Germain Colot, der Steinoperateur

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Autor: Georg Hiltl
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Titel: Germain Colot, der Steinoperateur
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 745–748
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[745]

Germain Colot, der Steinoperateur,

Von Georg Hiltl.

Am 29. November 1866 sind es dreihundertdreiundneunzig Jahre, daß eine der schwierigsten und wichtigsten Operationen, welche die Hand des erfahrenen Arztes an dem Körper eines Leidenden verrichtet, zum ersten Male kunstgerecht vollzogen wurde: die Operation des Steines.

In dem kleinen Städtchen Invisi lebte in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts ein Landarzt, Germain Colot. Es war ein fleißiger, geschickter Mann, der für seine erhabene Kunst glühte und täglich die schwierigsten Versuche anstellte, um neue, überraschende Resultate zu erzielen. Aber die Zeit war dem braven Arzte nicht günstig. Colot’s Hauptfach war die Operirkunst; er handhabte seine Messer mit großer Geschicklichkeit, hatte manche glückliche Cur vollendet, erfreute sich aber dennoch nicht einer höheren Anerkennung, weil die gelehrten Herren seines Jahrhunderts sich wenig mit großen Operationen beschäftigten und wunderbarer Weise diesen wichtigen Theil der Heilkunst umherziehenden Quacksalbern und Landstreichern zur Ausbeute überließen. Namentlich war das in Italien der Fall, wo selbst Augenoperationen durch Privatleute vollzogen wurden. Nach und nach erbten die „Kunststücke“, wie man damals solche gewagte Dinge nannte, von Familie auf Familie, bis sie zuletzt das Gemeingut gewisser Stadtbewohner und Genossenschaften wurden, die um ihre Kenntnisse, Mittel und Verfahrungsarten sorgfältig den Schleier des Geheimnisses breiteten.

Eine solche Genossenschaft bestand seit langer Zeit in dem Städtchen Norcia, welches zum Gebiete des Kirchenstaates gehörte. Seine Bewohner standen in dem Rufe, durch kühnen Schnitt das gräßliche Leiden des Steines beseitigen zu können, und sie bildeten eine Art Secte, welche man nach der Stadt die Norcianer nannte. Einen besondern Ruf genossen Giovanni Acarombono und dessen Sohn Antonio, dann ein Schmied Namens Peter von Norcia, endlich ein gewisser Horaz, der auch vortrefflich Verkrümmungen heilte. Zu beklagen blieb es nur, daß die Männer ihre Kunst geheim hielten, oder die Ausübung derselben doch nur einer kleinen Anzahl Befreundeter lehrten. Da ergriff die Wanderlust einige dieser Norcianer und sie zogen über das Gebirg nach Frankreich hinein, heilten auf ihren Wanderungen mancherlei Schäden durch ihre kunstgeübte Hand und kehrten mit Gold beladen in die Heimath zurück.

Nicht Allen ging es freilich so erwünscht. Der Neid der [746] Aerzte verfolgte die Apostel der Chirurgie von Norcia, und oft genug mußten sie bei Nacht und Nebel vor der pedantischen Facultät flüchten. Germain Colot, der in günstigen Vermögensverhältnissen lebte, kümmerte sich nicht viel um die blinden Eiferer gegen eine Kunst, deren Jünger ihm ehrwürdig schienen, von welcher er schon so viel gehört hatte, die seinen Geist, sein Nachdenken mächtig erregte. Er hatte in vergilbten Schriften gelesen, wie die Alten zu Rom die gefährliche Operation betrieben, daß schon in grauer Vorzeit ein Privilegium darauf bestanden. Celsus, Meges und Paulus der Arzt gaben ihr Verfahren an, dessen sich auch viele Aerzte der Epoche Colot’s bedienten. Aber er hatte auch gefunden und durch sich selbst die Erfahrung gemacht, wie wenig ausreichend jene Methode sei, wie oft der Leidende, in den meisten Fällen sogar, ein Opfer der grausamen Zerfleischung wurde. Die Norcianer allein besaßen das Richtige, ihre Werkzeuge, ihre Kunstgriffe waren allein vermögend, das Uebel zu beseitigen und den Kranken zu erhalten. Wenn er hinter das Geheimniß kam, die Art jener Operation sich zu eigen machte – welch’ ein Glück für ihn! welch’ ein Ruhm! welch’ ein Segen für die Menschheit!

