Gesinde und Sclaven in China

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Autor: Leopold Katscher
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Titel: Gesinde und Sclaven in China
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 203–204
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[203] Gesinde und Sclaven in China.[1] Jede wohlhabende chinesische Familie hält sich zahlreiche Dienstboten. Das männliche Gesinde besteht gewöhnlich aus einem Thürsteher, zwei oder drei Lakaien, drei oder vier Sänftenträgern und einigen Leuten, die das Haus rein und sauber zu halten haben. Die Aufnahme der männlichen Dienstboten erfolgt jeden Monat oder jedes halbe Jahr und der denselben zu zahlende Lohn beträgt in unserem Gelde, abgesehen von Wohnung und Verpflegung, zwischen zwölf und zwanzig Mark für den Monat; mancher Dienstgeber giebt seinem Gesinde auch die Kleidung, sowie eine kleine Summe zum Ankauf von Tabak und andern Genußartikeln. Von dem dienstthuenden Gesinde verlangt man Zeugnisse über dessen Befähigung und gute Aufführung - also ganz wie bei uns. An minder angesehene Familien verdingen sich Köche, Lakaien und landwirtschaftliche Arbeiter auf mindestens zwölf Monate, und zwar mittelst der früher auch in manchen Gegenden Europas üblich gewesenen öffentlichen Gesindemärkte, die auf Anordnung der Localbehörden an geeigneten Orten abgehalten werden.

Eine andere Kategorie von Dienstboten sind in China die Sclaven, die durch Kauf erworben werden und das persönliche Eigenthum des Familienoberhauptes bilden. Die weiblichen Sclaven sind sehr zahlreich; männliche kommen viel seltener vor. Reiche Leute besitzen oft nicht weniger als zwanzig bis dreißig Sclaven; selbst Bürger, die nichts weniger als wohlhabend sind, halten es für nötig, sich mit einigen Sclaven zu versehen. Die für Sclaven zu zahlenden Preise schwanken je nach deren Alter, Gesundheit, Stärke und äußerer Erscheinung von zweihundert bis vierhundert Mark. In unruhigen Zeiten - bei Kriegen und Revolutionen - pflegen arme Eltern, wenn es ihnen sehr schlecht geht, ihre Kinder zu außerordentlich niedrigen Preisen als Sclaven zu verkaufen, wie denn John Henry Gray, der seit mehr als dreißig Jahren in China lebt, in Canton viele Eltern gekannt hat, die ihre Töchter zu zwanzig Mark ausgeboten. Auch Spieler. die ihr Vermögen am grünen Tische einbüßten, sehen sich, um Geld zu bekommen, oft veranlaßt, ihre Kinder zu verkaufen.

Den An- und Verkauf von Sclaven vermittelt gewöhnlich ein Sclavenhändler, der in der Regel ein alter Mann ist, aber auch alte Weiber widmen sich nicht selten diesem Berufe. Diese Leute halten häufig „Waare auf Lager“, und bietet man ihnen einen Sclaven an, so nehmen sie ihn zur Probe auf einen Monat zu sich. Sollte er im Schlafe sprechen oder sich als schwach erweisen, so lehnen sie ihn ab oder zahlen nur einen geringen Preis für ihn. Diese Probe ist notwendig, weil der Händler, der einen Sclaven weiter verkaufen will, für dessen Brauchbarkeit garantiren muß. Der Sclave darf vor Allem keinerlei Anzeichen der unter den Chinesen sehr verbreiteten Aussätzigkeit aufweisen, und um sich vor diesem Fehler zu sichern, läßt der Kaufliebhaber den Sclaven, den er kaufen will, vom Händler in ein finsteres Zimmer bringen, wo ein blaues Licht erzeugt wird; nimmt bei dessen Schein das Gesicht des Sclaven eine grüne Farbe an, so ist er von allen Symptomen der Aussätzigkeit frei, erscheint die Gesichtsfarbe aber rötlich, so setzt man voraus, daß das Blut inficirt ist.

