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Göttliche Komödie (Streckfuß 1876)/Inferno

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[5]
Die Hölle.
(Abfassungszeit ca. 1300–1310 od. 1314.)
_____


Erster Gesang.[1]
Eingang: Der Wald. Die Thiere. Virgil.


1
Auf halbem Weg des Menschenlebens fand

Ich mich in einen finstern Wald verschlagen,
Weil ich vom graden Weg mich abgewandt.

4
Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen,

Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Noth;
Schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen.

[6]
7
Nur wenig bitterer ist selbst der Tod;

Doch um vom Heil, das ich drin fand, zu kunden,
Sag’ ich, was sonst sich dort den Blicken bot.

10
[7] Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden,

So war ich ganz vom tiefem Schlaf berückt,
Zur Zeit, da mir der wahre Weg entschwunden.

[8]
13
Doch bis zum Fuß des Hügels vorgerückt,[2]

Dort, wo die Grenze war von jenem Thale,
Das mir mit schwerer Furcht das Herz gedrückt,

16
Schaut’ ich empor, und sah, den Rücken male

Ihm der Planet, der uns auf jeder Bahn
Gerad zum Ziele führt mit seinem Strahle.

19
Da fingen Angst und Furcht zu schwinden an,

Die mir des Herzens Blut erstarren machten,
In jener Nacht, da Grausen mich umfahn.

22
Und so wie athemlos, nach Angst und Schmachten,[3]

Schiffbrüchige, noch von der Fluth durchnäßt,
Vom Strande starr der Wogen Grimm betrachten,

25
So kehrt’ auch ich, noch schwer das Herz gepreßt,

Mich jetzt zurück, nach jenem Passe sehend,
Der Keinen lebend sonst aus sich entläßt.

28
Den Leib gestärkt durch Ruhe, weiter gehend,

Wählt’ ich bergan den Weg zur Wildniß mir,
Fest immer auf dem tiefern Fuße stehend.

31
Sieh, beim Beginn des steilen Weges, schier

Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,[4]
Gewandt und sehr behend ein Pantherthier.

34
Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,

Und also hemmt’ es meinen weitern Lauf,
Daß ich mich öfters wandt’ in’s Thal hernieder.

37
Am Morgen war’s, die Sonne stieg herauf,[5]

Von jenen Sternen, so wie einst umgeben,
Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf

40
[9] Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;

So ward durch jenes Thier mit buntem Haar
Anlaß zur Sorge doch mir nicht gegeben,

43
Zu solcher Stund’, im süßen, jungen Jahr –

Wenn Grund zur Furcht mir alsbald nicht erregte[6]
Nunmehr ein Löwe, den ich ward gewahr!

46
Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,

Erhobnen Haupt’s und mit des Hungers Wuth,
So daß er Zittern selbst der Luft erregte.

49
Auch eine Wölfin, welche jede Glut [7]

Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
Die schon auf Viele schweren Jammer lud.

52
Vor dieser mußte so mein Muth sich neigen,

Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’ zu steigen.

55
Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,

Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
In Kümmerniß und tiefem Bangen lebt:

58
So machte dieses Unthier mich beklommen;

Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts ziehn,
Dorthin, wo nimmer noch die Sonn entglommen.

[10]
61
Indessen ich zur Tiefe stürzt’ im Fliehn,

Da zeigte meinem Blicke dort sich Einer,[8]
Der durch zu langes Schweigen heiser schien.

64
„„Wer du auch seist,““ so rief ich, als ich seiner

Gewahrt in großer Wüste, „„nenn’ ich dich
Mensch oder Schatten, – o erbarm dich meiner!““

67
Und jener sprach: „Nicht bin, doch Mensch war ich;

Lombarden waren die, so mich erzeugten,
Und beide priesen Mantuaner sich.

70
Spät, als die Römer sich dem Julius beugten,[9]

Sah ich das Licht, sah des Augustus Thron,
Zur Zeit der Götter, jener Trugerzeugten.

73
Ich war Poet und sang Anchises Sohn,

Der Troja floh, besiegt durch Feindestücke,
Als, einst so stolz, in Staub sank Ilion.

76
[11] Und du – du kehrst zu solchem Gram zurücke?

Was bleibt die freud’ge Höhe nicht dein Ziel,
Die Anfang ist und Grund zum vollen Glücke?“

79
„„So bist du,““ rief ich, „„bist du der Virgil,

Der Quell, dem reich der Rede Strom entflossen?““
Ich sprach’s mit Scham, die meine Stirn befiel.

82
„„O Ehr’ und Licht der andern Kunstgenossen,[10]

Vergilt jetzt große Lieb’ und langen Fleiß,
Die meinem Forschen dein Gedicht erschlossen.

85
Mein Meister, Vorbild! dir gebührt der Preis,

Den ich durch schönen Stil davongetragen,[11]
Denn dir entnahm ich, was ich kann und weiß.

88
Sieh dieses Thier, o sieh mich’s rückwärts jagen,

Berühmter Weiser, sei vor ihm mein Hort,
Es macht mir zitternd Puls’ und Adern schlagen.““

91
„Du mußt auf einem andern Wege fort,“[12]

Sprach er zu mir, den ganz der Schmerz bezwungen,
„Willst du entfliehn aus diesem wilden Ort.

94
Denn dieses Thier, das dich mit Graun durchdrungen,

Läßt Keinen ziehn auf seines Weges Spur,
Hemmt Jeden, bis es endlich ihn verschlungen.

97
Es ist von böser, tückischer Natur,

Und nimmer fühlt’s die wilde Gier ermatten,
Ja jeder Fraß schärft seinen Hunger nur.

100
Mit vielen Thieren sieht man es sich gatten,[13]

Bis daß die edle Dogge kommt, die kühn[14]
Es würgt und hinstürzt in die ew’gen Schatten.

[12]
103
Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glühn,

Doch wird sie nie an Lieb’ und Weisheit darben;
Inmitten Feltr’ und Feltro wird sie blühn,

106
Zu Welschlands Heil, deß Ruhm und Glück verdarben,

Obwohl vordem Camilla für dies Land,[15]
Euryalus, Turnus und Nisus starben.

109
Nicht wird sie ruhn, bis sie dies Thier verbannt;

Sie wird es wieder in die Hölle senken,
Von wo’s der erste Neid heraufgesandt. –[16]

112
Du folg’ jetzt mir zu deinem Heil – mein Denken[17]

Und Urtheil ist’s – ich will dein Führer sein
Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.

115
Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n, (Hölle)

Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
Um zweiten Tod in ihrer langen Pein;

118
Wirst Jene dann im Feu’r zufrieden sehen (Fegfeuer),

Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor, (Paradies)
Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.

121
Und willst du auch zu diesem dann empor,[18]

Würd’ger als ich, wird eine Seel’ erscheinen,
Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.

124
[13] Denn Jener, der dort oben herrscht, läßt Keinen (Gott)

Eingehn, von mir geführt, vor seinen Thron,
Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.

127
Allwärts gebeut er; doch er trägt die Kron’

Nur dort; dort ragen seines Sitzes Zinnen –
O selig, wen er wählt, daß er dort wohn’!

130
„„Laß, Dichter,““ rief ich, „„dich mein Flehn gewinnen!

Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
Um Schlimmem hier und Schlimmerm zu entrinnen,

133
Bring’ an die Orte mich, die du genannt,[19]

Und laß mich bald Sanct Petri Pforte sehen,
Und Jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt.““

136
Er ging; ich säumte nicht, ihm nachzugehen.
_______________

Zweiter Gesang.
Einleitung: Beatrix. Lucia.

1
Der Tag verging, das Dunkel brach herein,[20]

Und Nacht entzog die Wesen auf der Erden
All’ ihren Müh’n, da rüstet’ ich allein

4
Mich zu dem harten Krieg und den Beschwerden

Des Wegs und Mitleids, und jetzt soll ihr Bild
Gemalt aus sicherer Erinn’rung werden.

7
O Mus’, o hoher Geist, jetzt helft mir mild!

Erinn’rung, die du schriebst, was ich gesehen,
Hier wird sich’s zeigen, ob dein Adel gilt!

[14]
10
„„Jetzt, Dichter,““ fing ich an, „„bevor wir gehen,

Erwäge meine Kraft und Tüchtigkeit!
Kann sie die große Reise wohl bestehen?

13
Du sagst, daß Silvius’ Vater in der Zeit,[21]

Im Körper noch, und noch ein sterblich Wesen
Sei eingedrungen zur Unsterblichkeit.

16
Doch da, der stets des Bösen Feind gewesen,

In seinen Empyre’n zum Stifter ihn
Der Mutter Roma und des Reichs erlesen,

19
Kann Jeder, dem Vernunft ihr Licht verliehn,

Beim hocherhabnen Zweck es wohl ergründen,
Daß er nicht unwerth solcher Huld erschien.

22
Denn Rom und Reich, um Wahres zu verkünden,

Gestiftet wurden sie, die heil’ge Stadt
Zum Sitz für Petri Folger zu begründen.

25
Durch diesen Gang, den du besangest, hat

Er Kunde deß, wodurch er siegt’, empfangen
Und Grund gelegt zur heil’gen Herrscherstatt.

28
Ist das erwählte Rüstzeug hingegangen,

So stärkt’ es in dem Glauben dann die Welt,
In dem der Weg des Heiles angefangen.

31
Doch ich? warum? wer hat mir’s freigestellt?[22]

Ich, Paul nicht noch Aeneas, dessen Schwäche
Nicht ich, noch Jemand dessen würdig hält.

34
[15] Wenn ich dorthin zu kommen mich erfreche,

So fürcht’ ich, daß mein Kommen thöricht sei.
Du Weiser, weißt es besser, als ich spreche.““

37
Und wie, wer will und nicht will, mancherlei

Erwägt und prüft, und fühlt im bangen Schwanken,
Mit dem, was er begonnen, sei’s vorbei;

40
So ich – das was ich leicht und ohne Wanken

Begonnen hatte, gab ich wieder auf,
Entmuthigt von den wechselnden Gedanken.

43
„Verstand ich dich,“ so sprach der Schatten drauf,

„So fühlst du Angst und Schrecken sich erneuen
Und Feigheit nur hemmt deinen weitern Lauf.

46
Das Beste macht sie oft den Mann bereuen,

Daß er zurücke springt von hoher That,
Gleich Rossen, die vor Truggebilden scheuen.

49
Doch hindre sie dich nicht am weitern Pfad,

Drum höre jetzt, was ich zuerst vernommen,
Da mir’s um dich im Herzen wehe tat.

52
Mich, nicht in Höll’ und Himmel aufgenommen,[23]

Rief eine Frau, so selig und so schön,[24]
Daß ihr Geheiß mir werth war und willkommen,

55
Mit Augen, gleich dem Licht an Himmelshöhn,

Begann sie gegen mich gelind und leise,
Und jeder Laut war englisches Getön:

[16]
58
O Geist, geboren einst zu Mantuas Preise,

Deß Ruhm gedauert hat und dauern wird,
So lang die Sterne ziehn in ihrem Kreise,

61
Mein Freund, doch nicht der Freund des Glückes, irrt

In Wildniß dort, weil Wahn im Weg’ ihn störte,
So daß er sich gewandt, von Furcht verwirrt.

64
Schon irrte, fürcht’ ich, also der Bethörte,

Daß ich zu spät zum Schutz mich aufgerafft,
Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte.

67
Du geh; es sei durch deiner Rede Kraft,

Durch das, was sonst ihm Noth, sein Leid geendet;
So sei ihm Hilf’ und Ruhe mir verschafft.

70
Beatrix bin ich, die ich dich gesendet;

Mich trieb die Lieb’ und spricht aus meinem Wort.
Vom Ort komm ich, wohin mein Wunsch sich wendet.

73
Und steh’ ich erst vor meinem König dort,

So werd’ ich oft dich loben und ihm preisen. –
Sie sprach’s und schwieg und ich begann sofort:

76
Herrin der Tugend, Lehrerin der Weisen,[25]

Durch die die Menschheit überraget weit
Was lebt in jenes Himmels kleinern Kreisen!

79
So freudig bin ich dir zum Dienst bereit,

Daß, wär’ vollbracht auch jetzt schon dein Begehren,
Zu spät mir’s schiene! G’nug ward mit Bescheid!

82
Doch wolle jetzt vom Grunde mich belehren,[26]

Weshalb du stiegst zum Mittelpunkt, vom Licht,
Zu welchem du dich sehnst, zurückzukehren.

85
[17] Willst du es denn so tief ergründen, spricht

Die Hohe darauf, so will ich’s kürzlich sagen.
Ich fürchte mich vor diesem Dunkel nicht.

88
Vor solchem Uebel ziemt sich wohl zu zagen,

Das mächtig ist und leicht uns Schaden thut,
Vor solchem nicht, bei welchem nichts zu wagen.

91
Gott schuf mich so, daß ich in seiner Hut

Den Nöthen, die euch drücken, bin entrissen
Und nicht ergreift mich dieses Brandes Glut.

94
Ein edles Weib dort, von den Hindernissen

Des Manns erweicht, zu dem ich dich gesandt,
Sie hat des Höchsten strengen Spruch zerrissen.

97
Sie flehte zu Lucien hingewandt:

Dein Treuer braucht dich jetzt im harten Streite,
Darum empfehl’ ich ihn in deine Hand.

100
Lucia, die sich ganz dem Mitleid weihte,

Bewegte sich zum Orte, wo ich war,
In Ruhe sitzend an der Rahel Seite.

103
Sie sprach: Beatrix, Gottes Preis fürwahr!

Hilfst du ihm nicht, ihm, der aus großer Liebe
Für dich entrann aus der gemeinen Schaar?

106
Als ob dein Ohr taub seinen Klagen bliebe,

Als sähest du ihn nicht im Wirbel dort,
Bedroht, mehr als ob Meeressturm ihn triebe?

[18]
109
Nicht eilt so schnell auf Erden Einer fort,

Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid bethören,
Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,

112
Von meinem Sitz in jenen sel’gen Chören,

Vertrau’nd auf deiner würd’gen Rede Macht,
Die Ruhm dir bringt und Allen, die sie hören. –

115
Als nun Beatrix solches vorgebracht,

Da wandte sie die Augenstern’ in Zähren,
Und dies hat mich nur schneller hergebracht.

118
So komm’ ich denn daher auf ihr Begehren,

Das Unthier von dir scheuchend, dem’s gelang,
Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.

121
Was also ist dir? warum weilst du bang?

Was herbergst du die Feigheit im Gemüthe?
Was weicht dein Mut, dein kühner Thatendrang,

124
Da sich drei heil’ge Himmelsfrau’n voll Güte

Für dich bemüh’n, und dir mein Mund verspricht,
Daß ihre Sorge dich so treu behüte.“

127
Gleichwie die Blum’ im ersten Sonnenlicht,

Beim nächt’gen Reif gesunken und verschlossen,
Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht;

130
So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen,

In meinem Herzen sich zu gutem Muth,
Und ich begann frohsinnig und entschlossen:

133
„„O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!

Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen
Der Herrlichen so schnell Genüge thut!

136
Mein Sehnen glüht – nicht wird die Kraft mir fehlen[27]

Bei deinem Wort – schon fühl’ ich, nicht mehr bang,
Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.

139
Drum auf, in Beiden ist ein gleicher Drang,

Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!““
Ich sprach’s zu ihm, und folgend seinem Gang,

142
Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.
_______________

[19]

Dritter Gesang.
Höllenthor. Vorhölle. Die Memmen. Cölestin V. Charon.

1
Durch mich geht’s ein zur Stadt der ew’gen Qualen,[28]

Durch mich geht’s ein zum wehevollen Schlund,
Durch mich geht’s ein zu der Verdammniß Thalen.

4
Gerechtigkeit war der Bewegungsgrund

Deß, der mich schuf; mich gründend, that er offen
Allmacht, Allweisheit, erste Liebe kund.

7
Nicht ward vor mir Geschaffnes angetroffen,

Als Ewiges; und ewig daur’ auch ich.
Ihr, die ihr eingeht, laßt hier jedes Hoffen.

10
Die Inschrift zeigt in dunkler Farbe sich

Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
Drum ich: „„Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.““

13
Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:

„Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Zagheit sterb’ an diesem Orte.

16
Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt.

Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand.“[29]

19
Er faßte meine Hand, daher Vertrauen

Durch sein Gesicht voll Muth auch ich gewann.
Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.[30]

22
Dort hob Geächz’, Geschrei und Klagen an,

Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
So daß ich selber weinte, da’s begann.

25
Verschied’ne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,

Faustschläge, Klänge heiseren Geschreis,
Die Wuth, aufkreischend, und der Schmerz erstöhnend –

[20]
28
Dies Alles wogte tosend stets, als sei’s

Sandwirbel, von den Stürmen umgeschwungen,
Durch dieser ewig schwarzen Lüfte Kreis.

31
Und ich, im Ungewissen und von Schau’r durchdrungen,

Sprach: „„Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
Wer ist doch hier von Qualen so bezwungen?

34
Und Er: „Der Klang, der durch die Lüfte bebt,[31]

Kommt von dem Jammervolk, geweiht dem Spotte,
Das ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.

37
Sie sind gemischt mit jener schlechten Rotte

Von Engeln, die für sich nur blieb im Strauß,
Nicht Meuterer und treu nicht ihrem Gotte.

40
Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,

Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus.“

43
Ich drauf: „„Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?

Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?““
Und Er: „Vernimm, was ich dir kurz verkünde.

46
Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt,

Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
Scheint ihrem Neid jed’ andres Loos beglückt.

49
Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,

Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
Doch still von ihnen – schau und geh’ vorüber.

52
Ich schaute hin und sah, im Kreis geweht,

Ein Fähnlein ziehn, so eilig umgeschwungen,
Daß sich’s zum Ruhn, so schien mir’s, nie versteht.

55
[21] In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,

So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.

58
Und hier erblickt’ ich manch bekanntes Haupt,

Auch Jenes Schatten, der aus Angst und Zagen[32]
Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.

61
Ich war sogleich gewiß, auch hört’ ich sagen,

Dies sei der Schlechten jämmerliche Schaar,
Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.

64
Dies Jammervolk, das niemals lebend war,

War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen,
Und ward gestachelt viel und immerdar.

67
Thränen und Blut aus ihren Wunden zogen

In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.

70
Drauf, als ich weiter blickt’ im düstern Schlund,

Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade,
Und sprach: „„Jetzt thu’, ich bitte, Herr, mir kund,

73
Von welcher Art sind die, die so gerade,[33]

Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
So eilig weiter ziehn auf ihrem Pfade?““

76
Und Er darauf: „Dir wird genug geschehn

Am Acheron – dort wird sich Alles zeigen,
Wenn wir am traur’gen Ufer stille stehn.“

79
Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,

Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.

[22]
82
Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei,

Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
„Weh euch, Verworfne!“ tönte sein Geschrei.

85
„Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.

Ich komm’, euch jenseits hin an das Gestad,
In ew’ge Nacht, in Hitz’ und Frost zu fahren.

88
Und du, lebend’ge Seele, die genaht,

Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!“ –
Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:

91
„Hier kann ich dir den Uebergang nicht gönnen,[34]

Für dich geziemen andre Wege sich,
Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können.“[35]

94
Virgil drauf: „Charon, nicht erboße dich.

Dort, wo der Wille Macht ist, ward’s verhangen; (bei Gott)
Dies sei genug, nicht weiter frage mich.“

97
Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen

Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
Deß Augen Flammenräder rings umschlangen.

100
Da hob graunvolles Zähneklappen an,

Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
Seit Charon jenen grausen Spruch begann.

103
[23] Sie fluchten Gott, und denen, die sie zeugten,

Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.

106
Dann drängten sie zusammen sich am Strand,

Dem schrecklichen, zu welchem Alle kommen,
Die Gott nicht scheu’n, und laut Geheul entstand.

109
Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,

Winkt ihnen, und schlug mit dem Ruder los,
Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.

112
Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß

Ein Blatt zum andern fällt, bis daß sie alle
Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;

115
So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle

Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
Wie angelockte Vögel in die Falle.

118
Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,

Und eh sie noch das Ufer dort erreichen,
Drängt hier schon eine neue Schaar heran.

121
„Mein Sohn,“ sprach mild der Meister, „die erbleichen

In Gottes Zorne, werden alle hier
Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.

124
Man scheint zur Ueberfahrt sehr eilig dir,

Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute[36]

Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
127
Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute[37]
[24]

Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
So kannst du wissen, was sein Wort bedeute.“ –

130
Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,

Daß mich noch jetzt Schweißtropfen überthauen,
So oft dies Schreckensbild mich überfällt.

133
Ein Windstoß fuhr aus den bethränten Auen,[38]

Er blitzt ein rothes Licht, das jeden Sinn
Bewältigte mit ungeheurem Grauen,

136
Und wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin –
_______________

Vierter Gesang.
I. Abtheilung. I. Kreis. Ungetaufte; Erzväter; Dichter, Helden, Philosophen der Heidenzeit.

1
Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen

So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
Wie Einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.

4
Ich warf umher das Auge wach und frei,

Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.

7
So fand ich mich am Thalrand, in der Nähe[39]

Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.

10
[25] Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,

Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
Den ich geheftet an den Grund der Gruft,

13
„Laß uns zur blinden Welt hinuntersteigen,

Ich bin der Erste, du der Zweite dann.“
So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.

16
Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann,

Sprach: „„Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen,
Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?““

19
Und er zu mir: “Des tiefen Abgrunds Plagen

Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.

22
Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht.“

So ging er fort und rief zum ersten Kreise
Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.

25
Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,
[26]

Der durch die Luft hier bebt im ewigen Thal,[40]
Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.

28
Und dieses kam vom Leiden ohne Qual

Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Schaaren,
Die viele waren und von großer Zahl.

31
Da sprach der Meister: „Willst du nicht erfahren:

Zu welchen Geistern du gekommen bist?
Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,

34
Daß sie nicht sündigten; doch gnügend mißt

Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf’ entbehrten,
Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.

37
Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten

Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt;[41]
Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.

40
Nur dies, nichts Andres hat uns hergeführt.[42]

Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
Ward uns Verlornen nur als Straf’ erkürt.“

43
Groß war mein Schmerz, als er dies kund gegeben,

Denn Leute großen Werthes zeigten sich,
Die unentschieden hier im Vorhof schweben.

46
Und ich begann: „„Mein Herr und Meister, sprich,[43]

(Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
Vor dessen Licht des Irrthums Nacht entwich,)

49
[27] Kam Keiner je durch Kraft von eignen Werken,

Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit?““ –
Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken,

52
Und sprach: „Ich war noch neu in diesem Leid,

Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.

55
Der hat des Urahns Geist der Höll’ entrungen,

Auch Abel’s, Noah’s; und auch Moses hat,
Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.

58
Abram und David folgten seinem Pfad,

Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
Und Rahel auch, für die so viel er that.

61
Sie und viel’ Andre führt er ein zum Frieden,

Und wissen sollst du nun: Vor diesem war
Erlösung keinem Menschengeist beschieden.“

64
Obwohl er sprach, ging’s vorwärts immerdar,

So daß wir unterdeß den Wald durchdrangen,
Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschaar.

67
Nicht weit von oben waren wir gegangen,[44]

Als ich ein Feu’r in lichten Flammen sah,
Die dort im halben Kreis die Nacht bezwangen.[45]

70
Zwar waren wir dem Ort nicht völlig nah,

Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
Die diesen Platz besetzt, erkannt’ ich da.

73
„„Du, deß sich Wissenschaft und Kunst erfreuten,

Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
Und von den Andern trennt, mir anzudeuten.““

76
Ich sprach’s, und Er: „Für hochgepries’nen Werth,

Der oben wiederklingt in deinem Leben,
Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt.“

79.
Da hört’ ich eine Stimme sich erheben:

Der hohe Dichter, auf, jetzt zum Empfang![46]
Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.

[28]
82
Sobald die Stimme, die dies sprach, verklang,

Sah ich heran vier große Geister schreiten,
Im Angesicht nicht fröhlich und nicht bang.

85
Da sprach der gute Meister mir zur Seiten:

„Sieh diesen, in der Hand das Schwert, voran
Den Andern gehn, um sie als Fürst zu leiten.

88
Du siehst Homer, den Dichterkönig, nahn;

Ovid der Dritt’, als letzter kommt Lukan.
Ihm folgt Horaz, berühmt durch Spott dort oben.

91
Im Namen, den die eine Stimm’ erhoben,[47]

Kommt mit mir selber Jeder überein,
Drum ehren sie mich, und dies ist zu loben.“

94
So war die schöne Schul’ hier im Verein

Des hohen Herrn der höchsten Sangesweise,
Der ob den Andern fliegt, ein Aar, allein.

97
Ein Weilchen sprachen sie im trauten Kreise,

Doch als sie grüßend sich zu mir gekehrt,
Da lächelte Virgil zu solchem Preise.

100
Allein noch höher ward ich dort geehrt,

Indem sie mich in ihrer Schaar empfingen,
Als Sechsten, solchen Geisterbundes werth.

103
Inzwischen wir bis zu dem Lichte gingen,

Sprechend, wovon ich schicklich schweigen muß,
Wie man dort schicklich sprach von solchen Dingen.

106
Bald kamen wir an eines Schlosses Fuß,[48]

Von siebenfacher hoher Mau’r umfangen,
Und rings beschützt von einem schönen Fluß.

