Erinnerungen eines schleswig-holsteinischen Freiwilligen

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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: Erinnerungen eines schleswig-holsteinischen Freiwilligen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 616-622
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Erinnerungen eines schleswig-holsteinischen Freiwilligen.
1. Die Schlacht bei Idstedt.

Das große Gewitter von 1848 ging zu Ende, nachdem es zwei Jahre lang getobt. In Frankreich sann der Präsident der Republik, Louis Napoleon, bereits auf den „gesellschaftsrettenden“ Staatsstreich, in Italien war Friedhofsfrieden – Sardinien geschlagen, Neapel niedergeworfen, Sicilien bourbonisirt, Rom von Franzosen besetzt. Ungarn fühlte seine Besieger: Haynau, ohne Ahnung seines nahen Sturzes, hielt seine Blutgerichte. Auch in Deutschland ging’s zu Ende – die preußische Union war das letzte Nebelbild, das bald zerrinnen sollte; denn schon sprach Oesterreich wieder sein Wort, der Bundestag spukte wieder herum – und ein Manteuffel regierte in Preußen, in Kurhessen der Hassenpflug. Ueberall Gräber einst so stolzer Hoffnungen! Ueberall statt des Jubelgesangs der Freiheit dumpfes Hinbrüten, Thränen trauernder Familien, Seufzer in den vollgepfropften Kerkern!

[617] Es war noch nicht Alles! Das Einzige, woran die ganze deutsche Nation, im Norden, wie im Süden, wie an einer letzten Hoffnung hing, wie an dem letzten Anker der Ehre, wurde auch noch preisgegeben. Am 2. Juli 1850 schloß Preußen mit Dänemark Frieden, Schleswig-Holstein wurde sich selbst überlassen. Das war das Ende des großen Reichskrieges Deutschlands gegen dänischen Uebermuth, daß es nach Schlachten und nach Siegen, nach Opfern aller Art, elendiglich seine Soldaten zurückrief, ohne dem Recht zu Recht verholfen zu haben – mit den Siegesfahnen von Schleswig und Düppel floh es vor russischem Schnauzbartdrohen und englischem Geknurr, und eine Million deutscher Soldaten, Gewehr beim Fuß, sah dem Henkerspiel in Schleswig-Holstein zu, damit die Schande Deutschlands voll werde.

Ein Schrei des Unwillens und der Klage ging durch ganz Deutschland, als man von diesem Verrath der deutschen Ehre hörte. Das Volk fühlte, daß die Sache Schleswig-Holsteins seine eigene war. Deshalb auch diese Freude, als die provisorische Regierung von Schleswig-Holstein erklärte, sie werde den Freiheitskampf gegen Dänemark allein und mit eigenen Kräften fortführen; stand sie doch, die Regierung eines kleinen Landes, jetzt allein da als Wächter deutscher Ehre, für welche die gottesgnädiglichen „Paladine“ keine Hand mehr rühren wollten.[1] Deshalb diese Begeisterung weit und breit, der Sache da oben am nordischen Meer zu helfen, so viel man konnte, durch Wirken, durch Geld- und Effectensendungen, endlich mit der schwachen Kraft des eigenen Armes. Die ganze deutsche Nation stand mit ihren Wünschen und Sympathien hinter dem kleinen schleswig-holsteinischen Heer, hoffend daß das Glück es zum Siege führe.

Mitte Juli reiste ich nach den Herzogthümern. Auf der Eisenbahn hörte man nur über Schleswig-Holstein reden, und verschiedene Gerüchte über bereits errungene Siege der schleswig-holsteinischen Armee sprachen für die Empfindungen und die Erregung des Volks. Altona, die Schwester des nordischen Venedig, war wie ausgestorben; nur am Bahnhofe herrschte ein reges Leben. Jung und Alt drängte sich dort zusammen, um den von Rendsburg kommenden Zug zu erwarten, der Nachrichten von der Armee bringen mußte – hatte doch wohl Jeder einen lieben Verwandten, einen Freund, wenn nicht den Gatten oder den Sohn im Felde! Tags zuvor war von der Tann aus Baiern gekommen, um in die Armee einzutreten. Er war mit Jubel empfangen worden, und Alle versicherten, die Zuversicht der Armee und des ganzen Landes sei auf’s Höchste gestiegen, nun sie Tann bei sich wüßten. Ueber Willisen, der den Oberbefehl führte, brach kein rechtes Urtheil durch; über Bonin, welcher der eigentliche Schöpfer der schleswig-holsteinischen Armee war und ihr das vortreffliche Instructionsbuch verfaßt hatte, sprach man mit großer Anerkennung und bedauerte, daß der preußisch-dänische Friedensvertrag ihn nöthigte, jeder activen Mitwirkung während des bevorstehenden Krieges zu entsagen. In der Armee selbst fand ich später noch eine viel innigere Anhänglichkeit an den braven General.

In Kiel wimmelte es von Rekruten. Die Erbitterung gegen die Dänen, die ein paar Tage zuvor und im Angesicht einer russischen Flotte von acht Schiffen, die noch in Sicht war, die vor dem Hafen liegende Insel Fehmarn besetzt hatten, war außerordentlich, eine stille Wuth hatte sich aller Gemüther bemächtigt. Es that Einem wohl, dies und dann der Anblick der deutschen Fahnen und Farben, denen man überall begegnete. Stand doch diese Fahne, auf welche der reactionaire Wahnsinn bereits den Fluch geschleudert, jetzt nirgends an einem würdigeren Platze, als hier am Meeresstrand von Holstein.

