Fliegende Blätter Heft 24 (Band 1)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 24 (Band 1)
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aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 24, S. 185–192.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: MDZ München, Commons
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[185]



Nro. 24.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunsthand- Erscheinen monatlich zwei bis drei Mal. Subscriptionspreis
lungen, so wie von allen Postämtern und Zeitungs- für den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W. od. 2 Rthlr.
expeditionen angenommen. Einzelne Nummern kosten 12 kr. R.-W. od. 3 ggr.


Die schöne Geschichte
von dem Manne, welcher die Langeweile kennen lernen wollte.
Aus seines Vetters Nachlaß herausgegeben von F. Röse.




(Schluß.)


Der Haushofmeister schaute Melchior etwas kurios an wegen seiner Kleidung, und mochte ihn, weil er drinnen im Wagen beim Lord gesessen, wohl für so eine Art Sekretär halten. Er antwortete daher in einem ziemlich groben Tone: Junger Herr, Sie müssen noch nie bis auf vierzig Stund in die Nähe dieses Schloßes gekommen sein, wenn Sie nicht wissen, daß Sr. Herrlichkeit des Lord Nothingnix Braut, hochgräfliche Gnaden, das schönste und jüngste Mädchen unter der Sonne ist.

Dann ist sie gewiß in Ohnmacht gefallen, murmelte Junior vor sich hin, weil sie den alten Wampen da heirathen soll.

Der Lord machte eine Bewegung, als ob er dem vorlauten Burschen eine tüchtige Ohrfeige geben wollte, dann besann er sich aber wieder und sagte: Melchior, wenn du nicht mein jüngerer Bruder wärest, so –

Also Ew. Herrlichkeit Bruder?! rief der Haushofmeister in größter Bestürzung aus, oh, dann verzeihen Sie doch, daß ich gezweifelt habe, Sie wüßten nicht Alles, oder seien nicht überall gewesen.

Inzwischen hatte er die Angekommenen in die für sie bestimmten prächtigen Zimmer geführt, die Bedienten hatten das Gepäck heraufgeschafft, und Junior wurde jetzt vom ersten Kammerdiener des Lord’s als großer Herr herausstaffirt und frisirt; weißes Halstuch, schwarzer Frack, weiße Weste, Glacéehandschuh, seidene Escarpins, Schuhe, Claque, Degen. Wenn er auch wegen der engen Hosen nicht ganz gut gehen konnte, ja als sie sich in die Gesellschaftszimmer begaben, auf der Treppe beinahe gefallen wäre, so sah der starke aber schlanke junge Bursch doch wunderhübsch aus in seinen vornehmen Kleidern.

An der Thüre des großen Saales riß der Herr Haushof- und Ceremonienmeister beide Flügelthüren möglichst geräuschvoll auf und schrie: Se. Herrlichkeit Lord Nothingnix und dero Herr Bruder!

Alsobald marschirte die Frau Gräfin Mutter den Ankommenden einen Schritt entgegen, um denselben einiges von jenem Unsinn vorzuschwatzen, was man so verbindliche Worte nennt. Weil sie nun aber ihren künftigen Schwiegersohn nie gesehen hatte und Jakob Melchior junior seinem [186] dicken Lord weit vorausgeeilt war, so nahm sie Juniors Hand, und stellte ihn der Gesellschaft als künftigen Besitzer von Schloß Pimpelsheim und von der Frau Gräfin Viktorine, ihrer Tochter, vor, welche letztere[WS 1], als ihr Bräutigam so unerwartet hübsch und jung war, unanständig schnell Anstalt machte aus ihrer Ohnmacht wieder zu sich zu kommen. Da lachte Junior hell auf und sprach: Potz Blitz, mir wär’s schon recht, wenn die Jungfer Viktorine meine Braut wäre, denn ich habe in meinem Leben kein so hübsches Mädel gesehen, wie die da. Aber setzte er traurig hinzu, es geht nicht, ich bin nur „mein jüngerer Bruder“ und diese alte dicke Figur, das ist Herr Lord Nothingnix, der sich hier mit Heirathen amüsiren will. — —



