Griechenland und die englische Politik

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Titel: Griechenland und die englische Politik
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aus: Das Ausland, Nr. 156 S. 621-622
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Griechenland und die englische Politik.

Schreiben an den brittischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen Dudley[1]

Das Volk der europäischen, asiatischen und africanischen Türkei kennen zu lernen, ist gewiß von Interesse. Obgleich Ew. Gnaden auf Reisen waren, so halte ich doch dafür, daß Sie sehr unvollkommen von den Verhältnissen des Orients unterrichtet sind: in Italien wenigstens schien die einzige Beschäftigung Ihrer Muße, Gemälde zu kaufen und Denkmäler auszumessen, nicht das Studium der Menschen und ihrer Sitten. Wenn ich auch nur einen flüchtigen Blick auf die vermischten Stämme der Levante werfen kann, so habe ich doch das Vertrauen, daß meine Nachrichten dazu dienen können, viele irrige Meinungen in Bezug auf die Handlungsweise der Türken und Griechen zu entfernen.

Es ist die Ansicht mancher paradoxen Reisenden, die Türken wären die größten Schurken von der Welt, mit Ausnahme der Griechen, die noch größere wären. Das Wahre an der Sache ist: überall drängt sich einem im Osten die Bemerkung auf, daß bei allem Unterschied des Clima’s und der Sitten, des Charakters und Glaubens, der Mensch doch allenthalben derselbe ist. Ueberall haßt der Christ den Juden, der Jude verwünscht den Türken, der Türke verachtet den Griechen, der Grieche verdammt den Kopten, der Kopte verflucht den Armenier – der Missionär bedauert Alle, und der Himmel hat Geduld mit Allen. Alle sind unerschütterlich in ihrem Glauben und unbeugsam in ihrem Hasse gegen ihre Nebenmenschen. Die Bigotterie ist dem Wesen nach bei Allen dieselbe und modifizirt sich blos nach der Eigenthümlichkeit der bürgerlichen Einrichtungen. Der Unterschied zwischen einem Turban und einem Hut, einem Kaftan und einem Ueberrock macht eine geringe Unähnlichkeit in ihren häuslichen Tugenden, und der Unterschied zwischen Fasten und dem Ramazan macht eine eben so geringe Verschiedenheit in ihren Lastern.

Der Türke übt die Unterdrückung aus, wozu es dem Rayah blos an Macht gebricht; und Falschheit und Arglist, obgleich Charakterzüge der Griechen, sind dem letzteren nicht eigenthümlicher, als sie es dem Britten seyn würden, wenn er drei Jahrhunderte unter dem Joche der Knechtschaft wäre.

Wucher und Schurkerei knüpfen sich an die Idee eines Juden; aber die einzige Ursache, warum sie so fest an ihren Handelskniffen hängen, ist die Bigotterie ihrer Mitmenschen, welche sie überall aus der Bahn der Ehre gewiesen und sie gezwungen hat, einer entehrenden Habsucht zu folgen, um leben zu können. Es braucht nach dem Sprichworte des Landes einen Kopten, zwei Griechen und drei Juden, um einen Armenier zu betrügen. Er ist listig wie die Schlange; aber seine Schlauheit ist blos die überfeinerte Klugheit eines Sclaven, der Erpressung durch List, Gewaltthätigkeit durch Trug überwindet.

Die Raubsucht des Arabers ist der Raubsucht der Regierung beizumessen, die ihm die Wüste als Zuflucht anwies. Sein Nachbar hat nichts von seiner Unredlichkeit zu fürchten; nur der Fremde, der in sein ödes Gebiet eindringt, hat vor seiner Gewaltthätigkeit zu zittern. Die Wildniß ist sein Erbut; gleich seinem Vater Ismaël ist er ein wilder Mann. Seine Hand ist erhoben gegen die Welt, weil das Gesetz der Welt sein Feind war.

