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Fragment von Hyperion

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Fragment von Hyperion
Untertitel:
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1793, Vierter Band,
S. 181–221
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Fragment von Hyperion
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[181]
II.
Fragment
von
Hyperion.


Es giebt zwey Ideale unseres Daseyns: einen Zustand der höchsten Einfalt, wo unsre Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsern Kräften, und mit allem, womit wir in Verbindung stehen, durch die bloße Organisation der Natur, ohne unser Zuthun, gegenseitig zusammenstimmen, und einen Zustand der höchsten Bildung, wo dasselbe statt finden würde bey unendlich vervielfältigten und verstärkten Bedürfnissen und Kräften, durch die Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind. Die exzentrische Bahn, die der Mensch, im Allgemeinen und Einzelnen, von einem Punkte (der mehr oder weniger reinen [182] Einfalt) zum andern (der mehr oder weniger vollendeten Bildung) durchläuft, scheint sich, nach ihren wesentlichen Richtungen, immer gleich zu seyn.

Einige von diesen sollten, nebst ihrer Zurechtweisung, in den Briefen, wovon die folgenden ein Bruchstück sind, dargestellt werden.

Der Mensch möchte gerne in allem und über allem seyn, und die Sentenz in der Grabschrift des Lojola:

non coerceri maximo, contineri tamen a minimo

kann eben so die alles begehrende, alles unterjochende gefährliche Seite des Menschen, als den höchsten und schönsten ihm erreichbaren Zustand bezeichnen. In welchem Sinne sie für jeden gelten soll, muß sein freier Wille entscheiden.


[183]
Zante.     

Ich will nun wieder in mein Ionien zurück: umsonst hab’ ich mein Vaterland verlassen, und Wahrheit gesucht.

Wie konnten auch Worte meiner durstenden Seele genügen?

Worte fand’ ich überall; Wolken, und keine Juno.

Ich hasse sie, wie den Tod, alle die armseeligen Mitteldinge von Etwas und Nichts. Meine ganze Seele sträubt sich gegen das Wesenlose.

Was mir nicht Alles, und ewig Alles ist, ist mir Nichts.

Mein Bellarmin! wo finden wir das Eine, das uns Ruhe giebt, Ruhe? Wo tönt sie uns einmal wieder, die Melodie unsers Herzens in den seeligen Tagen der Kindheit?

Ach! einst sucht’ ich sie in Verbrüderung mit Menschen. Es war mir, als sollte die Armuth unsers Wesens Reichthum werden, wenn nur ein Paar solcher Armen Ein Herz, Ein unzertrennbares Leben würden, als bestände der ganze Schmerz unsers Daseyns nur in der Trennung von dem, was zusammengehörte.

[184] Mit Freud’ und Wehmuth denk’ ich daran, wie mein ganzes Wesen dahin trachtete, nur dahin, ein herzlich Lächeln zu erbeuten, wie ich mich hingab für einen Schatten von Liebe, wie ich mich wegwarf. Ach! wie oft glaubt’ ich das Unnennbare zu finden, das mein, mein werden sollte, dafür, daß ich es wagte, mich selbst an das Geliebte zu verlieren! Wie oft glaubt ich den heiligen Tausch getroffen zu haben, und forderte nun, forderte, und da stand das arme Wesen, verlegen und betroffen, oft auch hämisch – es wollte ja nur Kurzweil, nichts so Ernstes!

Ich war ein blinder Knabe, lieber Bellarmin! Perlen wollt’ ich kaufen von Bettlern, die ärmer waren, als ich, so arm, so begraben in ihr Elend, daß sie nicht wußten, wie arm sie waren, und sich recht wohl gefielen in den Lumpen, womit sie sich behangen hatten.

Aber die mannigfaltige Täuschung drückte mich unaussprechlich nieder.

Ich glaubte wirklich unterzugehn. Es ist ein Schmerz ohne gleichen, ein fortdaurendes Gefühl der Zernichtung, wenn das Daseyn so ganz seine Bedeutung verloren hat. Eine unbegreifliche Muthlosigkeit drückte mich. Ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den [185] Menschen. Ich fürchtete das Lachen eines Kindes. Dabey war ich oft sehr still und geduldig: hatte oft auch einen recht wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge. Oft konnte ich ingeheim von einem kleinen erkauften Besitzthum, von einer Kahnfahrt, von einem Thale, das mir ein Berg verbarg, erwarten, was ich suchte.

Mit dem Muthe schwanden auch sichtbar meine Kräfte.

Ich hatte Mühe, die Trümmer ehemals gedachter Gedanken zusammenzulesen; der rege Geist war veraltet; ich fühlte, wie sein himmlisch Licht, das mir kaum erst aufgegangen war, sich allmählig verdunkelte.

Freilich, wenn es einmal, wie mir däuchte, den letzten Rest meiner verlornen Existenz galt, wenn mein Stolz sich regte, dann war ich lauter Wirksamkeit, und die Allmacht eines Verzweifelten war in mir; oder wenn sie einen Tropfen Freuden eingesogen hatte, die welke dürftige Natur, dann drang ich mit Gewalt unter die Menschen, sprach, wie ein Begeisterter, und fühlte wohl manchmal auch die Thräne der Seeligen im Auge; oder wenn einmal wieder ein Gedanke, oder das Bild eines Helden in die Nacht meiner Seele strahlte, dann staunt’ ich, [186] und freute mich, als kehrte ein Gott ein in dem verarmten Gebiete, dann war mir, als sollte sich eine Welt bilden in mir; aber je heftiger sich die schlummernden Kräfte aufgeraft hatten, desto müder sanken sie hin, und die unbefriedigte Natur kehrte zu verdoppeltem Schmerze zurück.

Wohl dem, Bellarmin! wohl dem, der sie überstanden hat, diese Feuerprobe des Herzens, der es verstehen gelernt hat, das Seufzen der Kreatur, das Gefühl des verlornen Paradieses. Je höher sich die Natur erhebt über das Thierische, desto größer die Gefahr, zu verschmachten im Lande der Vergänglichkeit!

Aber Eines hab’ ich dir noch mitzutheilen, brüderliches Herz!

Ich fürchtete mich noch vor gewissen Erinnerungen, als wir uns fanden über den Trümmern des alten Roms. Unser Geist gleitet so leicht aus seiner Bahn; müssen wir doch oft dem Säuseln eines Blatts entgehen, um ihn nicht zu stören in seinem stillen Geschäfte!

Itzt kann ich wohl manchmal spielen mit den Geistern vergangner Stunden.

