Friedrich Albert Lange und die Geschichtswissenschaft

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Autor: O. A. Ellissen
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Titel: Friedrich Albert Lange und die Geschichtswissenschaft
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 312–314.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br.
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Quelle: Scans auf Commons
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[312] Friedrich Albert Lange und die Geschichtswissenschaft. Das Erscheinen meiner ausführlichen Biographie F. A. Lange’s hat zahlreiche Aufsätze über diesen vielseitigen Mann veranlasst, der auf zwei Gebieten – zwischen den idealistischen und den materialistischen Philosophen, sowie zwischen den socialistischen und den bürgerlichen Parteien – jene echte Objectivität bewährt hat, welche in der tiefen Erkenntniss und dem weiten Blick des urtheilenden Subjects ihren Grund hat. Mehrere von diesen Aufsätzen sind in der Bibliographie dieser Zeitschrift angeführt. Der umfang- und inhaltreichste sei hier nachgetragen; es ist der von Ed. Bernstein in der „Neuen Zeit“ veröffentlichte. (Zur Würdigung F. A. Lange’s. N. Zeit Jahrg. 1891–92. Nr. 29, 30, 31.) B. würdigt besonders vom socialistischen Standpunkt aus Lange’s volkswirtschaftliche Arbeiten. Ueber denselben Gegenstand nun ist neuerdings eine besondere Schrift erschienen: Friedrich [313] Albert Lange als Nationalökonom, von Dr. jur. Naum Reichesberg[1]. Nach einer sehr klaren Einleitung über den Ursprung der Smith’schen Ideen aus dem Physiokratismus und über die Erschütterung dieser Ideen durch die sogenannte historische Schule der Volkswirthschaft, sowie über die Mängel dieser Schule wird mit einigen Strichen das Lebensbild Lange’s gezeichnet. Dann schildert Reichesberg, wie Lange siegreich den Optimismus der Harmonieökonomen widerlegt und wie er mit am frühesten und nachdrücklichsten darauf hinweist, dass der Kampf um’s Dasein unter den Menschen vermöge der Vernunft und der Sympathie andere Formen annehmen könne und müsse als in der Thierwelt. (So hat der Geschichtschreiber des Materialismus lange vor Ziegler die sociale Frage als eine sittliche Frage aufgefasst und erörtert.) Reichesberg gibt dann eine Darstellung von Lange’s Ansichten über die Methode der Nationalökonomie, über die Malthus’sche Bevölkerungslehre, die Arbeiterfrage, das Erbrecht, die Bodenrente, und er zeigt (p. 88), wie Lange überall selbständig und festen Muthes seinen eigenen Weg einschlägt, sich indessen nicht scheut, von jeder Schule das zu entnehmen, was er für stichhaltig findet, indem er dasselbe mit seinen eigenen Ideen aufs innigste verschmilzt und sioh auf solche Weise eine sichere theoretische Basis für seine edle sociale Weltanschauung schafft – ein Verfahren, das nach Reichesberg’s Erachten für alle Zukunft als Muster gelten dürfte. In dem Umstand, dass Reichesberg gleichzeitig mit dem Biographen und von diesem unabhängig auf den Gedanken gekommen ist, Lange’s sociale Verdienste unserer schnell lebenden und schnell vergessenden Generation in’s Gedächtniss zu rufen, erblicken wir eine erfreuliche Bürgschaft für die Echtheit dieser Verdienste. Wir glauben in der That, dass wenige Menschen die Bedürfnisse der Gegenwart und die Wurzel der Gegenwart, die Geschichte besser verstanden haben, als F. A. Lange. Reichesberg citirt gelegentlich den Ausspruch unseres Philosophen, dass die „ganze Weltgeschichte im Sinne der Herrscher, der Fürsten und der siegreichen Parteien gefälscht sei“. Denselben Ausspruch citirte vor 18 Jahren H. von Treitschke in seiner Polemik gegen Schmoller (Der Socialismus und seine Gönner, p. 65); er fügte hinzu, dass Lange damit das Herzensgeheimniss des Socialismus ausspreche. Wir wüssten nicht, dass der Socialismus aus dieser Auffassung je ein Geheimniss gemacht hätte. Wenn aber v. Treitschke fortfahrend diese Auffassung Lange’s folgendermassen glaubt ergänzen zu dürfen: „Natürlich lohnt es nicht der Mühe, diese gefälschte Ueberlieferung ernsthaft zu durchforschen; natürlich genügt [314] es, einige Sätze, die in das System passen, aus dem Gewirr der Thatsachen herauszuheben“ – so mag das auf viele socialistische Agitationsschriften passen: auf Lange passt es wie die Faust auf’s Auge. Im übrigen wäre es eine dankenswerthe, wenn auch nicht erquickliche Aufgabe, die buchstäbliche Wahrheit jenes Lange’schen Ausspruches aus den geschichtlichen Schulbüchern nachzuweisen, und diese kommen natürlich hier mehr in Betracht als die gelehrten Fachschriften. Wir nehmen dabei als selbstverständlich an, dass auch durch Verschweigen Verfälschungen stattfinden können. Wie sehr Lange ein tieferes Forschen am Herzen lag und wie sehr er sich darauf verstand, zeigen insbesondere seine leider noch nicht gesammelten Arbeiten zur Geschichte der Pädagogik. Lange war ein eminenter Historiker. Darum hat seinen Biographen jenes harte Wort eines anderen eminenten Historikers verdrossen und es mag ihm diese gelegentliche verspätete vindicatio seines Helden gestattet sein.

O. A. Ellissen.     

Anmerkungen

  1. Vgl. Bibliographie dieses Heftes in III, 7.