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Frankfurt (Meyer’s Universum)

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CCCXX. Das Denkmal bei Abach Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCXXI. Frankfurt
CCCXXII. Die Walhalla
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FRANKFURT

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CCCXXI. Frankfurt.




Schönes Frankfurt! Auf der nämlichen Stelle, von der die Aufnahme dieser Ansicht geschah, stand ich, als ich vor zehn Jahren zum letzten Mal dich sah! Die Paläste am Main hin warfen ihre breiten Schatten über den Strom, und nur der stumpfe Kegel des Doms strahlte noch im Heiligenschein der untergehenden Sonne. In deine Betrachtung verloren, dachte ich deiner vergangenen Zeit, und des Flusses Rauschen in der düstern Tiefe kam mir vor wie das Rauschen des Stroms der Ewigkeit, auf dem so viele deiner Geschlechter flutheten und vergingen. Deine Geschicke zogen wie Phantome durch meine Seele. Ich sah den Titanen Karl mit den 300 Bischöfen des Abendlandes zum Conzil in deinen Mauern versammelt; sah die Kurfürsten durch deine Thore einziehen zur Wahl des Reichsoberhaupts; hörte den Schwur des Gewählten vor allem Volke, Recht zu üben und die Freiheit zu schirmen überall in deutschen Landen; sah die lange Reihe der Kaiser salben und krönen in deinem Dome; – sah verschwinden all die Herrlichkeit, zusammenbrechen Reich und Kaiserthron, aus Reichsfürsten Fürsten des Rheinbundes werden, in dem Palast eines Erb-Reichspostmeisters Hof halten den Fürsten Primas, und endlich – du lieber Gott! – Beschlüsse fassen den Bundestag. Welche Erinnerungen knüpfen sich an diese Namen, welche Begebenheiten, welche Erwartungen, welche Hoffnungen, welche Täuschungen haben sie geboren! Ach, mein Traum in jener Abendstunde ist ausgeträumt, und die glühenden Farben, in welche meine Phantasie damals die Zukunft malte, hat die kalte, nüchterne Gegenwart längst ausgespottet.

Was die Welt bei der jetzigen Gestaltung der Verhältnisse verloren oder gewonnen hat, mag hier unbeantwortet bleiben; Frankfurt aber hat sich gut dabei gestanden. Keine Stadt in Deutschland, nicht eine ausgenommen, hat so große Vortheile geärndtet, hat so zugenommen an Reichthum und, als Wirkung desselben, an Schönheit und an heiterm Ansehn, wie Frankfurt. Daß das Gebäude seiner reichsstädtischen Verfassung zusammenbrach, war ein Glück; denn alles war morsch daran und ausgeartet, und die äußere Form, wie das Leben drinnen, standen im Widerspruch mit der Zeit. In Regiment und Verwaltung waren die meisten Aemter längst zu Erbstücken der Patrizier geworden und ein Pfuhl, in welchem Habsucht und Neid mit einander im Kampfe lagen. Verwirrt liefen die Competenzen der verschiedenartigsten Behörden durch einander, täglich ausstreuend die Neusaat für Hader und innere Zwietracht. Frankfurt [118] contra Frankfurt war eine stehende Rubrik bei den Reichsgerichten. Die wenige Lebensthätigkeit, welche noch im morschen Staatskörper war, ging in kleinlichen Eifersüchteleien und Streitigkeiten zwischen Rath und Bürgerschaft, Zünften und Senatoren auf. Selbst der Sturm der Revolution (schon Custine rief den Frankfurtern auf offnem Markte zu: „habt ihr den deutschen Kaiser gesehen? – ihr habt den letzten gesehen!“) mit seinen schweren Erschütterungen besserte nichts. Er führte als Contribution und Brandschatzung viele Millionen fort; aber die alten Mißbräuche und Philister-Vorurtheile blieben da, und die Mängel im Regimente wurden unter der gewirkten Schuldenlast, (die meisten der gegenwärtigen Staatsschulden stammen noch aus jener Periode,) nur um so drückender und nachtheiliger.

