Zum Inhalt springen

Erziehung der Kinder zum Gehorsam

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Dr. Schildbach
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Erziehung der Kinder zum Gehorsam
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 167–168
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[167] Erziehung der Kinder zum Gehorsam. Zu einer Zeit, wie die unsere, in welcher so viele Klagen über die Verwilderung des heranwachsenden Geschlechts laut werden, erscheint es mir wohl geeignet, einen Wink der Erfahrung über die Erziehung der Kinder in den ersten Lebensjahren, und namentlich über die Erziehung zum Gehorsam, an die Mütter gelangen zu lassen. Es ist nirgends gefährlicher, als in der Kinderstube, erst aus eigener Erfahrung klug werden zu wollen.

Seit 29 Jahren habe ich eigene Kinder, und das jüngste derselben ist im November 1882 fünf Jahre alt geworden. Habe ich schon dadurch reiche Gelegenheit gehabt, Erfahrungen über die Erziehung in mannigfacher Weise zu sammeln, so ist dieselbe noch wesentlich vermehrt worden durch meine Stellung als Leiter der orthopädischen Heilanstalt zu Leipzig, in deren Pensionat ich immer Kinder jeden Alters überwache und dadurch Anlaß habe, die Erziehungsresultate anderer Methoden kennen zu lernen. Somit glaube ich einigen Beruf zu haben, über Erziehung mitzureden.

Der größte Segen für das Kind ist ein heiteres Gemüth der Mutter, und wenn es ihr nicht gegeben ist, so möge sie streben, es sich anzueignen. Die Kinder sind ursprünglich für Heiterkeit und Humor besonders begabt, und wenn diese beglückendsten und liebenswürdigsten Gaben sich in ihnen nicht entwickeln, so liegt es nur allzu oft an der Mutter.

Vor allen Dingen darf schlechte Laune oder Verdrießlichkeit niemals an den Kindern ausgelassen werden, auch wenn sie selbst an derselben schuld sind. In diesem Falle mag man mit Strafen so lange warten, bis die Gemüthsstimmung wieder im Gleichgewicht ist. Jeder wird mir darin beistimmen; es hat aber nicht Jeder die Macht, sich zu beherrschen. Hier hat man Veranlassung, an sich selbst zu bessern, wie ja überhaupt richtige Kindererziehung immer auch einige Selbsterziehung im Gefolge hat.

[168] Die schwerste Aufsgabe für die Kinder ist aber am häufigsten der Gehorsam. In der Jugend ist man Augenblicksmensch: Rücksichten, Voraussicht, Berechnung existiren für uns in diesem Lebensalter nicht. Wenn die Kinder sich etwas vorgesetzt haben, so denken sie eben nur daran, und wenn ihnen die Ausführung ihres Vorhabens verboten wird, so empfinden sie nur das Störende in dem Verbote, welches ihrer Absicht zuwiderläuft. Einsicht und Selbstbeherrschung, welche erforderlich wären, um sie zur Aenderung ihres Planes zu bewegen, sind in diesem Alter nicht vorhanden: so ist gar kein Grund für sie zum Gehorsam da, wenn nicht äußerer Zwang oder wenigstens die Voraussicht eines solchen hizutritt. Hier ist es, wo die Heiterkeit der Mutter einzutreten hat, um den Kindern über das Unangenehme der Folgsamkeit hinwegzuhelfen. Wenn die Gedanken des Kindes von dem Vorgefaßten geschickt abgezogen und in eine neue Richtung gelenkt werden, so kommt das Unangenehme des Gehorsams ihm viel weniger zum Bewutßtsein.

