Literaturbriefe an eine Dame/XI

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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Literaturbriefe an eine Dame XI
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 691–693
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über Willibald Alexis
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Literaturbriefe an eine Dame.


Von Rudolf Gottschall.


XI.


Haben Sie, verehrte Frau, schon über ein Geheimniß nachgedacht, das Ihnen wie allen Vertreterinnen des schönen Geschlechts so nahe liegt, mit dem Sie in Berührung kommen, wenn Sie einen Hut aufsetzen und eine Mantille umnehmen, und das Sie gerade deshalb weder für einen Gegenstand des Nachdenkens noch für ein Geheimniß zu halten geneigt sind – ich meine, über die Mode? Was jedes Modenkupfer, jedes Ladenfenster[WS 1] aller Welt verkündet – das kann doch gerade nichts Räthselhaftes sein!

Und doch ist das Entstehen, Werden und Wachsen der Mode in ein Geheimniß gehüllt, und was Friedrich Halm von der Liebe singt: „Sie kommt und sie ist da;“ das gilt auch von ihr! Die Mode aber hat etwas von jenem unerklärlichen Zauber, der zum großen Theil auf dem Nachahmungstrieb beruht und dem sich Niemand so leicht entziehen kann. Es giebt nicht blos Crinolinen, es giebt auch Ideen, die Mode sind, und die Gedichte stehn hierin mit den Chignons in gleicher Linie.

Ueber die Mode in der Literatur ließe sich eine lange Abhandlung schreiben, die vielleicht von größerem Interesse wäre, als mancher sehr scharfsinnige und sehr überflüssige Aufsatz unserer Kritiker über die Bedeutung dieses oder jenes classischen Werkes. Die Classiker selbst sind im strengen Sinne des Wortes nicht „Mode“ gewesen – nur Goethe’s „Werther“ war ein literarischer Modeartikel. Als der große Dichter indeß bei Göschen eine mehrbändige Ausgabe seiner Dichtungen erscheinen ließ, in welcher seine unsterblichen Werke Iphigenie, Tasso, Egmont u. a. enthalten waren, hatte diese Sammlung durchaus keinen buchhändlerischen Erfolg; sie lag wie Blei in den Buchläden, während die Werke von [[Christian August Vulpius|Vulpius, namentlich Rinaldo Rinaldini, eine Auflage nach der andern erlebten. Vulpius war eben „Mode“ – und Goethe war es nicht.

Ich will Ihnen heute von einem Schriftsteller sprechen, dem es, bei allen Verdiensten und Vorzügen, nie gelungen ist, „Mode“ zu werden. Dies ist ein Glücksfall, der oft im umgekehrten Verhältniß zum wahren Verdienst steht, und nur selten bewährt sich die Harmonie der Weltordnung darin, daß dem bedeutenden Werk auch von Hause aus ein überraschender Erfolg zutheil wird. Im letzten Monat des vorigen Jahres starb in dem thüringischen Städtchen Arnstadt, einer freundlichen Dichterstätte, wo auch Marlitt in den Träumen der Phantasie die anmuthigen Gestalten ihrer echt deutschen Aschenbrödel erblickte, einer unserer namhaftesten Romanschriftsteller, Wilibald Alexis. Seit 1852 wohnte er unter den Rosen von Arnstadt, doch es war dies keine heitere Idylle, wie sie der Patriarch von Neuseß unter den Blumen seines Gartens und in den Wäldern der Coburgischen Berge verlebte und in seinen poetischen Haus- und Jahreskalendern verzeichnete; sie war geistig ertraglos, denn dem alternden Dichter war die Gunst des freien Weltblickes und des trostbringenden dichterischen Schaffens versagt; er war jenem unheimlichen Geschick geistiger Lähmung verfallen, das in neuer Zeit über so viele bedeutende Geister einen schmerzlich empfundenen Bann verhängt – wir erinnern nur an den Philosophen Ludwig Feuerbach, der, seiner glänzenden geistigen Frische lange beraubt, nach schweren Leiden aus dem Leben geschieden ist.

