Gefeiert und vergessen

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Textdaten
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Autor: E. P.
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Titel: Gefeiert und vergessen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 527–528
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[527] Gefeiert und vergessen.

Aber Vater und Mutter sind lange todt,
Es kennt mich jetzt Keiner mehr.

Wie oft schildert man uns die zauberhaften Salons der gefeierten Sängerinnen des Tages, wo sie in rauschenden Seidenroben mit atlasbeschuhten Füßchen auf kostbaren Teppichen wandeln, so sorglos, so lächelnd, so launenhaft, als ob die Rosen immer blühten und man niemals jenes alte traurige Lied gesungen:

„Scheint die Sonne noch so schön,
Einmal muß sie untergehn"

Und dennoch kommt für alle diese schönen und beneideten Göttinnen eine Zeit, wo es „still und dunkel“ wird, wo die Triller und Läufer verstummen [528] wo das Gold des einstigen glänzenden Namens erlischt und die Welt die große Sängerin vergißt, als ob sie nie gelebt.

Es war am Ostersonnabend, als ich die Treppe eines alterthümlichen Hauses in der Leipziger Straße in Berlin hinaufstieg, um nach der Wohnung der kaiserlich österreichischen Kammersängerin, Frau Therese Grünbaum, geborene Müller, zu fragen. Man wies mich höher hinauf bis in den dritten Stock. Ein freundliches Mädchen übernahm es, auf meine Anfrage, mich bei der Tochter des Componisten der „Sonntagskinder“ zu melden. In ein kleines, einfach ausgestattetes Zimmer geführt, wurde mir der Bescheid, die einst so berühmte Sängerin werde sogleich erscheinen. Die Märzsonne schien hell herein, am Fenster blühten Primeln, ein Veilchenstrauß stand auf dem Tisch. An den Wänden hingen verschiedene Portraits, Stiche und Lithographien, es war eine schlichte Walhalla, die Bilder gefeierter Componisten, Sängerinnen und Sänger längst vergangener Tage. Um den einen oder anderen Rahmen zog sich ein Immortellenkranz. Auf dem Fenstertritt stand ein geöffneter Nähtisch mit einer weiblichen Arbeit, Bücher lagen daneben, alles war so einfach bürgerlich wie bei einer guten, deutschen Hausfrau. Ueber dem Sopha ein größeres Aquarell, das lieblichste Frauenköpfchen, die anmuthigste Gestalt im weißen Kleide, die kürzlich verstorbene Enkelin Wenzel Müller’s, der einstige Liebling der Berliner, die Nachtigall Caroline Grünbaum. Keine Spur in dem ganzen Zimmer von den vergangenen glanzvollen Tagen, keine prätensiöse Erinnerung an das reiche Leben einer gefeierten Sängerin. Ringsumher nur Verstorbene, wie eine heitere kleine Grabcapelle erschien mir der ganze Raum, wie eine friedliche Insel in dem rauschenden Strome des Berliner Lebens, der da unten vorüber wogte.

Plötzlich öffnete sich eine Seitenthür und rasch und lebhaft trat eine kleine Frau grüßend auf mich zu, eine zierliche Hand streckte sich mir entgegen, und ich schaute in ein liebes, altes Frauenantlitz, umrahmt von einem weißen schlichten Häubchen, ein Gesicht das an die Denner’schen oder Dow’schen Portraitköpfe erinnerte, fein ausgeführt, mit klaren und zugleich warmen Augen. Es war die Tochter Wenzel Müller’s, die von Wien auf den Händen getragene, einst so entzückende Sängerin Therese.