Da pochte es in stürmischer Nacht an das Thor seines Hauses. Es ist ein flüchtender, fahrender Arzt. Unwissende Mönche haben seine Kunst für Teufelswerk erklärt, neidische Aerzte haben die’ verbrieften Rechte emporgehalten, nach denen kein Anderer als sie, die mit der Robe Bekleideten, das Leben eines Menschen retten dürfe. Von dem Schmerzenslager eines in Qualen sich Krümmenden, der jammernd und winselnd die Arme nach dem Erlöser ausstreckt, hat das starre, vermoderte Recht der Stubengelehrten denselben hinweggescheucht, ihn mit harter Strafe bedroht. Er flüchtet in das Haus Germain Colot’s, den man als einen Freund der Verfolgten schildert.

Germain verschloß seine Thür dem Geächteten nicht. Er bereitete ihm ein Lager und bei dem Nachtmahle entdeckte der Flüchtling seinem Schützer: daß er ein Mitglied der Genossenschaft von Norcia sei, daß er eine Steinoperation vollenden gewollt und vertrieben worden. Germain Colot horchte auf; er hatte das wichtige Geheimniß in seiner Nähe, es mußte um jeden Preis sein eigen werden. Der Norcianer fand den besten Schutz bei Colot, dessen große Popularität ernstliche Maßregeln gegen den fahrenden Arzt verhinderte. Der Schützling war nicht undankbar. Er hatte den glühenden Wunsch Germain’s vernommen. –

Eine Zeit lang waren der Arzt und sein Schützling für Niemand sichtbar. Die Hausgenossen Colot’s deuteten verstohlen auf die verschlossene Thür seines Arbeitszimmers, hinter welcher er sich mit dem Norcianer befand. Man trug ihnen Speise und Trank auf die Schwelle, sah noch spät in der Nacht die Fenster erleuchtet, hörte feilen und hämmern. Endlich am vierten Morgen, noch ehe die Sonne heraufstieg, nahm der Norcianer Abschied von Colot und zog auf einem stattlichen Pferde, die Taschen mit Geld gefüllt, aus der Stadt.

Germain aber stand vor dem Secirtische seines Gemaches und blickte triumphirend, mit funkelnden Augen auf eine kleine Cassette, welche einen Theil seines gewonnenen Geheimnisses barg; der Norcianer hatte dem Arzte das Verfahren erklärt, dessen er und seine Landsleute sich bei der Operation bedienten.

Germain Colot war in großer Aufregung, denn obwohl er nunmehr in den Besitz des wichtigen Geheimnisses gelangt und über die Anwendung ganz einig mit sich war, fehlte doch die Hauptsache, die Gelegenheit, eine so schwierige Heilung durch das Messer praktisch zu vollführen. Wer sollte sich ihm anvertrauen? Die Steinkranken litten häufig eher an den Schmerzen, als einer so fürchterlichen Operation sich auszusetzen; außerdem standen die heimischen Aerzte gar nicht in dem Rufe, gerade diese Uebel durch ihre Hand vertilgen zu können, und erklärte Colot sein Verfahren, so besaß er es nicht mehr allein, der Werth des Geheimnisses ging verloren; auch fand sich in der Gegend von Juvisi, wo Colot seine ärztliche Praxis betrieb, kein Steinkranker um diese Zeit; wenn er zu lange zögerte, kam ihm vielleicht Jemand zuvor, denn wer bürgte dafür, daß der Norcianer sein Geheimniß nicht zum zweiten Male verkaufte?

Der Arzt spähte wie ein Geier umher, der Beute sucht – umsonst. Der Herbst kam heran, die Winterstürme begannen zu wehen und Germain Colot hatte noch immer keine Gelegenheit gefunden, seine Kunst bei dem neuen Verfahren zeigen zu können.

Der Arzt begab sich eines Tages in trüber Stimmung nach Paris, um daselbst Einkäufe für seine Hausapotheke zu machen.