Alsobald fiel Gräfin Viktorine wieder in Ohnmacht und ihre Mutter ebenfalls in den Stuhl daneben, nachdem sie gerufen hatte: Quel erreur! quel affront! je me meurs! Alle Lorgnetten und Brillen waren aber voll Bewunderung auf Junior gerichtet und der geistreichste aller anwesenden Herren sprach: O du himmlisches Vaterland des göttlichen Shakspeare! Man begreift doch immer mehr, wie ihn nur dieser Boden, diese Luft, die so gleichsam mit Humor, Naivität und Kraft geschwängert sind, hervorbringen konnten, das beweiset jeder neue Sohn des weißen Albions, welcher zu uns kommt.

Mutter und Tochter ließen sich hinausführen und dann für den Abend entschuldigen; ein lustiger alter Onkel des Hauses suchte vergebens, auf ländliche Ungenirtheit sich stützend, statt ihrer die Honneurs zu machen. Die Gesellschaft zerstreute sich unter lebhaften Debatten über die so unerwartet interessanten Ereignisse des Abends, und voll angenehmer Erwartung der noch interessanteren Verwickelungen, welche dieser Abend nach sich ziehen mußte.

Am andern Tage beim Frühstück thaten die Gräfinnen als ob gar nichts vorgefallen wäre, behandelten den dicken Lord, als den künftigen Schwiegersohn des Hauses, mit der größten Auszeichnung, und Melchior junior, als den künftigen lieben nahen Verwandten, mit der größten Freundlichkeit, doch konnte Niemand unbemerkt bleiben, daß Gräfin Viktorinens Augen viel öfter und viel länger auf Junior, als auf ihrem Bräutigam ruhten, und daß diese schönen schwarzen Augen dann von einer so heftigen, nur durch eine gewisse Schwermuth gedämpften Liebe strahlten, wie sie bei einer Sechs- und zwanzigjährigen aller Ehren werth ist. Der günstige Leser wird es uns gewiß auf’s Wort glauben, wenn wir berichten, daß diese ganze Geschichte von a bis z den dicken Lord ungemein langweilte, den schlanken Melchior aber ungemein amüsirte. In dieser seiner Langweile war nun aber der Lord alle Tage widerwärtiger, Junior dagegen in seiner Fröhlichkeit immer anziehender, und die Gräfin Viktorine deßhalb immer weniger Herr ihrer Leidenschaft, und da selbst Mama am Ende auch nicht mehr viel dagegen hatte, wenn ihre Tochter den Lord Nothingnix junior heirathen würde, so suchte die Braut nur nach einer Gelegenheit, damit Melchior sich gegen sie aussprechen könnte; denn dieser hatte in seinem fortgesetzten Eifer, von dem Lord hier vielleicht die Langeweile zu lernen, nicht unterlassen, den Lord auch in seiner Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit gegen Viktorine nachzuahmen. Lange wollte sich aber die gewünschte Gelegenheit nicht zeigen, da hier wiederum der Lord (natürlich nur von ihm zu lernen wie man sich amüsirt) Melchiorn auch auf jedem Schritt und Tritt verfolgte, und Alles mitmachte, was dieser trieb, mochten es oft auch noch so ausgelassene Streiche bei Jagd, Fischfang, Gelag und Tanz seyn.