Und wir fingen an miteinander zu plaudern, herzlich und lebendig, als ob wir uns Jahre lang gekannt. Sie sprach mit großer Frische und mit der sanftesten, angenehmsten Stimme. Wie aufmerksam hörte ich zu, und während sie so redete, rauschte es zuweilen empor wie ein Vorhang, und fremde glänzende Gestalten zogen vorüber. Die bekanntesten und berühmtesten Namen tauchten auf. Sie hatte alle ihre Träger gekannt, gesehen, gehört, die Tochter des Volkscomponisten, die unter Karl Maria von Weber’s Leitung gesungen, und deren Hand die kleine Henriette Sontag geküßt! Einen wahren Schatz von Reliquien und Erinnerungen bewahrt Frau Therese, und wie Sonnenschein zieht es über ihr Gesicht, wenn sie von jenen Zeiten redet, die längst dahin sind. Alle ihre Gedanken bewegen sich um die Gestalt ihres Vaters, er ist der hellste Stern an dem Himmel ihres Daseins, sein Andenken, sein Ruhm ihr höchstes Heiligthum. Mit welcher tiefen, leuchtenden Zärtlichkeit redete sie von ihm, und immer wieder von ihm!

Seit Jahren schon hörte sie keine Musik mehr – „ich kann’s nicht mehr vertragen,“ klagte sie, – aber sie liest, was man über Musik und Musikanten schreibt, mit lebhaftem Interesse und schüttelt oft lächelnd oder unwillig den Kopf über die wunderlichen Leute, die da die Dinge so ganz anders schildern, als sie wirklich waren. Ja, wer sie nur immer fragen könnte! – Ihr Gedächtniß ist noch so treu, sie erinnert sich der Begebenheiten wie der Menschen mit staunenswerther Klarheit. – Aber tief ist zugleich ihre Pietät für ihre Todten. „Es giebt so viele Dinge in dem Leben der berühmten Männer und Frauen, von denen die Welt nie und nimmer etwas zu erfahren braucht,“ rief sie lebhaft. Viele Schmerzen haben ihr Herz getroffen. Sie verlor ihre geliebte, so glücklich verheirathete Tochter und einen hochbegabten, musikalischen Enkel, und pflegt jetzt ihren kranken Gatten. Weit hinter ihr liegt die Welt des Scheins, wie ein Traum steht in ihrer Seele jene singende, klingende Glanzzeit ihres Lebens, und mit einem heitern Tone sagte sie: „Meine bescheidene Rolle auf Erden ist nun bald ausgespielt.“

Von ihren eigenen Triumphen redete sie nur als Antwort auf directe Fragen, aber während sie von dem Wirken und Schaffen des geliebten Vaters sprach, sah man doch den kleinen, reizenden Schmetterling Therese neckisch umhergaukeln, wie sie als fünfzehnjähriges Mädchen, mit der süßesten Stimme der Welt, den Oberon in Wranitzki’s Oper und die Lilla in Martin’s „cosa rara,“ sang. Schon im Alter von fünf Jahren zwitscherte sie wie ein Vogel in den Opern ihres Vaters und Kauer’s die für sie geschriebenen Kinderrollen. Ganz Wien betete sie an, und doch erwähnte sie ihre Leistungen nur im Zusammenhang mit denen des Vaters. Selten wurde eine Sängerin so früh schon und während ihrer ganzen Wirksamkeit so gefeiert und bewundert, wie Therese Grünbaum.

Als sie mich zum Abschiede zu dem Bilde Wenzel Müller’s führte, da sagte sie schalkhaft lächelnd: „Sehen Sie sich einmal das gute Gesicht dort an, den lieben Kopf mit dem weißen Haar, – nicht wahr, er sieht ganz anders aus, als man ihn in den Büchern beschrieben hat? Eine häßliche Perrücke haben sie ihm aufgesetzt, und als einen Mann, der Nichts auf sich hält, malten sie ihn! Und das Alles ist doch nicht da auf meinem Bilde!“

Nein, es war Nichts von alledem da, sie hatte Recht, die zärtliche Tochter. Kein verschobenes Jabot, keine geniale Unordnung der Toilette. Liebenswürdig und heiter, und doch wilder würdevoll, erschien er mir in seinem Ausdruck, und in dem ehrwürdigen Schmuck des weißen Haares, und ich war betrübt und beschämt und bat dem freundlichen Greisengesicht im Stillen ab, daß auch ich ihm, was die Tochter mir längst verziehen, in Gedanken eine häßliche Perrücke aufgesetzt.

E. P.