Fürst Pückler-Muskau und sein Jugend-Portrait

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Autor: Hermann von Pückler-Muskau
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Titel: Fürst Pückler-Muskau und sein Jugend-Portrait
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 693–695
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Auszug aus: „Reisetagebuch des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau“
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[693]
Fürst Pückler-Muskau und sein Jugend-Portrait.[1]


München, den 6. Januar 1808.

München ist vielleicht von allen deutschen Hauptstädten diejenige, wo ich am liebsten leben möchte. Obgleich die Gesellschaft nicht zahlreich und der Luxus gering ist, so wird man doch nicht leicht in Verlegenheit kommen, seine Abende auf eine angenehme Art auszufüllen; kleine Kränzchen, die bald bei diesem, bald bei jenem ihrer Mitglieder zusammenkommen, in denen man sich in kurzer Zeit gegenseitig kennen lernt und wo ein sehr gebildeter Ton herrscht, ersetzen reichlich die mehr betäubenden als vergnügenden, mehr geräuschvollen als von Freude belebten großen Cirkel, Assembleen und Feste der größeren Residenzen.

Es wird schwer sein, einen Hof zu finden, der mit so viel wahrem Anstand und Liebenswürdigkeit weniger Etiquette verbindet. Man würde bei einem Privatmann zu sein glauben, wenn der allgemeine Respect, den der König bei aller Popularität sehr wohl einzuflößen und zu erhalten weiß, nicht den Rang des Fürsten besser anzeigte als der äußere Glanz, mit dem sich Hoheit zu umgeben pflegt. Wie philosophisch der König selbst hierüber denkt, hatte ich einmal Gelegenheit aus seinem eignen Munde zu vernehmen. Ein Fremder erlaubte sich eine sonderbare Aeußerung über einen anderen deutschen Herrscher, von dem er sagte: Er möchte gern vergessen, durch wie viel Grade er bis zum Königstitel emporgestiegen sei. „Mir geht es ebenso,“ unterbrach ihn der König, „auch ich wünschte diese Grade zu vergessen, durch die ich gestiegen bin, denn nie werde ich anders als mit Sehnsucht und Bedauern an die glückliche Zeit meines Privatlebens zurückdenken können.“ Es war wohl nicht möglich, des Fremden Tölpelei feiner zu beantworten und zugleich eine philosophische Denkungsart an den Tag zu legen, die auf dem Throne mit doppeltem Verdienste glänzt.

Der Kronprinz, der mit seinem Vater die Liebe des ganzen Landes theilt, verbindet mit den allgemein geschätzten Eigenschaften seines Charakters Gefühl und Geschmack für Kunst sowie vielseitige Bildung. Mancher junge Künstler wird theils im Vaterland, theils in Italien von ihm unterstützt und verdankt es des Prinzen Großmuth, wenn sein Genie keine Fessel mehr drückt – welchen besseren Gebrauch mag ein Fürst von seinen vielen Mitteln machen, als wenn er die Kunst, diese Tochter des Himmels, von der Schmach befreite, nach Brode gehen zu müssen!

Ich habe in der hiesigen Gesellschaft einen alten Freund und Schulcameraden von uns getroffen, der sich wie in Wien auch hier mit großem Antheil nach Dir erkundigt. Da er Dir wahrscheinlich schreibt, so erräthst Du, daß ich vom Grafen Pückler spreche, der schon seit einigen Monaten durch eine sonderbare Begebenheit, die wirklich einzig in ihrer Art ist, hier aufgehalten wird. Er ist gesonnen, diese sonderbare Geschichte durch den Druck öffentlich bekannt zu machen, und da ich glaube, daß sie der Personalität wegen Interesse für Dich haben kann, so schreibe ich das Original für Dich ab:[2]

„Da ich im Begriff bin, Deutschland zu verlassen, so sehe ich mich genöthigt, meinen Freunden und allen Denjenigen, welche die Güte haben, sich für mich zu interessiren, eine genaue Darstellung der folgenden Vorgänge zu geben, die sich auf ein Ereigniß beziehen, das vielfach besprochen worden und leicht von schlecht unterrichteten oder übelwollenden Personen entstellt werden könnte.

