreuen Provinzen zurückgekehrt; doch bald werdet Ihr Mich wieder dort sehen, wo wie heute hier, Meine Pflicht Mich ruft. Euer Heldenmuth rührt zu sehr Mein väterliches Herz, als daß Ich verzichten sollte, zu siegen, und wenn es nothwendig wäre, unter Euch zu sterben.“

„Volontairs! Die ununterbrochene Reihe von Großthaten, welche die Geschichte Eurer Feldzüge bilden, hat Euch nicht genügt; die letzten fünf Monate haben Eure Verdienste noch über Alles bisher Gesehene erhoben, und das Expeditions-Corps, das Mich begleitet, bietet ein Beispiel ohne Vorbild. Nur allein mit dem dritten Theile des in Navarra und den baskischen Provinzen operirenden Heeres sind die feindlichen Kräfte so geschwächt worden, daß sie bereits eine geringere Anzahl als Jene bilden, die heute in den Mir gehorchenden Landestheilen zu Meiner Verfügung stehen. Ihr habt das revolutionäre Heer in den Ebenen, wie in den Bergen, mit wie ohne Artillerie [311] besiegt; Huesca, Barbastro, Villar de los Navarros und Retuerta werden ewige Denkmäler Eures Ruhmes seyn. Wenn der Mangel an Munition oder an Mitwirkung eines Corps zu Räumung des Feldes für den Augenblick nöthigte, so habt Ihr dennoch dem Feinde hart zugesetzt und dreifachen Schaden beigebracht. Sogar auf dem Rückzuge konnte eine kleine Anzahl, durch mehr als doppelte feindliche Kräfte beständig verfolgt, und doch nie angegriffen, fortmarschiren, ohne daß sie es gewagt hätten, Euch anzugreifen, als Ihr ihnen Schlacht angeboten habt, und ohne daß sie ein Gewehr gegen Eure Massen abgefeuert hätten. Vor Allem aber habt Ihr Europa gezeigt, daß Meine Feinde die des Volkes sind; daß seine Treue und Hingebung nicht größer sein kann; daß seine Anhänglichkeit an Meine Person und seine Begeisterung für Meine gerechte und heilige Sache der blutigen Rache seiner Unterdrücker getrotzt hat; daß es allein Euren Schutz erwartet, um das Joch der Sclaverei abzuschütteln, sowohl in Aragon wie in Catalonien, in Valencia, wie in Castilien.“

„Ja, Volontairs! es hat weder an Euch noch am Volke gelegen, die Revolution in diesem unglücklichen [312] Lande zu vernichten, dem Schauplatze ihrer schauderhaften Verbrechen und der Zwietracht, die ihre eigenen Kinder verschlingt und damit enden würde, das Land selbst zu verschlingen. Gründe, die Euch fremd, die nun bekannt sind; Gründe, die für immer verschwinden werden, haben auf kurze Zeit die Leiden des Vaterlandes verlängert. Doch nun sind sie entdeckt und es ist gesehen worden, wohin sie zielen; die Maßregeln die Ich ergreifen werde, sollen Eure Wünsche und die Hoffnungen aller guten Spanier erfüllen.

„Volontairs! Zeuge Eurer heroischen Anstrengungen habe Ich Eure Aufopferungen und Entbehrungen getheilt, und bewundere Eure Hingebung und Eure Tugenden; nun will Ich vor Allem Euch den größten Beweis Meiner königlichen Würdigung geben. Von heute an stelle Ich Mich an Eure Spitze; Ich selbst werde Euch zum Siege führen. Bereitet Euch, neue Lorbeeren zu erringen; seyd Euer selbst würdig, zählt auf den Schutz Eurer Generalissima[1] und vertraut auf Euren General und König – Carlos.

[313] Diesem Manifeste war ein Decret des Kriegsministeriums beigefügt, mit mehreren Gnaden und Auszeichnungen für das Expeditions-Corps, und in dem ebenfalls von der Zeitweiligen Rückkehr des Königs (al regresar momentáneamente a estas Provincias) die Rede war; José Arias-Teijeiro contrasignirte es.

Wenige Tage darauf wurden Zaratiegui und Elio arretirt; der Erste in das Fort von San Antonio de Urquiola, der Letztere in das von dos Hermanas gebracht und ohne Communication gehalten. Die Brigadiers Fernando Cabañas und Sanz (nicht der General Pablo Sanz) wurden ebenfalls festgenommen und nach verschiedenen Forts abgeführt; der Kriegsminister Cabañas abgesetzt und dessen Portefeuille dem Arias-Teijeiro gegeben, das dritte Ministerium, das er nun cumulirte; worauf er sogleich den Ober-Commissair von Yrun, Don Diego Miguel de Garcia, dessen ich am Eingange dieser Erinnerungen erwähnte, zu sich berief. Der Infant verlor das Commando des Heeres und Moreno die Stelle als Chef des Generalstabs; Villarreal wurde nach einem kleinen unbesetzten Dorfe in Navarra, eine halbe Stunde von den feindlichen Vorposten, relegirt, [314] mit dem Verbote sich zu entfernen; Simon de la Torre nach einem Flecken in Biscaya; die Ordonnanz-Offiziere des Infanten und die des Generalstabs nach verschiedenen Depôts und einzelnen Gebirgsdörfern Navarra’s, und sein Militair-Secretair, Brigadier Arjona, nach den Minen von Barambio. Herr von Corpas verließ eiligst das Hoflager und begab sich nach Oñate. – Drei neue Personen langten beim Könige an, die man niemals auf dem Kriegsschauplatze gesehen und von denen man sich nicht viel Gutes versprach; Graf Negri, ein ehemaliger Kammerherr des Königs als er noch Infant war, nach langer Gefangenschaft zu Cadix endlich entwichen, hatte zu mehrer Bequemlichkeit Frau und Kinder mitgebracht, die nun mit dem Hoflager herumzogen. Ferner der Herzog von Granada de Ega, Garde-Capitain unter Ferdinand VII., ein bigotter alter Mann, voll der lächerlichsten Seiten. Einige Skizzen werden ihn besser bezeichnen. Während des Independenzkrieges war er Oberst des Reiterregiments Bourbon (5. leichtes) und chargirte stets, namentlich in der Schlacht von Baylen, ohne den Degen aus der Scheide zu ziehen, da Gott den Todschlag verbiete. „Dios me manda [315] atropellar pero no matar.“ Einst ritt ich bei Gußregen mit ihm aus Durango nach dem vier Leguas entfernten Hoflager in Llodio, doch hielt er stets an, so oft wir ein Kreuz oder eine Feld-Capelle von weitem ansichtig wurden, um entblößten Hauptes den Rosenkranz zu beten, so daß, die Geduld verlierend, ich ihn endlich verließ. Er kam triefend drei Stunden später an. – Den schlechtesten Dienst erwies er der königlichen Sache dadurch, daß er seinen Beichtvater, den Capuziner Fray Ignacio Larraga, einen fanatischen Mönch, mitbrachte. Der Beichtvater des Königs, Don Pedro Raton, ein würdiger alter Geistlicher, hatte krankheitshalber in den Pinaren zurückbleiben müssen, und ward leider durch Fray Ignacio ersetzt, der sich in alles mischte und viel Unheil stiftete. Die schrecklichste Nachricht aber, die Einen Schrei des Unwillens bei Volk und Armee erregte, war die Ernennung des Generals Guérgué zum Chef des Generalstabs; eines allgemein verachteten, als Dieb und Gauner bekannten Mannes, ohne alle persönliche Tapferkeit oder militairische Tüchtigkeit. – Zu dieser Zeit wurden der Baron de los Valles und der Oberst Alvarez de Toledo, natürlicher Sohn des [316] Herzogs von Ynfantado, ersterer an die nordischen, dieser an die italienischen Höfe abgeschickt, um die Rückkehr des Königs zu berichten, für die nächste Campagne Subsidien zu begehren und die letzten Veränderungen zu rechtfertigen, von denen mit Grund vermuthet ward, man würde sie im Ausland ebenso wenig begreifen als auf dem Kriegsschauplatze.

Niemand wußte sich in der That so harte Maßregeln und plötzliche Anklagen zu erklären, die auf so bedeutenden und erprobten Männern lasten sollten. Einzelne Sätze der Proclamation von Arciniega (die unterstrichenen) deuteten mit Gewißheit auf die Entdeckung einer großen Verschwörung, und schienen beweisen zu wollen, daß der König bloß ihrer Vereitlung und Bestrafung wegen zurückgekehrt sei. Die Affectation, mit welcher diese Rückkehr als zeitweilig (momentánea) bezeichnet wurde, ließ an den baldigen Ausgang einer zweiten Expedition, unter persönlicher Leitung des Königs, glauben; die Andeutung, daß die Räumung des Feldes dem Mangel an Mitwirkung eines Corps zuzuschreiben sei, enthielt eine indirecte Anklage gegen Zaratiegui und Elio, wegen nicht erfolgter Mitwirkung ihres Corps [317] am 12. September vor Madrid, und erklärte ihre Arrestation. Der Uebergang des Infanten über den Ebro, statt in die Pinaren zurückzukehren, war der Grund seiner Entfernung vom Commando und des Exils der Basken und Navarresen, die ihn umgaben. So seicht und unredlich alle diese Anklagegründe waren, so konnte man doch lange nicht errathen, welchem Parteihasse sie zuzuschreiben seien, da auch die Häupter der castilianischen Partei und ihre Anhänger gestürzt worden. Moreno hatte seine Stelle und der Kriegsminister sein Portefeuille verloren. Der eine Sohn des Letztern war arretirt, der andere im Exil. – Herr von Corpas hatte das Hoflager verlassen, der Gehülfe seiner Intriguen, Don Fernando Freire, ein andalusischer Sportsman, vor Kurzem zum titulairen Finanz-Intendanten ernannt, war ebenfalls relegirt. Ueber diese lächerliche Figur, die Allen im Hauptquartier zur Zielscheibe diente, wurden verschiedene komische Geschichten erzählt. Eine war besonders im Schwunge, auf die Freire sich viel zu Gute that. In der letzten Zeit Ferdinand’s VII. theilte sich der Hof in die portugiesische, später carlistische, und die neapolitanische, nachmals christinische Partei, nach den vier [318] Damen, die an der Spitze standen, die Königin Christine und ihre Schwester Carlota einerseits, und die Infantin Francisca (Gemahlin des Königs Carl) mit ihrer Schwester, der Prinzessin von Beyra, auf der Andern. Als einst im königlichen Lustschlosse zu Aranjuez beide Parteien bei einem Stiergefechte gegenwärtig waren, ward ein Stierkalb (novillo) eingeführt, und Freire vom König aufgefodert, sich mit ihm zu messen. Er stieg in den Kampfplatz hinab, und sprach den König an: „Sire, daß alle Feinde Eurer Majestät, des Altars und des Thrones, enden mögen wie dieses Vieh!“ (este vicho) worauf er es bei den Hörnern packte, niederwarf, und mit einem Stoß in den Nacken tödtete. – Uebrigens war Freire ein gutmüthiger und gefälliger Mann. – Ein Einziger von dieser Partei hielt sich noch in der Umgebung des Königs, jedoch passiv und neutral. Es gab so viel Geschlagene in diesem Gewirr von Hofcabalen, daß Niemand errathen konnte, wer die Schläger seien, bis endlich aus aller dieser Unordnung zwei Personen hervorgingen, und alsbald als die Chefs der nun siegreichen Partei bezeichnet wurden: Arias-Teijeiro und der Pfarrer Echeverria.

