Fliegende Blätter Heft 25 (Band 2)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 25 (Band 2)
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aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 25, S. 1–8.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
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[1]



Nro. 25.
1. II. Band.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst- Erscheinen monatlich zwei bis drei Mal. Subscriptions-
handlungen, sowie von allen Postämtern und preis für den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W.
Zeitungsexpeditionen angenommen. od. 2 Rthlr. Einzelne Nummern kosten 12 kr. R.-W. od. 3 ggr.


Moderner Narrenspiegel.


Auch die neuere Zeit hat ihre Schmarotzer, ihre Parasyten, ihre Gesellschafts- und Tischnarren, müßiggängerische Leute gewöhnlich in höheren Jahren, die sich für das Unterhaltungsfach förmlich vorgebildet haben.

Schon als Jünglinge ordneten sie gern Landpartien, Gesellschafts- und Pfänderspiele an, machten den Vortänzer, unterhielten die Damen durch herkömmliche Complimente und schaale leichtfaßliche Witzworte und Wortwitze, trugen deren Shawls und Umschlagetücher, holten ihnen Sessel und Fußbänkchen herbei, hoben sie in und aus dem Wagen, lasen den jungen Fräuleins jeden Wunsch, jedes Verlangen vom Gesichte ab, ohne darüber die Tante und Mutter oder ältere Schwester zu vernachlässigen.

Diese fliegenden Adjutanten der Gesellschaft haben ein zwar angenehmes aber schweres Amt.

Man denke sich die schreckliche Verwirrung bei einem Landvergnügen, wenn sich der Himmel plötzlich und unerwartet mit einem Wolkenmantel bedeckt und aus dessen Falten Ströme von Regen herabschüttet!

Von je fünf zu fünf Minuten muß der Gesellschaftsadjutant vor die Thüre des Wirthshauses, um über das Wetter Bericht zu erstatten; er muß vielleicht für ein Abendbrod, welches nicht in seiner Berechnung lag, den letzten Kreuzer springen lassen, er muß zur Unterhaltung und Zerstreuung der jammernden Damen ein Spiel, vielleicht ein Pfänderspiel, wobei die Leidenschaften noch am meisten in Aufregung kommen, auf’s schnellste anordnen; sein Herz blutet noch über dem letzten Kreuzer, er darf sich aber seinen Gram nicht merken lassen, er muß als Märtyrer seiner Pflicht immer nur lächeln, lachen, scherzen und die tollsten Witze und Possen erfinden.



Der Regen strömt fort; man kann doch bis zum Morgen nicht warten; man bequemt sich, den Rückweg einzuschlagen. Neue Mühsal! Für jeden Schritt, welchen diese oder jene Dame thut, ist er verantwortlich; überall hin muß er mit dem Fuße vortasten, ob da der Weg nicht grundlos sei; sein Taschentuch, obschon er ein wenig am Schnupfen leidet, hat er bereits über den Hut derjenigen jungen Dame gebreitet, welche das Privilegium besitzt, vorzugsweise seine Dienste in Anspruch nehmen zu dürfen. Mit den Worten: „Sorgen Sie nur für meine Therese; sie hat einen neuen Hut; daß uns nur der nicht verdirbt!" hat ihre Mutter sie dem jungen Manne an’s Herz gelegt; vielleicht wird Therese, im geistigen Gefühle überströmenden Regens, sich heut, wo Jeder mit sich selbst beschäftigt ist, ihm wirklich an’s Herz legen, vielleicht ist gar ein Kuß der Lohn für seine unermüdliche Ausdauer. [2] Man sieht, der junge Mann war damals doch nicht so ganz närrisch!

Aber diese Leute bleiben, bei aller noch so ausgebreiteten Bekanntschaft mit Damen, in der Regel ihr Lebelang Junggesellen. Ihr Amt erfordert, daß sie keiner Einzelnen gehören, sondern der Gesammtheit des weiblichen Geschlechts, daher haben sie kein Eigenthumsrecht an einer Einzelnen. Die Opfer, welche sie diesem ausgedehnten Verhältniß gebracht haben, sind nicht gering anzuschlagen; wenn überhaupt, treten sie in der Regel erst spät in ein Geschäft oder Amt, das gewöhnlich untergeordneter Art ist; sehr erklärlich, wenn sie in höhern Jahren fordern, daß die Geselligkeit sie für die Opfer, welche sie in frühern Jahren der Geselligkeit gebracht, einigermaßen entschädige.

