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Gesundheit und Kleidung

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Textdaten
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Autor: Professor Hans Buchner
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Titel: Gesundheit und Kleidung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 76-79,
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[76]
Gesundheit und Kleidung.
Ein Beitrag zur Hygieine der Kleiderstoffe.
Von Professor H. Buchner in München.
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Ueber Hygieine der Kleidung für weitere Kreise zu schreiben, ist gar keine leichte Aufgabe. Einem Reisenden, der uns über ferne bisher unerforschte Länder berichtet, wissen wir Dank für die kleinste Aufklärung. Aber, was uns am nächsten liegt, worüber wir selbst vielfache Erfahrungen gesammelt haben, darin sind wir in Bezug auf Erkenntnis auch um so anspruchsvoller, und wir vergessen da nur zu leicht, daß die Wissenschaft, sie unwandelbarer Eigenschaften und Wirkungen der Dinge gerichtet, kann dem augenblicklichen Bedürfnis, und wenn es noch so dringend wäre, kein Zugeständnis machen. Es geht ihr deshalb wie dem Arzt am Krankenbett. Der Patient verlangt um jeden Preis sofort nach einem Rezept, wenn auch sein Fall noch so verwickelt, die Diagnose noch so unklar und erst durch weitere Beobachtung zu enträtseln ist.

Ein solches Rezept kann die wissenschaftliche Hygieine in der Bekleidungsfrage vorerst nicht geben. Wohl aber kann sie gewisse Grundlagen der Beurteilung aufzeigen, kann uns belehren über die Funktionen der Kleidung, die Eigenschaften der verschiedenen Kleidungsstoffe und ihr Verhalten zum Körper, was alles für die Auswahl einer rationellen Bekleidung entscheidend in Betracht kommt. Da die Wissenschaft also wenigstens nicht mit ganz leeren Händen zu erscheinen braucht, sondern auch dem Praktiker schon einiges recht Beachtenswerte zu bieten vermag, so habe ich mich gerne entschlossen, einer Aufforderung der Redaktion der Gartenlaube entsprechend, von der Hygieine der Kleidung und ihrem gegenwärtigen Stand hier kurz zu berichten.

Vielleicht wird man von vornherein den Einwand erheben, wie es denn möglich sei, an die Kleidung, ein wechselvolles, so sehr der Mode unterworfenes Ding, überhaupt einen wissenschaftlichen Maßstab anzulegen? Vom tyrannisierenden Einfluß der Mode, der schon aus dem regelmäßigen Absatzbedürfnis unserer Bekleidungsindustrie erklärlich ist, der Hauptsache nach aber in bestimmten tieferen Trieben und Bedürfnissen der Menschennatur wurzelt, überzeugen wir uns allerdings Jahr für Jahr, und schwer fällt es dem Einzelnen, sich diesem Einfluß ganz zu entziehen. Aber, wenn wir von gewissen etwas weitgehenden Launen und Absonderlichkeiten namentlich in der Kleidung unserer Damenwelt absehen, so geht doch ein stetiger Grundzug durch die wechselnden Gestalten der Mode. „So malerisch,“ sagt Max Rubner in einer seiner vortrefflichen Abhandlungen über die Kleidung, „die faltenreiche griechisch-römische Gewandung war und so sehr ihr ein echter individueller Reiz durch die Geschicklichkeit des Trägers verliehen werden konnte, so war doch die für die Toilette selbst bei dem Manne erforderliche Zeit so groß, daß sie nur unter bestimmten Kulturbedingungen sich halten konnte.“ Unsere Kleidung dagegen „schreitet in unverrückbarem Ziele von dem Malerischen und Schönen mehr und mehr zu dem Praktischen und Zweckmäßigen. Sie braucht und darf nie ganz in dem letzteren Ziele aufgehen, denn sie wird immer ein Schmuck für Mann und Weib bleiben.“

Prüfen wir unsere Modeerlebnisse im Laufe der letzten Jahrzehnte, so verhält es sich in der That nicht anders; und es ist auch keine Gefahr, daß ein grundsätzlicher Umschwung erfolgen sollte. Eine Zeit, die unter dem Zeichen des Verkehrs steht, kann niemals mehr zu ganz und gar unpraktischen Moden zurückkehren. Menschen, die gewohnt sind, sich täglich so und so oft in Straßenbahn- oder Eisenbahnwagen hineinzuquetschen, deren Zeit überhaupt gemessen ist und ausgenutzt werden muß, werden [78] Kostüm, nur mit einer kleinen Anstandsverbesserung versehen, dahinlebte?