Eine merkwürdige Sitte war nun damals in der sogenannten guten alten Zeit, daß wenn die Frauenzimmer sich in der Früh die Haare machten oder machen ließen, dieselben in einen großen Pudermantel gehüllt oder auch nicht gehüllt vor einem großen Spiegel hinsaßen, und dann ihre Herren [187] Anbeter zu sich beschieden, damit so in stiller Bewunderung ihrer eigenen Schönheit und bei Hofmachen, Gedichte vorlesen, Intriguiren, Machiniren, Blicke wechseln, Herzen und Gedanken austauschen etc. diese langen langweiligen Stunden möglichst schnell vorüber gingen. Demgemäß fehlte nun der Lord nie beim Lever seiner Braut und Junior nie bei dem der alten Gräfin, da jener dort Unterhaltung, dieser hier Langeweile suchte. Aber sie erreichten beide auch hier nicht ihren Zweck, denn in dieser einzigen Stunde des Tages, wo sie Junior nicht als Beigabe zu ihrem Lord-Bräutigam haben konnte, war Gräfin Viktorine gewöhnlich sehr übel gelaunt, und Junior amüsirte sich sehr daran, daß sich die alte Gräfin so schrecklich viel Mühe gab, um ihm hier anzudeuten, er möge doch statt seines Bruders um ihre Tochter werben, und wie ärgerlich sie wurde, wenn der dumme Landjunker, nach ihrer Meinung, die Sache durchaus nicht begreifen konnte. Ja, als er endlich, in einem Anfall von außerordentlicher Gutmüthigkeit, ihr wie ganz absichtslos erzählte, daß er wie alle jüngeren Söhne in England gar keinen Titel, Rang und Vermögen hätte, machte sie Anfangs zwar ein gar bedenklich ernsthaftes Gesicht, dann meinte sie aber, das hätte bei ihm keine Gefahr, sein Bruder müße doch bald sterben an Schlagfluß oder Wassersucht, und dann bekäme er ja ohnehin Alles.

Eine andere kuriose Sitte war ferner damals, daß wenn man so einer Dame den Hof machte, man alles dumme Zeug thun mußte, was ihr nur immer in den Kopf kam. So hatte nun auch die alte Gräfin verlangt, Junior solle von ihrem Kamermädchen nach und nach das Haarfrisiren lernen, – damit sie, wenn er es verstünde, ganz ungestört mit ihm allein seyn könnte – und Junior hatte sich dagegen diese Lehrstunden sehr gern gefallen lassen, weil ihm, als er sie bei der Gelegenheit näher betrachtete, ein paarmal im Dorf mit ihr lustig getanzt und ein paarmal sie beim Nachhausegehen geküßt hatte, Babet, das Kamermädchen, unendlich besser gefiel, als selbst die Frau Gräfin Viktorine. Diese war schön, jene war hübsch, diese war sechsundzwanzig, jene war siebenzehen Jahre alt, diese war blaß und kränklicht, jene war frisch und gesund, diese seufzte immer, jene lachte immer. Der Gräfin konnte freilich sein Scherzen mit der hübschen Babet nicht entgehen, aber so etwas hielt man damals bei einem Edelmanne keiner Beachtung würdig.

Als nun die alte Gräfin trotz aller ihrer Bemühungen ihrem Ziele um keinen Schritt näher kam, denn der Junior war ein feiner und schlauer Vogel geworden durch das lange Leben auf dem Schloße, da erklärte auf einmal Gräfin Viktorine, ihrer Mutter Haare würden jetzt viel besser gemacht, als ihre, und Junior solle jetzt auch sie einmal frisiren und der Lord der Alten Gesellschaft leisten.

Gesagt gethan, schon am nächsten Morgen mußte der Lord der alten Gräfin, Junior aber Viktorinen aufwarten. Und oh Wunder, im Widerspruch mit den Wünschen unserer Reisenden hatten die Damen wiederum sich geändert. Der Lord langweilte sich so, daß er zuletzt laut gähnte, denn die Alte sprach heute vor lauter Unruhe und Spannung kein Wort, Junior mußte sich dagegen bei Viktorinen vortrefflich unterhalten haben, denn kaum auf des Lords Zimmer angelangt, warf er sich hell auflachend in einen Sessel und fragte ganz treuherzig: ob es langweilig wäre, ein Mädchen zu entführen? Eine Sünde könnte es doch gewiß nicht seyn, wenn Einen Eine so gar schrecklich lieb habe. Der Lord lief darauf mit unverständlichem Gemurmel wohl eine Stunde lang im Zimmer auf und ab, und als Junior, der nie lange auf einem Flecke verweilen konnte, seine Flinte genommen hatte, und in den Wald hinausgeeilt war, befahl Seine Lordschaft ihrem ersten Kammerdiener, in aller Stille einzupacken, und seinen Leuten, welche im Dorfwirthshause logirten, die Weisung zu bringen, daß sie präcis eilf Uhr mit dem Reisewagen am hinteren Parkthore seiner warten sollten.