[319] Ueber diesen Letztern wäre es vielleicht an der Zeit ein Paar Worte zu sagen. Ich schrieb damals über ihn an einen Freund: „Don Juan Echeverria, Pfarrer von Los Arcos, der erste Carlist von Navarra, der Freund und Vertraute von Zumalacarregui, Yturalde und Santos-Ladron, hat bis zu diesem Moment seinen großen Einfluß auf die Navarresen bewahrt. Von Roncesvalles und dem Bastan bis zu den anmuthigen Thälern der Rioja, an den grünen Ebro-Ufern, in den historisch berühmten Schluchten der Amescoas und den sanften Hügeln der Baranca, ist der fröhliche Vicar der Liebling des Volkes. An seinen Namen knüpfen sich die glorreichsten Erinnerungen der vier letzten Jahre, und so lange seine kräftige Stimme erschallt, wird es in seinem heroischen Lande an nervigen Armen nicht fehlen, das Bajonnet für Carl V. zu führen. Seine athletische Gestalt und unglaubliche Stärke ließ ihn alle Anstrengungen der Feldzüge ertragen. Wie er vor vier Jahren mit den ersten Guerillas bei Tag und Nacht zu Fuß über Berge und Thäler marschirte, und am Morgen vor der Schlacht in irgend einer Felscapelle Messe las, so hat er auch an dieser letzten Expedition [320] Theil nehmen wollen. Echeverria bekleidete seit des Königs Ankunft in den Provinzen die bedeutendsten Stellen; zuerst Präsident der Junta von Navarra, ward er später erster Hofcaplan, und behielt in Mitte der Höflinge, die auch hier nicht fehlen, die einfache Sitte und herzliche Weise seines Gebirgsdorfes bei. In seiner derben Sprache gab er dem Könige oft gute Rathschläge, die stets aus dem Grunde seines Herzens kamen, und trotz ihrer rauhen Form ihn Carl V. nur werther machten. Er will ihn bis Madrid begleiten, und dann nach Los Arcos zurückkehren, um in seinem weißen, reinlichen Pfarrhause, von Reben umrankt, unter seinen treuen Navarresen, die ihn wie einen Vater lieben, in Ruhe sein erinnerungsreiches Leben zu beschließen.“

Was ich damals von Echeverria’s Charakter schrieb, denke ich noch von ihm, obwohl die Rolle, die er seit Rückkehr der königlichen Expedition spielte, unheilbringend und, gelind gesagt, zweideutig war. Seine Mitwirkung an den zuletzt erwähnten traurigen Maßregeln, sein entscheidender Antheil an der Ernennung Guérgué’s, und mehr noch die Intriguen, die er, nach seiner Verbannung im Februar 1839, von Frankreich [321] aus, spann, und die mit offener Empörung dreier Bataillone zu Vera aufhörten, haben ihn dem König und der Arme seither verhaßt gemacht, und die schmachvolle Auflösung alles legitimen Bandes im alten Kriegsschauplatz beschleunigt. Doch dieser allerdings strafwürdigen Handlungsweise darf kein tieferer Grund beigemessen werden, als große Beschränktheit des Geistes und unbeugsamer Eigensinn. Was, im engen Bereiche seines Verstandes, Echeverria für recht und gut hielt, hätte die schlagendste Ueberzeugung vom Gegentheil ihn nicht aufgeben machen. So wurde dieser gutmüthige und redliche Mann das Spielwerk Derjenigen, die seine schwachen Seiten kannten und auszubeuten verstanden. Seine Stellung beim Könige, deren Wichtigkeit nur darin bestand, daß er zu jeder Stunde eintreten durfte, mit großer Freiheit, ungebunden, seine Meinung in einfachen, derben Worten vortrug, und von dem einmal Gesagten kein Haar breit abwich, machte ihn allen Parteien ebenso bedeutend, als seine große Volksthümlichkeit in Navarra, wo Alles an ihm mit unbegrenzter Verehrung hing, und seinen Worten blindlings traute. Echeverria hat gewiß bis zum letzten Momente nur das Beste für König [322] und Navarra gewollt; um die andern Provinzen kümmerte er sich wenig. In diesem Sinne blieb er stets; und wenn man ihm jetzt in seinem französischen Depôt alles Unglück vorhielte, welches er in den letzten zwei Jahren der königlichen Sache zugefügt, würde er noch glauben, vortrefflich, redlich und als loyaler Diener seines Herrn gehandelt zu haben. Dem Arias-Teijeiro war die Nützlichkeit dieses Mannes für seine Plane zu einleuchtend, um nicht Alles anzuwenden, ihn zu gewinnen. Auf Echeverria’s Anrathen wurde Guérgué, sein Landsmann und Jugendfreund, der eben an den Linien von Zubiri, unter Garcia’s Oberbefehl, eine gewisse Auszeichnung erworben, an die Spitze des Heeres gestellt. Für diese Gefälligkeit versprach Echeverria die unzufriedenen Navarresen zu beschwichtigen, welches ihm jedoch nur sehr mittelmäßig gelang, da die Arrestation Zaratiegui’s und besonders Elio’s, den sie sehr liebten, viel Sensation verursachte. Arias-Teijeiro hatte, wie erwähnt, das Portefeuille des alten Generals Cabañas erhalten, und so sahen wir, zum Scandal der Welt, zu einer Zeit, als die ganze Existenz der königlichen Sache von der Kraft unserer Bajonnete und der Hülfe befreundeter [323] Höfe abhing, an der Spitze des Kriegs und des auswärtigen Departements einen Advocaten. Jede etwas marquante Erscheinung erregte seinen Verdacht, und ward schleunig entfernt. Dem Volke und Heere unbekannte Menschen wurden an die Spitze der Divisionen gestellt, unsere berühmtesten Häuptlinge in Kerker geworfen. Eguia, der sich der königlichen Expedition widersetzt hatte, und Gomez, der von der Seinen zurückgekehrt war, saßen noch im Kerker, der Eine seit sechs, der Andere seit zehn Monaten, ohne ein einziges Verhör erlangen zu können. Wer von höheren Offizieren nicht festgesetzt war, besonders die in näherem Verhältniß zum Infanten gestanden hatten, wollten unter Guérgué und Arias nicht dienen, und zogen sich in Depôts zurück. An Vorwand fehlte es Niemand. So ging der Graf von Madeira nach Oñate, seine Wunde (bei Retuerta) zu heilen. Er hat nie vollkommen hergestellt werden können, und starb im Januar 1840 zu Boulogne sur mer, als er sich eben nach England einschiffen wollte. Ich erlaube mir, zur Erinnerung an meinen ritterlichen Freund, ein Schreiben hier wiederzugeben, das ich, wenige Tage nach seinem Tode, an die allgemeine Zeitung richtete:

[324] „Abermals ist ein Kämpe abgetreten vom großen Schauplatz des Kampfes in beiden Reichen der Iberischen Halbinsel, in denen sein Name berühmt geworden. Der Graf von Madeira war einer der ersten Generale der Könige Carl und Miguel; der Titel, den sein heldenmüthiger Widerstand geschaffen, erlöscht mit seinem Tode; Keiner wird ihn nach ihm tragen, den hingeschiedenen Heroen gleich, die ihre Rüstung zurücklassen, jedem Erben zu groß und zu schwer. Nur jenen Namen, den seine Geburt ihm verliehen, altberühmt in den Annalen Lusitaniens, gibt er den Seinen wieder, in neuem Glanze strahlend. Dom Alvaro da Costa Souza y Albuquerque war einem der größten Geschlechter Portugalls entsprossen, wie es die Vereinigung dreier historischer Namen wohl genugsam andeutet. Als zweiter Sohn von Jugend auf den Waffen bestimmt, schickte ihn sein Vater, der Graf von Misquitel, im vierzehnten Lebensjahre zur Armee, als ganz Europa in Flammen stand. – Es liegt außer dem Zwecke dieser wenigen Worte – einem verblichenen Freunde und Kriegsgefährten geweiht – durch den ganzen Peninsularkrieg, in der Schlacht von den Arapilen, an den Linien von Torres Vedras, [325] bei Albuhera und an so vielen ewig denkwürdigen Tagen ihm nachzufolgen, an denen allen er Theil genommen, in den meisten sich ausgezeichnet, und an der Seite des Marschalls Beresford oft ruhmvoll genannt wurde. Als Johann VI. aus Brasilien zurückkam, war Dom Alvaro Oberst. Später diente er mit Auszeichnung im portugiesischen Amerika, und in seinem 26. Jahre stand er als commandirender General an der Spitze der Provinz Montevidéo. Als alle seine Collegen, dem Aufrufe Dom Pedro’s folgend, dem Sohne halfen die Krone des Vaters rauben, war er der Einzige, der fest blieb in unerschütterlicher Treue für seinen König und Herrn. Alle Versuche und Lockungen scheiterten an ihm; Dom Alvaro da Costa verstand es nie, mit seinen Eiden zu spielen und mit seiner Ehre zu feilschen. Als die Unabhängigkeit Brasiliens von Portugall anerkannt wurde, verließ er Amerika, von wenigen Offizieren begleitet, eine bescheidene Stellung in seinem Vaterlande den glänzendsten Anerbietungen des Usurpators vorziehend, den selbst die Anerkennung aller Mächte zum rechtmäßigen Monarchen für ihn nicht umstempeln konnte. Er ward zum Gouverneur von Setubal, und später zum General-Capitain [326] der Provinz Tras os Montes ernannt. In letzterm Amte fand ihn Dom Miguel, als er den Thron seiner Väter bestieg; er vertraute ihm die Inseln Madeira und Puerto Santo an, wichtige Punkte im Ocean, einer vorgerückten Feldwache gleich. Bisher nur Soldat, sollte Dom Alvaro da Costa nun auch Administrator werden. Durch jahrelange Vernachlässigung war die so reiche Insel Madeira in jeder Beziehung herabgekommen; die Einwohner lebten im drückendsten Elend; die Einkünfte deckten die Kosten der Verwaltung nicht; wenn eine Galione vom Mutterstaate ausblieb, gerieth Alles ins Stocken; die Fortificationen der Landungsplätze sicherten die Insel vor feindlichen Ueberfällen nicht mehr; das Castell von Funchal war eine Ruine. Der unermüdeten Anstrengung des neuen General-Capitains gelang es in zwei Jahren, diesem blühenden Eilande seinen alten Flor wieder zu geben. Die kleine Hauptstadt hob sich aus den Trümmern, und wenn gleich der sichere Blick Dom Alvaro’s finstere Wolken am politischen Horizonte seines Vaterlandes aufthürmen sah, so konnte er doch mit Sicherheit nicht wissen, daß mit jedem Stein an den Bollwerken Funchal’s er am Gebäude [327] seines bleibenden Ruhmes baue. Terceira war übergegangen, Oporto längst vom Feinde besetzt, da schrieb er seinem Könige: „Ich halte die mir anvertraute Insel, bis wilde Pferde und Steinböcke ihre einzigen Bewohner sein werden.“ Die Antwort Dom Miguel’s war die Ernennung zum Grafen von Madeira. Das Inselreich des Königs ward die Grafschaft des Vasallen, und der Herr wie der Diener wußten, daß jeder gute Ritter sich unter den Trümmern der Burg begraben läßt, deren Namen er führt. Durch 64 Tage kreuzten die vereinigten englisch-pedristischen Geschwader vor der Insel Madeira. Funchal ward bombardirt, Puerto Santo occupirt; der Graf von Madeira stand fest. Da kam die Nachricht von der Convention zu Evora-Monte. Dom Miguel hatte Land und Krone aufgegeben. Einem Emissair des Grafen von Madeira war es wenige Tage zuvor gelungen, sich auf einem kleinen Nachen zwischen den blockirenden Kriegsschiffen durchzuschleichen; er brachte einen Brief an den König mit der Bitte des Grafen, wenn Alles zusammenbräche, nach Madeira zu kommen; der Felsenboden der Insel würde so wenig wanken, als die Treue des kleinen Häufleins, das ihn dort erwarte. [328] Der Emissair landete in einer Bucht Algardiens, am Tage nach dem Abschlusse der Convention von Evora-Monte. Es war zu spät, das Drama hatte ausgespielt, ein klägliches Ende genommen. Ein eigenhändiger Brief seines Königs gebot dem Grafen von Madeira, sein Gouvernement aufzugeben. Er that es mit allen Kriegsehren, gewiß mit blutendem Herzen, doch mit Würde bis zum letzten Augenblick. Die Uebergabs-Acte unterschrieb er: „Auf Befehl meines Königs – der Graf von Madeira.“ Als die pedristischen Autoritäten dieß nicht annehmen wollten, antwortete er kurz: „Nun, so werde ich gar nicht übergeben.“ – Von Funchal eilte der Graf von Madeira nach Genua, seinen König aufzusuchen. Zu spät sah Dom Miguel ein, daß er seinen besten General, in secundärer Stellung, großartige Gaben nutzlos hatte entfalten lassen, und beweint wohl jetzt noch die namenlose Blindheit, die ihn bei fremden Nationen den Feldherrn suchen ließ, den er mitten in seinem Heere, aus der Blüthe seines Adels hätte wählen sollen – der König von Portugall den Portugiesen, nicht den Schotten oder Franzosen.“

