Erzherzog Stephan und der Kreishauptmann

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Autor: unbekannt
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Titel: Erzherzog Stephan und der Kreishauptmann
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 240
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Erzherzog Stephan in Böhmen
Blätter und Blüthen; weitere in der Gartenlaube über Erzherzog Stephan von Österreich erschienene Artikel sind:
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[240] Erzherzog Stephan und der Kreishauptmann. In den vierziger Jahren, zur Zeit da Erzherzog Stephan als Statthalter in Prag fungirte, lebte in einer Kreisstadt Böhmens ein Kreishauptmann (Kreisvorsteher), der nur wenig an seinen Beruf, destomehr aber an seine Bequemlichkeit dachte und diese allmählich so weit trieb, daß er nicht nur nie vor zwei Uhr Nachmittags im Amte erschien, sondern auch den strengen Befehl ergehen ließ, ihn unter keinem Vorwande in seiner Morgen- und Mittagsruhe zu stören. Eine Folge davon war, daß die in den entfernteren Gegenden des Kreises ansässigen Leute, welche die Schlichtung ihrer Angelegenheiten auf das Kreisamt rief, sich wegen des späten Erscheinens des Amtsvorstehers gewöhnlich in der unangenehmen Lage befanden, am nämlichen Tage nicht mehr in ihren Heimathsort rückkehren zu können, und so nebst der Zeitversäumniß auch noch ein mehr oder minder kostspieliges Nachtquartier der Laune des Kreishauptmanns als Opfer bringen zu müssen.

Als endlich Beschwerden darüber bis an das Ohr des Statthalters gelangten, beschloß dieser sogleich, sich selbst von der Grundhaltigkeit dieser Angaben Ueberzeugung zu schaffen. Frühmorgens, ohne daß ein Nichteingeweihter etwas davon gewahrte, wurden zwei seiner besten Pferde in einen unscheinbaren Wagen gespannt, und fort ging’s gegen die Kreisstadt, wo der Prinz gegen Abend anlangte, unerkannt in einem Gasthofe abstieg und sich daselbst beim Nachtmahl in das heitere Gespräch der Stammgäste mengte. Hier gab er vor, ein Prager Industrieller zu sein, am nächsten Morgen den Kreisvorsteher sprechen, jedoch frühzeitig wieder abreisen zu müssen, um Prag noch vor Nacht erreichen zu können.

Allgemeine Heiterkeit folgte auf diese in entschiedenem Tone ausgesprochene Willensäußerung, und dem sich erstaunt stellenden Prinzen wurde dieselbe damit erklärt, daß es leichter sei, den Mond mittels eines Luftballons, als eine Audienz beim Kreishauptmann vor zwei Uhr Nachmittags zu erreichen.

„Nun, wir werden sehen,“ entgegnete der vermeintliche Industrielle und brach von diesem Gegenstande ab.

Am nächsten Vormittage erschien er auf dem Kreisamte und begehrte den Amtsvorsteher zu sprechen, worauf ihm der Bescheid: „Kommen Sie nach zwei Uhr wieder,“ und über sein weiteres Dringen nur ein bedeutungsvolles Achselzucken der Beamten als Antwort zu Theil wurde.

„Versuchen wir einen anderen Weg,“ dachte sich der Prinz, wendete sich an den Amtsdiener und bat denselben, ihn beim Amtsvorsteher zu melden.

„Na, da bekäm’ ich einen schönen ‚Putzer‘,“ erwiderte dieser; „den will ich nicht riskiren.“

„Auch nicht für diese Fünf-Gulden-Note?“ bemerkte der Prinz, seine Brieftasche hervorziehend und die Note dem Amtsdiener in die Hand drückend.

„Ich will’s versuchen, aber Sie werden sehen, es wird nichts nützen,“ entgegnete der Letzter, verschwand sodann, erschien jedoch sogleich wieder mit der Antwort: „Meinen ‚Putzer‘ hab’ ich, aber ausgerichtet hab’ ich nix.“

„Nun, lieber Freund, so übergeben Sie diese Karte dem Herrn Kreishauptmann, wenn er um zwei Uhr im Bureau erscheint.“

Einige Minuten später befand sich der Erzherzog in seinem schnell dahin fliegenden Wagen auf der Rückreise nach Prag.

Wer schildert den Schrecken und Jammer des bisher so unbeugsamen Kreisoberhauptes, als ihm um zwei Uhr die Karte mit dem ihm wohlbekannten Namenszuge des Erzherzogs vom Amtsdiener überreicht wurde! Seine Entlassung mit all’ ihren grauenhaften Consequenzen, Schande, Spott, Armuth etc. trat ihm wie ein riesiges Gespenst vor die Seele. Der Prinz war fort; was nun thun? Noch ein letzter Hoffnungsschimmer blieb übrig, nämlich schleunigst nach Prag zu eilen und die Gnade des Prinzen zu erflehen.

Der nächste Postzug entführte auch richtig der Kreisstadt ihr weltliches Oberhaupt. In Prag zur Audienz sich meldend, wurde er auf den nächsten Tag beschieden, und als er zur bestimmten Stunde sich wieder einfand, hieß es: „Se. kaiserliche Hoheit haben heute keine Zeit, kommen Sie morgen.“ Und so ging’s fort, von einem Tag zum andern, eine volle Woche hindurch, bis er, der Verzweiflung bereits nahe stehend, endlich vom Erzherzog empfangen wurde. Stammelnd vor Bangigkeit, brachte er die Bitte vor, Se. Hoheit möge in Berücksichtigung seiner armen Familie statt der verdienten Entlassung wenigstens die Pensionirung mit der ohnedies karg bemessenen Gebühr in Gnaden über ihn verhängen.

„Für diesmal,“ antwortete ihm der Prinz gutmüthig, „lassen wir es beim bloßen Schrecken bewenden, aber hüten Sie sich ein zweites Mal Anlaß zu einer Klage zu geben.“

Mit frohem Herzen kehrte der Kreishauptmann in seine Heimath zurück. Ob diese herbe Lection ihre Wirkung verfehlt hat, ist weiter nicht bekannt geworden.