Aehnliche Fanatiker, Wasser- und Luftmenschen, giebt es gelegentlich an allen Orten und so ist die Frage wohl berechtigt, was sich vom Standpunkte der Hygieine hierüber sagen läßt. Ist nicht schließlich die warmhaltende Kleidung ein reiner Luxus, eine bloße Annehmlichkeit, die wir uns besser versagen würden, um nicht der Verweichlichung anheim zu fallen?

Unser Organismus, wie derjenige aller Warmblüter, besitzt in der That die wunderbare Fähigkeit der Wärmeregulation d. h. unter den extremsten äußeren Temperaturbedingungen strebt er mit Erfolg, die gleichbleibende Blutwärme von etwa 38°C mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrecht zu erhalten. Nicht wie ein lebloser Gegenstand, ein Stück Felsen beispielsweise, erleidet er bei sinkender Außentemperatur sofort auch eine entsprechende Abkühlung, und ebensowenig steigt seine Innentemperatur ohne weiteres, wenn die äußere Wärmeeinwirkung im Sommer oder in einem heißen Klima oder einem überheizten Zimmer einmal auch beträchtlich über die Norm sich erhebt. Im Gegenteil, höchst zweckmäßig arbeitet unsere Organisation diesen äußeren Störungen des inneren Gleichgewichts regulierend entgegen, indem sie beispielsweise bei äußerer Kälteeinwirkung von selbst und ohne unser bewußtes Zuthun, auch ohne daß wir anfangen, durch Gehen, Laufen, Turnen usw. uns zu erwärmen, mit einer Steigerung der inneren Wärmeerzeugung antwortet. Sie erreicht dies durch eine Erhöhung der im Körper stattfindenden Verbrennungsprozesse, wobei hauptsächlich die dem Körper zugeführten Nahrungsstoffe, unter gleichzeitiger Mehraufnahme von Sauerstoff, in gesteigertem Maße verbraucht werden. Umgekehrt vermindern sich diese Verbrennungsvorgänge von selbst im Körperinnern bei steigender Außentemperatur, wodurch auch in diesem Falle der Ausgleich zustande kommt.

Thatsächlich kann also der Mensch seine gleichbleibende Innentemperatur auch unter ziemlich beträchtlichen Schwankungen der äußeren Wärme aufrecht erhalten, sofern ebenjener Regulationsmechanismus, den man gewöhnlich als die „chemische Wärmeregulation“ bezeichnet, tadellos arbeitet. Ein gewisses Maß an dieser regulatorischen Fähigkeit zu besitzen, ist jedenfalls zur Gesundheit ganz unerläßlich. Wessen Wärmeregulation nicht prompt bei äußeren Abkühlungen in Thätigkeit tritt, läuft stets Gefahr, sich intensiv zu erkälten. „Abgehärtet“ ist dagegen derjenige, dessen chemische Wärmeregulation genau und sicher funktioniert, und wir müssen unbedingt darauf bedacht sein, unter den verweichlichenden Einflüssen des Kulturlebens diese Fähigkeit nicht ganz einschlummern zu lassen, sondern sie stets in Uebung zu erhalten. Wer viel im Freien bei jeder Witterung sich zu bewegen durch seinen Beruf ohnehin gezwungen ist, der Landmann, Förster, Gärtner, Soldat, solche Berufsklassen werden ganz von selbst ihre Wärmeregulation stets in Uebung erhalten, da die viele Luft, welche trotz der Kleidung an ihrer Körperoberfläche vorbeistreicht, stets einen abhärtenden Einfluß ausübt. Frische Luft ist überhaupt das beste, naturgemäßeste Abhärtungsmittel; darin liegt unter anderen einer der Hauptgründe, weshalb die Jugendspiele im Freien so dringend der Pflege bedürfen, daß diese allein das naturgemäße Gegengewicht darstellen gegenüber dem der Gesundheit weniger förderlichen Aufenthalt im Schulzimmer oder in der Stube der Eltern. Auch muß ich bei dieser Gelegenheit das Radfahren als ein Mittel, den Körper mit viel Luft in ausgiebigste Berührung zu bringen und dadurch zu kräftigen rühmend erwähnen. Vielleicht erleben wir es noch, daß ein Hygieiniker der nächsten Zukunft auch das Fliegen als ein geradezu ideales Mittel in dieser Hinsicht preist.

