Frau Reineke als Lehrmeisterin

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Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Frau Reineke als Lehrmeisterin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 499–500
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Frau Reineke als Lehrmeisterin.
Nach einem Gemälde von G. v. Maffei.

[499]

Frau Reineke als Lehrmeisterin.

(Zu dem Bilde S. 497.)

Dichtung und Fabel haben ihren Kranz geflochten um Reineke, den rothen Freibeuter, den populärsten Raubgesellen, welcher Flur und Wald durchstreift, und so sprichwörtlich ist seine Schlauheit geworden, daß „schlau“ und „Fuchs“ zusammen gehören wie Reiter und Roß. Wohl weiß der Jäger, daß die Schlauheit des Fuchses in mancher Geschichte übertrieben geschildert wird, aber Reineke bleibt doch das interessanteste heimische Raubthier schon aus dem Grunde, weil er nicht wie die andern Familienglieder sein räuberisches Gewerbe fast ausschließlich im Dunkel der Nacht verbirgt, sondern sich auch bei Tage bei seinem Thun und Treiben belauschen läßt.

Jedes Wild ist scheu und mißtrauisch in Gegenden, wo es immerwährenden Verfolgungen ausgesetzt ist, „vertraut“, wo ein schonender Jagdherr dasselbe hegt und da Reineke seiner Räubereien wegen auf keinem Reviere gern gesehen, sondern, wo und wann man seiner habhaft werden kann, um Flinte und Eisen verfolgt wird, so prägt sich in erster Linie Mißtrauen und Vorsicht in seinem Wesen aus. Einen schlauen Streich von Reineke zu sehen, gehört zu den größten Seltenheiten im Jägerleben, und obgleich ich Hunderte von Füchsen zu allen Tages- und Jahreszeiten stundenlang beobachtet und auch Hunderte erlegt habe, so weiß ich doch dem Leser nur ein Beispiel zu erzählen, daß eine Füchsin oder „Fehe“, wie sie der Jäger nennt, zum Schutz ihres „Gehecks“ vor den fortwährenden Verfolgungen des Jägers in ihrer Vorsicht einen hohen Grad von Schlauheit bewies, und ehe ich auf die von Maffeis Künstlerhand dargestellte Scene unserer Abbildung eingehe, möchte ich diesen selbsterlebten Vorfall schildern.

Mein alter Freund, der Förster G. im Lippe-Detmoldischen, hatte ein Geheck junger Füchse auf einem Bau „ausgemacht“ und beim Ansitz nach und nach drei Stück davon geschossen. Das hatte die „Fehe“ aber übelgenommen und war mit dem Rest der jungen Räuberbrut ausgewandert. Doch Freund Grünrock wußte die Feinde seiner Wildbahn bald wieder auszumachen und an einem heiteren Nachmittage Anfang Juni saßen wir 60 Schritt von dem betreffenden Bau. Durch dichtes Fichtengebüsch sind wir vor den scharfen „Sehern“ der Füchsin und des Gehecks geschützt.

Kaum haben wir eine halbe Stunde dort gesessen, da lugt aus der Röhre ein rother spitzer Kopf hervor, der die „Lauscher“ sichernd nach vorn streckt und die Nase windend hin und her dreht, dann schiebt sich Frau Fehe halb aus dem Bau, sichert nochmals und zeigt uns endlich ihren dürren, feingebauten Leib, an dem die dünne „Lunte“ (Schwanz) trauernd fast den Boden streift und der in seinem zerzausten kurzhaarigen Gewande uns daran gemahnt, daß Mutterfreuden und Nahrungssorgen auf das Aeußere nicht allzu vortheilhaft wirken. Sie untersucht den ganzen Bau mit der Nase dicht auf der Erde, beschnuppert jede Röhre, steht still, lauscht und umkreist endlich in weitem Bogen nochmals ihren Zufluchtsort, aber nichts Verdächtiges sieht und wittert sie. Jetzt erst wähnt sie sich sicher. Sie eilt zur Röhre, steckt den Kopf hinein, lockt – – und in demselben Augenblick stürzen drei junge Füchschen neben ihr heraus, jagen sich, zausen, überschlagen und wälzen sich – übermüthig wie die Jugend, wenn sie, den harten Schulbänken entfliehend, aus der Thür hervorquillt.