Die Anmaßung des Türken, seine Treulosigkeit und Grausamkeit sind die Frucht seiner neueren Größe – der Trunkenheit in seinem Glücke, dem man ohne Maß und Ziel huldigte. Bevor ihn seine europäischen Eroberungen in Europa als Herrscher groß machten und als Mensch verschlechterten, war er tapfer im Felde, treu seinen Freunden und edelmüthig gegen seine Stammgenossen. Damals war es noch nicht bei ihm Sitte, lächelnd den Giftbecher anzubieten und zu erdolchen mit dem Schwur der Freundschaft auf den Lippen. Jetzt aber gilt Treulosigkeit für eine Tugend, und selbst der Sultan erröthete nicht, seinen Unterthanen vom Throne herab zu sagen, daß er ein Lügner und Betrüger in den Unterhandlungen mit den Ungläubigen gewesen sey.

Wenn der Grieche niederträchtiger und treuloser als jeder andere Rayah ist, so liegt die Ursache in seinem bürgerlichen Verhältnisse, welches das verworfenste von allen ist. Seine Entartung ist die Schuld seiner Knechtschaft, und es ist eine eitle Hoffnung, wenn man erwartet, den Menschen frei zu sehen, bevor der Sclave entjocht ist.

Vor allen haben Reisende und Leute, die sich Philhellenen nannten, die Ansichten verwirrt und die Urtheile mißleitet: sie wurden von dem Volke geplündert – deßhalb sind die Griechen der Freiheit nicht würdig; sie haben es [622] ausfindig gemacht, daß in den Adern des Griechen eine Beimischung von persischem und türkischem Blute fließt – deßhalb verdient er in Knechtschaft zu bleiben. Welch jämmerliche Folgerung! Ich wurde von den Griechen geplündert, von ihren Seeräubern gefangen, von ihren Säbeln bedroht; aber ich hielt dieß nicht für einen hinreichenden Grund zu einem Bannfluche über die ganze Nation. In der That, ich glaube es liegt wenig daran, ob die ganze Nation schlecht oder tugendhaft ist, ob das Volk von Themistokles oder Xerxes abstammt. Die einzige Frage ist: wenn die Griechen schlecht sind, wie können sie besser gemacht werden? Der Wunsch eines erleuchteten Staatsmannes, der jetzt nicht mehr ist, war, sie frei zu machen. Der gewaltige Geist, der die neue Welt ins politische Daseyn rief, würde den schönsten Theil der alten Welt vom Barbarismus befreit haben, hätte ihn das Schicksal ein wenig länger verschont; aber sein Streben wurde neutralisirt durch die schwankende Politik des einen Ministers und durch die Furchtsamkeit des andern: und daran war größtentheils die völligste Unbekanntschaft mit dem türkischen Charakter Schuld.

Wer die Türken nur irgend kennt, weiß, daß nach der Schlacht bei Navarin schon der bloße Schein von Entschlossenheit die Unterhandlungen zu glücklichem Ende gebracht haben würde. Die scheinbare Hartnäckigkeit des Sultans war Nichts, als der in den letzten Zügen liegende Hochmuth eines Türken, der unter allen Menschen der fügsamste im Unglücke und der unbeugsamste im Glücke ist. In meinen Berührungen mit diesem Volke hatte ich oft Gelegenheit zu bemerken, daß Gefälligkeit und Höflichkeit im gewöhnlichen Leben entweder als schuldige Huldigung eines Untergebenen oder als Beifall eines Thoren aufgenommen wurde. Um berücksichtigt zu werden, mußte man hochfahrend seyn, und anmaßend selbst gegen die Vornehmsten, um geehrt und geachtet zu werden. In der Türkei wurden meine Talente nach meiner Körpergröße gewogen, und in Syrien mein Verstand nach der Länge meines Bartes gemessen.

