Zum Inhalt springen

Geldnoth im Felde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Georg Horn
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Geldnoth im Felde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 707
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[707] Geldnoth im Felde. Kürzlich war ich wieder in Pont à Mousson, nachdem ich es gerade vier Wochen vorher verlassen hatte. Pont à Mousson hatte innerhalb dieser Zeit ein ganz verändertes Ansehen bekommen; wir hatten die hübsche Stadt bei unserem Einzuge leer und verlassen gefunden, die Häuser und Läden geschlossen; nun scheint die Stadt die Physiognomie wiedergewonnen zu haben, die sie vor dem Einmarsche bei Franzosenzeiten hatte. Die Läden waren sämmtlich geöffnet, die französischen Leute standen unter den Haus- und Ladenthüren, lagen in den Fenstern und schauten den Durchmarsch eines baierischen Bataillons gerade mit demselben oder vielleicht mit noch größerem Interesse an, als wenn es ein kaiserlich französisches Regiment gewesen wäre; preußische Helme und Uniformen hatten sie bis jetzt genugsam gesehen – nun kam eine andere deutsche Couleur in Himmelblau, und statt der Spitzen trugen diese auf den Helmen Raupen.

„Wie drollig!“ hörte man sie unter sich sagen.

Auf dem Markte bot sich mir ein Bild, eine Scene dar, die mir neu, überraschend war und mich mit tiefer Wehmuth erfüllte. Der weite Platz war theils mit den Equipages militaires, den zweiräderigen, einspännigen Karren, angefüllt, welche das Gepäck der französischen Officiere zu fahren pflegten, theils mit Pferden, welche von französischen Officiersburschen geführt wurden, und Maulthieren, welche an die erwähnten Officiersgepäckwagen gespannt waren. Zwischen den Reihen der Wagen und Pferde bewegten sich französische Officiere aller Grade und Waffen, Einwohner von Pont à Mousson, preußische Soldaten und Berliner Handelsleute, die unter den Arcaden des Marktplatzes ihren Kleinhandel mit Pfälzer Cigarren, gestrickten Unterjacken und wollenen Hemden aufgeschlagen hatten. Die französischen Officiere, welche die Capitulation von Sedan nicht angenommen hatten und als Kriegsgefangene nach Deutschland gingen, verkauften ihre Pferde, ihre Maulthiere und was sie sonst entbehren konnten oder zu veräußern gezwungen waren. Ein junger Capitain von einem Linienregimente hatte kein Pferd, kein Sattelzeug zu verkaufen; er bot seine goldene Uhrkette zum Kauf an, und ein preußischer Kürassierunterofficier erstand sie für dreißig Franken, sie war vielleicht das Dreifache werth; ich hätte sie auch kaufen können, aber ich wollte nicht etwas besitzen, an dem eine Thräne hing, und die Thränen liefen dem Officier über die Wangen herab auf das Kaufobject, als er dasselbe dem Käufer hingab. Dabei hakte er ein kleines goldenes Medaillon ab, das in der Mitte einen kleinen Türkis hatte. Der Unterofficier gab ihm zu verstehen, daß er das Medaillon auch kaufen möchte, vielleicht für die „Frau Unterofficierin“ zu Hause, der es zum sonntäglichen seidenen Kleide sehr gut stehen mochte, hat ja die Frau Hauptmännin auch eins. Aber der Käufer der Kette sollte nicht so leicht zu einem Mitbringen für die Frau Gemahlin kommen. Der Officier schüttelte traurig den Kopf, führte das Medaillon an seine Lippen und sagte zu mir, indem er den Deckel des Medaillons öffnete und mir dessen Inhalt zeigte: „Es gehört meiner Frau, meiner armen Frau!“ Dann frug er mich, ob es nicht möglich sei, einen Brief nach Paris befördern zu können. Leider mußte ich ihm jede derartige Hoffnung benehmen. Noch einmal sah er das Bild mit schmerzgefülltem Ausdrucke an, ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, dann verschloß er das Medaillon und steckte es ein.

„Wo kann man etwas zu essen bekommen?“ wandte er sich an mich.

Ich wies ihn nach einem Locale, wo es Bier und gutes Essen gab.