Den ganzen Tag wichen alle im Hause einander sorgfältig aus, denn jeder fürchtete, man möge an der leisesten seiner Mienen schon sein Geheimniß errathen, und als endlich die schwärzeste und stürmischte aller Herbstanfangsnächte anbrach, ließen alle für's Nachtessen sich entschuldigen. — — Vom Gekrächze einiger durch den Sturm aufgescheuchter Raben unterbrochen, schlägt es d'runten im Dorfe langsam und feierlich eilf. Ein zartes Frauenzimmer schleicht vor Frost und Grausen zitternd eine urkundlich seit zwanzig Jahren, d. h. seit dem Tode des Besitzers dieses Schloßes, nicht betretene Treppe hinab; dieser starb nämlich in Folge eines Beinbruchs, den er sich durch einen Fall auf besagter enger Wendeltreppe [188] zuzog. Das zitternde Frauenzimmer meint leises Geisterweben um sich her zu spüren, wie sie im Vorwärtsschreiten mit Gesicht und Händen zwanzig Jahr alte Spinnewebenmassen durchschneiden muß. Endlich hat sie d'runten die Thüre erreicht, diese widersteht einen Augenblick ihrer schwachen Kraft, und stürzt endlich mit lautem Gepolter zu Boden. Die Thüre war nur angelehnt, denn Angeln und Schloß sind, wie so manches andere Eisenwerk in diesem entlegenen Theile des Schloßes, von treuen Dienern des Pimpelsheimischen Hauses längst verkauft, um sich für den noch länger rückständigen Lohn zu entschädigen. Wie ein gescheuchtes Reh flieht jetzt die erschreckte Flüchtlingin den dunkeln Ulmengang hinab, ein Mann kommt rasch aus einem Seitengange nicht weit von ihr, sie will rufen, besinnt sich, und schon sind seine Schritte verhallt. Sie meint in der Ferne eine weibliche Stimme schreien und einen Wagen davon fahren zu hören, schon will sie wieder umkehren, aber nein, sie geht bis an’s Parkthor, und richtig ihr Wagen hält noch dort, des Lords Bedienter hebt so eben ein Frauenzimmer hinein, das muß Babette sein. Der Bediente fragt leise: die auch? – die weibliche Stimme antwortet leise: Nur rasch! – unsere interessante Nachtwandlerin fühlt sich gleichfalls gepackt und in den Wagen gehoben und fort geht’s so rasch wie nur vier gute Engländer laufen können.

Wenn wir uns die Resultate der dunklen Ereignisse dieser stürmischen Nacht bei Licht besehen, so finden wir am anderen Morgen in einem Wirthshause fünf Stunden südlich von Pimpelsheim, Junior und Babette höchst vergnügt beim Caffee sitzend, und in einem zweiten Wirthshause fünf Stunden nördlich von Pimpelsheim, sitzen der Lord und die alte Gräfin gleichfalls nur durch eine Caffee-Kanne getrennt sich auch gegenüber, aber sie machen höchst langweilige abgespannte Gesichter und auf dem Sopha daneben liegt Gräfin Viktorine in Thränen gebadet. Die Sache verhält sich aber ganz einfach so. Das Resultat des langen tête a tête Juniors mit Viktorine war nämlich gewesen, daß Ersterer versprochen hatte, wenn die schöne Gräfin wirklich so schrecklich in ihn verliebt wäre, so wolle er sie entführen. Um aber bei der Sache doch den Anstand zu konserviren, so solle die Gräfin sich ihrer Mutter entdecken, damit diese (als ob sie die ganze Geschichte errathen hätte) zuerst in den Wagen hineinsitzen und dann endlich bei Tagesanbruch mit lautem Eclat sich zu erkennen geben könne. Durch die Dienerschaft würde dann schon das Gerücht unter die Leute kommen, als ob Viktorine die Gestalt im Wagen für Babet gehalten hätte u. s. w. Durch diesen höchst schlau ersonnenen Plan, hatte die Alte gemeint, würde man am schnellsten und sichersten an das von allen Betheiligten erwünschte Ziel kommen, nämlich dem alten Lord den Besitz Viktorinens unmöglich, eine schnelle Heirath nothwendig, und das übrige würde sich von selbst machen. Gut. —

