Gaunerzinken

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Titel: Gaunerzinken
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 890–891
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: die Verwendung von Zinken als Geheimzeichen bei Verbrechen
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Gaunerzinken.

Vor einigen Jahren fanden Gendarmen an einer einsamen Waldkapelle im Steiermärkischen ein paar sonderbare (auf S. 891 abgebildete) Kritzeleien: einen Papagei, und zwar in einem Zuge gezeichnet, eine Kirche, einen Schlüssel, ein Häufchen von 3 Steinen und ein Wickelkind. Die Gendarmen waren erfahrene Männer und erkannten alsbald, daß es sich hier um einen sogenannten „Zinken“ handelte, um eine Mitteilung von Gaunern für Gauner, und zwar ließen Kirche und Schlüssel ohne weiteres auf einen beabsichtigten Einbruch schließen, der in einer Kirche bewerkstelligt werden sollte. Der Papagei war das Zeichen dessen, der zur That einlud. Rätselhaft war anfangs nur das Häufchen mit den drei Steinen und das Wickelkind. Ein Pfarrer, den das Gericht beizog, fand die liturgische Deutung: die drei Steine waren das im steiermärkischen Bauernkalender übliche Zeichen für den Hl. Stephanus, der bekanntlich den Märtyrertod des Gesteinigtwerdens starb, und das Wickelkind bedeutete das Christkind. Also: am Stephanstage (26. Dezember) wollte der Mann mit dem Papageiwappen einen Einbruch in einer Kirche unternehmen. Zusammenkunft am Christfest (25. Dezember) bei der Waldkapelle.

An diesem Christfest wurden vier berüchtigte Gauner bei der Waldkapelle erwischt und dingfest gemacht.

Nicht immer gelingt es so den Wächtern des Gesetzes, die geheimnisvollen Zeichen vor geschehener That zu finden und zu deuten. Das seltsam romantische Verständigungsmittel hätte sich sonst wohl kaum bis in unsere Tage herübergerettet, wenn es nicht doch noch oft genug seinen Zweck erfüllte. Allerdings werden die wappenartigen Bilder – wie oben der Papagei – nach und nach verdrängt durch den Gebrauch der Schrift: auch die Gauner werden mit der Zeit gebildeter. Aber sonst wandern noch immer allerlei Mitteilungen auf dem uralten Wege des Zinkens von einem Spitzbuben zum andern.

[891] Unter „Zinken“ versteht die Gaunersprache jede geheime Verständigung, nicht bloß die schriftliche, sondern auch diejenige vermittelst Finger-, Augen- und Gebärdensprache, durch Töne aller Art, Klopfen, Tierstimmen u. dergl. Am merkwürdigsten sind aber doch die graphischen Zinken, vielleicht auch am ältesten, denn sie führen zweifellos auf die alten Mordbrennerzeichen zurück, mit denen schon vor Jahrhunderten den Mitgliedern einer weitverzweigten Bande das nächste Opfer kundgemacht wurde. Ein schräges Kreuz mit ein paar Seitenstrichen am einsam stehenden Hof, das war genug, den Bauern dem Messer, Haus, Stall und Scheune dem Feuer zu überliefern. Auch die besonderen Wappenzeichen einzelner Mordbrenner kamen frühe schon auf, sicher schon im 15. Jahrhundert. Ein Beispiel dafür aus dem 17. Jahrhundert hat sich auf einer Thüringer Waldkapelle gefunden und ist uns erhalten geblieben. Da stand auf der ersten Zeile ein nach links weisender Pfeil, daneben vier Striche, endlich eine Mondsichel im letzten Viertel; d. h. in verständliches Deutsch übertragen: Mit dem letzten Viertel des Monds geht es gegen das vierte Haus in der Richtung des Pfeils. Darunter aber stand eine ganze Kette von „Visa“, von Unterschriften solcher, die von der freundlichen Einladung des ersten Schreibers Kenntnis genommen hatten und ihre Bereitwilligkeit erklärten, von ihr Gebrauch zu machen: ein Vogel, ein Würfel, ein Schlüssel, ein Topf und eine Kette.