Mein alter Freund, der Frühling, hatte mich überrascht in meiner Finsterniß. Sonst hätt’ ich ihn noch von ferne gefühlt, wenn die erstarrten Zweige sich regten, und ein lindes Wehen [187] meine Wange berührte. Sonst hätt’ ich für jedes Weh Linderung von ihm gehoft. Aber das Hoffen und Ahnden war allmählig aus meiner Seele verschwunden

Itzt war er da, in aller Glorie der Jugend.

Mir war, als sollt ich doch auch wieder fröhlich werden. Ich öfnete meine Fenster, und kleidete mich, wie zu einem Feste. Er sollte auch mich besuchen, der himmlische Fremdling.

Ich sah, wie alles hinausströmte ins Freye, auf’s freundliche Meer von Smyrna, und sein Gestade. Sonderbare Erwartungen regten sich in mir. Ich gieng auch hinaus.

Da zeigte sich recht die Allmacht der Natur. Fast jedes Gesicht war herzlicher; überall wurde offner gescherzt, und wo man sich sonst recht feyerlich begrüßt hatte, bot man sich izt die Hände. Alles verjüngte und begeisterte der herrliche süße Frühling.

Der Hafen wimmelte von jauchzenden Schiffen, wo Blumenkränze wehten, und Chierwein blinkte, die Myrthenlauben tönten von fröhlichen Melodien, und Tanz und Spiel durchrauschte die Ulmen und Platanen.

Ach! ich suchte mehr, als das. Das konnte nicht vom Tode retten. Unwillkührlich, verloren [188] in meinem Gram, kam ich in den Garten des Gorgonda Notara, meines Bekannten. –

Ein Rauschen aus einem Seitengange störte mich auf. –

Ach! mir – in diesem schmerzlichen Gefühl meiner Einsamkeit, mit diesem freudeleeren blutenden Herzen – erschien mir Sie: hold und heilig, wie eine Priesterin der Liebe stand sie da vor mir; wie aus Licht und Duft gewebt, so geistig und zart; über dem Lächeln voll Ruh’ und himmlischer Güte thronte mit eines Gottes Majestät ihr großes begeistertes Auge, und, wie Wölkchen ums Morgenlicht, wallten im Frühlingswinde die goldnen Locken um ihre Stirne.

Mein Bellarmin! könnt’ ich dir’s mittheilen, ganz und lebendig, das Unaussprechliche, das damals vorgieng in mir! – Wo waren nun die Leiden meines Lebens, seine Nacht und Armuth? Die ganze dürftige Sterblichkeit?

Gewiß, er ist das höchste und seeligste, was die unerschöpfliche Natur in sich faßt, ein solcher Augenblick der Befreyung! Er wiegt Aeonen unsers Pflanzenlebens auf! Tod war mein irrdisches Leben, die Zeit war nicht mehr, und entfesselt und auferstanden fühlte mein Geist seine Verwandtschaft und seinen Ursprung.

[189] Jahre sind vorüber; Frühlinge kamen und giengen; manch herrlich Bild der Natur, manche Reliquie deines Italiens, aus himmlischer Phantasie hervorgegangen, erfreute mein Auge; aber das meiste verwischte die Zeit; nur Ihr Bild ist mir geblieben, mit allem, was mit ihm verwandt ist. Noch steht sie da vor mir, wie in dem heiligen trunknen Momente, da ich sie fand; ich press’ es an mein glühendes Herz das süße Phantom; ich höre ihre Stimme, das Lispeln ihrer Harfe; wie ein friedlich Arkadien, wo Blüthe und Saat in ewig stiller Luft sich wiegt, wo ohne des Mittags Schwüle die Ernte reift, und die süße Traube gedeiht, wo keine Furcht das sichere Land umzäunt, wo man von nichts weis, als von dem ewigen Frühling der Erde, und dem wolkenlosen Himmel und seiner Sonne, und seinen freundlichen Gestirnen, so stehet es offen da vor mir, das Heiligthum ihres Herzens und Geistes.

Melite! o Melite! himmlisches Wesen!

Ich möchte wohl wissen, ob sie meiner noch zuweilen gedächte. Sie bedauert mich vielleicht. Ich werde sie wiederfinden, in irgend einer Periode des ewigen Daseyns. Gewiß! was sich verwandt ist, kann sich nicht ewig fliehen.

[190] Ach! der Gott in uns ist immer einsam und arm. Wo findet er alle seine Verwandten? Die einst da waren, und da seyn werden? Wann kommt das große Wiedersehen der Geister? Denn einmal waren wir doch, wie ich glaube, alle beysammen.

Gute Nacht, Bellarmin, gute Nacht!

Morgen werd’ ich ruhiger erzählen.


Zante.     

Der Abend jenes Tages meiner Tage ist mir mit allem, was ich noch gewahr ward in meiner Trunkenheit, unvergeßlich. Mir war er das schönste, was der Frühling der Erde geben kann, und der Himmel und sein Licht. Wie eine Glorie der Heiligen, umfloß Sie das Abendroth, und die zarten goldnen Wölkchen im Aether lächelten herunter, wie himmlische Genien, die sich freuten über ihre Schwester auf Erden, wie sie unter uns einhergieng in aller Herrlichkeit der Geister, und doch so gut, und freundlich war gegen alles, was um sie war.

Alles drängte sich an sie. Allen schien sich ein Theil ihres Wesens mitzutheilen. Ein neuer zarter Sinn, eine süße Traulichkeit war unter [191] alle gekommen, und sie wußten nicht, wie ihnen geschah.

Ohne zu fragen, erfuhr ich, sie komme von den Ufern des Pactols, aus einem einsamen Thale des Imolus, wohin ihr Vater, ein sonderbarer Mann, aus Verdruß über die itzige Lage der Griechen sich schon gar lange von Smyrna weg begeben hätte, um dort seines finstern Grams zu pflegen, und ihre Mutter, ehemals die Krone von Ionien, sey eine Verwandte des Gorgonds Notara.

Notara bat uns, den Abend mit ihm unter seinen Bäumen zuzubringen, und, so, wie wir itzt gestimmt waren, dachte keiner gerne an ein Auseinandergehen.