109
Als wir mit trocknem Fuße durchgegangen,[49]

Ging’s weiter dann durch sieben Thore fort,
Und eine Wiese sah ich grünend prangen.

112
[29] Wir fanden Leute strengen Blickes dort,

Mit großer Würd’ in Ansehn, Gang und Mienen
Und wenig sprechend, doch mit sanftem Wort.

115
Und wir ersahn dort seitwärts nah bei ihnen

Frei eine Höh’ im hellen Lichte glühn,
Vor welcher Alle klar vor uns erschienen.

118
Dort gegenüber auf dem sammtnen Grün

Sah ich die großen, ewig Denkenswerthen,
Die heut mir noch in stolzer Seele blühn.

121
Elektren sah ich dort mit viel Gefährten,

Aeneas, Hektorn hatt’ ich bald erkannt,
Cäsarn, den mit dem Adlerblick bewehrten.

124
Camillen und Penthesileen fand

Ich dort; zur andern Seite auch Latinen,
Der bei Lavinien, seiner Tochter, stand.

127
Ich sah den Brutus, der verjagt Tarquinen,

Lucrezien, Julien, Marzien, und, allein
Bei Seite sitzend, sah ich Saladinen.

130
Dann, höher blickend, sah im hellen Schein

Ich auch den Meister derer, welche wissen,[50]
Der von den Seinen schien umringt zu sein,

133
Sie all’ ihn hoch zu ehren sehr beflissen;

Den Plato ihm zunächst und Sokrates,
Die dort den Sitz vor Andern an sich rissen.

136
Den Anaxagoras, Diogenes,

Den Demokrit, deß Welt der Zufall machte,
Den Zeno, Heraklid, Empedokles;

139
Ihn, der ans Licht der Pflanzen Kräfte brachte,
[30]

Den Dioskorides, den Orpheus dann,
Den Seneca, der Schmerz und Lust verlachte.

142
Auch Ptolemäus kam, Euklid heran,

Tullius (Cicero), Averrhoes, der, seinen Weisen
Erklärend, selbst der Weisheit Ruhm gewann.

145
Doch nicht vermag ich Jeden hier zu preisen,[51]

Denn also drängt des Stoffes Größe mich,
Daß ihren Dienst mir kaum die Wort’ erweisen.

148
Um zwei verminderte die Sechszahl sich;

Mich führt’ auf anderm Weg mein weiser Leiter
Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,

151
Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.
_______________

Fünfter Gesang.
II. Abtheilung. II. Kreis. Sünden der Liebe. Minos; Semiramis, Paris; Franziska und Paolo.

1
So ging’s hinab vom ersten Kreis zum zweiten,

Der kleinern Raum, doch größres Weh umringt,[52]
Das antreibt, Klag und Winseln zu verbreiten.[53]

4
Graus steht dort Minos, fletscht die Zähn’ und bringt[54]

Die Schuld ans Licht, wie tief sie sich verhehle,
Urtheilt, schickt fort, je wie er sich umschlingt.

7
Ich sage, wenn die schlechtgeborne Seele

Ihm vorkommt, beichtet sie der Sünden Last;
Und jener Kenner aller Menschenfehle

10
[31] Sieht, welcher Ort des Abgrunds für sie paßt,

Und schickt sie so viel Grad hinab zur Hölle,
Als oft er sich mit seinem Schweif umfaßt.

13
Von vielem Volk ist stets besetzt die Schwelle

Und nach und nach kommt Jeder zum Gericht,
Spricht, hört und eilt zu der bestimmten Stelle.

16
„Du, der du kommst zur Schmerzenswohnung,“ spricht

Minos zu mir, sobald er mich ersehen,
Ablassend von der Uebung großer Pflicht,

19
„Schau’, wem du traust! leicht ist’s hineinzugehen,

Und weit das Thor – nicht täusche dich dein Drang!“
Mein Führer drauf: „Wozu dies Schrei’n und Schmähen?

22
Nicht hindre den von Gott gebotnen Gang,

Dort will man’s, wo das Können gleich dem Wollen.
Nicht mehr gefragt, denn unser Weg ist lang.“

25
Bald hört’ ich nun, wie Jammertön’ erschollen,

Denn ich gelangte nieder zum Gefild
Zur Klag und dem Geheul der Unglücksvollen.

28
Hier schweigt das Licht; der dunkle Raum erbrüllt, [55]

So wie die See, wenn Stürme sich erhoben,
Und ihre Fläche wüthend überschwillt.

31
Der Höllenwindsbraut unaufhörlich Toben[56]

Reißt wirbelnd die gequälten Geister fort
Und dreht sie um nach unten und nach oben.

34
Da hört man Wehgeheul und Klagewort,

Wenn sie sich nah’n des Abgrunds Felsenküsten,
Und Flüch’ und Lästerungen schallen dort.

[32]
37
Daß Fleisches-Sünder dies erdulden müßten,

Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug,
Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.

40
So wie zur Winterszeit mit irrem Flug[57]

Ein dichtgedrängter breiter Troß von Staaren,
So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug

43
Hierhin und dort, hinauf, hinunter fahren,

Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres Leid,
Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.

46
Wie Kraniche, zum Streifen lang gereiht,

In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
So sah ich von des Sturms Gewaltsamkeit

49
Die Schatten hergeweht mit bangem Aechzen.

„„Wer sind die, Meister, welche her und hin
Der Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?““

52
So ich – und Er: „Des Zuges Führerin,

Von welchem du gewünscht Bericht zu hören,
War vieler Zungen große Kaiserin.

55
Sie ließ von Wollust also sich bethören,

Daß sie für das Gelüst Gesetz’ erfand.[58]
Daß Schimpf und Schand’ an ihr die Macht verlören.

58
Sie ist Semiramis, wie allbekannt,

Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
Die einst geherrscht hat in des Sultans Land.

61
Dann sie, die, ungetreu Sichäus Schatten,

Aus Liebe selber sich geweiht dem Tod,
Sieh dann Kleopatra im Flug ermatten.“

64
Auch Helena, die Ursach’ großer Noth,

Im Sturme sah ich den Achill sich heben,
Der Allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.

67
[33] Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,

Und tausend Andre zeigt’ und nannt’ er dann,
Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.

70
Lang’ hört’ ich den Bericht des Lehrers an,

Von diesen Rittern und den Frau’n der Alten,
Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:

73
„„Mit diesen Zwei’n, die sich zusammen halten,

Die, wie es scheint, so leicht im Sturme sind
Möcht’ ich, o Dichter, gern mich unterhalten.““

76
Und er darauf: „Gib Achtung, wenn der Wind

Sie näher führt, dann bei der Liebe flehe,
Die Beide führt, da kommen sie geschwind.“

79
Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,

Als ich begann: „„Gequälte Geister, weilt,
Wenn’s niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.““[59]

82
Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte theilt,

Wenn’s mit weit ausgespreizten steten Schwingen
Zum süßen Nest herab voll Sehnsucht eilt;

85
So sah ich Dido’s Schwarm sie sich entringen,

Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
Und durch den Sturm zu uns sich niederschwingen.

88
„Du, der du uns besuchst voll Güt’ und Huld[60]

In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde

[34]

Vordem mit Blut getüncht durch ihre Schuld,

91
Gern bäten wir, daß Fried’ und Ruh’ dir werde,

Wär’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
Denn dich erbarmet unsres Weh’s Beschwerde.

94
Wie ihr zur Red’ und Hören Lust bezeigt,

So reden wir, so leihn wir euch die Ohren,
Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.

97
Ich ward am Meerstrand in der Stadt geboren,[61]

Wo seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.

100
Die Liebe, die in edles Herz sich senkt,

Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
Der mir geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.

103
Die Liebe, die Geliebte stets berückte,

Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie du siehst, kein Leid ihn unterdrückte.

106
Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt –

Kaina harret deß, der uns erschlagen.“[62]
Der Schatten sprach’s, uns kläglich zugewandt.

109
Vernehmend der bedrängten Seelen Klagen

Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
„Was denkst du?“ hört’ ich drauf den Dichter fragen.

112
„„Weh,““ sprach ich, „„welche Glut, die sie durchzückt,

Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
Hat sie in dieses Qualenland entrückt?““

115
Drauf säumt’ ich nicht zu Jener mich zu kehren,

„„Franziska,““ so begann ich jetzt, „„dein Leid
Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.

118
Doch sage mir: In süßer Seufzer Zeit,

Wodurch und wie verrieth die Lieb’ euch Beiden,
Den schüchtern leisen Wunsch der Zärtlichkeit?““

121
Und Sie zu mir: „Wer fühlt wohl größres Leiden,

Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.[63]

124
[35] Doch da dein Wunsch so warm und eifrig scheint,

Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
So will ich’s thun, wie wer da spricht und weint.

127
Wir lasen einst, weil’s Beiden Kurzweil machte,[64]

Von Lancelot, wie ihn die Lieb’ umschlang.
Wir waren einsam, ferne vom Verdachte.

130
Das Buch regt’ in uns auf des Herzens Drang,

Trieb unsre Blick’ und macht’ uns oft erblassen,
Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang.

133
Als wir von dem ersehnten Lächeln lasen,

Auf das den Mund gedrückt der Buhle hehr,
Da naht’ Er, der mich nimmer wird verlassen,

136
Da küßte zitternd meinen Mund auch Er. –

Ein Kuppler war das Buch, und der’s verfaßte – [65]
An jenem Tage lasen wir nicht mehr.

139
Der eine Schatten sprach’s, der andre faßte

Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,

142
Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
_______________

Sechster Gesang.
III. Kreis. Die Schlemmer. Cerberus. Ciacco weissagt.

1
Bei Rückkehr der Erinn’rung, die sich schloß[66]

Vor Mitleid um die Zwei, das so mich quälte,
Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,

[36]
4
Erblickt’ ich neue Qualen und Gequälte

Rings um mich her, ob den, ob jenen Pfad,
Zum Geh’n und Schau’n sich Fuß und Auge wählte.

7
Dies war der dritte Kreis, den ich betrat,[67]

In ew’gem, kaltem, maledeitem Regen
Von gleicher Art und Regel früh und spat.

10
Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen

Die Nacht dort zu durchziehn in wildem Guß;
Stark qualmt die Erde, die’s empfängt, entgegen.

13
Ein Unthier, wild und seltsam, Cerberus,[68]

Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
Jedweden an, der dort hinunter muß.

16
Schwarz, feucht der Bart, die Augen rothe Höhlen,

Mit weitem Bauch, die Tatzen scharf beklaut,
Viertheilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.

19
Sie heulen, wie die Hund’, im Regen laut,

Und sie verschaffen sich durch öft’res Drehen
Auf einer Seite mindstens trockne Haut.

22
Der große Höllenwurm, der uns ersehen,

Riß auf die Rachen, zeigt’ uns ihr Gebiß,
Und ließ kein Glied am Leibe stille stehen.

25
Virgil streckt’ aus die offnen Händ’ und riß

Erd’ aus dem Grund, die in die gier’gen Rachen
Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.

28
Wie’s pflegt ein keifig böser Hund zu machen,

Deß Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
Der g’nügend war, die Wuth ihm anzufachen,

31
[37] So jetzt mit schmutz’gen Schlünden jener Geist,

Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
Daß jeder hochbeglückt die Taubheit preist.

34
Wir gingen über die gequälten Schatten,

Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien,[69]
Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.

37
Sie lagen allesammt am Boden hin,

Nur Einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
Wie er uns dort erblickt’ im Weiterziehn.

40
Er sprach: „Der du zur Hölle dich begeben,

Erkenne mich, dafern dir’s möglich ist;
Du lebtest, eh’ ich aufgehört zu leben.“

43
Und ich zu ihm: „„Die Qual, in der du bist,

Entzieht vielleicht dich meinem Angedenken;
Mir scheint, ich sahe dich zu keiner Frist.

46
Wer bist du? sprich, was konnte dich versenken

In eine Qual, die, gibt’s auch größre Pein,
Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken.““

49
„In eurer Stadt,“ so sprach er, „die allein

Der Neid erfüllt, und bis zum Ueberfließen,
Genoß ich einst des Tages heitern Schein.

52
Ich bin’s, den Ciacco eure Bürger hießen;[70]
[38]

Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
Du siehst’s, auf mich sich ew’ger Regen gießen.

55
Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß.

Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
Für gleiche Schuld.“ – So seiner Rede Schluß.

58
Und ich: „„Mich haben, Ciacco, deine Klagen,

Zum Mitleid und zu Thränen fast gerührt.
Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,

61
Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?[71]

Ob wer gerecht ist? was in diesen Zeiten
In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?““

64
Und Er darauf zu mir: „Nach langem Streiten[72]

Kommt’s dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.

67
Doch in drei Sonnen ist’s mit ihr vorbei,

Neu günstig sind der andern die Gestirne,
Durch Eines Mannes Macht und Heuchelei.

70
Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne

Und drückt den Feind, ob auch, zur Wuth empört,
Er sich beklag’ und schäm’ und sich erzürne.

73
Zwei sind gerecht dort, aber nicht gehört.[73]

Neid, Geiz und Hochmuth – diese drei sind Gluten,
In deren Brand sich jedes Herz zerstört.

76
[39] Als hier des Schatten Jammertöne ruhten,

Sprach ich zu ihm: „„Noch weiteren Bericht
Erlaube mir, dir bittend anzumuthen.

79
Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,

Arrigo, Rusticucci, Mosca – sage! –
Und Andre, nur auf wackres Thun erpicht,

82
Wo sind sie? welches ist ihr Loos? Ich trage

Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspähn,
Ob’s Himmelswonne sei, ob Höllenplage?““

85
Und Er: „Sie stürzte mancherlei Vergehn

Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
Steigst du so tief, so wirst du alle sehn –

88
Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,

Bring’ ins Gedächtniß dann der Menschen mich.
Mehr sag’ ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden.“

91
Scheel ward sein grades Aug’ und wandte sich

Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
So daß er ganz den andern Blinden glich.[74]

94
Drauf sprach mein Führer: „Nie erwacht er wieder,

Bis er vor englischer Posaun’ ergraust,[75]
Und der Gewalt, dem Sündervolk zuwider.

97
Zum Grab kehrt Jeder, wo sein Körper haust,

Wird neu mit Fleisch und mit Gestalt umgeben
Und hört, was ewig wiederhallend braust.“ –

100
Indem langsamen Schritt’s wir weiter streben,

Durch’s wüst’ Gemisch von Schatten und von Flut.
Besprachen wir, doch kurz, das künft’ge Leben.

103
Drum ich: „„Mein Meister, wird der Qualen Wuth[76]
[40]

Sich nach dem großen Urtheilsspruch vermehren?
Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?““

106
Und Er: „Gedenk’ an deines Weisen Lehren (Aristoteles):

Je mehr ein Ding vollkommen ist, je mehr
Wird sich’s im Glücke freun, im Schmerz verzehren.

109
Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer

Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
So harrt es doch in jener Zeit auf mehr.“

112
Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,

Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,

115
Und fanden Plutus dort, den großen Feind.
_______________

Siebenter Gesang.
Plutus. IV. Kreis. Lastenwälzende Geizige und Verschwender.
V. Kreis. Jähzornige im Styx.

1
Aleph, Pape Satan, Pape Satan![77]

Erhob nun Plutus seine rauhe Stimme.
Und er, der alles wohl verstand, begann:

4
„Getrost, nicht fürchte dich vor seinem Grimme,

Durch alle seine Macht wird’s nicht verwehrt,
Daß ich mit dir den Felsen niederklimme.“

7
Und dann, zu dem geschwollnen Mund gekehrt,

Rief er: „Wolf, schweige, du Vermaledeiter!
Von deiner Wuth sei in dir selbst verzehrt!

10
Wir gehn nicht ohne Grund zur Tiefe weiter,

Dort will man’s, dort, wo einst des Stolzes Schmach
Gezüchtigt Michael, der Himmelsstreiter.“

13
Gleichwie die Segel, wenn der Mast zerbrach,

Erst aufgebläht, zum Knäuel niederrollen,
So fiel das Unthier, als er’s drohend sprach.

16
[41] So ging’s zum vierten Kreis im schmerzenvollen[78]

Unsel’gen Schacht, der alle Schuld umfängt,
Von welcher je im Weltall Kund’ erschollen.

19
Gerechter Gott! Wer häuft, weß Walten drängt:

So neue Müh’n zusammen, solche Plagen!
O blinde Schuld, die hier den Lohn empfängt!

22
Wie der Charybdis Wogen sich zerschlagen,[79]

Zum Gegenstoß gewälzt von Süd und Nord,
So muß sich hier das Volk im Wirbel jagen.

25
Noch nirgend war die Schaar so groß, wie dort.

Laut heulend kamen sie von beiden Enden,
Und wälzten Lasten mit den Brüsten fort.

28
Und stießen sich, um sich beim Prall zu wenden,

Und dann zurück im Bogenlauf zu ziehn,
Und schrien sich zu: Was kargen? – Was verschwenden?

31
So durch den Kreis, in dem kein Lichtstrahl schien,
[42]

Ging’s beiderseits dann nach der andern Seite,
Indem sie beid’ ihr schändlich Schmähwort schrien.

34
Dann wandte Jeder sich zum neuen Streite,

Sobald er seines Zirkels Hälft’ umkreist;
Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,

37
Sprach: „„Treuer Meister; weise meinem Geist:

Wer ist dies Volk? die, links hier, scheinen Pfaffen!
Ist’s Jeder, der uns eine Glatze weist?““

40
Und Er: „Dies sind die Blinden, Geistes-Schlaffen.

Sie wußten in der Welt zum Geben nie,
Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.

43
Und dies erhellt’ aus dem, was Jeder schrie,

Wenn sie im Kreis gelangt zu den zwei Orten,
Wo trennt der Gegensatz des Lasters sie.

46
Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten:

Auch giebt’s hier manchen Papst und Cardinal,
Der einst dem Geiz aufthat des Herzens Pforten.

49
Drauf sprach ich: „„Meister, kenn’ in dieser Zahl[80]

Ich Keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
Sich hier erworben hat die ew’ge Qual?““

52
Und Er zu mir: „Dein Suchen ist vergebens,

Unkenntlich macht sie ihr verdientes Loos,
Die Lichtentfremdung ihres schmutz’gen Lebens.

55
So kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,

Bis sie erstehn – die mit verschnittnen Haaren,
Die mit geschlossner Faust – dem Grabes-Schooß.

58
Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen

Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
Nicht sag’ ich welchen, denn du kannst’s gewahren.

61
Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist

Um jenes Gut Fortunens, das die Leute
Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.

64
[43] Gieb diesen Müden alles Gold zur Beute,

Das jemals war und ist auf eurer Welt,
Und keine Stunde Ruh giebt’s ihnen heute.“

67
Und ich: „„Mein Meister, sprich, wenn dir’s gefällt,

Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
In ihren Klau’n der Erde Güter hält?““

70
Und er zu mir: „O Arme, Trugbethörte!

Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
O daß mein Spruch jetzt deinen Wahn zerstörte!

73
Er, dessen Weisheit Alles übersteigt,[81]

Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
Daß jeder Theil sich jedem leuchtend zeigt,

76
Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.

So gab er schaffend auch die Dienerin
Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.

79
Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,

Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert,
Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.

82
Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,

Wie jene Führerin das Urtheil spricht,
Die, wie die Schlang’ im Gras, verborgen lauert.

85
Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht.

Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
Und weicht darin den andern Göttern nicht.

88
Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;

So macht sie, von Nothwendigkeit gejagt,
Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.

91
Sie ist’s, die ihr an’s Kreuz oft wüthend schlagt,

Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.

94
Doch sie, die Sel’ge, hört nicht euer Grollen;
[44]

In andrer Erstgeschaffnen Seligkeit
Läßt sie, nichts achtend, ihre Sphäre rollen. –

97
Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!

Die Stern’, aufsteigend, als ich fortgeschritten,[82]
Gehn abwärts jetzt, und unser Weg ist weit.“

100
Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten,[83]

An einem Quell, der siedend dort entspringt,
Deß Wellen fort durch einen Graben glitten.

103
Schwärzer als Eisen seine Flut, sie bringt,

Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
Durch die man mit Beschwerde niederdringt.

106
Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen,

Dort, wo der traur’ge Fluß vom Laufe ruht,
Am Fuß des gräulichen Gestads gelegen.

109
Dort stand ich nun und sah nach jener Flut

Und sah im Sumpfe Leute, koth’ge, nackte,
Zugleich des Jammers Bilder und der Wuth.

112
Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte

Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
Indem man wild sich mit den Zähnen packte.

115
Mein Meister sprach: „Sohn, sieh in dieser Pein

Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
Auch unter’m Wasser müssen viele sein;

118
Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen

Dann steigen Blasen auf von ihrer Noth,
[45] Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.

121
Und immer rufen sie, versenkt im Koth:

Wir waren elend einst im Sonnenschimmer,
Das Herz voll Feu’r und Tücke bis zum Tod,

124
Und jetzt im Schlamm’ noch plagen wir uns immer.

Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.

127
So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,

Wir an dem schmutz’gen Teich in weitem Bogen,
Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,

130
Bis wir zu eines Thurmes Fuß gezogen.
_______________

Achter Gesang.
Ueberfahrt. Filippo Argenti. Zum VI. Kreis. Kampf um den Eingang zur Stadt Dis.

1
Lang’ eh wir noch, so fahr’ ich fort zu sagen,[84]

Dem Fuß des hohen Thurms uns konnten nahn,[85]
War unser Blick zur Zinn emporgeschlagen,

4
Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sahn,

Als Rücksignal ein andres, so entlegen,
Daß es das Auge kaum noch konnt’ erfahn.

7
Da kehrt’ ich meinem Weisen mich entgegen:

„„Was ist dies? welch ein Zeichen wohl bezweckt
Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?““

10
Und Er zu mir: „Sieh hin, dein Aug’ entdeckt.

Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt.“

[46]
13
Und schnell, wie ich den leichten Pfeil vom Bogen

Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.

16
Bald war er uns am grauen Strande nah,

Obwohl von einem Rudrer nur gefahren,
Der schrie: „Verruchte Seele, bist du da?“[86]

19
„Phlegias, Phlegias, du magst dein Schreien sparen,“[87]

So sprach mein Herr, „umsonst ist’s angestimmt;
Wir sind nur dein, so lang wir überfahren.“

22
Wie wer von einem großen Trug vernimmt,

Den man ihm angethan zu Schmach und Schaden,
So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.

25
Mein Führer stieg ins Schiff von den Gestaden.

Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
Und als ich drin war, schien es erst beladen.[88]

28
Sobald wir beid’ uns eingesetzt, begann

Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
Als er mit andrer Bürde furchen kann.

31
Indessen wir die todte Moorflut theilen,

Kommt Einer, kothbedeckt, vor mich, und spricht.
„Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?“

34
„„Ich komme,““ sprach ich, „„aber bleibe nicht.

Doch wer bist du, so widrig und abscheulich?““ –
„Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht.“

37
Und ich zu ihm: „„mit Heulen, unerfreulich,

[47] Verfluchter Geist, verbleib’ an diesem Ort!
Ich kenne dich, ob auch besudelt gräulich.““

40
Die Hände nun voll Gier legt’ er an Bord,

Und mit Gewalt mußt’ ihn mein Herr verjagen,
Der sprach: „Zu andern Hunden, weiche fort!“

43
Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen,

Und küßte mich und sprach: „Erzürnter Geist,[89]
Beglückt die Mutter, welche dich getragen!

46
Stolz war im Leben dieser – Niemand preis’t

Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
Daher er hier sich noch in Wuth zerreißt.

49
Viel Fürsten gibt’s, die dort sich stolz geberden,

Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Sau’n
Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden.“

52
Und ich: „„Begierig wär’ ich wohl, zu schau’n,

Wie er in diesem Schlamm versinken müßte,
Eh’ wir verlassen diesen See voll Grau’n.““

55
Und er zu mir: „Bevor sich noch die Küste

Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß,
Befriedigung gebühret dem Gelüste.“

58
Bald sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß

Die Kothigen mit ihm beschäftigt waren.
Drob ich Gott loben noch und danken muß.

61
Frisch auf, Philipp Argenti! schrien die Schaaren;[90]

Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sich los
Den tollen Geist des Florentiners fahren.

64
Und dies erzähl’ ich nur von seinem Loos.

Ich ließ ihn dort, und hört’ ein Schmerzens-Brüllen,
Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen groß.

[48]
67
„Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"

So sprach mein guter Meister, „Dis genannt,
Die schaarenweis’ unsel’ge Bürger füllen.“

70
Und ich: „„Mein Meister, deutlich schon erkannt

Hab’ ich im Thale jener Stadt Moscheen,[91]
Glutroth, als ragten sie aus lichtem Brand.““

73
Drauf sprach mein Führer: „Ew’ge Flammen wehen

In ihrem Innern, drum im rothen Schein
Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen.“

76
Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,

Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.

79
Dann aber hörten wir des Steurers Worte

Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
Umhergekreuzt: „Steigt aus, hier ist die Pforte.“[92]

82
Wohl tausend standen auf dem Thor bereit,

Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen
„Wer wagt’s, noch lebend, voll Verwegenheit

85
In’s tiefe Reich der Todten einzubrechen?“

[49] Mein Meister aber ihnen winkend lud
Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.

88
Da legte sich ein wenig ihre Wuth.

Sie sprachen: „Komm allein, laß gehn den Thoren,
Der hier hereindrang mit so keckem Muth.