Meine Absicht war, hier in Kiel meinen Eintritt in die Armee zu bewerkstelligen, und ich besaß dazu wirksame Empfehlungen. Man war damals gegen Freiwillige noch viel strenger, als nach der Idstedter Schlacht; ohne ordnungsmäßige Legitimation wurde Niemand, und dann nur Officiere und Unterofficiere angenommen.

Nichtgediente Leute von außerhalb fanden keine oder nur ausnahmsweise Berücksichtigung. Dank meinen Empfehlungen und der Vermittlung des Generallieutenants Baudissin, der eine der vier Brigaden commandirte, gestattete man mir den Eintritt in’s Heer und ließ mich auch, meinem Wunsche gemäß, in’s Cantonnement des achten Bataillons abreisen. Bei diesem stand ein Freund unserer Familie, der Premier-Lieutenant St. Paul; das achte Bataillon lag in der Gegend von Wedenspang bei Schleswig auf dem rechten Flügel der Armee im Felde. Denn bereits erwartete man in allernächster Zeit eine entscheidende Schlacht, und die Positionen waren bezogen. Das Hauptquartier war in Gottorf, unsere Vorposten streiften bereits bis Süderbrarup und Kleinboren, nur noch drei Viertelstunden von der langsam seit vierzehn Tagen sich nach Schleswig vorschiebenden dänischen Kette entfernt.

Der Weg von Kiel nach Schleswig über Eckernförde, den ich nehmen mußte, da Rendsburg vollständig gesperrt war, ist einer der schönsten im ganzen Lande, dessen wundervolle Reize und nordische Romantik ich noch näher kennen lernte, als unser Bataillon später hier vornehmlich cantonnirte. In Eckernförde lag die Gefion ganz aufgetakelt und bemannt. Am Horizonte sah man die blockirenden Fregatten. In der Stadt selbst lag noch preußisches Militär, das letzte wohl ziemlich, da die bisher in Schleswig gestandene preußische Armee nach dem Frieden das Land räumte. Einige Bataillone blieben in der Gegend von Friedrichstadt längere Zeit liegen – sie hörten noch den Kanonendonner von Idstedt!

In Schleswig war die äußerste Aufregung, denn man erwartete täglich die Schlacht. Noch war eigentlich kein Schuß auf der Linie gefallen, aber da Nachrichten gekommen waren, daß die Dänen bis Sieverstedt und dem Poppholz vorgerückt, so sah man auf jeden Fall binnen wenigen Stunden ihrem Angriff entgegen. In der That begannen auch vom andern Morgen an die mehr oder minder bedeutenden Vorpostengefechte, welche die Schlacht bei Idstedt einleiten sollten. Auch kam am nächsten Tage schon eine Proclamation Willisen’s aus dem Hauptquartier Falkenberg, welche zu dem erwarteten Kampfe „für deutsche Ehre und Schleswig-Holsteins altes gutes Recht“ anfeuerte.

In all dem Wirrwar, Tumult und allgemeinen Zustand höchster Aufregung und Spannung ward es mir schwer, über die momentane Stellung des achten Bataillons, dem ich zugewiesen war, Auskunft zu erhalten. Glücklicher Weise fand sich in Schleswig zufällig der Marketenderwagen des Bataillons ein, und mit diesem gelangte ich demnächst in’s Lager in der Gegend von Fährenstedt. Noch am selben Abend suchte und fand ich St. Paul, der mich auf’s Herzlichste empfing und alles Nöthige veranlaßte, daß ich seiner Compagnie zugetheilt wurde. Bereits am andern Morgen um fünf Uhr gab mir ein liebenswürdiger Unterofficier Unterricht im Gebrauch der Waffe, in den Griffen, Commandos, Märschen und sonstigen absoluten Erfordernissen. St. Paul und der Hauptmann wohnten am nächsten Tage diesen Exercitien bei und sie zeigten sich ganz befriedigt, sodaß der Eintritt in Reih’ und Glied bei den zu erwartenden Actionen mir gestattet wurde. Ich muß auch gestehen, daß ich niemals in bedeutendere Verlegenheiten gekommen [618] bin und jeder halbwegs einsichtige Mensch für den Felddienst ausnahmsweise wohl in ein paar Tagen fleißigen Beobachtens und Uebens verwendbar sein kann. Schon vier Wochen später habe ich selbst in den Büdelsdorfer Schanzen beim Ersatzbataillon die Freiwilligen und Rekruten unterrichtet und verstand auch, ihnen Alles klar und vorschriftsmäßig vorzumachen. Es ist dabei allerdings zu beachten, daß die schleswig-holsteinische Armee eine der bestgeschulten und innerlich ausgebildeten, tüchtigsten war, sodaß man schnell von selbst in ihre disciplinirte Ordnung sich einfügte.

Während Baudissin und von der Tann, letzterer als Generalquartiermeister, auf dem linken Flügel commandirten, der längs der Treene und deren zahlreichen Seeen stand, und Willisen selbst das bei Idstedt aufgestellte Centrum, war auf dem rechten Flügel, der sich vom Langensee bis auf die Flensburgcr Chaussee zog, der Generallieutnant von der Horst, einer der vorzüglichsten Officiere und ein paar Monate später an Willisen’s Stelle Oberbefehlshaber der schleswig-holsteinischen Armee. Das Terrain dieser ganzen Gegend ist außerordentlich coupirt, theils durch Seeen, theils durch Wassergräben, welche, ebenso wie die „Knicks“, die Dornbüsche oder Schlehdornhecken, gemeinhin die Wiesen und Weiden in Schleswig wie in Holstein umgrenzen. Bei der ungeheuren Hitze jener Tage waren die Moore, welche auch hier existirten, ziemlich ausgetrocknet, und um sie doch in etwas günstig für uns zu machen, waren sie an manchen Stellen durch Abstauung bewässert und schwer zugänglich gemacht worden.

