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Ueber die Transscription Russischer Namen (2)

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Textdaten
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Autor: Boris Minzes
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Titel: Ueber die Transscription Russischer Namen
Untertitel: Erwiderung. Mit Replik von Otto Harnack, Duplik von B. Minzes und Schlusswort des Herausgebers
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 314–319; Bd. 10 (1893), S. 128.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Commons
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ISO 9: Moderne Transliteration zum Vergleich
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[314] Ueber die Transscription Russischer Namen. Erwiderung. Die Beachtung, welche Herr Otto Harnack in dieser Zeitschrift (Bd. 8, p. 159) meinem Aufsatze (Bd. 6, p. 373 ff.) geschenkt hat, lieferte mir noch einen Beweis, wie zeitgemäss, ja nothwendig eine Uebereinstimmung in dieser widerspruchsvollen Angelegenheit ist.

Im Grossen und Ganzen bleibt den Historikern, wie ich bereits betont habe, nur Eines übrig, was von Herrn Harnack ja auch mit Beifall angenommen wird: zum Ausgangspunkte die Schriftzeichenwiedergabe zu wählen, kurzum, zu den Philologen in die Schule zu gehen. In principieller Hinsicht gibt es nur eine Lösung, nämlich auf dem Wege des buchstäblichen Ausdruckes, das ist der Wiedergabe der Russischen Buchstaben durch bestimmte ein für allemal angenommene Lateinisch-Deutsche Lettern; denn folgt man der phonetischen Transscription, so geräth man unwillkürlich in ein Labyrinth von Widersprüchen, und selbstverständlich noch mehr, wenn man beide Methoden, die der Schriftzeichenwiedergabe und die der Lauttransscription, vereinigen will, um sich den letzten Schritt der consequenten Durchführung eines Princips zu ersparen. Ich bewies, dass es nothwendig ist, für jeden einzelnen Buchstaben einen bis zu einem gewissen Grade conventionellen Deutsch-Lateinischen anzunehmen, so dass die Transscription aus dem Russischen in’s Deutsche und vice versa fehlerlos vor sich gehen könnte, und damit ist auch Herr Harnack theoretisch völlig einverstanden, macht aber den praktischen Fehler, dass er die Aussprache der Russischen Vocale wiedergegeben sehen möchte. Wollte ich auf das „Wesen der Aussprache“, [315] das ist auf die phonetische Wiedergabe des näheren eingehen, so müsste ich den Fehler begehen und in den Widerspruch gerathen, vor dem ich Andere warnte. Wenn ich das а von я und das у von ю unterschieden habe, so geschah es nicht darum, dass ich die Weichheit oder die Härte der Aussprache wiedergeben wollte, sondern einzig und allein weil es im Russischen verschiedene Buchstaben sind; dasselbe kann auch von ѣ gelten, nur mit dem Unterschiede, dass das я und das ю nicht weiche a und u sind, wie Herr Harnack annimmt, sondern jotirte Vocale, die durch allmähliche Legirung von i + a und i + u entstanden, das ѣ dagegen nur eine blosse Entwicklungsphasis des е ist, und in Folge dessen mit Recht nicht durch j + e, wie es nach der Analogie mit я und ю für richtig gehalten werden könnte, sondern diakritisch durch ě transscribirt wird. Warum denn die Russischen Buchstaben е, і, и, wenn sie weich ausgesprochen werden, jotirt j + e, j + i schreiben oder sie mit einem accentus gravis versehen, wenn wir die Zeichen und nicht die Aussprache wiedergeben wollen? Dies würde uns doch unaufhaltbar dazu führen, wie es mit Herrn Harnack der Fall ist, die Russisch geschriebenen Worte, wie z. B. села, die meistens nur für Schüler сёла, das ist е = ё geschrieben werden, sjola zu schreiben, nämlich im Widerspruch mit unserem Princip einen Buchstaben durch zwei andere aus Rücksichten der Lauttransscription wiederzugeben. Und benutzt Herr Harnack das Lateinische y, um das höchst selten vorkommende, im Absterben begriffene, aus dem Griechischen stammende ѵ zu transscribiren, so muss er freilich das ы mit i schreiben, und das Russische і und и mit ji und ì, was jedem Slavisten nichts weniger als zweckmässig erscheinen muss, denn Miklosich, Kreck, das Archiv für Slavische Philologie und viele andere Autoritäten auf diesem Gebiete (vgl. meinen Aufsatz Bd. 6. pag. 377) benutzten und benutzen das y, um das Russische ы wiederzugeben und überliessen das ѵ seinem Schicksale. Kurzum, wir dürfen nicht die Weichheit und die Härte der Aussprache der Russischen Vocale wiederzugeben suchen, weil wir es nicht können, falls wir unserem Princip der Zeichenwiedergabe treu bleiben wollen. – Ob wir dann das х mit h oder ch, das в mit v oder w wiedergeben, ob man das ь mit j oder mit einem Accent auf dem vorhergehenden Consonant, etwa koń für конь schreiben soll, u. dgl. m., darüber muss eine Uebereinstimmung getroffen werden, denn dies kann nur auf einem conventionellen Wege geschehen.