Die Arbeit des Geistes, verehrte Frau, hat ihre Invaliden, wie der Krieg; erschütternd aber ist es, wenn der Geist noch frei die Schwingen regen will und dann die bleierne Last fühlt, die ihn zu Boden drückt. Als ein Segen erscheint dann die erlösende Dumpfheit, in der auch die letzte Regung des Willens und damit seine Qual erlischt! Solche Dumpfheit umhüllte die letzten Lebensjahre des Dichters; er schien zufrieden und vergnügt und lächelte sein trostloses Geschick an, wie er die Remontanten des Gartens anlächelte, wenn der Rollwagen ihn zu den farbenprächtigen Blumenköniginnen fuhr. Die Rose ist ja seit alten Zeiten ein Sinnbild der Verschwiegenheit; doch der kranke Dichter vertraute ihr kein Geheimniß an; er hatte ja, auch wenn er schwieg, nichts mehr zu verschweigen.

Wilibald Alexis (Wilhelm Häring) ist ein Schlesier; er war [692] 1797 in Breslau geboren; das bewegliche Naturell, die reiche Phantasie dieses Volksstammes[WS 2] waren ihm eigen. In Berlin besuchte er das Gymnasium, machte den Feldzug 1815 gegen Napoleon mit und studirte dann die Rechte in Breslau und Berlin. Nur kurze Zeit arbeitete er im juristischen Staatsdienst und widmete sich dann ganz der schriftstellerischen Laufbahn. Eine Zeit lang war er Mitredacteur der „Vossischen Zeitung“ in Berlin.

Wilibald Alexis war ein beweglicher, unruhiger Kopf, der nicht in der Literatur allein aufging; er war unternehmungslustig und behagte sich in allerlei praktischen Speculationen. Das Bad Häringsdorf an der Ostsee, das seinen Namen trägt, war eine Schöpfung dieses Trachtens, sich am Leben selbst zu bethätigen. Doch Dichter und Philosophen sind in der Regel keine guten Speculanten; ihre Phantasie geht mit ihnen durch! Da ist mir immer noch jener Berliner Philosoph Max Stirner in der Erinnerung, welcher den Egoismus zum Princip der Welt erhob; er gehörte jenem Kreise der Berliner Freien an, in welchem ein sehr vermessener cynischer Ton, eine Art von Wirthshausatheismus im Schwange war; seine Frau rauchte Cigarren und war emancipirt; sie war indeß dabei ganz gescheidt und gutmüthig und wenig gefährlich. Dieser Max Stirner, welcher eigentlich der weitverbreiteten Familie der „Schmidt“ angehörte und sich nur in jenes herausfordernde Pseudonym übersetzt hatte, war der Verfasser des Buches „Der Einzige und sein Eigenthum“; doch wie sehr er auch in demselben die Speculationen unserer großen Philosophen ironisch aufgelöst hatte, er selbst war der praktischen Speculation verfallen und betrieb mit Eifer eine Milchwirthschaft, eine sehr harmlose Beschäftigung für einen die Welt auf den Kopf stellenden Geist; doch hatte dies Unternehmen die unerwünschte Folge, daß er bald der „Einzige ohne Eigenthum“ wurde und seine Frau, welche ihren Geburtsnamen in den männlich stolzen Römernamen Marius Daenhardius übersetzt hatte, sich genöthigt sah, den Römerstolz aufzugeben und in England als Gouvernante sich ihr Brod zu verdienen.

Auch Wilibald Alexis ist nicht mit allen seinen Speculationen glücklich gewesen, und auch als Schriftsteller gehörte er in Bezug auf äußern Erfolg nicht zu den Glückskindern.