Am 24. Juli früh Morgens vernahmen wir vom linken Flügel anhaltendes Gewehrfeuer. Es ward abgekocht und alsdann zum Marsch fertig gemacht. Unser Gepäck war gescheidter Weise auf Bagagewagen; die Mannschaften hatten nur ihren Mantel gerollt über die Schultern, die Patrontasche mit dreißig Patronen vor dem Leib, den Brodbeutel mit anderen dreißig Patronen und etwas Imbiß an der Seite neben dem Säbel. In brennender Sonnenhitze standen wir so auf der Wiese vor dem Dorfe bis gegen elf Uhr. Seit drei Stunden vernahm man bald weiter, bald näher Kleingewehrfeuer, fernab auch zuweilen Kanonendonner. Plötzlich näherte sich das Feuern, ein starker Kanonendonner tönte nun auch auf unserer Seite – wir warteten nur auf den Befehl, um uns in Marsch zu setzen. Athemlos und gespannt waren Alle, ein Jeder hing mehr oder minder den Gedanken über die nächste Stunde nach, nur St. Paul riß hin und wieder einen seiner grotesken Witze, der aber mehr gezwungen als natürlich belacht wurde. Es war jene feierliche Andacht, welche stets sich über die Truppen lagert, wenn sie den Moment des Kampfes erwarten. Was mich selbst betrifft, der ich zum ersten Mal in solcher Lage war, so fühlte ich mein Herz mächtig gegen die Brust schlagen, den ganzen Organismus und das Nervensystem auf’s Höchste erregt. Unverwandt blickten die Augen nach der Gegend, wo sich, etwa eine halbe Stunde entfernt, unsere Brüder schlugen, und nach dem sich mehrenden Feuer zu urtheilen, erbittert und in voller Entfaltung. Unser Major und die Hauptleute hielten zu Pferde auf der Chaussee, um schon von weitem zu sehen, wer von den Vorposten komme.

Endlich sprengten sie heran – die bereits geladene Waffe ward über die Schulter gelegt, das Herz schlug verdoppelt, der Athem ging kurz – dann vorwärts marsch! Und nun war’s aus, nun wallte das Blut wieder ruhiger, denn die Spannung war der Gewißheit gewichen.

Bald sahen wir einen Theil des Schlachtfeldes. Mit dem blendenden Sonnenglanz vermischt, wallte der weiße Pulverrauch vor uns in langer Linie, bald aufsteigend zum wolkenlosen Himmel, bald sich lang hinstreckend bis an ein Gehölz oder einen Hügel. Zwischendurch blitzten die Waffen, die spitzen preußischen Pickelhauben, deren Beschlag schwarz lackirt war, um dem Gegner nicht zum Ziele seiner Schüsse zu dienen, zeichneten sich deutlich über der dunklen Masse der Truppen ab, welche in regelloser Tirailleurkette vorrückten. Es tönten die Signale herüber – Adjutanten sprengten hinter der Kette und vor uns vorbei zu anderen Bataillonen, die wir als dunkle Massen seitwärts aufgestellt und bereits „schwärmen“ sahen. Wohl ein Dutzend Wagen fuhren unweit von uns vorüber; sie trugen Verwundete, die man oft deutlich hinter der Linie von den Bahrenträgern aufheben und nach einem tiefer gelegenen Grunde transportiren sah, wo der Verbandplatz war und die Wagen hielten, bis sie ihre schmerzliche Ladung in die Lazarethe abführten.

Als Soutien folgten wir in bestimmter Entfernung, ebenso wie die seitwärts von uns postirten Bataillone der Tirailleurlinie, die fortwährend in langsamem Vorrücken begriffen war. Der Feind hatte es unstreitig auf keine ernsthafte Unternehmung abgesehen und zog sich sichtlich auf der ganzen Linie mehr und mehr zurück. Die Hoffnung, daß wir bald in die Kette vorrücken und vielleicht an der energischen Verfolgung mit Theil nehmen würden, zeigte sich bald genug als vorschnell. Die Signale der ganzen Linie bliesen zum Rückzug, und wie sehr man es auch anfangs bezweifelte und mißmuthig begrüßte, es dauerte nicht lange, so machten wir Kehrt und marschirten stracks zurück, hinter uns die Tirailleurlinie, welche im Rückzuge noch feuerte, mehr und mehr jedoch darin nachließ. Das Gefecht war zu Ende. Der Kanonendonner hatte schon lange aufgehört, die Schüsse vereinzelten immer mehr, und zuletzt war die ganze Linie still – kaum, daß man in weiter Ferne noch den „Hannemann“, wie der Däne genannt wurde, sah. Die einzelnen Bataillone sammelten sich wieder und rückten nach den Replies ab, um nach der sauren Arbeit des Tages ihre Mahlzeit zu halten und auszuruhen bis zum andern Morgen. Denn daß am andern Tage die entscheidende Schlacht geschlagen werde, daran zweifelte wohl Keiner mehr in unserer Armee.