Die Rheinbundacte löste den Reichsverband, und was ein Jahrtausend zusammen gehalten hatte, fiel aus einander. Dalberg erhielt, als Fürst Primas, Frankfurt von des Eroberers Gunst als Eigenthum. Die Hand jenes gütigen und humanen Fürsten, den der Bedienten-Sinn anfänglich ebenso übertrieben gepriesen hat, als er ihn nach Verlust der Macht ungerecht schmähete, mußte nothwendig das alte Staatsgebäude einlegen und neu bauen, und sie that’s, wie der Meister befohlen, nach französischem Muster. Dazu konnte Dalberg wenig Frankfurter brauchen; er zog Fremde in’s Land als Gehülfen bei’m Organisirungswerke und dadurch, wie durch so manche Maaßregel, die ihm der Zeitendrang gegen seinen Willen abnöthigte, schuf er Unzufriedenheit. Die Frankfurter konnten unter seiner Regierung nicht glücklich seyn; denn für das gute Neue hatten sie noch keinen Sinn – (sie sahen ja nur ein zweifelhaftes Pflanzen, aber keine Frucht! –), der Verlust des Alten aber verletzte ihren Stolz und schmerzte sie, und selbst die Last, welche die Zeit unvermeidlich auflegte, betrachteten Viele nur als eine Folge von der Veränderung des Regiments und der Verfassung.

Dalberg säete; aber er hatte blos die Mühe und die Arbeit davon; die Freude an der guten Frucht, die erst spät reifen konnte, ward ihm nicht. Leipzig’s Donner brüllte und das Primas-Intermezzo war zu Ende. Dalberg floh; er starb, verhöhnt, in Armuth[1]. – Die siegreichen Heere der Verbündeten rückten ein, an ihrer Spitze Franz, [119] der letzte deutsche Kaiser. An die Zusicherung desselben, die er den Vorständen seiner Krönungsstadt gab, knüpfte sich die Hoffnung auf Wiedererwerb von Freiheit und Selbstständigkeit, welche der 46. Artikel der Wiener Congreßacte nachher verwirklichte. Frankfurt trat dadurch ein in die Reihe der souverainen Staaten Deutschland’s. – Es folgte ein lebendiger, oft krampfhaft und peinlich werdender Kampf der sich durchkreuzenden Interessen im neugeschaffenen Gemeinwesen, und je nachdem eine oder die andere Partei oder Ansicht die Oberhand gewann, benutzte sie den Augenblick des Siegs, um sich Früchte desselben zu sichern. Innerhalb zweier Jahre wurden mehre Constitutionen erlassen, gehandhabt und wieder aufgehoben. Erst im Juli 1816 verständigte man sich über die noch in Kraft bestehende Verfassung. Sie ist im Wesentlichen die reichsstädtische mit denjenigen Modificationen, welche die Zeit als nothwendig forderte. Das democratische Prinzip anerkennt sie unverfälscht. Sie legt die Souverainitätsrechte in die Gesammtheit der christlichen Bürgerschaft und hebt die Vorrechte aller patrizischen Geschlechter auf. Diese Verfassung theilt die Gewalten in die executive (den Senat, aus 42 Gliedern, Schöffen, Senatoren und Rathsverwandten), mit der leider! zugleich (factisch wenigstens) die richterliche verbunden ist, weil Stadtgericht, Appellationsgericht und Curatelamt aus Mitgliedern des Senats bestehen, und in die legislatorische. Letztere ruht in der gesetzgebenden Versammlung und der ständigen Bürgerrepräsentation. Diese besteht aus 61 Mitgliedern, ist das Auge des Staats, die Verwaltung controllirend und in allen Finanzsachen mit dem Senate berathend; jene ist aus 85 immer nur für ein Jahr gewählten Mitgliedern zusammengesetzt. Das Präsidium des Senats führen 2 Bürgermeister, die durch Rotation der Senatsglieder von Jahr zu Jahr wechseln. Die Bewohner der wenigen, zum Frankfurter Gebiete gehörenden Ortschaften sind von aller Theilnahme am Regimente völlig und in dem Maaße ausgeschlossen, daß der kenntnißvollste Sohn des reichsten Dorfbewohners in seiner Heimath nicht einmal als Schulmeister angestellt werden kann. – Die israelitischen Bürger können schon um ihres Glaubens willen nicht zu Staatsämtern gelangen und werden eben so wenig bei den Zünften zugelassen. In jeder andern Beziehung genießen sie Rechtsgleichheit. – Die nicht-bürgerlichen Einwohner Frankfurt’s, Beisassen, (Permissionisten) haben blos auf Duldung und den allgemeinen gesetzlichen Schutz Anspruch. – Man sieht, es ist für künftige Verbesserungen in dem Staatswesen Frankfurt’s viel Raum gelassen, und auch hier wird wahr, daß die Welt überall eine Welt von Kräften ist, in welcher alles Stärkere herrscht, so viel als es kann, und in einer der kleinsten Republiken so gut die Herrschsucht eine Rolle spielen will, als in Autokratieen. Auch die Frankfurter Bürger haben Unterthanen, und sie rufen ihrem Dörfler zu: „willst du Freiheit, so nimm sie mit heim; in deinem Hause magst du ihr Altäre bauen, ein ehrlicher Mann seyn, dein Feld pflügen, bei uns zu Markte gehen, für uns arbeiten, von uns Geld verdienen; – was aber drüber ist, ist dir von Uebel.“ – Vor einer Frankfurter Ausgabe Baseler Geschichten braucht man sich freilich nicht zu fürchten. –