Daher werden sie ihr Mittagbrod gern bei dem Kaufmann En, ihren Nachmittagskaffee bei der Rentierswittwe En-En und ihr Abendbrod bei dem reichen Buchhändler En-En-En einnehmen, wobei sie durch einen stillschweigenden Contract verbunden sind, ihre Unterhaltungskünste wie Fontainen spielen zu lassen und die Damen des Hauses in das Theater, in die Concerte, in die Ausstellungen und Verkaufsläden zu begleiten. Die Geburtsfeste von Groß und Klein, die Hochzeiten, die bleiernen, wie die silbernen und goldenen, namentlich die Polterabende bieten ihnen zumal ein Terrain, um zu zeigen, was sie in der Unterhaltungskunst gelernt haben. Die Meisten verbinden mehrere Genre der Unterhaltungskunst; Andere beschränken sich auf dies oder jenes. In bürgerlichen Kreisen spielen sie so ziemlich dieselbe Rolle, wie Gundling oder Taubmann an königlichen Tafeln, nur daß sie keinen fürstlichen Launen ausgesetzt sind und ihrer Talente wegen sogar bewundert werden. Trotzdem sind sie der unterthänige Spielball Aller, weßhalb ihre Natur sehr elastisch sein muß, um nach rechts und links geschickt nachzugeben. Diese nur scheinbar glücklichen Mannequins der Gesellschaft ordnen sich unter folgende Hauptrubriken:


1. Der Neuigkeitskrämer.



Dieser ist nicht bloß das auf zwei Beinen wandelnde Journal und die Chronique scandaleuse der gesammten Stadt, sondern auch des gesammten Herzogthums oder Großherzogthums, ja aller europäischen Höfe, in deren Geheimnisse er, der Himmel weiß wie, eingeweiht ist.

Wäre nur das Viertel von dem, was er ausplaudert, wahr, so hätten wir im nächsten Monat den schönsten Krieg, so wären im Laufe eines Jahres alle Souveräne ausgestorben, (denn da ist nicht einer, den er nicht schon einmal todtgesagt hätte,) so käme in der Stadt auf jeden Tag ein Mord, auf jede Stunde ein Diebstahl, auf jede Minute ein Bankerott oder ein außereheliches Kind. Mögen sich seine Erzählungen auch zwölfmal als Lügen ausweisen, so wird man der dreizehnten Lüge doch mit Verwunderung zuhören und eine Stunde lang Glauben schenken.

Im Grunde sind wir alle Kinder, freilich in die Höhe geschossene Kinder, und wer uns am feinsten täuscht, am künstlichsten durch den schönen Schein belügt, sei er nun Dichter oder Künstler oder Zeitungsschreiber, dem werden wir auch unsern lautesten Beifall zujubeln, gerade wie ich, der Verfasser dieses Narrenspiegels, Demjenigen, welcher mir plötzlich die unerwartete Nachricht mittheilte, ich hätte die Nase und die Stirne des Julius Cäsar, und Alle seien darüber einverstanden, daß ich ein außerordentliches Feldherrntalent befäße. Je mehr ich vom Gegentheil überzeugt wäre, desto mehr würde ich von dieser ganz unerwarteten Entdeckung erbaut sein, wie irgend ein jüngerer dramatischer Autor, dem man, natürlich nur unter vier Augen, gestände, daß sein neuestes Opus alle Tragödien Schillers und Shakspeares weit hinter sich lasse. Es liegt dies in dem dem Menschengeschlechte angeborenem Hange zu allem Wunderbaren und Unerwarteten, während die trockene und nackte Person der Wahrheit in die Hütten sowohl, als in die Paläste mit Gewalt eindringen muß, weil ihr, wenn sie klopft und sich mit ihrer rauhen Stimme anmeldet, gutwillig nicht aufgethan wird.