Ich erwähne dieses blos, um meine Behauptung zu beweisen, daß physische Gewalt bei den Türken als Maßstab moralischer Kraft gilt, und daß die Pforte sich den Forderungen der Verbündeten nicht widersetzt haben würde, hätte sie nicht aus dem Benehmen und der Sprache unserer Regierung den Schluß gezogen, daß mit Canning auch der Vertrag für Griechenlands Befreiung zu Grabe getragen worden sey. Die Rede unseres Königs bestätigte diese Folgerung; ein glänzender Sieg ward zu einem „unangenehmen und unvorgesehenen Ereigniß“ heruntergesetzt, und der Ruhm des tapfern Offiziers, dem die Ehre unserer Flotte anvertraut war, wurde der miserabeln Politik eines Ministers geopfert.

Die diplomatische Sprache Peel’s in Betreff unserer freundschaftlichen Verhältnisse mit unserm alten, treuen und natürlichen Bundesgenossen wird ohne Zweifel sehr imponiren, und gewiß haben Zeit, Treue und Natur die Moslem mit dem Herzen Englands verbunden. Nur darf man nicht vergessen, daß der Türke ein Bundesgenosse ist, dessen Haß gegen die Christenheit einen Theil seines Gesetzes bildet, dessen Religion überall unsere Ausrottung, als Ungläubiger, einschärft, und deren Priester dem Mörder eines Nazareners nur einen Grad weniger Verdienst um den Glauben, als dem Mörder eines Persers zuerkennt. Und dieß ist unser natürlicher Bundesgenosse, „der Schutzherr der Fürsten Europas“, dessen Verträge mit uns „von seinem kaiserlichen Steigbügel aus“ gegeben werden, und dessen Unterredungen mit unsern Gesandten Audienzen sind, die verdächtigen Sclaven ertheilt werden, die in seiner Gegenwart nicht einmal die Arme frei haben dürfen!

Ich weiß Mylord, daß unsre ostindischen Besitzungen der große Popanz bei der griechischen Frage sind; ich weiß recht gut, daß wir Monopolisten sind, in der Freiheit so gut wie im Handel, und daß unseligerweise die Interessen des letztern immer den Fortschritten der Civilisation im Osten sich entgegengestellt haben. Aber es ist nicht minder bekannt, daß die Franzosen in jedem Lande, wo sie waren, Spuren von Verbesserung zurück gelassen haben.

Ihre Vertreibung aus Egypten war ohne Zweifel für uns ein Gebot der Nothwendigkeit; aber dem Menschenfreund, der die Fortschritte seines Geschlechts und nicht die beschränkte Politik eines Staates im Auge hat, mußte diese Nothwendigkeit ein Gegenstand des Schmerzes seyn. Blos in den englischen Reisebeschreibungen lesen wir von den Grausamkeiten der Franzosen; die Egypter wissen nichts davon. Ich habe sie immer mit Achtung von ihren Eroberern sprechen hören; aber die Griechen sprechen noch mit Bitterkeit von Parga, die Mameluken von ihren Beys, und die Italiener von Genua – alles schmachvolle Opfer der brittischen Politik!

Die Geschichte wird schwerlich sich viel mit der Verfahrungsweise Eurer Gnaden und Ihrer Kollegen befassen; aber die Nachwelt wird fragen, ob die ungeheuern Hülfsmittel Englands, ob sein Einfluß auf die Nationen, seine Macht und sein Reichthum angewendet wurden zur Vervollkommnung des menschlichen Geschlechts; und wenn gefunden wird, daß die Vortrefflichkeit seiner Institutionen von jener engherzigen spießbürgerlichen Natur war, die sich selten außer dem Hause bemerkbar macht, so wird die Welt wenig Ursache haben, sich der Größe Englands zu erfreuen, und der Engländer wenig Grund, darauf stolz zu seyn!
  1. Aus the Sphynx, von demselben Verfasser, von dem wir in Num. 145 die Darstellung Egyptens mittheilten.