[120] Zum Bilde! – Längs dem Maine dehnt sich auf hohem Uferrand (vom Untermainthore) eine herrliche Fronte prachtvoller Privatwohnungen bis zu dem Landungsplatze, dem Hafen und dem Hauptzollamte hinaus, und es folgt sodann die Mainseite des ältesten Stadttheils, eine Reihe alterthümlicher Gebäude mit hohen, überhängenden Giebeln und Schieferdächern. Dunkle, gewölbte, überthürmte Pforten (die sog. Wasserthore) geben Einlaß in das Innere der Altstadt. Oberhalb der großen Brücke, welche in den jenseitigen Stadtheil (Sachsenhausen) führt, steht, die Façade dem Main zugekehrt, abermals eine Reihe palastähnlicher Häuser auf hohem Gestade (die schöne Aussicht), und den würdigen Schluß dieser Parthie machen der Tempel der Stadtbibliothek am Obermainthor und das Wachthaus, dieses eine Nachbildung der Hallen des Campus Militum in Pompeji, jener im edelsten griechischen Styl. Um den weiten Halbkreis, den die Stadt selbst zwischen den beiden äußersten Punkten, dem Ober- und Untermainthor bildet, erfreuen, auf der Stelle ehemaliger Wälle und stinkender Gräben, die schönsten öffentlichen Anlagen mit schattigen Hainen, Bosketten von blühenden Sträuchen, Alleen, Rasenplätzen, Blumenterrassen, Teichen mit Geflügel etc. in reizender Abwechselung. Dazwischen sind die 5 Landthore: das Allerheiligen-, Friedberger-, Eschenheimer-, Bockenheimer- und Sanct-Gallusthor. Zur Seite der Promenaden gruppiren sich in zwei weiten Halbzirkeln Gärten und kleine Parks mit Palästen und Villen, die mehr wie alles Uebrige verrathen, daß Frankfurt wirklich die Stadt der Millionairs, die Residenz der Geldkönige, der Rothschilde und ihres Gleichen ist, an welche Sultan und Papst und Könige und Kaiser und die meisten Völker der Erde zinsen. Auch jenseits des Mains, auf der Mühlberger Höhe, über Sachsenhausen, hat, um der herrlichen Aussicht willen, der Reichthum seine Prachtwohnungen hingebaut; die Kleefelder und Weinberge verschwinden und machen Park-Anlagen Platz. Lange Reihen solcher Villen, deren Fürsten sich nicht zu schämen brauchten, stehen auch am untern Mainthor am Flusse hin, und damit die reichste Familie auf der Welt in diesen Aeußerungen des Ueberflusses würdig repräsentirt sey, so ist die Krone aller die Rothschild’sche Villa vor dem Bockenheimer Thore, welche des Herrlichen, was den Freund des Schönen fesseln mag, allein mehr enthält, als genügend wäre, ein Buch zu füllen. Fast alle großen Gärten haben Gewächshäuser. Das Schönste, was die Flora hier erzeugt, wird jährlich in eine Blumen-Ausstellung vereinigt, welcher sich keine andere in Deutschland an die Seite stellen kann. – Von den höher gelegenen Punkten der Promenaden hat man angenehme Blicke in das Land, und sie lassen erkennen, wie der Reichthum in dem glücklichen Frankfurt nicht Einzelne blos, sondern recht Viele erfreut. Ueberall sieht man neue Anlagen entstehen, Mauerwerke emporsteigen, und aus den Dörfern ringsum glotzen die neuen rothen Dächer, zeigend, wie die Fluth des Ueberflusses auch durch kleinere Kanäle sich weit in das Land ergießt. Viele Frankfurter wohnen übrigens im Sommer in den benachbarten Flecken und Städtchen; viele selbst das ganze Jahr hindurch, und diese kommen täglich zur Stadt für die Besorgung ihrer Geschäfte. Fiakers, welche an allen Thoren stehen, erleichtern die Verbindung.

