Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Passionskapitel 09

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9. Petri Verleugnung.
Matth. 26, 69–75.
 ALs der HErr nach dem Abendmahle über den Kidron gieng und Seinen Jüngern ansagte, daß sie sich in der kommenden Nacht alle an Ihm ärgern, d. i. an Seinem Ergehen eine Ursache des Zweifels und Unglaubens an Sein Werk nehmen würden, trotz dem, daß Er ihnen voraus Seinen endlichen Sieg, Seine Auferstehung verkündet hätte; da war es Petrus, der für seinen Theil davon nichts wißen wollte, vielmehr sich vermaß, mit JEsu ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Die Geschichte der Fußwaschung, das Osterlammseßen, das heil. Abendmahl, die feierlichen Abschiedsreden des HErrn hatten den Mann voll Redlichkeit und Einfalt, dieß reine Gegentheil des Verräthers, so mit Gnade und Kraft erfüllt, daß er mit seinem HErrn JEsu alles wagen zu können glaubte. Er wog zu wenig das Wort JEsu: „der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten, wie den Weizen;“ er wußte nicht, daß er es in dieser Nacht nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, mit den bösen Geistern unter dem Himmel zu thun haben würde; er wußte es nicht, daß in dieser Nacht Himmel und Hölle in Bewegung sein, daß der HErr und die Seinigen und Sein Werk der Gegenstand ihres heißesten Kampfes sein würden. Bald aber sollte ers inne werden. Der schwere Schlaf, welcher in Gethsemane über die Jünger fiel, war an und für sich ein grauenvoller Schlaf, hinderte die Jünger, den Kampf ihres HErrn, wie sie sollten, mit durchzumachen, und verursachte, daß sie nicht wachen und beten und sich dadurch gegen die nun über sie hereinbrechende Anfechtung und Macht der Finsternis rüsten konnten. Als nun Christus gefangen genommen wurde, da erwachte zwar der Geist Petri, allein weil ihm Wachen und Beten gefehlt hatte, fand er nun die rechten Waffen nicht, sondern er gerieth auf den Gebrauch fleischlicher Waffen, von denen unter diesen Umständen nicht bloß kein Erfolg zu hoffen war, sondern die ihm und seinem HErrn die Lage nur erschweren und in diesem Kampfe gar keine Statt haben konnten. Mit dem Versuch, seinem HErrn beizustehen, war es also nichts gewesen; der HErr Selbst heilte den von Petri angerichteten Schaden, tadelte den Jünger öffentlich und überwies ihn vor der gesammten Schaar Seiner Feinde, daß er noch immer, wie auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem, nicht was göttlich ist, sondern was menschlich war, meinte, Seinen Unterricht nicht gefaßt und die Notwendigkeit des Leidens JEsu nicht erkannt hatte. Petrus war seinem HErrn unnütz; allein gieng JEsus Seinen Leidensweg, allein ließ Er nun aber auch die Jünger, die nun nichts konnten, als sich zerstreuen. Die Jünger mußten gehen. JEsus wollte es Selbst, Sein allmächtig schützendes Wort war ihr Schild und sie waren nun in dem lang vorgesehenen Falle, daß der Bräutigam von ihnen genommen wurde. Sie sollten gehen, aber nicht, wie sies thaten; gehen sollten sie, im Gehorsam JEsu; sie aber flohen − Furcht, Schrecken, Verwirrung war über sie gekommen; nicht eine ehrenvoll entlaßene, sondern eine flüchtige Schaar waren sie − und dicht in die Schlingen des Aergernisses| waren sie gerathen. Ausgenommen in einem gewissen Maße war vielleicht Johannes, den wir dem HErrn in heiliger Treue überall hin, auch unter Sein Kreuz folgen sehen und an deßen beständiger, lauterer Liebe der HErr auch am Kreuze nicht zweifelte. Petrus aber, eingedenk seiner Versprechungen, von Liebe gezogen, und doch immer noch eigenen Kräften trauend, gieng mit Johannes zu Hannas, von Hannas zu Caiphas, folgte also dem HErrn − aber nicht wie Johannes, als Jünger, als erkannter Jünger (denn die Hohenpriester und ihre Dienerschaft kannten Johannem, so kannten sie ihn auch als Jünger), sondern in Furcht und wie heimlich. Die Tapferkeit im Garten war dahin, war in Furcht auch vor den Menschen umgewandelt, alle Zuversichtlichkeit des Charakters Petri war in Verwirrung, in unbesonnenes, unmännliches Wesen verkehrt. Als er auf dem Wege von Galiläa nach Jerusalem den HErrn abhalten wollte, die Reise fortzusetzen, predigte der HErr von der Nothwendigkeit, nicht bloß, daß Er Selbst Sein Kreuz trüge, sondern auch, daß Ihm Seine Jünger unter dem Kreuze folgten und daß sich keiner, der von Ihm dermaleins vor dem Vater bekannt werden wollte, des Kreuzes und des gekreuzigten Heilands schämen dürfte, daß man im Bekenntnis Seines Namens auch den Tod nicht scheuen müßte. Wie ganz auf die gegenwärtige, anfechtungs- und versuchungsvolle Lage Petri war das geredet. Aber es war auch alles vergeßen, wie denn der Teufel in Anfechtungen alles Gedächtnis derjenigen Reden und Sprüche JEsu zu nehmen pflegt, die hilfreich sein könnten. Petrus ist voll Furcht und Verwirrung. Die Thürhüterin hatte Petrum auf Fürsprache des offenkundigen Jüngers Johannes eingelaßen, was Wunder, wenn sie ihn auch für einen Jünger hielt und hernach, da er im Hofe stand, darum anredete? Aber Petrus hatte weder Licht noch Muth zu bekennen. Verleugnend gieng er vom Hofe weg dem Thore zu. Abermals redete ihn eine Thürsteherin an. Mit einem Eide verleugnete er Den, der nicht ferne von ihm mit einem Eide ein gut Bekenntnis Seiner messianischen und Gotteswürde vor dem blutgierigen Haufen that. Nach einer Weile, ungefähr einer Stunde, da er sich mit den Häschern im Hofe Caiphä an einem Feuer wärmte, wurde er von mehreren, namentlich von einem Verwandten Malchi, erkannt und angeredet, aus seiner Sprache, welche man ja bei dem Schwören und Verleugnen gehört hatte, der Beweis der Jüngerschaft geführt. Aber er war nun einmal in den Waßern der Sünde und watete zu; fluchend und schwörend verleugnet er seinen HErrn. Hier hatte die Anfechtung die höchste Stufe erreicht und zugleich die Sünde. Der Hahn krähte − und das Auge des HErrn, der mitten in Seinem eigenen Leiden den Jünger nicht vergaß, kehrte sich zu ihm, fand ihn und predigte ihm ohne Worte die Wahrhaftigkeit aller Seiner Reden. Da schwand der Nebel in Petri Seele, er sah, wohin es mit ihm gekommen war, − sah, daß er gefällt war. Er gieng hinaus und weinte bitterlich − über sich selbst, seine Vermeßenheit und seine Sünde.