91
Find’ er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,[93]

Allein zurück! – erprob’ er doch, wie Er
Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren!“

94
Und nun bedenk’, o Leser, wie so schwer

Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
Denn ich verzweifelt’ an der Wiederkehr.

97
„„Mein theurer Führer, du, durch den mir’s glückte,

Daß ich gerettet ward schon siebenmal,[94]
Deß Schutz mich drohender Gefahr entrückte,

100
Verlaß mich““, sprach ich, „„nicht in dieser Qual,

Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
So komm mit mir zurück durch’s dunkle Thal.““

103
Und Er, befehligt, mich hierher zu bringen,

Sprach: „Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.

106
Hier harre mein, und ist die Seele bang,

So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
Denn nicht verlass’ ich dich in solchem Drang.“

109
So ging er. – Ich, getrennt von meinem Weisen,

Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein[95]
Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.

112
Nicht hört’ ich, was sein Antrag mochte sein,

Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
Denn Alle rannten in die Stadt hinein,

115
Und schlugen ihm das Thor im wilden Drange

Vorm Antlitz zu, und sperrten ihn heraus.
Da kehrt’ er sich zu mir mit schwerem Gange,

118
Den Blick gesenkt, die Stirn’ verstört und kraus,
[50]

Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
„Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?“

121
Und dann zu mir: „Nicht mög’ es dich verstören,

Wenn du mich zürnen siehst – ich siege doch,
Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.

124
Schon früher stieg ihr kecker Muth so hoch,

An einem Thor, nicht so geheim gelegen,[96]
Und ohne Schloß und Riegel heute noch,

127
Am Thor, von dem die schwarze Schrift entgegen

Dem Wandrer droht, – doch diesseits schon von dort
Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen

130
Ein Andrer her und öffnet uns den Ort.“
_______________

Neunter Gesang.
Die Engelserscheinung. Eintritt in die Stadt Dis, den VI. Kreis der Gottesläugner und Ketzer in glühenden Särgen.

1
Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,

Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.

4
Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,

Denn, weit zu schaun, war ihm die Dunkelheit
Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.

7
Er sprach: „Wir siegen doch in diesem Streit –[97]

Wenn nicht – doch hab’ ich nicht sein Wort vernommen?
Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit.“

10
Ich sah es deutlich ein, zurückgenommen

[51] Sei durch der Rede Folge der Beginn,
Da beide mir verschieden vorgekommen.

13
Drum lauscht’ ich sorgenvoll und zagend hin,

Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
Als er es war, des halben Wortes Sinn.

16
„„Kommt wohl ein Geist in diese Tiefe nimmer

Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
Als daß erstorben jeder Hoffnungs-Schimmer?““

19
So fragt’ ich ihn, und jener sprach: „Nicht leicht

Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.

22
Wahr ist’s, daß ich vordem in diesen Tiefen[98]

Durch der Erichtho Zauberei’n erschien,
Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.

25
Kaum war mein Fleisch des Geistes baar, als ihn

Die Zauberin beschwor in diese Mauer,
Um eine Seel’ aus Judas Kreis zu ziehn.[99]

28
Dort ist die tiefste Nacht, der bängste Schauer,

Am fernsten von des Himmels ew’gem Licht.
Ich weiß den Weg – drum scheuche Furcht und Trauer.

31
Der Sumpf hier, welcher Stank verhaucht, umflicht

Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht.“

34
Mehr sprach er, doch mich zog von seinen Worten

Der hohe Thurm und bannte mit Gewalt
Den Blick aus Feuer auf dem Gipfel dorten.

37
Drei Höllenfurien sah ich dort alsbald,

Die blutbefleckt, grad’ aufgerichtet stunden,
Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,

40
Mit grünen Hydern statt des Gurts umbunden,

Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
Und Ottern rings die grausen Schläf umwunden.

43
Und Jener, dem bekannt ihr Anblick war,

Der Sclavinnen der Fürstin ew’ger Plagen, (Hekate)
Sprach: „Die Erinnyen nimm’, die wilden, wahr.

[52]
46
Zur linken Seite sieh Megären ragen,

Inmitten ist Tisiphone zu schau’n,
Und rechts Alecto in Geheul und Klagen.“

49
Die Brust zerriß sich jede mit den Klau’n,

Und sie zerschlugen sich mit solchem Brüllen,
Daß ich mich an den Dichter drängt’ aus Grau’n.

52
„Medusa’s Haupt! auf, laßt es uns enthüllen,“

Sie riefen’s, niederbückend, allzugleich
„Was wir versäumt an Theseus zu erfüllen.“[100]

55
„Wende dich um, die Augen schließe gleich!

Wenn sie bei Gorgo’s Anblick offen ständen,
Du kehrtest nimmer in des Tages Reich!“

58
Er sprach’s und eilte, selbst mich umzuwenden

Verließ sich auch auf meine Hände nicht,
Und schloß die Augen mir mit seinen Händen.

61
Ihr, die erhellt gesunden Geistes Licht[101],

Bemerkt die Lehre, die, vom Schlei’r umzogen,
In sich verbirgt dies seltsame Gedicht.

64
Schon kam’s inmitten jener trüben Wogen

Mit Dröhnen eines Donners voll von Graus,
Erschütternd beide Ufer, hergezogen!

67
Nicht anders war’s, als wie des Sturm’s Gebraus –

Wenn Glut mit Kühlung ringt sich auszugleichen –
Den Wald zerpeitscht, die Aeste reißt heraus,

70
[53] Sie hinwirft und die Blüten raubt den Zweigen,

Und wälzt sich stolz in Staubeswirbeln vor,
Daß Hirt’ und Heerden schreckensvoll entweichen.

73
Die Augen löst er mir. „Jetzt schau empor,

Dorthin, wo du den schärfsten Rauch entquellen
Dem Schaume siehst auf diesem alten Moor.

76
Wie Frösche, sich zerstreuend, durch die Wellen

Vor ihrem Feind, der Wasserschlange, fliehn,
Bis sie am Strand in Schaaren sich gesellen,

79
So sah ich schnell, als Einer dort erschien,

Das Thor von den zerstörten Seelen leeren,
Und ihn mit trocknem Fuß den Styx durchziehn.

82
Er schien den Qualm vom Antlitz abzuwehren,

Vor sich bewegend seine linke Hand,
Und dieser Dunst nur schien ihn zu beschweren.

85
Ich sah’s, er sei vom Himmel hergesandt.

Zum Meister kehrt’ ich mich, doch auf ein Zeichen,
Neigt’ ich mich schweigend, Jenem zugewandt.

88
Mir schien er einem Zornigen zu gleichen.

Er kam zum Thore, das sein Stab erschloß,
Und ohne Widerstreben sah ich’s weichen.

91
„O ihr verachteter, vestoßner Troß!“

Begann er an dem Thor, dem schreckenvollen,
„Woher die Frechheit, die hier überfloß?

[54]
94
Was seid ihr wiederspenstig jenem Wollen,

Das nimmerhin sein Ziel verfehlen kann?
Wird Er die Qual, wie oft, euch mehren sollen?

97
Was kämpft ihr gegen das Verhängniß an,

Obwohl eu’r Cerberus, ihr mögt’s bedenken,
Mit kahlem Kinn und Halse nur entrann?“

100
Dann sah ich ihn zurück die Schritte lenken.

Uns sagt’ er nichts, und achtlos ging er fort,
Als müss’ er ernst auf andere Sorgen denken,

103
Als die um kleine Ding’ am nächsten Ort.

Worauf wir beide nach der Festung schritten,
Nun völlig sicher durch das heil’ge Wort.

106
Auch ward der Eingang uns nicht mehr bestritten;

Und, ich, des Wunsches voll mich umzusehn
Nach dieser Stadt Verhältniß, Art und Sitten,

109
Ließ, drinnen kaum, das Aug’ im Kreise gehn,

Und rechts und links war weites Feld zu schauen,
Von Martern voll und ungeheuren Weh’n.

112
Gleichwie wo sich der Rhone Wogen stauen,

Bei Arles, und bei Pola dort am Meer,
Das Welschland schließt, und netzt der Grenze Gauen,

115
Grabhügel sind im Lande rings umher,

Wo auf unebnem Grunde Todte modern;
So hier, doch schreckte dieser Anblick mehr;

118
Denn zwischen Gräbern sieht man Flammen lodern,[102]

Und alle sind so durch und durch entflammt,
Daß Künste keine mehr vom Eisen fodern.[103]

121
[55] Halb offen ihre Deckel allesammt,

Und draus erklingen solche Klagetöne,
Daß man erkennt, wer drinnen, sei verdammt.

124
„„Wer, Meister,““ fragt’ ich, „„sind die Unglückssöhne,

Die, hier begraben, sonder Ruh noch Rast
Vernehmen lassen solch’ ein Schmerzgestöhne?““

127
Und Er: „Hauptketzer hält der Ort umfaßt,

Und die den Sekten angehangen haben,
In größrer Zahl als du gerechnet hast.

130
Denn Gleiche sind zu Gleichen hier begraben,

Und mehr und minder glüht jedwedes Maal.“
Er sprach’s, worauf wir rechtshin uns begaben,

133
Fortschreitend zwischen hoher Mau’r und Qual.
_______________

Zehnter Gesang.
VI. Kreis, Fortsetzung. — Farinata, Cavalcante, Friedrich II.

1
Fort ging nun, hier die Mauer, dort die Pein,

Auf still verborgnem Pfad der edle Weise,
Er mir voraus und ich ihm hinterdrein.

4
„„Der du mich führst durch die verruchten Kreise,““

Sprach ich, „„ich wünsche, daß, wenn dir’s gefällt,

[56]

Dein Wort auch ferner hier mich unterweise.

7
Darf man die sehn, die jedes Grab enthält?

Die Deckel, offen schon, sind nicht dawider,
Auch ist zur Wache Niemand aufgestellt.““

10
„Jedweder Deckel sinkt geschlossen nieder,“

Sprach Er, „wenn sie gekehrt von Josaphat,[104]
Mitbringend ihre dort gelassnen Glieder.

13
Wiss’, Epicurus liegt an dieser Statt,

Sammt seinen Jüngern, die vom Tode lehren,
Daß er so Seel’ als Leib vernichtet hat.

16
Befriedigung soll also dem Begehren,[105]

Daß du entdecktest, dies Begräbniß hier,
So wie dem Wunsch, den du verschwiegst, gewähren.“

19
Und ich: „„Mein Herz verberg’ ich nimmer dir,[106]

Nur redet’ ich in bündig kurzem Worte,
Und nicht nur jetzt empfahlst du solches mir.““

22
„Toscaner, du, der lebend durch die Pforte

Der Feuerstadt, so ehrbar sprechend, drang,
Verweil’, ich bitte dich, an diesem Orte.

25
O, ich erkenn’ an deiner Sprache Klang,

Du seist dem edlen Vaterland entsprungen,
Dem ich, ihm nur zu lästig, auch entsprang.“

28
Urplötzlich war dies einem Sarg entklungen,

Drum trat ich etwas näher meinem Hort,
Denn wieder war mein Herz von Furcht durchdrungen.

31
„Was thust du? Wende dich!“ rief er sofort,

[57] „Sieh grad’ empor den Farinata ragen,[107]
Vom Gürtel bis zum Haupte sieh ihn dort!“

34
Ich, auf sein Angesicht den Blick geschlagen,

Sah, wie er hoch mit Brust und Stirne stand,
Als lach’ er nur der Höll’ und ihrer Plagen.

37
Mein Führer, der mich schnell an muth’ger Hand

Durch Gräberreih’n bis zu ihm hin genommen,
Sprach: „Was er fragt, das mach’ ihm klar bekannt.“

40
Er sah mich, als ich bis zum Grab gekommen,

Ein wenig an. „Wer deine Väter? sprich!“
So fragt’ er mich und schien von Zorn entglommen.

43
Gern fügt’ ich dem Befehl des Meisters mich,

Ihm alles unverstellt zu offenbaren,
Da hoben etwas seine Brauen sich.

46
Er sprach darauf: „Furchtbare Gegner waren

Sie meinen Ahnen, mir und meinem Theil,
Und zweimal drum vertrieb ich sie in Schaaren.[108]

49
„„Wenn auch vertrieben, kehrten sie in Eil,““

Sprach ich, „„zweimal zurück von ihrem Fliehen
Doch nicht den Euren war die Kunst zum Heil.““[109]

52
Hier hob’ das Haupt aus seines Grabes Glühen

Ein andrer Schatten plötzlich bis zum Kinn,[110]
Empor sich raffend, schien es, auf den Knieen.

[58]
55
Er blickt’ um mich nach beiden Seiten hin,

Als woll’ er sehn, ob Jemand mich begleite,
Doch floh der Irrthum bald aus seinem Sinn,

58
Und weinend sprach er dann: „Wenn dein Geleite

Des Geistes Hoheit ist durch diese Nacht,
Wo ist mein Sohn? warum nicht dir zur Seite?“ –

61
„„Nicht eigner Geist hat mich hierher gebracht.[111]

Der dort harr’, führte mich ins Land der Klagen,
Dein Guido hatte sein vielleicht nicht Acht.““

64
So ich – beim Wort und bei der Art der Plagen

Könnt’ ich wohl seines Namens sicher sein,
Und drum ihm auch so sicher Antwort sagen.

67
Schnell richtet’ er sich auf mit lautem Schrei’n:[112]

Er hatte, sagst du? ist er nicht am Leben.
Saugt nicht sein Auge mehr den süßen Schein?“

70
Und da ich nun, statt Antwort ihm zu geben,

Noch zauderte, so fiel er rücklings hin,
Um fürder sich nicht wieder zu erheben.

73
Doch jener Andre mit dem stolzen Sinn,

Der mich gerufen, blieb auf seiner Stätte,
Starr, ungebeugt und trotzig wie vorhin.

76
Dann, neu verknüpfend seiner Rede Kette:

„Ward jene Kunst zu Theil den Meinen nicht?
[59] Dies martert mehr mich noch als dieses Bette.

79
Doch wird nicht funfzigmal sich das Gesicht[113]

Der Herrin dieses Dunkels neu entzünden,
So wirst du fühlen dieser Kunst Gewicht.

82
Sprich, willst du je zurück aus diesen Gründen,[114]

Wie gegen mein Geschlecht mag solche Wuth
Das Volk in jeglichem Gesetz verkünden?“

85
Ich sprach: „„Das große Morden ist’s, das Blut,

Das rothgefärbt der Arbia klare Wogen,
Das eu’r Geschlecht mit solchem Fluch belud.““

88
Er seufzt’ und schüttelte das Haupt: „Vollzogen

Hab’ ich allein nicht diese blut’ge That,
Und Alle hat uns trift’ger Grund bewogen.

91
Doch ich allein war’s, der dem grausen Rath:

Es müsse bis zum Grund Florenz verschwinden,
Mit offnem Angesicht entgegentrat.“

94
„„Soll euer Same jemals Ruhe finden,““

So sprach ich bittend, „„löst die Schlingen hier,
Die noch, mein Urtheil hemmend, mich umwinden.

97
Versteh’ ich recht, so scheint es wohl, daß ihr

Erkennen mögt, was künft’ge Zeiten bringen,
Doch mit der Gegenwart scheint’s anders mir.““

100
Er sprach: „Uns trägt der Blick nach fernen Dingen,

Wie’s öfters wohl der schwachen Sehkraft geht,[115]
Denn soweit läßt der höchste Herr uns dringen.

[60]
103
Doch naht sich und erscheint, was wir erspäht,

Weg ist das Wissen, und nur durch Berichte
Erfahren wir, wie’s jetzt auf Erden steht.

106
Darum begreifst du: einst beim Weltgerichte,

Wenn sich der Zukunft Thor auf ewig schließt,
Ganz wird dann unser Willen sein zu nichte.“

109
Drauf ich: „„Wie jetzt mein Fehler mich verdrießt![116]

O sagt dem Hingesunknen, Trostentblößten,
Daß noch sein Sohn das heitre Licht genießt.

112
Und war ich vorhin säumig, ihn zu trösten,

So sagt ihm, daß ich Raum dem Irrthum gab,
Den eben jetzt mir eure Worte lösten.““

115
Hier rief mein Meister schon mich wieder ab,

Drum bat ich schnell den Geist, mir zu erzählen,
Wer noch verborgen sei in seinem Grab.

118
Er sprach: „Hier liegen mehr als tausend Seelen,

Der Kardinal, der zweite Friederich,[117]
Und Andre, die’s nicht Noth thut, aufzuzählen.“

121
Und er versank, ich aber kehrte mich

Zum alten Dichter, jene Red’ erwägend,
Die einer Unglücks-Prophezeiung glich.[118]

124
Er aber ging und sprach, sich vorbewegend,

Zu mir gewandt: „Was bist du so verstört?“
Ich that’s ihm kund, die Angst im Herzen hegend.

127
„Behalte, was du Widriges gehört,“

Sprach mit erhobnem Finger jener Weise,
„Und merk’ jetzt auf, daß dich kein Trug bethört.

130
[61] Bist du dereinst in Ihrem Strahlenkreise,

Die mit dem schönen Auge Alles sieht,
Dann deutet sie dir deine Lebensreise.“

133
Nun ging es links ins höllische Gebiet,

Um von der Mau’r der Mitte zuzuschreiten,
Wo sich der Pfad nach einem Thale zieht,

136
Von dem Gestank und Qualm sich weit verbreiten.
_______________

Eilfter Gesang.
Papst Anastasius. Eintheilung der weitern Kreise.

1
Am äußern Saum von einem hohen Strande,

Umkreist von Felsentrümmern ohne Zahl,
Gelangten wir zu einem grausern Lande.

4
Dort bargen wir vor des Gestankes Qual,[119]

Der gräßlich dampft aus jenen tiefen Gründen,
Uns hinter eines hohen Grabes Maal.

7
Wir sahn den Inhalt diese Schrift verkünden:

Hier liegt Papst Anastasius, den Photin [120]
Vom rechten Pfad verführt zu Schmach und Sünden.

[62]
10
„Wir müssen,“ sprach er, „langsam abwärts zieh’n;

Erträglicher wird nach und nach den Sinnen
Der schlechte Dunst, der unerträglich schien.“

13
„„So laß uns etwas,““ sprach ich drauf, „„beginnen,

Das uns die hier verbrachte Zeit ersetzt.““
„Du siehst,“ erwiedert’ er, „darauf mich sinnen.“

16
„Mein Sohn, du wirst in diesen Felsen jetzt,“[121]

[63] So fuhr er fort, „drei klein’re Kreise zählen,
Nach Stufen, wie die andern fortgesetzt.

19
Erfüllt sind alle von verdammten Seelen,

Doch weil du selbst sie sehn wirst, so vernimm,
Wie und warum sie sich hier unten quälen.

22
Jedwede Bosheit weckt des Himmels Grimm,

Der Unrecht Zweck ist, denn sie macht es immer
Durch Trug und durch Gewalt mit Andern schlimm.

25
Doch Trug, des Menschen eigne Sünd’, ist schlimmer

Und die Betrüger bannt des Herrn Geheiß
Drum tiefer hin, zu schmerzlicherm Gewimmer.

28
Gewaltthat wird bestraft im ersten Kreis,[122]

Doch, nach dreifacher Gattung von Vergehen,
In dreien Binnenkreisen stufenweis.

31
An Gott, an sich, am Nächsten kann’s geschehen,

Daß man Gewalt verübt, an Leib und Gut.
Wie? sollst du jetzt mit klaren Gründen sehen: –

34
Gewaltthat an des Nächsten Leib und Blut

Geschieht durch Todtschlag und durch schlimme Wunden.
Am Gute durch Verwüstung, Raub und Glut.

37
Todtschläger werden, die, so schwer verwunden,

Verwüster, Räuber, drum hinabgebannt
Zur Pein im ersten Binnenkreis gefunden.

40
Gewalt übt man an sich mit eigner Hand,

Und seinem Gut. – Um fruchtlos zu bereuen,
Sind drum zum zweiten Binnenkreis gesandt,

43
Die selber sich zu tödten sich nicht scheuen;

Die, so im Spielhaus all’ ihr Gut verthan
Und dorten weinten, statt sich zu erfreuen.

[64]
46
Gewalt auch thut der Mensch der Gottheit an,

Im Herzen sie verleugnend, und nicht achtend,
Was er durch Güte der Natur empfahn.

49
Du wirst, den klein’ren Binnenkreis betrachtend,

Drum die von Sodom und von Cahors schau’n,[123]
Und Volk, im Herzen seinen Gott verachtend. –

52
Trug, des Gewissens Qual, ist am Vertrau’n

Und ist auch oft verübt an solchen worden,
Die nicht als Freund’ auf den Betrüger bau’n.

55
Die letzte Art scheint das Band zu morden,

Das die Natur aus Lieb’ um Alle flicht,
Drum nisten in dem zweiten Kreis die Horden

58
Der Heuchler, Schmeichler, die, so falsch Gewicht

Gebrauchen, Simonisten, Zaubrer, Diebe,
Und Kuppler und dergleichen Schandgezücht.

61
Dagegen mit der allgemeinen Liebe

Zerreißt die erste Art auch noch das Band,
Das Treue fordert aus besonderm Triebe:

64
Zum Mittelpunkt des All’s, wo seinen Stand

Dis selber hat, zum letzten, kleinsten Kreise
Sind die Verräther drum zur Qual verbannt.“

67
Und ich: „„Du stellst nach deiner klaren Weise

Wohl abgetheilt den Höllenschlund mir dar
Und welche Sünder jedes Rund umkreise;

70
Doch sprich: Das Volk, das dort im Sumpfe war,

Die, so der Wind führt und die Regen schlagen,
Die mit Geschrei sich stoßen immerdar,

73
Wie kommt’s, wenn sie den Zorn des Himmels tragen,

Daß nicht die Feuerstadt ihr Strafort wird?
Wenn nicht, was leiden sie doch solche Plagen?““

76
Und er darauf zu mir: „Was schweift verwirrt

Dein Geist hier ab von den gewohnten Wegen?
Wo andershin hat sich dein Sinn verirrt?

79
Willst du nicht deine Sittenlehr’ erwägen,[124]

Die Kunde von drei Neigungen verleiht,
[65] Die Gottes Zorn und seinen Haß erregen,

82
Von Tollwuth, Bosheit, Unenthaltsamkeit?

Die dritt’ ist, da sie minderes Verachten
Des Herrn verräth, von mindrer Strafbarkeit.

85
Willst du den Spruch bedenken und betrachten,

Wer jene sind, die vor der Stadt voll Glut,
Dort oben, ihre Straf’ erduldend, schmachten,

88
So wirst du sehn, wie sie von dieser Brut

Geschieden sind, und minder sie beschwerend
Auf ihnen das Gericht des Himmels ruht.“

91
„„O Sonne, du, die trübsten Blicke klärend,

Wie Wissen, so erfreut der Zweifel mich,
Vernehm’ ich dich ihn lösend, mich belehrend;

94
Drum wend’ ein wenig,““ sprach ich, „„rückwärts dich.

Du sagst: die Wuchrer Gottes Gab’ verletzen,
Jetzt sage mir, wie löst dies Räthsel sich?““

97
„Weltweisheit,“ sprach er, „lehrt in mehrern Sätzen,[125]

Daß nur aus Gottes Geist und Kunst und Kraft
Natur entstand mit allen ihren Schätzen;

100
Und überdenkst du deine Wissenschaft

Von der Natur, so wirst du bald erkennen,
Daß eure Kunst, mit Allem, was sie schafft,

103
Nur der Natur folgt, wie nach bestem Können
[66]

Der Schüler geht auf seines Meisters Spur;
Drum ist sie Gottes Enkelin zu nennen.

106
Vergleiche nun mit Kunst und mit Natur

Die Genesis, wo’s also lautet: Leben
Sollst du im Schweiß des Angesichtes nur. –

109
Weil Wuchrer nun nach anderm Wege streben,

Schmähn sie Natur und ihre Folgerin,
Indem sie andrer Hoffnung sich ergeben.

112
Doch folge mir, denn vorwärts strebt mein Sinn,[126]

Da schon die Fisch’ empor am Himmel springen;
Schon auf den Caurus sinkt der Wagen hin,

115
Und weit ist’s noch, eh’ wir zur Tiefe dringen.
_______________

Zwölfter Gesang.
III. Abtheilung. VII. Kreis 1. Ring. Gewaltsame gegen Andere; Centauren, Chiron, Attila und andere Tyrannen und Mörder.

1
Rauhfelsig war der Steig am Strand hernieder,

Ob deß, was sonst dort war, der Schauer groß,[127]
Und jedem Auge drum der Ort zuwider.

4
Dem Bergsturz gleich bei Trento – in den Schooß[128]

Der Etsch ist seitwärts Trümmerschutt geschmissen,
Durch Unterwühlung oder Erdenstoß –

7
Wo von dem Gipfel, dem er sich entrissen,

Der Fels so schräg ist, daß zum ebnen Land,
Die oben sind, den Steg nicht ganz vermissen:

10
So dieses Abgrunds Hang, und dort am Rand

War’s, wo von Felsentrümmern überhangen,
Sich ausgestreckt die Schande Kreta’s fand,[129]

13
Einst von dem Scheinbild einer Kuh empfangen.

[67] Sich selber biß er, als er uns erblickt,
Wie innerlich von wildem Grimm befangen.