Phantasiereich, wie alle Romanschriftsteller aus dem Lande des Rübezahl, wie der Stadtrichter Van der Velde, der am Fuße des einsam ragenden Zobtenberges in dem kleinen gleichnamigen Städtchen von Cortez und Montezuma, von Karl dem Zwölften und Swedenborg dichtete, wie Spindler, der nie in Verlegenheit kam, wo es abenteuerliche Verwickelungen zu erfinden galt, wie Karl v. Holtei und Heinrich Laube, stand Wilibald Alexis, wie alle diese Landsleute, Holtei ausgenommen, unter dem Einflusse Walter Scott’s, ja Wilibald Alexis trat durchaus nicht mit originellen dichterischen Schöpfungen auf, sondern mit Nachdichtungen, welche bis in’s Einzelne so getreu waren, daß der Autor wagen durfte, den Namen des schottischen Romandichters an die Spitze des „Walladmor“ und des „Schloß Avalon“ zu setzen – eine der kühnsten Mystificationen, welche in der neuen Literatur vorgekommen sind. Der Poet von Abbotsford selbst soll die Treue dieser Copieen anerkannt haben. Doch dadurch, daß man Walter Scott durch das Fenster nachzeichnete, wird man kein bedeutender Schriftsteller, so groß auch das Nachahmungstalent sein mochte, das die Eigenheiten des Stils und der ganzen Darstellungsmanier so abzulauschen und wiederzugeben verstand. Wilibald Alexis schlug dann auch plötzlich einen gänzlich anderen Ton an; es war die Epoche jungdeutscher Zerrissenheit, der auch Schriftsteller wie Sternberg ihren Tribut abtrugen. Wilibald Alexis schrieb das „Haus Düsterweg“, in welchem sich alle die ungesunden Tendenzen der Zeit ablagerten, in einer düstern, unheimlichen Beleuchtung. Das Gemeinsame in diesen verschiedenartigen Richtungen war die Vorliebe des Dichters für die Nachtseiten der Seele und des Lebens, die bei seiner im Ganzen ruhigen Darstellungsweise um so auffallender hervortrat; er liebte die Anatomie jener abnormen Neigungen der Seele, aus denen das Verbrechen hervorgeht, er liebte die Beleuchtung fanatisch düsterer Epochen und Zustände. Seine juristischen Studien hatten in ihm eine starke criminalistische Ader entwickelt – so war er ganz geeignet zum Herausgeber des „Pitaval“, dieser Galerie merkwürdiger Verbrechen, welche einen so wichtige Beitrag zur Krankheitsgeschichte der Menschheit liefert. Der Verkehr mit Mördern und Giftmischerinnen war seiner Phantasie erwünscht, die sich in dem grausam Spannenden, dem grell Erschütternden behagte. Wenn es hierfür noch eines Beweises bedarf, so liefert ihn sein „Urbain Grandier“, ein Werk, in welchem die Foltern eines Criminalprocesses uns mit ihren psychologischen Daumenschrauben schonungslos zermartern. Nach dieser Seite hat Wilibald Alexis Aehnlichkeit mit Victor Hugo, dessen Werk „Les derniers jours d’un condamné“ in greller Darstellung der Seelenqual und in Erregung einer fieberisch schüttelnden Spannung wohl den Preis verdient. Sonst sind sich beide Dichter sehr unähnlich – Victor Hugo hat die Geste des Propheten, etwas Grandioses, das oft in’s Groteske übergeht; Wilibald Alexis hat einen gesunden Verstand, der seine Phantasie stets regulirt und nach der großen Thurmuhr stellt, nach welcher das Kirchspiel sich im Wachen und Schlafen achtet. Er schildert das Excentrische mit großer Ruhe, Victor Hugo mit phantastischer Erhitzung; er ist groß im Detail, in der Fülle und Genauigkeit einzelner Züge; Victor Hugo erhellt seine Gemälde blitzartig, aber er gebietet über den Blitz des Genies.

Etwas von jener Vorliebe für das Düstere und Grelle, sowie für das handfest Zugreifende der Criminalgerichte tragen auch die historische Romane an sich, denen vor allen der Schriftsteller seinen Ruf verdankt, jene brandenburgisch-preußischen Romane, in denen die Treue lebensvoller Schilderung des Natur- und Volkslebens wieder an Walter Scott erinnert. Kernhaft, gesund, oft alterthümlich angeflogen, bisweilen weitschweifig in gleichgültiger Detailschilderung, sorgfältig in der Charakteristik, welche zugleich ein anschauliches Bild des ganzen Menschen giebt, spannend mehr durch die Darstellungsweise als durch die dichterische Erfindung, haben diese Werke zugleich die Bedeutung eines großen geschichtlichen Cyklus, der uns ein Bild von dem Werden und Wachsen der preußischen Macht auf dem brandenburgischen Boden entrollt. Je glänzender sich gerade in neuerer Zeit diese Macht zur deutschen Großmacht entfaltet hat, desto interessanter ist es, ihren Anfängen, ihrer ersten schüchternen Entwickelung nachzugehen und die Wechselfälle des Schicksals zu verfolgen, das sie durch alle Niederlagen und Demüthigungen hindurch zu solcher Herrscherhöhe emporführte.