Das Kind muß Gehorsam lernen. Die erste Bedingung dazu ist, daß man möglichst wenig von ihm verlangt, die zweite, daß man das Verlangte allemal durchsetzt. Wenn man zu dem Kinde fortwährend in befehlendem Tone spricht, so verdirbt man ihm die Lust zum Gehorsam, oft auch die Möglichkeit desselben. Daraus folgt dann wieder ein unaufhörliches Zanken; dadurch werden beide Theile mürrisch und verdrossen, das Kind mit der Zeit gleichgültig, schließlich störrisch. Man überlege es sich vorher, ehe man vom Kinde etwas verlangt! Dann erwäge man, ob man Gefälligkeiten beanspruchen oder dem Kinde einen Rath geben oder ihm etwas befehlen wolle! Nur im letzteren Falle ist Gehorsam zu verlangen, aber auch unter allen Umständen durchzusetzen. Bei kleineren Kindern ist ein gutes Mittel dazu das langsame Zählen: 1, 2, 3; sie werden dadurch aufmerksam und setzen voraus, daß nach 3 nöthigenfalls etwas eintreten wird, was für sie unangenehm ist. Das muß aber auch unbedingt geschehen und als letztes Mittel körperliche Strafe angewandt werden.

Wenn die Kinder wissen, daß man sich vor solcher nicht scheut, so wird man sie fast nie brauchen. Ich selbst habe sie seit Jahren kaum anzuwenden gehabt, während meine Frau zuweilen zu ihr greifen muß; eine Strafe, von ihr ertheilt, hat aber einen andern Charakter als die durch mich verhängte: sie ist milder.

Viel besser ist es, die Strafe als eine Folge der sträflichen Handlung eintreten zu lassen. Wer sein Bier aus Unachtsamkeit umschüttet, bekommt kein anderes; wer seine Schularbeit nicht rechtzeitig anfertigt, der muß sie zu einer Zeit machen, wo ihm dadurch ein Vergnügen entzogen wird; wer mit dem Anziehen zögert, muß allein zur Schule gehen, während er sonst in Gesellschaft gehen konnte u. dergl. m. Freilich hat man zuweilen nachzudenken, um eine in diesem Sinne sich gewissermaßen selbst ergebende Strafe aufzufinden, meist aber wird es nicht unmöglich sein.

Häufig genügt es, seine Ueberraschung, seine hohe Verwunderung auszusprechen, daß ein sonst folgsames Kind in dieser Weise den Gehorsam außer Acht gelassen oder die gute Sitte vernachlässigt oder Jemandem Nachtheil zugefügt oder sonstwie eine Strafe verdient habe, um es zum Nachdenken zu bringen und zu besserer Ausführung zu bewegen.

Es ist mir zweifelhaft, ob man nach einer Strafe auch allemal auf der Bitte um Vergebung und auf dem Versprechen künftiger Besserung bestehen soll – zweifelhaft deswegen, weil man, wie ich fürchte, dadurch das Kind leicht zu einer Art Scheinheiligkeit verleitet. Wenn ein Kind in allen Fällen dazu genöthigt wird, so wird es schließlich die Worte sprechen, ohne an deren Sinn zu denken, also ohne wirklich gute Vorsätze zu fassen. Nur Fremden gegenüber bestehe ich gern auf der Abbitte, weil in der Demüthigung, als welche das Kind gewöhnlich solche Bitte empfindet, die natürliche Folge des Vergehens liegt. Mir selbst gegenüber halte ich das Bewußtsein für wichtiger, daß auf eine Wiederholung des Vergehens eine gleiche oder härtere Strafe unfehlbar folgen wird.

Ganz verfehlt erscheinen mir dagegen die Versuche, das Kind durch Versprechungen zum Gehorsam zu bewegen. Dadurch wird es systematisch zur Werkheiligkeit erzogen; auf diese Weise wird es gewöhnt, nur das zu thun, wodurch ihm ein Vorteil erwächst. Und das ist noch der günstigere Fall, der dann eintritt, wenn das Versprochene hinterher auch wirklich zur That wurde. Noch schlimmer werden die Folgen dieser Erziehungsweise, wenn die Eltern sich des gegebenen Versprechens gar nicht mehr zu erinnern scheinen. Dann verliert das Kind das Vertrauen zu den Eltern und denkt nicht daran, sich durch solche Vorspiegelungen zum Gehorsam verlocken zu lassen. Dem Kinde muß die Folgsamkeit einfach als eine selbstverständliche Pflicht erscheinen.

Eltern, welche diese wenigen Regeln befolgen, werden ihre Kinder ohne große Mühe zum Gehorsam erziehen und sie in inniger Liebe an sich binden. Dr. Schildbach.