Der Neuigkeitskrämer erscheint in einer Gesellschaft mit sehr bedenklicher Miene. —

„Sie bringen gewiß etwas Neues?“ fragt ihn der Hausherr.

— „Ja“, antwortet er, „wenn man’s nur sagen dürfte, es klingt zu unglaublich — wer hätte das gedacht?“ —

Die übrige Gesellschaft wird aufmerksam. „Was ist? Was ist?“ fragt man von allen Seiten.

„Um Gotteswillen!“ flüstert der Neuigkeitskrämer zu dem Hausherrn, „Wir haben Alle in Aufruhr gebracht! Die Nachricht ist zu wichtig und nur unter vier Augen mitzutheilen, indeß“ —

„Nun? Indeß“ —


[3] ,,So eben ist ein Kourier durch die Stadt gekommen“ —

Hören Sie meine Herren! „Ein Kourier“, wendet sich der Hausherr zu der Gesellschaft. — „Ja, ein Kourier mit den wichtigsten Neuigkeiten; ich weiß aber nicht, ob ich sie mittheilen darf.“ —

Nach langem Widerstreben theilt er sie doch, und zwar unter vielleicht zehnmal vier Augen, mit. Entweder sind das dritte oder vierte Armeekorps plötzlich mobil gemacht worden, oder in Paris ist eine furchtbare Revolution ausgebrochen, oder man hat den Sultan strangulirt, oder England hat an Frankreich den Krieg erklärt, oder das Haus Rothschild steht auf dem Punkte Bankerott zu machen, oder der Kaiser von Rußland ist, man weiß nicht woran, gestorben, oder alle diese schrecklichen Ereignisse sind plötzlich wie im Umsehen, mit einander eingetroffen.

Aber der Neuigkeitskrämer muß auch um das Kleinste wissen, wenn er seinen Beruf erfüllen will, z. B. daß der junge Assessor Flaus mit der alten Generalswittwe Klaus sich verlobt hat, daß Herr und Madame Plack in der Ehescheidung begriffen sind, daß der Doktor Bär ein armes Mädchen aus niederm Stande heirathen wird, worauf alle Damen, zumal die jungen einverstanden sind, daß die anständige Societät ihm den Rücken kehren müsse; er erzählt ferner, daß man vor einer Stunde einen weiblichen Leichnam aus dem Wasser zog, daß in der Hafenstraße so eben ein verdächtiger Schuß gefallen ist, daß ein bekannter Professor sich endlich einmal mit neuer Garderobe versehen hat, daß ein Pferd durchgegangen und noch nicht wieder eingefangen ist, daß die Stadtgräben gereinigt werden sollen, u. s. w.

Auch die Berichte über den Erfolg des jüngsten Theaterstücks oder Concerts, über alle Arten öffentlicher Darstellungen und Leistungen gehören in sein Bereich.

Eine interessante Seitenart des Neuigkeitskrämers ist:


2. Der Geheimnißkrämer,



der es in der Regel nicht mit so großartigen und entschiedenen Thatsachen wie der Neuigkeitskrämer zu thun hat, sich auch für gewöhnlich nicht an die gesammte Gesellschaft wendet, sondern bald da bald dort irgend ein männliches oder weibliches Mitglied derselben in sein Geheimniß zieht, so aber doch auch allmählig zur Unterhaltung Aller beiträgt. Seine Geheimnisse beruhen entweder auf gar nichts oder nur auf einer Vermuthung, und da sie meist auf Personen der Gesellschaft Bezug haben, hat er allerdings keine Veranlassung, sie anders als unter vier Augen mitzutheilen.