Anderseits am meisten der Gefahr der Verweichlichung durch ungenügende Regulationsthätigkeit ausgesetzt sind die Angehörigen derjenigen Berufsarten, die mit vorwiegendem oder dauerndem Aufenthalt in geschlossenen Räumen verknüpft sind. In den Großstädten, im Groß- und Kleingewerbe, aber auch auf dem Lande dort, wo Hausindustrie mit ihren meist so langen Arbeitszeiten, häufig noch dazu mit Hungerlöhnen, betrieben wird, gehört ein großer Teil der Bevölkerung hierher. Nicht jeder zeigt da die gleichen Anlagen, und bei manchem kommen die Schädlichkeiten weniger leicht oder gar nicht zum Durchbruch. Bei vielen anderen aber wäre ein Ersatz für die normale Uebung der Regulationsthätigkeit durchaus erforderlich, wenn nicht mit der Zeit nachteilige Folgen, namentlich auch eine Herabminderung der gesamten Widerstandsfähigkeit, eintreten sollen. Da ist denn, als eine Art von Aushilfsmittel, die Anwendung des kalten Wassers in Form von Waschungen, Abreibungen, Uebergießungen oder kurz dauernden Bädern am Platze, wodurch ohne viel Zeitverlust die Regulationsthätigkeit der Haut ständig in Uebung und bei Kräften erhalten werden kann. Das Wichtigste bei diesen abhärtenden Prozeduren - sonst verfehlen sie überhaupt ihren Zweck gänzlich - ist nur, daß der Wärmeausgleich auch wirklich sofort erfolgt, daß der Abkühlung sogleich die ausgiebige und ausgleichende Erwärmung nachfolgt. Wer das nicht sorgsam beachtet oder nicht zustande bringt, der wird mehr Schaden stiften als Nutzen.

Gerade die Kaltwasseranwendung hat nun aber auch bei manchen für das Extreme begeisterten Naturen zu kolossalen Uebertreibungen geführt, und da kommen wir denn zurück zu der Frage, ob die äußerste Abhärtung, die möglichste Unabhängigkeit von wärmender Kleidung hygieinisch als wünschenswert und als das Ideal zu betrachten sei. Die Antwort liegt in der besprochenen Art und Weise, wie der Körper die Kälteeinwirkung auszugleichen sucht. Er kann dies nur durch gesteigerte Verbrennung, erhöhten Verbrauch seiner Bestandteile, zunächst der zugeführten Nahrungsstoffe, eine Thatsache, welche durch die Physiologie, in neuerer Zeit namentlich durch die Forschungen von Professor Max Rubner und seinem Schüler Rumpel, in aller Strenge bewiesen wurde. Aber schon längst vorher hatte Liebig in seinen “Chemischen Briefen“ (1844) das gleiche vorausahnend erkannt. „Unsere Kleider,“ sagt er,„sind in Beziehung auf die Temperatur des Körpers Aequivalente für die Speisen, je wärmer wir uns kleiden, desto mehr vermindert sich bis zu einem gewissen Grade das Bedürfnis zu essen, eben weil der Wärmeverlust, die Abkühlung und damit der Ersatz an Speisen kleiner wird. Gingen wir nackt wie die Indianer, oder wären wir beim Jagen und Fischen denselben Kältegraden ausgesetzt wie der Samojede, so würden wir ein halbes Kalb und noch obendrein ein Dutzend Talglichter bewältigen können …“ Den kulturfeindlichen Zustand, zu dem derartige Extreme führen würden, charakterisiert letztere Wendung vortrefflich. Und das ist schließlich auch das Entscheidende. Nicht nur, daß warmhaltende Kleidung uns sparen hilft, daß wir mit einem geringeren Nahrungsbedürfnis auskommen, was für minder bemittelte Volksschichten, die durchschnittlich mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufzuwenden gezwungen sind, ökonomisch sehr ins Gewicht fällt, sondern die bessere Kleidung ermöglicht uns auch allein die unbeschränkte Hingabe an die Anforderungen des Kulturlebens. Ueberall in Bezug auf die künstlichen Existenzbedingungen, mit denen wir uns umgeben, auf Wohnung, Beleuchtung. Beheizung usw., trachten wir, die von außen kommenden Störungen, die Reibungen, welche unser Organismus zu überwinden hat, auf das thunlich geringste Maß zu beschränken; ebenso müssen wir aber die gleiche Aufgabe auch in Bezug auf die Wärmeökonomie unseres Körpers erfüllen, weil wir nur so unsere Kräfte für die höheren Aufgaben des Lebens frei zur Verfügung. behalten. Uebermäßige und andauernde Verdauungsarbeit, stete Wärmeregulationsthätigkeit etc. würden uns in dieser Beziehung ganz wesentlich behindern.

