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Etwas zum Nachdenken/II. Sendung

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Textdaten
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Titel: Etwas zum Nachdenken von einem Menschenfreund. II. Sendung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 52-53
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[52]

Etwas zum Nachdenken

von
einem Menschenfreund.
II. Sendung.

Der Fragsteller in Nr. 3. der Gartenlaube wird nun zum Beantworter, und da möcht er nun, - nach seinem schlichten Menschenverstand und darnach, wie er die Menschen nah und fern beobachtet hat - die dort gestellten Fragen also beantworten:

1. Frage: Was thun wir gewöhnlich mit dem, was wir nicht verstehen? Und warum?

Antwort: Wir verachten es oder bewundern es. – Und warum? Die liebe Eitelkeit und der Hochmuth bringen uns dazu. Aus Eitelkeit oder Hochmuth wollen nur uns nicht eingestehen, daß wir etwas nicht verstehen könnten und so nennen wir es lieber dumm oder schlecht, anstatt entweder einfach zu sagen: das geht über meinen Verstand, oder uns recht eifrig zu bemühen, es richtig zu erkennen. – Oder aus Eitelkeit und Hochmuth machen wir uns weiß, daß wir es verständen, damit die Andern, die es verstehen, uns nicht für ungebildet halten sollen; oder wir glauben wirklich: das müsse jedenfalls bewundernswerth sein, was unserm Verstande, – den wir meist für größer halten, als er es wirklich ist – nicht begreiflich sei.

Dieser Fehler in uns ist scheinbar sehr klein und doch in seiner Wirkung auf uns und auf die Bildung überhaupt sehr groß; namentlich führt er im sogenannten Volke dahin: daß es sich so oft hier hartnäckig gegen neue, große und schöne Lehren und Erfindungen sträubt, sich dort von Dingen blenden läßt, die eigentlich der Bewunderung gar nicht werth sind. Daraus könnte ich nun noch manche andere schädliche Folgen herleiten, doch sei das Jedem selbst überlassen: sie liegen nahe genug für Jeden, der mit gesunden Augen sehen will. –


2. Frage: Gegen wen sind wir oft am dankbarsten? Und warum?

Antwort: Gegen denjenigen, der uns in einer Ansicht bestärkt, die wir für unrecht halten aber doch gerne ausführen möchten.

Und warum? Er beruhigt oder vermindert wenigstens uns die Gewissensbisse, die wir bei einer bösen Absicht empfinden und das gilt uns oft weit mehr als Wohlthaten oder Güte, die man uns erweist. Er befördert aber auch unsren Vortheil, den wir durch Ausführung der bösen Absicht erreichen wollen, und haben wir sie ausgeführt, so ist er uns, wenn wir ihn auch verachten, doch lieb als der Sündenbock, dem wir einen großen Theil des gethanen Unrechts aufbürden können. – Im Ganzen darf man auch wohl annehmen: wir nehmen eher bösen Rath an als guten.


3. Frage: Warum loben wir oft so gern einen Menschen oder eine gute Handlung?

Antwort: Um rechtschaffen wieder gelobt zu werden, oder um zu zeigen: wie wenig neidisch, wie anerkennend wir seien und wie wir das Gute lieb hätten. Wir werfen da oft, wie man zu sagen pflegt, „mit der Wurst nach der Speckseite.“ Es lege hier ein Jeder still die Hand auf’s Herz und frage sich einmal recht ehrlich; ob er stets nur aus innerstem Herzensdrange einen Menschen oder eine gute Handlung gelobt habe. –


4. Frage: Warum sind wir oft rauh und streng gegen Jemand, den wir eigentlich hoch schätzen?

Antwort: Aus Eitelkeit und Hochmuth. Diese beiden Fehler sind, nach der Eigenliebe und Selbstsucht, die allerstärksten und zugleich die allergefährlichsten, weil oft am tiefsten in uns verborgen und in allen möglichen Verkleidungen uns zum besten habend. Es verletzt unsere Eitelkeit und unsern Hochmuth, Jemanden höher schätzen zu müssen als uns selbst, wenigstens gute Eigenschaften an ihm zu loben, die wir selbst nicht besitzen. Nun suchen und suchen wir, um doch irgend Etwas gegen ihn zu finden, und je weniger wir finden, desto mehr glauben wir zu finden oder desto fester halten wir uns an ein wirklich Gefundenes und lassen dann daran unsern Aerger aus. Wir brauchen uns in der Geschichte neuerer Zeit nur umzuschauen, um dafür hinlängliche Beweise zu finden: die Wuth gewisser Herren und Zeitungen gegen tüchtige Männer der Zeit, – sie hat oft allein darin ihren Grund; aber wir können es auch täglich bei uns selbst wahrnehmen. –


5. Frage. Warum loben wir meist so gern und so leicht die Todten?

Antwort. Eben weil sie todt sind. Weil also ihre Verdienste den unsrigen nicht mehr schaden können: weil sie unsere Absichten, unser Wirken nicht mehr kreuzen.


6. Frage. Was wird wohl am häufigsten mit der sogenannten Humanität oder Duldung verwechselt?

Antwort. Die Trägheit und Nachlässigkeit. – Aus wirklicher tiefster Ueberzeugung Duldung auszuüben, auch dann, wenn wir selbst darunter leiden, wenn wir ihr Opfer bringen müssen, wenn wir damit verlacht oder verhöhnt werden: das ist eine große, seltene Tugend. Wir begnügen uns dafür meist mit dem trüglichen Spruch: „Meinethalben [53] kann Einer denken, was er will,“ – und glauben nun damit human zu sein. Das ist nun der Fehler, der auch wieder einen andern großen Fehler herbeizieht: die Trägheit in Ueberzeugungen: die feste Entschlossenheit gegenüber einem einmal erkannten Rechten. Wer nicht die wahre Humanität hat, der hat auch keine festen, unerschütterlichen Principien; wer aus Trägheit duldsam ist, der wird aus Trägheit auch unentschlossen sein.


7. Frage. Was ist oft der wahre Grund zu einer muthigen That?

Antwort. Die Furcht! Es giebt viele Menschen. die gar keine Kurage haben, gar keine Thatkraft, und im Augenblicke höchster Gefahr nur aus Feigheit sich emporraffen und die Gefahr besiegen, der sie nicht mehr entlaufen können. – Viele gewonnene Schlachten sind durch solche Feigheit gewonnen.


8. Frage. Wer erscheint in einer Gesellschaft oft am geistreichsten?

Antwort: Wer den Andern am aufmerksamsten zuhört. Ach, wir hören uns ja so gerne selbst reden; wir sind so glücklich, wenn Einer uns recht aufmerksam zuhört, und wer uns nun dieses Glück verschafft, den halten wir dann aus Dankbarkeit für gescheidter und geistreicher, als er es vielleicht ist.


9. Frage: Wem bieten wir oft am liebsten unsere Wohlthaten an?

Antwort: Demjenigen, von dem wir überzeugt sind, daß er sie nicht braucht und den wahren Grund unseres Anerbietens nicht kennt. –


10. Frage: Warum fühlen wir es so rasch, wenn ein Anderer uns langweilt, und so spät, wenn wir einen Andern langweilen?

Antwort: Weil wir glauben, daß wir eigentlich Niemand langweilen können und jeden Andern für langweiliger halten als uns selbst.