Die Alte steht als Wache auf dem Bau und schaut vergnüglich dem munteren Gejage der graurothen, noch mit dem ersten Jugendrocke bekleideten Bürschchen zu. Jetzt hat das eine einen abgenagten Hasenlauf, an dessen unterem Ende noch eine Spanne lang Balg sitzt, ergriffen und ein anderes will ihm dieses Spielzeug streitig machen. Von beiden Seiten zerrend, ziehen sie sich hin und her, bis endlich Reinhard die Sache leid wird. Er läßt den Lauf los und will rauflustig sein Brüderchen ergreifen; dieses flieht, die beiden andern setzen hinter ihm drein. Jetzt hat der Flüchtling einen alleinstehenden kleinen Fichtenbusch erreicht, und so rasch er kann, geht’s um ihn herum in schnellster Flucht, und da jeder den vor ihm Dahineilenden zu haschen sucht, so sieht man nicht mehr, welcher der erste, welcher der letzte ist, es berührt fast die Nase des einen die Lunte des andern, daß man glauben möchte, ein Ring aus lebenden Kettengliedern umkreise den Busch.

Da stößt die Fehe einen leisen Ton aus – – die Kettenglieder lösen sich, und wie auf Kommando ist das Kleeblatt unter der Erde verschwunden.

Noch eine Minute tritt die Füchsin auf dem Bau hin und her, dann horcht sie in die Röhre und trabt fort – vielleicht um Fraß zu holen? – nein, noch nicht. Nach fünf Minuten kommt sie wieder – leise schleichend – sie hebt den Lauf so vorsichtig und langsam und setzt ihn so behutsam wieder nieder wie ein Hühnerhund, der mit hoher Nase einer Kette Hühner nachzieht – Schritt vor Schritt – niemand soll sie hören – bis zur Röhre – sie lauscht hinein – nichts regt sich. Was bedeutet das? Sie hat den Jungen verboten, während ihrer Abwesenheit draußen zu spielen, und jetzt schleicht sie noch einmal an den Bau, um nachzusehen, ob die Kleinen auch gehorsam sind, damit ihnen kein Leid geschehe.

Machen es viele Menschen nicht ebenso? – Nachdem Mutterliebe und Besorgniß die Alte angetrieben haben, all ihre Schlauheit zum Schutze der Lieblinge anzuwenden, schleicht sie endlich leise vom Bau und verschwindet.