Auch ein anderer Gedankengang fuhrt zum gleichen Endergebnis. Unsere Kleidung erfüllt offenbar eine ganz ähnliche Rolle wie der Pelz der Tiere. Wie verhält sich's nun mit diesem? Sehen wir etwa, daß die Natur, diese große Lehrmeisterin der Zweckmäßigkeit, in Bezug auf das Haarkleid der Tiere nach den Grundsätzen der Abhärtungsfanatiker verfährt? Sehen wir vielleicht, daß sie trotz höherer Breiten mit dem Pelzkleid der Tiere knausert und knickert, um etwa den Tierkörper durch Abhärtung zu kräftigen? Keineswegs finden wir derartiges. Ueberall zeigt sich vielmehr die Dichte der Haarbekleidung nicht nur dem Klima des Landes, sondern sogar den wechselnden Jahreszeiten aufs genaueste angepaßt. Ja, das geht so weit, daß bei künstlichen Klimaänderungen, bei Verpflanzung von Tieren aus heißen Ländern in kalte und umgekehrt, die Natur sich bemüht, das Haarkleid entsprechend umzugestalten. So verloren Merinoschafe, die man an den Congo, nach dem Sudan und Tripolis einführte, in diesen heißen Klimaten ihre Wolle vollständig und [79] bekamen ein glattes Fell, ähnlich dem der Windhunde, während umgekehrt Kamele und Dromedare, von Afrika nach dem rauhen Hochland von Tibet verschickt, dort ein zottiges Fell erhielten. Das Naturgemäße in Bezug auf die Hautbekleidung ist also nicht planlose Willkür oder übertriebene Abhärtung, sondern maßvolles Anschmiegen an die jeweiligen klimatischen Bedingungen. Man darf wohl annehmen, daß die übertriebene Abhärtung in der Regel auch zu einer übertriebenen und vorzeitigen Abnützung führen würde. Erklärt doch schon Hufeland in seiner Makrobiotik, die richtige Kleidung für ein Mittel zur Verlängerung, schlechte Kleidung dagegen für eine Quelle der Verkürzung des Lebens. -

Wenn nun aber der Wert und Nutzen guter Kleidung für den Organismus unzweifelhaft feststeht, so führt dies ganz von selbst zu der Frage. was ist denn nun die beste Kleidung? Das ist nicht so einfach zu beantworten, es bedarf dazu einer Darlegung nach den einzelnen Aufgaben der Kleidung, aber die Hauptfrage ist jedenfalls: Welche Kleiderstoffe bieten uns den besten Wärmeschutz?

[88] Aus der Erfahrung weiß man es längst, und die wissenschaftliche Untersuchung hat es bestätigt und näher erklärt, daß in Bezug auf den Wärmeschutz durch die Kleidung die lockeren, porösen Stoffe den Vorzug verdienen vor den dichten, weniger durchlässigen. Man hat gesagt, das rühre von dem größeren Luftgehalt der ersteren her, denn die Luft sei ein schlechter Wärmeleiter, und in der That kann ja kein Zweifel sein, daß der vermehrte Luftgehalt in diesem Sinne wirkt. Auf die Bedeutung der Porosität der Kleidungsstoffe hatte schon Hufeland hingewiesen, und Pettenkofer, dessen Forschungen für die Hygieine der Kleidung in jeder Richtung grundlegend waren, lehrte auch den Einfluß des Luftgehalts der Gewebe nicht nur für den Wärmeschutz, sondern namentlich auch für die Lufterneuerung an der Körperoberfläche verstehen und würdigen.

Ueber die Größe des Luftgehalts der verschiedenen Kleiderstoffe hat namentlich Rubner genaue Ermittelungen angestellt, welche ergeben, daß zwischen dem lockersten Stoff, dem Wollflanell, und anderseits den dichtesten Geweben, den glattgewebten Baumwoll- und Leinenstoffen, Unterschiede bis zum Siebenfachen bestehen. Unmittelbar an den Wollflanell reiht sich bezüglich des Luftgehalts der Baumwollflanell, dann folgen die Tricotgewebe aus Wolle und Baumwolle. Die Tricotgewebe aus Leinen zeigen einen weit geringeren Luftgehalt, und ebenso ist dies selbstverständlich der Fall bei den dichteren Kammgarngeweben.

Man könnte denken, daß die verschiedene Natur der Elementarbestandteile, der Woll-, Baumwoll-, Leinenfaser usw., hierbei eine wichtige Rolle spiele. Allerdings ist dies der Fall, aber nur in indirektem Sinne, indem die Art der Herstellung, die Lockerheit des Gewebes von der Natur der verwendeten Elementarbestandteile wesentlich beeinflußt wird, da bekanntlich die Wollfaser von Haus aus eine ganz hervorragende Eignung zur Herstellung lockerer Gewebe besitzt, während die gleiche Eigenschaft der Leinenfaser fast vollständig abgeht. Wie groß der Unterschied im Luftgehalt durch die verschiedene Herstellungsart bei gleichem Grundstoff werden kann, ergiebt sich am auffälligsten bei der Baumwolle, die als Baumwollflanell einen fünffach größeren Luftgehalt aufweist als anderseits bei ihrer gewöhnlichen Verarbeitungsweise als glattes Gewebe, als Schirting oder Barchent.