16
Mein Meister rief: „Bist du vom Wahn bestrickt,

Als säh’st du hier den Theseus vor dir stehen,
Der dich von dort zur Höll’ herabgeschickt?

19
Fort, Unthier, fort. Den Weg, auf dem wir gehn,

Nicht deine Schwester hat ihn uns gelehrt,
Doch dieser kommt, um eure Qual zu sehen.“

22
So wie der Stier, vom Todesstreich versehrt,

Emporsetzt und nicht gehen kann, nur springen,
Und Satz um Satz hierhin und dorthin fährt,

25
So sahen wir den Minotaurus ringen;

Drum rief Virgil: „Jetzt weiter ohne Rast;
Indeß er tobt, ist’s gut, hinab zu dringen.“

28
So klommen wir, von Trümmern rings umfaßt,

Auf Trümmern sorglich fort, und oft bewegte
Ein Stein sich unter mir der neuen Last.

31
Ich ging, indem ich sinnend überlegte;

Und Er: „Du denkst an diesen Schutt, bewacht
Von Zornwuth, die vor meinem Wort sich legte.

34
Vernimm jetzt, als ich in der Hölle Nacht

Zum erstenmal so tief herabgedrungen,[130]
War dieser Fels noch nicht herabgekracht;

37
Doch kurz, eh’ jener sich herabgeschwungen

Vom höchsten Kreis des Himmels, der dem Dis
So edler Seelen großen Raub entrungen,

40
Erbebte so die grause Finsterniß,

Daß ich die Meinung faßte, Liebe zücke[131]

[68]

Durchs Weltenall und stürz’ in mächt’gem Riß

43
Ins alte Chaos neu die Welt zurücke.

Der Fels, der seit dem Anfang fest geruht,
Ging damals hier und anderwärts in Stücke.[132]

46
Doch blick’ ins Thal; schon naht der Strom von Blut,[133]

In welchem Jeder siedet, der dort oben
Dem Nächsten durch Gewaltthat wehe thut.

49
O blinde Gier, o toller Zorn! eu’r Toben,[134]

Es spornt uns dort im kurzen Leben an,
Und macht uns ewig dann dies Bad erproben. –

52
Hier ist ein weiter Graben, der den Plan

Ringshin umfaßt in weitem runden Bogen,
Wie mir mein weiser Führer kundgethan.

55
Centauren, rennend, pfeilbewaffnet, zogen,

Sich folgend zwischen Fluß und Felsenwand,
Wie in der Welt, wenn sie der Jagd gepflogen.

58
Als sie uns klimmen sahn, ward Stillestand;

Drei traten vor mit ausgesuchten Pfeilen,
Und schußbereit den Bogen in der Hand.

61
Und einer rief von fern: „Ihr müßt verweilen!

Zu welcher Qual kommt ihr an diesen Ort?
Von dort sprecht, sonst soll euch mein Pfeil ereilen!“

64
„Dem Chiron sagen wir dort nah ein Wort,“

Sprach drauf Virgil; „zum Unheil dich verführend,
Riß vorschnell stets der blinde Trieb dich fort.“

67
[69] Nessus ist dieser,“ sprach er, mich berührend,[135]

„Der starb, als Dejaniren er geraubt,
Doch aus sich selbst die Rache noch vollführend;

70
Der in der Mitt’ ist, mit gesenktem Haupt,

Der große Chiron, der Achillen nährte;[136]
Dort Pholus, welcher stets vor Zorn geschnaubt.[137]

73
Am Graben rings gehn tausend Pfeilbewehrte,

Und schießen die, so aus dem Pfuhl herauf
Mehr tauchen, als der Richterspruch gewährte.“

76
Wir beide nahten uns dem flinken Hauf,

Chiron nahm einen Pfeil und strich vom Barte
Das Haar nach hinten sich mit seinem Knauf.

79
Als nun der große Mund sich offenbarte,

Sprach er: „Bemerkt: der hinten kommt, bewegt,[138]
Was er berührt, wie ich es wohl gewahrte.

82
Und wie’s kein Todtenfuß zu machen pflegt.“

Da trat ihm an die Burst mein weiser Leiter,
Wo Mensch und Roß sich einigt und verträgt.

85
„Lebendig ist,“ so sprach er, „der Begleiter,

Der dieses dunkle Thal mit mir bereist;
Nothwendigkeit, nicht Schaulust zieht uns weiter.

88
Von dort, wo Gott ihr Halleluja preist,

Kam Eine her, dies Amt mir aufzutragen.
Er ist kein Räuber, ich kein böser Geist.

91
Doch, bei der Kraft, durch die ich sonder Zagen

Auf wildem Pfad im Schmerzensland erschien,
Gieb einen uns von diesen, die hier jagen.

[70]
94
Daß er die Furt uns zeig’ und jenseits ihn

Trag auf dem Kreuz ans andere Gestade;
Denn er, kein Geist, kann durch die Luft nicht ziehn.“

97
„Auf Nessus! leite sie auf ihrem Pfade,“

Rief Chiron rechts gewandt, „bewahre sie,
Daß sonst kein Trupp der Unsern ihnen schade.“

100
Da solch Geleit uns Sicherheit verlieh,

So gingen wir am rothen Sud von hinnen.
Aus dem die Rotte der Gesottnen schrie.

103
Bis zu den Brauen waren Viele drinnen.

Tyrannen sind’s, erpicht auf Gut und Blut,“
So hört’ ich den Centauren nun beginnen.

106
„Hier weinen sie ob mitleidloser Wuth.

Den Alexander sieh und Dionysen,[139]
Der auf Sicilien Schmerzensjahre lud.

109
Die schwarzbehaarte Stirn sieh neben diesen,

Den Ezzelin – und jener Blonde dort[140]
Ist Obiz Este, der, wie’s klar erwiesen,[141]

112
Vertilgt ward durch des Rabensohnes Mord.“

Den Dichter sah ich an, der sprach: „der zweite[142]
Bin ich, der erste der, merk’ auf sein Wort.“

115
Und weiter gab uns Nessus das Geleite

Und stand bei Andern, welche bis zum Rand
Des Munds der Richterspruch vom Sud befreite.

118
Und seitwärts zeigt’ er einen mit der Hand:

[71] Der macht’ einst am Altar das Herz verbluten,[143]
Das man noch jetzt verehrt am Themse-Strand.“

121
Und Viele hielten aus den heißen Fluten[144]

Das ganze Haupt, dann Brust und Leib gestreckt,
Auch kannt’ ich Manchen in den nassen Gluten.

124
Stets seichter ward das Blut, so daß bedeckt

Am Ende nur der Schatten Füße waren,
Und dorten ward des Grabens Furt entdeckt.

127
Da sagte der Centaur: „Du wirst gewahren,

Wie immer seichter hier das Blut sich zeigt.
Jetzt aber, will ich, sollst du auch erfahren,

130
Daß dort der Grund je mehr und mehr sich neigt,

Bis wo die Flut verrinnt in jenen Tiefen,
Woraus das Seufzen der Tyrannen steigt.

133
Gerechter Zorn und Rache Gottes riefen[145]

Dorthin der Erde Geißel, Attila,
Pyrrhus und Sextus; und von Thränen triefen,

136
Von Thränen, ausgekocht vom Blute, da

Die beiden Rinier, arge Raubgesellen,[146]
Die man die Straßen hart bekriegen sah –“

139
Hier wandt’ er sich, rückeilend durch die Wellen.[147]
_______________


[72]
Dreizehnter Gesang.[148]
VII. Kreis 2. Ring. Selbstmörder, als klagende Bäume, (der Kanzler Peter v. Vineis) und Spieler.

1
Noch war nicht Nessus jenseits am Gestade,

Da schritten wir in einen Wald voll Graun,
Und nirgend war die Spur von einem Pfade.

4
Nicht grün war dort das Laub, nur schwärzlich braun,

Nicht glatt ein Zweig, nur knotige, verwirrte,
Nicht Frucht daran, nur gift’ger Dorn zu schaun.

7
Nie bei Cornet und der Cecina irrte[149]

Damhirsch und Eber durch so dichten Hain,
Dies Wild, das nie die Saat des Feldes kirrte.

10
Hier aber nisten die Harpy’n sich ein,[150]

Die, von den Inseln Troja’s Volk zu scheuchen,
Es ängsteten mit Unglücks-Prophezein,

13
Mit breiten Schwingen, Federn an den Bäuchen,

Klau’n an den Füßen, menschlich von Gesicht,
Wehklagend aus den seltsamen Gesträuchen.

16
„Bevor du eindringst, wisse, dich umflicht,“[151]

Sprach Er, „der zweite Binnenkreis; zu schauen
Indeß du weiter gehst, versäume nicht,

19
Bis daß wir kommen in des Sandmeer’s Grauen;

Und gieb wohl Acht, denn Allem, was ich sprach,
Wirst du dann durch den Augenschein vertrauen.“

22
[73] Schon hört’ ich rings Geheul und O und Ach,

Doch sah ich Keinen, der so ächzt’ und schnaubte,
So daß mein Knie mir fast vor Schauder brach.

25
Ich glaub’, er mochte glauben, daß ich glaubte,

Verborgne stöhnten aus dem dunkeln Raum,
Die mir zu sehn das Dickicht nicht erlaubte.

28
„Brich nur ein Zweiglein ab von einem Baum,“

Begann mein Meister, „und du wirst entdecken,
Was du vermuthest, sei ein leerer Traum.“

31
Da säumt’ ich nicht, die Finger auszustrecken,

Riß einen Zweig von einem großen Dorn,
Und plötzlich schrie der Stumpf zu meinem Schrecken:

34
„Warum mich brechen?“ drauf ein blut’ger Born

Aus ihm entquoll, und diese Wort’ erklangen:
„Was peinigt uns dein mitleidloser Zorn?

37
Uns, Menschen einst, von Rinden jetzt umfangen.

Wohl größre Schonung ziemte deiner Hand,
Und wären wir auch Seelen nur von Schlangen.“

40
Gleichwie ein grüner Ast, hier angebrannt,

Dort ächzt und sprüht, wenn aufgelöst in Winde,[152]
Der feuchte Dunst den Weg nach außen fand;

43
So drangen Wort und Blut aus Holz und Rinde,

Und mir entsank das Reis, daß ich geraubt;
Dann stand ich dort, als ob ich Furcht empfinde.

46
„Verletzte Seele, hätt’ er je geglaubt.[153]

Was früher schon ihm mein Gedicht entdeckte,“
So sprach Virgil, „nie hätt’ er sich’s erlaubt.

[74]
49
Wenn er die Hand nach deinem Aste streckte,

So reut’s mich jetzt, daß, weil’s unglaublich schien,
Ich Lust in ihm zu solcher That erweckte.

52
Doch sag ihm, wer du warst. Er wird, wenn ihn

Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
Dort frisch ans Licht dein Angedenken ziehn.“

55
Der Stamm: „Lockspeise ist im Wort, dem süßen,[154]

Die mich zum Sprechen treibt; mag euch’s, wenn mich
Der Drang beim Reden festhält, nicht verdrießen.

58
Ich bin’s, der einst das Herz des Friederich

Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen,
Und sie so sanft und leis gedreht, daß Ich,

61
Nur ich, sonst Keiner, sein Vertraun genossen –

Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
Weiht’ ich dem hohen Amt mich unverdrossen.

64
Die Metze, die mit buhlerischer Glut[155]

Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
Sie, aller Höfe Laster und Sünd’ und Wuth,

67
Schürt’ an, bis Alles gegen mich entbrannte,

Und Alle schürten Friedrichs Gluten an,
Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.

70
Da hat mein zornentbrannter Geist, im Wahn,

[75] Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden,
Mir, dem Gerechten, Unrecht angethan.

73
Bei diesen Wurzeln schwör’ ich, diesen Rinden:

Stets war’s um meine Treue wohl bestellt
Für ihn, der werth war, ew’gen Ruhm zu finden.

76
Kehrt einer je von euch zurück zur Welt,

So mög’ er dort mein Angedenken heben,
Das jener Streich des Neids noch niederhält.“

79
Hier hielt er an, ich aber schwieg mit Beben.

Da sprach der Dichter: „Ohne Zeitverlust
Frag’ ihn, er wird auf Alles Antwort geben.“

82
Ich aber: „„Frag’ ihn selbst. Dir ist bewußt,

Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
Ich könnt’ es nicht, denn Leid drückt meine Brust.““

85
Und Er: „Soll einst, was du ihm aufgetragen,

Er frei vollziehn, dann, o gefang’ner Geist,
Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,

88
Wie dieser Stämme Band die Seel’ umkreist?

Und ob den Rinden, die sich um sie legen,
Gleich Gliedern, jemals eine sich entreißt?“

91
Und zischend schien es sich im Stamm zu regen,

Dann aber ward das Weh’n zu diesem Wort:
„In kurzer Rede sag’ ich dies dagegen:[156]

94
Wenn die vom Leib’ sich trennen, welche dort

Sich frevelhaft in wildem Grimm entleiben,
Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.

97
Hier fallen sie, wie sie die Stürme treiben,

In diesem Wald nach Zufall, ohne Wahl,

[76]

Um wie ein Speltkorn wuchernd zu bekleiben.

100
So wachsen Büsch’ und Bäum’ in diesem Thal,

Und die Harpy’n, die sich vom Laube weiden,
Sie machen Qual, und Lust[WS 5] auch für die Qual.

103
Einst eilen wir nach unserm Leib, doch kleiden

Uns nie darein; denn was man selbst sich nahm,
Will Gott uns nimmer wieder neu bescheiden.

106
Wir schleppen ihn in diesen Wald voll Gram,

Und jeder Leib wird an den Baum gehangen,
Den hier zur ew’gen Haft sein Geist bekam.“ –

109
Wir horchten auf den Stamm noch voll Verlangen,[157]

Mehr zu vernehmen, als urplötzlich schnell
Schrei’n und Getos zu unsern Ohren drangen,

112
Als ob hier Eber, Hund und Jagdgesell,

Die ganze Jagd, heran laut tosend brauste
Mit Waldes-Rauschen, Schreien und Gebell. –

115
Und sieh, linksher, zwei Nackende, Zerzauste,

Fortstürmen, wie vom Aeußersten bedroht,
Daß das Gezweig zertrümmert kracht’ und sauste.

118
Der Vordre schrie: „Zu Hilfe, komm’, o Tod!“

Dem Andern schien’s, daß es mehr Eile brauche;
Lan,“ rief er, „dort bei Toppo in der Noth[158]

121
Schien nicht dein Fußwerk gut zu dem Gebrauche.“

Dann, weil erschöpft vielleicht des Odems Rest,
Macht’ er ein Knäul aus sich und einem Strauche.

124
[77] Sieh schwarze Hunde, durchs Gestrüpp gepreßt,

Schnell hinterdrein, die wild die Läufe streckten,
Wie Doggen, die man von der Kett’ entläßt!

127
Sie schlugen ihre Zähn’ in den Versteckten,

Zerrissen ihn und trugen stückweis dann
Die Glieder fort, die frischen, blutbefleckten.

130
Mein Führer faßte bei der Hand mich an

Und führte mich zum Busche, der vergebens
Aus Rissen klagte, welchen Blut entrann.

133
Er sprach: „Was machtest du doch eitlen Strebens,[159]

O Jakob, meinen Busch zu deiner Hut?
Trag’ ich die Schulden deines Lasterlebens?“

136
Mein Meister, dessen Schritt bei ihm geruht,

Sprach: „Wer bist du? Warum aus so viel Rissen
Hauchst du zugleich die Schmerzensred’ und Blut?“

139
Und Er: „Ihr Seelen, die ihr kommt, zu wissen,

Wie harte Schmach ich hier erdulden muß,
Zu sehn, wie man mir so mein Laub entrissen,

142
O sammelt’s an des traur’gen Stammes Fuß.

Ich bin aus jener Stadt, die statt des alten[160]

[78]

Den Täufer wählt als Schutzherrn. Voll Verdruß

145
Wird jener drum als Feind ihr grausam walten,

Und hätte man nicht noch sein Bild geschaut,
Das dort sich auf der Arnobrück’ erhalten,

148
Die Bürger, die sie wieder aufgebaut

Vom Brand des Attila, aus Schutt und Grause,
Sie hätten ihrer Müh’ umsonst vertraut.

151
Den Galgen macht’ ich mir aus meinem Hause.“
_______________

Vierzehnter Gesang.
VII. Kreis 3. Ring. Lästerer, Wucherer, Unnatürliche, im glühenden Sand. Kapaneus. Der Greis von Kreta. 3ter Höllenfluß.

1
Weil ich der Vaterstadt mit Rührung dachte,

Las ich das Laub, das ich, das Herz voll Leid,
Zurück zum Stamm, der kaum noch ächzte, brachte.

4
Drauf kamen wir zur Grenz’ in kurzer Zeit

Vom zweiten Binnenkreis, und sahn im dritten
Ein grauses Kunstwerk der Gerechtigkeit.[161]

7
Denn dort eröffnete vor unsern Schritten

Und unsern Blicken sich ein ebnes Land,
Deß Boden nimmer Pflanz’ und Gras gelitten.

10
Und wie sich um den Wald der Graben wand,[162]

[78] War dieses von dem Schmerzenswald umwunden.
Hier weilten wir an beider Kreise Rand.

13
Dort ward ein tiefer, dürrer Sand gefunden,

Der dem, den Cato’s Füße stampften, glich,[163]
Wie wir vernehmen aus den alten Kunden.

16
O Gottes Rache! Jeder fürchte dich,

Dem, was ich sah’ mein Lied wird offenbaren,
Und wende schnell vom Lasterwege sich.

19
Denn nackte Seelen sah ich dort in Schaaren,

Die, alle klagend jämmerlich und schwer,
Doch sich nicht gleich in ihren Strafen waren.

22
Die lagen rücklings auf der Erd’ umher,

Die sah ich sich zusammenkrümmend kauern,
Noch Andre gingen immer hin und her.

25
Die Mehrzahl mußt’ im Gehn die Straf’ erdauern.

Der Liegenden war die gering’re Zahl,
Doch mehr gedrängt zum Klagen und zum Trauern.

28
Langsamen Falls sah ich mit rothem Strahl

Hernieder breite Feuerflocken wallen,
Wie Schnee bei stiller Luft im Alpenthal.

31
Wie Alexander einstens Feuerballen,[164]

Heiß bis zur Erde, sah auf seine Schaar
In jener heißen Gegend Indiens fallen,

34
Daher sein Volk, vorbeugend der Gefahr,

Den Boden stampfen mußt’, um sie zu tödten,
Weil einzeln sie zu tilgen leichter war;

37
So sah ich von der Glut den Boden röthen;

Wie unterm Stahle Schwamm, entglomm der Sand,
Wodurch die Qualen zwiefach sich erhöhten.

40
Nie hatten hier die Hände Stillestand,

Und hier- und dorthin sah ich sie bewegen,
Abschüttelnd von der Haut den frischen Brand.

43
Da sprach ich: „„Du, dem Alles unterlegen,

Bis auf die Geister, die sich dort voll Wuth
Am Thor zur Wehr gestellt und dir entgegen,

[80]
46
Wer ist der Große, welcher, diese Glut

Verachtend, liegt, die Blicke trotzig hebend,
Noch nicht erreicht von dieser Feuerflut?““

49
Und jener rief, mir selber Antwort gebend,

Weil er gemerkt, daß ich nach ihm gefragt,
Uns grimmig zu: „Todt bin ich, wie einst lebend.

52
Sei auch mit Arbeit Jovis Schmied geplagt,[165]

Von welchem Er den spitzen Pfeil bekommen,
Den er zuletzt in meine Brust gejagt;

55
Sei auch zu Hilf’ die ganze Schaar genommen,

Die rastlos schmiedet in des Aetna Nacht;
Hilf, hilf, Vulkan! so schrei er zornentglommen,

58
Wie er bei Phlägra that in jener Schlacht,

und machtvoll sei auf mich sein Blitz geschwungen: –
Er wiss’, daß nie ihm frohe Rache lacht –“

61
Da hob so stark, wie sie mir nie erklungen,

Mein Meister seine Stimm’, ihm zuzuschrei’n:
„O Kapaneus, daß ewig unbezwungen[166]

64
Dich Hochmuth nagt, ist deine wahre Pein,

Denn keine Marter, als dein eignes Wüthen,
Kann deiner Wuth vollkommne Strafe sein.“

67
Drauf schien des Meisters Zorn sich zu begüten.

Von jenen Sieben war er, sagt’ er mir,
Die Theben zu erobern sich bemühten.

70
Er höhnt, so scheint’s, noch Gott in wilder Gier,

Und, wie ich sprach, sein Stolz bleibt seine Schande,
Sein Trotz des Busens wohlverdiente Zier.

73
Jetzt folge mir, doch vor dem heißen Sande

Verwahr’ im Gehen sorglich deinen Fuß,
Und halte nah dich an des Waldes Rande.

76
[81] Ich ging und schwieg, und einen kleinen Fluß,

Sah ich diesseits des Waldes sprudelnd quellen,
Vor dessen Röth’ ich jetzt noch schaudern muß.

79
Dem Bach aus jenem Sprudel gleichzustellen,[167]

Der Buhlerinnen schändlichem Verein,
Floß er den Sand hinab mit dunklen Wellen.

82
Und Grund und Ufer waren dort von Stein,

Auch beide Ränder, die den Fluß umfassen,
Drum mußte hier der Weg hinüber sein.

85
„Von allem, was ich noch dich sehen lassen,

Seit wir durch jenes Thor hier eingekehrt,
Das uns, wie Alle, ruhig eingelassen,

88
War noch bis jetzt nichts so bemerkenswerth,

Als dieser Fluß, zu dem du eben ziehest,
Der über sich die Flämmchen schnell verzehrt.“

91
So Er zu mir, und ich darauf: „„Du siehest[168]
[82]

Mich lüstern schon genug, drum speist’ ich gern;
Gib Kost nun, wie du Essenslust verliehest.““

94
Und Er: „Wüst liegt ein Land im Meere fern,

Das Kreta hieß, und Keuschheit hat gewaltet,
Als noch die Welt stand unter seinem Herrn.

97
Ein Berg dort, Ida, war einst schön gestaltet,

Mit Quellen, Laub und Bäumen reich geschmückt,
Jetzt ist er öd, verwittert und veraltet.

100
Dorthin hat Rhea ihren Sohn entrückt,

Und, alle Späher listig hintergehend,
Des Kindes Schrei’n durch Lärmen unterdrückt.

103
Ein hoher Greis ist drin, grad’ aufrecht stehend,

Den Rücken nach Damiette hingewandt,
Nach Rom hin, wie in seinen Spiegel, sehend;

106
Das Haupt von feinem Gold; Brust, Arm und Hand

Von reinem Silber; weiter dann hernieder
Von Kupfer nur bis an der Hüften Rand;

109
Von tücht’gem Eisen bis zur Sohle nieder;

Nur von gebranntem Ton der rechte Fuß,
Doch ruht auf diesem meist die Last der Glieder

112
Das Gold allein ist von gediegnem Guß;

Die andern haben Spalt und träufeln Zähren,
Und diese brechen durch die Grott’ als Fluß,

115
Um ihren Lauf nach diesem Thal zu kehren,

Als Acheron, als Styx, als Phlegethon,
Und bilden, wenn sie zu den tiefsten Sphären

118
Durch diesen engen Graben hingeflohn,

Dort den Cocyt; doch nahst du diesem Teiche
Bald selber dich, drum hier nichts mehr davon.“

121
Und ich zu ihm: „„Wenn auf der Erd’, im Reiche

Des Tages, schon der kleine Fluß entstund,
Wie kommt es, daß ich ihn erst hier erreiche?““

124
Und Er zu mir: „Du weißt, der Ort ist rund,

Und ob wir gleich schon tief hernieder drangen,
Doch haben wir, da wir uns links zum Grund

127
[83] Herabgewandt, den Kreis nicht ganz umgangen,

Und wenn du auch noch manches Neue siehst,
Mag Staunen drum dein Auge nicht befangen.“

130
„„Sprich noch, wo Phlegethon, wo Lethe fließt?

Du schweigst von der; von jenem hört’ ich sagen,
Daß er aus diesem Regen sich ergießt.““

133
So ich; und Er: „Gern hör’ ich deine Fragen,

Doch sollte wohl des rothen Wassers Sud[169]
Auf jene selbst die Antwort in sich tragen.

136
Nicht in der Hölle fließt der Lethe Flut,[170]

Dort siehst du sie beim großen Seelenbade,
Wenn die bereute Schuld auf ewig ruht.“

139
Und drauf: „Jetzt weg vom Wald, und komm gerade[171]

Denselben Weg, den meine Spur dich lehrt;
Die Ränder, nicht entzündet, bilden Pfade,

142
Und über ihnen wird der Dunst verzehrt.“
_______________

Fünfzehnter Gesang.
VII. Kreis. 3. Ring. Sodomiter. Brunetto, Dante’s Lehrer.

1
Wir gehen nun auf hartem Rand zusammen,

Und feuchter Dampf, den Bach umnebelnd, schützt
Das Wasser und die Dämme vor den Flammen.