„Mit dem Grafen von Madeira ist alle Hoffnung [329] einer royalistischen Reaction in Portugall zu Grabe gegangen. Er war der Einzige, nun ist Keiner mehr. – Als in seinem Vaterlande nichts mehr zu thun war, wandte er sich nach Spanien, dem Schwesterreich der Hesperiden, für gleiches Recht zu kämpfen. Stets bescheiden bei großem Verdienste, stellte er sich freiwillig unter die Befehle des Generals Villarreal, eines jungen Feldherrn, der noch lange in subalterner Sphäre diente, als der Graf von Madeira schon in zwei Welttheilen ruhmvoll bekannt war. Er wirkte mit Auszeichnung bei der zweiten Belagerung von Bilbao, stets der Erste im Feuer, der Letzte an dem schon damals mit Intriguen angefüllten kleinen Hofe von Durango. Die Folgen der Schreckensnacht von Luchana stellten Don Sebastian an die Spitze der königlichen Heere. Der Infant von Spanien und Portugall umgab sich mit Illustrationen beider Reiche, seinem Feldherrnstabe Glanz und Kraft zu verleihen; der Graf von Madeira konnte nicht fehlen. Er und Villarreal wurden die ersten General-Adjutanten des neuen Oberfeldherrn. Seit 25 Jahren zum ersten Male erprobte der Graf von Madeira auf spanischem Boden, in offener Schlacht, seine gute Klinge [330] wieder, am 16. März bei Oriamendi. – Die Britten, denen er zur Seite gefochten, lernten ihn nun auch in feindlichen Reihen kennen. An der Seite seines Gebieters nahm er an allen Gefechten des königlichen Zuges vor Madrid Theil. Bei Huesca (24. Mai 1837) erhielt er das Großkreuz des königlichen Ordens Ysabel la Católica; am 29. Juni desselben Jahres überschiffte er den Ebro im ersten Nachen, und sagte zu seinen wenigen Begleitern: „Europa blickt auf uns!“ Am ewig denkwürdigen Tage von Herréra und Villar de los Navarros, als nach vierstündigem Kampfe von der feindlichen Armee nur der commandirende General mit zwanzig Reitern entkam, sah man den Generallieutenant Grafen von Madeira an der Spitze von 40 berittenen Ordonnanzen eine feindliche Colonne mit dem glücklichsten Erfolge chargiren. Der Stern des militärischen San Fernando-Ordens mit dem Lorbeerkranze ward ihm als Zeichen königlicher Anerkennung. Am 4. September desselben Jahres, bei Orihuela de Tremendal, deckte er mit einer halben Escadron unsere, von Espartéro selbst harcelirte Nachhut. Durch die Eifersucht der Spanier stets einem beschränkten Wirkungskreise zugewiesen, füllte [331] er denselben vollkommen, immer glorreich und ruhmvoll aus. Er ist als General ein großer Feldherr gewesen, und war mit 20 Reitern ein tüchtiger Soldat. Vor Guadalajara, bei Aranzueque, auf der Brücke von Aranda, war der Graf von Madeira den Ersten im Feuer ein leuchtender Stern. Wie soll ich jenes Tages gedenken, des 5. October, als in den Pinaren Alt-Castiliens, zwischen Retuerta und dem Kloster San Domingo de Silos, wir ihn auf seinem großen englischen Pferd auf 20 Schritte von den feindlichen Tirailleurs ruhig halten sahen; auf alle unsere Bitten, sich nicht so zu exponiren, antwortete der Graf von Madeira gutmüthig lächelnd: „Wenn ich die Kugeln pfeifen höre, ist es mir, als ob man mich rufe.“ Fünf Minuten darauf zerschmetterte ihm eine Musketenkugel den linken Arm. Ich sah ihn später wieder; es war am 14. September 1839, in einem kleinen baskischen Dorfe des französischen Departements der niedern Pyrenäen, Saint Pée genannt. Unser Glaube war entflohen, unsere Hoffnungen vernichtet, abermals ein König, der Land und Krone aufgegeben, und abermals ein Heer, das verkauft und verrathen! Trauernd warf ich mich in die Arme meines [332] ritterlichen Freundes; er tröstete mich männlich. Doch die einzigen Worte, die ich in meinem Schmerze vernahm, waren: „Lissabon, Madrid.“ – – Nun ist er todt. So sind sie alle hingegangen, auf die wir so fest gebaut. Zwei große Aufzüge hat unser blutiges Trauerspiel. Zumalacarregui, Santos-Ladron, Eraso, Yturalde, Segastibelza; dann viele Siege und Niederlagen, einem breiten Strom gleich, die zwei Epochen zu scheiden. Endlich Verrath, Gift und Dolch; Moreno, de España, der Graf von Madeira; wie ist es mit Cabrera? Die Schlußscene wird sich dieses Jahr vor uns enthüllen. Niemand wage vorwitzig den Schleier zu lüften; Gott allein kann helfen, denn von Menschen haben wir nichts mehr zu erwarten.“




Nach und nach waren aus dem königlichen Hoflager alle marquanten Personen entfernt, die den am Steuerruder Befindlichen einige Besorgnisse einflößen konnten. Nur Moreno und Cabañas folgten aus alter Gewohnheit dem Könige nach. Der Infant, dem seine frühere Umgebung genommen worden, ward in’s [333] Hoflager befohlen, und führte dort ein langweiliges Leben. Diese wenigen Personen, so ganz verschiedener Meinungen, ihres Einflusses und ihrer Stellungen beraubt, nahmen sich sonderbar aus, in einem kleinen Dorfe zusammengedrängt, wo sie sich täglich auf der Straße oder im Vorzimmer des Königs begegneten, ohne sich je anzureden. Der einzige Thätige und Beschäftigte war Arias-Teijeiro, der die Bureaux der drei Ministerien meist mit seinen Creaturen besetzt, und allein den Vortrag beim Könige hatte. Er arbeitete beständig, und gab sich alle Mühe, populär zu werden, was ihm jedoch nur wenig gelang.

Guérgué hatte mittlerweile seinen Generalstab aus meist unbekannten, rohen, navarresischen Subaltern-Offizieren, seinen Anhängern und Verwandten, zusammengesetzt, und folgte dem Hoflager unter dem Titel als Chef des Generalstabs, da der König nominell das Commando übernommen. Seine Hauptmaßregel bestand in Arrestationen, deren täglich eine Anzahl decretirt, und wo dieß unmöglich war, wenigstens irgend ein schlechtes Dorf als Aufenthalt angewiesen wurde. Guérgué trachtete, einen gewissen Nimbus um sich zu verbreiten. An der Thüre seines Cabinets, in dem [334] er allein mit seinem Secretair Ybañez (Beide füsillirt durch Maroto, im Februar 1839) arbeitete, war ein Placat, worauf stand: „Niemand tritt ungerufen hier ein.“ Als einst, nach ziemlich langer Abwesenheit, ich in’s Hoflager kam, und mich bei Guérgué melden mußte, wollte mich der dienstthuende Generalstabs-Offizier nicht einlassen, und wies auf dieses Placat. Doch riß ich die Thüre auf, und rief Guérgué: „Don Juan Antonio, gilt dieß auch für mich?“ worauf er mit so wüthenden und derben Worten seinen Offizier verwies, mich nicht eingelassen zu haben, daß ich begütigend einschreiten mußte. Ich selbst persönlich habe mich nie über ihn zu beschweren gehabt. So brachte ich einst eine Klage gegen einen Genie-Offizier vor, der einem meiner Landsleute dienstlich manquirt hatte, worauf eine augenblickliche Versetzung des Beleidigers aus Guipuzcoa nach Navarra erfolgte, eine Strafe, die selbst mir und meinem gekränkten Landsmann zu scharf vorkommen mußte.