[121] Die Physiognomie der innern Stadt straft den Begriff nicht Lügen, den die äußern Umgebungen hervorrufen. Selbst im allerältesten Kern, zwischen dem Dom und dem Römerberg, mit seinen engen, winklichen, düstern, doch reinlichen Gassen, deren alterthümliche Häuser ihre weit überhängenden, mit Wetterfahnen und Thurmspitzen gezierten Giebel der Straße zukehren, wird man die Zeichen der Gemächlichkeit und des Wohlstandes ihrer Bewohner nicht vermissen. Die Stadttheile zwischen dem Mainzer- und Fahrthor und der Zeil sind neuer; auch da sind viele Straßen eng; aber aus den hohen, meistens massiven Häusern, in deren untern Räumen sich Waarengewölbe und Contore, die Fenster mit eleganten Eisengittern verwahrt, befinden, blickt schon der Reichthum heraus. Die schönsten Parthieen im Innern der Stadt sind die 80 Schritt breite Zeil, die von der Konstabler- bis zur Hauptwache reicht, mit vielen Hotels (rothem Haus, russischem Hof, römischem Kaiser etc.) und der Roßmarkt. Herrlichere Straßen als die neuen Wallstraßen hat keine Stadt Deutschlands aufzuweisen. Palast an Palast steht dort, und man wird nicht müde, die Tüchtigkeit und Eleganz dieser neuen Prachtgebäude zu bewundern.