Er wendet sich, z. B., mit äußerst geheimnisvoller Miene an den Herrn A:

„Wissen Sie schon?“ beginnt er. —

,,Nun, was?“ —

„Ja, es ist zu merkwürdig! Man sollte es nicht glauben; ich mag es auch gar nicht erzählen, Sie müßten mir denn versprechen, aber hören Sie, auf Ihr Ehrenwort versprechen, Niemand etwas wieder zu sagen, denn Sie begreifen, daß es mir die größte Verlegenheit bereiten könnte; es ist zu merkwürdig.“

Herr A. verbürgt durch sein Ehrenwort seine Verschwiegenheit.

„Aber es ist zu merkwürdig", versichert der Geheimnißvolle, „man hätte es von dem Herrn Rath B., der als so solid bekannt und seit Jahren verheirathet, ja bereits Vater mehrerer Kinder ist, nicht erwarten sollen, es ist wirklich zu merkwürdig, man kann es geradezu schlecht nennen.“ —

Man kann sich denken, daß Herr A. nach solcher Einleitung auf’s äußerste gespannt ist.

„Ja, ich weiß immer noch nicht, ob ich’s Ihnen anvertrauen darf; es ist gar zu merkwürdig. Indeß Sie sind ein verschwiegener Mann.“ —

Der Kern der Erzählung ist nun folgender: Er, der Geheimnißvolle, habe von einem Bekannten gehört, der es wieder von einem Bekannten vernommen, daß einer der Bekannten des Letztern neulich Abend in einem Manne, der um die Ecke einer nicht im besten Rufe stehenden Gasse gebogen sei, den als so solid verschrieenen Rath B. zu erkennen geglaubt habe. Leider sei es zu finster gewesen, um diese wichtige Entdeckung weiter zu verfolgen. Was den Verdacht noch vermehre, sei der Umstand, daß sich jener Mann, der ungefähr die Gestalt des Raths B. gehabt, als er den Bekannten des Bekannten des Geheimnißvollen ansichtig geworden, noch dichter in den Mantel gehüllt und die Mütze noch tiefer als vorher in die Stirn gedrückt habe.

Bald darauf sucht sich der Geheimnißvolle dem Hofrath B. zu nähern.

„Unter vier Augen, Herr Hofrath“ beginnt er — „es ist wohl meine Pflicht Ihnen Etwas mitzutheilen — und doch muß ich Anstand nehmen; es ist zu merkwürdig; man hätte es nicht denken sollen; wenn Sie mir jedoch Ihre vollkommene Verschwiegenheit zusichern wollen.“ —

Der Hofrath äußert: Verschwiegenheit sei eine seiner anerkanntesten Tugenden; es bedürfe wohl nicht erst seiner ausdrücklichen Versicherung.

[4] „Ja,“ sagt der Geheimnißvolle, es ist zu merkwürdig; man sollte es von Herrn A nicht denken; aber es muß heraus. Sie wollen ihm wohl, Herr Hofrath! aber ich rathe Ihnen vorsichtiger zu sein; wie man hört, lebt Herr A. nicht in der besten Gesellschaft.“ —

„Das ist nicht möglich,“ ruft der Hofrath, Herr A. ist ein sehr liebenswürdiger, ordentlicher junger Mann; oder sollte er sich plötzlich so sehr zu seinem Nachtheil verändert haben?“ —

„Ja, ich weiß nicht,“ sagt der Geheimnißvolle, „man horcht nur bald da bald dorthin; man hört z. B. von einem Freunde, der bei einem ziemlich berüchtigten Weinkeller vorbeigegangen; da habe er einen wüsten Lärmen vernommen, wie er gewöhnlich bei einer Schlägerei Trunkener stattfinde, und da“ —

Der Hofrath horcht auf’s gespannteste: „Nun, und da?“

„Ja, das ist eigentlich das Geheimniß, kurz, jenem Freunde, den ich nicht nennen will, schien aus dem wilden Gewirre eine Stimme wie die des Herrn A. laut zu werden, überhaupt, ich könnte noch mancherlei sagen, ich habe jedoch schon zu viel verrathen, u. s. w."