Es sind ungefähr neun Monate, daß ich in Wien einen Streit mit dem Fürsten von Löwenstein hatte, den wir übereinkamen dadurch auszugleichen, daß wir uns auf Pistolen schlügen; jedoch unsere beiden Secundanten, der Herr Graf Ferdinand [694] von Colloredo-Mansfeld von Seiten des Fürsten von Löwenstein, und der Graf von Saer auf der meinigen, versuchten, besonders der Erstere, die Sache auszugleichen; es gelang ihnen endlich uns zu versöhnen. Da der Fürst von Löwenstein genöthigt war, sich sogleich nach München zu begeben, so wünschte er, daß ich ihm dahin folge, um allen zweideutigen Gerüchten zum Nachtheil des Einen sowohl als des Anderen auszuweichen, welche die plötzliche Abreise von Einem allein hätte veranlassen können, und da es übrigens mein Weg war, um nach Frankreich zu gehen, so zögerte ich nicht, es ihm zu versprechen; jedoch ich wurde in Wien durch unvorhergesehene Hindernisse von einer Woche zur anderen zurückgehalten. Deshalb geschah es, daß der Graf Ferdinand von Colloredo, ohne die geringste Herausforderung von meiner Seite, als er mir an einem öffentlichen Orte allein begegnete, während er von zwei seiner Freunde begleitet war, sich erlaubte die niedrigsten und beleidigendsten Aeußerungen gegen mich zu thun. Obgleich ich eine so gemeine Sprache durchaus nicht gewohnt war, so suchte ich doch dem Herrn von Colloredo in Ausdrücken, die den seinigen ziemlich gemäß waren, zu antworten, und den anderen Morgen ließ ich ihm ankündigen, daß ich von ihm die Genugthuung verlangte, die ein Mann von Ehre in solchem Falle schuldig ist. Wie sehr aber hatte ich mich geirrt, indem ich den Grafen von Colloredo für einen solchen ansah! Er antwortete mir, daß er mir gar keine Genugthuung geben könne, bis ich meine vorhergegangene Sache mit dem Fürsten von Löwenstein erledigt habe; da er aber selbst fühlte, wie albern dieser Vorwand war, da er selbst als Secundant des Fürsten dazu beigetragen hatte, daß wir uns versöhnten, so setzte er hinzu, der Fürst von Löwenstein habe ihm mehrmals geschrieben, er habe außerordentlich bedauert, sich mit mir versöhnt zu haben, indem er meinen Bitten nachgegeben, aber daß er dennoch die Sache nicht für beendet ansehe.

Durch eine so gehässige Verleumdung außer mir gerathend, zögerte ich nicht mehr, dem Grafen von Colloredo öffentlich den für solche Gelegenheit einzig passenden Titel zu geben, und da er seine Abneigung gegen die Waffen nicht überwinden konnte, so beschloß ich andere Argumente anzuwenden. Unterdessen sagte man mir, daß er nach seinen Gütern abreise; ich folgte ihm sogleich zu Pferde, und erreichte ihn in der Vorstadt von Mariahilf; er befand sich in seinem Wagen, escortirt von zwei Freunden; ich redete ihn an, indem ich ihn fragte, ob er sich einbilde, abzureisen, ohne mein gerechtes Verlangen befriedigt zu haben, aber als ich sah, daß er auf seiner Verneinung bestand, ließ ich ihn meine Replik auf seinen Schultern fühlen. Wüthend sich so behandelt zu sehen, ließ er seinen Wagen halten, und nachdem er tausend Beleidigungen über mich ausgeschüttet, nahm er endlich den Ausweg seinen Weg fortzusetzen, indem er zugleich erklärte, daß ich ihn niemals dahin bringen würde, meine Herausforderung anzunehmen. Ich wartete noch einige Tage in Wien, um zu sehen, was sein Muth ihm vorschreiben würde, aber umsonst – ich reiste also nach Augsburg ab, in der Absicht, vom Fürsten Löwenstein mir Aufklärung zu verschaffen, der sehr erstaunt über Alles, was er vernahm, nicht verfehlte, obgleich er sehr befreundet mit Herrn von Colloredo ist, mir sogleich die folgende Erklärung zu geben, von der ich das Original besitze und von der ich die Uebersetzung gebe:

‚Auf Verlangen des Herrn Grafen Hermann von Pückler bezeuge ich durch dieses von mir eigenhändig geschriebene Blatt, daß er mich aufgesucht hat, um sich mit mir auf Pistolen zu schießen, infolge in Wien vorgefallener Gespräche, die glauben machen wollten, als wenn ich unsere alte Streitsache für mich noch nicht für ganz beendigt ansehe. Ich erkläre ihm, daß ich diesen Augenblick außer Stande bin, da ich in der Festung gefangen und mich dem Commandanten gegenüber auf mein Ehrenwort verpflichtet habe, während meiner Gefangenschaft keinen Zweikampf anzunehmen. Sobald diese Hindernisse gehoben sind, werde ich immer dem Herrn Grafen von Pückler zu Diensten stehen, wenn er darauf beharrt, aber ich erkläre nichtsdestoweniger, daß ich, was mich betrifft, jenen Streit für gänzlich beendet ansehe, da er seiner Zeit von unseren Secundanten nach allen Gesetzen der Ehre beigelegt und dies anerkannt worden, so daß es die Pflicht der Secundanten ist, jede nachtheilige Erzählung in Betreff dieser Sache zurückzuweisen.

Unterzeichnet: Constantin, Fürst von Löwenstein-Wertheim.

Augsburg, den 23. September 1807.‘

Man hätte glauben sollen, der Graf Colloredo würde, indem er ein solches Dementi von seinem Freunde erhielt und sah, daß sein Vorwand gänzlich entkräftet war, sich nun beeilen, durch ein edleres Benehmen die Schande des vorhergehenden auszulöschen – jedoch konnte ich während drei Monaten keine Antwort auf die vielen Briefe von ihm erlangen, welche ich die Delicatesse hatte, über diesen Gegenstand nach Wien zu schreiben.

Erst gestern endlich erhielt ich in München einen Brief des Herrn von Colloredo, der seines Schreibers würdig war, und dessen frecher Inhalt mich gezwungen hat, nicht mehr die geringste Schonung für einen solchen Menschen zu haben. Sein wunderliches Schreiben ist nichts als ein Gewebe von Beleidigungen und unverschämten Lügen. Unter Anderem erröthet er nicht zu behaupten, daß ich dem Grafen von Colloredo und dem Grafen von Saer[3] mein Wort gegeben hätte, Wien in vierundzwanzig Stunden zu verlassen!! Eine Behauptung, die in der That Denjenigen zu albern erscheinen muß, die mich kennen, als daß ich es nöthig finde, sie zu beantworten. Er endet damit, auf’s Neue zu erklären, daß nichts in der Welt ihn dazu bewegen könne, sich mit mir zu schlagen, daß er meine Polissonnerien, wie er komischer Weise den Peitschenhieb nennt, den er mich zwang ihm zu geben, nur verachte, und um so mehr, da er, unversehens von hinten angegriffen, die Beleidigung nur im Rücken empfangen habe. Obgleich es unmöglich ist, einen solchen Feind von einer andern Seite anzugreifen, so glaube ich doch, daß, da ich ihn erst schlug, nachdem ich seine Antwort hatte, man mir nicht vorwerfen kann, ihn unversehens oder als Verräther, wie er sich ausdrückt, angegriffen zu haben. Uebrigens ist der Graf von Colloredo, der, wie es scheint, sich vorstellt, daß ein Peitschenhieb nur von Bedeutung ist, wenn er dem Gesicht applicirt wird, das vollkommene Seitenstück des Gascogners, der, als er sich in demselben Falle befand, seinem Freunde, der ihn zur Rache aufforderte, erwiderte: ‚Mein Lieber, man sieht, daß Du den wahren Muth nicht kennst; ich habe mir das Gesetz gemacht, mich nie um etwas zu bekümmern, das hinter mir vorgeht.‘

München, den 26. December 1807.