An ältern Bauwerken, welche welt- und kunstgeschichtliches Interesse haben, muß eine Stadt reich seyn, welche seit länger als tausend Jahren blüht und in der Geschichte des deutschen Reichs einen Ehrenplatz einnimmt, der zugleich ein Schauplatz der folgenreichsten Begebenheiten und Handlungen war. Der „Römer,“ wo die deutschen Kaiser gewählt, der Dom, wo sie gesalbt und gekrönt wurden, sind jedem deutschen Herzen liebe, vertraute Namen und heilige Orte. In jenem uralten Palaste Karls des Großen (der 1480 durch Einbau der benachbarten Wohnungen seine gegenwärtige Gestalt bekam) führt eine breite Stein-Treppe den vom Römerberge her Eintretenden hinauf in das im Schmuck einer längst geschwundenen Zeit prangende Wahlzimmer, wo von den Kurfürsten des Reichs, zur Wahl versammelt, der feierliche Akt vollzogen wurde, durch den ein freies, deutsches Volk seinen Kaiser erhielt. Neben dem Wahlzimmer ist der Kaisersaal, wo der Neugekrönte, nach dem Zuge aus dem Dome, bei offenen Thüren an der Tafel speiste, die ihm deutsches Volk gedeckt hatte, und bedient von dessen Repräsentanten, den mächtigsten Fürsten des Kaiserthums. Der Hauptschmuck des Saals sind die Brustbilder aller in Frankfurt gekrönten Kaiser von Konrad I. an (912) bis auf Franz II., dessen Bild, ein bedeutsames Spiel des Zufalls, den letzten Wand-Raum, welchen seine Vorgänger übrig gelassen, gerade ausfüllt. Im Römer hält der Senat seine Sitzungen und da sind auch die Geschäftslokale der obersten Behörden der kleinen Republik. – Der Dom, vorhanden schon zu Pipin’s Zeit, von Ludwig dem Deutschen zum Stift erhoben, erhielt im 14. und 15. Jahrhundert seine jetzige Gestalt. Leider ist sie in der Nähe kaum zu erkennen; denn an dem noblen Bau hat die Habsucht und der Unverstand schlechte Häuserchen und elende Buden gekleckst, nichts frei lassend, als die Eingänge. Blos der Anblick aus der Ferne gibt einen Begriff von der Masse dieses Tempels, dessen stumpfer Coloß hoch über alle anderen Thürme der Stadt emporragt und ihr ein Ansehn von ehrfurchtgebietender Würde gibt. – Wohl hat auch am Domthurm der Zahn der [122] Zeit genagt, sein Schmuck ist längst herabgeworfen, Nischen, in denen keine Heiligen mehr sind, sind geborsten, Steine sind gerückt, und, wie in manchem Staatsgebäude, geht der Geist der Verwesung um mit leisem Knistern; doch die Masse der Hauptmauern ist unverwüstlich, noch nicht ergraut und scheint nur des rechten Baumeisters zu warten, der sie wieder zu schmücken weiß. –

Nicht am Aeußern allein will sich der Sinn ergötzen; er verlangt auch des Domes Inneres zu schauen. Weit geöffnet sind die hohen Pforten, und wir treten ein mit Ehrfurcht; denn unser Fuß berührt die Schwelle, welche vor uns vierzig deutsche Kaiser überschritten. An alten Grabsteinen und Monumenten vorüber, an Altären mit Heiligenschreinen hin, über das Grab des gewählten Kaisers, Grafen Günther’s von Schwarzburg weg, der hier starb, ehe er die Krone trug; über die Katakomben vergangener Fürstengeschlechter wandeln wir zum hohen Chor, zu jener Stufe am Hochaltare, wo das neugewählte Oberhaupt Angesichts des lebendigen Gottes und seines Volkes das Reichsgesetz beschwor. Viele leben noch, die des letzten Kaisers Schwur gehört, Viele, die, als sie, nach der Vertreibung des Reichszerstörers, Franz II. hier niederknieen sahen, Hoffnungen neu faßten, welche doch keine Zeit zu verwirklichen im Stande ist. – Ich huldige gern dem Großen unserer Vergangenheit; doch den Glauben, jener geheimnisvolle Ideenspuk, der in vielerlei Gestalten das deutsche Geisterreich durchschwärmt; jenes bedeutungsvolle, dunkle Einheitsahnen, das so träumerisch durch deutsche Seelen zieht und Befangene schreckt wie gespenstiges Schattenspiel – das würde sich gelegentlich in den alten abgetragenen Kaisermantel kleiden lassen, den man dann nur zu flicken brauche, – diesen Glauben halte ich für baare Thorheit.

