Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Variationen für Pianoforte: Dritter Gang
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Die beste Recension über die meisten obiger Variationen las der Leser so eben im Motto.[1] Sie gehören sämmtlich dem Salon oder dem Concertsaal an und halten sich, das letzte Heft ausgenommen, von aller poetischen Sphäre weit entfernt. Denn auch in diesem Genre muß Chopin der Preis zuerkannt werden. Jenem großen Schauspieler gleich, der auch als Lattenträger über das Theater gehend vom Publicum jubelnd empfangen wurde, kann er seinen hohen Geist in keiner Lage verläugnen; was ihn umgibt, nimmt von ihm an und fügt sich, noch so spröde, seiner Meisterhand. Im [57] Uebrigen versteht sich, daß die Variationen, zu seinen Originalwerken genommen, in keinen Anschlag gebracht werden können.
Was die Concertvariationen vom seligen Ludwig Schunke anlangt, so muß man sie den glänzendsten Clavierstücken der neusten Zeit beizählen, mit denen er, wäre er am Leben geblieben, allerwärts Aufsehen erregt haben würde. Der seltene, sinnende Virtuos am Clavier sieht überall durch. Instrument-neues, Schwerübendes, Scharfcombinirtes findet man auf jeder Seite. An Idee stehen sie freilich gegen seine andern Arbeiten zurück und er kannte meine Ansicht gar wohl, nach der es mir immer unpassend geschienen, so herzinnige Themas, als den Fr. Schubert’schen Sehnsuchtswalzer, zu so Heldenstücken zu verarbeiten. Jedenfalls überragen sie im musikalischen Satz die meisten der neueren Bravoursachen. Vor Allem geistreich muß das Finale, eine Polonaise im patentesten Styl ausgezeichnet werden, und spielt Jemand die dritte Variation, wie er, so wird man ihn gewiß einen Meister im Treffen nennen.
Mehr geschmackvoll, aber wenig geist- und erfindungsreich haben die großen Variationen von Carl Mayer ganz gleiche Bestimmung, Zuschnitt, Charakter als die vorigen. Das Thema ist dasselbe russische Volkslied, das Thalberg in seinem Werk 17. variirt hat, und so glänzend bordirt, daß es sich schon vor der Kaiserin, der es gewidmet ist, hören lassen kann. Manches sticht mir zu süßlich gegen das markvolle Thema ab, wie es [58] mich auch wundert, daß Mayer, der sonst so vorsichtig im Maßhalten ist, sich überhaupt nicht kürzer gefaßt hat. Dies bezieht sich namentlich auf die 5te ziemlich vier Seiten lange Andante-Variation. Das Glück eines Concertstückes hängt an halben Minuten; eine zu viel und irgend Jemand fängt zu husten an und weg ist der Enthusiasmus. Zu wenig geht eher. Wenn vielleicht Pedanten die im reinen Des dur gesetzte Einleitung aufstechen sollten, da doch das Ganze in F dur spielt und schließt, so beweist eben das Stück, daß man schon in verschiedenen Tonarten ein Stück anfangen und endigen und dennoch sehr schön componiren könne. Eine Ausnahme soll es allerdings bleiben, aber nur kein Verbot. – Auf gefährliche Neuerungen, große Schwierigkeiten stößt man übrigens durchaus nicht im Heft: es schmiegt und schmeichelt sich Alles an die Finger an. Ursprünglich sind die Variationen mit Orchesterbegleitung gedacht; doch fehlen die gestochenen Stimmen, was wegen des letzten Satzes, der durch die Instrumentation viel gewinnen wird, zu bedauern ist. – Die Variationen über ein bekanntes Thema der Auber’schen Braut stellen sich von selbst weit unter die vorigen. Es läßt sich nichts darüber sagen, als daß sie sich durch ein lebhaftes Colorit vor vielen Salonvariationen Anderer hervorheben.
Vielleicht erinnert sich der Leser einer scharfen, nur gar zu richtigen Kritik über ein Clavierconcert von Hrn. Döhler. Variationen sieht man schon mit milderen Augen an. Hr. Rellstab bedient sich bei solchen Concertstücken [59] meisthin der schlauen Wendung „Mozart und Beethoven haben zwar bessere Werke geschrieben, indessen“ – indessen sind es eben brillante Variationen über ein Thema von Donizetti und man weiß Alles im Voraus. Sobald nur der Componist und das Publicum solche Dinge für das erklären, was sie sind, so läßt man es passiren. Sobald es sich aber etwa breit machen will, so soll sich dem kanonenschwer entgegengestellt werden. Nichtsnützig ist es nun gar, wenn selbst musikalische Zeitungen über solche, wie sie sie nennen, „freundliche“ Talente, als Kalkbrenner, Bertini etc., der Welt die Augen öffnen wollen. Durch Glas läßt sich schon sehen; da brauchen wir keinen langweiligen Erklärer. Piff! Paff! Bis auf’s kleinste „und“ kennen wir sie und ihre Finger. Wer würde Hrn. Döhler verargen, daß er sich größten Beifall erspielen will; er scheint ein bedeutender Virtuos, bringt manches Neue und stets Gutklingendes, notirt alles sehr fleißig, hat rhythmischen Sinn, schreibt im Verhältniß zur claviergemäßen Schwierigkeit dankbar. Dies ist alles schätzenswerth. „Beethoven und Mozart haben zwar“ – Vgl. oben. Aufrichtige Elogen mach’ ich ihm aber wegen der Solostelle der linken Hand auf S. 2., mit dem darauf folgenden wirklich prächtig rauschenden Fortissimo und der echt-claviergemäßen Begleitung. Sehr effectvoll ist eben so die 3te Variation und lobenswerth wegen der strengen Durchführung der Melodie, welche Andere, hätte sie sich nicht schnell gefügt, vielleicht hätten fallen lassen. Aber mit zwei Verzierungen [60] möchten uns die Componisten nicht mehr wüthend machen: sie stehen unten in der Anmerkung[2] und sind nach und nach so zu Gemeinheiten geworden, daß man’s wirklich nicht mehr hören kann. Todfeindschaft Allen, die sie noch einmal drucken lassen. Wünscht man von uns andere Zierrathen an Cadenzstellen, so stehen wir mit Tausenden bereit.