Ungeachtet ihrer anscheinenden Sicherheit, wagte die Umgebung des Königs doch nicht, so lange der erste Eindruck der Rückkehr der Expedition fortwährte, das Hoflager in das Innere der carlistischen Bezirke [335] zu verlegen oder einen der größeren Orte zu betreten. Nach kurzem Aufenthalte in Arciniega zog der König nach Amurrio, einem Dorfe auf der Chaussee von Bilbao nach Orduña, wo er über sieben Wochen blieb. Anfangs November ward ich hinberufen und ein einzelnes Landhaus (Cazerio) auf eine halbe Stunde vom Dorfe mir als Wohnung angewiesen. Um mich gegen Kälte und Regen nur einigermaßen zu schützen, mußte ich erst die offenen Luftlöcher, uneigentlich Fenster genannt, mit in Oel getränkter Leinwand vernageln, Pferdedecken vor die schlecht schließenden Thüren hängen und ein paar kupferne Kohlenbecken (brazeros) aus Orduña kommen lassen. Glücklicherweise hatte ich einen guten französischen Koch, früher in Zaratiegui’s Diensten, der nach dessen Arrestation brodlos geworden. So war wenigstens mein animalisches Leben erträglich. Um ins Hoflager zu reiten mußte ich durch einen Gebirgsbach waten, der oft bei fortdauerndem Regen zu einer gefährlichen Höhe anschwoll. Am härtesten drückte die Langeweile während dieses Séjours in Amurrio. Dienstlich war wenig oder nichts zu thun, der Aufenthalt im Hoflager, wo so viele fremde Gesichter meine besten Freunde ersetzt hatten, [336] mir peinlich und beinahe unheimlich, und so blieb ich auf meine elende Hütte beschränkt; wenig Zeitungen, spärliche Briefe aus der Heimath, bildeten die einzigen Abschnitte in dieser Reklusion. Die letzten Ereignisse waren noch zu frisch und die Folgen zu traurig, als daß, durch Niederschreiben des Erlebten, ich die Zeit hätte verbringen können. Uebrigens wäre es auch unter den damaligen Conjuncturen nicht rathsam gewesen. Zu den wenigen Personen, die ich sah und die mich häufig besuchten, weil ich einen leidlichen Koch hatte und nicht allein von Rationen lebte, gehörte der General-Stabs-Arzt der Armee Dr. Obradór, ein Majorquiner, der in Montpellier seine Studien gemacht hatte. Er soll bedeutende Kenntnisse in seinem Fache gehabt haben und war ein unterhaltender gebildeter Mann; nur kam mir oftmals seine offizielle Begeisterung für den König und den Infanten verdächtig vor, der er mit großem Bombaste hochklingender Worte Luft machte, wie er seiner Zuhörer nicht sicher war oder sich belauscht dünkte. Er ist später zum Feinde übergegangen. – Auf eine kleine halbe Stunde von meinem Cazerio wohnte ein ehemaliger preußischer Oberst, der seit Kurzem im Hauptquartier [337] eingetroffen war und auch bald wieder abging. Er besuchte mich öfters und kam zuweilen bei schlechtem Wetter auf dem Maulesel seines Wirthes angeritten und in dessen weiten braunen Mantel gehüllt. Die englische Pritsche, die er dem Thiere auflegte, und die stämmige Figur meines Landsmanns vollendeten diesen Aufzug, der sich sonderbar genug ausnahm, besonders wenn er das eigensinnige sehr kleine Vieh in Trab bringen wollte. – Noch muß ich hier eines andern preußischen Offiziers erwähnen, Herr von Göben, früher Lieutenant im 24. Infanterie Regiment. Er war vor Kurzem aus der Gefangenschaft zurückgekehrt und stand mit seinem Bataillon in Orduña. Als die Expedition Don Basilios ausging, widerrieth ich ihm, daran Theil zu nehmen, da ich wenig Ruhm, viel Anstrengungen und unnöthige Märsche voraussah; ich proponirte ihm, seinen Eintritt in den Generalstab zu bewirken. Doch war er nicht zu überzeugen. Wenige Wochen später ward er verwundet und gefangen, und schmachtete über ein Jahr im Kerker zu Cadix. Endlich durch Cabrera ausgelöst, hat er bis zuletzt in dessen Heere mit der größten Auszeichnung gedient.

[338] Die einzige militairische Maßregel, die während unsers Aufenthalts in Amurrio vorgenommen wurde, war die Formation einer castilianischen Division, aus Castilianern, Aragonesen und Valencianern gebildet, wozu die feindlichen Überläufer, die sich unbegreiflicher Weise noch immer in großer Anzahl einfanden, die Recruten Zaratiegui’s, die von Gomez, die Reste der von der Expedition zurückgekehrten castilianischen Bataillons und die Freiwilligen, die sich in der Alcarria angeschlossen hatten, in 13 Bataillons zu 500 Mann jedes (neun von Castilien, drei von Aragon und eins von Valencia) vereinigt wurden. Das wenige Geld, in der letzten Zeit eingetroffen, unter andern eine Million Franken, vom H. v. A. hatte dazu gedient, die durch die Expedition abgerissenen Bataillons zu bekleiden und zu beschuhen; die castilianische Division war damit am ersten zu Stande gekommen. Der König nahm Ende Dezember die Revue derselben in Luyando ab, verlegte dann sein Hoflager nach Orduña, um dem Ebro etwas näher zu sein, und übergab hierauf sechs dieser Bataillons nebst 200 Pferden und zwei Vierpfünder dem unter dem Namen Don Basilio bereits erwähnten General [339] Garcia.[2] Diese kleine Expedition setzte am 28. Dezember Nachts bei Mendavia über den Ebro an dem Punkte, wo Espartéro, der sich mit sechszehn Bataillons in Miranda del Ebro befand, es am wenigsten vermuthete. Don Basilio’s Instructionen lauteten: er solle sich nach den Pinaren richten, wo drei durch Zaratiegui formirte castilianische Bataillons zurückgeblieben, diese, und die bereits Marschfähigen aus dem Spital von San Domingo de Silos an sich ziehen, den Duero bei Aranda passiren, sich in die Alcarria werfen, den Krieg dort organisiren, und eine Vereinigung der Häuptlinge der Mancha unternehmen. Zu diesem Ende ward er zum General-Commandanten von Neu-Castilien ernannt, und ihm der Brigadier Marquis de Santa Olalla, bisheriger Gouverneur des königlichen Hauptquartiers, mitgegeben, der früher in der Mancha commandirte und daselbst in gutem Andenken stand. Die vereinzelten royalistischen Banden der Mancha, wie erwähnt, [340] meist aus Cavallerie bestehend, hätten, gesammelt, ein bedeutendes Corps gebildet, und genügt, eine Diversion der feindlichen Hauptkräfte nach diesem Punkte zu bewirken. Auch sollten die feindlichen Conscriptionen verhindert und so viele Freiwillige als möglich angeworben werden, um dann, unter kleiner Bedeckung, nach den Provinzen geschickt und dort einexercirt zu werden. So vernünftig dieß klingen mochte, hat doch die Erfahrung gelehrt, daß diese Expedition, wie alle übrigen, ein schlechtes Ende nahm. Ihre geringen Kräfte, mitten im feindlichen Lande, auf große Entfernung von den carlistischen Hauptfoyers und in der Unmöglichkeit, die verbrauchten Munitionen zu ersetzen, wurden stets nach einigen Tagemärschen durch überlegene feindliche Colonnen rastlos verfolgt, waren genöthigt, sich in die Berge zu werfen, oder in beständigen Eilmärschen momentan ihr Heil zu suchen; glücklich, wenn sie Cabrera’s Gebiet erreichen, oder geschlagen, verringert oder herabgekommen, in die Provinzen zurückkehren konnten. Bereits hatten sich mehreremal diese traurigen Erfahrungen bestätigt; die Expedition von Guérgué nach Catalonien, die von Sanz nach Asturien, die erste von Don Basilio und die des Domherrn Batanéro nach [341] Castilien, die von Gomez, endlich die königliche und die von Zaratiegui hatten über vierzig Bataillons gekostet. Don Basilio ging es auch nicht besser auf seiner zweiten Expedition. Nachdem er Neu- und Alt-Castilien, Estramadura, Andalusien, nochmals Neu-Castilien unter beständiger Verfolgung durchzogen, zweimal von den Minen von Almaden Besitz genommen, ward er endlich bei Bejar in Neu-Castilien von Pardiñas überfallen und zersprengt, der Oberst Fernando Fulgosio, der seine erste Brigade befehligte und sich nicht ergeben wollte, niedergehauen, und mit Mühe erreichte Don Basilio Morella, wo die Trümmer seines Corps bei Cabrera Schutz fanden. Nach mehreren Monaten traf er, nur von einem kleinen Häuflein Reiter gefolgt, nach schnellem Marsche durch das Niedere Aragon, wieder in den Provinzen ein. Doch wer bei Ausgang dieser Expedition gewagt hätte, dieß Unheil vorauszusagen, würde bei den damaligen Rathgebern für einen Verräther und Feind des Königs gegolten haben. Auch schwieg Jeder und bedauerte nur, uns um sechs Bataillons ärmer zu wissen.

Nach Ausmarsch der Expedition Don Basilio’s ward das Hoflager von Orduña nach Llodio, auf drei [342] Leguas von Bilbao, am 29. Dezember verlegt, und von diesem Punkte aus die kleine Festung Valmaseda beobachtet, welche durch ihre Stellung zu Bilbao und Portugalete wichtig, auch den Schlüssel zu den Gebirgen von Santander bildete. Man konnte annehmen, daß Espartéro zum Entsatze dieses Platzes heranrücken würde, und in diesem Fall einer bedeutenden Affaire entgegensehen, da 21 unserer Bataillons, im Val de Mena, zwischen Valmaseda und dem Ebro, aufgestellt waren. Auch sollte nach der Einnahme von Valmaseda eine Expedition von dort aus, über die Gebirge von Santander und Asturien, nach Galicien geschickt werden, da, seitdem wir einen Galicier zum Premier- oder eigentlich Universal-Minister hatten, man sich viel um dieses Land bekümmerte. Der Marquis de Boveda, aus dem Hause Pimentel, ebenfalls ein Galicier, war bestimmt diesen Zug anzuführen. Glücklicherweise für die Truppen, welche auf demselben geopfert werden sollten, riß eine Kanonenkugel dem Marquis de Boveda, bei der Einnahme von Valmaseda, den Kopf weg, so daß durch den Tod dieses galicischen Chefs der Plan dieser Expedition sich auflöste. Doch hierauf beschränkte sich die Lust an Expeditionen [343] der damaligen Machthaber nicht. Vier Bataillons, unter Zabála und Merino, sollten bei Haro über den Ebro setzen und in Alt-Castilien operiren, wurden jedoch durch Espartéro daran verhindert, und sahen sich genöthigt zurückzukehren.