Wir bezogen die Feldwache, und ich kam zum ersten Mal auf Vorposten, die doppelt gestellt wurden, meist längs der Knicks entlang, die sich durch die Ebene zogen. Es war etwa acht Uhr Abends und die Sonne im Niedergehen, das Feld war leer und öde, die sanften Hügel störten den freien Blick. Was war natürlicher, als den ersten Eindruck, den ich vom eisernen Würfelspiel erhalten hatte, mir klar zu machen? Es mochte wohl Mancher todt noch auf dem Felde vor mir liegen, wenn nicht, so doch sein Herzblut, das er für die deutsche Sache vergossen. Die Sonne trocknete es auf, und morgen wird es verschwunden sein – das Gras wird wieder schwellen, wo ein braver Soldat zusammengebrochen! Und wie glücklich, gleich todt zu kein, statt ein Krüppel zu bleiben! Ich hatte gehört, daß viele der Verwundungen im Gesicht waren, da die Dänen oft ihren Mann auf’s Korn nehmen. Manchem war die Kinnlade zerschmettert – ich schauderte, wenn ich daran dachte, daß ein so gräßliches Geschick auch mich treffen könnte. O wie viel schöner der Tod! Was liegt überhaupt am Leben, wenn man jung ist und auf der ganzen weiten Welt Niemanden hat, dem der Tod Schaden brächte? Ist’s nicht ein beneidenswerthes Loos, das volle, frische Leben für eine gute Sache verloren zu haben? – welch eine schöne Sühne liegt darin! Heute roth, morgen todt – wer weiß, ob der nicht glücklicher war, den heute schon das tödtliche Blei getroffen? Er starb voller Hoffnung für seine Sache, und das war am Ende morgen nicht mehr der Fall.


[619] So ging die Schwermuth durch die Seele, und der Camerad auf Vorposten, ein hoher prächtiger Dithmarsche mit wundervollem Goldbart und blauen Augen, theilte sie. Wir blickten Beide auf den Abendhimmel, und Einer machte gleichzeitig den Andern auf dessen seltsame Erscheinung aufmerksam. Im Westen bis hoch hinauf zum Zenirh zogen sich blutrothe Wolkenstreifen, wie ich sie nie wieder gesehen, vielleicht, weil ich nie wieder von so mächtigen Empfindungen solcher Art durchrauscht wurde. Aber bei alledem war es eine eigenthümlich rothe Färbung der Gewölke, deren Blut immer dunkler wurde, jemehr die Abendsonne in ihrem goldenen Wagen den Horizont verließ. Endlich war die Sonne verschwunden, das lichte Gold im Westen verschwand hinter weißem, gesäumten Gewölk – die blutrothen Dünste waren wie durch Zauber mit einem Male in graue Massen verwandelt.

Es kam die Nacht. Ich saß auf der Feldwache und mit an dem Tische, neben dem ein mächtiger Kessel mit warmer Milch stand, welche uns vom nahegelegenen Herrenhause, zu dessen Gebäuden die Feldwache gehörte, geschickt worden war. Wir rauchten und plauderten. Ein Schleswiger hatte vom Ausfall bei Friedericia erzählt, wobei das achte Bataillon ungemein viel Leute verloren; St. Paul, der die Wache hatte, suchte durch Schnurren zu erheitern. Es war drei Uhr, und an mich kam wieder die Wacht. Bereits traten wir an, um die Vorposten abzulösen.

Plötzlich tönten durch die stille Nacht Schüsse, immer mehr und mehr, bis in Zeit von einigen Minuten ein vollständiges Feuern herrschte. Die ganze Kette war mit den attakirenden „Hannemännern“ in Gefecht gerathen. Sogleich ließ St. Paul das Feuerzeichen geben, die ganze Feldwache trat in’s Gewehr und rückte nach der Linie. Schon graute der Tag etwas, aber es regnete fein und Nebel lag auf den Wiesen. Die Schüsse hatten sich wieder vereinzelt, nur seitwärts, vielleicht eine halbe Stunde entfernt, war ein starkes Feuern zu vernehmen. Gleichwohl rückten wir in die Vorpostenkette, die als Tirailleurlinie vorsichtig vorwärts ging bis zum nächsten Knick. Bald rückten auch die Soutiens heran, und die Linie war in Ordnung. Von der Horst selbst mit seinem Stabe sprengte an der Kette hinunter, die augenblicklich unthätig war. Sobald es jedoch Tag war, gegen vier Uhr, setzte sich Alles in Bewegung; die vor uns stehenden Dänen eröffneten, als wir ihnen nahe genug waren, ein lebhaftes Tirailleurfeuer, welches von unserer Seite nicht minder nachdrücklich erwidert wurde. So war ich mit einem Male mitten im Kampf und ich empfand gar nichts dabei, lud mein Gewehr und feuerte, barg mich, wenn es ging, hinter einem Busch, einem Hügel oder was sich sonst vorfand. Ich sah unweit neben mir Cameraden verwundet oder todt zusammenbrechen, oft so schnell, als wenn sie der Schlag gerührt – nachdem ich es einige Male gesehen, sah ich es nicht mehr, und so geht es wohl fast jedem Soldaten – er denkt mitten im Feuer nur an sein Gewehr, nicht einmal an sich selbst, solange der Kampf keine Wandelung erfährt.

Das Gefecht hatte keine Viertelstunde gedauert, als es wieder erlahmte. Das Signal rief uns zurück, der Feind gegenüber, der im Nebel überdies kaum zu sehen gewesen, verschwand und stellte sein Feuern ein. Wir sammelten uns in Colonnen und warteten auf neuen Befehl. Links von uns, im Centrum, vernahm man eine mächtige Kanonade, auch am rechten Ende unsers Flügels währte ein sich steigernder Kampf fort. Als die Sonne auf einige Minuten auf das Feld strich, sahen wir uns zu unserem Erstaunen hinter einer Tirailleurlinie, welche von anderen Bataillonen gebildet worden war, und die langsam nach dem Centrum hinabstieg, ohne zu schießen. Auch wir folgten ihr endlich nach, mit uns wohl noch fünf bis sechs Bataillone, die sämmtlich in Colonne marschirten.