Allmählig kam immer mehr Leben und Geist unter uns. Wir sprachen viel von den herrlichen Kindern des alten Joniens, von Sappho und Alcäus, und Anakreon, sonderlich von Homer, seinem Grabe zu Nio, von einer nahen Felsengrotte, am Ufer des Meles, wo der Herrliche manche Stunde der Begeisterung gefeyert haben soll, und manchem andern; wie neben uns die freundlichen Bäume des Gartens, wo vom Hauche des Frühlings gelöst, die Blüthen auf die Erde regneten, so theilten unsre Gemüther sich mit; jeder nach seiner Art, und auch [192] die Aermsten gaben etwas. Melite sprach manch himmlisches Wort, kunstlos, ohne alle Absicht, in lautrer heiliger Einfalt. Oft wenn ich sie sprechen hörte, fielen mir die Bilder des Dädalus ein, von denen Pausanias sagt, ihr Anblick habe bey all ihrer Einfachheit etwas Göttliches gehabt.

Lange saß ich stumm, und verschlang die himmlische Schönheit, die, wie Strahlen des Morgenlichts, in mein Inneres drang, und die erstorbenen Keime meines Wesens ins Leben rief.

Man sprach endlich auch von so manchen Wundern griechischer Freundschaft, von dem Dioskuren, von Achill und Patroklus, von der Phalanx der Sparter, von all’ den Liebenden und Geliebten, die auf und untergiengen über der Welt, unzertrennlich, wie die ewigen Lichter des Himmels.

Da wacht’ ich auf. Wir sollten davon nicht sprechen, rief ich.

Solche Herrlichkeit zernichtet uns Arme. Freilich waren es goldne Tage, wo man die Waffen tauschte, und sich liebte bis zum Tode, wo man unsterbliche Kinder zeugte in der Begeisterung der Liebe und Schönheit, Thaten für’s Vaterland, und himmlische Gesänge, und [193] ewige Worte der Weisheit, seh! wo der Aegyptische Priester dem Solon noch vorwarf, „ihr Griechen seid alle Zeit Jünglinge!“ Wir sind nun Greise geworden, klüger, als alle die Herrlichen, die dahin sind; nur Schade, daß so manche Kraft verschmachtet in diesem fremden Elemente!

Vergiß das zum wenigsten für heute, Hyperion! rief Notara; und ich gab ihm recht.

Melite’s Auge ruhte so ernst und groß auf mir. Wer hätte nicht alles vergessen.

Auf dem Wege nach der Stadt kam ich an ihre Seite. Ich drückte die Arme mit Macht gegen mein schauderndes Herz. Ich zwang den verwirrenden Tumult in mir, daß ich sprechen konnte.

O mein Bellarmin! Wie ich sie verstand, und wie sie das freute! wie ein zufällig Wörtchen von ihr eine Welt von Gedanken in mir hervorrief! Sie war ein wahrer Triumph der Geister über alles Kleine und Schwache, diese stille Vereinigung unsers Denkens, und Dichtens.

An Notara’s Hause schieden wir. Ich taumelte fort in rasender Freude, schalt und lachte über den Kleinmuth meines Herzens in den vergangenen [194] Tagen, und sah mit namenlosem Stolze auf meine alten Leiden zurück.

Wie ich aber nun nach Hause kam, und vor die offnen Fenster trat, und meine verwilderten, und halb verdorrten Blumen, und hinaufsah zu der verfallnen Burg von Smyrna, die vor mir lag im dämmernden Lichte, wie sonderbar überfiel mich das alles!

Ach! da war ich ehmals so oft gestanden um Mitternacht, wenn ich den Schlaf nicht finden konnte auf meinem einsamen Lager, und hatte den Trümmern aus bessrer Zeit, und ihren Geistern meinen Jammer geklagt!

Itzt war er wiedergekehrt, der Frühling meines Herzens. Itzt hatt’ ich, was ich suchte. Ich hatt’ es wiedergefunden in der himmlischen Grazie Melites. Es tagte wieder in mir. Das hohe Wesen hatte meinen Geist aus seinem Grabe gerufen.

Aber was ich war, war ich durch sie. Die Gute freute sich über dem Lichte, das in mir leuchtete, und dachte nicht, daß es nur der Wiederschein des ihrigen war. Ich fühlte nur zu bald, daß ich ärmer wurde, als ein Schatten, wenn sie nicht in mir, und um mich, und für mich lebte, wenn sie nicht mein ward; daß ich zu nichts ward, wenn sie sich mir entzog. Es [195] konnte nicht anders kommen, ich mußte mit dieser Todesangst jede Miene, und jeden Laut von ihr befragen, ihrem Auge folgen, als wollte mir mein Leben entfliehen, es mochte gen Himmel sich wenden, oder zur Erde; o Gott! es mußte ja ein Todesbote für mich seyn, jedes Lächeln ihres heiligen Friedens, jedes ihrer Himmelsworte, das mir sagte, wie ihr an ihrem, ihrem Herzen genüge: Sie mußte ja über mich kommen, diese Verzweiflung, daß das Herrliche, was ich liebte, so herrlich war, daß es mein nicht bedurfte. Verzeih’ es mir die Heilige! oft flucht’ ich der Stunde, wo ich sie fand, und raste im Geiste gegen das himmlische Geschöpf, daß es mich nur darum ins Leben geweckt hätte, um mich wieder niederzudrücken mit seiner Hoheit. Kann so viel Unmenschliches in eines Menschen Seele kommen?


[196]
Pyrgo in Morea.     

Schlummer und Unruhe, und manche andre seltsame Erscheinung, die halb sich bildete in mir, und verschwand, ließen indeß nichts, was ich dir mittheilen wollte, zur Sprache kommen. Oft hab’ ich schöne Tage. Dann lass’ ich mein Innres walten, wie es will, träumen und sinnen, lebe meist unter freyem Himmel, und die heiligen Höhn und Thale von Morea stimmen oft recht freundlich in die reineren Töne meiner Seele.

Alles muß kommen, wie es kömmt. Alles ist gut. Ich sollte das Vergangne schlummern lassen. Wir sind nicht für’s Einzelne, Beschränkte geschaffen. Nicht wahr, mein Bellarmin? Mir wuchs ja nur darum kein Arkadien auf, daß das dürftige, das in mir denkt und lebt, sich ausbreiten sollte, und das Unendliche umfassen. –

Das möcht’ ich auch, o das möcht’ ich! Zernichten möcht’ ich die Vergänglichkeit, die über uns lastet, und unsrer heiligen Liebe spottet, und wie ein Lebendigbegrabner sträubt sich mein Geist gegen die Finsterniß, worinn er gefesselt ist.

Ich wollte erzählen. Ich will es thun. Von aussen stört mich nichts in meinen Erinnerungen. [197] Meer und Erde schläft in der Schwüle des Mittags, und selbst die Quelle, die sonst hier unter mir rieselte, ist vertrocknet. Kein Lüftchen säuselt durch die Zweige. Ein leises Aechzen der Erde, wenn der brennende Strahl den Boden spaltet, hör’ ich zuweilen. Aber das stört wohl nicht. Auch giebt die Cypresse, die über mir trauert, Schatten genug.