Man könnte diesen Geheimnißkrämer in die Reihe der böswilligen Narren einordnen, und es ist nicht zu läugnen, daß er zuweilen mit seinen angedeuteten Geheimnissen Unfrieden anzurichten im Stande ist. Dies liegt jedoch nicht in seiner Absicht, er will eben nur unterhalten, etwas Neues mittheilen und zugleich sich den Anschein geben, als sei er im Besitz der wichtigsten Geheimnisse. Im Gefühle seiner Nichtigkeit weiß er kein anderes Mittel, sein gesellschaftliches Ansehen aufrecht zu erhalten; auch ist durch Gewöhnung die Geheimnißthuerei bei ihm zur zweiten Natur geworden und in eine stille Narrheit ausgeartet. Bis zu welchem Grade, beweist etwa folgendes kurzes Gespräch.

Der Geheimnißkrämer nähert sich Herrn C., er hüstelt und räuspert sich; er hat offenbar ein Geheimniß auf dem Herzen.

„Herr C.!“ flüstert er. C. wendet sich zu ihm.

„Ach, Herr C.! ich habe Ihnen schon lange Etwas mittheilen wollen; es preßt mir noch das Herz ab; wenn ich nur auf Ihre vollkommene Verschwiegenheit rechnen könnte!“ —

C. sagt: an seiner Verschwiegenheit wäre gar nicht zu zweifeln; er solle sich nur mittheilen. —

„Ja es ist nur gar zu merkwürdig; Niemand außer uns Beiden darf davon wissen. Hören Sie, Niemand!“ —

Herr C. wiederholt: Niemand! —

„Sie wissen also noch nichts?“ —

Herr C. wiederholt: Nichts. —

„Noch gar nichts?“

Noch gar nichts. —

„Ich meine von Herrn D. drüben?“ —

Habe nicht einmal die Ehre, ihn zu kennen.

„Ach so, ich meine den Herrn, welcher neben Madame E. sitzt.“ —

Habe nicht das Vergnügen. —

„Das ist Jammerschade! — Da wird Ihnen auch die Geschichte nicht so sehr interessant sein, eine so allerliebste Geschichte sie auch ist; Herr D. spielt dabei eine ganz merkwürdige, um nicht zu sagen zweideutige Rolle. Aber die Geschichte von Madame E. wissen Sie doch?“ —

Durchaus nicht. —

„Ei! die ist doch gar zu merkwürdig; die sollten Sie kennen; sie ist wirklich zum Todtlachen.“ —

Nun, so erzählen Sie doch! —

Der Geheimnisvolle schüttelte bedenklich den Kopf.

„Nein! wissen Sie: die Geschichte ist mir als Geheimniß anvertraut worden, von einer Freundin der Madame E., welche um all ihre Familiengeheimnisse weiß. Ich will mich noch besser darüber unterrichten. Sollten Sie nichts von anderer Seite erfahren, so treffen wir uns wohl in acht Tagen wieder hier; ich nehme mir auch wohl das Vergnügen, bei Ihnen vorzusprechen. Also spätestens heut über acht Tage, Herr C.! Heut über acht Tage. Die Geschichte ist gar zu mertwürdig, wahrhaft zum Todtlachen!“

Aber der Geheimnißkrämer bleibt nicht immer im Kreise der gerade gegenwärtig Versammelten, er hat auch sehr wichtige exoterische Geheimnisse, welche zum Theil politischer Natur sind. Er nähert sich z. B. einem Kreise, wo zwei oder drei oder Mehrere, wie viel ihrer gerade sind, zusammenstehen. Er weiß sich auf irgend eine oder die andere Weise in ihr Gespräch zu mischen. Einer der Herren erzählt irgend ein interessantes Tagsereigniß.

„Ja, es ist merkwürdig,“ äußert der Geheimnißvolle, „was für wunderliche Dinge jetzt in der Welt vorkommen. Es geschieht immer das, was man am wenigsten erwartet.“ —

,,Wie umgekehrt immer das, was man am meisten erwartete, nicht geschieht“, äußert einer der Herren.

„Das eben ist’s, was ich sagen wollte“, fährt der Geheimnißvolle fort: „die Ereignisse fallen jetzt mit der Thüre in’s Haus. Wer sollte denken, daß sich so etwas in unsrer ruhigen, soliden Stadt ereignen[WS 1] könnte? Es ist zu merkwürdig!“

Man fragt, man forscht; immer bedenklicher, immer geheimnißvoller wird seine Miene.