 Vergleichen wir den HErrn und Petrus. Unverglichen wollen wir jedoch die Größe der Versuchungen laßen, welche beide betrafen; es ist kein Vergleich zwischen beiden. Aber das Benehmen beider laßt uns ins Auge faßen. Der HErr hat lange vorher eine Angst vor Seiner Stunde gehabt, welche immer größer wurde, je näher die Stunde kam, und welche im Garten sich zum Todeskampfe und blutigen Schweiße steigerte. Dagegen als nun die Häscher kamen, die Stunde da war: welche Majestät und Ruhe war über Ihn ergoßen; man kann und darf von Tapferkeit nicht reden, so überlegen über alle Seine Feinde, so gefaßt und siegend steht Er vor uns. Ganz anders Petrus. Vor der Gefahr war er voll Muth, im Anlauf war er mächtig und stark, − aber in der Gefahr, im Kampfe fällt er dahin. JEsus kennt Seinen Weg, fürchtet ihn, aber Er geht ihn − und wie! Petrus kennt seinen Weg nicht und sich nicht, sondern geht in seine Anfechtung, um einen Ausdruck der älteren Zeiten zu gebrauchen, „thumkühn“ und unbesonnen − und so fällt er dahin, wie Gras, vom heißen Wind des Morgenlandes getroffen. Wie Petrus fällt Alles, − was nicht mit JEsu und nach Seinem Worte geht. Er steht allein − und wohl Johanni und allen denen, die auf Ihn trauen und in Ihm Beständigkeit des Guten finden. Auf eigenen Füßen steht kein rechter Held.