[84]
4
So wie sein Land der Flandrer unterstützt,

Bang vor der Springflut Ansturz, die vom Baue
Des festen Damms rückprallend schäumt und spritzt;

7
Wie längs der Brenta Schloß und Dorf und Aue

Die Paduaner sorglich wohl verwahrt,
Bevor der Chiarentana Frost erlaue;[172]

10
So war der Damm auch hier von gleicher Art,

Nur daß in minder hohen, dicken Massen
Vom Meister dieser Bau errichtet ward.

13
Schon weit zurück hatt’ ich den Wald gelassen,[173]

So daß der Blick, nach ihm zurückgewandt,
Nicht mehr vermögend war, ihn zu erfassen.

16
Da kam am Fluß des Damms ein Schwarm gerannt,

Und wie am Neumond bei des Abends Grauen
Nach dem und jenen man die Blicke spannt,

19
So sahn wir sie auf uns nach oben schauen;

Und wie der alte Schneider nach dem Oehr,[174]
So spitzten sie nach uns die Augenbrauen.

22
Und wie sie alle gafften, faßte Wer,

Mich bei dem Saum, indem er mich erkannte,
Und rief erstaunt: „Welch Wunder! Du? Woher?“

25
Als er nach mir den Arm ausstreckte, wandte

Ich ihm den Blick aufs Angesicht, das schier
Geröstet war; doch zeigte das verbrannte

28
[85] Sogleich die wohlbekannten Züge mir;

Ich neigte drum mein Antlitz zu dem seinen,
Und rief: „„Ach, Herr Brunetto, seid ihr hier?““[175]

31
Und Er: „Mein Sohn, nicht mag dir’s lästig scheinen,

Zurückzugehn, denn gern wohl spräch’ ich dich.
Laß die vorbeiziehn, die mit mir erscheinen.“

34
„„Ich bitt’ euch selbst darum,““ entgegnet’ ich,

„„Daher ich gern mit euch mich setzen werde,
Wenn’s dieser billigt, denn Er leitet mich.““

37
„Ach Sohn, wer stille steht von dieser Heerde,[176]

Muß unbeweglich hundert Jahr hernach
Daliegen, Glut erduldend, auf der Erde.

40
Drum geh’, ich folge deinem Tritte nach,

Bis wir aufs Neu zu meiner Rotte kommen,
Die ewig läuft, beweinend ihre Schmach.“

43
Gern wär’ ich neben ihn hinabgeklommen,

Doch wagt’ ichs nicht und ging, das Haupt geneigt,
Wie wer da geht von Ehrfurcht eingenommen.

46
„Du, welcher vor[WS 6] dem Tod herniedersteigt,“

Begann er nun, welch Schicksal führt dein Streben?

[86]

Und wer ist der, so dir die Pfade zeigt?“

49
„„Dort oben,““ sprach ich, „„in dem heitern Leben

War ich, eh’ reif mein Alter, ohne Rath
Verirrt und rings von einem Thal umgeben,

52
Aus dem ich eben gestern Morgens trat.

Schon kehrt’ ich mich zurück, da kam mein Leiter
Und führt’ mich wieder heim auf diesem Pfad.““

55
Drauf sprach Er: „Folgst du meinem Sterne weiter,[177]

Dann, wenn ich recht bemerkt im Leben, schafft
Er dich zum Hafen, ehrenvoll und heiter.

58
Und hätte mich der Tod nicht weggerafft,

Hätt’ ich, da dir so hold die Sterne waren,
Dich selbst zum Werk beseelt mit Muth und Kraft.

61
Doch jenem Volk von Schnöden, Undankbaren,

Das niederstieg von Fiēsŏle und fast[178]
Des Bruchsteins Härte noch scheint zu bewahren,

64
Ihm bist du, weil du wacker thust, verhaßt;

Mit Recht, weil übel stets zu Dorngewinden
Mit herber Frucht die süße Feige paßt,

67
Man heißt sie dort nach altem Ruf die Blinden,[179]

Voll Geiz, Neid, Hochmuth, faul an Schaal’ und Kern –
Laß rein dich stets von ihren Sitten finden!

70
So großen Ruhm bewahrt dir noch dein Stern,[180]

[87] Daß beide Theile hungrig nach dir ringen,
Doch dieses Kraut bleibt ihrem Schnabel fern.

73
Das Fiesolaner Vieh mag sich verschlingen,

Sich gegenseits, doch nie berühr’s ein Kraut,
– Kann noch sein Mist hervor ein solches bringen –

76
In dem man neu belebt den Samen schaut

Von jenen Römern, welche dort geblieben,
Als man dies Nest der Bosheit auferbaut.

79
„„War einst, was ich gewünscht, des Herrn Belieben““

Entgegnet’ ich, „„gewiß, ihr wäret nicht
Noch aus der menschlichen Natur vertrieben.

82
Das theure, gute Vater-Angesicht,

Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht

85
Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,

Und wie mir dies noch theuer ist und werth,
Soll kund, so lang’ ich bin, die Zunge geben.

88
Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,

Bewahr’ ich wohl. – Werd’ ich die Herrin schauen,
Nebst anderm Text wird mir auch dies erklärt.[181]

91
Dem aber, will ich, sollt ihr fest vertrauen:

Ist’s nur mit dem Gewissen wohl bestellt,[182]
Dann macht kein Schicksal, wie’s auch sei, mir Grauen.

94
Mir ist nicht neu, was eure Red’ enthält,

Doch mag der Bauer seine Hacke schwingen,
Und seinen Kreis das Glück, wie’s ihm gefällt.““

97
Rechts kehrte sich Virgil, indem wir gingen,

Nach mir zurück und sah mich an und sprach:
„Recht hören, die’s behalten und vollbringen.“[183]

100
Ich aber ließ drum nicht im Sprechen nach,

Und wünschte die berühmtesten zu kennen

[88]

Von den Genossen dieser Pein und Schmach

103
Drauf Herr Brunett: „Gut ist es, Ein’ge nennen,

So wie von andern schweigen löblich scheint,
Auch müssen wir zu bald uns wieder trennen.

106
Gelehrte sind und Pfaffen hier vereint

Von großem Ruf, die einst besudelt waren
Mit jenem Fehl, den Jeder nun beweint.

109
Franz von Accorso geht in diesen Schaaren,[184]

Auch Priscian, und war dir’s nicht zu schlecht,[185]
Vorhin so schnöden Aussatz zu gewahren,

112
So sahst du Jenen, den der Knechte Knecht[186]

Zwang, nach Vicenz vom Arno aufzubrechen,
AIIwo der Tod sein toll Gelüst gerächt.

115
Gern sagt’ ich mehr – doch mit dir gehn und sprechen

Darf ich nicht länger, denn schon hebt sich dicht
Ein neuer Rauch auf jenen sand’gen Flächen.

118
Auch naht hier Volk, von dem mich das Gericht

Geschieden hat – Mein Schatz sei dir empfohlen,
Ich leb’ in ihm noch – mehr begehr ich nicht.“

121
Hier wandt’ er sich, die Andern einzuholen,

Wie nach dem Ziel mit grünem Tuch geziert,
Der Veroneser läuft mit flücht’gen Sohlen

124
Und schien, wie wer gewinnt, nicht wer verliert.[187]
_______________

Sechszehnter Gesang.
3. Ring, Forts. Guido Guerra. Rusticucci. Zum 8. Kreis.

1
Von fernher hallte schon des Falles Brausen,[188]

Der mächtig stürzte in das nächste Thal,
[89] Gleich eines Bienenschwarmes dumpfem Sausen.

4
Da rannten Schatten her, drei an der Zahl,

Und trennten sich von einer größern Bande,
Die hinlief durch des Feuerregens Qual,

7
Und schrien: „Halt du, wir sehn es am Gewande

Dir deutlich an, du bist hierher versetzt
Aus unserm eignen schnöden Vaterlande.“

10
Ach, alt’ und neue Wunden, eingeätzt

Von Flammen, sah ich nun in ihrem Fleische,
Und denk’ ich dran, so jammert’s mich noch jetzt.

13
Mein Meister horcht’ auf dieses Schmerzgekreische,

Und sah mich an und sprach: „Hier harren wir!
Bedenke jetzt, was Höflichkeit erheische.

16
Denn wäre nicht der Feuerregen hier,[189]

Nach der Natur des Orts, so sagt’ ich: „Eile
Gezieme jetzo, mehr als ihnen, dir.“

19
Ich stand und hörte neu ihr alt Geheule;

Zu uns gekommen, faßten Alle nun,
Sich an, im Rad sich drehend ohne Weile.

22
Wie nackende gesalbte Kämpfer thun,[190]

Die Griff und Vortheil zu erforschen pflegen,
Indessen noch die Püff’ und Stöße ruhn;

25
So sah ich sie im Kreise sich bewegen,

Mir immerdar das Antlitz zugewandt,
Und Hals und Fuß an Richtung sich entgegen.

[90]
28
Und Einer sprach: „Wenn dieser lockre Sand

Und unsre Noth uns auch verächtlich machte
Und unser Anseh’n, elend und verbrannt,

31
Doch unsres Namens halb’ das Fleh’n beachte;

Sprich, wer du bist? wie lebend hier erscheinst?
Und was dich sicher her zur Hölle brachte?

34
Der, welchem du mich folgen siehst, war einst,

Muß er auch nackt hier und geschunden rennen,
Von höherm Range wohl, als du vermeinst.

37
Wer hörte nicht Gualdradas’ Enkel nennen,[191]

Der guten? – Guidoguerra, dessen Geist
Und Rath wie Schwert wir all’ als tüchtig kennen?

40
Der hinter mir den lockern Sand durchkreist,

Tegghiajo ist’s, deß Rat man noch auf Erden,[192]
Obwohl man ihm nicht folgt’, als heilsam preist.

43
Ich, ihr Genoß in schrecklichen Beschwerden,

Bin Jacob Rusticucci, und mich ließ[193]
Mein böses, wildes Weib so elend werden.“ –

46
Wenn irgend was vor’m Feuer Schutz verhieß,

So stürzt’ ich gern mich unter sie hernieder,
Auch litt, so glaub’ ich, wohl mein Meister dies.

49
[91] Allein verbrannt hätt’ ich auch meine Glieder,

Drum unterdrückte Furcht in mir die Lust,
Die Jammervollen zu umarmen, wieder.

52
„„Nicht der Verachtung bin ich mir bewußt,““

Begann ich, „„nur des Leids für euch Geplagte,
Und schwer verwinden wird es meine Brust.

55
Ich fühlt’ es, als mein Herr mir Worte sagte,

Durch welche mir es deutlich ward und klar,
Daß, wer hier komme, hoch auf Erden ragte.

58
Ich bin aus eurer Stadt, und nimmerdar

Wird eures Thuns ruhmvoll Gedächtniß schwinden,
Das immer mir auch lieb und theuer war.

61
Ich ließ[WS 7] die Gall’, um süße Frucht zu finden,[194]

Die mein wahrhafter Führer prophezeit,
Doch muß ich erst zum Mittelpunkt mich winden.““[195]

64
„Soll lang noch deine Seele das Geleit

Der Glieder sein,“ so sprach nun Er dagegen,
„Soll leuchten noch dein Ruf nach deiner Zeit,

67
So sage mir, bewohnen, wie sie pflegen,

Wohl unsre Stadt noch Kraft und Edelmuth?
Sind sie verbannt und völlig unterlegen?

70
Denn Borsiere, welcher diese Glut[196]

Seit Kurzem theilt, und dort mit Andern schreitet,
Erzählt’ uns Manches, was uns wehe thut! –“

73
„„Neu Volk und schleuniger Gewinn verleitet[197]
[92]

Zu Unmaß dich und Stolz, der dich bethört,
Florenz, und dir viel Leiden schon bereitet!““

76
Ich rief’s, das Aug’ emporgewandt, verstört.

Starr sahn die Drei sich an bei meinen Reden,
Wie man sich anstarrt, wenn man Wahrheit hört.

79
„Wenn dir’s gelingt, daß du so, wie uns, Jeden[198]

Befried’gen kannst,“ war Aller Gegenwort,
„Dann bist du glücklich, also frei zu reden.

82
Entkommst du einst aus diesem dunklen Ort,

Und siehst den Sternenglanz, den schönen, süßen,
Und sagst dann froh und heiter: Ich war dort,

85
Vergiß dann nicht, die Welt von uns zu grüßen!“ –

Hier aber brachen sie den Kreis und flohn
Voll Eil’ und wie mit Flügeln an den Füßen.

88
Eh’ man ein Amen ausspricht, waren schon

Sie alle drei aus meinem Blick verschwunden,
Drum ging sogleich mein Meister auch davon.

91
Ich folgt’ ihm nach, um weitres zu erkunden,

Worauf uns bald des Stroms Gebraus erklang,
So nah, daß wir uns sprechend kaum verstunden.

94
Gleich jenem Flusse mit dem eignen Gang,[199]

Deß Fluten ostwärts vom Berg Veso toben
Entströmt dem linken Apenninenhang,

97
– Das stille Wasser heißt er erst dort oben,

Dann senkt er sich und wird bei Forli bald
Des ersten Namens wiederum enthoben –

100
Deß Sturz dort ob Sanct Benedict erschallt,

Wo seine Wellen in den Abhang brausen,
[93] Der groß für Tausend ist zum Aufenthalt:[200]

103
So brach von einem Felsenhang voll Grausen[201]

Der dunkelfarb’ge Fluß sich brüllend Bahn,
Und kaum ertrug das Ohr sein wildes Sausen.

106
Mit einem Stricke war ich umgethan,[202]

Und manches Mal mit diesem Gurte dachte
Ich das gefleckte Panthertier zu fahn.

109
Nachdem ich los von mir den Gürtel machte,

Wie ich vom Führer mir geboten fand,
Macht’ ich ein Knäuel draus, das ich ihm brachte.

112
Er aber kehrte dann sich rechter Hand

Und schleuderte zum tiefen Felsenschlunde
Das Knäul hinunter ziemlich weit vom Rand.

115
„„Entsprechend““ dacht’ ich, „„muß die neue Kunde

Dem neuen Wink und diesem Blicke sein,
Womit mein Meister schaut zum tiefen Grunde.““

118
O wie behutsam sollten wir doch sein[203]

Mit solchen, die des Herzens Sinn erspähen,
Und nicht sich halten an die That allein.

121
Er sprach: „Bald werden wir auftauchen sehen,

Was ich erwart’; und das, was du gedacht,
Wird deutlich bald vor deinen Blicken stehen.“

124
Bei Wahrheit, die der Lüge gleicht, habt Acht,

So viel ihr könnt, euch nimmer auszusprechen,

[94]

Sonst werdet ihr ohn’ eure Schuld verlacht.

127
Doch kann ich mich zu reden nicht entbrechen,

Und schwör’, o Leser, dir, bei dem Gedicht,
Dem nimmer möge Huld und Gunst gebrechen:

130
Ich sah durch jene Lüfte schwarz und dicht

Ein Bild nach oben schwimmend, sich erheben,
Dem Kühnsten wohl ein wunderbar Gesicht,

133
Wie Jemand kehrt, der sich hinab begeben,[204]

Den Anker, der im Felsenrisse steckt,
Zu lösen, wenn er sich beim Aufwärtsstreben

136
Von unten einzieht und nach oben streckt.
_______________

Siebzehnter Gesang.
Geryon. Letzte des 3. Rings: Wucherer. Abfahrt.

1
„Sieh hier das Unthier mit dem spitzen Schwanze,[205]

Der Berge spaltet, Mauer bricht und Thor!
[95] Sieh, was mit Stank erfüllt das große Ganze!“

4
So hob mein Führer seine Stimm’ empor,

Und rief mit seinem Wink das Thier zum Rande,
Bis nah zu unserm Marmorpfade vor.[206]

7
Da kam des Truges Gräuelbild zum Lande,

Und schob den Kopf und dann den Rumpf heran,
Doch zog es nicht den scharfen Schweif zum Strande.

10
Von Antlitz glich es einem Biedermann,

Und ließ von außen Mild und Huld gewahren,
Doch dann fing die Gestalt des Drachen an,

13
Mit zweien Tatzen, die bedeckt mit Haaren,

Und Rücken, Brust und Seiten, die bemalt
Mit Knoten und mit kleinen Schnörkeln waren;

16
Vielfarbig, wie kein Werk Arachne’s strahlt,

Wie, was auch Türk’ und Tatar je gewoben,
So bunt doch nichts an Grund und Muster prahlt.

19
Wie man den Kahn, im Wasser bald, bald oben,

Am Lande sieht an unsrer Flüsse Strand,
Und wie, zum Kampf den Vorderleib erhoben,

22
Der Biber in der deutschen Fresser Land;[207]

So sah ich jetzt das Ungeheuer, ragend
Und vorgestreckt auf unsers Dammes Rand,

25
Wild zappelnd, mit dem Schweif durch’s Leere schlagend,

Und, mit der Scorpionen Wehr versehn,
Die Gabel windend, und sie aufwärts tragend.

28
Mein Führer sprach: „Jetzt müssen wir uns drehn,

Und auf gewundnem Pfad zum Ungeheuer,
Dorthin, wo’s jetzo liegt, hinuntergehn.“

31
Nun führte rechter Hand mich mein Getreuer[208]
[96]

Nur wenig Schritt hinab am Rande fort,
Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.

34
Und unten angelangt, erkannt’ ich dort

Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord.

37
Mein Meister sprach: „Erkennen sollst du heute

Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
Drum geh’ und sieh, was jenes Volk bedeute.

40
Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.

Ich will indeß mich mit dem Thier vernehmen,
Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leihn.“

43
So mußt’ ich einsam mich zu gehn bequemen

Am Rand des siebenten der Kreis’ und nahm
Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.

46
Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,

Indeß die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hülfe kam.

49
So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,

Wenn Floh’ sie oder Flieg’ und Wespe sticht,
Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.

52
Die Augen wandt’ ich Manchem in’s Gesicht,

Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
Und Keinen kannt’ ich, doch entging mir nicht,

55
Vom Halse hänge Jedem eine Tasche,

Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.

58
Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Thier

Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.

61
[87] Dann blickt’ ich weiter durch dies Qualgefilde,

Und sieh, ein andrer Beutel, blutig roth,
Zeigt’ eine butterweiße Gans im Bilde.

64
Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot

Sich dann dem Blick, und seine Stimm’ erheben
Hört’ ich den Träger: „Du hier vor dem Tod?

67
Fort! fort! doch wisse, weil du noch am Leben,

Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,[209]
Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.

70
Oft schrein mich diese Florentiner an,

Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
Möcht aller Ritter Ausbund endlich nahn!

73
Wo mag doch die Drei-Schnabel-Tasche stecken?“ –

Hier zerrt’ er’s Maul schief und die Zunge zog
Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.

76
Schon fürchtet ich, da ich so lang verzog,

Den Zorn des Meisters, der auf Eil’ gedrungen,
Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.

79
Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen

Und auf das Kreuz des Ungethüms gesetzt.
Er sprach: „Stark sei dein Muth und unbezwungen!

82
Hinunter geht’s auf solchen Leitern jetzt.

Steig’ vorn nur auf, ich wills inmitten fassen,
Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt.“

85
Wie Einer, dem die Nägel schon erblassen[210]

Beim Wechselfieber-Anfall – der nicht wagt,
Ob zitternd schon, den Schatten zu verlassen;

[98]
88
So war ich jetzt bei dem, was er gesagt,

Doch machte mich die Scham, gleich einem Knechte,
Wenn ihm ein güt’ger Herr droht, unverzagt.

91
Drum setzt’ ich auf dem Unthier mich zurechte.

Und bitten wollt’ ich (doch erstarb der Ton),
Daß er mich fest mit seinem Arm umflechte.

94
Doch Er, der oft bei der Dämonen Drohn

Mich unterstützt und der Gefahr entzogen,
Umfaßte mich mit seinen Armen schon.

97
Und sprach: „Geryon, auf! Nun fortgeflogen!

Allein bedenke, wen dein Rücken trägt,[211]
Drum steige sanft hinab in weiten Bogen.“

100
Wie rückwärts sich vom Strand der Kahn bewegt,[212]

Schob sich’s vom Damm, doch, kaum hinabgeklommen,
Ward dann im freien Spielraum umgelegt.

103
Als, wo die Brust war, nun der Schweif gekommen,

Ward dieser, wie ein Aalschweif ausgestreckt,
Und mit dem Tatzenpaar die Luft durchschwommen.

106
So, glaub’ ich, war nicht Phaëton erschreckt,

Als einst die Zügel seiner Hand entgingen,
Beim Himmelsbrand, deß Spur man noch entdeckt;[213]

109
Noch Icarus, als von erwärmten Schwingen

Das Wachs herniedertropft’, bei Dädal’s Schrei’n:
„Dein Weg ist schlecht, dein Flug wird nicht gelingen;“ –

112
[99] Wie ich, nichts sehend, als das Thier allein,

Und rings umher von öder Luft umfangen,
Wo nie entglomm des Lichtes heitrer Schein.

115
Daß wir uns langsam, langsam niederschwangen,

Im Bogenflug, bemerkt’ ich nur beim Wehn
Der Luft von unten her an Stirn und Wangen.

118
Rechts hört’ ich schon das Wirbeln und das Drehn

Des Wasserfalls und sein entsetzlich Brausen,
Und bog mich vorwärts, um hinabzusehn.

121
Doch schüchtern wieder bei des Abgrunds Sausen,

Bei Klag’ und Glut, die ich vernahm und sah,
Duckt’ ich mich hin und zitterte vor Grausen.

124
Was ich erst nicht gesehn, das sah ich da:

Wie wir im weiten Kreis hinunterstiegen,
Und sah mich überall den Qualen nah.

127
Gleichwie ein Falk, wenn er nach langem Wiegen

In hoher Luft nicht Raub noch Lockbild sieht,
Und ihn der Falkner ruft, herabzufliegen,

130
So schnell er stieg, so langsam niederzieht,

Dann, zürnend seinem Herrn, auf luft’gen Pfaden
Im Bogenflug zum fernsten Baume flieht;

133
So setzt’ uns an den steilen Felsgestaden

Geryon ab und flog in großer Eil’,
Sobald er nur sich unsrer Last entladen,

136
Hinweg, gleich einem abgeschnellten Pfeil.
_______________

Achtzehnter Gesang.
VIII. Kreis. 1. u. 2. Bulge. Kuppler und Schmeichler.

1
Ein Ort der Hölle, namens Uebelsäcken,[214]

Ist eisenfarbig, ganz erbaut von Stein,

[100]

So auch die Dämme, die ringsum ihn decken.

4
Grad in der Mitte dieses Lands der Pein

Gähnt hohl ein Brunnen, weit, mit tiefem Schlunde,
Von dem wird seines Orts die Rede sein.

7
Und zwischen Höhl’ und Felswand gehn im Runde

Rings so die Dämme, daß der Thäler zehn
Abschnitte bilden in dem tiefen Grunde.

10
Wie um ein Schloß mehrfache Gräben gehn,

Dahinter wohlverwahrt die Mauern ragen,
Und sicherer den Feinden widerstehn:

13
So war umgürtet dieser Ort der Plagen;

Und wie man Brücken pflegt zum andern Strand
Aus solcher festen Schlösser Thor zu schlagen,

16
So sprangen Zacken aus der Felsenwand,

Durchschnitten Wäll’ und Gräben erst und gingen
Wie Räderspeichen bis zum Brunnenrand.

19
Kaum konnten wir vom Kreuz Geryons springen,[215]

So ging links hin mein Meister, und befahl
Auch mir, auf seinen Spuren vorzudringen.

22
Und ganz erfüllt sah ich das erste Thal

Rechts, wohin Klagen meine Blicke riefen,
Von neuen Peinigern und neuer Qual.

25
Es waren nackte Sünder in den Tiefen,[216]

[101] Getheilt, denn hier zog gegen uns die Schaar,
Und dort mit uns, nur daß sie schneller liefen:

28
Gleichwie man jüngst in Rom beim Jubeljahr

Zum Uebergang die Brücke herzurichten
Gewußt, ob großen Andrangs, also zwar,

31
Daß hier gewendet sind mit den Gesichten,

Die zu Sanct Peter wallen, nach dem Schloß –
Die Andern dort sich nach dem Berge richten.

34
Auf schwarzem Stein sprang hier und dort ein Troß

Von Teufeln nach, von schrecklichen, gehörnten,
Die schlugen wild auf sie von hinten los.

37
Wie sie beim ersten Schlage laufen lernten!

Wie sie, nicht wartend auf den zweiten Hieb,
Mit jähen langen Sprüngen sich entfernten!

40
So fiel auf Einen, den die Geißel trieb,

Mein Auge jetzt hinab, bei dem ich dachte,
Daß er nicht fremd mir auf der Erde blieb.

43
Scharf blickt’ ich hin, damit ich ihn betrachte,

Auch hielt mein Führer an, der’s zugestand,
Daß ich zurück erst ein’ge Schritte machte.