B. Minzes.     

Replik. Zu erwidern hätte ich Herrn Minzes, dass meine Einwände nicht auf Berücksichtigung der Aussprache der Russischen Vocale, sondern auf Erwägung ihrer grammatischen Bedeutung [316] basiren. Seine Wiedergabe ist irreführend. Wenn man im Nominativ (die Erde) semlja schreibt, so ist es inconsequent, im Genitiv semlji das j wegzulassen und semli zu schreiben, wie Herr Minzes will. Ebenso, wenn man conjugirt: čitaju (ich lese), čitaješ (du liest), so würde kein Russe begreifen, weshalb man im ersten Fall ein j setzen, im zweiten es weglassen und čitaeš schreiben sollte. Eine wirklich werthvolle Transscription aber kann nur die sein, welche auch die Russen befriedigen, eventuell zum Aufgeben ihrer Cyrillischen Schrift, wenigstens in wissenschaftlichen Werken, veranlassen würde. Was die Frage des y betrifft, so scheint mir ausschlaggebend, dass wir die Lateinischen Buchstaben in ihrer genuinen Bedeutung für das Russische zu verwenden haben, da das Ziel, dem wir zustreben, doch darin besteht, das Russische nicht durch „willkürliche“, sondern eben, soweit möglich, durch die wirklich entsprechenden Lateinischen Buchstabenformen verständlich wiederzugeben.

O. Harnack.     

Duplik. An sich hat Herr Harnack mit diesen Bemerkungen ja bis zu einem gewissen Grade Recht, aber er verfährt für die vorliegende Frage ganz und gar unpraktisch. Wir sind in unserer Transscription nicht im Stande, die Härte und Weichheit der Vocale zu berücksichtigen, wenn diese Rücksichtnahme in der Russischen Orthographie selbst nicht stattfindet, und also die Russen selbst auf Berücksichtigung der grammatikalischen Bedeutung scheinbar verzichten. Herr Harnack ist hier plus royaliste que le roi même. Seine Forderungen schliessen sich den Grammatiken an, welche für Ausländer zum Erlernen der Russischen Sprache bestimmt sind. Für einen solchen Ausländer ist es zweifelsohne von der grössten Wichtigkeit, zu unterscheiden, ob der Vocal hart oder weich ausgesprochen wird. Darum muss eine derartige Grammatik eine besonders dazu geeignete Transscription anwenden, wie es z. B. mit der sehr verbreiteten Grammatik von B. Manassewitsch der Fall ist. Wollen wir aber zunächst einmal dem herrschenden Transscriptionswirrwarr durch eine einfache consequente Schreibweise abhelfen, dann müssen wir auf die Aussprache, d. i. auf die Berücksichtigung der Weichheit und Härte, deren richtige Anwendung eine vollkommene Beherrschung der Russischen Sprache voraussetzt, verzichten. Wenn wir ein für alle Mal für einen Russischen Buchstaben einen äquivalenten Deutsch-Lateinischen wählen, so müssen wir nur darauf achten, welcher Buchstabe im Russischen Texte figurirt, und darum werden wir inconsequent gerade dann verfahren, wenn wir ein е durch je wiedergeben, und zwar aus Rücksichten auf „grammatikalische Bedeutung“, die unserem Principe der Schriftzeichenwiedergabe widerstreiten. Warum sollen wir denn für die Weichheit der Russischen [317] Vocale besondere Zeichen anwenden, wo die Russen es selbst nicht thun? Herr Harnack denkt daran, dass die Russen eventuell, wenigstens in wissenschaftlichen Werken, das Cyrillische Alphabet aufgeben, und fürchtet, dass sie dazu nicht geneigt sein werden, wenn wir die Weichheit der Vocale nicht besonders kennzeichnen. Ueber diese letzte Frage, die eigentlich schon etwas anderes berührt, brauchen wir uns überhaupt die Haare nicht grau werden zu lassen, denn das Aufgeben der Cyrillischen Buchstaben ist eine politisch-kirchliche Frage, wie dies so grell bei den Serben und Kroaten hervortritt. Wenn wir zunächst einmal auch Demjenigen helfen wollen, der des Russischen nicht vollkommen mächtig ist, oder sogar nur das Russische Alphabet kennt – denken wir nur an die Tausende Bibliotheksbeamte, Zeitschriftenredacteure und Bibliographen! –, so müssen wir auf die grammatikalischen Finessen zu Gunsten eines möglichst einfachen Systems von vornherein verzichten, denn in unserem Falle lassen sich wohl schwer zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