Gewiß, verehrte Freundin, werden Ihnen, wenn Sie die Romane dieses Autors lesen, die Fahrten mit der Postschnecke durch die kieferreiche Mark Brandenburg einfallen, bei welchen Sie Muße hatten, des römisch-deutschen Reichs Streusandbüchse in nächster Nähe zu betrachten und, während die Räder schläfrig durch den Sand dahinschleiften, den Flug der Krähen über die im Winde knarrenden Wipfel als die einzige Lebensregung in der todten Landschaft zu beobachten. Müssen die neun Musen nicht mit einschlafen in solcher Gegend? Und wo strömt hier der Castalische Quell, aus welchem die Dichtkunst ihre Begeisterung schöpfen könnte?

In der That steht Wilibald Alexis, was den landschaftlichen Hintergrund betrifft, sehr im Nachtheil gegen Walter Scott, welcher in die prachtvolle Naturscenerie des schottischen Hochlandes die Abenteuer und Erlebnisse seiner Helden verlegen konnte. Doch was eine des ganzen Details kundige Phantasie den Kieferwäldern und Sandsteppen, den Mooren und Haiden der Mark abgewinnen konnte, die sich hier und dort durch breite See- und Flußspiegel und duftige Fernblicke von Waldhügeln auch zu malerischer Schönheit erhebt: das war ein Pfund, mit welchem unser Autor wohl zu wuchern verstand, und – was die Hauptsache ist – diese einfache Natur paßte zu der Menschenwelt, die sich in ihr bewegte; diese ist knorrig und kernig, wild wie ihre Umgebung und führt, nicht abgezogen zu träumerischen Stimmungen durch den Reiz der Landschaft, ihre geschichtliche Sendung mit voller Thatkraft durch.

Ein großer Vorzug dieses Romancyklus ist es, daß der Dichter nirgends in die Fehler des Memoirenromans verfällt, sondern das Recht freier Erfindung einer abgeschlossenen Handlung aufrecht hält. Was er auch der Geschichte entlehnen mag, nirgends trägt er ihr die Schleppe, welche den archivarischen Staub aufwühlt; nirgends begnügt er sich damit, in ihr Gewand einige Phantasieblumen einzuwirken. Der Dichter steht in erster Linie; er gestaltet den Stoff und läßt sich nicht von ihm beherrschen.

Wenn „der falsche Waldemar“ oft in einen gespreizten alterthümlichen Chronikstil verfällt und überdies einen Stoff mit epischer Ausführlichkeit behandelt, dessen Hauptinteresse mehr [693] dramatisch-psychologischer Art ist, so hat der Roman „Der Roland von Berlin“, dessen Held der Bürgermeister Johannes Rathenow ist, dagegen einen anheimelnden Charakter, indem uns das städtische Leben in der Zeit jener inneren Parteistreitigkeiten und des Kampfes mit der kurfürstlichen Gewalt mit großer Treue und Anschaulichkeit geschildert wird, so daß wir uns ganz in demselben heimisch fühlen. Auch sind diese Kämpfe keineswegs der Gegenwart so fremd wie das Gebahren der Raub- und Stegreifritter, und der Held, der Vertreter des stolzen Bürgerthums, fesselt mit seiner starren Energie unsere Theilnahme.