Die feuchten Nebel eines Novembermorgens begannen ein wenig zu weichen, als Colot auf seinem Klepper von der Straße, welche nach Charenton führte, abbiegend durch das Thor St. Antoine ritt. Die schwarzen Steinmassen der Bastille ragten aus den sie umfluthenden Dunstwolken hervor, ein Gewirre von Stimmen, Menschen und Thieren angehörend, scholl von dem Bastilleplatze herüber, zahlreiche Marktkarren, Treiber, Krämer und Bettler umringten den Reiter. Als Colot bei dem Palais Tournelles angekommen war, bemerkte er plötzlich, daß der ganze Menschenknäuel sich nach einer gewissen Richtung hin wälzte. Es ertönten die Rufe: „Da bringen sie ihn!“ „Sie haben ihn!“ „Armer Teufel!“ u. s. w. Colot lenkte sein Pferd nach dem Orte, wo sich die Massen zusammenballten, und erblickte den Gegenstand, welchem die Menge eine so besondere Aufmerksamkeit zollte. Es war ein Mann etwa in dem Alter von fünfundvierzig Jahren, der, auf einem Esel rückwärts sitzend, festgebunden und geknebelt war. Sein zerfetzter Anzug ließ eine Beschäftigung oder ein Leben im Walde vermuthen, denn die grüne Friesjacke war mit vielen kleinen Rehkronen und Schweinshaaren verziert. Bart und Haar, von der Anstrengung, der Flucht und dem Transporte verwirrt, umgaben Kopf und Gesicht wie ein Büschel aus Gras und Aesten zusammengesetzt.

Colot erfuhr, daß der arme Teufel ein Wilddieb aus Meudon sei, der von den Jägern nach vergeblichem Suchen endlich ergriffen, geknebelt ward, und nun zum Gefängniß geschleppt wurde.

Der Arzt zuckte mit den Achseln und warf noch einen Blick auf den Unglücklichen, der nach den grausamen Gesetzen jener Zeit eine fürchterliche Todesstrafe erdulden mußte. Glücklich, wenn er mit einem Hiebe durch den Henker vom Leben zum Tode befördert wurde, und nicht, auf einen Hirsch geschmiedet oder mit Eisen an den Stamm eines Baumes gefesselt, sein elendes Leben in langer Qual verhauchen mußte.

Der Arzt besorgte seine verschiedenen Geschäfte und kam endlich zu dem Apotheker in der Straße Saint-Jacques, wo er sein Pferd eingestellt hatte. Dieser Apotheker wohnte in der Gegend des kleinen Châtelet, welches zu jener Zeit das Hauptgefängniß von Paris war. Als der Doctor, noch damit beschäftigt, seine Einkäufe in den Mantelsack zu packen, in den Laden des Apothekers blickte, sah er einen Mann eintreten, der auf seinem rothen Wamms das Wappen der Stadt Paris, das Schiff, in weißer Seide gestickt, trug. Es war einer der Stadtschergen oder Häscher.

„Hollah, Meister Patelin,“ rief er. „Schnell ein kühlendes Arcanum, eine Art von Schlagwasser oder dergleichen.“

„Was giebt es?“ sagte der Apotheker. „Wofür soll es sein?“

„Nun, der Wildschütze, den sie heut morgen eingebracht haben, droht uns durch den Tod zu entschlüpfen,“ lachte der Scherge roh. „Er schreit und wimmert und behauptet, er habe einen Stein im Leibe, der ihn zur Verzweiflung treibt. Meister Artus, der Schließer vom Châtelet, sendet mich zu Euch, daß ich einen kühlenden Umschlag hole. Es wird wohl nicht so arg sein.“

Germain Colot war bei diesen Worten aufmerksam geworden; er legte hastig seinen Mantelsack nieder und trat zu dem Schergen.

„Wie sagt Ihr? einen Stein?“ fragte er. „Dafür ist dieses Schlagwasser kein Mittel. Hier – da habt Ihr ein Stück, zwei Livres tournois; wollt Ihr noch einmal so viel verdienen, so sorgt dafür, daß ich zu dem Gefangenen kommen und ihn untersuchen darf.“

„Ah, Ihr seid der Doctor Colot,“ grins’te der Scherge, „ich kenne Euch wohl. Geht mit mir.“

Bei der Bekanntschaft mit dem Häscher, und auf eine Empfehlung des Apothekers hielt es für den Arzt nicht schwer, in das Gefängniß zu gelangen. Der arme Sünder saß in einem niedrigen Gewölbe. Ein schmales Fensterloch ließ den spärlichen Lichtstreifen hereinfallen, der das feuchte Behältniß nur an einer Stelle matt erleuchtete. Der Wilddieb ruhte auf einem Steine, den man mit schlechter Wolldecke bekleidet hatte, sein linker Fuß war durch eine starke Kette an die Wand gefesselt. Als der Doctor mit dem Schließer in die Zelle trat, suchte der Gefesselte sich zu erheben, fiel aber mit lautem Stöhnen auf sein hartes Lager zurück.

