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Fountains-Abtey in Yorkshire

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
VIII. Stores, am Windermere See Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
IX. Fountains-Abtey in Yorkshire
X. Coblenz und Ehrenbreitstein
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FOUNTAIN’S ABTEY
ENGLAND

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IX. Fountains-Abtey in Yorkshire.




An Bau-Denkmälern der Vorzeit, welche der Gegenwart einen Begriff von der Hoheit, Pracht und Ueppigkeit des Kloster-Lebens geben können, ist vielleicht kein Land in der Welt so reich als England. Hier war der Pfaffen Paradies. Nirgends war die Kirche so begütert, nirgends so mächtig; nirgends auch haben sich so viele großartige Aeußerungen ihrer Prachtliebe in Kloster- und Tempelbauten, theils ganz, theils in Trümmern erhalten, als eben dort. Die alten Palläste und Schlösser der brittischen Könige und ihrer Vasallen sind, obschon für sich betrachtet herrlich und groß, doch nur Hütten verglichen mit den Riesenbauten einiger Abteien, deren Ruinen von ihrer einstigen Pracht und Unermeßlichkeit kommenden Geschlechtern noch zeugen werden.

Die schönsten dieser Ruinen, die schönsten in ganz England, sind die, deren trefflich ausgeführtes Bild das Auge des Lesers schon gefesselt hat. In der Nähe von Ginsborough (im Northriding von Yorkshire) breitet sich über Hügel und Thäler ein stundenlanger Park aus. Studley-Park ist sein Name, jetzt Eigenthum des letzten, bejahrten, weiblichen Sprößlings einer alt-brittischen Aristokratenfamilie. Unfern seines Eingangs gelangt der nach den berühmten Abteiruinen Wallende in einen majestätischen Wald tausendjähriger Eichen, aus dem der Pfad in ein enges, romantisches Thal führt. Schroffe Felswände, mit Immergrün und Epheu überschlungen, oder von hohen Tannen überschattet, berahmen es an der einen Seite, an der andern ein Waldgehäge; seinen Boden deckt das üppige Grün der Wiesen, durchschlängelt von einem rauschenden Bach, der über einige das Thal durchziehende Felsdämme in Kaskaden herabstürzt. Allmählich erweitert sich das Thal, und plötzlich, bei einer Wendung links, treten in der ganzen 1600 Fuß messenden Breite des freundlichen Grundes dem Reisenden die unermeßlichen Abteiruinen vor’s Auge, das Ziel seiner Wanderung. Der Leser wird sich leicht einen Begriff von der riesigen Größe dieser Ruinen machen können, wenn er hört, daß vor 800 Jahren die Gebäude von Fountains-Abtei einen Raum von dreizehn Morgen bedeckten; daß ihre der Gegenwart bewahrten Trümmer noch 5 Morgen einnehmen. Die Kirche allein war fast so groß als die St. Pauls Cathedrale in London und das vollendetste Muster der gothischen Baukunst. Noch steht der größere Theil des Schiffs, – 350 Fuß lang mit über 50 Fuß hohen Fenstern. Der Thurm, zu ⅔ eingestürzt, ragt noch 150 Fuß hoch empor. Aus der Kirche führt ein Thor nach dem doppelten Säulengange des Klosters, (vergl. das Bild), dessen wohlerhaltene Trümmer das Grandioseste sind, was man in dieser Art irgend wo sehen kann. Er ist über 300 Fuß lang, fast 50 Fuß breit und über 15 Ellen hoch. Ein anderes [22] Thor führt nach dem ehemaligen Klostergarten (jetzt wieder in einen Blumengarten umgeschaffen), rund umher von andern pittoresken Ruinen des unermeßlichen Gebäudes umgeben; – der ehemaligen Bibliothek mit 200 Fuß langen Hallen, des Justitzgebäudes und des Capitelhauses. Das Gewölbe dieses letztern, 40 Fuß hoch und über 100 Fuß weit, wird, wie der große Saal in Marienburg, von einer einzigen Mittelsäule getragen. Der große Speise- und Bankettsaal der Mönche, gleichfalls bewundernswürdig kühn überwölbt, ist ein herrlicher Raum; 108 Fuß lang, die Hälfte so breit, und an 30 Fuß hoch. Hier praßten die Pfaffen in unglaublicher Schwelgerei und Sittenlosigkeit, wegen welcher die Abtei eben so berüchtigt war, als berühmt wegen ihres Reichthums, ihrer Schönheit und Pracht. In der Kirche sieht man noch den steinernen Sarg, in dem Hotspur Percy begraben lag; andere zahllose Grabmäler, – Bildsäulen streitbarer Aebte in voller Kettenrüstung und von Mönchen in Harnischen, – bedecken die inneren Mauern und Pfeiler der Kirche. Hoch oben am Thurm aber liest man mit gothischen Riesen-Buchstaben eine lateinische Inschrift, die dem Wanderer den hehren Spruch zuruft: Ehre und Preis dem einzigen Gott durch alle Jahrhunderte.