Der Abend, da ich von ihr gieng, hatte mit der Nacht gewechselt, und die Nacht mit dem Tage; aber für mich nicht. In meinem Leben war kein Schlaf und kein Erwachen mehr. Es war nur Ein Traum von ihr, ein seeliger schmerzlicher Traum; ein Ringen zwischen Angst und Hoffnung. Endlich gieng ich hin zu ihr.

Ich erschrak, wie sie nun vor mir stand, so ganz anders, als in mir es aussah, so ruhig und seelig, in der Allgenügsamkeit einer Himmlischen. Ich war verwirrt und sprachlos. Mein Geist war mir entflohen.

Ich glaube nicht, daß sie es ganz bemerkte, wie sie überhaupt bey all’ ihrer himmlischen Güte nicht sehr genau darauf zu achten schien, was um sie vorgieng.

Sie hatte Mühe, mich dahin zurückzubringen, wo wir den Abend zuvor geendet hatten. [198] Endlich regte sich doch hie und da ein Gedanke in mir, und schloß sich fröhlich an die ihrigen an.

Sie wußte nicht, wie unendlich viel sie sagte, und wie ihr Bild zum Ueberschwenglichen sich verherrlichte, wenn das Hohe ihrer Gedanken an ihrer Stirne sich offenbarte, und der königliche Geist sich vereinigte mit der Huld des arglosen allliebenden Herzens. Es war als träte die Sonne hervor im freundlichen Aether, oder als stiege ein Gott hernieder zu einem unschuldigen Volke, wenn das Selbstständige, das Heilige neben ihrer Grazie sichtbar ward.

So lang ich bey ihr war, und ihr begeisterndes Wesen mich emporhub über alle Armuth der Menschen, vergaß ich oft auch die Sorgen und Wünsche meines dürftigen Herzens. Aber wenn ich weg war, dann verbarg ich’s mir umsonst, dann klagt’ es laut auf in mir, sie liebt dich nicht! Ich zürnte und kämpfte. Aber mein Gram lies nicht ab von mir. Meine Unruhe stieg von Tage zu Tage. Je höher und mächtiger ihr Wesen über mir leuchtete, desto düstrer und verwilderter ward meine Seele.

Sie schien mir endlich auszuweichen. Auch ich beschloß, sie nimmer zu sehen und hatt’ es [199] auch wirklich unter namenloser Peinigung meinem Herzen abgetrotzt, daß ich einige Tage wegblieb.

Um diese Zeit begegnete mir, da ich eben von der Einöde des Korax zurückkehrte, wohin ich vor Tagesanbruch hinausgegangen war, Notara mit seinem Weibe. Er sagte mir, daß sie zu einem benachbarten Verwandten geladen wären, und auf den Abend wieder da zu seyn gedenken. Melite, setzte er hinzu, sey zu Hause geblieben; die fromme Tochter müsse Briefe schreiben an Vater und Mutter.

Alle meine niedergedrückten Wünsche erwachten wieder. Einen Augenblick darauf ermannt’ ich mich zwar, und sagte dem Sturm in mir, daß ich heute gerade sie schlechterdings nicht sehen wolle, gieng aber doch an ihrem Hause vorüber, gedankenlos und zitternd, als hätt’ ich einen Mord im Sinne. Darauf zwang ich mich nach Hause, schloß die Thüre ab, warf die Kleider von mir, schlug mir, nachdem meine Wahl ziemlich lange gezögert hatte, den Ajax Mastigophoros auf, und sah hinein. Aber nicht eine Sylbe nahm mein Geist in sich auf. Wo ich hinsah, war ihr Bild. Jeder Fußtritt störte mich auf. Unwillkührlich, ohne Sinn sagt’ ich abgerissene Reden vor mich hin, die [200] ich aus ihrem Munde gehört hatte. Oft strekt’ ich die Arme nach ihr aus, oft floh ich, wenn sie mir erschien.

Endlich ergrimmt ich über meinen Wahnsinn, und sann mit Ernst darauf, es von Grund aus zu vertilgen, dieses tödtende Sehnen. Aber mein Geist versagte mir den Dienst. Dafür schien es, als drängen sich falsche Dämonen mir auf, und böten mir Zaubertränke dar, mich vollends zu verderben mit ihren höllischen Arzneyen.

Ermattet von dem wüthenden Kampfe sank ich endlich nieder. Mein Auge schloß sich, meine Brust schlug sanfter, und, wie der Bogen des Friedens nach dem Sturme, gieng ihr ganzes himmlisches Wesen wieder auf in mir.

Der heilige Frieden ihres Herzens, den sie mir oft auf Augenblicke mitgetheilt hatte durch Red’ und Miene, daß mir’s ward, als wandelte ich wieder im verlassenen Paradiese der Kindheit, ihre fromme Scheue, nichts zu entweihen durch übermüthigen Scherz oder Ernst, wenn es nur ferne verwandt war mit Schönem und Gutem, ihre anspruchslose Gefälligkeit, ihr Geist mit seinen königlichen Idealen, woran ihre stille Liebe so einzig hieng, daß sie nichts suchte und [201] nichts fürchtete in der Welt – alle die lieben, seelenvollen Abende, die ich zugebracht hatte mit ihr, ihre Stimme und ihr Saitenspiel, jeder Reiz ihrer Bewegung, die, wo sie stand und gieng, nur sie – ihre Güte und ihre Größe bezeichnete; ach! das alles und mehr ward so lebendig in mir.

Und diesem himmlischen Geschöpfe zürnt’ ich? Und warum zürnt’ ich ihr? Weil sie nicht verarmt war, wie ich, weil sie den Himmel noch im Herzen trug, und nicht sich selbst verloren hatte, wie ich, nicht eines andern Wesens, nicht fremden Reichthums bedurfte, um die verödete Stelle auszufüllen, weil sie nicht unterzugehen fürchten konnte, wie ich, und sich mit dieser Todesangst an ein anderes zu hängen, wie ich; ach! gerade, was das göttlichste an ihr war, diese Ruhe, diese himmlische Genügsamkeit hatt’ ich gelästert mit meinem Unmuth, mit unedlen Groll sie um ihr Paradies beneidet. Durfte sie sich befassen mit solch’ einem zerrütteten Geschöpfe? Mußte sie mich nicht fliehen? Gewiß! ihr Genius hatte sie gewarnt vor mir.