46
Zwar sucht’ er, bodenwärts den Blick gewandt,

Mir mit Gestalt und Angesicht zu geizen,
Doch rief ich, da ich dennoch ihn erkannt:

49
„„Wenn deine Züge nicht zum Irrthum reizen,

So mein’ ich, daß Venedigo du seist;[217]
Doch weshalb steckst du so in scharfen Beizen?““

[102]
52
„Nur ungern sag’ ich’s,“ sprach er drauf, „doch reißt

Die helle Stimm’ mich hin, die mich bezwungen,
Und alte Zeit zurückführt meinem Geist.

55
Ich bin’s, der in Ghisolen so gedrungen,

Daß sie nach des Markgrafen Willen that,
Wie ganz entstellt auch das Gerücht erklungen.

58
Und aus Bologna ist auf gleichem Pfad

An diesen Qualort so viel Volk gekommen,
Als jetzo diese Stadt kaum Bürger hat.[218]

61
Und sollte dir hierbei ein Zweifel kommen,

So denk’, um sicher auf mein Wort zu bau’n,
Wie Habsucht uns die Herzen eingenommen.“

64
Sprach’s, und ein Teufel kam, um einzuhau’n,

Mit hochgeschwungner Geißel her und sagte:
„Fort, Kuppler, fort, hier giebt’s nicht feile Frau’n.“

67
Zum Führer ging ich, da ich bebt’ und zagte,

Und bald gelangten wir an einen Ort,
Wo aus der Wand ein Felsen vorwärts ragte.

70
Und dieser Zacken dient’ als Brücke dort.

Leicht klommen beide wir hinauf und zogen
Rechtshin aus jenen ew’gen Kreisen fort.

73
Bald dort, wo unter uns der Fels als Bogen

Sich höhlt’ und Durchgang der Gepeitschten war,[219]
Sprach Er: „In gleicher Richtung fortgezogen,[220]

76
Sind wir bis jetzt mit jener zweiten Schaar,

Drum konnten wir sie nicht von vorne sehen,
[103] Jetzt aber nimm die Angesichter wahr.“

79
Wir blieben nun am Rand der Brücke stehen

Und sahn den Schwarm, der uns entgegen sprang,
Denn eilig hieß die Geißel Alle gehen.

82
Da sprach mein Hort: „Sieh, noch mit Stolz im Gang,[221]

Den Großen, der sich keine Klag’ erlaubte,
Dem aller Schmerz noch keine Thrän’ entrang,

85
So königlich noch an Gestalt und Haupte!

Der Jason ist’s, der durch Verstand und Muth
Das Widdervließ dem Volk von Kolchis raubte.

88
Nach Lemnos kam er, als in ihrer Wuth

Die Frau’n, die glühend Eifersucht durchzückte,
Vergossen hatten aller Männer Blut;

91
Wo er durch Worte täuschend ausgeschmückte,

Berückt Hypsipylen das junge Herz,
Die alle Frau’n von Lemnos erst berückte.

94
Dort ließ er schwanger sie in ihrem Schmerz.

Dies bracht’ ihn her; und gleiche Straf’ erheischen
Medea’s Leiden, einst ihm Spiel und Scherz.

97
Auch gehn mit ihm, die gleicher Weise täuschen.

Allein dies sei vom ersten Thal genug,
Und denen, so die Geißeln drin zerfleischen.“[222]

100
Im Kreuz den zweiten Damm durchschneidend, trug
[104]

Der Felspfad uns, der, auf den Widerlagen
Der Dämme hier den andern Bogen schlug.

103
Dort, aus dem zweiten Sack, klang dumpfes Klagen,[223]

Und Leute sahn wir tief im Grunde sich
Laut schnaufend mit den flachen Händen schlagen.

106
Der Dämme Seiten waren schimmelig

Vom untern Dunste, der wie Teig dort klebte,
Für Aug’ und Nase feindlich widerlich;

109
Doch vor dem Blick, so sehr ich forschte, schwebte

Noch dunkle Nacht, weil tief der Abgrund ist,
Bis ich des Felsenbogens Höh’ erstrebte.

112
Von hier, wo erst der Blick die Tiefe mißt,

Sah ich viel Leut’ im tiefen Kothe stecken,
Wie in dem Abort er zu finden ist.

115
Ich forscht’ und sah ein Haupt sich vorwärts strecken,

Doch ganz beschmutzt mit Koth, drum konnt’ ich nicht,
Ob’s Lai’, ob Pfaffe sei, genau entdecken.

118
Da schrie er her: „Was bist du so erpicht,

Mich mehr, als andre Schmutz’ge, zu gewahren?“
Und ich: „„Weil, ist mir recht, ich dein Gesicht

121
Bereits gesehn, allein mit trocknen Haaren.

Alex Interminei heißest du,[224]
Drum seh ich mehr auf dich, als jene Schaaren.““

124
Und er, die Stirn sich schlagend, rief mir zu:

„Mich stürzte Schmeichelei herab zur Hölle,
Die meine Zunge übte sonder Ruh.“

127
Da sprach zu mir mein guter Meister: „Stelle

Dich etwas vor, und in die Augen fällt
Dir eine schmutz’ge Dirn’ an jener Stelle.

130
Sieh die Zerzauste, die sich kratzt und krellt

Mit koth’gen Nägeln, jetzt aufs Neue greulich
[105] Im Mist versinkt und jetzt sich aufrecht stellt.

133
Die Hure Thais ist’s, jetzt so abscheulich.[225]

Fragt’ einst ihr Buhl: „Steh ich in Gunst bei dir?“
Versetzte sie: „Ei, ganz erstaunlich! Freilich!“

136
Doch sei gesättigt unsre Schaulust hier.“
_______________

Neunzehnter Gesang.
VIII. Kreis. 3. Bulge. Simonisten. Nikolos III. und andere Päpste.

1
O Simon Magus, ihr, o Arme, Blöde,[226]

Die, was der Tugend ihr vermählen sollt,

[106]

Die Gaben Gottes räuberisch und schnöde,

4
Ihr hingabt schnöd’ um Silber und um Gold,

Von euch soll jetzo die Posaun’ erschallen;
Euch zahlt der dritte Sack der Sünden Sold. –

7
Erstiegen hatten wir die Felsenhallen

Des Stegs, von welchem mitten in den Schooß
Des nächsten Schlunds die Blicke senkrecht fallen.

10
Allweisheit, wie ist deine Kunst so groß,

Im Himmel, auf der Erd’, im Höllenschlunde.
Und wie gerecht vertheilst du jedes Loos:

13
Ich sah dort an den Seiten und im Grunde

Viel Löcher im schwarzbläulichen Gestein,
Gleich weit und sämmtlich ausgehöhlt zum Runde.

16
Sie mochten so, wie jene, wo hinein[227]

Beim Taufstein Sanct Johanns die Täufer treten,
Und enger nicht, doch auch nicht weiter sein.

19
Eins dieser sprengt’ ich einst, weil ich in Nöthen

Ein halbersticktes Kindlein drin entdeckt:
So sei’s besiegelt, so will ich’s vertreten!

22
Ich sah, daß sich aus jedem Loch gestreckt,

Zwei Füß’ und Beine bis zum Dicken fanden,
Der andre Leib blieb innerhalb versteckt;

25
Sah wie die Sohlen beid’ in Flammen standen,

Und sah die Knorren zappeln und sich drehn,
So stark, daß sie wohl sprengten Kett und Banden;

28
Wie wir’s an ölgetränkten Dingen sehn,

Wo obenhin die Flammen flackernd rennen,
So von der Ferse dort bis zu den Zeh’n.

31
[107] „„Gern, Meister,““ sprach ich, „„möcht’ ich diesen kennen,

Der wilder zuckt, als die, so ihm gesellt,
Und dessen beide Sohlen röther brennen.““

34
Und Er: „Ich trage dich, wenn dir’s gefällt,

Am schiefen Hang hinab – Er wird dir zeigen,
Wer einst er war, und was im Loch ihn hält.“

37
Drauf Ich: „„Du bist der Herr, und mein Bezeigen

Folgt dem gern, was mir als dein Wille kund,
Und du verstehst mich auch bei meinem Schweigen.““

40
Drauf ging’s zum vierten Damm, und links zum Schlund[228]

Trug mich mein Herr hinab zu neuen Leiden
In den durchlöcherten und engen Grund.

43
Er ließ mich nicht von seiner Hüfte scheiden,[229]

Auf die er mich gesetzt, bis bei dem Ort
Deß, der da weinte mit den Füßen beiden.

46
„„Du, mit dem Obern unten,““ sprach ich dort,

„„Hier eingerammt gleich einem Pfahl, verkünde:
Wer bist du? sprich, ist dir vergönnt dies Wort.““

49
Ich stand, dem Pfaffen gleich, dem seine Sünde[230]

Der Mörder beichtet, welcher, schon im Loch,
Ihn rückruft, daß der Tod noch Aufschub finde.

52
Da schrie er: „Bonifaz, so kommst du doch,[231]
[108]

So kommst du doch schon jetzt, mich fortzusenden?
Und man versprach dir manche Jahre noch?

55
Schon satt des Guts, ob deß mit frechen Händen

Du trügerisch die schöne Frau geraubt,
Um ungescheut und frevelnd sie zu schänden?“

58
Ich stand verlegen, mit gesenktem Haupt,[232]

Wie wer nicht recht versteht, was er vernommen,[233]
Und sich, beschämt kein Gegenwort erlaubt.

61
Da sprach Virgil: „Was stehst du so beklommen?

Sag’ ihm geschwind, daß du nicht jener seist,
Den er gemeint!“ – Ich eilt’, ihm nachzukommen.

64
Die Füße nun verdrehte wild der Geist,

Und sprach mit Seufzern und mit dumpfen Klagen:
„Was also ist’s, das so dich fragen heißt?

67
Doch standest du nicht an, dich herzuwagen,

Um mich zu kennen, wohl, so sag’ ich dir,
Daß ich den hehren Mantel einst getragen.

70
Der Bärin wahrer Sohn war ich, voll Gier

Für’s Wohl der Bärlein, und für diese steckte
Ich in den Sack dort Gold, mich selber hier.

73
Auch unter meinem Haupt gibt’s viel Versteckte,

Fest eingerammt hier in dem Felsenspalt,
Sie, die vor mir die Simonie befleckte.

76
Und dort hinab versink’ auch ich, sobald

Der kommt, für welchen ich dich angesehen,
Und der mir folgt in diesem Aufenthalt.

79
[109] Doch wird er nicht so lang, als mir geschehen,

Die Füße brennend, köpflings eingesteckt,
Fest eingepfählt in diesem Loche stehen.

82
Denn nach ihm kommt, mit schlechterm Thun befleckt,[234]

Ein Hirt von Westen, ein gesetzlos Wesen,
Der mich und ihn hinab zur Tiefe schreckt.

85
Ein neuer Jason ist’s, von dem zu lesen[235]

Im Maccabäer-Buch, dem Philipp wird,
Was diesem einst Antiochus gewesen.“

88
Ich weiß nicht, ob ich nicht zu sehr geirrt,[236]

Auf solche Red’ ihm dieses zu versetzen:
„„Sprich, was verlangt einst unser Herr und Hirt,

91
Zuerst von Petrus wohl an Gold und Schätzen,

Um ihm das Amt der Schlüssel zu verleihn?
„Komm, sprach er, um mein Werk nun fortzusetzen!“

94
Was trug’s dem Petrus und den Andern ein,[237]

Als man durch Loos einst den Matthias kürte,
Statt dessen, der ein Raub ward ew’ger Pein?

97
Nichts ward dir hier, als das, was sich gebührte!

Und hüte wohl das schlecht erworbne Geld,

[110]

Das gegen Karln zur Kühnheit dich verführte.[238]

100
Und nur, weil Ehrfurcht meine Zunge hält

Für jene Schlüssel, die du einst getragen,
Da du gewandelt in der heitern Welt,

103
Enthalt’ ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:

Daß schlecht die Welt durch eure Habsucht ist,
Die Guten sinken, und die Schlechten ragen.

106
Euch Hirten meinte der Evangelist,[239]

Bei Ihr, die sitzend auf den Wasserwogen
Mit Königen zu buhlen sich vermißt.

109
Sie, mit den sieben Häuptern auferzogen,

Sie hatt’ in zehen Hörnern Kraft und Macht,
So lang’ der Tugend ihr Gemahl gewogen.

112
Eu’r Gott ist Gold und Silber, Glanz und Pracht,

Wohl besser sind die, so an Götzen hangen,
Die einen haben, wo ihr hundert macht.

115
Welch Unheil, Constantin, ist aufgegangen –[240]

Nicht, weil du dich bekehrt, nein, weil das Gut
Der erste reiche Papst von dir empfangen.““

118
Indeß ich also sprach mit keckem Muth,

Da, sei’s, daß Zorn ihn, daß ihn Reue nagte,
Verdreht’ er beide Bein’ in großer Wuth.

121
Doch schien’s, daß es dem Führer wohlbehagte;

So stand er dort, zufrieden, aufmerksam,
Als ich so nachdrucksvoll die Wahrheit sagte;

124
Worauf er mich mit beiden Armen nahm,

Und als er mich an seine Brust gewunden
Den Weg zurückestieg, auf dem er kam.

127
Er trug, nie matt, wie fest er mich umwunden,

Mich auf des Bogens Höhe sonder Rast,
[111] Durch den der viert’ und fünfte Damm verbunden.

130
Dort setzt er sanft zu Boden meine Last.

Sanft, ob der Fels auch, steil emporgeschossen,[241]
Zum Wege kaum für eine Ziege paßt;

133
Da ward ein andres Thal mir aufgeschlossen.
_______________

Zwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 4. Bulge. Zauberer. Tiresias, Manto etc.

1
Die neue Qual, zu der ich jetzt gewandelt,[242]

Sie gibt dem zwanzigsten Gesange Stoff
Des ersten Lieds, das von Verdammten handelt.

4
Ich stand auf jenem Felsen rauh und schroff,

Und spähte scharf hinab zum offnen Schlunde,
Der ganz von angsterpreßten Zähren troff.

7
Viel Leute gingen langsam in der Runde,

So, wie ein Wallfahrtszug die Schritte lenkt,
Stillschweigend, weinend in dem tiefen Grunde.

10
Als tiefer ich den Blick auf sie gesenkt,[243]
[112]

Sah ich – ein Wunder scheint es und erdichtet –
Vom Kinn sie bis zum Achselbein verrenkt,

13
Das Angesicht zum Rücken hingerichtet;

Drum mußten sie gezwungen rückwärts gehn,
Und ihnen war das Vorwärts-Schau’n vernichtet.

16
So soll ein Schlagfluß wohl das Haupt verdrehn,

Wie man erzählt in wunderlichen Sagen,
Doch glaub’ ich’s nicht, da ich es nie gesehn.

19
Läßt Gott dein Lesen, Leser, Früchte tragen,[244]

So frage selber dich, wie mir geschah,
Ob ich nicht weinen mußt und ganz verzagen,

22
Als ich des Menschen Ebenbild so nah

Verrenkt, verdreht, und von der Augen Thränen
Genetzt den Spalt der Hinterbacken sah?

25
Wahr ist’s, auf eine von den Felsenlehnen

Stand ich gestützt, und weinte ganz verzagt;
Da sprach mein Herr: „Willst du, gleich Thoren, wähnen?

28
Fromm ist nur, wer das Mitleid hier versagt.[245]

Wer ist verruchter wohl, als wer zu schmähen
Durch sein Bedauern Gottes Urtheil wagt?

31
Empor das Haupt, empor! Den wirst du sehen,[246]

Den einst vor Thebens Blick der Grund verschlang;“
[113] Drob alle schrie’n: Wohin, was ist geschehen?

34
Amphiaraus, wird der Kampf zu lang? –

Doch stürzt’ er fort und fort im tiefen Schachte,
Bis Minos ihn, gleich anderm Volk, bezwang.

37
Schau, wie er ihm die Brust zum Rücken machte!

Schau, wie er rückwärts schreitet, rückwärts sieht,
Weil er zu weit voraus zu sehen dachte.

40
Tiresias sieh, der uns entgegenzieht.[247]

Er, erst ein Mann, ward durch des Zaubers Gabe
Verwandelt in ein Weib an jedem Glied.

43
Dann aber schlug er mit dem Zauberstabe

Zuvor auf zwei verwundne Schlangen ein,
Damit er wieder Mannsgestaltung habe.

46
Den Rücken ihm am Bauch, kommt hinterdrein,

Nah angedrängt an ihn, des Aruns Schatte,[248]
Der lebend einst in Luni’s Felsenreihn

49
Als Haus die weiße Marmorhöhle hatte,

Wohl ausgesucht, daß sie zum Meeresstrand
Und zu den Sternen freien Blick gestatte. –

52
Die mit den wilden Haaren ohne Band

Die Brüste deckt, die sich nach hinten kehren,
Was sonst am Leib ist, hinterwärts gewandt,

55
War Manto, die in Ländern und auf Meeren[249]

Umirrte bis zum Ort, der mich gebar.
Von dieser will ich näher dich belehren.

58
Nachdem der Welt entrückt ihr Vater war,

Und Bacchus Stadt verfiel in Sclavenbande,
Durchstreifte sie die Welt so manches Jahr.

[114]
61
Ein See liegt an des schönen Welschlands Rande,

Am Fuß des Alpgebirgs, das Deutschland schließt,
Benaco heißend, beim Tyroler Lande.[250]

64
Zwischen Camonica und Gard’ ergießt,

Und Apennin, sich Flut in tausend Bächen,
Die in besagtem See zusammenfließt.

67
Inmitten aber liegen ebne Flächen,

Und drei verschied’ne Hirten könnten dort[251]
Auf einem Gränzpunkt ihren Segen sprechen,

70
Hier liegt Peschiera dann, ein starker Ort,

Um Bergamo von Brescia abzuschneiden,
Und rings geht flacher dann die Gegend fort.

73
Hier muß sich von dem See das Wasser scheiden,

Das nicht mehr Raum in seinem Schooß gewinnt,
Und strömt als Fluß herab durch grüne Weiden.

76
Das Wasser, das hier seinen Lauf beginnt,

Heißt Mincio nun, und seine Wellen gleiten
Bis nach Governo, wo’s im Po verrinnt.

79
Nicht weit gelaufen, trifft es ebne Weiten,

Wo es sich ausdehnt und zum Sumpfe staut,
Der bösen Dunst verhaucht zu Sommerszeiten.

82
Als dort das rauhe Weib ein Land erschaut,

Das jenes Sumpfes Wogen rings umgaben,
Entblößt von Leuten und unangebaut,

85
Da blieb, um nichts von Menschen nah zu haben,

Sie mit den Dienern da, trieb Zauberei,
Und lebt’ und ward in diesem Land begraben.

88
Bald kamen Menschen, rings zerstreut, herbei,

Die, weil sie sich auf diesen Ort verließen,
Und sahn, daß durch das Moor kein Zugang sei,

91
Sich auf dem Grabe Manto’s niederließen,

Und dann nach ihr, die erst den Ort erwählt,
[115] Die Stadt, ohn’ andres Zeichen, Mantua hießen.

94
Sie hat vordem des Volkes mehr gezählt,

Eh’ Pinamont, den Thoren zu betrügen,[252]
Dem Cassalodi seinen Trug verhehlt.

97
Drum merke wohl, und sollt’ es je sich fügen,

Daß Mantua’s Ursprung man nicht so erklärt,
So laß der Wahrheit nichts entziehn durch Lügen.“

100
Und ich: „„Mein Meister, was dein Wort mich lehrt,

Ist mir gewiß und dient zu meinem Frommen,
All’ Andres ist nur todte Kohl’ an Werth.

103
Doch sprich, von diesen, die uns näher kommen,

Ist irgend wer bemerkenswerther Art?
Denn dies nur hat den Geist mir eingenommen.““

106
Und Er: „Des Augurs Trug hat der, deß Bart[253]

Die braunen Schultern deckt, zur Zeit getrieben,
Als Griechenland so leer an Männern ward,

109
Daß Knaben kaum noch für die Wiegen blieben.

In Aulis sagt’ er da mit Kalchas wahr,
Zeit wär’s, daß sie das erste Tau zerhieben.

112
Kund thut mein tragisch Lied dir, wer er war.[254]

Du wirst dich des Eurypylus entsinnen,
Denn mein Gedicht ja kennst du ganz und gar.

115
Sieh Michael Scotto auch, den magern, dünnen,[255]

Der jeden Trug des Zaubers klug gelenkt,
Und solches Spiel verstanden zu gewinnen.

118
Bonatti sieh – Asdent, den’s jetzo kränkt,

Allein zu spät, daß er in eitlem Trachten

[116]

Doch nicht auf seinen Leisten sich beschränkt.

121
Sieh Vetteln, die statt Spill’ und Rad zu achten

Und Weberschiff, wie’s einem Weib gebührt,
Mit Kraut und Bildern Hexereien machten.

124
Jetzt komm! Indeß ich dich hierher geführt,[256]

Hat an der Gränze beider Hemisphären
Der Mond im Westen schon die Flut berührt.

127
Du sahst ihn gestern sich zum Rund verklären,

Und sahst ihn dir im dichtverwachsnen Wald[257]
Verschiedne Mal willkommnes Licht gewähren.“

130
Er sprach’s, doch gingen wir ohn’ Aufenthalt.
_______________

Einundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis 5. Bulge. Bestechliche im weiteren Sinn.

1
So ging’s von Brück’ auf Brück’, in manchem Wort,[258]

Das ich zu sagen nicht für nöthig halte;
Und oben, an des Bogens höchstem Ort,

4
Verweilten wir ob einer neuen Spalte,

[117] Und hörten draus den eitlen Laut der Qual,
Und sahn, wie unten tiefes Dunkel walte.

7
Gleich wie man in Venedigs Arsenal

Das Pech im Winter sieht aufsiedend wogen,
Womit das lecke Schiff, das manches Mal

10
Bereits bei Sturmgetos das Meer durchzogen,

Kalfatert wird – da stopft nun der in Eil’
Mit Werg die Löcher aus am Seitenbogen,

13
Der klopft am Vorder-, der am Hintertheil,

Der ist bemüht, die Segel auszuflicken,
Der bessert Ruder aus, der dreht ein Seil;

16
So ist ein See von Pech dort zu erblicken,

Das kocht durch Gottes Kunst und nicht durch Glut,
Deß Dünste sich am Strand zum Leim verdicken.

19
Ich sah den See, doch nichts in seiner Flut,

Die jetzt sich senkt’, und jetzt sich wieder blähte,
Als Blasen, ausgehaucht vom regen Sud.

22
Indeß ich scharfen Blicks hinunterspähte,

Zog mich, indem er rief: „Hab’ Acht! Hab’ Acht!“
Mein Meister zu sich hin von meiner Stätte.

[118]
25
Da wandt’ ich mich, gleich Einem, den mit Macht

Es zieht, das was er fliehen soll, zu sehen,
Und der, da jähe Furcht ihn schaudern macht,

28
Doch, noch im Schau’n, nicht zögert fortzugehen.

Und sieh, ein rabenschwarzer Teufel sprang
Uns hinterdrein auf jenen Felsenhöhen.

31
Ach, wie sein Ansehn mich mit Graus durchdrang,

Wie wild er schien, wie froh in Andrer Schaden!
Gespreizt die Schwingen, leicht und schnell den Gang,

34
Kam er, die Schultern hoch gespitzt, beladen

Rittlings mit einem armen Sünder schwer,
Und mit den Krallen packt’ er seine Waden.

37
Von Lucca bring’ ich einen Rathsherrn her,“[259]

Schrie er, „auf, taucht ihn unter, Grimmetatzen![260]
Gleich kehr’ ich um und hole andre mehr,

40
Denn jene Stadt ist voll davon zum Platzen;

Gauner sind Alle dort, nur nicht Bontur,[261]
Und machen Ja aus Nein für blanke Batzen.“

43
Hinunter warf er dann den Sünder nur,

Und rannte gleich zurück in solcher Eile,
Wie je der Hofhund nach dem Diebe fuhr.

46
Der Sünder sank, doch hob sich sonder Weile,

Da schrien die Teufel unten: „Fort mit dir,
Hier dient kein Heil’genbild zu deinem Heile.[262]

49
Ganz anders, als im Serchio, schwimmt man hier.[263]

Und sollen dich nicht unsre Haken packen,
So bleib’ im Peche nur, sonst fassen wir.“

52
[119] Gleich stießen sie mit hundert scharfen Zacken,

Und schrien: „Dein Tänzchen mache hier versteckt.
Such’ unten Einem etwas abzuzwacken.“

55
Nicht anders macht’s ein Koch, wenn er entdeckt,

Das Fleisch im Kessel komm’ emporgeschwommen,
Und schnell es mit dem Haken untersteckt.

58
Virgil sprach: „Geh, eh’ sie dich wahrgenommen,[264]

Und ducke dich bei jener Felsenbank;
Durch diese wirst du ein’gen Schirm bekommen.

61
Mir ist das Ding nicht fremd, drum bleibe frank

Von jeder Furcht, was man mir auch erzeige,
Denn früher war ich schon in solchem Zank.“[265]

64
Dann ging er jenseits auf dem Felsensteige,

Und wie er hingelangt zum sechsten Strand,
That’s Noth ihm, daß er sichre Stirne zeige.