[747] „Was ist Dir, Mann?“ fragte Colot begierig. „Du scheinst durch heftigen Schmerz zu leiden. Ich bin ein Arzt, rede.“

Der Wilddieb heftete seine Augen auf den Fragenden, dessen Züge er in dem Halbdunkel nicht zu unterscheiden vermochte. „Herr,“ stöhnte er, „ich leide furchtbar. Die Flucht, die Mißhandlungen und vor Allem der schreckliche Ritt hieher haben mich fast getödtet. Ein rasender Schmerz zerreißt meine Eingeweide. Schon oft plagte es mich also, aber die klugen Bruder im Dorfe linderten das Weh. Sie meinen, ich trage einen Stein in mir, und wollten ihn durch Zauberei vertreiben.“

„So laßt mich untersuchen,“ rief der Arzt schnell.

„Was soll’s?“ sagte der Gefangene. „Ich muß ja doch dran, laßt mich immer heulen. In zwei Tagen ist Alles vorüber.“

„Wer weiß? wer weiß?“ entgegnete Colot, in dessen Hirn sich ein Plan gestaltete. „Laßt mich erst sehen, was zu machen ist.“

„Soll ich eine Leuchte holen?“ fragte der Schließer.

„Nein. Ich kann meiner Hand trauen.“

Der Arzt untersuchte nun sorgfältig den Wilddieb. Seine Hand hatte bald die Ursache des Leidens entdeckt. Während dessen schrie der Gefangene immer lauter und zuckte bei jeder Berührung des Doctors. Colot zitterte vor Erregung, denn der Missethäter trug wirklich jenes Leiden in sich, dessen Beseitigung in kunstgerechter Weise der Arzt möglich machen konnte.

„Ihr seid auf jede Art dem Tode verfallen, wenn Euch nicht Rettung wird,“ sagte er zu dem Wilddiebe. „Kommt Ihr vor den Richter, so tödtet man Euch; aber wenn Ihr auch selbst frei ausgehen solltet, Ihr müßt an dem Stein, der in Eurem Körper sitzt, zu Grunde gehen.“

Der Gefangene wimmerte vor Schmerz und Angst.

„Ich will Euch einen Vorschlag thun,“ fuhr Colot fort. „Ich besitze wunderbare Instrumente, mit denen ich es vermag, den quälenden Gegenstand aus Eurem Körper zu entfernen. Es ist ein Verfahren auf Leben und Tod, noch hat Niemand die geheimnißvolle Operation vollbracht, noch hat sich kein Mann gefunden, der sich unter das Messer begeben wollte. Wenn Ihr nun unter der Bedingung Eure Freiheit erhieltet, daß Ihr jenen gewagten Schnitt an Euch thun lassen wollt, würdet Ihr Euch dann meinem Messer anvertrauen?“

Der Wilddieb zauderte.

„Bedenkt es wohl. Schreckliche Qualen erwarten Euch durch des Henkers Hand, sie sind noch ärger als die, welche das Operirmesser verursacht. Ich glaube Euch die Freiheit und die Heilung versprechen zu können, wenn Ihr einwilligt, und eine gute Belohnung soll Euch außerdem nicht fehlen. Nur zwei Tage und die Henker verrichten ihr Werk.“

Der Gefangene raffte sich empor. „Sei es denn, Meister,“ rief er. „Wenn Ihr mich retten könnt, so versucht Eure Kunst an mir. Soll ich verrecken, so geschehe es lieber durch Eure Hand, als durch die des Henkers.“

Colot verordnete nun schnell einige Mittel, schrieb ein Verhalten vor und verließ das Châtelet.

Er kannte den Arzt König Ludwig’s des Elften, den Angelo Catto. Eiligst suchte er ihn auf. Lange Zeit mußte er sprechen, erläutern, auseinandersetzen. Glücklicher Weise gehörte der Doctor Angelo nicht zu den Kurzsichtigen, und obgleich er eine Regung des Kunstneides schwer zu unterdrücken vermochte, überwand doch die Achtung vor der Wissenschaft das kleinliche Hemmniß. Noch am Abend dieses Tages ließ der Arzt dem Herrscher melden, daß er ihm einen Genossen vorstellen wolle, der eine neue, bisher nur wenig bekannte Operation zu machen entschlossen sei, deren Ausführung von dem Machtspruche des Monarchen abhänge.