Das alles gieng mir, wie ein Schwerd, durch die Seele.

[202] Ich wollte anders werden. O! ich wollte werden, wie sie. Ich hörte schon aus ihrem Munde das Himmelswort der Vergebung, und fühlte mit tausend Wonnen, wie es mich umschuf.

So eilt’ ich zu ihr. Aber mit jedem Schritte ward ich unruhiger. Melite erblaßte, wie ich hereintrat. Dieß brachte mich vollends aus der Fassung. Doch war mir das gänzliche Verstummen von beiden Seiten, so kurz es dauerte, zu schmerzhaft, als daß ich es nicht mit aller Macht zu brechen versucht hätte.

Ich mußte kommen, sagt ich. Ich war es dir schuldig, Melite! Das Gemäßigte meines Tons schien sie zu beruhigen, doch fragte sie etwas verwundert, warum ich dann kommen müßte?

Ich habe so viel dir abzubitten, Melite! rief ich.

„Du hast mich ja nicht beleidigt.“

O Melite! wie straft mich diese himmlische Güte! Mein Unmuth ist dir sicher aufgefallen. –

„Aber beleidigt hat er mich nicht, du wolltest ja das nicht, Hyperion! Warum sollt’ ichs dir nicht sagen? Getrauert hab’ ich über dich. Ich hätte dir so gerne Frieden gegönnt. [203] Ich wollte dich oft auch bitten, ruhiger zu seyn, du bist so ganz ein andrer, in deinen guten Stunden. Ich gestehe dir, ich fürchte für dich wenn ich dich so düster und heftig sehe. Nicht wahr, guter Hyperion! du legst das ab?“

Ich konnte kein Wort vorbringen. Du fühlst es wohl auch, Bruder meiner Seele! wie mir seyn mußte. Ach! so himmlisch der Zauber war, womit sie diß sprach, so unaussprechlich war mein Schmerz.

Ich habe manchmal gedacht, fuhr sie fort, woher es wohl kommen möchte, daß du so sonderbar bist. Es ist so ein schmerzlich Räthsel, daß ein Geist, wie der deinige von solchen Leiden gedrückt werden soll. Es war gewiß eine Zeit, wo er frey war von dieser Unruhe. Ist sie dir nicht mehr gegenwärtig? Könnt ich sie dir zurückbringen, diese stille Feyer, diese heilige Ruhe im Innern, wo auch der leiseste Laut vernehmbar ist, der aus der Tiefe des Geistes kömmt, und die leiseste Berührung von aussen, vom Himmel her, und aus den Zweigen, und Blumen – ich kann es nicht aussprechen, wie mir oft ward, wenn ich so dastand vor der göttlichen Natur, und alles Irrdische in mir verstummte – [204] da ist er uns so nahe, der Unsichtbare!

Sie schwieg, und schien betroffen, als hätte sie Geheimnisse verrathen.

Hyperion! Begann sie wieder, du hast Gewalt über dich; ich weiß es. Sage deinem Herzen, daß man vergebens den Frieden ausser sich suche, wenn man ihn nicht sich selbst giebt. Ich habe diese Worte immer so hoch geachtet. Es sind Worte meines Vaters, eine Frucht seiner Leiden, wie er sagt. Gieb ihn dir, diesen Frieden, und sey fröhlich! Du wirst es thun. Es ist meine erste Bitte. Du wirst sie mir nicht versagen.

Was du willst, wie du willst, Engel des Himmels! rief ich, indem ich, ohne zu wissen, wie mir geschah, ihre Hand ergriff, und sie mit Macht gegen mein jammerndes Herz hinzog.

Sie war, wie aus einem Traume geschreckt, und wand sich los, mit möglichster Schonung, aber die Majestät in ihrem Auge drückte mich zu Boden.

Du mußt anders werden, riet sie etwas heftiger, als gewöhnlich. Ich war in Verzweiflung. Ich fühlte, wie klein ich war, und rang vergebens empor. Ach! daß es dahin kommen konnte mit mir! Wie die gemeinen Seelen, [205] sucht ich darinn Trost für mein Nichts, daß ich das Große verkleinerte, daß ich das Himmlische – Bellarmin! es ist ein Schmerz ohne gleichen, so einen schändlichen Fleck an sich zu zeigen. Sie will deiner los seyn, dacht’ ich, das ists all! – „Nun ja, ich will anders werden!“ Das stieß ich Elender unter erzwungenem Lächeln heraus, und eilte, um fortzukommen.

Wie von bösen Geistern getrieben, lief ich hinaus in den Wald, und irrte herum, bis ich hinsank in’s dürre Gras.

Wie eine lange entsetzliche Wüste lag die Vergangenheit da vor mir, und mit höllischen Grimme vertilgt’ ich jeden Rest von dem, was einst mein Herz gelabt hatte und erhoben.

Dann fuhr ich wieder auf mit wüthendem Hohngelächter über mich und alles, lauschte mit Lust dem gräßlichen Wiederhall, und das Geheul der Tschakale, das durch die Nacht her von allen Seiten gegen mich drang, that meiner zerrütteten Seele wirklich wohl.

Eine dumpfe fürchterliche Stille folgte diesen zernichtenden Stunden, eine eigentliche Todtenstille! Ich suchte nun keine Rettung mehr. Ich achtete nichts. Ich war, wie ein Thier unter der Hand des Schlächters.

[206] „Auch sie! auch sie!“ Das war der erste Laut der nach langer Zeit mir über die Lippen kam, und Thränen traten mir ins Auge.

„Sie kann ja nicht anders; sie kann sich ja nicht geben, was sie nicht haben kann, deine Armuth und deine Liebe!“ Das sagt ich mir endlich auch. Ich ward nach und nach ruhig, und fromm, wie ein Kind. Ich wollte nun gewiß nichts mehr suchen, wollte mir forthelfen von einem Tage zum andern, so gut ich konnte, ich war mir selbst nichts mehr, forderte auch nicht, daß ich andern etwas seyn sollte, und es gab Augenblicke, wo es mir möglich schien, die Einzige zu sehn, und nichts zu wünschen.