Die ganze Ruine ist mit Epheu und Schlingpflanzen wie mit Vorhängen bedeckt und majestätische Bäume wehen hie und da daraus hervor. Der Waldbach, der in geringer Entfernung von ihr hinrauscht, treibt an ihrem Ende die uralte Klostermühle, welche immer noch im Gebrauch geblieben ist, gleichsam als ein Beleg für die große Wahrheit, daß, während die oft verbrecherische Pracht und Hoheit der Großen vergeht unter den Schlägen des rächenden Schicksals, das nützliche Gemeine sich erhält. – Ungefähr 200 Schritte weiter steht das alte Wohnhaus der Familie der Besitzerin, welches vor 300 Jahren aus Abteitrümmern aufgerichtet wurde: ein großes Gebäude in sonderbarem Styl und höchst malerischen Ansehns. Seine mit verwitterten, hohen Mauern umgebenen Gärten, die in Le Notre’schen Geschmack angelegt und erhalten sind, bewahren noch die Ueberbleibsel ursprünglicher Gartenanlagen der Aebte. Tausendjährige Taxusbäume, die größten und schönsten in der Welt, mit Stämmen von 30 bis 40 Fuß Umfang, zollen da ihre jungen Jahrtriebe noch immer der Scheere des Gärtners, gleichsam zur Strafe ihres unverwandten, ihnen vom Schöpfer eingehauchten Strebens, sich aus jenen unnatürlichen, geschmacklosen Formen zu befreien, welche ihnen die tyrannische Laune längst vergangener Menschen und Zeiten anwieß. So verkrüppeln oft die herrlichsten Völker in den Einrichtungen einer barbarischen Zeit, und ihr fortgesetztes Streben nach Befreiung ist nur eine ewige Verblutung.

Die prachtvolle Fountains-Abtei dankt ihren Untergang, wie die meisten ehemaligen Abteien Englands, der Einziehung der Klöster unter Heinrich VIII., und dem gegen alles Kirchliche wüthenden Vandalismus der damaligen Zeit. Man versteigerte die prachtvollen kupfernen Dächer als altes Metall und zerbrach die herrlichen Thürme und Mauern, um Quadern für einen Cloakenbau zu gewinnen! Die Nachkommen haben an den Ruinen wieder gutzumachen [23] gesucht, was die Vorältern am Prachtbau verschuldet, und ihre Erhaltung ist der jetzigen Besitzerin ein Gegenstand der größten Sorgfalt. Kein loses Steinchen begegnet dem Fuße des Wanderers in dem Trümmer-Labyrinthe, weder Distel noch Dornstrauch ritzt Hand oder Kleidung, und der Grasboden in den Höfen und Zwischenräumen der Mauern ist ein sorgfältig geschorener Teppich. Dieses allzu eifrige, überall sichtbare, die verständige Gränze weit überschreitende Erhaltungsstreben macht aber einen widrigen, beklemmenden Eindruck und schwächt der herrlichen Ruine schönsten Zauber auf das Gemüth.