Die Bravourvariationen von Carl Schunke sind den Eleven des Pariser Conservatoirs gewidmet, ein Umstand, der vorweg für sie einnimmt, da man sich auf etwas Technisch-, wie Aesthetisch-Bildendes vorbereitet. Was den ersten Punct betrifft, so sind sie unläugbar sehr sorgsam, gewissenhaft im äußerlichen Vortrage, in der Declamation u. s. w. bezeichnet, handrecht und nützlich von einem durchgebildeten Spieler und Lehrer gesetzt. Was aber im Uebrigen,[H 1] so blühen sie vom neusten geschmacklosen Geschmack so hohl pathetisch, so gemeinfrivol über, daß man sie kaum zweimal hintereinander sich denken mag. Der gut-pädagogischen Eigenschaften halber muß man das mit wahrer Betrübniß [61] gestehen, um so mehr, da der Componist gegen sein bisheriges Streben, das nur auf leichteste Modearbeit hinausging, hier einen Anlauf gemacht hat, dem man gern ein besseres Schicksal gönnte. Spiele und studire sie also, wer, Herz und Kopf auf dem rechten Fleck, seinen Fingern Bewegung und interessantere Uebung geben will. Die Virtuosen werfen es Beethoven oft genug vor, daß er ohne Berücksichtigung der Mechanik des Instruments schriebe und spielen uns seine Compositionen dennoch; so wollen wir auch dankbar sein, und manchmal der Virtuosen instrumentgemäßere Passagen, wenn auch ohne Beethovenschen Geistesbeisatz, zur bessern Beherrschung jener einüben. Beiläufig noch eine Anmerkung zu dem facilité, das in neueren Compositionen so oft zu finden ist. Abgesehen davon, daß ein echter Gedanke überhaupt gar keine Veränderung verträgt, so scheinen mir in Stücken, in denen einmal Schwierigkeiten überwunden werden sollen, solche Erleichterungen unnöthigen Platz wegzunehmen, – des andern Umstandes noch zu erwähnen, daß auch weniger fertige Schüler, haben sie nur einen Funken Ehrgeiz, niemals die leichtere Variante wählen, sondern gerade auf das Schwerere wie erpicht werden. Also wozu das? Verändert aber der Componist in der Art, wie z.B. Hr. Schunke S. 19., wo, statt daß ursprünglich die Töne in einem brillanten Gang in die Höhe, sie in der Variante mit faden Triolen in die Tiefe gehen, so ist mir das eine unbegreifliche Herabsetzung seiner eignen [62] Ideen. Genug – und führe sich Jeder die Bemerkung nach Gefallen aus.
Die Variationen von Kalkbrenner können auf eine lange Besprechung wohl keinen Anspruch haben. Sie sind leicht, ansprechend u. s. w., im Grunde recht arm.
Eben so schnell können wir über die Hrn. Nowakowski und Osborne weggehen. Der eine ist ein Pole mit, der andere ein Schwede[H 2] ohne Compositionstalent. Beide kennen ihr Instrument. Das Thema des Polen muß man hübsch finden, das von Osborne gewählte aus Anna Bolena sehr lahm. Hr. Rowakowski kann es zu etwas bringen, wenn er mehr studirt, als Hr. Osborne.
Zwei Dinge auf der Welt sind sehr schwer, einmal, sich einen Ruhm zu gründen, sodann ihn sich zu erhalten. Gepriesen seien aber die Meister – von Beethoven bis zu Strauß,[H 3] jeder in seiner Weise!
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ]: Was [sie] aber im Uebrigen [betrifft],
- ↑ [GJ] „Osborne war ein geborener Irländer und lebte damals in Paris.“ I.283
- ↑ [WS] Johann Strauß (Vater) (1804–1848). [GJ] Anmerkung 69: „Schumann war immer ein großer Tanzfreund. Seine zahlreichen Tanzcompositionen aus allen Lebensperioden bezeugen das ebenfalls. Er tanzte nicht nur in seinen jungen Jahren gern, sondern auch nach seiner Verheirathung, wenn einmal eine heitere Gesellschaft mit einem improvisirten Tanzvergnügen beschlossen wurde. Daß er nicht etwa nur scherzweise von ‚Meister‘ Strauß, spricht, beweist die Thatsache, daß er, als Strauß mit seiner Capelle Leipzig besuchte, mit Mendelssohn, David und Bennett zusammen dem Vortrage der Tänze zuhörte. Es war am 9. Nov. 1836 ‚in einem Garten etwas außerhalb der Stadt’, wie es in Bennetts handschriftlichem Tagebuche heißt.“ I.345–346
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