Die ursprünglich gebildete Linie war, das konnte man deutlich sehen, bereits eine schräge Phalanx geworden, deren rechter Flügel weit voraus bis zu einem von Buchenwald umgebenen Edelhof reichte. Dort schien auch ein ungemein heftiger Kampf zu sein, und heftiger Kanonendonner grollte herüber. Plötzlich bliesen die Signale zum Sammeln. Die Tirailleure vor uns stellten sich in Bataillonscolonnen auf – wir selbst hatten Halt gemacht. So standen mit einem Male auf dem zu übersehenden Felde an acht Bataillone echelonartig postirt; die kleinen, weißen, nur mit der römischen Zahl des betreffenden Bataillons gezierten Fähnlein flatterten im Morgenwinde. Die ganze Masse setzte sich alsdann in Bewegung, in zwei Abtheilungen nach einem vor uns liegenden Dorfe zu, welches, denke ich, Becklund hieß. Artilleriefeuer begrüßte uns; die vorderen Bataillone stürmten das Dorf – man hörte ganz deutlich den Schlag der Trommeln herüber. Artillerie jagte seitwärts an uns vorüber, dem Gefechte zu – und bald hörten wir auch ihr Feuern, erwidert von dem der Dänen. Auf der schmalen Fläche, die wir übersehen konnten, begann es sich mehr und mehr zu beleben – Ordonnanzen flogen dahin, der Stab sprengte gen Becklund, Wagen mit Verwundeten rollten vorüber. Endlich hörte das Artilleriefeuer auf, das Kleingewehrfeuer tönte schwächer herüber – die Dänen mußten geschlagen sein. Und so war es in der That; ein herbeisprengender Adjutant rief es uns mit freudestrahlendem Angesicht zu, indem er seinen Säbel lustig schwang. Ein wundervoll seliges Gefühl zog in eines Jeden Brust; blickte man in die Augen des Andern, so spiegelte sich der Blick im thränenfeuchten Freudenausdruck – es wogte ein Murmeln durch die Reihen, anschwellend bis zum Hurrah. „Vorwärts marsch!“ tönte das Commando. Wie lustig ging’s jetzt! Wie ganz anders marschirte sich’s, um vielleicht noch Theil zu nehmen an dem Siege, den unsere Brüder errungen! Den Verwundeten auf den uns begegnenden Wagen riefen wir Worte des Trostes und der Ermunterung zu – sie antworteten uns oft mit Hurrah und die Mütze über dem Kopfe schwenkend.

Abermals tönte jetzt das Signal zum Rückzug. Mißmuthig, betroffen, erstaunt sahen wir uns an, unsere Officiere stutzten. Was sollte das bedeuten? – retiriren mitten im Verfolgen des geschlagenen Feindes? Aber es war in Wirklichkeit so; wir sahen vor uns die im Kampf gewesenen Bataillone als Tirailleurkette langsam zurückgehen. Dieser Befehl mußte vom Oberfeldherru selbst ausgegangen und durch Vorfälle im Centrum hervorgerufen worden sein. Und so war es in der That. Während wir auf dem rechten Flügel den Feind vollständig geschlagen hatten, war der Kampf im Centrum minder glücklich gewesen, und dadurch wurde unser Sieg paralysirt. Bald zeigte sich auch, daß die Schlacht in ein anderes Stadium getreten war. Die am weitesten rechts postirten Bataillone gingen in schräger Linie nach uns hin zurück; wir selbst nebst dem siebenten Bataillon erhielten Ordre, nach Idstedt aufzubrechen.

Es mochte gegen zehn Uhr sein; die Sonne brannte glühend herab, der Staub hatte die Augen entzündet. Vertrauensvoll rückten wir ab, die Musik ließ den frischen Bataillonsmarsch ertönen, die kleine Fahne flatterte lustig voran. Wir vernahmen immer deutlicher ein furchtbares Artilleriefeuer. Nach einer Stunde etwa standen wir hinter den Schanzen bei Idstedt neben mehreren Bataillonen, welche kurz zuvor durch einen Machtangriff der Dänen aus Idstedt bis hierher zurückgedrängt worden waren. Sie begrüßten


[622] uns mit lauter Freude, als wären sie überzeugt, nun stark genug gegen die Danske zu sein.

Wir hatten uns kaum etwas von dem anstrengenden Marsch erholt, als zum Angriff formirt wurde. Unter Trommelmarsch rückten wir aus zum Sturm, neben uns noch acht bis zehn andere Bataillone. Hier spielte sich augenscheinlich das Stück im Großen, die Dimensionen des Angriffs ließen auf die des Kampfes schließen. Idstedt, seitwärts von uns, brannte bereits, die rothen, fluthenden Flammen, umhüllt von grauem Rauch, sah man deutlich durch den Sonnenglanz hindurchleuchten. Der Feind stand vor uns vollständig gerüstet; seine Artillerie schmetterte bereits in die Glieder der Bataillone – rechts und links, hüben und drüben sah man die Brüder stürzen. Aber es brauste ein Hurrah durch die Bataillone; die Trommeln schlugen den Sturmschritt, das Bajonnet wurde gefällt, die zweiten Glieder schickten furchtbare Salven in die dänischen Reihen – marsch, marsch! und nun drauf und ein mächtig brausendes, siegeskräftiges Hurrah! die Dänen zogen sich in Hast und fast aufgelöst zurück bis in ein Gehölz hinter Idstedt. Idstedt war unser, es hatte einen blutigen, aber kurzen Kampf gekostet. Seitwärts von uns hatte der treffliche Christiansen mit einer Shrapnellbatterie gestanden und mit den wohlgezielten Schüssen furchtbare Verheerungen in den dänischen Colonnen angerichtet.