67
Denn wie, in Sturm und Wuth hervorgerannt,

Die Haushund’ auf den armen Bettler fallen,
Wenn er am Haus, laut flehend, stille stand;

70
So stürzten Jen’ aus dunkeln Felsenhallen,

Und streckten All’ auf ihn die Haken hin,
Er aber schrie: „Zurück jetzt mit euch Allen,

73
Mich anzuhaken habt ihr wohl im Sinn?

Doch tret’ erst Einer vor, um mich zu sprechen,
Und dann bedenkt, ob ich zu packen bin.“

76
„Geh vor denn, Stachelschwanz!“ So schrien die Frechen,

Und Einer kam – die Andern blieben stehn –
Und fragte, „wie er wag’, hier einzubrechen?“

79
„Wie“, sprach mein Meister, „würdest du mich sehn,

Wie würd’ ich wagen, je hier einzudringen,
Bin ich auch sicher, euch zu widerstehn,

82
Wenn’s Gott und Schicksal also nicht verhingen?

Drum laß mich zieh’n, der Himmel will, ich soll

[120]

Als Führer Einen durch die Hölle bringen.“

85
Der Haken fiel, da dieses Wort erscholl,[266]

Ihm aus der Hand, so hatt’ ihn Furcht durchschauert.
„Gesellen,“ rief er aus, „laßt euren Groll!“

88
„Du, der dort zwischen Felsenstücken kauert,“

Rief nun mein Meister, „eile zu mir her,
Da jetzt kein Feind mehr auf dem Wege lauert.“

91
Und vorwärts trat ich und kam schnell daher,

Doch sah ich vorwärts auch die Teufel fahren,
Als gelte nichts die Uebereinkunft mehr;

94
Und war voll Schrecken, wie Caprona’s Schaaren,

Die, dem Vertrag zum Trotz, dem Tode nah,[267]
Als sie die Festung übergeben, waren.

97
Fest drängt’ ich mich an meinen Führer da,

Und hielt den Blick gespannt auf ihre Mienen,
Aus denen ich nichts Gutes mir ersah.

100
Und diese Rede hört’ ich zwischen ihnen:

„Den Haken ihm ins Kreuz? Was meinst du? sprich!“
Der Andre: „Ja, du magst ihn nur bedienen!“

103
Doch jener Geist, der mit dem Meister sich

Besprochen, wandte schleunig sich zurücke,
Und rief: „Still, Raufbold, ruhig halte dich.“

106
Und dann zu uns: „Auf diesem Felsenstücke[268]

[121] Kommt ihr nicht weiter, denn im tiefen Grund
Liegt längst zertrümmert schon die sechste Brücke.

109
Und wollt ihr fort, geht oben, längs dem Schlund,

Dann seht ihr vorwärts einen Felsen ragen,
Und kommt darauf bis zu dem nächsten Rund.

112
Denn gestern, um euch Alles anzusagen,

War’s grad zwölfhundert sechs und sechszig Jahr,
Seit jenen Weg ein Erdenstoß zerschlagen.

115
Dorthin entsend’ ich ein’ge meiner Schaar,

Um Sündern, die sich lüften, nachzuspüren;
Mit ihnen geht, und fürchtet nicht Gefahr.

118
Auf, ihr Gesellen, jetzt, euch frisch zu rühren!

Eistreter, Senkflug, Bluthund, kommt heran,
Du, Sträubebart, sollst alle Zehen führen.[269]

121
Auf Drachenblut, Kratzkrall’ und Eberzahn,

Scharfhaker, und auch du, Grimmroth der Tolle,
Und Fledermaus, schickt euch zum Wandern an.

124
Schaut, wer etwa im Pech auftauchen wolle,

Doch wißt, daß dieses Paar in Sicherheit
Bis zu der nächsten Brücke reisen solle.“

127
„„Ach, guter Meister,““ rief ich, „„welch’ Geleit?

Ich, meinerseits, ich will es gern entbehren,
Und bin mit dir allein zu gehn bereit.

[122]
130
Sieh nur, wie sie vor Grimm im Innern gähren,

Wie sie die Zähne fletschen und mit Drohn
Nach uns die tief gezognen Brauen kehren.““

133
Und er zu mir: „Nicht fürchte dich, mein Sohn,

Laß sie nur fletschen ganz nach Gutbedünken,
Sie thun dies nur zu der Verdammten Hohn.“

136
Sie schwenkten dann sich auf den Damm zur Linken,

Nachdem vorher die Zunge Jeder wies,
Hervorgestreckt, dem Hauptmann zuzuwinken,

139
Der mit dem hintern Mund zum Abmarsch blies.
_______________

Zweiundzwanzigster Gesang.
Fortsetzung. Die Teufelshetze.[270]

1
Oft sah ich Reiter aus dem Lager ziehn,

Die Mustrung rücken, in die Feinde brechen,
Auch wohl sich schwenken und zurückefliehn,

4
Von Streifpartei’n sah ich in euren Flächen,[271]

Ihr Aretiner, einst euch hart bedrohn;
Sah Festturnier’ und große Lanzenstechen;

7
Trommeten hört’ ich, Trommeln, Glockenton,

Sah Rauch und Feuer auch als Kriegeszeichen,
Und fremd’ und heimische Signale schon;

10
Doch nimmer hieß ein Tonwerkzeug, dergleichen

Ich hier gehört, das Volk zu Roß und Fuß,
Zu Land und Meer, noch vorgehn oder weichen.

13
Mit zehen Teufeln ging ich voll Verdruß,

Doch wußt’ ich, daß man Säufer in den Schenken,
Und Beter in den Kirchen suchen muß.

16
[123] Auch war zum Pfuhl gewandt mein ganzes Denken,

Um ganz des Orts Bewandtniß zu erspähn,
Und welche Leut’ in diese Glut versänken.

19
Wie die Delphine, die vor Sturmes-Wehn[272]

Mit den gebognen Rücken oft verkünden,
Zeit sei’s, sich mit den Schiffen vorzusehn;

22
So, um Erleichterung der Qual zu finden,

Taucht’ oft ein Sünder-Rücken auf und schwand
Im Peche dann so schnell, wie Blitze schwinden.

25
Und wie die Frösch’ an eines Grabens Rand

Mit Beinen, Bauch und Brust im Wasser stecken,
Die Schnauzen nur nach außen hingewandt;

28
So, sah man Jen’ hervor die Mäuler strecken,

Allein, wenn sie den Sträubebart erschaut,
Sich schleunig in dem heißen Pech verstecken.

31
Ich sah, und jetzt noch schaudert mir die Haut,

Nur Einen harren, wie, wenn all’ entsprangen.
Ein einz’ler Frosch noch aus dem Pfuhle schaut.

34
Kratzkralle, der am weitsten vorgegangen,

Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar,
Und zog ihn auf, Fischottern gleich, gefangen.

37
Ich wußte schon, wie Jedes Name war

Seit ihrer Wahl, und daß mir nichts entfalle,[273]
Nahm ich der Namen dann im Sprechen wahr.

40
„Frisch, Grimmroth, mit den scharfen Klauen falle

Auf diesen Wicht und zieh ihm ab das Fell.“
So schrien zusammen die Verfluchten alle.

43
Und ich: „„Mein Meister, o erforsche schnell,

Wer hier in seiner Feinde Hand gerathe?
Wer ist wohl der unselige Gesell?““

46
Worauf mein Führer seiner Seite nahte,

Ihn fragend: wer er sei? wo sein Geschlecht?
„Ich bin gebürtig aus Navarra’s Staate.[274]

[124]
49
Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,

Weil sie von einem Prasser mich empfangen,
Der all sein Gut und auch sich selbst verzecht.

52
Dann in des Königs Thibaut Dienst gegangen,

Des guten, trieb ich dorten Gaunerei:
Dem Lohn im Pfuhl hier bin ich nicht entgangen.“

55
Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei

Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.

58
Die Maus war in den Krallen arger Katzen,

Doch Sträubebart umarmt’ ihn fest und dicht,
Und rief: „Ich halt’ ihn, fort mit euren Tatzen.“

61
Und zu dem Meister kehrt’ er das Gesicht:

„Willst du, bevor die Andern ihn zerreißen,
Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht.“

64
Mein Führer: „Sprich, wie andere Sünder heißen

Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?“[275]
Und jener sprach: „ja! noch eben unterm heißen

67
Pech dort war Einer jenes Lands mir nah!

O wär’ ich noch, wie er, vom Sud umgeben,
Da ich dort nichts von Klau’n und Haken sah!“

70
„Wir haben’s schon zu lange zugegeben!“

Scharfhaker schrie’s, und hakt’ auf ihn hinein,
Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.

73
Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein,[276]

Allein der Hauptmann blickt’ auf seine Schaaren
Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.

76
Da wandte sich, sobald sie stille waren,

Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.

79
[125] „Wer ist’s, von dem dein Mißgeschick dich schied,

Als du dich nach der Oberfläch’ erhoben?“ –
„Der von Gallura ist’s, der Mönch Gomit.[277]

82
Im Trug bestand er all’ und jede Proben,

Des Herrschers Feinde hielt er im Verließ,
Und that mit ihnen, was sie alle loben.

85
Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ

Sie sachte ziehn, Er, der in Amt und Ehren
Sonst auch als Schelm nicht klein, nein groß, sich wies;

88
Viel pflegt’ mit ihm Herr Zanche zu verkehren[278]

Von Logodor – sie schwatzen immerfort,
Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.

91
Ach, seht, wie fletscht die Zähne Jener dort!

Gern spräch’ ich mehr, doch würd’ ich mehr geschändet.
Er droht ja wüthend schon bei jedem Wort.“

94
Doch Sträubebart, zu Fledermaus gewendet,

Des Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
„Verdammter Vogel, fort! dein Lied geendet!“

97
„Willst du,“ begann der bange Wicht nunmehr,[279]

„Willst du Toscaner und Lombarden sehen?
Ich schaffe sie dir nach Belieben her,

100
Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen,

Und deren Rache sie nicht zittern macht.
Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,

[126]
103
Und locke doch dir leicht statt Eines acht,

Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht.“

106
Da streckt’ ihm Bluthund seine Schnauz’ entgegen,

Und schrie kopfschüttelnd: „Hört die Büberei!
Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen.“

109
Allein der Sünder, reich an Schelmerei,

Sprach: „Wahrlich, bübisch wär’ ich wohl zu nennen,
Trüg’ zu der Meinen Mißgeschick ich bei.“

112
Da hielt sich Senkeflug nicht mehr gleich Jenen;

Im Widerspruch mit Allen hub er an:
„Spring nur hinab! Ich werd’ nicht nach dir rennen,

115
Nein, überm Pech, hasch ich im Flug dich dann!

Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,[280]
Zu sehn, ob mehr als wir der Eine kann.“

118
Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.

Die Blicke wandten sie und sehr bereit
War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.

121
Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,

Stemmt’ ein die Füß’, und war mit einem Satze
Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.

124
Dort standen Alle mit verblüffter Fratze.

Und Jener, der die Schuld des Fehlers trug,
Flog nach und schrie: „Du bist in meiner Tatze!“

127
Umsonst! die Furcht war schneller als der Flug.

Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.

130
So taucht die Ente vor dem Falken nieder,

Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
[127] Zur Luft empor das sträubende Gefieder.

133
Eistreter kam, wie jener sank, sogleich

Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
Und fiel, erboßt von diesem Narrenstreich,

136
Mit seinen scharfen Klau’n auf den Genossen,

Und beide hielten überm Pech voll Wuth
In wilder Balgerei sich fest umschlossen.

139
Doch braucht’ auch Jener seine Krallen gut,

Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
Die sie bewachten, in die heiße Flut.

142
Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,

Doch ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.

145
Und Sträubebart, der sehr betreten war,

Ließ vier der Seinen rasch zu Hilfe fliegen,
Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar

148
Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen,

Wo Jeder den Gesott’nen Hilfe bot,
Doch sahn wir sie fest in der Rinde liegen,[281]

151
Und ließen sie in dieser großen Noth.
_______________

Dreiundzwanzigster Gesang.[282]
VIII. Kreis. 6. Bulge. Heuchler in glänzenden Bleimänteln. Kaiphas. Hannas u. A.

1
Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet,

Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
Wie auf dem Weg ein Minorite schreitet.

4
Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß

Aesopens Fabel ins Gedächtniß bringen,
Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.[283]

[128]
7
Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen

Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.

10
Und wie aus einem der Gedanken sich

Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiter denken,
Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.

13
Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken

Durch uns gestört, beschädigt und geneckt,
Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.

16
Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,

So werden sie uns nach im Fluge brausen,
Wie wild ein Hund sich nach dem Hasen streckt.

19
Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,

Und rückwärts lauschend, rief ich: „„Meister, flieh!
Verbirg uns wo in diesen Felsenklausen;

22
Die Grimmetatzen kommen schon; o sieh,

Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
Als ob sie da schon wären, hör’ ich sie!““

25
Und er zu mir: „Wenn ich ein Spiegel wäre,

Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar,
Als ich dein inneres mir leicht erkläre.

28
Jetzt aber nimmst du auch mein Innres wahr,

Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
Was für uns Beid’ in mir beschlossen war.

31
Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,

Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
So sollen sie umsonst die Flügel regen.“

34
Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,

Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen,
Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.

37
Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,

Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos,
Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,

40
[129] Ihr Kind erfaßt, und, nur um dessen Loos

Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.

43
Daß er herab am harten Felsen gleite,[284]

Streckt’ er sich rücklings an den steilen Hang,
Der jene Bulge sperrt von einer Seite.

46
Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang

Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,

49
Von jenem Felsenhang herabgeschossen,

Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt,
Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.

52
Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,

So hörten wir sie über jenem Grunde.
Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt

55
Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde

Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.

58
Getünchte Leute sahn wir unten jetzt[285]

Im Kreise ziehn mit langsam schweren Tritten,
Matt und erschöpft, von Thränen ganz benetzt.

61
Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten

Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
Der Mönch’ im Kloster Clügny zugeschnitten;[286]

[130]
64
Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,

Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
Die Friedrich für den Hochverrath erdacht.[287]

67
O Mantel, lastend unter ew’gen Peinen!

Mit ihnen links uns wendend gingen mit[288]
Wir, horchend auf ihr jammervolles Weinen.[289]

70
Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,

Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.

73
Ich sprach: „„O sieh dich um! ist wohl durch Thaten

Und Namen mir von diesen wer bekannt?
Und sage mir’s, sobald wir Einem nahten!““

76
Und Einer, der Toscanisch wohl verstand,

Rief hinter uns: „O bleibt ein wenig stehen,
Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.

79
Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!“

Da wandte sich mein Herr und sprach: „Halt’ an,
Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen.“

82
Ich stand und sah nun Zwei, die, um zu nahn,

Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten,
Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn,

85
Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,

Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
Sich unter sich besprechend, dieses sagten:

88
Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,[290]

Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
Daß der und jener ohne Bleirock geht?“

91
Zu mir dann: „Tusker, der du zu der Gilde

Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
Wer bist du? sag’ es uns mit Huld und Milde.“

94
Und ich: „„Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit

[131] Am Arnostrand geboren und erzogen,
Und diesen Körper trug ich jederzeit.

97
Doch wer seid ihr, von deren Wang’ in Wogen

Ein Thränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
Und was hat euch solch’ Uebel zugezogen?““

100
Und Einer sprach: „Die gelben Kutten sind

Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,[291]
Die’s trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.

103
Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,[292]

Ich Catalano, Loderingo Er,
Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,

106
So wie man einen Einzigen vorher,

Als Friedenswahrer wählt’ – und wie wir waren
Zeigt beim Gardingo noch sich rings umher.“

109
Und ich begann: „„Das Leid, das ihr erfahren –““[293]

Doch schwieg und mußt’ an dreien Pfählen dort
Gekreuzigt Einen auf dem Grund gewahren.

112
Als er mich sah, verrenkt’ er sich sofort,

Und haucht in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:

115
„Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
[132]

Gab einst den Pharisäern diesen Rath:[294]
Mög’ Eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen!

118
Nun liegt er, nackt und quer auf unserm Pfad,

Und fühlen muß er, wenn wir drüber wallen,
Wie viel Gewicht von uns ein Jeder hat.

121
So wird sein Schwäher auch gestraft, mit Allen

Vom Pharisäer-Rath, durch den so viel
Der schlimmen Saat für Juda’s Volk gefallen.“

124
Und, wie ich sah, so staunte selbst Virgil,[295]

Daß der, gestreckt am Kreuz an diesem Orte
So schmählich lag im ewigen Exil.

127
Zum Bruder richtet’ er dann diese Worte:

„Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte

130
Zu brauchen ist zum Ausgang für uns Zwei,

Ohn’ einen von den Teufeln erst zu bannen,
Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?“

133
Und Jener drauf: „Ihr geht nicht weit von dannen,

So seht ihr einen Stein vom großen Rund
Als Steg sich über alle Thäler spannen.

136
Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,[296]

Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,[297]
Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund.“

139
Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen,

Drauf sprach er: „Mußte doch der Teufel hier[298]
[133] Sich wiederum in schlechtem Rathschlag zeigen.“

142
Und Jener: „In Bologna merkt’ ich’s mir,

Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
Ja, aller Lügen Vater für und für.“

145
Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister

Und schien ein wenig zornig und erboßt,
Und ich verließ die bleibeschwerten Geister,

148
Und folgete der theuren Spur getrost.
_______________

Vierundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis.[WS 8] 7. Bulge. Diebe als Schlangen. Fuccio.

1
In jenem Theil vom jugendlichen Jahre,[299]

Wo Nacht den halben Tag nur deckt und mild
Im Wassermann erglänzen Phöbus Haare,

4
Malt oft der Reif, wenn Nebel das Gefild

Am Abend deckt, bei scharfen Morgenlüften
Vom Bruder Schnee ein schnell verwischtes Bild.

[134]
7
Wenn dann der Hirt, der Futter von den Triften

Gar nöthig braucht, aufsteht und jeden Ort
Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften,

10
Und kehrt zum Haus, beklagt sich hier und dort,

Und weiß nicht, was zu thun vor großem Leide –
Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort,

13
Denn schon erscheint die Welt in anderm Kleide;

Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.

16
So staunt’ ich, daß mein Meister zornig sei,

Daß ungewohnter Mißmuth ihn bedrücke;
So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.

19
Denn kaum gelangt zu der verfallnen Brücke,

Kehrt ihm die Huld, mit der er zu mir trat
Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.[300]

22
Die Arme breitet’ er, nachdem er Rath[301]

Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
Und dann erfaßt’ er mich mit rascher That.

25
Und wie ein Mann, der wohl auf Alles achtend,

Im Voran scharf erwägt, was er vermag,
Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,

28
Daß nahe dort ein andrer Zacken lag,

Und sprach: Anklammre dich, doch wahrgenommen
Sei durch Versuch erst, ob’s dich tragen mag.

31
Kein Kuttenträger wär’ hinaufgekommen,

Da wir, ich fortgeschoben, Er so leicht,
Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.

34
Auch hätt’ ich nimmermehr, und er vielleicht,

Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
Das Ufer war, des Dammes Höh’ erreicht,

37
Doch weil sich Uebelsäcken nach dem Munde[302]

Des tiefen Brunnens hin allmälig neigt,
So liegt’s von selbst im Bau von jedem Runde,

40
Daß hier der Damm sich senkt, dort höher steigt.

[135] Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt.

43
Mir glühte Wang’ und Blut in solcher Hitze,

Daß ich, sobald ich mich hinaufgerafft,
Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.

46
Mein Meister sprach: „Jetzt ziemt dir frische Kraft,

Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft;

49
Und wer durch’s Leben ruhmlos hingezogen,[303]

Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.

52
Drum auf! wenn Mattigkeit dich hier befällt,

Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
Wenn ihn der schwere Leib nicht niederhält.

55
Erklimmen mußt du noch weit längre Stiegen;[304]

Nicht gnügt’s, von hier gerettet fortzuziehn;
Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!“ –

58
Da stand ich auf; mehr, als ich’s fühlte, schien[305]

Mein Odem frei, die Brust der Bürd’ enthoben,
Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!

61
Wir gingen fort – der Fels war rauh, verschoben,[306]

Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
Bei weitem steiler auch, als weiter oben.

64
Um frisch zu scheinen, sprach ich laut im Gehn,

Bis eine Stimm’ aus jenem Grund erschollen,
Verworren, wild und schwierig zu verstehn.

[136]
67
Nicht weiß ich, was die Stimme sagen wollen,

Obwohl ich auf des Bogens Höhe stand,
Doch schien, der sprach, zu zürnen und zu grollen.

70
Ich stand, das Angesicht zum Grund gewandt,

Doch drang kein Menschenblick in seine Schauer,
Drum sprach ich: „„Meister, komm zum nächsten Strand,[307]

73
Und führe mich hinab von dieser Mauer.

Hier hör’ ich zwar, doch ich verstehe nicht,
Und, sehend, unterscheid’ ich nichts genauer.““

76
„Die That“, sprach er mit freundlichem Gesicht,

„Sei Antwort dir, weil sich’s geziemt, mit Schweigen
Zu thun, was der verständ’gen Bitt’ entspricht.“

79
Wir eilten, bei der Brück’ hinabzusteigen,

Da, wo sie auf dem achten Damme ruht,[308]
Und hier begann die Tiefe sich zu zeigen.

82
Ich sah in Knäueln grause Schlangenbrut,

Und denk’ ich heut’ der ekeln, mannigfachen
Scheusale noch, so starrt vor Grau’n mein Blut.

85
[137] Nicht mag sich’s Libyen mehr zum Ruhme machen,

Daß es Blindschleichen, Nattern, Ottern hegt
Und Vipernbrut und gift’ge Wasserdrachen;

88
Und ganz Aethiopien solche Pest nicht trägt,[309]

Noch tönt am ganzen Strand ein solch’ Gezische,
An den die Flut des rothen Meeres schlägt.

91
Und unter diesem gräulichen Gemische

Lief eine nackte, schreckensvolle Schaar,
Nicht hoffend, daß sie je von dort entwische.[310]

94
Rücklings band die Händ’ ein Schlangenpaar,

Das Schwanz und Haupt durch Kreuz und Nieren steckte
Und vorn zu einem Knäul verschlungen war.

97
Da stürzt’ auf Einen, den ich dort entdeckte,

Ein Ungeheu’r, das ihm den Hals durchstach
Und aus dem Nacken vor die Zunge streckte.

100
Und eh’ man Amen sagt und O und Ach,

Sah ich, wie er, entzündet und in Flammen,
Auch schon als Staub in sich zusammenbrach.

103
Und wie die Glieder kaum in Nichts verschwammen,

So fügte sich, gesammelt, alsobald
Der Staub zur vorigen Gestalt zusammen.

106
So stirbt der Phönix fünf Jahrhundert’ alt,

(Die großen Weisen sagen’s), sich bekleidend
Mit neuerzeugter Jugend und Gestalt,

109
Sich nicht von Kräutern noch von Körnern weidend,

Von Weihrauchthränen und von Balsam nur,
Im Sterbebett aus Nard’ und Myrrhe scheidend.[311]

112
Und gleichwie der, der ohne Lebensspur
[138]

Zu Boden sank, vielleicht vom Krampf gebunden,
Vielleicht auch, weil in ihn ein Dämon fuhr,

115
Sich umschaut, wenn er sich emporgewunden,

Und um sich schauend stöhnt, verwirrt, entsetzt
Von großer Todesangst, die er empfunden;

118
So war der aufgestandne Sünder jetzt. –

O möge keiner Gottes Rach’ entzünden,
Der solche Streich’ in seinem Zorn versetzt!

121
Gebeten, seinen Namen zu verkünden,

Entgegnet’ er: „Ich bin seit Kurzem hier,
Von Tuscien hergestürzt nach diesen Schlünden,

124
Ich lebte nicht als Mensch, ich lebt’ als Thier,

Ich, Bastard Fucci, den man Vieh benannte.[312]
Und würd’ge Höhle war Pistoja mir.“

127
Ich sprach, indem ich mich zum Meister wandte:

„„Er weicht uns aus – doch frag’ ihn: weshalb kam
Er hierher, da er stets von Mordlust brannte?““

130
Aufrichtig ward er, als er dies vernahm,

Und Geist und Angesicht mir zugewendet,
Begann er nun, gedrückt von trüber Scham:

133
„Mehr schmerzt mich’s, daß dein Schicksal dich gesendet,

Um mich in diesem Jammerstand zu schau’n,
Als daß ich oben meinen Lauf geendet.

136
Doch was du fragtest, muß ich dir vertrau’n:

Daß ich im Heiligthum zu stehlen wagte,
Hat mich herabgestürzt in tiefres Grau’n,

139
Drob litten manche fälschlich Angeklagte. –

Daß du mich sahst, soll wenig dich erfreu’n,
Kommst du je fort von hier, wo’s nimmer tagte.

142
Drum hör’, um jetzt dein Hiersein zu bereu’n:

[139] Pistoja wird die Schwarzen erst verjagen,[313]
Und dann Florenz so Volk als Sitt’ erneu’n.[314]

145
Aus Nebeln, die auf Magra’s Thale lagen,

Zieht Mars den schweren Wetterdunst heraus,
Und Stürme tosen dann und Blitze schlagen

148
Auf dem Picener Feld im wilden Strauß,

Daß sich zerstreut die Nebel plötzlich senken,
Und alle Weißen fliehn in Angst und Graus.