Eine Stunde ist verflossen, da tönt von fern her ein langgezogener Schrei zu uns herüber. Es ist der Klageton, welchen ein Haushahn in größter Angst ausstößt – trompetentonartig langgezogen. Immer näher kommen die Schreckenslaute und endlich erscheint zwischen den Stämmen die Fehe, welche im hochgehobenen Rachen einen noch lebenden, goldig schimmernden Haushahn am gebrochenen Flügel herbeischleppt. Stolz kommt sie angetrabt mit ihrem unglücklichen Opfer, das kraftlos mit dem noch gesunden Fittich in die Luft schlägt und mit seinen bespornten Füßen nach der Brust des Siegers tritt, als wollte es mit letzter Kraftanstrengung nochmals versuchen, sich zu befreien. Doch es gelingt ihm nicht, und nun [500] stößt es jenen kläglichen Angstschrei aus, gleichsam Hilfe rufend gegen den räuberischen Bösewicht, dessen spitzes Gesicht mit den tückischen Sehern, umweht von krummen Hahnenfedern, dem des Mephisto gleicht. Jetzt ist die Füchsin auf dem Bau angelangt, legt den Hahn vor die Röhre, drückt ihn mit beiden Vorderläufen nieder und ruft ihre gehorsamen Jungen aus der unterirdischen Behausung. Schnell wie der Blitz sind sie da, die kleinen Unholde, und umkreisen mit gierigen, doch zugleich ängstlichen Gebärden den Raub, denn sie kannten nur Mäuse, lebend und todt, vielleicht auch junge Hasen, hatten aber bis jetzt noch kein Thier von solcher Größe gesehen; und trotzdem die Mama ihnen zeigt, wie sie anfassen sollen, und sie hierzu mit Zeichen und Stimme reizt, wagen doch die jungen Schelme den Angriff auf das so kläglich überlistete Symbol der Wachsamkeit nicht. Um ihre Gier noch mehr anzufeuern, läßt plötzlich die Alte den Hahn los, und dieser, hoffend, daß er jetzt noch seinen blutgierigen Feinden entfliehen könne, springt auf und eilt, mit seinem gesunden Flügel den Lauf beschleunigend, so rasch er kann, aus der Nähe der lüsternen Raubgesellen. Doch das unerwartete Aufspringen des Hahns bringt auf die Jungen eine ganz andere Wirkung hervor, als Mutter Reineke gehofft hatte, denn statt ihm nachzueilen, huschen sie, von Schreck ergriffen, in ihr sicheres unterirdisches Versteck, und nur wiederholtes Rufen der Mama, die nach wenigen Sprüngen den Hahn eingeholt und zurückgeschleppt hat, kann das junge Raubgesindel bewegen, ans Tageslicht zurückzukommen. Nochmals versucht die Alte dasselbe Spiel und jetzt schon mit mehr Erfolg. Reinhard, der seinen Geschwistern an Größe („Stärke“ sagt der Jäger) etwas voraus ist, greift nach einer Schwanzfeder, während die beiden andern, sich drückend, dem entfliehenden Hahn nachschauen. Wieder schleppt ihn die Alte zurück und drückt ihn mit den Vorderläufen nieder, und jetzt greifen alle drei mit spielender Gier in die Federn und halten fest, bis die Alte den armen fast zu Tode gequälten Ritter des Hühnerhofes mit einem Griff auf den Hals abgethan hat.

Reinhard hat den Hals des Hahns gepackt, und rückwärts reißend und schüttelnd zieht er mit aller Kraft, das eine Brüderchen greift nach dem noch zuckenden Beine, das andere reißt sich eine lange Schwanzfeder aus – jetzt ist die ganze Sippe in einen Knäuel zusammengedrängt – da knallt’s zweimal fast a tempo – und Pulverdampf verbirgt unsern Blicken das gestörte Räubermahl, dessen Wirthin jetzt neben dem erlesenen Festbraten liegt, während Reinhard nicht weit davon eben seine junge Räuberseele aushaucht.

Und nun zu unserem Bilde! Dasselbe zeigt eine Füchsin mit einem Theil ihres Gehecks in einer etwas späteren Jahreszeit, Ende Juni oder Anfang Juli. Die Bürschchen sind schon mehr herangewachsen und folgen ihrer Mutter bei gutem Wetter durch Dorn und Dickicht ins Feld, um selbst an der Jagd mit theilzunehmen und ihrer Lehrmeisterin abzulauschen, wie sie mit hoher Nase langsam gegen den Wind dem Geruche eines Mäuschens oder Häschens nachschleichen müssen, um dann mit hohem Bogensprunge, die Luft mit der Lunte triumphirend peitschend, ihr Opfer mit den Läufen nach Art der Katzen zu packen.

Sehnsüchtig schaut die lüsterne Bande hinter dem Gebüsche des Waldrandes hervor nach einem Hasenpaar aus, das vor ihr auf der offenen Heide sich zeigt. Aber das Männchen ist wachsam, es hat die schleichenden Tritte gehört, die emporgereckten Löffel lauschen aufmerksam nach dem verdächtigen Geräusch, und ehe die Räubermutter nahe genug ist, um zum Sprunge ansetzen zu können, hat das aus seinem Abendfrieden aufgestörte Hasenpaar längst das Panier ergriffen, das von ihm seinen Namen trägt, und ist in weiten flüchtigen Sätzen über das dürre Heidegras davongeeilt. Karl Brandt.