„Also Sie wissen noch gar nichts?“ Ist Ihnen nichts von der mysteriösen Person erzählt worden, welche im deutschen Hause heut Mittag mit großem Gefolge eingekehrt ist? Von den Anstalten, welche unsere Polizei getroffen hat, um Gott weiß was zu verhüten? Von den Estafetten, welche sofort nach der Hauptstadt abgeschickt wurden?“

Die Herren wissen von alledem nichts, aber das Ereigniß interessirt sie, wie alles Mysteriöse. Man fragt, wer die Person sei? zu welchem Zwecke sie hier eingetroffen? Auf welche Weise er hinter das Geheimniß gekommen u. s. w.

Der Geheimnißvolle erwidert: er habe den Reisewagen, der durch dichte Vorhänge fest verwahrt gewesen sei, und das Wappen daran mit eigenen Augen gesehen. Eine männliche Gestalt sei aus dem Wagen, und, in einen militärischen Mantel gehüllt, eilig in die Thür des Gasthauses geschlüpft u. s. w.

„Wichtige politische Combinationen“, sagt er, „sind im Gange, das kann ich Sie versichern. Ich habe selbst mit dem Polizeisergeanten X. gesprochen; der mir, unter dem Siegel [5] der Verschwiegenheit, Alles anvertraut hat. Unsere Stadt dürfte vielleicht zu wichtigen Conferenzen ausersehen sein.“

„Ist es möglich? Aber wer ist denn jene mysteriöse Person ?“

„Ja, das rathen Sie einmal, meine Herren!“ erwidert der Geheimnißvolle.

„Vielleicht ein berühmter Diplomat?“

„Bedenken Sie, daß die Person mit einem militärischen Mantel bekleidet war.“

Nun denn! Ein hoher General, welcher zugleich diplomatische Aufträge besorgt.

Der Geheimnißvolle schüttelt[WS 2] wie verneinend den Kopf.

Etwa Don Carlos?

Der Geheimnißvolle sieht sehr bedenklich drein, schüttelt abermals den Kopf, doch bereits weniger.

Oder Espartero!

Der Geheimnißvolle lächelt diplomatisch schlau und schüttelt abermals, doch ganz unmerklich, den Kopf.

Oder Heinrich der Fünfte?

Der Geheimnisvolle zuckt die Achseln und sagt endlich wie bedauernd: „Wenn ich nur nicht unverbrüchliche Verschwiegenheit angelobt hätte; aber ich könnte die politischen Combinationen stören, die im Gange sind. Warten Sie nur bis morgen, meine Herren! Morgen kann ich Ihnen gewiß mehr offenbaren. Aber das kann ich versichern, der Fall ist sehr merkwürdig und die Person eine sehr hohe Person, die bald eine höchst bedeutende Rolle spielen wird.“

(Fortsetzung folgt.)




Auch eine Schöpfung.

Kaum daß auf seinen Ruf erstand die Welt,
Saß Gott der Herr, im Flammenwolkenzelt;
Mit ros’gen Schwingen, in den Händen Palmen,
Umkreisten Engel ihn und sangen Psalmen.

5
Da winkt der Herr und alles ringsum schweigt

Und sich dem Wink des Herrn gewärtig zeigt.
Er aber spricht: „Im Strahl des goldnen Lichts
Rief ich die weite Schöpfung aus dem Nichts,
Und jubelnd fliegen und mit Donnerschall

10
Millionen lichter Welten durch das All,

In Daseinslust die Flammenbahn durchklingend
Und wie im freudetrunk’nen Reihn sich schwingend.
Doch blickt am herrlichsten im großen All
Erfreuend und erfreut der Erdenball,

15
Das schönste Werk, das meine Schöpfung ziert,

Das aus sich selbst sich selber stets gebiert,
Begabt mit wunderbarer reger Kraft,
Die aus Verwesung neues Leben schafft. —
Es regen jauchzend sich die Creaturen;