Hermann, Graf von Pückler.“ 

Hatte ich nicht Recht zu sagen, die Begebenheit sei einzig in ihrer Art? So unangenehm sie immer für den Graf Pückler bleibt, so glaube ich doch, daß man sein Benehmen dabei diesmal billigen muß. Sonderbar ist es allerdings, daß beständig nur ihm dergleichen Dinge begegnen. Der Grund aber liegt in seinem seltsamen Charakter, der dem Menschenbeobachter, welchem kein Gegenstand, der ihn in der Kenntniß des menschlichen Herzens weiter bringen kann, zu gering scheint, manche merkwürdige Eigenheit darbietet! Ich wenigstens muß gestehen, daß die durch öftere Nachahmung verkrüppelte, durch Erziehung und Umstände irre geleitete und mit sich selbst in Widerspruch gebrachte Originalität dieses Menschen mich immer lebhaft interessirt hat. Oft konnte ich in einem Tage die Wirkungen der entgegengesetztesten Eigenschaften an ihm bemerken; bald hitzig, bald phlegmatisch, hörte ich von ihm Aeußerungen des verdorbensten Charakters, und sah Züge eines edlen Herzens, Wallungen der Weisheit und der reinsten Natürlichkeit, die den Augenblick darauf der geschmacklosesten Unnatur und den Handlungen des größten Thoren Platz machten. Wie Frau von Genlis vom Ritter Olgier sagt, fand ich ihn immer zur warmen Verehrung der Tugend gestimmt, aber das Laster gefiel und besiegte ihn, wenn es seine Verdrehung unter einer originellen geistvollen Form verbarg.

Stets muthig gegen seines Gleichen, oft tollkühn in einzelnen Wagestücken, habe ich ihn zuweilen furchtsam gegen Geringere gesehen, wo er sich kaum mit Anstand tant bien que mal aus der Affaire zog; er selbst gestand diesen Umstand, indem er hinzusetzte, „daß er nicht gewiß sei, die Kraft zu haben, einen wehrlosen Menschen mit kaltem Blute, blos weil es das Phantom der conventionellen Ehre heische, todt zu stechen, wenn er sich auch selbst entehrender Schimpfwörter gegen ihn bedienen sollte; um daher diesen äußersten Fall zu vermeiden, leide er lieber geduldig, daß ein solcher Mensch die schuldige Achtung gegen ihn etwas aus den Augen setze, und ziehe sich zurück, ehe [695] er es so weit kommen lasse, sich auf der letzten Alternative zu befinden, besonders wenn er Unrecht habe, wie denn wohl gewöhnlich der Fall sein müsse, sobald ein Geringer den Höhern zu beleidigen wagte.“ Ohngeachtet dieses scheinbaren Gefühls von Billigkeit weiß ich, daß er oft nach vollkommen entgegengesetzten Principien gehandelt hat, und in der Stimmung das Leben eines Menschen nicht sehr hoch angeschlagen haben würde, aber wie gesagt, dieser junge Mann hängt gänzlich vom Augenblick ab; das letzte Buch, das er liest, die letzte Unterredung, die letzte Begebenheit, vielleicht nur der Gewinnst oder Verlust im Spiel, macht ihn muthig oder furchtsam, hart oder mild, klug oder dumm.