Flüchtig nur verweilen wir bei den übrigen Merkwürdigkeiten Frankfurt’s. Wir beschauen die mit Säulen geschmückte Façade des Thurn- und Taxischen Palais, wo der österreichische Präsidialgesandte und der Bundestag zur Miethe wohnen; die Börse in einem andern Palaste, dem sog. Braunfels; die schönen Gebäude des Eisenbahnhofs, wo uns ein neues Leben voller Zukunft erfreut. Die St. Paulskirche (1834 vollendet) ist der luther. Haupttempel und unstreitig einer der schönsten Kirchenbaue der neuesten Zeit. Ihre Form ist die Ellipse; der Styl der römische; einfache Würde der Charakter ihrer Ausschmückung. Man sieht kein Bildwerk, außer auf dem Altare ein goldnes Cruzifix mit Dornenkrone und Palmenzweig. Die beiden Bethäuser der Reformirten sind auf dem Korn- und auf dem Roßmarkt und verdienen das nämliche Lob. Die Katharinenkirche ist überladen mit geschmacklosem Schnörkelwerk; sie enthält aber schöne, altdeutsche Monumente, und ihr 250 Fuß hoher Thurm ist eine Zierde der Stadt. Zu der Sankt Leonhardskirche lenken den Kunstfreund Sculpturen und Glasmalereien aus der besten Zeit; zur Liebfrauenkirche das berühmte Werk eines Bildschnitzers des 14. Jahrhunderts, eine Anbetung der heiligen 3 Könige. Im Saalhof erkennt der Alterthumsforscher den alten Palast der Carolinger wieder und erinnert sich bei der Schmucklosigkeit des Gebäudes der Genügsamkeit der alten deutschen Herrscher, und [123] ist eingedenk, wie der mächtigste Fürst auf Erden damals dem Bauer nach Lebensweise und Wohnung näher stand, als jetzt letzterer dem bürgerlichen Kaufmann. Im Compostell, dem uralten Hospiz für die frommen Pilger nach dem fernen St. Jago di Compostella, ist die Verwandlung, welche die Zeit da vorgenommen, pikant; und für den Beschauer, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, auch erfreulich. Denn im Hofe, auf der Stelle, wo vor dem Bilde der Jungfrau der gläubige Wallfahrertroß das Kreuz geschlagen, bauten die Israeliten dem alleinigen Gott ihren schönen Andachtstempel und daneben die der Bildung ihrer Jugend gewidmete treffliche Anstalt, das Philanthropin. – Das Theater, für Drama und Oper zugleich, ist als Bauwerk schlecht; dabei ist’s klein und nicht einmal schön im Innern. Es ist Frankfurt’s unwürdig. Ehrenwerther jedoch erscheinen die großen Anstalten für Wissenschaft und Kunst. Des (1825 vollendeten) Bibliothekgebäudes haben wir schon erwähnt. Ordnungsvoll ist hier ein literarischer Schatz aufgestellt, der nicht der Zahl, (er enthält 50,000 Bände), sondern dem Gehalte nach einer der reichsten Deutschland’s ist; besonders reich an Erstlingsdrucken, Manuscripten und xylographischen Werken. Vieles ist auch da, was man gerade nicht sucht: so Antiken, Mumien, etruskische Vasen, Sculpturen in Holz und Elfenbein, Luther’s Hauspantoffeln und Melanchthon’s Priesterrock und eine kostbare Sammlung eigenhändiger Briefe großer Männer. – Das naturhistorische Museum, an dessen Gründung die Patrioten, Cretschmar und der berühmte Frankfurter Reisende, Rüppell, den meisten Antheil haben, verschließt in seinen weiten Sälen eine der umfassendsten Sammlungen der Welt, die sich durch Geschenke jährlich mehr vervollständigt. Noch wichtiger, als die genannten Anstalten, ist das Städel’sche Kunstinstitut, die Stiftung eines einzigen Bürgers. Schon das magnifike Aeußere des Palastes und die innere Ausstattung seiner Räume lassen auf den Werth der hier aufbewahrten Schätze schließen. Die eigentliche Gemälde-Gallerie enthält 350 Nummern und viele gute Werke der niederländischen und deutschen Schulen, von denen kein großer Meister fehlt. Im Antikensaale sind die sorgfältigen Abgüsse der besten griech. Bildwerke aller Cabinette zusammengestellt. Kostbare Sammlungen von Kupferstichen, Holzschnitten und Handzeichnungen füllen einen besondern Saal. – Aber nicht allein Kunst- und Wissenschaft, auch der Armuth und dem Elende hat der ehrenhafte Sinn der Frankfurter Paläste gebaut. – Das neue Waisenhaus auf der Wallstraße; das Versorgungshaus für Gebrechliche und Alte; das Senkenbergische Stift (für Krankenpflege, gegründet vom Bürger, dessen Namen es trägt), sind großartige und trefflich geleitete Anstalten. Das neue Fremdenhospital, nahe beim Bibliothekgebäude, von lachenden Anlagen umgeben, an einem freundlichen See und mit dem Ausblick in den Maingrund, ist eine architektonische Zierde Frankfurt’s und zugleich eine, die den Sinn der Frankfurter am meisten ehrt. Seine Bestimmung ist, die Verlassenen aus fremden Ländern aufzunehmen, zu pflegen und zu heilen, welche, in Frankfurt dienend, oder durchreisend, krank werden. Im Irrenhause finden die ärmsten aller Leidenden humane, sorgfältige, angemessene Pflege. Im Besserungshause ist die strafende Gerechtigkeit mit [124] dem Bestreben vereinigt, die Gefallenen aufzurichten und nach überstandener Bußzeit der Gesellschaft als nützliche Glieder zurückzugeben. Außerdem sind eine Menge kleinerer Institute und Privatvereine für wohlthätige Zwecke wirksam; andere für Wissenschaft und Kunst; z. B. das Museum (den Sinn für’s Schöne allgemein anzuregen, und noch von Carl v. Dalberg gestiftet); der Instrumentalverein, der Kunstverein (seit 1829 bestehend, mit jährlichen Ausstellungen); der Senkenbergische naturforschende Verein etc.; der physikalische Verein; der geographische Verein etc. – Unter den höhern Unterrichtsanstalten steht oben an das vortreffliche Gymnasium mit 10 Professoren. – Eine Realschule, Musterschule, die öffentliche Zeichenschule etc. befriedigen die in Bezug auf den Unterricht der Mittelstände so sehr gesteigerten Ansprüche der Zeit. Der schöne Sinn, der mit so vieler Sorgfalt für die Lebenden wirkt, hat auch der Abgeschiedenen gedacht und die Todtenäcker: der Petersfriedhof, der neue jüdische und der Sachsenhäuser sind in freundliche Gartenanlagen umgewandelt worden. Eine schönere Nekropolis als alle diese ist jedoch der neue christliche Friedhof, etwa ¼ Stunde von der Stadt auf einer Höhe mit der weitesten Aussicht auf Stadt und Strom und das Taunusgebirge. Unter schattigen Ahornbäumen wandelt der schlafende Erdenpilger den letzten Weg hinan, wo ihn die Todtenzelle eines griechischen Tempels das letzte Obdach gibt. Von der Hand jeder beigesetzten Leiche führt eine Schelle in die Stube des Wärters, der mit Allem versehen ist, um den Scheintodten schleunigst wirksame Hülfe zu leisten. Der ganze Raum des Friedhofs ist ein Park, in welchem Blumenbeete mit Baumgruppen und Rasenplätzen wechseln. Hier ruhen die Erwachsenen in Hainen, die Kinder in einem Wäldchen von Rosenbüschen. Dieses schöne Denkmal des Gemeinsinns wurde 1827 vollendet.