Die Sclaverei ist in China nicht nur lebenslänglich, sondern auch erblich. Die Sclaven haben keine elterliche Autorität über ihre Kinder, doch ist es ihren Urenkeln, wenn dieselben die Mittel dazu besitzen, gestattet, sich die Freiheit zu erkaufen. Die männlichen Sclaven heißen [204] „Nu“, die Sclavinnen „Pi“, und alle Sclaven werden als Familienmitglieder betrachtet. In früheren Zeilen nahmen sie sogar die Familiennamen ihrer Herren an diese Sitte ist aber längst abgekommen. Obgleich Familienmitglieder, werden die Sclaven nicht als Mitglieder des Gemeinwesens anerkannt und infolge dessen können sie z. B. bei Gericht keine Klage anhängig machen. Kurz, sie haben keine Bürgerrechte und sind der Habsucht, dem Hasse und den gemeinen Begierden ihrer Herren ausgesetzt. Es kommt zuweilen vor, daß der Besitzer einer Sclavin diese heirathet, aber die Ehe wird der Sclavin in solchen Fällen nicht von ihrem Herrn, sondern von dessen Gattin angetragen, und es ist nichts Seltenes, daß eine kinderlose Frau ihren Mann auffordert, eine Sclavin zur zweiten Frau zu nehmen. Diese Sitte erinnert an die biblische Episode von Sarah, die Abraham bewog, Hagar zu ehelichen.

Die Hauptbeschäftigung der Sclavinnen besteht in der Bedienung der Frauen und Töchter ihres Herrn. Die chinesischen Sclavinnen sind vortreffliche Kammerzofen und daher in der Kunst des Frisirens und Schminkens sehr geschickt. Hat eine Dame so kleine Füße, daß ihr das Gehen schwer fällt, so läßt sie sich von einer Sclavin auf dem Rücken tragen, und es ist erstaunlich, welch große Entfernungen die Sclavinnen mit solchen Lasten im Schaukeltrab zurücklegen können. Als Kindermädchen sind sie in der Regel sehr sorgsam und liebevoll.

Die Familienhäupter haben ihre Sclaven ebenso vollständig in ihrer Gewalt, wie ihre Kinder, und daher rührt es, daß sie nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie durch übermäßige Mißhandlung den Tod ihrer Sclaven herbeiführen. Im Allgemeinen jedoch werden die Sclaven und Sclavinnen in den besseren Häusern sehr rücksichtsvoll behandelt. Leider läßt sich dies nicht auch von den Sclavinnen sagen, die von ärmeren Leuten rücksichtslos als „Mädchen für Alles“ verwendet werden. Daher suchen namentlich die Sclavinnen nicht selten das Weite. Sofort nach einem solchen Durchbrennen pflegt der um seine Sclaven gekommene Besitzer den Weg der Oeffentlichkeit zur Wiedererlangung seines Eigenthums zu beschreiten, da es nun aber in China außer der amtlichen „Pekinger Zeitung“, genau genommen, keine öffentlichen chinesischen Blätter giebt, bedient man sich zu Bekanntmachungen der Placate. Die das Entweichen eines Sclaven anzeigenden Ausrufe enthalten eine eingehende Schilderung des Aeußeren des Betreffenden und die Angabe der Belohnung, die dem Zustandebringer zugesichert wird. Auch werden oft Ausrufer in den Straßen der Städte umhergesandt, um den Steckbrief und die Höhe der Belohnung schreiend und einen Gongong (beckenartiges Instrument aus Metall) schlagend zur allgemeinen Kenntniß zu bringen.

Der Gongong hängt an einer Stange, die auf den Schultern des Ausrufers und eines Gehülfen ruht. An dem Instrumente flattert eine kleine Papierfahne, auf welcher die Einzelheiten des Falles mit deutlicher Schrift verzeichnet sind. Die Herrinnen entflohener Sclavinnen pflegen ein der Flüchtigen gehöriges Kleid an einen Handmühlstein zu binden und diesen zu drehen, wobei sie den Namen der Sclavin laut nennen. Sollte diese Zauberei, wie begreiflich, nicht zu dem erwünschten Ergebniß führen - das heißt die Flüchtige wiederbringen - so begiebt sich die Herrin in einen Tempel des Gottes Sin-Fung („Anführer der Armee“), fleht um seine Hülfe und bindet an ein Bein des Pferdes, auf dem der Götze reitet, ein Stück Bindfaden, um anzudeuten, daß die Sclavin eingefangen werden möge.

Ein schöner Zug im chinesischen Familienleben ist es, daß in fast allen besseren Häusern die Herren mit ihren Dienern und Sclaven, die Damen mit ihren Dienerinnen und Sclavinnen auf vertrautem Fuße stehen. Das Gesinde ertheilt daher nicht selten Rathschläge und Winke hinsichtlich des Wohles der Familie, und sehr häufig wird es zur Besprechung der wichtigsten Angelegenheiten beigezogen.

L. Katscher.



  1. Dieser Artikel ist dem zweiten Capitel der „Bilder aus dem chinesischen Leben“, die der Verfasser demnächst erscheinen lassen wird ( E. F. Winter'sche Verlagshandlung in Leipzig), entnommen worden.
    D. Red.