Diese außerordentliche, von jedem fremden Eindruck beherrschte Weichlichkeit des Geistes und Körpers ist sein charakteristischer und sein Hauptfehler; er ist daher keiner anhaltenden Unternehmung fähig, obgleich er bald diese, bald jene mit der größten Leidenschaft ergreift, aber immer halb vollendet liegen läßt, um einer neuen Caprice nachzujagen; er wünscht beständig, sobald er aber seinen Wunsch erreicht hat, scheint ihm die Sache nicht mehr wünschenswerth.

Ein zweiter Fehler, oder vielmehr eine beklagenswerthe Disposition, die ihn selbst sehr unglücklich und für Andere langweilig macht, ist der unaufhörliche Widerspruch, den auf der einen Seite eine weitgetriebene Eitelkeit, und auf der andern noch weiter getriebenes Mißtrauen zu sich selbst in seinem unruhigen Gemüth erregt. Dies ist die Ursache, daß er selten etwas à propos sagt oder thut; er war zum Beispiel, da ich ihn noch genauer kannte, ebenso liederlich als schwärmerisch, aber beide Eigenschaften wurden stets verkehrt angebracht; so lange er auf der Schule und Universität war, machten ihm die Wissenschaften Langeweile, als er aber Officier wurde, fing er an zu studiren, lernte aber von seinem Fach nie mehr, als höchstens nöthig ist, um auf die Wache ziehen zu können; jetzt ist er auf Reisen gegangen und hat damit angefangen, sich anderthalb Jahre in Wien niederzulassen. Es fehlt ihm nicht an Verstand, aber er zeigt ihn gewiß nur da, wo es besser wäre, ihn zurückzuhalten, ist er aber nöthig, so verliert er ihn durch das Mißtrauen in seine eigenen Kräfte, welches der entscheidende Augenblick meistentheils in ihm zu erwecken pflegt. Er ist satirisch und greift gern an, oft nicht ohne Erfolg, erhält er aber eine treffende Antwort, so vergeht ihm gewöhnlich die Sprache und erst nach einer Viertelstunde fällt ihm ein, was er hätte erwidern sollen; er hat, um mich mit dem Abbé Voisenon auszudrücken, ein Schwert zum Angreifen, aber keinen Schild zur Vertheidigung.

Man kann sich denken, wie schmerzhaft solche Scenen für seine Eitelkeit sein müssen, die jede Rolle unnütz und nicht der Mühe werth hält, die nicht unter die ersten gehört, während sein Mißtrauen die daraus entstehende Blödigkeit und die wenige Lebhaftigkeit seines Verstandes, die seltsam mit der Leidenschaftlichkeit seines Temperaments und seines übrigen Charakters contrastirt, ihn oft unter den letzten zurückläßt. So ziehen ihn Menschen von großer Liebenswürdigkeit im Umgang durch eben jene Eigenschaften, die ihm fehlen, ebenso sehr an, als sie ihm imponiren, obgleich er ihnen vielleicht an wahrem Verstande nicht weit nachsteht; in der Unterhaltung mit ihnen scheint ihm Alles, was sie äußern, so vortrefflich, und Alles, was er selbst beitragen könnte, so unwürdig, neben dem ihrigen zu figuriren, daß er, aus Furcht etwas Unbedeutendes zu sagen, lieber gar nichts sagt, und weil er sich nicht traut, so viel auf die Anderen Achtung giebt, daß er darüber sich selbst vergißt, und am Ende keiner zusammenhängenden Gedanken mehr fähig ist. Daher kommt es, daß solche Leute ihn oft weniger vortheilhaft beurtheilen, als er verdient, denn au bout du compte mögen unsere Pedanten der Jugend noch so sehr das Schweigen anrathen, ein junger Mensch, der dasitzt, ohne den Mund aufzuthun, wird immer wenigstens für sehr untergeordnet gehalten werden; Leute, die er zu übersehen glaubt, bringen aus verschiedenen Gründen oft dieselbe Wirkung auf ihn hervor, nämlich, daß er ebenfalls schweigt, weil er mehr beim einsamen Nachdenken als im Gespräch mit ihnen zu gewinnen glaubt, welches ihm Langeweile verursacht. Er muß sehr bekannt sein, um ganz unbefangen zu sprechen, und es giebt viele Menschen, mit denen er nie aus den Grenzen des Fremdseins heraustreten kann, und denen er folglich nie in seiner wahren Natürlichkeit erscheinen wird. Alle diese Gründe vereinigen sich, ihm die Gesellschaft überhaupt größtentheils zuwider und langweilig, und die gewöhnlichen Unterredungen derselben unerträglich zu machen, weil er sich zum Reden verbunden fühlt, ohne hoffen zu können, weder selbst etwas Interessantes zu sagen, noch irgend einen Nutzen oder Vergnügen aus dem ebenso eitlen Geschwätz der Anderen zu ziehen, und überdies gewiß ist, sich nicht nur unvortheilhafter, sondern wirklich anders zu zeigen, als er ist. Alles dieses leidet jedoch oft Ausnahmen, deren Grund man in den natürlichen Gegensätzen seines Charakters suchen muß.