Ludwig der Elfte liebte, trotz aller politischen Intriguen und Wirren, in die er sich stürzte, dennoch die Wissenschaft. Er hielt namentlich die Aerzte sehr hoch, weil er stets vor dem Tode bebte. Der König war durchaus nicht feig, sondern zeigte im Gegentheil die größte Kaltblütigkeit, Verwegenheit und Todesverachtung in allen Gefahren, nur das Hinsiechen an einer Krankheit, die Gewißheit, daß er einem Leiden nicht entrinnen könne, war ihm entsetzlich. Er hielt es für höchst nothwendig, jede neue Curmethode zu begünstigen, weil er sich stets vorspiegelte, das Leiden, dessen Heilung irgend eine pedantische Rücksicht verhindere, müsse ihn, den König, heimsuchen.

Colot baute fest darauf, noch mehr auf den Charakter Ludwig’s, der an allen schrecklichen, außergewöhnlichen und blutigen Dingen besonderes Interesse fand. Er vertrieb sich oft genug die Zeit damit, kleinere Thiere durch größere, zerreißen zu lassen, oder ließ sich Folterinstrumente beschreiben, oder erfand Schreckmittel für Gefangene; dabei war er eifersüchtig auf seinen Ruhm und sah es gern, wenn neue Erfindungen auftauchten, die seine Regierungsjahre dereinst berühmt machen konnten.

Als daher Catto ihm die Mittheilung machte, willigte er sogleich ein, den fremden Arzt zu sehen, und befahl, daß derselbe ihm einen kurzen Vortrag über das neue Verfahren halten solle.

Der König wohnte im alten Louvre, in jenem Theile, der heute nach der Wasserseite zu gelegen ist. Colot harrte auf den Ruf seines Collegen im Vorzimmer, welches durch verschiedene Leibwachen und Pagen bevölkert war. Endlich rief ein Officier des Königs ihn mit Namen und der schlichte Landarzt trat in des Herrschers Gemach.

Der König saß in einem Lehnstuhle. Er hatte einen grünen, mit Fuchspelz wattirten Schlafrock an, auf seinem Haupte trug er eine schäbige, hohe Filzmütze, an welcher einige zwanzig bleierne und silberne Heiligenbildchen befestigt waren. Um den Hals hing ihm eine Schnur Amulets. Seine Füße steckten in langen, spitzen Schnabelschuhen. Der Schuh am rechten Fuße war schwarz, der des linken gelb gefärbt. Sein markirtes, boshaftes Gesicht zeigte Neugierde und Mißtrauen, als er den Eintretenden anstierte.

„Ihr sollt ein sonderbares Verfahren entdeckt haben, den sogenannten Menschenstein zu entfernen aus dem Körper,“ schnarrte er. „Aber ich glaube noch nicht recht daran. Bisher war das ein Geheimniß.“

„Das ist es auch noch, Sire,“ sagte ruhig Colot. „Nur bin ich im Besitze desselben.“

„Ihr wollt es an dem Wilddiebe von Meudon versuchen. Gut. Kommt der Schurke lebendig unter Euren Messern hervor, so mag er in des Satans Namen laufen.“ Die Hand des Königs fuhr bei diesen Worten an die Mütze, wo sie die geweihten Bilder berührte. „Wie ist denn nun Euer Verfahren?“

„Wenn ich das verschweige, so werden Ew. Majestät nicht zürnen,“ entgegnete Colot unerschrocken. „Ich hätte es schon längst veröffentlicht, wenn ich es eben nicht geheim halten wollte. Genug, daß ich mich für das Gelingen verbürge.“

„Ihr seid ein dreister Mann. Pasques Dieu!“ rief Ludwig. „So kurz zu sprechen mit mir. Wenn ich nun Eure Bitte abschlage? Euch hinaus weise? Euch als einen Schwarzkünstler verurteilen lasse?“

„Dann schaden Sie der Menschheit und – wer kann es wissen? sich selbst vielleicht, Sire. Vor einem Leiden ist Niemand sicher, der sterben muß.“

Ludwig fuhr erschrocken auf. Er schoß einen wahren Basiliskenblick auf den Arzt. „Olivier, Tristan, André – kommt!“ rief der König. Die Gerufenen traten ein. Der König erhob sich und ging zu einem Tische.

„Aber Catto hat mir von Instrumenten gesagt, die Ihr gefertigt für Euren Gebrauch, diese werdet Ihr doch zeigen?“ sagte er.