Selbst die lockersten Kleidungsstoffe, welche unsere Technik erzeugt, erreichen übrigens an Porosität und demgemäß an Leichtigkeit bei gleichzeitig großem Wärmeschutz noch lange nicht dasjenige, was in dieser Beziehung der natürliche Pelz der Tiere leistet. Der durchschnittliche Luftgehalt der Pelzbekleidung übertrifft immer noch nahezu ums Doppelte denjenigen des Wollflanells. Der Wärmeschutz ist trotz dieses lockeren Baues ein mächtiger, und dabei bleibt das Gesamtgewicht dieser natürlichen Bekleidung ein verhältnismäßig ungemein geringes. Beim Hund beispielsweise beträgt das Gesamtgewicht der glatt abrasierten Haare nur 1,4 Prozent vom Körpergewicht des Tieres, während unsere Winterkleidung reichlich 10 Prozent vom Körpergewicht ausmacht, ohne wesentlich mehr zu leisten als der Pelz der Tiere.

Die porösen Stoffe würden uns einen noch höheren Wärmeschutz gewähren, wenn die Luft in den Poren des Gewebes sich in vollständiger Ruhe befände. Die geringe Leitungsfähigkeit der Luft für Wärme würde dann noch weit mehr zur Geltung kommen. Aber die Luft in unseren Kleidern ist nicht ruhend.

Infolge der Temperaturunterschiede zwischen der Körperoberfläche und der umgebenden Außenluft, sowie infolge der Atembewegungen des Brustkorbes kommt es vielmehr zu fortwährenden Strömungen, zu einem fortwährenden Wechsel in der Kleiderluft. Wie wichtig dieser Luftwechsel für unser Wohlbefinden ist, davon können wir uns durch einen Versuch leicht überzeugen, wenn wir zwischen die Schichten der Kleidung (nicht unmittelbar auf die Haut!) ein Stück dünnen Guttaperchastoffes einlegen. Es entsteht dadurch bald ein unbehagliches Gefühl, das nicht bloß auf Zurückhaltung von Wärme beruhen kann, sondern einer lokalen Behinderung der Wasserdampfabgabe von der Hautoberfläche entspringt.

Die Porosität der Kleiderstoffe besitzt also weitere Vorteile, indem sie die erforderliche Ventilation an der Körperoberfläche ermöglicht. Wir produzieren an unserer Hautoberfläche nicht nur Wasserdampf, sondern auch, wie Rubner gezeigt hat, Kohlensäure, und es läßt sich nach dem Kohlensäuregehalt der Kleiderluft sogar messend bestimmen, ob die Hautventilation genügend ist oder nicht.

Unsere Kleiderstoffe bestehen aus tierischen oder pflanzlichen Fasern, und die Eigenschaften sind daher auch von der Beschaffenheit des Grundmaterials abhängig. Bei den Wollstoffen lehrt die Erfahrung, daß sie bei Berührung mit der bloßen Haut sofort das Gefühl der Wärme erzeugen, im Gegensatz zu baumwollenen und namentlich zu leinenen glattgewebten Stoffen. Die Ursache dieser Verschiedenheit liegt jedenfalls zum Teil in dem beträchtlich geringeren Wärmeleitungsvermögen der Wollfaser, zum Teil aber ist sie noch in ganz anderen Dingen begründet.

Rubner hat nämlich auf die hygieinisch wichtige Oberflächenbeschaffenheit der verschiedenen Gewebe hingewiesen, d. h. auf die verschieden große Zahl von Berührungspunkten welche ein Unterkleidungsstoff mit der unterliegenden Hautfläche besitzt, weil hiervon die Größe der Wärmeleitung abhängt; je weniger Berührungspunkte, um so weniger wird das betreffende Gewebe dem Körper an Wärme entziehen können, um so wärmer muß es selbst für unsere Empfindung erscheinen. Das gilt namentlich, wenn der Stoff von Schweiß durchnäßt ist; wenig elastische Gewebe von großer Kontaktfläche, wie z. B. glattes Leinengewebe, klatschen im durchnäßten Zustand der Haut fest an und erhöhen dabei in enormem Maße den Wärmeverlust. Ganz anders ist dies dagegen bei wollenen Geweben. Auf dem Wege von [90] mikroskopischer Durchschnitte läßt sich zeigen, daß bei allen Wollgeweben die Zahl der Berührungspunkte mit der Haut eine verhältnismäßig geringe ist. Gleichzeitig sind diese Gewebe, der Natur der Faser entsprechend, sehr elastisch und legen sich auch im durchnäßten Zustand der Haut nicht dicht an. Dies alles erklärt zum guten Teil, weshalb die wollenen Gewebe für Unterkleidung sich solcher Beliebtheit erfreuen.