Nun waren aber leider wegen der schnellen Abreise des Lords, zwei statt eines Wagens am Parkthore gewesen und Junior hatte aus Versehen die nach neugieriger Kammermädchenweise gleichfalls dort herumschleichende Babet erwischt, und als er seines Irrthumes inne geworden, da hatte er nicht erst lange auf die junge Gräfin gewartet, sondern den Kutscher tüchtig zufahren lassen; denn wenn er sich die Sache reiflich bedachte, so war sie ihm gerad so recht. Andererseits hatte der Lord die bei so viel Fett höchst auffallende Bosheit gehabt, sich ganz ruhig zu verhalten, wie er die beiden Damen einsteigen sah, und als der Tag anbrach, da schauten er und die nebensitzende alte Gräfin sich so an —



Wie sah es aber am Mittage nach der Flucht mit unsern beiden Paaren aus? — So, daß unsere Geschichte ein baldiges Ende nehmen muß. Der Lord und die Gräfin hatten sich nämlich klug in des Schicksals Willen gefunden, saßen jetzt höchst vergnügt wieder im Schlosse beim Verlobungsschmauße, und seine Lordschaft versicherte einmal über das andere, das sei das Erste, welches ihm in seinem Leben recht von Herzensgrund amüsire, daß Gräfin Viktorine ihn jetzt doch heirathen müsse, und die Gräfinen waren mit dieser Wendung der Sache sehr zufrieden, weil sie jetzt erfahren hatten, Junior wäre zwar ein jüngerer Sohn, aber nicht aus einer altenglischen Adelsfamilie, sondern aus der viel älteren und größeren derer von Habenichts in der Linie [189] Melchior. Bald darauf wurde die Hochzeit mit großem Gepränge gefeiert, und als man in der Umgegend genug geredet hatte von dem ungeheueren Nadelgelde der Ladi Nothingnix, reiste der Lord nach Karlsbad und Myladi nach Baden-Baden; sie sollen eine sehr glückliche Ehe geführt und sich vor dem Tode des Lords einmal in Paris, einmal in Petersburg, und einmal in Neapel, das letztemal sogar auf eine ganze Stunde wieder gesehen haben.

Junior und Babet hatten sich dagegen bald ihre Liebe erklärt und durch tausend Küsse bewiesen. Dann schickten sie der Gräfin mit Dank und Gruß ihren Wagen wieder zurück, und bestellten sich in dem Wirthshause einen Verlobungsschmaus so gut ihn der Wirth in der Geschwindigkeit herbeischaffen konnte. Als sie den vierten Gang, einen vortrefflichen Lammrostbraten verzehrt hatten und auf den Reispudding warteten, sagte endlich die verständige Babet: Aber wenn du ein so vornehmer und reicher Herr bist, kannst du und willst du mich auch heirathen? —

Hah Narr! lachte Junior, das war nur ein Gespaß mit der Lordschaft, ich bin nichts und habe nichts und will dich dennoch nächsten Sonntag heirathen.

Jetzt schmeckt mir kein Bissen mehr, stöhnte Babet und legte erbleichend Messer und Gabel nieder. Du leichtsinniger Bursche du! Was ist denn aber in der großen eisernen Kiste hinter dir? —

Ist das dumme Ding, brummte Junior, mir auch hierher nachspazirt! In dem Kasten ist viel Geld, aber ich kann nicht dazu.