Hierüber war das Jahr 1837 zu Ende gegangen, und mit geringen Hoffnungen und trüben Ahnungen sahen wir dem neuen entgegen. Ich hatte mich während der letzten Wochen vom Hoflager entfernt und, um etwas aus diesem täglichen Gewirre zu kommen, in Begleitung der preußischen Offiziere, die in unserm Heere dienten, unsere freundlichen Küstenstädte besucht. In Lequeitio, dem schönsten Punkte der baskischen Küsten, brachten wir die Weihnachtsfeiertage fröhlich zu. Die hübsche Villa eines Kaufmanns aus Bordeaux hatte ich mir zur Wohnung ausersehen, und entbehrte darin keine Bequemlichkeit. Mein Koch machte uns vortreffliche Diners; wir aßen köstliche Seefische, die vor uns gefangen wurden. Auch tranken wir hier guten Champagner, den ersten, seit ich Frankreich verlassen. Von Lequeitio aus schrieben wir dem erlauchten Gönner, dem diese Erinnerungen geweiht sind, und legten ihm unsere Glückwünsche beim Jahreswechsel [344] zu Füßen. Das Wetter war so warm und herrlich, daß während der Feiertage, nach der Kirche, die jungen Einwohner sich auf dem Platze vor meinem Hause versammelten, und beim Klange fröhlicher Musik bis spät in die Nacht Fandango und andere Volkstänze in munteren Reigen aufführten, während auf der See kleine Kähne wiegten, die bei eintretender Dämmerung unter einfachem, choralmäßigem Gesange der Fischer und Begleitung taktmäßiger Ruderschläge in den Hafen zurückkehrten. Die Ruhe und Zufriedenheit dieser, vom Kriegsgetümmel mehr entfernten, wohlhabenden Küstenorte wirkte auch wohlthätig auf uns, doch bald mußten wir uns davon lossagen. Mit der warmen Luft und den grünen Abhängen unserer reizenden Küste verließ uns auch unsere fröhliche Laune. Ich sagte ein wehmüthiges Lebewohl dem freundlichen Lequeitio, Ondarroa und dem malerischen Motrico, wo in einem prachtvollen Pallaste, hart am Ufer des Meeres, ich von der Wirthin und ihren lieblichen Töchtern herzlich aufgenommen worden war. Am 1. Januar waren wir zurück in Llodio, das kalt, unfreundlich und halb zerstört, uns eben nicht erheiterte. Das Gefolge des Königs und die [345] Ministerien hatten sämmtliche Häuser vor meiner Ankunft besetzt, so daß ich im sogenannten Palacio, einem großen, öden Gebäude einquartirt wurde, das ohne Fenster und Thüren, Wind und Regen preisgegeben, auf dem Gipfel eines Berges stand. Auch war ich entschlossen, nicht lange in Llodio zu bleiben. Ich versammelte die preußischen Offiziere um mich, und wir statteten dem Könige unsere Glückwünsche ab, worauf jeder auf seiner Seite so schnell als möglich das Hoflager verließ. Ich war damals sehr leidend, und zog mich nach Durango zurück, wo ich mehrere Wochen von allen Geschäften entfernt, ein ruhiges Leben führte. Bei mir befand sich mein damaliger Adjutant, Capitain von Keltsch. Wir bewohnten ein freundliches Haus auf dem Kirch-Platze, mit allen Bequemlichkeiten reichlich versehen, die wir in Amurrio und Llodio so sehr entbehrt hatten. Mein Nachbar war der in der ersten Zeit des carlistischen Aufstandes berühmt gewordene Marquis de Valde Espina, zur Zeit Präsident der Junta von Biscaya. Viel Verstand, feine Sitten und rastlose Thätigkeit können diesem Manne nicht abgesprochen werden, der mit der glühendsten Hingebung der königlichen Sache ergeben, [346] sein großes Vermögen seiner politischen Conviction zum Opfer brachte. Fünf und vierzig ihm gehörige Landhäuser und Fermen wurden vom Feinde zerstört, und sein in Ermua gelegener Pallast verbrannt. – Vielleicht hat Erbitterung hierüber zu der großen Strenge beigetragen, die er nicht nur gegen Feinde, sondern gegen Alle entfaltete, die nicht in jedem Dinge über alle politischen Fragen genau ebenso dachten, wie er. Dieß ist ihm vielfach vorgeworfen worden, so auch, daß sein Geist, alle seine Tendenzen mehr nach kleinlichen Intriguen und geheimnißvollen Verzweigungen, als nach einer freimüthigen, großartigen Handlungsweise hinneigten. – Seine Wirksamkeit als Kriegsminister in der letzten Zeit war, leider! nur traurig und von unheilbringenden Folgen. Er übernahm das Portefeuille nach der Berufung Maroto’s, und hat, wie so manche Andere, sich durch den Flitterglanz des ersten Auftretens dieses Mannes anfänglich verblenden lassen. Zu spät zur Realität erwacht, sagte sich Valde Espina von Maroto los, als über des Letzteren Verrath kein Zweifel mehr obwalten konnte; noch zu rechter Zeit, um seine Ehre zu retten, zu spät, um der königlichen Sache aufhelfen zu können.

[347] Nach 14 Tagen Aufenthalt in Durango traf ein alter Bekannter aus der Heimath ein, Baron Eugen von Vaerst. Er brachte einige Tage bei mir zu, und ich kann mich seiner, während seines mehrwöchentlichen Aufenthaltes unter uns, nur beloben. Er wußte sich beim Könige und den Personen seiner Umgebung Achtung zu verschaffen, und sein ganzes Auftreten und Benehmen war ebenso taktvoll, als anständig. Er erschien mit einem großen Train von Pferden und Dienern. Noch ist mir erinnerlich, daß er eines Tags in Llodio ein Diner dem königlichen Gefolge gab, wozu französische Weine und Trüffelpasteten durch Contrebandiers aus Bilbao geholt worden. Vor seiner Abreise verlieh ihm der König das Commandeurkreuz des Ordens Carl’s III.

Unterdessen war seit dem 2. Januar das Castell von Valmaseda durch unsere Truppen blockirt, und am 5. auf einer Anhöhe, demselben gegenüber, eine Batterie von vier schweren Belagerungsgeschützen errichtet worden. Da drang Espartéro mit überlegener Macht durch das Val de Mena, schlug Guérgué und Sanz, entsetzte Valmaseda, sprengte die Hauptfortificationen und gab diesen Platz auf, der dann [348] von den Unsrigen ruhig bezogen, und diese Besitznahme in Guérgué’s Bülletins als Sieg bezeichnet wurde. Zu allem Unheil gesellte sich auch noch die Rückkehr Urbiztondo’s aus Catalonien. Man wird sich erinnern, daß, als der König, Ende Juni, diese Provinz verließ, er ihn zum General-Commandanten derselben ernannte. Urbiztondo begann sehr brillant. Er bildete aus den Marodeurs, zurückgebliebenen, später geheilten Kranken und Blessirten der königlichen Expedition zwei Bataillons, die er als eine Art Garde immer um sich behielt, und mit denen er die catalonischen Häuptlinge zügelte, so daß sie ihm anfänglich Folge leisteten. Auch nahm er in den ersten Wochen vier befestigte Orte: Ripóll, Berga, Gironella und Pratz de Llusanétz. Da erfuhr man im königlichen Hauptquartier, das damals im Niedern Aragon herumzog, die Formation dieser zwei Bataillons, und befahl Urbiztondo, sie sogleich zur königlichen Expeditions-Colonne, als zu selber gehörig, zu schicken. Vergeblich wandte er ein, daß diese kleine Truppe das einzige Mittel sei, die insubordinirten Häuptlinge zu meistern. Der König bestand darauf, eine Deputation, die in Ejulbe ankam um im [349] Namen Urbiztondo’s Vorstellungen zu machen, wurde nicht vorgelassen, und die zwei Bataillone mußten sich an unsere Expedition anschließen, der sie auch nicht aufhalfen, nachdem sie in Catalonien von entscheidendem Einflusse gewesen wären. Urbiztondo, dieser Truppe beraubt, die seine Stärke gebildet und gewissermaßen seine Unabhängigkeit gesichert hatte, sah sogleich sein Ansehen schwinden und konnte nicht mehr entscheidend durchgreifen. Da er aber demungeachtet einige Ordnung unter die Häuptlinge und ihre Banden bringen und den Eingriffen der Junta sich widersetzen wollte, brachen alle in offene Empörung aus. Keiner wollte mehr gehorchen und die Junta nahm die Widerspenstigen in Schutz. Bald sah sich Urbiztondo auf Berga beschränkt, einem Gefangenen gleich eingeschlossen; er konnte nur mehr auf seine nächste Umgebung, die wenigen navarresischen Offiziere, die ihm gefolgt waren, zählen; da gab er endlich der gebietenden Nothwendigkeit nach, verließ sein General-Commando und kehrte in die Provinzen zurück, dem Könige Rechenschaft abzulegen und ihm vorzustellen, daß, wenn nicht Truppen hingeschickt und die Macht der Junta gebrochen würde, unmöglich ein glückliches [350] Resultat in Catalonien erzielt werden könne. Doch als seine Ankunft durch die königlichen Commissaire angezeigt wurde, kam ihm ein Befehl des Kriegs-Ministeriums nach Tolosa zu, sich nicht dem Hoflager zu nähern, da der König darüber ungnädig, daß er eigenmächtig den ihm anvertrauten Posten verlassen, ihn nicht sehen wolle. Urbiztondo blieb in Tolosa, und der Brigadier Segarra ward interimistisch mit dem General-Commando Cataloniens beauftragt. Urbiztondo, den ich für einen der ausgezeichnetsten Offiziere unseres Heeres halte, hat ein schlechtes, ehrloses Ende genommen; ich sage Ende obwohl er noch lebt, doch für uns und für seine Ehre ist er todt. – Er unterzeichnete den Tractat von Vergara, verrieth mit Maroto den König und ging mit seiner Division zum Feinde über. Urbiztondo ist zu jung, zu gut geboren (man vergebe mir diesen aristokratischen Ausdruck, der hier nur sagen will, aus einer zu braven, royalistischen Familie), hat eine zu gute Erziehung genossen und dem Könige zu viele Beweise von Treue und Anhänglichkeit gegeben, um für einen prämeditirten Verbrecher, conspirirenden Verräther gehalten werden zu können. Doch war er stufenweise aufs [351] Aeußerste gebracht, durch Arias und seine Umgebung, in Allem was ihm heilig und werth war empfindlich gekränkt worden, – so daß in Wuth, Beschämung und Verzweiflung, keine Grenzen mehr kennend, er endlich dieses schwere Vergehen beging, das freilich nie und unter keiner Bedingung kaum entschuldigt, geschweige denn gerechtfertigt werden kann. – Diese Worte hier sollen einer spätern Epoche nicht vorgreifen; ich will bloß keine Gelegenheit vorübergehen lassen, ohne darzuthun, daß wenn nicht die lasterhaftesten und untauglichsten Menschen den König umgeben, und stets schlechte und unredliche Maßregeln ergriffen hätten, sich nie ein Verräther im königlichen Heere gefunden, und Maroto auf dem Felde von Vergara allein gestanden wäre, wenn er je gewagt hätte soweit zu gehen, von seinen verbrecherischen Planen irgend Jemanden Mittheilung zu machen.