Aber auch aus Leinen – selbstverständlich ebensogut aus Baumwolle – lassen sich Gewebe mit geringer Kontaktgröße, mit wenig Berührungspunkten an der Oberfläche herstellen, welche daher in dieser Hinsicht die Vorzüge der Wollstoffe teilen. Zwar scheint es technisch kaum möglich, die Leinenfaser dauernd in einem aufgelockerten Zustand festzuhalten und daher zu einem gleichmäßig lockeren Gewebe wie die Wolle zu verarbeiten. Aber die geringe Kontaktgröße läßt sich auf einem Umwege erreichen, indem man gitter- oder netzförmige Gewebe herstellt, mit großen, millimeterweiten Zwischenräumen zwischen den sich kreuzenden Fadensträngen. Schon die grobe Leinwand, das sogen. Bauernleinen, verhält sich übrigens in Bezug auf den Hautkontakt günstiger als das gewöhnliche glatte Leinen. Besonders geringe Kontaktgröße aber bieten solche Stoffe, die nach Art der sogenannten „Frottierstoffe“ gewebt sind, welche eigentlich die Bestimmung haben, um nach Bädern die Haut in energischer Weise nicht nur trocken zu reiben, sondern durch den mechanischen Reiz zugleich zur Reaktion anzuregen. Diese Frottierstoffe bestehen aus einer wohl meist baumwollenen, einfach glattgewebten Grundlage, auf welcher senkrecht bürstenartig abstehende dicht gedrängte starke Leinenfäden hervorragen. Denkt man sich die letzteren mit ihren Endigungen an der Hautfläche anstehend, so erhalten wir einen Stoff, der nur an verhältnismäßig wenig Punkten mit der Haut in Berührung tritt, während zwischen den bürstenartigen Leinenfäden eine große Menge von Luft eingelagert bleibt, welche die Ventilation an der Hautoberfläche erleichtert. Freilich wird man nur mit einem gewissen Schauder daran denken, daß ein solcher Frottierstoff überhaupt als Unterkleidungsstoff Verwendung finden könnte, und in der That kann es sich ja nur um Ausnahmefälle, nicht um ein normales Tragen handeln. Aber eben für solche Ausnahmefälle, nämlich für verschleppte Fälle von katarrhalischen Zuständen der Luftröhre, bei denen große Empfindlichkeit gegen Erkältungen besteht, habe ich Unterjäckchen aus derartigem, übrigens nur einseitig, nicht wie gewöhnlich doppelseitig hergestellten Leinenfrottierstoff schon manchen Personen mit Nutzen empfohlen. In solchen Fällen scheint häufig das fortgesetzte Tragen wollener Unterkleidung, anstatt zu nützen, allmählich eine Verweichlichung und noch größere Empfindlichkeit der Haut zu erzeugen, während sich dann die genannten leinenen Auskunftsmittel besser bewähren.

Die an sich so wichtige Oberflächenbeschaffenheit der Kleidungsstoffe gewinnt, wie erwähnt, noch eine besondere Bedeutung dann, wenn die Stoffe infolge von Schweißbildung durchnäßt sind. Ueberhaupt legen wir unwillkürlich bei den Unterkleidungsstoffen ein ganz besonderes Gewicht darauf, wie sich dieselben zur Schweißbildung verhalten. Fast bei aller nur etwas lebhafteren körperlichen Thätigkeit kommen wir dazu, wenigstens in geringen Mengen und wenigstens an bestimmten Hautstellen, die dazu veranlagt sind, Schweiß zu bilden. Da nun aber die wärmeschützende Funktion eines Kleiderstoffes im durchnäßten Zustand sich in ihr völliges Gegenteil verkehren kann, da ein durchnäßter Stoff, anstatt uns zu schützen, sogar die Wärmeabgabe gegenüber dem nackten Zustand noch erhöht, so kommt sehr viel darauf an, wie sich ein Stoff gerade in dieser Hinsicht verhält.