Von den Quellen des Reichthums, der in dieser Stadt fortwährend so viel Großes und Schönes schafft, werde ich an einer andern Stelle zu reden veranlaßt seyn, und dann auch eine Schilderung des Frankfurter Lebens versuchen.




  1. Unter Carl v. Dalberg’s Herrschaft – so zeugt von ihm ein Frankfurter – wurde keinem Bürger ein Haar auf dem Haupte gekrümmt, Keiner wegen seiner Meinungsäußerung verfolgt, Keiner unter Commissionen gestellt, Keiner als Staatsgefangener in das Ausland abgeführt. Die Tortur, welche seine Criminalprozeßordnung abschaffte, wurde unter Dalberg nie durch Verlängerung oder Erschwerung der Untersuchungshaft ersetzt, seine Gerichte dehnten nicht, waren nie über den Schrei der Unschuld entrüstet, beschränkten nie, erschwerten nie die heilige Freiheit der Rechtsvertheidigung. Kein Frankfurter hat damals drei Jahre lang im Untersuchungsarreste, der in Löchern mit abat-jours, oder die Fenster mit Copalfirniß verkleistert, gesessen. Sein Herz, sein Streben war deutsch, frei und recht, so wenig eins seiner Edikte auch die Deutschheit zu Markte trug.
    Rheinganum, im Art. Frankfurt in Rotteck’s Staatslexicon.