Nachdem der König einige Wochen in Llodio zugebracht, und Niemand mehr an den Ausmarsch einer Expedition unter seiner persönlichen Leitung glaubte, entschloß er sich, diesen traurigen Ort am 6. Februar zu verlassen. Nach einigen langsamen Märschen ward das Hoflager und Hauptquartier nach Azcoitia verlegt. [352] Obgleich der unglückliche Ausgang der Expedition, und besonders die Ereignisse der letzten Wochen, die Basken sehr herabgestimmt hatten, empfingen sie doch den König mit wahrer Anhänglichkeit und allen Zeichen großer Begeisterung. Die Einmärsche in Durango und Azcoitia glichen Triumphzügen. In letzterem Orte blieb das Hoflager zwölf Tage. Ich bezog meine alte Wohnung bei der freundlichen Familie Narros, wo ich, wieder mit großer Herzlichkeit aufgenommen, meine Abende in dem angenehmen Salon der jungen Marquise zubrachte, die, ebenso schön als liebenswürdig, auf die graziöseste Weise die Ehren ihres Hauses machte. Sie ist jetzt, gleich so vielen Andern, verbannt, und lebt mit ihrem Gemahl und ihrer Mutter in Saint Jean de Luz. Sollten sich diese Erinnerungen je in ihre Hände verirren, so würde es mich freuen, wenn sie in diesen Zeilen ein Zeichen meiner Dankbarkeit und Verehrung sehen wollte.

Zu dieser Zeit traf im Hoflager der Graf von Fonollár ein, ein catalonischer Edelmann, der von Lille kam, und die Bedingungen des dort gefangenen Grafen de España mitbrachte, dem der König das General-Commando von Catalonien angeboten hatte. [353] Der Graf machte sehr starke Ansprüche, unter andern die freie Besetzung sämmtlicher Stellen der Militair- und Civil-Administration, die provisorische Verleihung militairischer Grade bis zum Obersten inclusiv, das Präsidium der Junta und das Recht sie abzusetzen. Der König gestand Alles zu, und nach kurzem Aufenthalte ging der Graf von Fonollár nach Lille zurück, die Flucht des Generals zu bewerkstelligen, während der Marquis von Centmanat, ein anderer catalonischer Edelmann, sich nach Berga begab, die öffentliche Stimmung auf die Ankunft des Grafen de España vorzubereiten.

Unser Aufenthalt in Azcoitia war noch durch eine andere Episode marquant, eine Zusammenkunft des französischen Consuls Roger Laffitte zu Bilbao mit unserm Minister Arias-Teijeiro. Es war das erste Mal, daß carlistische und französische Autoritäten in Unterhandlung kamen; der Grund derselben, die Gefangennehmung eines französischen Handelsmannes, Namens Casimir Monier, hat damals in der ganzen europäischen Presse zu viel Sensation erregt, als daß hier nicht mit einigen Worten dessen gedacht werden sollte.

[354] Zaratiegui’s Truppen hatten einen in Vitoria naturalisirten Kaufmann, Namens Weidmann, gefangen genommen und mit sich geführt, worauf sich sein Freund, Casimir Monier, ein französischer, in Madrid und dem Niedern Aragon ansässiger Handelsmann, bei der Junta von Castilien präsentirte, die sich damals in der Sierra de Burgos befand, und um seine Freilassung unterhandelte, die unterdessen auf Befehl Zaratiegui’s bereits erfolgt war. Der unglückliche Unterhändler aber, von Einigen als früherer Besitzer eines liberalen Lese-Cabinets in Madrid erkannt, ward von der Junta festgenommen, bei dem Durchzug der königlichen Expedition mitgeschleppt, und blieb mehrere Monate, in Erwartung eines Verhörs, in Amurrio gefangen. Nach mehreren fruchtlosen Reclamationen des französischen Consuls in Bilbao, welche sonderbarer Weise an den „Directeur général des forces carlistes“ adressirt waren, kam endlich eine Zusammenkunft in Elgoibar zu Stande. Herr Laffitte, von den Beamten seines Consulats begleitet, kam, unter christinischer Bedeckung, bis zu unsern Vorposten an der Brücke von Bolueta, wo ein Detachement unserer Lanciers ihn erwartete und nach Elgoibar [355] escortirte. Auf dem ganzen Wege ließ er sich seine dreifarbige Consulats-Flagge vortragen, deren Anblick in einigen Orten die Unzufriedenheit des Volkes und lautes Murren erregte, worüber Herr Laffitte so erschrak, daß er mehr todt als lebend im Gasthofe zu Elgoibar vom Pferde stieg, wo ihn Arias-Teijeiro mit zwei Secretairen erwartete. Nach mehrstündigen Debatten, denen noch Correspondenz durch einige Tage folgte, ward endlich entschieden, daß Casimir Monier, unter Bedeckung, bis an die französische Grenze bei Vera geführt, und ihm das Verbot eingeschärft werden solle, sich nie wieder auf den königlichen Waffen unterthanen Landestheilen blicken zu lassen, wozu er übrigens wohl nicht mehr viel Lust gehabt haben mag.

Am 21. Februar verließ der König Azcoitia und zog bis Tolosa. Tags darauf ward Mittagshalt in Betelu gemacht. Ich dachte an den Vorabend der Schlacht von Oriamendi, an dem wir auch in diesem Orte gehalten, unter so verschiedenen Eindrücken und ganz andern Hoffnungen. Die Nacht brachten wir in Lecumberri zu. Den nächsten Morgen passirten wir das Fort de las dos Hermanas, und hielten [356] Nachts in Echarri-Aranas, in der Baranca. Am folgenden Mittag waren wir in Estella. Dem Könige hatte die Junta von Navarra ein großes Haus vortrefflich einrichten lassen, ihm den Aufenthalt unter ihnen angenehm zu machen. Demungeachtet glaube ich, hat es Carl V. in Estella eben so wenig gefallen, als uns, die wir uns nach den baskischen Thälern zurücksehnten. Eine Woche darauf mußte ich mich nach Zagarramurdi begeben, um an der äußersten Grenze mit einer Person zusammen zu kommen, die nicht weiter in das Innere dringen konnte. Ich ritt in Begleitung eines meiner Adjutanten, des Lieutenant von Swiderski, von Estella auf der Chaussee nach Pamplona bis Cirauqui, dem feindlichen fortificirten Platze Puente la Reyna gegenüber. Von da wandten wir uns nach Norden über Belascoain (später durch den Sieg Diego Leon’s des Aeltern bekannt), dessen fortificirter Brückenkopf von uns besetzt war, und durch das Argathal. Ich konnte mich eines wehmüthigen Gefühles nicht erwehren, als ich unter Ziriza längs des Arga vorbeiritt, wo am 17. Mai das Expeditions-Corps über den Fluß gesetzt hatte, so freudig und voll Siegesträume. [357] Nachts passirte ich durch las dos Hermanas, und fand die kleine Garnison in Alarm und Unruhe. Der Commandant des Forts, ein alter navarresischer Capitain, hatte bei Sonnenuntergang eine der beiden Felsenspitzen bestiegen, welche diesem Paß und Fort den Namen (dos Hermanas – zwei Schwestern) geben, und von welchen er alle umliegenden Thäler und jede Bewegung in denselben beobachten konnte. Oben angelangt, mag er von einem plötzlichen Schwindel ergriffen worden sein, denn er stürzte viele hundert Fuß herunter, und kam gerade vor das Thor seines Forts zu fallen, zerschmettert und todt, zum nicht geringen Schreck der Schildwache. Der Unglückliche lag, als wir durchritten, auf einer Art ärmlichen Paradebett unter dem Hauptthor. Seine Soldaten, die ihn umstanden, jammerten und heulten, und ließen es sich nicht nehmen, daß ein vom Teufel besessener Christino ihm dort oben aufgelauert und ihn heruntergeworfen habe. Diese Idee war so fest bei ihnen eingewurzelt, daß, als wir angeritten kamen, sie die Thore nicht öffnen und uns nicht durchlassen wollten, sondern uns zuschrieen, umzukehren, da sie sonst nach uns schießen würden. Mit größter Mühe gelang es [358] mir, mich verständlich zu machen, und sie dazu zu bewegen, mich allein zu Fuß vorzulassen, worauf denn eine Erkennungsscene folgte, die uns endlich Eingang verschaffte. Spät Nachts kamen wir nach der einzelnen Venta de Uriza, wo wir mit allen Bequemlichkeiten die Nacht zubrachten, und den nächsten Abend in Tolosa eintrafen. Diese Stadt war damals der Aufenthalt aller gesunkenen Größen aus dem Hoflager, Heer und Ministerium, die nicht arretirt waren. Der frühere Universal-Minister Erro, der Staatsrath Aznarez, der Minister Sierra, der vor Kurzem aus Solsóna zurückgekehrt, sein daselbst krankheitshalber abgegebenes Portefeuille nicht wieder erhalten hatte, Herr von Corpas, die Generale Urbiztondo, Moreno und Lardizabal, Letzterer früher General-Commandant von Guipuzcoa, der Toreador Freire, die Familie des Grafen Eguia und des verstorbenen General O’Donnel, der bekannte Domherr Batanéro, Herr von Carles, und noch viele Andere lebten in Tolosa, wo für die nothwendigsten Bedürfnisse und einige Bequemlichkeit gesorgt war. Die Spanier sind bekanntlich das spazierlustigste Volk der Welt, auch sah man alle diese Leute den [359] ganzen Tag auf der Straße, und wenn es schlecht Wetter war, im Ballhause oder den bedeckten Gängen, wo sie heftig conversirten und alles tadelten, was zwar damals weder schwer noch unrecht war, aber auch in unsern brillantesten Zeiten, als Oñate und Durango die Sammelplätze aller Unbeschäftigten waren, viel Unheil verursachte. Von ihrem gewöhnlichen Ausruf Ojala! (Ach wäre es doch!) dessen sie sich bei jeder Gelegenheit bedienten, so oft irgend eine gute Nachricht zukam, wurden sie von den Basken und Navarresen mit dem Spottnamen Ojalatéros bezeichnet, welcher später eine gewisse Berühmtheit erlangte, als die Verfolgung der aufrührerischen Navarresen, unter dem Feldgeschrei: „Tod den Ojalatéros!“ gegen sie gerichtet, eine sehr blutige Wendung nahm.