Auch hier hat nun die Erfahrung längs gewisse Vorzüge der wollenen Gewebe erwiesen, und es ist interessant, den näheren Gründen dieses günstigen Verhaltens der Wollstoffe nachzupüren. Man kann nämlich für das Maß der Schweißbildung und der von der Unterkleidung aufgesaugten Schweißmengen einen Anhaltspunkt dadurch gewinnen, daß man feststellt, wieviel Kochsalz beim Schwitzen in die Unterkleidung eingedrungen ist. Mit dem Schweiß wird ein Teil des Kochsalzes, das wir in der Nahrung aufgenommen haben. zur Wiederausscheidung gebracht, und so giebt der Kochsalzgehalt einen Maßstab für die Schweißmenge. In dieser Weise sind durch Rubners Schüler und Mitarbeiter Cramer Ermittelungen darüber angestellt worden, ob z. B. beim Tragen einer Wollsocke am einen, einer Baumwollsocke am anderen Fuße unter gleichen Bedingungen gleiche Schweißmengen produziert werden oder nicht. Da fand sich denn die auffallende Thatsache, daß wollene Bekleidungsstoffe – gleichviel, ob die Versuche bei Ruhe, mittlerer oder starker Arbeit angestellt wurden – immer um etwa 30 Prozent weniger Schweißbestandteile enthielten als baumwollene, seidene oder leinene. Das ergab sich am deutlichsten bei den Socken, aber im wesentlichen auch bei den Unterjacken.

Diese merkwürdige Erscheinung, die man zunächst gar nicht begreift – da doch unmöglich unter einer wollenen Socke überhaupt weniger Schweiß gebildet werden kann als unter einer baumwollenen oder leinenen – klärte sich auf, als Cramer die Versuche in der Weise modifizierte, daß er an dem einen Fuß eine Wollsocke und darüber eine Baumwollsocke anzog, am andern Fuß aber innen die Baumwolle und außen die Wolle trug. Bei wiederholten Versuchen stellte sich nun mit aller Sicherheit heraus, daß Baumwolle und Leinen, wenn sie unmittelbar auf der Haut getragen werden, fast den ganzen Schweiß aufsaugen und festhalten, während Wolle im Gegensatz hierzu einen großen Teil der Schweißbestandteile hindurch passieren läßt und an die überliegende äußere Schicht abgiebt.

Wir haben da also eine neue Eigenschaft der wollenen Unterkleidung, die aber offenbar mit einer längst bekannten Eigentümlichkeit der Wollstoffe zusammenhängt, mit der Eigenschaft, sich im Wasser schwer zu benetzen. Jede Hausfrau weiß aus Erfahrung, daß Wollflanell sich nur schwer mit dem Wasser befreundet, und wenn wir ein Flanellstückchen und zugleich Stückchen von Baumwoll- oder Leinenzeug auf Wasser werfen, so können wir uns jederzeit davon überzeugen, daß das erstere bei weitem länger an der Oberfläche schwimmen bleibt als letztere. Der Grund hiervon liegt nicht etwa im Fettgehalt der Wolle, denn das Gleiche zeigt sich auch bei gründlich entfetteter Wolle, sondern, wie ich nachweisen konnte, liegt die Ursache in einer besonders starken Verwandtschaft der Wollfaser zur atmosphärischen Luft, die infolgedessen so fest an den Fasern haftet, daß es dem Wasser schwer wird, dieselbe zu verdrängen und die Wolle zu benetzen.

Mir scheint dieser Zusammenhang der Dinge von Interesse, da er uns einen neuen Einblick in die Zweckmäßigkeit natürlicher Einrichtungen eröffnet. Offenbar ist die Wasserfeindlichkeit der Wollfaser, überhaupt der tierischen Fasern und damit der gesamten Pelzbekleidung der Tiere, für deren Wärmeökonomie von größter Bedeutung. Das Sprichwort von der „getauften Maus“ kennzeichnet treffend den Zustand, in welchen ein Tier bei vollständiger Durchnässung seiner Haarbekleidung gerät, als einen jammervollen. Die Wasserfeindlichkeit der Haargebilde zu erhöhen, ist die Natur in vielen Fällen schon durch Fettabsonderung bestrebt. Nachdrücklich und allgemeiner aber erreicht sie diese Aufgabe nicht durch Schaffung an sich wasserfeindlicher Stoffe, sondern indem sie den Haargebilden eine außerordentliche Anziehung für die atmosphärische Luft verlieh, womit der gleiche Zweck erfüllt werden konnte.