Colot verneigte sich. „Sie sind zu Euer Majestät Ansicht bereit,“ versetzte er, seine Cassette hervorholend. Er stellte sie auf den Tisch und öffnete den Deckel. Auf einer Unterlage von schwarzem Sammet sah man eine Anzahl wunderlich geformter Messer, kleiner Zangen, Lanzetten und zwei löffelartige Instrumente, deren Anwendung vollständig räthselhaft erschien. Der König hielt mit der Linken das Amulet umklammert, nahm aber mit der andern Hand die blitzenden Messer. Er betrachtete mit sichtlichem Wohlgefallen die haarscharfen Spitzen und Schneiden, klappte mit der Zange und schnitzte mit den Lanzetten.

„Welches verrichtet nun den Hauptdienst?“ sagte er. Colot zeigte die wichtigsten Messer.

„Sehr scharf – sehr leicht und gut zu handhaben, Olivier,“ sagte er zu dem Günstlinge. „Man möchte selbst einmal das Ding versuchen.“ Er fuhr mit dem Messer durch die Luft. „Hei – das muß eine Menge Blut geben. Ihr werdet sehen, der Bursche wird gewaltig schreien. Ihr laßt ihn doch binden?“

„Es wird nothwendig sein, Sire,“ entgegnete der Arzt.

Der König lächelte seltsam. „Wie nennt Ihr Eure Instrumente?“

„Die hohe Geräthschaft, Sire.“

[748] Colot theilte nun noch Einiges über die Zangen mit, ohne sein Verfahren zu entschleiern. Nach und nach wurde der König immer stiller, aufmerksamer. Als der Arzt geendigt hatte, forderte Ludwig Pergament und seine Rohrfeder. Er fertigte eigenhändig die Begnadigung für den Wilddieb aus, falls derselbe aus der Operation des Meister Colot lebend hervorgehen sollte.

„Wenn Alles vorüber ist, bringt mir Bescheid, Catto,“ sagte der König. „Germain Colot, ich bleibe Euch gewogen.“ Er winkte mit der Hand und die beiden Aerzte traten aus dem Zimmer. Colot war glücklich, die Erlaubniß und das Versprechen erhalten zu haben. Er eilte sofort in das Châtelet.

Am folgenden Morgen erschien er mit drei Gehülfen des Baders vom Platze St. Gervais im Gefängnisse. Der Wilddieb zitterte, als der Arzt eintrat, denn was er leiden sollte, war freilich mit den Qualen der Folter zu vergleichen. Germain Colot ließ ein Polster bringen, auf dieses ward der Gefangene gelegt und damit in ein helles Gemach getragen. Hier angekommen mit seinem Arzte und den Gehülfen, wurden seine Arme und Beine gebunden. Colot empfahl Ruhe und entdeckte ihm, daß ein Bruder vom Orden des heiligen Bernhard während der Operation die Gebete für ihn sprechen werde. Noch einmal prüfte der Arzt seine Werkzeuge, dann trat er schnell zu dem Leidenden. „Seid Ihr bereit?“ rief er.

„Im Namen des dreieinigen Gottes – ich bin es,“ antwortete der Wilddieb.

„Haltet fest,“ befahl Colot den Gehülfen. Sie drückten die Schultern des Gebundenen nieder und faßten seinen Kopf.

„An’s Werk im Namen des Himmels!“ sagte Colot. Er schloß die Thür.

Draußen harrte eine neugierige Menge, Aerzte und Laien,. Mönche und Ritter. Sie vernahmen das Wimmern, Alle warteten ängstlich des Erfolges. Nach geraumer Zeit öffnete, Colot die Thür. Sein Gesicht war geröthet, Schweiß tropfte hernieder. Er hielt sein Messer in der Hand und rief: „Es ist gelungen, der Mann lebt, ist befreit und wird hinausziehen in die weite Welt – ein freier Mann.“

Alles umringte den Arzt, und Angelo Catto eilte sofort zum Könige, der mit sichtlichem Interesse den Bericht anhörte. Der Wildschütze aber zog nach seiner Heilung wieder frei hinaus in die Wälder von Meudon. Colot übte seit dem 29. November 1475 den Steinschnitt unter Schutz des Privilegiums zum Wohle der Menschheit aus. Auch er hielt sein Verfahren geheim und lehrte es nur den Mitgliedern seiner Familie. Nach ihm ward Lorenz Colot mit dem Titel eines königlichen Lithotomisten von Heinrich dem Zweiten angestellt, und das Geheimniß blieb in der Familie erblich bis zum Tode Franz Colot’s, der im Jahre 1706 starb. Auf ihn folgte Tolet; aber schon hatte die Wissenschaft so bedeutende Fortschritte gemacht, daß das Geheimniß der Colots ihrem Nachfolger keinen Nutzen brachte; durch die Forschung war es zum Gemeingut geworden.