„Ich habe seit vier Tagen nichts als halb reifes Obst gegessen,“ gestand er, „und ich bin so sehr von allen Mitteln entblößt, daß ich nicht soviel hatte, um mir ein Stück Brod kaufen zu können.“ Sprach’s und ging grüßend von dannen.

Die Einwohner von Pont à Mousson und die Berliner Colonisten vom Mühlendamm haben jedenfalls brillante Geschäfte gemacht; die besten Pariser Ferngläser wurden zu zwanzig Groschen bis einem Thaler das Stück verkauft; ein Bekannter von mir erstand noch zwei Tage nachher einen ganz neuen englischen Sattel für fünf Thaler; ein Paar Maulthiere gingen für sieben Thaler weg, ein Pferd mit vollständigem Sattel- und Zaumzeug für hundertsechszig Franken. Ein alter Husarenoberst mit dickem rothem Kopfe, der an den Victor Emanuel’s erinnerte, mit grauem Henriquatre und grauem dicht gelocktem Haar stand vor einem prachtvollen Schimmelpaar, welches die Bewunderung der zahlreichen davorstehenden Officiere erregte. Jeder der Herren fand an den Pferden eine neue Eigenschaft zu loben, der eine den Bau und die Haltung des Kopfes, der andre den Bug, ein dritter die tiefe Schulter mit der schönen Vorhand, ein vierter die elegante Croupe, wieder ein anderer die Fessel; die Bewunderung erreichte aber den höchsten Grad, als der Oberst dem Burschen befahl, die Pferde vorzuführen; kurz, die Thiere waren von der edelsten Race und im Bau wie im Gange tadellos. Aber der Oberst machte trotzdem keine Miene, sie zu verkaufen, obgleich sie zu diesem Zwecke dastanden. Die Hände in den Hosentaschen, wie das die Sitte der französischen Officiere ist, ging er die Pferdereihe auf und nieder, bis ein preußischer Officier dem zufällig mit dem Malteserwagen in Pont à Mousson anwesenden Rittmeister S. aus Berlin den Auftrag gab, sich nach dem Preise der Thiere zu erkundigen. Persönlich wollte er mit dem Besitzer ob des sonderbaren Benehmens desselben nicht unterhandeln. Der Rittmeister trat mit dem Franzosen in’s Vernehmen. Beide entfernten sich etwa hundert Schritte, und man sah nur, wie der Husarenoberst immer den Kopf schüttelte. Der Unterhändler kam zurück mit dem Bescheide, daß der Franzose die Pferde nicht verkaufe, er wolle sie in dem französischen Depot abgeben, welches zu diesem Zwecke in Pont à Mousson errichtet worden sei, der Krieg würde doch nicht mehr lange dauern, dann sei er wenigstens remontirt.

„Bieten Sie dem Besitzer viertausend Franken für die Pferde!“ war die Antwort des Officiers.

S. ging zu dem Franzosen, um ihm diese Offerte zu machen; derselbe strich sich den Bart, besann sich einen Moment und sagte dann dem Unterhändler einige Worte, welche kurz und bündig etwa also lauteten: „Und wenn mir der Herr Vierzigtausend bieten würde, ein deutscher Officier bekommt die Pferde nun und nimmer.“

Diesem Entscheide entsprach auch das Benehmen der französischen Officiere. Am anderen Morgen sah ich denselben Oberst mit seinen Cameraden den Ort passiren, wo sich das Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl befand. Eine Reihe von unseren Officieren stand an der Straße und grüßte beim Nahen der Colonne der kriegsgefangenen Cameraden, sie erwiderten den Gruß jedoch nicht. Als aber die deutschen Cameraden um feurige Kohlen auf ihr Haupt zu sammeln, ihnen Cigarren, Chocolade, Lebensmittel auf die Wagen reichten, nahmen sie diese Gaben ohne alle Umstände entgegen, ohne daß sie auch nur das Gefühl der Beschämung im Mindesten zu empfinden schienen. Der alte Husarenoberst in rothen, himmelblaubesetzten Pantalons, rother Leibschärpe und himmelblauer, schwarzgeschmückter Husarenjacke schien der Trotzigste, Unnahbarste von Allen zu sein. Er hatte Tags vorher in Pont à Mousson richtig seine Pferde in das Depot abführen lassen. Ob er sie je wiederfinden und ob der Krieg wirklich von so kurzer Dauer sein wird, ist eine andere Frage.

G. Horn.