20
Wie Weihrauch wirbelt’s aus den grünen Fluren,

Und aus der Vögel nimmermüder Kehle
Erschallt der Dank, die Freude ihrer Seele.
Und diesen Erdenball mit allem Leben
Hab’ zum Geschenk dem Menschen ich gegeben,

25
Dem Erdensohn, der meine Kraft besiegelt,

In dem ich mich im Schaffensdrang bespiegelt,
Dem in des Leibes irdische Gestalt
Ich goß des Geistes himmlische Gewalt,
Ein Widerspruch und doch voll Einklang nur,

30
Der Schöpfung Herr und ihre Creatur,

Nach Höchstem ringend, an der Scholle klebend,
Die Erde liebend und zum Himmel strebend.
So schuf ich ihn, daß er im Erdenzwist
Zeig’, daß er Geist von meinem Geiste ist.“ —

35
Kaum hat der Herr der Welten so gesprochen,

Da ward er durch ein Murren unterbrochen.
Vom Satan kam’s, der in der Ecke stund
Gallherzig und mit hohnverzerrtem Mund.
„Was hast du Satan?“ klang des Herren Stimme,

40
Und Satan drauf mit schlechtverhalt’nem Grimme:

„Aufrichtig, Herr, gar sehr mich ennuyirt,
Daß du im Menschen dich so gut kopirt.
Nun will ich aber keine Zeit verlieren,
Auf Erden auch mich selbst zu portraitiren.

45
Mein Conterfei will ich auch mir jetzt schaffen.“

Der Teufel ging und schuf sogleich — den Affen.

[6]

Gambrinias.

                    Ich lobe mir trotz Firnewein
                    Und trotz Burgunderblut
                    Die Rebe, die in Böhmen blüht
                    Und edles Spaltergut.


I. Gesang.
Wie König Gambrinus träumt.



     Von längstverklung’nen Tagen thut uns die Mähre kund,
Als just im Herbst der Hopfen in voller. Blüthe stund:
Da lag und sah im Traume Gambrin, der fromme Held,
Sich überrankt vom Laube gleich einem grünen Zelt;

5
Und freute sich des Segens, wie er so tiefgeheim

Ruht in der schlanken Rebe und ihrer Blüthe Keim,
Und wie ihm ward gegeben die wundersame Kraft,
Vom Duft der Hopfenblüthe zu schließen auf den Saft.
Wir danken, o Gambrine, für diesen feinen Schluß,

10
Und seh’n in Dir nun fürder den besten Logicus! –

Als nun der fromme König sich baß darob ergötzt,
Im Traum sich mit dem Dufte und mit dem Saft geletzt;
Dünkt ihm, als hört er Schritte im Laube dumpf und schwer,
Und ein Getös, als brächen die Stangen rings umher.

15
Und wie er voll Besorgniß die frommen Augen hebt,

Da war der Hopfengarten von Gnomen rings belebt,
Und oben auf dem Hügel auf einem vollen Faß
Vom Tigerfell umschlungen der Weingott Bacchus saß.
Der schalt und commandirte, und schrie aus voller Brust,

20
Daß man’s auf sieben Meilen im Umkreis hören mußt’,

Frisch an das Werk zu schreiten und Hand zu legen an,
Die Stangen umzureißen entlang den ganzen Plan,
Die Blüthen abzuschneiden zusammt dem jungen Schoß,
Die Wurzeln auszujäten – so hieß er seinen Troß!