Eine unbeschreiblich selige Viertelstunde folgte. Wir waren durch den Massenangriff von einzelnen Bataillonen durcheinander geworfen worden – Alles jubelte, Alles küßte sich die schwarzen, schweißigen Gesichter. Die Christiansen’sche Artillerie donnerte noch immer ihr Jubellied dazu; durch die Straßen des brennenden Dorfes Idstedt tönten die Signale zum Sammeln. Aber wo sammeln? Es wäre Unmöglichkeit gewesen, die einzelnen durcheinander geworfenen Bataillone hier wieder zu formiren. So gut es ging, rotteten die Officiere zusammen, was sich vom gleichen Bataillon vorfand, auch that ein Jeder das Seinige dazu, ohne daß jedoch irgend ein Resultat sich ergeben hätte. Nicht eine Compagnie der vielen in einander gelaufenen Bataillone kam zusammen. Nun hieß es: „Vorwärts! die Dänen attakiren!“ Schnell formirten sich willkürlich Colonnen vor dem Dorfe, wo man die Dänen bereits in dichter Tirailleurlinie anrücken sah. Ihre mitgeführte Artillerie warf wohlgezielte Granaten in unsere Massen, ihre Jäger überschütteten uns mit einem Hagel von Kugeln. Angesichts dieser furchtbaren Attake war Alles bei uns in mögliche Ordnung gekommen. Rotten- und Gliederfeuer riß die dänische Kette entzwei, die Shrapnellbatterie warf ihre vernichtenden Geschosse mit ungewöhnlicher Präcision in die dänischen Soutiens. Bei alledem rückten wir vor, unmerklich bis weit weg von Idstedt nach Langsee. Alle Erschöpfung durch die Märsche, durch die Strapazen Tags vorher und einen nun schon acht Stunden währenden Kampf war vorüber – ein Jeder fühlte, daß es sich jetzt um die Entscheidung des Tages handelte. Wir hatten neue Munition schon vorher gefaßt – wir konnten noch manchen Schuß aus dem heißen Rohre thun.

Die gewaltigen Angriffe der Dänen nöthigten uns indessen, zurückzugehen und in den Schanzen Posto zu fassen. Vor uns entwickelten sich immer neue Massen, die trotz des Artilleriefeuers von Christiansen, der im Idstedter Walde postirt war, zum Sturm auf die Schanzen in Colonne vorrückten. Eine namenlose Erbitterung herrschte in unsern Gliedern und es ward mit einer Wuth gefeuert, die unmöglich dem verständlich sein kann, der nie in einer ähnlichen Lage gewesen. St. Paul, der schon beim Sturm mit dem Säbel hineingehauen, ließ sich nicht abhalten, er sprang auf die Schanzenbrüstung und commandirte von dort aus mit hundert Millionen Kreuzdonnerwettern. Eine Spitzkugel riß ihm die Rose am Stiefel fort, er schimpfte sie in seiner burlesken Weise; aber in demselben Augenblick stieß er auch einen fulminanten Fluch aus und rutschte hinter die Erdbrüstung. Eine Kugel hatte ihn am Schenkel verwundet und er mußte nach dem Verbandplatz transportirt werden. Es war der vorletzte der bei uns noch anwesenden Officiere. Ein junger Secondelieutenant mußte jetzt der Führer einer Masse von tausend Leuten sein.

Dreimal hatten die Dänen bei uns schon vergeblich gestürmt und abermals rückten sie zum neuen Angriff auf die Schanzen vor. Wir waren fast ermattet von der blutigen Arbeit, aber das Vertrauen war noch lange nicht erschüttert. Was wir auf den anderen Punkten wahrnehmen konnten, feuerte uns mit an. Dort sahen wir ein paar Compagnien Dänen abgeschnitten und gefangen werden; weiter hinüber führten unsere Truppen ein paar Kanonen fort, die sie dem Feinde abgenommen. Ueberall noch standen die Bataillone, nirgends wichen sie vor dem gewaltigen Angriff der Dänen, die, in weit überlegener Zahl, immer mit frischen Truppen attakiren konnten, während bei uns jeder Mann seit zwei Stunden in diesem mörderischen Kampfe war. Jetzt rückten die dänischen Garden mit klingendem Spiel auf die Verschanzungen; es war ersichtlich, daß es die letzten Reserven der Dänen waren. Noch einmal standhaft, und die Kraft des Feindes mußte gebrochen sein.