Ich habe ihm gerathen zu schreiben; seine Briefe fand ich in der That seiner Unterhaltung vorzuziehen, und da ihm beim Schreiben, außer daß er keinen Nebenbuhler vor sich sieht, der ihn incommodirt, die Langsamkeit seiner Ideen kein Hinderniß entgegenstellt, so kann er wenigstens die geringen Eigenschaften, die er besitzt, frei machen, und ob er gleich der Welt kein Licht aufstecken wird, doch in dem Gefallen, das er an sich selbst findet, so lange seiner Eitelkeit schmeicheln, bis etwa ein Recensent sich die Mühe nimmt, ihn aus seinem geträumten Kartenpalast herauszuziehen.

Seit einiger Zeit pikirt er sich, Philosoph zu sein, und ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er wirklich damit angefangen hat, sich selbst zu bessern, wiewohl, aufrichtig gesagt, bis jetzt noch mit ziemlich schwachem Erfolg. Da er indeß die Tugend als die höchste sittliche Schönheit, die man um ihrer selbst willen lieben muß, wahrhaft anerkannt zu haben scheint, und wenigstens sie zu erreichen strebt, da er zur Kunst und den Wissenschaften mehr Liebe trägt als je, so ist es wohl noch möglich, daß, wenn er auf diesem Wege bleibt, er einst, von der Welt zurückgezogen, in der Gesellschaft einiger ausgesuchten gebildeten Freunde die ruhige Zufriedenheit findet, die ihn bis jetzt so weit geflohen hat.

Doch es ist Zeit, daß wir auf unser Thema zurückkommen, den Graf Pückler, der uns lange genug ennuyirt hat, seinem Schicksale überlassen, und die Sehenswürdigkeiten der Residenzstadt München in Augenschein nehmen.



  1. Aus dem nächstens erscheinenden „Reisetagebuch des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau“ theilen wir hier einige Auszüge mit, welche seine Erlebnisse der Jugend schildern, wo er, noch kaum dreiundzwanzig Jahre alt, eine Reise nach der Schweiz und Italien unternahm, zu der er von seinem Vater, mit dem er damals nicht zum Besten stand, nur geringe Mittel erhielt. Es ist merkwürdig, wie sich in diesen Jünglingsbriefen schon die Eigenthümlichkeit und Originalität des später so berühmt gewordenen „Verstorbenen“ ausprägen. Interessant ist das Portrait, welches er von seinem Charakter entwirft, indem er von sich als von einem Dritten redet.
    Die Redaction.
  2. Das Original ist französisch.
  3. Weit davon entfernt, das Zeugniß des Grafen von Saer, meines Freundes und Landsmannes, zu fürchten, appellire ich im Gegentheil öffentlich an ihn, damit er bestätige, daß Alles, was ich berichte, mit der strengsten Wahrheit übereinstimmt.