 Uebrigens wenn wir an Petro den Fall, die Sünde der Verleugnung zu tadeln haben; so dürfen wir uns zwar aus seinem Beispiel eine Warnung nehmen, aber wir müßen auch im Gedächtnis behalten, was man gewöhnlich vergißt, daß Kräfte und| Versuchungen aus dem Abgrund über den Jünger gekommen waren, daß wir in unsern Kämpfen nicht versucht sind wie er. Jene Nacht war vom Satan aufs Verderben abgesehen, und hätte nicht der gefangene JEsus für die Seinen gewacht und gebetet, so würde eine ganz andere Verheerung im Lager der Heiligen angerichtet worden sein. Nicht weil Petrus seinem inneren Stande nach so leicht zu fällen war, sondern gerade umgekehrt, weil er so reich an natürlicher und geistlicher Begabung war, strömten auf ihn die Kräfte der höllischen Versuchung so gewaltig zu. Wenn solche Helden fallen, muß es schwer gewesen sein, zu stehen. War es nicht, als wenn satanische Nebel vom Himmel und höllische Schuppen vom Auge fielen, als der Hahn krähte und JEsu Auge den armen Sünder Petrus traf? Wars nicht, als ob der HErr ihm, wie dort auf dem Meere, als er sinken wollte, die Hand reichte, − wo er auch im Anfang so muthig, dann plötzlich so verzagt war? Der HErr entriß ihn durch Barmherzigkeit beide Male dem Untergang, auf dem Meer dem leiblichen, im Hof des Hohenpriesters dem geistlichen und ewigen. Das theure, große Rüstzeug mußte hohe Anfechtung und besondere Hilfe, nach schwerer Sünde große Gnaden erfahren, und eben damit innerlich gedemüthigt werden und zum großen Apostel reifen, der von Gnade und Recht zu predigen versteht.

 Auch dürfen wir nicht vergeßen, daß der heilige Petrus nach seinem Fall ganz anders handelt und behandelt wird, als es sonst der Fall ist. Judas fällt − und als ihm die Schuppen vom Auge fallen, verzweifelt er und erhängt sich. Petrus verzweifelt nicht, thut sich kein Leid, geht nicht weg aus dem Kreis der Jünger, welche ja selbst vom HErrn geflohen waren, entzieht sich ihrem Umgang nicht; er beweint seine große Sünde, aber bleibt bei denen, die tief betrübt und ganz verarmt, dennoch des HErrn Eigentum waren und blieben. Er bleibt bußfertig bei seinen Freunden, statt sich der trostlosen, heulenden Unruhe des eigenen Gewißens zu übergeben. Judas trägt das Sündengeld zu den Priestern, den Feinden JEsu, die ihn gewis nicht zu JEsu wiesen; Petrus aber geht nicht zu den Mägden und Kriegsknechten, um sein Wort und seinen Eid zurückzunehmen, sondern zu seinen Mitjüngern, welche, selbst sehr schwach und voller Jammer, grade an der Buße den treuen Jünger und die wirkende Gnade des heil. Geistes erkennen. Kein zerschlagenerer unter den Jüngern als Petrus, dafür aber auch keiner, der von dem barmherzigen Auferstandenen eher getröstet und heimgesucht wird als er. Ein Beispiel der Sünde, aber auch der Buße und Gnade ist Petrus, eben damit zugleich ein warnendes und ein leuchtendes, segensreiches Beispiel, das Gott auch an unsern sündigen Seelen segnen wolle! Amen.




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