In diesem Augenblick kam auch Oberst von Harrels mit zwei Bataillonen, um uns zu unterstützen. Die dänischen Garden nahten sich bereits auf Schußweite. Während sonst an dieser Stelle die Shrapnells unserer Batterie hineinzuschlagen pflegten und die Colonnen zerrissen, schwieg diesmal unsere Artillerie gänzlich – wir hörten mehrere Minuten lang keinen einzigen Kanonenschuß. So verließen wir uns denn auf das furchtbare Gliederfeuer, welches jetzt von beinahe drei Bataillonen auf die Sturmcolonne eröffnet wurde. Aber es hielt die Dänen keinen Augenblick auf – ehe wir es für möglich halten konnten, hatten sie die Schanze erstürmt, und im Innern derselben begann ein letzter, wüthender Kampf. Indessen nur wenige Minuten. Das Commando rief uns zurück, und in festen Gliedern rückwärts schreitend, mit einem knatternden Pelotonfeuer verließen wir die Schanze, ohne verfolgt zu werden. Draußen marschirten wir, indem ein Theil sich als Tirailleurkette auflöste, mit der Ordnung zurück, als kämen wir vom Exercirplatz.

Allgemein glaubten wir nun, daß wir wieder sammeln und von Neuem zu einem Massenangriff übergehen würden. Die ganze Linie wurde zurückcommandirt und führte den Rückzug aus, ohne daß die Dänen sie daran hinderten, ein Beweis, wie schwach sie sein mußten. Indessen schon nach einer halben Stunde erhielten wir die Gewißheit, daß die Schlacht abgebrochen worden sei, weil auch auf dem linken Flügel ein dänischer Angriff vorbereitet war, dem unsere erschöpften Truppen nicht gut mehr entgegenzustellen gewesen wären. Nun, es drückte uns Alle wohl nieder, dem Feinde den Rücken kehren zu müssen, aber das Bewußtsein hielt uns aufrecht, daß wir unsere Pflicht bis auf’s Höchste erfüllt und die Schlacht nicht verloren hatten. Sie war in der That immer siegreich gewesen, bis die Armee auf Befehl die Stellungen verlassen mußte. Schon am Abend hatten wir bei Schleswig eine Stellung genommen, die bewies, daß wir einen Angriff nicht scheuten aber die Dänen rückten uns so langsam nach, daß man sah, sie hatten genug an diesem neunstündigen Kampfe.

Es schlief sich fest und tief nach diesem Tage auf der Streu – waren wir doch noch vier Stunden vom Schlachtfelde zurück marschirt, freilich langsam und oft rastend, um in den Dörfern, die wir passirten, unseren Hunger zu stillen, denn wir hatten seit dem Tage zuvor nur etwas Brod essen können. Ach, die Bauern gaben uns in Hülle und Fülle, mit Thränen in den Augen, bangend um das Geschick, am nächsten Tage schon wieder dänisch sein zu müssen! Wir trösteten sie damit, daß diese Herrschaft nicht lange dauern werde – wir dachten Alle nicht, daß es anders werden könnte und daß wir, Dank der deutschen Diplomatie und der deutschen Erniedrigung, nie wieder diese deutsche Erde sehen sollten.

Schmidt-Weißenfels.