So hatt’ ich einige Zeit gelebt, als eines Tages Notara zu mir kam mit einem jungen Tinioten, sich über meine sonderbare Eingezogenheit beschwerte, und mich bat, mich den andern Tag Abends bey Homers Grotte einzufinden, er habe Etwas Eignes vor, dem Tinioten zu lieb, der so recht mit ganzer Seele am alten Griechenlande hänge, und itzt auf dem Wege sey, die Aeolische Küste, und das alte Troas zu besuchen, es wäre mir heilsam, setzte er hinzu, wenn ich seinen Freund dahin geleitete, er erinnere sich ohnediß, daß ich einmal den Wunsch geäussert hätte, diesen Theil von Kleinasien [207] zu sehn. Der Tiniote bat auch, und ich nahm es an, so wie ich alles angenommen hätte, beynahe mit willenloser Lenksamkeit.

Der andre Tag vergieng unter Anstalten zur Abreise, und Abends holte Adamas, so hieß der Tiniote, mich ab, zur Grotte hinaus.

Es ist kein Wunder, (begann ich, um andern Erscheinungen in mir nicht Raum zu geben, nachdem wir eine Weile am Meles auf und nieder unter den Myrthen und Platanen gegangen waren,) daß die Städte sich zankten um die Abkunft Homers. Der Gedanke ist so erheiternd, daß der holde Knabe da im Sande gespielt habe, und die ersten Eindrücke empfangen, aus denen so ein schöner gewaltiger Geist sich mählig entwickelte.

Du hast recht, erwiederte er, und ihr Smyrner müßt euch den erfreulichen Glauben nicht nehmen lassen. Mir ist es heilig dieses Wasser und dieß Gestade! Wer weis, wieviel das Land hier, nebst Meer und Himmel, Theil hat an der Unsterblichkeit des Mäoniden! Das unbefangne Auge des Kindes sammelt sich Ahndungen und Regungen aus der Beschauung der Welt, die manches beschämen, was später unser Geist auf mühsamen Wege erringt.

[208] In diesem Tone fuhr er fort, bis Notara mit Melite und einigen andern herankam.

Ich war gefaßt. Ich konnte mich ihr nähern, ohne merkliche Aenderung im Innern. Es war gut, daß ich unmittelbar zuvor nicht mir selbst überlassen war.

Sie litt auch. Man sah’ es. Aber o Gott! wie unendlich größer!

In die Regionen des Guten und Wahren hatte sich ihr Herz geflüchtet. Ein stiller Schmerz, wie ich ihn nie bemerkt hatte an ihr, hielt die frohen Bewegungen ihres Angesichts gefangen; aber ihren Geist nicht. In unwandelbarer Ruhe leuchtete dieser aus dem himmlischen Auge, und ihre Wehmuth schloß sich an ihn, wie an einen göttlichen Tröster.

Adamas fuhr fort, wo er unterbrochen worden war; Melite nahm Theil; ich sprach auch zuweilen ein Wörtchen.

So kamen wir an die Grotte Homers.

Stille traurende Akkorde empfiengen uns vom Felsen herab, unter den wir traten; die Saitenspiele ergossen sich über mein Innres, wie über die tode Erde ein warmer Regen im Frühlinge, Innen, im magischen Dämmerlichte der Grotte, das durch die verschiedenen Oefnungen des Felsen, durch Blätter und Zweige hereinbricht, [209] stand eine Marmorbüste des göttlichen Sängers, und lächelte gegen die frommen Enkel.

Wir saßen um sie herum, wie die Unmündigen um ihren Vater, und lasen uns einzelne Rhapsodien der Ilias, wie sie jedes nach seinem Sinne sich auswählte; denn alle waren wir vertraut mit ihr.

Eine Nänie, die mein Innerstes erschütterte, sangen wir drauf dem Schatten des lieben blinden Mannes, und seinen Zeiten. Alle waren tiefbewegt. Melite sah fast unverwandt auf seinen Marmor, und ihr Auge glänzte von Thränen der Wehmuth und der Begeisterung.

Alles war nun stille. Wir sprachen kein Wort, wir berührten uns nicht, wir sahen uns nicht an, so gewiß von ihrem Einklang schienen alle Gemüther in diesem Augenblicke, so über Sprache und Aeusserung schien das zu gehen, was jezt in ihnen lebte.

Es war Gefühl der Vergangenheit, die Todtenfeyer von allem, was einst da war.

Erröthend beugte sich endlich Melite gegen Notara hin, und flüsterte ihm etwas zu.

Notara lächelte, voll Freude über das süsse Geschöpf, nahm die Scheere, die sie ihm bot, und schnitt sich eine Locke ab.

[210] Ich verstand, was das sollte, und that stillschweigend dasselbe.

Wem sonst, als dir? rief der Tiniote, indem er seine Locke gegen den Marmor hielt.

Auch die andern gaben, ergriffen von unsrem Ernste, ihr Todtenopfer.

Melite sammelte das andere zu dem ihrigen, band es zusammen, und legte es an der Büste nieder, indeß wir andern wieder die Nänie sangen.

Das alles diente nur, um mein Wesen aus der Ruhe zu locken, in die es gesunken war. Mein Auge verweilte wieder auf ihr, und meine Liebe und mein Schmerz ergriffen mich gewaltiger, als je.

Ich strengte mich umsonst an, auszuhalten. Ich mußte weggehn. Meine Trauer war wirklich gränzenlos. Ich gieng hinab an den Meles, warf mich nieder aufs Gestade und weinte laut. Oft sprach ich mir leise ihren Namen vor, und mein Schmerz schien davon besänftigt zu werden. Aber er war es nur, um desto unaufhaltsamer zurückzukehren. Ach! für mich war keine Ruhe zu finden, auf keiner Stelle der Welt! Ihr nahe zu seyn, und ferne von ihr, die ich so namenlos liebte, und so namenlos, so unaussprechlich schändlich gequält hatte, das war [211] gleich! Beides war Hölle für mich geworden! ich konnte nicht lassen von ihr, und konnte nicht um sie bleiben!

Mitten in diesem Tumulte hört’ ich etwas durch die Myrthen rauschen. Ich rafte mich auf – und o Himmel! es war Melite!

Sie mußte wohl erschrecken, so ein zerstörtes Geschöpf vor sich zu sehen. Ich stürzte hin zu ihr in meiner Verzweiflung und rang die Hände und flehte nur um Ein, Ein Wort ihrer Güte. Sie erblaßte und konnte kaum sprechen. Mit himmlischen Thränen bat sie mich endlich, den edlern stärkern Theil meines Wesens kennen zu lernen, wie sie ihn kenne, auf das Selbstständige, Unbezwingliche, Göttliche, das wie in allen, auch in mir sei, mein Auge zu richten – was nicht aus dieser Quelle entspringe, führe zum Tode – was von ihr komme, und in sie zurückgehe, sei ewig – was Mangel und Noth vereinige, höre auf, Eines zu seyn, so wie die Noth aufhöre; was sich vereinige in dem und für das, was allein groß, allein heilig, allein unerschütterlich seye, dessen Vereinigung müsse ewig bestehen, wie das Ewige, wodurch und wofür sie bestehe und so – Hier mußte sie enden. Die andern kamen ihr nach. Ich hätte in diesem Augenblick tausend Leben daran gewagt, [212] sie auszuhören! Ich habe sie nie ausgehört. Ueber den Sternen hör’ ich vielleicht das übrige.