Die zahmeren Enkel dieser unheimlichen Vorfahren leben heute noch. „Wer,“ so schreibt Dr. Hanns Groß in Graz in seinem „Handbuch für Untersuchungsrichter“ (Graz, Leuschner u. Lubensky), „an Kapellen, Scheunen, Kreuzen, Zäunen, Mauern, besonders an einsamen Orten und an Wegkreuzungen sich aufmerksam umsieht, findet Gaunerzinken in Menge. Freilich bedeuten sie nur selten mehr Mord und Brand, wohl aber, daß dieser oder jener Fechtbruder am soundsovielten hier war, in Begleitung oder allein, daß er in der angegebenen Richtung sich entfernte und am soundsovielten wieder zurückkommen will.“ Dazu kommen Andeutungen, in welchen Häusern das Betteln Erfolg habe, in welchen nicht, wo Gelegenheit zu einem Diebstahl sich biete u. dergl. m. Da steht z. B. eine offene Hand, darunter ein Pfeil nach rechts mit den Zahlen 4, 7, 11, 20 und ein Pfeil nach links mit den Zahlen 10, 6, 3; jeder Eingeweihte weiß hiernach genau, in welchen Häusern gut betteln ist. Oft wird zu diesem Zweck jedes Haus besonders markiert; ein leerer Kreis (vielleicht das Bild eines Geldstücks) bedeutet, daß hier etwas zu haben sei, ein schräges Kreuz, daß nichts zu machen sei, eine Verbindung beider, daß man hier wohl etwas bekomme, aber kein Geld, sondern höchstens Eßwaren oder abgetragene Sachen. Geige und Flöte dienen demselben Gegensatz zum Ausdruck: wo „der Himmel voller Geigen hängt“, da mag der Fechtbruder ruhig eintreten, nicht aber da, wo alles „flöten gegangen ist.“

Daß die Gaunerzinken auch heute noch durchaus nicht immer so verhältnismäßig harmloser Natur sind wie diese Bettelzeichen, geht schon aus der eingangs erzählten Geschichte hervor. Noch bedenklicher ist ein anderer Fall, der ebenfalls in Steiermark spielt und den Groß wie folgt erzählt:

„Vor mehreren Jahren wurde auf einsamer Waldstraße in der östlichen Steiermark ein Gendarm erstochen gefunden; er war durch unzählige Messerstiche getötet worden. Der Augenschein hatte ergeben, daß er sich am Rande der Straße niedergesetzt hatte, um sich eine Pfeife zu stopfen, sein Tabakbeutel war offen, der Tabak zerstreut, die Pfeife frisch und halb gefüllt. Er war wegen seines überaus pflichttreuen thatkräftigen Vorgehens namentlich bei den Landfahrern und Zigeunern gefürchtet und verhaßt und auch von Zigeunern, die ihn in der geschilderten Stellung meuchlings überfallen hatten, ermordet worden. – Wenige Tage nach seinem Tode wurde nicht weit vom Thatorte auf einer halbverfallenen Mauer eine rohe Zeichnung gefunden, deren Deutung nicht zweifelhaft sein konnte. Es war ein zwar fratzenhaft gezeichnetes, aber nicht zu verkennendes Gesicht, mit dem Hahnenfederhute der Gendarmen, die Züge des Ermordeten daran kenntlich, daß der martialische Schnurrbart desselben ungeschickt, aber unverkennbar nachgeahmt war. Ueber dem Kopfe waren vier Messer sehr deutlich gezeichnet. Daß diese Zeichnung nicht später, d. h. nicht nach dem Tode des Gendarmen entstanden war, hat der Umstand bewiesen, daß sie vom Regen arg verwaschen war, obwohl es in der Zeit vom Morde bis zur Auffindung der Zeichnung nicht geregnet hatte.“

Groß fügt diesem Berichte nicht mit Unrecht hinzu: „Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß es sich hier um eine Drohung, Aufforderung zur Hilfeleistung, vielleicht auch um eine Warnung gehandelt hat, und daß die rechtzeitige Auffindung dieses Zinkens den braven Gendarmen hätte warnen und sein Leben erhalten können, da er dann mindestens nicht allein bei Nacht jenen gefährlichen Weg zurückgelegt hätte.“