Kehren wir nach dieser kleinen Abschweifung zum Verhalten der Kleiderstoffe bei der Schweißbildung zurück, so begreifen wir jetzt auch die anfangs so überraschende Erscheinung der Weiterbeförderung der Schweißbestandteile durch die Wollstoffe. Ein Gewebe, das Flüssigkeiten so ungerne, so widerwillig, gleichsam nur gezwungen annimmt, weil seine Fasern mit einer fest anhaftenden Luftschicht überzogen sind, kann auf Flüssigkeiten auch nicht ansaugend und festhaltend wirken. Die eingepreßte Flüssigkeit verteilt sich daher ziemlich gleichmäßig durch den ganzen Stoff bis an dessen äußere Begrenzungsfläche, und wenn er hier von einem anderen gut aufsaugenden Stoff, von Baumwolle oder Leinen, unmittelbar bedeckt ist, so werden diese wasserliebenden Stoffe bestrebt sein, dem Wollstoff einen Teil seines Wassergehalts und damit auch der darin gelösten Schweißbestandteile zu entreißen. Damit hängt nun die bekannte Erfahrung zusammen, daß leinene Unterkleidung verhältnismäßig schnell beim Tragen verschmutzt, während wollene Unterkleidungsstoffe unter anderm auch deshalb sich so großer Beliebtheit erfreuen, weil bei ihnen selbst durch eine wochenlange Tragezeit die sicht- und riechbare Verschmutzung noch immer nicht zu einer unerträglichen [91] Höhe sich aufsammelt. Leinen und Baumwolle saugen eben begierig die ankommende Feuchtigkeit auf und halten den Schweiß und seine organischen Bestandteile in unmittelbarer Nähe der Hautfläche, gleich auf den innersten Schichten des Stoffes in konzentrierter Anhäufung fest, weshalb die bakterielle Zersetzung begünstigt ist. Bei der Wolle wird alles verteilt und ausgebreitet, der Nährboden ist weniger konzentriert, und es kommt daher weniger leicht zu wahrnehmbarer Zersetzung. Man könnte im Zweifel sein, welcher Zustand hygieinisch als der vorteilhaftere sich darstellt, da Leinenunterwäsche von selbst zu ihrer öfteren Reinigung drängt, während in der Wolle die Bedingungen der Zersetzung sich langsamer und allmählicher entwickeln. Ich glaube aber doch, daß dem Leinen der Vorzug in Hinsicht der Reinlichkeitspflege gebührt.

Noch ein weiterer wichtiger Schluß ergiebt sich aber aus dem geschilderten Verhalten der Wollstoffe. Wenn der Schweiß im Wollstoff gleichmäßig verteilt und nach außen abgeleitet wird, so muß die innerste Schicht des Gewebes, die unmittelbar an der Hautoberfläche anliegt, immer verhältnismäßig trockener und daher auch weniger wärmeentziehend bleiben als bei anderen Stoffen. Ein solches Gewebe, das bei Durchfeuchtung von der Körperoberfläche aus das Wasser immer wieder rasch nach außen leitet, wo es unmerklich verdunsten kann, wird demnach für unser Wohlbefinden ideal sein, und das erklärt denn, wie ich glaube, vollständig die allgemeine Wertschätzung, deren sich die wollenen Unterkleider erfreuen, namentlich bei allen denen, die viel körperlichen Anstrengungen und häufigem Temperaturwechsel ausgesetzt sind.

Es fragt sich aber doch, ob diese Vorteile gerade nur durch wollene Stoffe zu erreichen sind. Auch solche leinene und baumwollene Gewebe, die mit möglichst wenig Kontaktpunkten die Haut berühren, von denen oben die Rede war, werden ähnlich wirken können. Die wollenen Gewebe sind also auch in dieser Beziehung nicht unersetzlich, was um so wichtiger ist, als denselben, wie oben erwähnt, unter Umständen doch auch gewisse Nachteile anhaften. Jedenfalls kann und wird die Technik in dieser Beziehung noch weiter voranschreiten. Möglicherweise ist in diesem Sinne bereits der neuerdings von einer deutschen Firma durchgeführte Versuch der Herstellung von gemischten, d. h. aus allen drei Fasergattungen, Leinen, Baumwolle und Wolle, gleichmäßig bestehenden Geweben nicht ganz aussichtslos, nachdem diese Gewebe zugleich nach ihrer gitterförmigen Struktur eine bedeutende Luftdurchgängigkeit besitzen und daher auch der Anforderung der Hautventilation vollauf entsprechen.

Wie dem auch sein mag, so dürfte übrigens, auch nach den größten Fortschritten unserer Bekleidungsindustrie, kaum je der Tag anbrechen, wo ein einziger Idealgewebestoff alles beherrscht und alle anderen als unnötig verdrängt, sondern voraussichtlich werden je nach den Anlagen und Bedürfnissen des einzelnen immer etwas verschiedenartige Anforderungen erhoben werden müssen, und das Goethesche „Eines schickt sich nicht für alle“ wird voraussichtlich auch in der Hygieine der Kleidung seine Gültigkeit bewahren.