B. Minzes.     

Ein Schlusswort sei mit Zustimmung der beiden Herren Mitarbeiter noch dem Herausgeber gestattet, nicht um zur Lösung der Frage, für die ihm jede Fachkenntniss fehlt, etwas beizubringen, sondern um das praktische Ergebniss der Erörterung vor Augen zu stellen und nochmals das Bedürfniss zu bezeichnen, dem abgeholfen werden soll. Ueber die principielle Frage sind die beiden Herren ja einig; beide treten ein für einheitliche Buchstabentransscription statt national verschiedener phonetischer Transscription. Die relative Berechtigung der Einwendungen Herrn Harnack’s gegen die vorgeschlagene Transscription der Vocale scheint (so weit man als Laie urtheilen darf) unbestreitbar; es fragt sich nur, ob diese Berechtigung stark genug ist, um gegen gewisse praktische Gründe aufzukommen und ob es gelingen kann, zweier Schwierigkeiten Herr zu werden: 1. Die Vorschläge des Herrn Minzes schliessen sich, wie er ausgeführt hat, an die bei Slavisten schon herrschende Transscriptionsmethode an, während Herr Harnack etwas Neues einführen will. 2. Wie Herr Harnack ja selbst andeutet, ist das ё, das als jo oder ò vom Russischen е (gleich je oder è) unterschieden werden soll, in der Russischen Orthographie selbst durchaus nicht überall eingeführt, vielmehr so ziemlich auf Schulausgaben beschränkt, so dass man also bei gewöhnlichen Büchern ohne genaue Kenntniss der Russischen Sprache oft unsicher ist, ob man е mit è (je) oder ò (jo) zu transscribiren hat.

Diese Bedenken oder Schwierigkeiten dürfen aber nicht zu einem Verzicht führen; denn bei der wachsenden Bedeutung der Russischen [318] Literatur und der Russischen Geschichte wird das Bedürfniss ein immer dringenderes.

Mit der Aufstellung eines neuen Systems neben dem bestehenden ist es aber nicht gethan, auch nicht mit einer Verständigung unter Historikern Deutscher Sprache, denn eine besonders grosse Unbequemlichkeit ist es, dass die Russischen Namen und Worte von Franzosen, Engländern und Deutschen verschieden transscribirt werden. Nur eine allgemein angenommene internationale Uebereinkunft, der auch die Russischen Gelehrten selbst beitreten, kann helfen. Zu diesem Zwecke müsste eine freie, mit ausreichender Autorität ausgerüstete internationale Commission sich der Frage annehmen. Bestimmte Vorschläge dafür zu machen, wäre Sache der Philologen, denen die ganze Angelegenheit näher liegt als uns. Hier sollte zunächst das Bedürfniss der Historiker vertreten werden, Russische Namen und Russische Worte, wenn sie in der Westeuropäischen Literatur im Gewande des Lateinischen Alphabets auftreten, ohne Mühe identificiren und in die Russische Orthographie zurückübersetzen zu können.