Daß Wilibald Alexis nicht eigentlich für die Toilettentische geschrieben hat, beweist der Titel eines seiner Romane: „Die Hosen des Herrn von Bredow“, ein Titel, vor welchem die prüden nordamerikanischen Grazien Reißaus nehmen würden. Dieser Roman spielt im Reformationszeitalter und schildert uns die Verwandlung und die Verwirrung, welche durch jene große That des deutschen Geistes in allen ständischen Kreisen der Mark hervorgerufen wurde.

Der Hauptroman des Autors bleibt indeß: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, ein Gemälde jener unrühmlichen Zeit, in welcher unter französischer Bedrückung der preußische Geist geknickt schien und auch die gesellschaftlichen Zustände von innerer Fäulniß zersetzt waren. Deshalb spielt auch das grell Criminalistische in den Roman mit hinein, eine Episode, welche der Autor mit besonderer Vorliebe ausgeführt hat. Ueber dem Ganzen schwebt ein bleierner Horizont; doch man sieht auch schon, von wo die erlösenden Wetter kommen werden, welche die lastende Schwüle lichten. Die Ausführung ist mit breitem Pinsel gemacht, mit dem vollen Behagen des epischen Dichters; das ganze Leben und Treiben der preußischen Hauptstadt in jener unglücklichen Epoche wird mit intimer Kenntniß dargestellt; wir belauschen alle Lebensregungen der unterdrückten Geister; aber auch alle Zeugnisse vom Verfall des öffentlichen Geistes sind gewissenhaft gesammelt. Die allzugroße Ausführlichkeit der Detailmalerei wirkt hier und dort ermüdend, ebenso die Unerschütterlichkeit der epischen Ruhe, die nirgends in leidenschaftlichere Bewegtheit übergeht, nirgends durch einen lyrischen Augenaufschlag Gemüth und Phantasie wärmer erregt.

Außer diesen bedeutendsten Romanen hat Wilibald Alexis noch viel Tüchtiges im gleichen Geist geschaffen – und nun werden Sie fragen, welche Anerkennung einem so patriotischen Schriftsteller zu Theil geworden ist, der die Entwicklungsgeschichte eines zur Herrschaft berufenen Staates in ihren großen Wendepunkten so lebensvoll dargestellt hat?

Die Antwort auf diese Frage ist nur sehr kleinlaut; außer dem mäßigen Antheil des Lesepublicums und dem oft warmen Lob der Kritik hat der Autor keine Kränze, am wenigsten glänzende Lorbeern, davongetragen. Dem übrigen Deutschland erschienen diese märkischen Romane nur als eine Ausschmückung der Brandenburger Localchronik, als der Ausfluß einer Borussomanie, die damals in weiten Marken unseres Vaterlandes geächtet war. In Preußen selbst aber fiel ihr Loos wenig glücklicher. Die Mehrzahl der Romane erschien in vormärzlicher Zeit; die liberale Opposition, welche die Gedankenrichtung derselben beherrschte, hatte damals wenig Sinn für die ältere Geschichte des Landes, die ihr als eine Ritter- und Räubergeschichte erschien; jene Stände aber, welche solche historische Erinnerungen pflegten, merkten alsbald, daß diese Geschichtsbilder nicht den Zweck hatten, ihrer Vergangenheit zu schmeicheln, und daß der Verfasser ein sehr versteckter Liberaler war, der aus alter Zeit die rostigen Schwerter hervorgrub, um sie der Opposition in die Hand zu drücken. Und als die Reaction in voller Blüthe stand und Wilibald Alexis seinen Roman „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ erscheinen ließ, hatte er dabei nicht die geheime Absicht, den Zeitgenossen einen Spiegel vorzuhalten, der ihnen grell das eigene Bild zurückwarf?

So wollen wir wenigstens einen bescheidenen Kranz auf den Sarg eines Schriftstellers legen, dem das Leben selbst wenig Ruhm gewährte, dem der Lebensabend ein tragisches Schicksal brachte, der aber unter den tüchtig strebenden Patrioten und unter den Pflegern des deutschen geschichtlichen Romans einen unbestrittenen Ehrenplatz einnimmt.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ladenfester
  2. Vorlage: Volsstammes

Dieser Beitrag erschien als Nr. XI in der Serie Literaturbriefe an eine Dame