Nahe bey der Grotte, zu der wir wieder zurückkehrten, fieng sie noch von meiner Reise an,und bat mich, die Ufer des Skamanders, und den Ida und das ganze alte Trojer-Land von ihr zu grüssen. Ich beschwur sie, kein Wort mehr zu sprechen von dieser verhaßten Reise, und wollte geradezu den Adamas bitten, mich loszusprechen von meinem gegebnen Worte. Aber mit all’ ihrer Grazie flehte Melite, das nicht zu thun; sie sey so gewiß, nichts seye vermögend, Frieden und Freude zwischen ihr und mir zu stiften, wie diese Reise, ihr wäre, als hänge Leben und Tod daran, daß wir uns auf eine kleine Weile trennten, sie gestände mir, es sey ihr selbst nicht so deutlich, warum sie mich so sehr bitten müßte, aber sie müßte, und wenn es ihr das Leben kostete, sie müßte.

Ich sah sie staunend an, und schwieg. Mir war, als hätt’ ich die Priesterin zu Dodona gehört. Ich war entschlossen zu gehn, und wenn es mir das Leben kostete. Es war schon dunkel geworden, und die Sterne giengen herauf am Himmel.

[213] Die Grotte war erleuchtet. Wolken von Weihrauch stiegen aus dem Innern des Felsen, und mit majestätischem Jubel brach die Musik nach kurzen Dissonanzen hervor.

Wir sangen heilige Gesänge von dem, was besteht, was fortlebt unter tausend veränderten Gestalten, was war und ist und seyn wird, von der Unzertrennlichkeit der Geister, und wie sie Eines seyn von Anbeginn und immerdar, so sehr auch Nacht und Wolke sie scheide und aller Augen giengen über vom Gefühle dieser Verwandtschaft und Unsterblichkeit.

Ich war ganz ein andrer geworden. Laßt vergehen, was vergeht, rief ich unter die Begeisterten, es vergeht um wiederzukehren, es altert, um sich zu verjüngen, es trennt sich um sich inniger zu vereinigen, es stirbt, um lebendiger zu leben.

So müssen, fuhr nach einer kleinen Weile der Tiniote fort, die Ahndungen der Kindheit dahin, um als Wahrheit wieder aufzustehen im Geiste des Mannes. So verblühen die schönen jugendlichen Myrthen der Vorwelt, die Dichtungen Homers und seiner Zeiten, die Prophezeyungen und Offenbarungen, aber der Keim der in ihnen lag, gehet als reife Frucht hervor im Herbste. Die Einfalt und Unschuld der ersten [214] Zeit erstirbt, daß sie wiederkehre in der vollendeten Bildung, und der heilige Friede des Paradieses gehet unter, daß, was nur Gabe der Natur war, wiederaufblühe, als errungnes Eigenthum der Menschheit.

Herrlich! herrlich! rief Notara.

Doch wird das Vollkommne erst im fernen Lande kommen, sagte Melite, im Lande des Wiedersehens, und der ewigen Jugend. Hier bleibt es doch nur Dämmerung. Aber anderswo wird er gewiß uns aufgehen der heilige Morgen; ich denke mit Lust daran; da werden auch wir uns alle wiederfinden, bei der großen Vereinigung alles Getrennten.

Melite war ungewöhnlich bewegt. Wir sprachen sehr wenig auf unserem Rückwege. An Notaras Hause bot sie mir noch die Hand; „lebe wohl, guter Hyperion!“ das waren ihre lezten Worte, und so entschwand sie.

Lebe wohl, Melite, lebe wohl! Ich darf deiner nicht oft gedenken. Ich muß mich hüten vor den Schmerzen und Freuden der Erinnerung. Ich bin, wie eine kranke Pflanze, die die Sonne nicht ertragen kann. Leb auch du wohl, mein Bellarmin! Bist du indeß dem Heiligthum der Wahrheit näher gekommen? Könnt’ ich ruhig suchen, wie Du! –

[215] Ach! bin ich nur dort einmal angekommen, dann soll es anders werden mit mir. Tief unter uns rauscht dann der Strom der Vergänglichkeit mit den Trümmern, die er wälzt, und wir seufzen nicht mehr, als wenn das Jammern derer, die er hinunterschlingt, in die stillen Höhen des Wahren und Ewigen heraufdringt.


Kastri am Parnaß.     

Vom Gegenwärtigen ein andermal! Auch von meiner Reise mit Adamas vielleicht ein andermal! Unvergeßlich ist mir besonders die Nacht vor unserem Abschiede, wo wir an den Ufern des alten Ilion unter Grabhügeln, die vielleicht dem Achill und Patroklus, und Antilochus, und Ajax Telamon errichtet wurden, vom vergangnen und künftigen Griechenlande sprachen, und manchem andern, das aus den Tiefen und in die Tiefen unsers Wesens kam und gieng.

Der herzliche Abschied Melite’s, Adamas Geist, die heroischen Phantasien und Gedanken, die, wie Sterne aus der Nacht, uns aufgiengen aus den Gräbern und Trümmern der alten Welt, die geheime Kraft der Natur, die überall sich an uns äussert, wo das Licht und die Erde, und [216] der Himmel und das Meer uns umgiebt, all das hatte mich gestärkt, daß jetzt etwas mehr sich in mir regte, als nur mein dürftiges Herz; Melite wird sich freuen über dich! sagt ich mir oft ingeheim mit inniger Lust, und tausend güldne Hofnungen schlossen sich an, an diesen Gedanken. Dann konnte mich wieder eine sonderbare Angst überfallen, ob ich sie wohl auch noch treffen werde, aber ich hielt es für ein Ueberbleibsel meines finstern Lebens und schlug es mir aus dem Sinne.

Ich hatte am Sigäischen Vorgebirge ein Schiff getroffen, das geradezu nach Smyrna seegelte, und es war mir ganz lieb, den Rückweg auf dem Meere an Tenedos und Lesbos hin zu machen.