In den folgenden beiden Tabellen fassen wir die Vorschläge der beiden Herren noch einmal übersichtlich zusammen.

     Russisch transcribirt      Russisch transcribirt      Russisch transcribirt      Russisch transcribirt
 M. H.  M. H.  M. H.  M. H.
 а a a  і i ì od. ji  т t t  ы y i
 б b b  к k k  у u u  ь j j
 в v v  л l l  ф f f  ѣ ě ě
 г g g  м m m  х ch h  э é e
 д d d  н n n  ц c c  ю ju ù od. ju
 е e è od. je
 (ё) ò od. jo
 о o o  ч č č  я ja à od. ja
 ж ž ž  п p p  ш š š  ѳ th th
 з z z  р r r  щ šč šč  ѵ ý y
 и i ì od. ji  с s s  ъ fällt aus, oder
 Apostroph.
 й j j

Für die streitigen Vocale geben wir die systematische Tabelle des Herrn Harnack mit Hinzufügung der Transscription des Herrn Minzes wieder.

Harte Vocale Weiche Vocale
 H. M.  H. M.
а = a a  я = ja od. à ja
э = e é  е = je od. è e
ы = i y  і и = ji od. ì i
о = o o е (ё) = jo od. ò e
у = u u  ю = ju od. ù ju

Dazu noch außerhalb dieses Systems:

ѵ = y ý und  ѣ = ě ě

[319] Ein höchst beachtenswerther und praktisch bedeutsamer Anfang zur Beseitigung des Transscriptionswirrwarrs ist übrigens damit gemacht worden, dass das Preussische Cultusministerium im vorigen Jahre für die sämmtlichen ihm unterstellten Bibliotheken Transscriptionsalphabete aufgestellt hat, s. CBl der Unterr.-Verwaltung ’92, 386. Das Russische beruht wie alle übrigen auf dem Grundsatz der Buchstabentransscription, und die Uebereinstimmung mit den Minzes’schen Vorschlägen erstreckt sich sogar auf geringfügige Kleinigkeiten. Die Abweichungen beschränken sich auf folgende Punkte:

1. Für das г wird ausser g auch h angegeben, da die Russen das ihnen fehlende h in ausländischen Worten durch г (g) ersetzen. Das ist nur eine selbstverständliche Ergänzung unserer Tabelle. 2. Für э und ѵ setzt das Reglement e und y mit Punkten statt der von Minzes gewählten Accente (ė und ẏ statt é und ý): eine kleine, rein typograph. Verschiedenheit. 3. Das ъ fällt einfach aus und das ь wird durch einen Apostroph gegeben, während bei Minzes das ъ je nach Umständen entweder fortfällt oder durch Apostroph ersetzt, das ь aber durch j gegeben wird: offenbar auch eine nicht tiefgehende Differenz. 4. Das seltene (lediglich in Griechischen Worten) vorkommende ѳ wird von Minzes, entsprechend der Ableitung aus dem Griechischen ϑ, durch th transscribirt (in Anlehnung an das Englische th, dem das ѳ, wie er sagt, auch in der Aussprache ähnlich ist), während auf den Preuss. Bibliotheken, ohne Rücksicht auf die histor. Bedeutung, der ungefähre Lautwerth durch ein f’ wiedergegeben werden soll. Praktisch ist auch dieser Unterschied, da es sich um so wenige Worte handelt, von geringer Bedeutung. Diese so weitgehende Uebereinstimmung scheint zu beweisen, dass hier in der That eine geeignete Grundlage für die allgemeine Verständigung gegeben ist.

L. Q.     


[128] Berichtigung. In der Erörterung über die Transscription Russicher Namen im vorigen Heft, Bd. 9, pag. 319, Zeile 21 f. sind die in Klammern stehenden Worte „in Anlehnung an das Englische th, dem das ѳ, wie er sagt, auch in der Aussprache ähnlich ist“ zu streichen; sie enthalten einen Irrthum des Herausgebers.