  1. Gegenüber der allgemeinen Entrüstung, welche die an einem Bruderstamme verübte Missethat in ganz Deutschland hervorgerufen, wagt es ein deutscher Schriftsteller, die schleswig-holsteinische Erhebung mit dem Schmutz elender Verdächtigung zu besudeln. Ungewitter, in seiner in Dresden erschienenen „Erdbeschreibung und Staatenkunde“, 3. Aufl., hat sich nicht geschämt, folgende Worte zu schreiben:
    „Die Thatsache, daß Holstein, ebenso wie Schleswig, zu den wohlhabendsten Ländern Europa’s gehört, spricht offenbar zu Gunsten der dänischen Regierung und deren Fürsorge für das Land. Denn unter einer tyrannischen Regierung möchte das holsteinische Volk vielleicht zu Bettlern geworden, würde aber jedenfalls nie zu gediegenem Wohlstand gelangt sein. Dem Volke selbst wäre es daher auch ebenso wenig, wie dem schleswigschen Volke, je in den Sinn gekommen, sich von Dänemark losreißen zu wollen, mit dem es ohnehin schon, vermöge der geographischen Lage, der Gleichheit der Nahrungszweige, der Schifffahrt etc. in einer natürlichen Verbindung steht. Allein seit der französischen Julirevolution von 1830 ward von der Umsturzpartei in Deutschland der Plan entworfen, Holstein und Schleswig, unter dem Vorwande des bevorstehenden Heimfalles an die dänische Seitenlinie (?), von Dänemark loszureißen, um jene Länder dann zu einem norddeutschen Centralpunkte der Revolution zu machen (!). Nachdem schleswig-holsteinische Advocaten und deren politische Freunde in diesem Sinne ihre Instructionen bekommen hatten, erhielten die in das Geheimniß eingeweihten deutschen Zeitungsschreiber die Weisung, die Losreißung der Herzogthümer von Dänemark und die Selbstständigkeit derselben als deutsche Bundesstaaten in das gehörige Licht und als lebhaften Wunsch der Schleswig-Holsteiner darzustellen. Es geschah; und dem deutschen Publicum, welches sich Schleswig und Holstein als seit Jahrhunderten mit Dänemark identificirt oder doch in genauer politischer Verbindung mit diesem Königreiche stehend gedacht hatte, ward das Verhältniß von der ganz entgegengesetzten Seite aus dargestellt und auf diese Weise nach und nach die Idee von der Nothwendigkeit einer Lostrennung beigebracht. Später wurden dem süddeutschen Publicum, welches über die holsteinische Butter und die schleswigschen Mastochsen hinaus im Ganzen wenig von Holstein und Schleswig wußte, unter der Maske von Liedertafeln Eingeweihte (?) zugesendet, um bei Gesang und Becherklang gleichzeitig im Interesse der projectirten schleswig-holsteinischen Revolution bei dem dortigen Publicum zu wirken und es für dieselbe zu begeistern zu suchen. Die revolutionairen (!) Wortführer in den deutschen sogenannten constitutionellen Kammern übernahmen die förmlichen Motionen zu Gunsten der Angelegenheit, andere Tonangeber aus der Kategorie eines Robert Blum und dergleichen betrieben die Sammlungen von Petitionen in diesem Sinne; Straß in Berlin dichtete oder verpoetisirte das später von allen herumziehenden Musikbanden und Leiermännern gespielte „Schleswig-Holstein meerumschlungen“, Dahlmann (!) in Bonn wirkte als Historiker thätig durch akademische und gelegentliche Vorlesungen und Schriften; bald ward es auch in höheren Regionen Mode (!), in diesen Ton mit einzustimmen und von Rechten des deutschen Bundes auf die Herzogthümer, von Rechten Holsteins und von deutscher Nationalität in Schleswig zu reden; in den Herzogthümern selbst ward das Volk durch tägliches Reden und Schreiben, durch Gerüchte, Verdächtigungen und Intriguen aller Art unablässig bearbeitet, um es gegen Dänemark einzunehmen und an den Gedanken zu gewöhnen, daß es durch eine Losreißung von diesem Königreiche ungemein gewinnen werde. Man darf sich also nicht wundern, wenn nach solchen, fast achtzehn Jahre hindurch fortgesetzten Bemühungen die Behauptung, Schleswig-Holstein müsse von Dänemark getrennt werden, in Deutschland zuletzt dermaßen an der Tagesordnung war, daß jeder, der ihr freimüthig widersprach, als ein in dänischem Solde stehender oder mit einem dänischen Orden geschmückter Dänenfreund verschrieen wurde und in den Herzogthümern selbst das Volk nach und nach an das Lostrennungsproject in dem Grade sich gewöhnt hatte, daß es sogar zur Ausführuug desselben mit Hand anlegte, wenngleich keineswegs durchgängig aus innerem Antriebe, sondern vielmehr meist den äußerem Umständen nachgebend (!). Nachdem Preußen schon vor den Märzereignissen 1848 Partei gegen Dänemark genommen hatte, war es dem deutschen Reichsparlament ein Leichtes, die Absendung deutscher Truppen zur Unterstützung der schleswig-holsteinischen Revolution (!) zu erwirken. Auch bildete sich ein besonderes Insurgentencorps (übrigens aus den buntscheckigsten Elementen zusammengesetzt), und den Preußen folgten der Reihe nach verschiedene andere deutsche Truppen. Nachdem am 22. April Schleswig besetzt, am 26. August 1848 aber ein längerer Waffenstillstand geschlossen worden war, fanden Gefechte statt am 5. April 1849 bei Eckernförde, am 13. April bei den Düppler Schanzen, am 7. Mai bei Veile und am 6. Juli bei Friedericia, worauf am 10. Juli zwischen Preußen und Dänemark ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde, dem am 2. Juli 1850 ein definitiver Friede zwischen diesen beiden Mächten folgte. Denn England und Rußland traten wider diesen ungerechten (!) Krieg gegen Dänemark entschieden auf und bewirkten, daß Preußen die Hand aus dem Spiele zog und die schleswig-holsteinische Revolution (!) sich selbst überließ. Die Dänen siegten (?) in einer entscheidenden Schlacht bei Idstedt über die schleswig-holsteinischen (d. h. großentheils aus Angeworbenen von den verschiedensten deutschen Ländern bestehenden) Truppen und schlugen am 4. October auch einen Angriff der letzteren auf Friedrichstadt mit starkem Verlust auf feindlicher Seite zurück. Mittlerweile hatten die seit dem 10. Mai 1850 in Frankfurt vertretenen deutschen Bundesstaaten beharrlich darauf gedrungen, daß Bundes-Executionstruppen abgeschickt würden, um dem heillosen (?!) Zustande der Dinge in Holstein und Lauenburg (denn Schleswig war bereits wieder im vollständigen Besitz Dänemarks) definitiv ein Ende zu machen. Preußen widersetzte sich zwar der Ausführung dieser Maßregel, und es wäre darüber beinahe zu einem Kriege zwischen ihm und Oesterreich gekommen, gab jedoch in Folge der in Olmütz eröffneten Conferenzen und der daselbst am 28. November 1850 abgeschlossenen Punktationen nach, und so rückte im Januar 1851 eine aus österreichischen Truppen bestehende Bundes-Executionsarmee in die genannten Herzogthümer ein, stellte die Autorität der rechtmäßigen Landesregierung wieder her und machte so dem tollen Treiben mit der Schleswig-Holstein-Manie (!) überhaupt ein Ende. Mittlerweile sind dieser Manie und dem ihr zum Grunde gelegenen Revolutionsplane (!) zu Gefallen Tausende von Menschenleben geopfert worden, und die pecuniairen Verluste, welche dadurch nicht nur den Herzogthümern, sondern auch den benachbarten deutschen Nord- und Ostseestädten direct und indirect verursacht worden sind, lassen sich jedenfalls auf mehr als hundert Millionen Thaler anschlagen. Das Volk, nunmehr wieder zur Besinnung gekommen und mit der Heilung der von seinen angeblichen Beglückern ihm geschlagenen tiefen Wunden beschäftigt, wird sich nach den gemachten Erfahrungen schwerlich je wieder bereit finden lassen, zur Ausführung eines Losreißungsprojects die Hand zu bieten.“
    Wir überlassen es unsern Lesern, mit welchem Ehrentitel sie den Verfasser belegen wollen.
    D. Red.