25
Da faßt die kleinen Bälge recht grimmig böse Wuth,

Daß Jeder im Verwüsten das Seine redlich thut!
Wie klangen da die Messer, wie fiel die Hopfen-Blüth’,
Wie traf das unserm Helden so schmerzlich im Gemüth!
Dabei vernahm er deutlich, wie Bacchus von dem Thron’

30
Ihm drohend wies die Fäuste zu argem Spott und Hohn,

[7]

Daß er gewagt mit seinem mixtum compositum
Zu schmälern ihm sein Rechte und Privilegium!
An seinem Teufelstranke soll er jetzt brauen nur.
Wenn fürder sich von Hopfen auffände eine Spur! –

35
     Als zu Gambrini Zorne so sprach der Weinesgott,

Da kam’s von allen Seiten – just wie zu ärgerm Spott,[WS 3]
Von Welschland und von Japan, vom Neckar und vom Rhein,
Von Landshut und von Aachen, zu huldigen dem Wein;
Sie boten ihm die Krone, als ob er König sei,

40
Und sagten ihm auch sonsten noch manche Schmeichelei,

Daß unserm frommen Helden das Gift die Adern schwoll,
Daß er die Fäuste ballte, von bitterm Grimme voll!

     Also geschah’s Gambrino, dem König von Brabant,
Zween Jahre nach dem Tage, da er das Bier erfand. –




II. Gesang.
Wie König Gambrinus seinen Traum erzählt.



45
Als nun der helle, kühle Herbstmorgen dämmert kaum,

Rieb aus dem Aug der Held sich den Rest vom bösen Traum,
Und schellt so leidenschaftlich, wie ihm noch nie fiel ein,
Denn für sanguinisch wollte er nicht gehalten sein.
Mt Angst und Zittern stürzte der Haushofmeister her,

50
Ob etwa seinem Herrn etwas begegnet wär.

Für solchen schlimmen casus war er auch gleich bedacht,
Und hat in weiser Fürsicht die Köchin mitgebracht
Mit einem Morgenimbiß. – O schöne, gold’ne Welt,
Da noch die Helden wuchsen wie Rüben aus dem Feld!

55
Was konnte so ein Held nicht vertragen in der Schlacht,

Was konnt’ er nicht vertragen beim Humpen Tag und Nacht!
Wie sind wir klein geworden seit jener großen Zeit. –
Was sonst nach Ohm gemessen, mißt man nach Halben heut’–

Gambrin, der fromme König, im Bette auf sich setzt,

60
Hat sich alsbald mit einem gewalt’gen Trunk geletzt,

Und dankte Gott im Stillen und seiner Frauen lieb,
Dieweil ihm noch von gestern ein Restchen Hopfen blieb.
D’rauf kündet er geruhig dem Diener seinen Traum;
Und aber – der verwußte vor zähem Schreck sich kaum.

65
Denn welch’ ein schlimmer Kämpe der Thyrsusschwinger wär –

In mancher Niederlage hat er’s erfahren sehr.
D’rum sprach er auch: „Mein König, deß achtet nicht gering,
„Denn Träume, wie die euren, sind ein bedenklich’ Ding!
„D’rum rieth’ ich euch, o Herre, tragts vor im großen Rath,

70
„Das sichert euch am Besten vor übereilter That!

„Da währts schon eine Weile eh’ man ein Urtel find’t, –
„Ihr wißt ja, daß wir Alle ursprünglich Deutsche sind!“

Dieß dünkt in seinem Sinne dem Könige gar gut;
Auch ihm fließt in den Adern ein ächt germanisch Blut.

75
Und was nun ward beschloßen im Rathe breit und lang,

Das will ich euch verkünden in meinem nächsten Sang!


(Fortsetzung folgt.)



[8]

Liebesorakel.



Sie liebt mich
     von Herzen
     mit Schmerzen
     ein wenig
     oder gar nicht. –



St. Thomasnacht.



Die Communisten.



Ich sage Dir, die Gesellschaft muß unsre Principien einsehen, die Lage der Dinge muß sich ändern!

Hm! wenn sich nun aber dennoch nichts ändert –

Dann ändern wir uns; – etwas muß geschehen.





Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. – München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In der Vorlage: erreignen.
  2. In der Vorlage: schültelt.
  3. In der Vorlage ist hier die Zeilennummer 35 vermerkt. Tatsächlich ist dies aber die Zeile zuvor. In diesem Werk treten bei der Zeilennummerierung noch weitere Unstimmigkeiten auf. Die Transkription gibt die Nummerierung in der korrekten Form wieder – und weicht diesbezüglich von der Vorlage ab.