Ruhig schifften wir dem Hafen von Smyrna zu. Im süssen Frieden der Nacht wandelten über uns die Helden des Sternenhimmels. Kaum kräuselten sich die Meereswellen im Mondenlichte. In meiner Seele wars nicht ganz so stille. Doch fiel ich gegen Morgen in einen leichten Schlaf. Mich weckte das Frohlocken der Schwalben und der erwachende Lärm im Schiffe. Mit allen seinen Hofnungen jauchzte mein Herz dem freundlichen Gestade meiner Heimath zu, und dem Morgendlichte, das über dem Gipfel des dämmernden [217] Pagus, und seiner alternden Burg, und über den Spitzen der Moskeen und dunkeln Cypressenhaine hereinbrach, und ich lächelte treuherzig gegen die Häuserchen am Ufer, die mit ihren glühenden Fenstern wie Zauberschlösser hervorleuchteten hinter den Oliven und Palmen.

Freudig säuselte mir der Jubat in den Locken. Freudig hüpften die kleinen Wellen vor dem Schiffe voran ans Ufer.

Ich sah, und fühlte das, und lächelte.

Es ist schön, daß der Knabe nichts ahndet, wenn der Tod ihm schon ans Herz gedrungen ist.

Ich eilte vom Hafen zu Notaras Hause. Melite war fort. Sie sey schnell abgeholt worden auf Befehl ihres Vaters, sagte mir Notara, wohin wisse man nicht. Ihr Vater habe die Gegend des Imolus verlassen, und er habe weder seinen jetzigen Aufenthalt, noch die Ursache seiner Entfernung erfahren können. Melite hab’ es wahrscheinlich selbst nicht gewußt. Sie habe übrigens am Tage des Abschieds überhaupt beinahe nichts mehr gesprochen. Sie hab’ ihm aufgetragen, mich noch zu grüssen.

Mir war, als würde mir mein Todesurtheil gesprochen. Aber ich war ganz stille dazu. Ich gieng nach Hause, berichtigte nothwendige Kleinigkeiten, und war sonst im Aeussern ganz, [218] wie die Andern. Ich vermied alles, was mich an das Vergangne erinnern konnte; ich hielt mich ferne von Notaras Garten, und dem Ufer des Meles. Alles, was irgend mein Gemüth bewegen konnte, floh ich, und das gleichgültige war mir noch gleichgültiger geworden. Abgezogenheit von allem Lebendigen, das war es, was ich suchte. Ueber den ehrwürdigen Produkten des altgriechischen Tiefsinns brütet’ ich Tage und Nächte. Ich flüchtete mich in ihre Abgezogenheit von allem Lebendigen. Allmählig war mir das, was man vor Augen hat, so fremde geworden, daß ich es oft beinahe mit Staunen ansah. Oft, wenn ich Menschenstimmen hörte, war mirs, als mahnte sie mich, aus einem Lande zu flüchten, worein ich nicht gehörte, und ich kam mir vor, wie ein Geist, der sich über die Mitternachtsstunde verweilt hat, und den Hahnenschrey hört.

Während dieser ganzen Zeit war ich nie hinausgekommen. Aber mein Herz schlug noch zu jugendlich: sie war noch nicht in mir gestorben, die Mutter alles Lebens, die unbegreifliche Liebe.

Ein räthselhaft Verlangen zog mich fort. Ich gieng hinaus.

[219] Es war ein stiller Herbsttag. Wunderbar erfreute mich die sanfte Luft, wie sie die welken Blätter schonte, daß sie noch eine Weile am mütterlichen Stamme blieben.

Ein Kreis von Platanen, wo man über das felsige Gestade weg ins Meer hinaussah, war mir immer heilig gewesen.

Dort saß ich und gieng umher.

Es war schon Abend geworden, und kein Laut regte sich ringsumher.

Da ward ich, was ich jetzt bin. Aus dem Innern des Hains schien es mich zu mahnen, aus den Tiefen der Erde und des Meers mir zuzurufen, warum liebst du nicht mich?

Von nun an konnt’ ich nichts mehr denken, was ich zuvor dachte, die Welt war mir heiliger geworden, aber geheimnisvoller. Neue Gedanken, die mein Innerstes erschütterten, flammten mir durch die Seele. Es war mir unmöglich, sie festzuhalten, ruhig fortzusinnen.

Ich verlies mein Vaterland, um jenseits des Meeres Wahrheit zu finden.

Wie schlug mein Herz von großen jugendlichen Hofnungen!

Ich fand nichts, als dich. Ich sage das dir, mein Bellarmin! Du fandest ja auch nichts, als mich.

[220] Wir sind nichts; was wir suchen, ist alles.


Auf dem Cithäron.     

Noch ahnd’ ich, ohne zu finden.

Ich frage die Sterne und sie verstummen, ich frage den Tag, und die Nacht; aber sie antworten nicht. Aus mir selbst, wenn ich mich frage, tönen mystische Sprüche, Träume ohne Deutung.

Meinem Herzen ist oft wohl in dieser Dämmerung. Ich weis nicht, wie mir geschieht, wenn ich sie ansehe, diese unergründliche Natur; aber es sind heilige seelige Thränen, die ich weine vor der verschleyerten Geliebten. Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht, wenn der leise geheimnisvolle Hauch des Abends mich anweht. Verloren ins weite Blau, blick’ ich oft hinauf an den Aether, und hinein ins heilige Meer, und mir wird, als schlösse sich die Pforte des Unsichtbaren mir auf und ich vergienge mit allem, was um mich ist, bis ein Rauschen im Gesträuche mich aufweckt aus dem seeligen Tode, und mich wider Willen zurückruft auf die Stelle, wovon ich ausgieng.

Meinem Herzen ist wohl in dieser Dämmerung. Ist sie unser Element diese Dämmerung? Warum kann ich nicht ruhen darinnen?

[221] Da sah’ ich neulich einen Knaben am Wege liegen. Sorgsam hatte die Mutter, die ihn bewachte, eine Decke über ihn gebreitet, daß er sanft schlummerte im Schatten, und ihn die Sonne nicht blende. Aber der Knabe wollte nicht bleiben, und riß die Decke weg, und ich sah wie er’s versuchte, das freundliche Licht anzusehn, und immer wieder versuchte, bis ihm das Auge schmerzte und er weinend sein Gesicht zur Erde kehrte.

Armer Knabe! dacht ich, andern ergehts nicht besser, und hatte mir beinahe vorgenommen, abzulassen von dieser verwegnen Neugier. Aber ich kann nicht! ich soll nicht!

Es muß heraus, das große Geheimniß, das mir das Leben giebt oder den Tod.


Hölderlin.