Nach vier und zwanzig Stunden verließen wir Tolosa, und ritten nach Leyza, einem kleinen Orte, bereits in den Ausläufen der Pyrenäen, durch längere Zeit das erste Hauptquartier des Königs, als er den spanischen Boden betrat. Der Pallast von Leyza, den er damals bewohnte, ward von Rodil in Brand gesteckt, den Besitzer, einen Edelmann dieses Landes Namens Lescuan, für die Bereitwilligkeit zu züchtigen, womit [360] er den König empfangen; worauf Lescuan mit Frau und drei Töchtern ein kleines Haus neben seinem ehemaligen Pallaste bezogen. Der einzige Sohn war mit vierzehn Jahren von Zumalacarregui in die Guiden von Navarra aufgenommen worden, und zur Zeit Capitain. Bei diesen guten Leuten ward ich einquartirt und vortrefflich bewirthet. Am nächsten Morgen ging es über Gemsensteige drei Leguas bis Saldies mitten in den Bergen, und nach einem kurzen Mittagshalte durch das Thal von Yturen über Zubieta und Aurtiz bis Santesteban, einer kleinen Stadt am Ufer der Bidassoa, in einem reizenden Thale, wo trotz der wenig vorgerückten Jahreszeit alles grünte und blühte. Der Mendaur, einer der höchsten Punkte der Niedern Pyrenäen, dominirt dieses Thal. Seine Spitze ist durch eine kleine Capelle der heiligen Dreifaltigkeit gekrönt, zu der alle Jahre mehreremal gewallfahrtet wird. Doch konnten wir sie nicht sehen, da der Gipfel des Mendaur stets in Wolken gehüllt ist. Von Santesteban ritten wir längst der Bidassoa an blühenden Sträuchen vorbei, die den angenehmsten Duft verbreiteten. Eine Menge kleiner Vögel zwitscherten überall, und an den Bäumen brachen [361] junge Knospen aus. Es war der 14. März, und machte einen sonderbar weichen Eindruck auf mich, den ich in meinem Journal als „Frühlingswehen“ bezeichnet habe. – Mittags hielten wir in Echalar, und spät Nachts kamen wir nach Zugarramurdi, nachdem wir die schlechtesten Steige meist zu Fuß erklettern mußten. Nachts hatte ich an der äußersten Grenze die erwähnte Zusammenkunft; am nächsten Morgen beeilte ich mich, Zugarramurdi zu verlassen, das von meinem ersten Eintritt in Spanien her, mir in langweiligem Andenken geblieben. Ich ritt über Urdax, das letzte Hauptquartier Carl’s V., am 13. September 1839, bevor er an der Brücke Dancharria, beim französischen Dorfe Ainhoa, den spanischen Boden verließ. Bei Urdax hatten wir damals ein kleines Fort am Eingange des Thales, in dessen Mitte, bei Landivar, zehn Minuten weiter, eine fortificirte, mit Gräben und Zugbrücke versehene Caserne, und am Ende einen Posten, auf der einen Seite der erwähnten Brücke Dancharria, die über einen kleinen Bach führt, der die Grenze bildet. An der andern Seite dieser Brücke war ein französischer Posten und eine große Caserne, so daß sich auf fünf Schritte die französischen und carlistischen [362] Sentinellen gegenüber standen. Dieser Punkt wurde gewöhnlich als neutrales Terrain behandelt, und zu den öftern Zusammenkünften der carlistischen Grenzbehörden mit den französischen Polizei-Commissären gewählt.

Von Urdax ritt ich über Maya und kam in das Bastanthal, das lang und schmal von hohen Bergen umgeben, vierzehn Orte zählt; in deren Mitte Elisondo, der Hauptort. Der Bastan wird seit undenklichen Zeiten auf eine eigenthümliche vom übrigen Navarra getrennte Weise verwaltet, wie dieß bei einigen der edlen Thäler (Nobles valles) Navarras, bei dem Thale von Orozco in Biscaya und dem Thale von Aran im nördlichen Catalonien auch der Fall ist. Alle Bastanenser sind Edelleute, wie die Basken, und führen nebst ihrem Familien-Wappen noch das des Thales, ein roth und weißes Schachbrett. Die vierzehn Orte erwählen ihre Regidoren, die sich zu Elisondo im Thalhause versammeln und einen lebenslänglichen Chef wählen, der das ganze Thal unter dem Titel Alcalde und Capitain des edeln Bastanthales regiert. Um Regidor oder Alcalde zu werden, muß man zu einer Familie des Thales gehören und in demselben [363] geboren sein. Elisondo war damals von uns befestigt und hatte eine kleine Garnison. Am Thalhause bemerkte ich eine Anzahl sechs Fuß hoher zweiköpfiger rother Adler aus Holz oder Blech ausgeschnitten und symetrisch an der äußeren Hauptwand, nach dem Platze zu, aufgehängt. Auf der Brust führten sie verschiedene Wappen, und in den Krallen hielten sie Inschriften und Jahrzahlen. Einzelne dieser Adler hatte ich schon im Thale an mehreren Häusern gesehen. Auf meine Frage erfuhr ich, daß diese Adler, Victor genannt, vom Thale jedem Bastanenser, der sich in Kirche, Heer, Staatsdienst, oder sonst auf merkwürdige Weise ausgezeichnet, nach seinem Tode votirt werden, worauf die Familie des Vorstorbenen den Victor in zwei Exemplaren anfertigen läßt, deren eins an dem Thalhause, das andere an dem Stammhause des Verstorbenen aufgehängt wird. Den Grund, warum der doppelte Adler roth ist, konnte ich nicht erfragen, doch wissen alle Bastanenser, daß er eine Erinnerung an los Emperadores sein soll. Das Wappen des Illustrirten trägt dann der Victor auf der Brust, und die Inschrift in den Krallen belehrt über Namen, Geburtdorf, Bezeichnung des Stammhauses [364] und merkwürdige Momente der Lebensgeschichte, nebst allen nothwendigen Jahrzahlen.

Am nächsten Morgen verließ ich Elisondo und zog noch zwei Stunden durch das Bastan, frühstückte in Almandos, seinem letzten Dorfe, mußte darauf über einen Bergrücken und engen Paß, und kam dann in ein ebenso langes aber breiteres Thal, die Ulzáma. Dieses ist weder so reizend gelegen, noch so voll romantischer Anklänge, als der Bastan, obwohl es an mittelalterlichen Ueberresten der Regierungsform hier auch nicht fehlt. So versammeln sich die Alcalden, die gemeinsam die vierzehn Ortschaften der Ulzama regieren, mit den vierzehn Regidoren derselben, alle Jahr an einem bestimmten Tage, in einer einzelnen Venta bei Larenza, an einem Kreuzwege, und besprechen die Angelegenheiten ihres Thals. Bei dieser Venta vorbei, kam ich, nach fünf Leguas Ritt durch das Thal, in Larenza an, und stieg in einem Hause ab, dessen Wirth, als erste Begrüßung, mich versicherte, ich könne ruhig bei ihm schlafen, denn der König habe es vor mehreren Jahren auch gethan. Am 17. Morgens ritt ich weiter, über Musquiz und Gulina, Orte wo Zumalacarregui oft die christinischen Heere schlug. [365] Auch steht er in diesen Thälern, wie in ganz Navarra und den drei baskischen Provinzen, einem Heiligen gleich, in allgemeiner Volksverehrung. In trauervoller Bewunderung spricht jeder Bauer den Namen des großen Häuptlings aus; die Lieder am Spinnrocken werden nach vielen hundert Jahren noch Tomas Zumalacarregui besingen, wenn längst Don Carlos und Christina aus der Erinnerung des Volkes geschwunden. Wie oft, wenn von einzelnen Guiden geführt, wir bei Nacht durch die langen schmalen Thäler von Navarra ritten, hielten sie uns plötzlich an, faßten die Zügel unserer Pferde und flüsterten halb geheimnißvoll, indem sie, wie von Ehrfurcht für den großen Todten durchdrungen, das Haupt entblößten: „Hier hat Tio Tomas (Onkel Thomas) die Feinde überfallen und geschlagen. Er hatte nur so viel Hundert, und die Christinos so viel Tausende. Ja damals …“

Ich durchkreuzte die Chaussee von Pamplona, und ritt an einer Felscapelle vorbei, wo Zumalacarregui, am Morgen eines Sieges, Messe lesen ließ und nicht angreifen wollte, ehe sie beendet, da es eben Sonntag war. Die Capelle ist in den Fels gebaut, [366] der auf allen Seiten vorragt. Davor fließt der Gießbach, der nur die Breite der Straße frei läßt; auf der andern Seite erheben sich hohe Felsen. Ein kleines ewiges Flämmchen brannte spärlich im Innern, und erleuchtete nur wenig das einsame Gotteshäuschen, das noch heute die Capelle Zumalacarregui’s heißt. Es war kalt und unfreundlich geworden, und unter beständigem feinem Regen ritt ich über die Brücke von Añoz, durch das Thal von Ollo, in das Thal von Goñi, wo ich in Azanza übernachtete. Am nächsten Tage ging es über Salinas de Oro, durch ein ödes bergiges Land; in Schluchten, auf kleine Entfernung, lagen zwei traurige kleine Dörfer, Gembe und Azcona, die Depôts der gefangenen Offiziere und Soldaten. Abends kam ich nach Estella und hörte zu meiner nicht geringen, schmerzlichen Verwunderung, daß Graf Negri – dessen Ankunft am Hoflager ich am Anfang dieses Capitels erwähnt – vor zwei Tagen, an der Spitze von neun Bataillons und 200 Pferden, über den Ebro gesetzt habe.[3] Was konnte von diesem [367] untauglichen, beschränkten Manne erwartet werden, den Niemand kannte, der daher auch keinem einzigen [368] Soldaten Vertrauen einflößte? In der Armee war nur eine Stimme hierüber, die bitter genug mit den [369] pomphaften Ausdrücken abstach, in denen Arias und seine Anhänger von dieser Expedition sprachen. Als [370] ich das Cabinet des Ministers betrat, war er so voll des Jubels über diese Expedition, und den Uebergang [371] des Ebro, den sie bewerkstelligt hatte, daß er für gar nichts Anderes Ohr hatte. Er zeigte mir die Depesche, die er hierüber an die im Ausland residirenden königlichen Agenten abgeschickt hatte. Sie fing mit den Worten an: „Gott hat einen neuen Beweis des sichtbaren Schutzes gegeben, den Er unserm geliebten Monarchen und Seiner heiligen Sache angedeihen läßt. Die schmerzenreiche Jungfrau, unsere siegreiche Generalissima, hat es zugelassen, daß der Maréchal de camp der königlichen Heere und Dienstkämmerer des Königs unsers Herrn, Graf von Negri, heute Nacht den Ebro passiren konnte“ etc. etc.

Als ich einige Zeit darauf in Paris den so hochverdienten als geistvollen Marquis de Labradór sah, einen der eminentesten Staatsmänner, die Spanien je aufzuweisen gehabt, – sprach er mir von dieser Depesche mit Achselzucken. Auf meine Frage, was er geantwortet, erwiederte mir der greise Diplomat, mit der ihm eigenthümlichen Ruhe, während seine klugen Augen funkelten: Ich habe dem Könige geschrieben: „Herr, ich bin ein alter Diener der Könige, Ihres Vaters und Ihres Bruders; habe daher das Recht, Ew. Majestät meine Meinung frei zu sagen: [372] Ich wünsche, daß Ew. Majestät Kammerherren, Capläne, Advocaten und Kammerdiener sich auf die Atribute ihrer Stellen beschränken mögen, und nicht die Advocaten das Kriegs-Portefeuille führen, noch die Kammerherren Heere befehligen möchten.“

Am nächsten Morgen ließ mich der König rufen und am selben Tage ward entschieden, daß ich mich in’s Ausland begeben würde. Nach drei Tagen gab mir der König seine letzten Befehle, worauf ich am 24. Nachmittags das Hoflager verließ, und auf kürzestem Wege abritt. Abends verloren sich meine Guiden, und ich kam spät Nachts auf grundlosen Steigen nach Bacaicua, wo ich mich im Hause des Pfarrers einquartirte. Am nächsten Morgen, es war das Fest von Mariä Verkündigung, hatte mein freundlicher Wirth die Gefälligkeit, seine Gemeinde durch Glockenklang um fünf Uhr Morgens zur Messe zu rufen, damit ich nicht am Abritt aufgehalten würde, worauf ich über Yturmendi nach Alzazua ritt, dort im Gasthofe, wo Lord Elliot mit Zumalacarregui zusammengekommen war, frühstückte, und Nachmittags meinen Zug bis Segura fortsetzte, wo ich in einem schönen und bequemen Hause einquartirt ward, [373] worin es ganz comfortabel aussah, englische Meubles in den Appartements, und ein freundlicher Garten mit Springbrunnen. Es war der sogenannte Pallast, den der König öfters bewohnte, und dessen Besitzerin, Doña Vicenta Lardizabal, eine hübsche junge Frau, uns Abends auf dem Clavier straußische Walzer vorspielte. Am folgenden Morgen ritt ich über Ormaistegui, wo mir das Geburthaus Zumalacarregui’s gezeigt ward, frühstückte in Villareal de Zumarraga, auf der Chaussee nach Vitoria, und kam Abends in Azcoitia an, wo ich den nächsten Tag bei meinen freundlichen Wirthen, der Familie des Marquis de Narros, zubrachte.