Wenn wir kein Geld und kein Amt haben, rief Babet, so können wir uns auch nicht heirathen. O! ich unglückliches Mädchen, meinen guten Dienst habe ich aufgegeben und einen Mann krieg ich nun doch nicht! dabei liefen ihr die hellen Thränen die Backen herunter.

Das ist langweilig, fing auch Junior an zu weinen, daß man nicht heirathen kann, wenn man kein Geld hat; jetzt habe ich endlich gelernt, was es heißt, sich langweilen. Aber ach was! setzte er plötzlich sich fassend hinzu, und umarmte seine Braut, wenn wir auch kein Geld haben, ich verstehe mich ja auf’s Haarfrisiren und du erst recht, da heirathe ich dich doch und wir werden zusammen ein Perückenmacher.

Auf einmal knallte es hinter ihnen wie ein Pistolenschuß, daß sie erschrocken von einander fuhren. O! Freude, der Kasten war aufgesprungen, Melchior hatte den ersten gescheiten Streich in seinem Leben gemacht und kann Schreiber dieses am besten dem günstigen Leser sagen, daß der Melchior der glücklichste Gatte und der fröhlichste Perückenmacher unter der Sonne ist, denn ich bin selbst der Melchior Junior und habe meine Lebens- und Liebesgeschichte zur Aufmunterung für alle die verfaßt, welche, wenn sie noch so viel sind und verstehen, doch nicht meinen, heirathen zu können, wenn sie kein Geld und kein Amt haben. Auch in unsern aufgeklärten Zeiten hat jeder solch eine spuckhafte Geldkiste, die sich ihm öffnet, wenn er durch die That zeigt, daß er ein rechter Kerl ist. Dieses ist die Moral von der Sache. – Mit freundlichem Gruße und mit dem Wunsche, daß der Leser recht bald, je nachdem er alt oder jung ist, entweder wie der Lord sich amüsire oder wie der Melchior sich ennüyire, schließt hiermit die schöne Geschichte von dem Manne, der die Langeweile kennen lernen wollte.




[190]

Podagraisten-Diner.



Die Auskehr.


[191]

Der kurzsichtige Schütz.



„Geh weg Kleiner davorn, s’könnt dich sonst am Ende Einer ’naufschießen!“



Ob der Fuchs lateinisch versteht?



„Vulpis ad est!“



Heimliche Liebe.



Herr Damon und Frau Galathee,
Die sassen auf dem Kanapee.
Was machten auf dem Kanapee
Herr Damon und Frau Galathee?

5
Er seufzt, Sie auch, in herbem Leid!

Im tiefen Schmerz, sie seufzen Beid’!
Sie fühlten nie noch solches Weh,
Wie jetzo auf dem Kanapee!

So seufzten auf dem Kanapee

10
Herr Damon und Frau Galathee,

Wie sie noch nie geseufzet je
Mitsammen auf dem Kanapee!

Sie liebt mich nicht! denkt Er bei sich –
Und Sie: Er haßt mich sicherlich!

15
Drob seufzten auf dem Kanapee

Herr Damon und Frau Galathee!

Sie denkt: sein Herz ist kalt, wie Schnee –
Und Er: ein Stein ist Galathee!
Und Beide denken: Ich vergeh’

20
Vor Schmerz noch auf dem Kanapee!


So saßen auf dem Kanapee
Und assen Butterbrod zum Thee,
Und starben dann vor Liebesweh,
Herr Damon und Frau Galathee!


Joh. Bapt. Vogl.


[192]

Alle neune!


[1]

Schluß des ersten Bandes.




München, Verlag von Braun & Schneider.Papier und Druck von Fr. Pustet in Regensburg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letzere
  1. Der auf dem Scan vorhandene, aber nicht zur Graphik gehörende Bibliotheksstempel wurde entfernt.