Drei Tage darauf war ich in Zugarramurdi, wo ich von meinen beiden Adjutanten, dem Capitain von Keltsch und Lieutenant von Swiderski Abschied nahm. Ich sollte keinen von ihnen in Spanien wiedersehen, und erst 11/2 Jahre darauf trafen wir uns in Paris, als Alles zu Ende war. Herr von Keltsch war nach brillanter Vertheidigung von Ramáles zum Oberstlieutenant avancirt und mit dem Ferdinandskreuz mit Lorbeerkranz decorirt worden. Herr von Swiderski hatte das Ferdinandskreuz für eine brillante Charge [374] bei Sesma im Dezember 1838 erhalten, in der er vor der Fronte seiner Escadron, den feindlichen Oberst vom Pferde stach und zwei Lanciers tödete. Später zum Capitain befördert, hat er Ende September 1839 mit seiner Truppe Spanien verlassen. Beide sind bis zum letzten Augenblicke ihren Eiden treu geblieben, und befinden sich gegenwärtig wieder in preußischen Militairdiensten.

Nachdem ich in Zugarramurdi mein Kriegscostüm gegen baskische Bauerntracht umgetauscht, verließ ich das Dorf mit Hauciartz, meinem Guiden beim ersten Eintritt in Spanien. Doch war er dießmal weniger glücklich, als dreizehn Monate früher. Auf eine Viertelstunde von Sare stießen wir auf ein paar streifende Douaniers, die uns einfingen und vor die Zollbeamten führten. Ich ward, unter scharfer Escorte, nach Ainhoa zum Polizei-Commissair geschickt, wo, nach aufgenommenem Protokoll, ich die Nacht unter Gewahrsam zubringen mußte. Am nächsten Morgen ward ich durch zwei Gensdarmen nach Bayonne transportirt. Ein großes Portefeuille mit Papieren, die ich nicht gern in Händen der französischen Regierung gesehen hätte, hatte ich, vor meinem Abgange von Zugarramurdi, [375] meinem Guiden übergeben, dessen Leute es auf anderem Wege in sein Haus nach Sare brachten. Als nun am andern Morgen zwei Gensdarmen zu Fuße mich nach Bayonne führen sollten, erbot sich Hauciartz, der zugleich Pferdehändler ist, sie beritten zu machen, was mit Dank angenommen ward. Unterwegs fiel mir eine voluminöse doppelte Packtasche (alforja) auf, die zu beiden Seiten des Pferdes des einen Gensdarmen herabhing; doch unterließ ich deßhalb zu fragen. Am Thor von Bayonne wurden ich und Hauciartz streng visitirt, die Gensdarmen ließ man frei. Man stelle sich mein Erstaunen vor, als in Bayonne angelangt es sich fand, daß der sorglose Gensdarme unwissend mein Portefeuille und meine Pistolen durch die Linie bis in den Gasthof geschmuggelt hatte, was beides confiscirt worden wäre. Im Hôtel dü Commerce, wo ich abstieg, ward ich von zwei andern Gensdarmen bewacht. Abends hatte ich eine Unterredung mit dem Sous-Präfecten Hénaut, worauf er mich gegen mein Ehrenwort, das Hôtel nicht zu verlassen, von meiner gezwungenen Umgebung befreite. Den Bemühungen unseres Commissärs in Bayonne, des Marquis de Lalande, gelang es, dieß auf die Stadt [376] auszudehnen. Unterdessen hatte der Sous-Präfect mit dem Telegraphen meine Arrestation an das Ministerium berichtet; nach zwei Tagen kam der Befehl, mir einen Paß nach Paris zu geben, und meine Reise bis Bordeaux zu beobachten. Am 6. bestieg ich die Malle-Post, ein Polizei-Agent nahm neben mir Platz, und verließ mich erst am Ufer der Garonne. Drei Tage darauf war ich in Paris.



  1. Die schmerzenreiche Jungfrau.
  2. Mit dem im Februar 1839 durch Maroto zu Estella fusillirten General Francisco Garcia nicht zu verwechseln.
  3. Es dürfte vielleicht nicht uninteressant sein, über diese unglückliche, wenig bekannte Expedition einige Details zu lesen.
    Graf Negri überschritt den Ebro am 15. März 1838, an der Spitze einer Division, die, wie erwähnt, aus neun neugebildeten castilischen Bataillons und 200 Pferden bestand. – Der alte Pfarrer Merino, kurz vorher zum General-Commandanten von Alt-Castilien ernannt, begleitete ihn mit 2 Escadrons. Als sie in die Umgegend von Burgos kamen, wollte Negri sich nach den Bergen von Libana wenden. Merino, der nach dreißigjähriger Kriegs-Erfahrung Alt-Castilien am besten kennen mußte, stellte ihm vergebens vor, es sei die größte Unvorsichtigkeit Truppen in diese Sierren zu führen, die nichts brächten (die Einwohner sind genöthigt, die nothdürftigsten Gegenstände des täglichen Lebens-Unterhaltes aus den castilischen Ebenen zu holen). Das rauhe Clima, das durch neun Monate anhält, würde in einem von allem Obdach entblößten Lande, bei beständigem Campiren, die Soldaten zu Grunde richten. Negri war von seiner Meinung nicht abzubringen, und nach langen Debatten trennte sich Merino von ihm und wandte sich mit seinen zwei Escadrons in die Richtung von Lerma und Arauda. – Negri setzte seinen Marsch fort und kam, vom feindlichen General Latre beständig verfolgt, in Libana an; Latre zwang ihn endlich zu stehen und schlug ihn am 2. März bei Bendejo. – Nachts nach dem Gefechte fiel eine so große Menge Schnee, daß am nächsten Morgen beide Colonnen in ihrer gestrigen Stellung verbleiben mußten. Ohne Rationen, ohne Obdach brachten die Carlisten diese Zeit auf eine schauderhafte Weise zu; die Verwundeten, noch durch Hunger und Kälte gepeinigt, jeder Hülfe entbehrend, wurden in einer Scheune (Invernal) bei la Cruz de Cabezuela aufgehäuft, wo eine große Anzahl zu Grunde ging. Es scheint unglaublich, daß es nur von Negri abgehangen hat, diesen Leiden seiner Truppen abzuhelfen, nachdem Don Antonio Roldán, Mitglied der in Alt-Castilien creirten, wandernden carlistischen Junta, am 22. wenige Stunden nach dem Gefechte Negri 12000 Rationen Brod, Wein und Fleisch anbot, die durch Vorsorge der Junta in dem nahen Pótes zusammen gebracht worden waren, und die Negri abschlug, weil er nicht nach Pótes gehen wollte. Auch blieb er wirklich in der Umgegend von Bendejo bis zum 24. Morgens; worauf er nach allerlei Märschen über die höchsten Sierren und das Thal von Poblaciones, durch den Paß von Piedras Luengas endlich nach der Sierra de Burgos gelangte, wo sich Merino befand.
    Dem alten Häuptlinge war es unterdessen gelungen zwei Bataillone auszuheben, auch hatte er begonnen Peña de Cásaro zu befestigen, einen Anhaltungspunkt seinen Operationen zu creiren und die Subsistenz seiner Truppen zu sichern. Die Ankunft des geschlagenen Negri verdroß daher Merino sehr, da sie nicht ermangeln konnte einen ungünstigen Eindruck bei dem Volke hervorzubringen. Den üblen Folgen zu steuern, beschloß Merino das Land militärisch zu occupiren; zu diesem Ende schlug er Negri vor, ihm zwei seiner Bataillons zu cediren um damit zu operiren, während seinen Recruten die nöthige Instruction und Organisation beigebracht würde. Dagegen versprach er ihm seine Kranken und Blessirten zu verpflegen, auch die seit dem Gefechte von Bendejo Debandirten und zerstreut umherirrenden Soldaten zu vereinen. – Diese Dispositionen waren für Negri selbst nicht unvortheilhaft, da er im Falle eines neuen Mißgeschickes bei Merino in den Sierren Hülfe und Schutz, oder doch wenigstens einen momentanen Anhaltspunkt finden konnte. Doch war Negri hiezu nicht zu bewegen, und nach einer sehr heftigen Discussion, in der Merino ihn einen Verräther nannte und ihm vorwarf, am Untergang der königlichen Sache in Castilien zu arbeiten, – trennten sich beide Generale. Negri zog gegen Segóvia, ermüdete beständig seine Truppen durch zwecklose Märsche, und gab dem Feinde Zeit ihn von Neuem zu verfolgen und einzuholen. In der Ebene von Campos bei Mayorga nochmals geschlagen, kehrte er wieder zu den Bergen von Libana zurück, beständig von Iriarte verfolgt. Hunger, Kälte, Ermüdung, Entbehrungen aller Art rieben fortwährend seine Soldaten auf. Espartéro, der nur diesen Moment abgewartet zu haben schien, um ohne Mühe dieses Corps zu schlagen, rückte nun Negri nach. Dieser unglückliche Mann, als habe er dem feindlichen Heerführer die Verfolgung erleichtern wollen, verlor noch 24 Stunden, indem er sich widersinniger Weise durch einen ganzen Tag damit aufhielt, mit einem Vierpfünder die fortifizirte Kirche von Aguila del Campo fruchtlos zu beschießen, deren dicke Mauern auch grobem Geschütze länger widerstanden hätten. Endlich hatte ihn Iriarte erreicht, und Negri zog sich über Hals und Kopf nach Fresno de Rodillas zurück, wo er nach einem ununterbrochenen Marsch von 16 spanischen Leguas ankam. Als nun Espartéro mit wenigen Escadrons sich zeigte, nahm er ohne Schwertstreich die Reste dieser schönen Division gefangen. Negri entwischte mit ein paar Generalstabs-Offizieren, dem (später mit Maroto übergegangenen) Cavallerie-Obersten Arrospide und einigen Reitern. Er soll über das Schicksal seiner Division sehr gleichgültig geblieben sein, aber den Verlust seiner vom Feinde genommenen Bagage bitter beweint haben, namentlich eine gestickte Generals-Schärpe, Geschenk des Königs.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Seite 376, Errata: „Seite 308. Zeile 11 v. o. beschwören soll heißen beschworen.“