151
Dies aber sagt’ ich dir, um dich zu kränken.“
_______________

Fünfundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis[WS 10] 7. Bulge. Fortsetzung: Die Verwandlung.

1
Er sprach’s und hob die Händ’ empor mit Spott,

Ließ beide Daumen durch die Finger ragen,[315]
Und rief dann aus: „Nimm’s hin, dies gilt dir, Gott!“

4
Seitdem seh’ ich die Schlangen mit Behagen,[316]

Weil gleich um seinen Hals sich eine wand,
Als sagte sie: Du sollst nichts weiter sagen.

7
Die zweite schlang sich um die Arm’ und band

Sie vorn, sich selbst umwickelnd, so zusammen,
Daß er nicht Raum damit zu zucken fand.

10
„Was übergibst du dich nicht selbst den Flammen,
[140]

Pistoja, du, und tilgst dich in der Glut?
Sind Frevler Alle doch, die dir entstammen!“

13
Nie fand ich so verruchten Uebermuth.

Selbst Kapaneus gottlästerndes Erfrechen[317]
Erhob sich nicht zu dieses Diebes Wuth.

16
Er floh von dannen, ohn’ ein Wort zu sprechen,

Und ein Centaur kam rennend, pfeilgeschwind,
Und schrie voll Wuth: „Wo find’ ich diesen Frechen?“

19
Nicht glaub’ ich, daß so viel der Schlangen sind

An Tusciens Strand, als ihm am Kreuze hingen,
Bis wo die menschliche Gestalt beginnt.

22
Ein Drache hielt mit ausgespreizten Schwingen

Sich an den Schultern fest und spie mit Macht
Glut auf uns Alle, die vorübergingen.

25
Da sprach mein Meister: „Kakus ist’s, hab’ Acht![318]

Er ist es, der so oft zu blut’gen Teichen
Die Auen unterm Aventin gemacht.

28
Er geht nicht einen Weg mit Seinesgleichen,

Weil er als Dieb den schlauen Trug vollführt,
Mit jener großen Heerde zu entweichen.

31
Dafür ward ihm der Lohn, der ihm gebührt,

Weil Herkuls Keul’ ihn traf mit hundert Schlägen,[319]
Von welchen er vielleicht nicht zehn gespürt.“

34
Enteilt war Kakus schon, und uns entgegen

Her kamen Drei an jenem tiefen Ort,
Doch konnt’ uns erst ihr laut Geschrei bewegen

37
Auf sie hinab zu schau’n: „Wer seid ihr dort?“

Drum blieben wir in der Erzählung stehen,
[141] Und horchten hin nach dieser Schatten Wort.

40
Von ihnen hatt’ ich Keinen je gesehen,

Da rief den Andern einer dieser Drei,
Und nannt’ ihn, wie’s durch Zufall oft geschehen.

43
„Wo bleibst du, Cianfa?“ rief er, „komm herbei!“[320]

Drum legt’ ich auf die Lippen meinen Finger,
Damit mein Führer horch’ und stille sei.

46
Meinst du jetzt, Leser, daß ich Hinterbringer

Von eitlen Fabeln sei, so staun’ ich nicht!
Ich sah’s, doch ist mein Zweifel kaum geringer.

49
Von vornher warf sich, wie ich das Gesicht[321]

Auf sie gekehrt, schnell eine von den Schlangen[322]
Mit drei Paar Füßen her und packt’ ihn dicht.

52
Der Bauch ward von dem mittlern Paar umfangen,

Indeß das vordre Paar die Arm’ umfing,
Dann schlug sie ihre Zähn’ in beide Wangen.

55
Wie an den Lenden drauf das hintre hing,

Schlug sie den Schwanz durch zwischen beiden Beinen
Und drückt’ ihn hinten an als engen Ring.

58
Kein Epheu kann dem Baum sich so vereinen,

Wie dieses Ungethüm sich wunderbar
Die Glieder ihm umrollte mit den seinen.

61
Zusammen klebte plötzlich dann dies Paar,

Wie warmes Wachs, die Farben so vermengend,
Daß keins von beiden mehr dasselbe war,

64
Gleichwie die Flammen, ein Papier versengend,

Bevor es brennt, mit Braun es überzieh’n,
Noch eh’ es schwarz wird, schon das Weiß verdrängend.

[142]
67
Die andern Beiden, ihn betrachtend, schrien:

„Weh dir, Agnel, du bist nicht Zwei, nicht Einer!
Doch sieh, dir ist ein andres Bild verliehn!“

70
Schon war vereint der Schlange Kopf und seiner,

Aus zwei Gestalten sah man ein’ entstehn,
Vermischt, verwirrt, doch gleich von Beiden keiner.

73
Vier Streifen bildeten der Arme zween,

Und Bauch und Brust und Beine sammt den Lenden,
Sie wurden Glieder, wie man nie gesehn.

76
Es schien, als ob die vor’gen ganz verschwänden.

Nicht Zwei, nicht Einer schien’s, und ganz entstellt
Sah ich das Bild sich langsam abwärts wenden.

79
Gleichwie die Eidechs öfters, wenn die Welt,[323]

Der Hundstern sticht, blitzschnell von Dorn zu Dorne,
Von Zaun zu Zaun quer durch die Straße schnellt,

82
So fuhr jetzt eine Schlang’ im wilden Zorne

Schnell den zwei Andern nach dem Wanste hin,
Bläulich und schwarz, gleich einem Pfefferkorne.

85
Und durch den Theil, der bei des Seins Beginn

Uns Nahrung zuführt, bohrte sie den Einen,
Dann fiel sie ausgestreckt vor ihm dahin.

88
An sah er starr sie, mit geschloss’nen Beinen,

Stillschweigend, gähnend, und er mußte mir
Wie schläfrig oder fieberhaft erscheinen.

91
Nach ihm hin sah die Schlang’ und er nach ihr,

Sie rauchen aus dem Maul, er aus der Wunde –
Es kreuzte sich der Dampf von dort und hier.

94
Still schweige jetzt Lucan mit seiner Kunde[324]

[143] Vom Unglück des Sabell und vom Nasid,
Und horchend häng’ er nur an meinem Munde.

97
Von Arethus’ und Kadmus schweig’ Ovid,

Denn wenn er ihn zum Drachen umgedichtet,
Und sie zum Quell, so neid’ ich nicht sein Lied;

100
Nie hat er von zwei Wesen uns berichtet,

Die umgetauscht Gestalt und Stoff und Sein,
Indem sie starr auf sich den Blick gerichtet.

103
Gleich ging die Wandlung fort in jenen Zwei’n.

Zur Gabel spaltete den Schwanz die Schlange,
Und dem Gestochnen klebte Bein an Bein.

106
Sie wuchsen an einander, und nicht lange

Hatt’ es gewährt, als auch die Fuge schwand
Verdrängt vom völligen Zusammenhange.

109
Der Lenden Form, die dort entwich, entstand

Am Gabelschweif; und ihre Haut erweichen;
Sah ich, die seine ringsum hart gespannt.

112
Ihm sah die Arm’ ich in die Schultern weichen,

Der Schlange kurze Vorderfüße dann,
Wie jene schwanden, weiter vorwärts reichen.

115
Wie drauf zu jenem Gliede, das der Mann,

Zu bergen pflegt die hintern sich verbanden,
So fing sich seins in zwei zu theilen an.

118
Und unterm Rauch, der beide deckt’, entstanden

Ganz neue Farben, sproßten Haare vor,
Und zeigten hier sich, wo sie dort verschwanden.

121
Er sank dahin, sie raffte sich empor,

Die Köpfe sahn sich an mit grimmen Blicken,
Dann trat in diesem jenes Form hervor:

124
An dem, der stand, schien er sich breit zu drücken,[325]

Auch sah man von dem Fleisch, das rückwärts drang,
Die Ohren seitwärts aus den Wangen rücken.

127
Aus dem, was vorn zurückeblieb, entsprang,

Wie solchem Antlitz sich’s gebührt, erhoben,
Ein Lippenpaar; die Nas’ auch zog sich lang.

[144]
130
An dem, der dort lag, trieb die Schnauz’ nach oben,[326]

Auch wurden nach der Schneckenhörner Brauch
Die Ohren in den Kopf zurück geschoben.

133
Die Zung’, erst ganz, zur Rede schnell, ward auch

Nunmehr getheilt, und ganz ward die getheilte
Im Mund des Andern, und es schwand der Rauch.

136
Der Geist, jetzt Schlange, zischte laut und eilte

Durch’s Thal davon – der Andre spuckt’ ihr nach,
Indem er noch, sie schmähend, dort verweilte.

139
Dann kehrt’ er ihr den Rücken zu und sprach:

„So schlüpfe Buoso nun durch diese Gründe,
Statt meiner, auf dem Bauch in Qual und Schmach.“

142
So mischt’ im siebenten der Lasterschlünde

Sich Bild und Bild, drum werde mir’s verziehn,
Wenn ich so Neues etwas breit verkünde,

145
Doch ob mir gleich der Blick geblendet schien,

Und kaum mein Geist vom Staunen sich ermannte,
Doch bargen jene sich nicht so im Fliehn,

148
Daß ich den Puccio nicht gar wohl erkannte,

Der einzig von den Drei’n, erst hier vereint,
Sich unverwandelt jetzt von dannen wandte.

151
Der Andre war’s, um den Gaville weint.[327]
_______________

Sechsundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 8. Bulge. Schlechte Rathgeber. Ulysses u. A.

1
Freu’ dich Florenz! Du bist so hoch und groß,[328]

Daß du die Flügel regst ob Land und Meere
Und selbst dein Nam’ erklingt im Höllenschooß!

4
[145] Fünf deiner Bürger fand ich, und verzehre

Mich drob vor Schamglut, bei den Dieben hier –
Und dir auch dient es nicht zu größrer Ehre!

7
Doch zeigt’ ein Morgentraum die Wahrheit mir,[329]

So wirst du großes Unglück bald empfinden,
Und Prato selbst, dein Nachbar, gönnt es dir.

10
Käm’s jetzt, man würd’ es nicht zur Unzeit finden;[330]

Und, da’s geschehn muß, möcht’ es jetzt doch sein!
Denn, älter, werd’ ich’s schwerer nur verwinden.

13
Wir stiegen nun auf zackigem Gestein,[331]

Das uns als Trepp’ herabgeführt, zurücke,
Mein Herr voraus und ich ihm hinterdrein.

16
Durch Trümmer ging und rauhe Felsenstücke

Der öde Weg und nöthig war die Hand,
Damit der Fuß aufklimmend weiter rücke.

19
Tief schmerzte mich, was nun mein Auge fand;

Und jetzt noch fass’ ich, wenn ich dran gedenke,[332]

[146]

Des Geistes Zaum zu festerm Widerstand,

22
Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,

Nicht, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
Was höhre Huld, verderbend, selbst mich kränke. –
 [Denn:]

25
So viel der Bau’r, am Hügel hingestreckt,[333]

Zur Zeit, da Er, deß Blick die Erde lichtet,
Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,

28
Wenn sich die Fliege vor der Schnacke flüchtet,

Johanneswürmchen sieht im Thal entlang,
Wo er mit Hipp und Pflug sein Thun verrichtet;

31
So viele Flammen sah den tiefen Gang

Des achten Thals mein Auge jetzt verklären,
Sobald ich dort war, wo’s zur Tiefe drang.

34
Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,[334]

Elias Wagen sah von dannen zieh’n,
Als das Gespann aufstieg zu Himmels-Sphären,

37
Umsonst ihm mit dem Auge folgt’ und ihn

Gestaltlos nur als ferne Flamm’ erkannte,
Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien:

40
So war’s, als wandelnd hier manch Flämmchen brannte,

Und keines doch, das seinen Raub mir wies,
Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.

43
So vorgebeugt zum Grunde sah ich dies,[335]

Daß ich, hielt’ ich nicht fest an einem Blocke,
Zur Tiefe fuhr, ohn’ daß ich nur mich stieß.

46
Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,

Sprach nun: „Jedwedes Feu’r birgt einen Geist,
Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke.“

49
[147] Drauf ich: „„Die Kunde, die du mir verleihst,[336]

Macht mich gewiß; schon glaubt’ ich’s zu erkennen,
Und fragen wollt’ ich schon, wie Jener heißt,

52
Deß Flamm’ ich seh in zwei sich oben trennen,

Als säh’ ich in des Scheiterhaufens Glut
Eteokles und seinen Bruder brennen.““[337]

55
Und er: „Sie dämpft Ulysseus Uebermuth

Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen.
In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wuth.

58
Um’s Trugroß klagen sie in diesen Flammen,[338]

Und um das Thor, das Ausgang Jenen bot,
Der Heldenschaar, von der die Römer stammen.

61
Die List beweinen sie, durch die, schon todt,
[148]

Noch Deidamia den Achill beklagte,[339]
Auch des Palladiums Raub rächt ihre Noth.“

64
„„Vermögen sie noch hier zu sprechen,““ sagte

Ich drauf zum Meister, „„o dann bitt’ ich dich
Viel tausendmal, da ich sie gern befragte,

67
Laß mich, bis die getheilte Flamme sich

Zu uns hierher bewegt, ein wenig weilen.
Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich.““

70
„Der Bitte,“ sprach er, „muß ich Lob ertheilen,

Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.

73
Laß mir das Wort; ich weiß, was du begehrt.

Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,[340]
Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Werth.“

76
Als nun die Flamme nah war unserm Orte,

Da hört’ ich diese Red’, als Ort und Zeit
Er für geeignet hielt, von meinem Horte:

79
„Ihr, die ihr zwei in einer Flamme seid,

Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,

82
Und in der Welt das hohe Lied geschrieben,

So weilt bei mir und sag’ Ulyß mir an,
Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben.“

85
Der alten Flamme größres Horn begann

Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen,
Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann

88
Rasch hin und her die Spitze zu bewegen,

Gleich einer Zung’, und deutlich tönt’ und klar
Dann aus der Flamm’ uns dieses Wort entgegen:

91
[149] „Als ich von Circen schied, die mich ein Jahr[341]

Und länger bei Gaëta festgehalten,[342]
Eh’s so benannt noch von Aeneas war,

94
Da ließ ich nicht das Mitleid für den alten[343]

Gebeugten Vater, nicht der Gattin Huld,
Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.

97
Nicht tilgten sie in mir die Ungeduld,

Die Welt zu sehn und Alles zu erkunden,
Was drin der Mensch besitzt an Werth und Schuld.

100
Drum warf ich mich, kaum meiner Haft entbunden,

In einem einz’gen Schiff ins offne Meer,
Sammt einem Häuflein, das ich treu erfunden.

103
Nach Spanien führt’ und Libyen hin und her

Ich meine wackre Schaar, als kühner Leiter,
Und jedem Eiland jenes Meers umher.

106
Alt war ich schon und schwer, auch die Begleiter,

Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,[344]
Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!

109
Als hinter uns nun rechts Sevilla’s Bord,

Und linker Hand die Zinnen Ceuta’s waren,
Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:

112
O Brüder, die durch tausend von Gefahren

Ihr hier im Westen kühn euch eingestellt,
Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,

115
Weil Seele noch und Leib zusammenhält,

Den kurzen Rest von eurem Erdenleben
Der Sonne nach zur unbewohnten Welt![345]

[150]
118
Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben!

Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
Um Wissenschaft und Tugend zu erstreben.

121
Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,

Hätt’ ich gewollt, nicht konnt’ ich mehr sie zwingen,
Und rastlos ging’s ins weite Meer hinein.

124
Und morgenwärts gewandt das Steuer, gingen[346]

Wir, tollen Flugs, dann immer linker Hand,
Und unsrer Eil’ verliehn die Ruder Schwingen.

127
Schon wurden jetzt vom Blick der Nacht erkannt[347]

Des andren Poles Stern’ und unsre klommen
Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand,

130
Schon fünfmal war entzündet und verglommen

Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,

133
Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut

Vor weiter Fern’, und schien so hoch zu ragen,
Wie ich noch keinen auf der Erd’ erschaut.

136
Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,

Denn einen Wirbelwind’ fühlt’ ich entstehn
[151] Vom neuen Land, und unsern Vorbord schlagen;

139
Er macht’ uns dreimal mit den Fluten drehn,

Dann, als der hintre Theil emporgeschossen,
Nach höh’rem Spruch, den vordern untergehn,

142
Bis über uns die Wogen sich verschlossen.“
_______________

Siebenundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 8. Bulge. Fortsetzung. Guido von Montefeltro. Strafrede wider das Papstthum.

1
Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,

Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
Nachdem der süße Dichter ihr’s erlaubt.[348]

4
Wir sahn nach ihr sich eine zweite zeigen,

Und ein verwirrt Gestöhn’ das ihr entquoll,
Macht’ unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.

7
Gleichwie Siciliens Stier – der jammervoll[349]

Erstmals von seines Bildners Schrei’n erbrüllte
(Und so war’s Recht!) – von dessen Stimm’ erscholl,

[152]
10
Den er in seinem ehr’nen Bauch verhüllte,

Und so von eignem Schmerze schien durchbohrt,
Er, den nur Menschenangstruf bang erfüllte:

13
So schien zuerst das wehevolle Wort,

Eh’ es sich Weg und Ausgang hatt’ errungen,
Wie knisterndes Getön der Flamme dort.

16
Doch, als zur Spitze es emporgedrungen,

Und die Bewegungen der Zunge, sich
Mittheilend ihr, sie hin und her geschwungen,

19
Erklang dies Wort: „O du, an welchen ich[350]

Mich wende, der du mit lombard’schem Klange
Gesprochen: geh’ jetzt, ich entlasse dich! –

22
Obwohl ich etwas spät hierher gelange,

Doch weil’ und gib auf meine Fragen Acht,
Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.

25
Bist du zur Reif’ in diesen finstern Schacht

Erst jetzt vom süßen Latier-Land geschieden,
Von dem ich meine Schuld hierher gebracht,

28
So sprich: Hat Krieg Romagna oder Frieden?

Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden.“

31
Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,

Da stieß Virgil mich leis’ und sagte: „Rede,
Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt.“

34
Worauf ich, schon bereit zur Gegenrede,

Ihn also sonder Zögerung beschied:
„„O Seele, hier verborgen, sonder Fehde

37
War nimmer deines Vaterlands Gebiet,

Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüthen;
Doch offenbar war keine, da ich schied.[351]

40
[153] Ravenna ist, wie’s war; dort pflegt zu brüten,[352]

So wie seit Jahren schon, Polenta’s Aar,
Deß Flügel unter sich auch Cervia hüten.

43
Die Stadt, die fest in langer Probe war,[353]

Wo jüngst ein Frankenhauf’ im Blut gelegen,
Beugt sich dem grünen Leu’n nun ganz und gar.

46
Verucchio’s alt und neuer Bluthund hegen[354]

Die Tück’ noch, die Montagna’s Tod erlauscht,
Und hauen noch die Zähn’ ein, wo sie pflegen.

49
Die Stadt, dran Lamon und Santerno rauscht,[355]

Läßt sich vom Leu’n im weißen Neste leiten,
Der die Partei mit jedem Mond vertauscht.

52
Sie, welchen Savio’s Flut benetzt die Seiten,[356]

Lebt zwischen Sclaverei und freiem Stand,
Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.

55
Jetzt bitt’ ich, mach’ uns, wer du bist, bekannt;

Daß der Vergessenheit dein Nam’ enttauche,

[154]

So sei nicht härter, als ich andre fand.““

58
Da grunzt’ und braust es in der Flamme Bauche,

Wie Feuer braust; sie regte hin und her
Das spitze Haupt und gab dann diese Hauche:

61
„Spräch’ ich zu Einem, dessen Wiederkehr

Nach jener Welt ich jemals möglich glaubte,
So regte nie sich diese Flamme mehr.

64
Doch da dies Keinem je die Höll’ erlaubte,

So sag’ ich ohne Furcht vor Schand’ und Schmach,
Was mich hierher stieß und des Heils beraubte.

67
Ich war erst Kriegesmann und Mönch hernach,[357]

Um mich vom Fall durch Buß’ emporzurichten;
Gewiß geschah auch, was ich mir versprach.

70
Allein der Erzpfaff – mög’ ihn Gott vernichten –[358]

Er hat mich neu den Sündern beigesellt;
Wie und warum? das will ich jetzt berichten.

73
Als ich noch oben lebt’ in eurer Welt,

Da ward ich nimmer mit dem Leu’n verglichen,
Doch öfters wohl dem Fuchse gleichgestellt.

76
In allen Ränken und geheimen Schlichen

War ich geschickt, in ihrer Uebung schlau,
Und drum berühmt in allen Himmelsstrichen.

79
[155] Doch als die Zeit kam, da des Haares Grau

Uns dringend mahnt, das hohe Meer zu scheuen,
Und einzuziehn das Segel und das Tau,

82
Da mußt’ ich, was mir erst gefiel, bereuen,

Ward Mönch und that nun Buß’ am heil’gen Ort,
Ach, und noch konnt’ ich mich des Heils erfreuen!

85
Allein der neuen Pharisäer Hort –[359]

Im Krieg, mit Juden nicht und Türkenschaaren,
Vielmehr am Lateran und nahe dort,

88
(Weil alle seine Feinde Christen waren,

Die nicht bei Acri mitgesiegt, und nicht
Des Sultans Land als Schacherer befahren!) –

91
Nicht achtet’ er an sich die höchste Pflicht,

Und nicht den Strick, der meinen Leib umfangen,
Der Jeden mager macht, den er umflicht.

94
Wie Constantin Sylvestern angegangen,[360]

Ihm Hülf’ und Rath beim Aussatz zu verleihn,
So sollt’ ich jetzt als Arzt auf sein Verlangen

97
Vom Fieber seines Hochmuths ihn befrein.

Im Anfang wollt’ ich mich der Antwort schämen,
Denn eines Trunknen schien sein Wort zu sein.

100
Da sprach er: darfst nicht sorgen, noch dich grämen,

Ablaß ertheil’ ich dir, mich lehre du:
Wie fang ich’s an, Preneste wegzunehmen?

103
Du weißt, den Himmel schließ’ ich auf und zu,

Denn beide Schlüssel sind mir übergeben,
Die Cölestin vertauscht um träge Ruh.[361]

106
Nicht war so trift’gem Grund zu widerstreben,

Und da nun Schweigen mir das Schlimmste schien,
So sprach ich endlich: Vater, da du eben

109
Die Sünde, die ich thun soll, mir verziehn,
[156]

So wisse: Viel versprechen, wenig halten,[362]
Dadurch wird deinem Stuhl der Sieg verliehn. –

112
Sanct Franz wollt’, wie ich starb, sein Amt verwalten,

Mich heimzuführen; doch ein Teufel kam,
Und sprach: Halt’ ein, denn den muß ich erhalten.

115
Er kommt mit mir hinab zu ew’gem Gram,

Weil ich, seitdem er jenen Trug gerathen,
Ihn bei dem Schopf als meine Beute nahm.

118
Wer Ablaß will, bereu’ erst seine Thaten.

Doch wer bereut und Böses will, der muß
Wohl mit sich selbst in Widerspruch gerathen.

121
Ach! wie ich zuckt’ in Schrecken und Verdruß,

Als er mich faßt’ und, mich von dannen reißend,
Sprach: Meintest du, ich sei kein Logicus?

124
Zu Minos trug er mich, der, sich umkreisend[363]

Den harten Rücken, bei dem achten Mal
Ausrief, sich in den Schweif vor Ingrimm beißend:

127
Der wird der Flamme Raub im achten Thal!

Und also ward ich von dem Schlund verschlungen,
Und geh’ im Feuerkleid zu ew’ger Qual.“

130
Hier endet’ er, und als das Wort verklungen,

Da ging sogleich die Flamme jammernd fort,
Das Horn gedreht und hin und hergeschwungen.

133
Und weiter ging ich nun mit meinem Hort

Zur nächsten Brück’ auf rauhen Felsenpfaden,
[157] Und sah im Grund, den Lohn empfangend, dort

136
Die, Zwiespalt stiftend, sich mit Schuld beladen.
_______________

Achtundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 9. Bulge. Zwietrachtstifter, selbst zerfetzt. Muhamed u. A. Bertrand de Born.

1
Wer könnte je, auch mit dem frei’sten Wort,

Das Blut, das ich hier sah, die Wunden sagen,
Erzählt’ er auch die Kunde fort und fort.

4
Jedwede Zunge muß den Dienst versagen,

Da Sprach’ und Geist zu eng und schwach erscheint,
So Schreckliches zu fassen und zu tragen.

7
Und wären all’ die Tausende vereint,[364]

Die, in Apulien’s Schicksalsau’n erschlagen
Von Römerhand, den eignen Tod beweint;

10
Auch die, die im Karthagerkrieg erlagen,

Wo man so große Beut’ an Ringen fand,
Wie Livius schreibt, der Wahrheit pflegt zu sagen;

13
Auch das Volk, das so harte Schläg’ empfand,

Weil’s gegen Robert Guiscard ausgezogen;
Auch das, deß Knochen modern dort im Land

16
Bei Ceperan, wo Pugliens Schaar gelogen;

Auch das von Tagliacozzo, wo Alard,
Der Greis, durch List die Waffen aufgewogen;

[158]
19
Und zeigte der, wie er zerfetzt fort ward,

Der, wie verstümmelt: nicht wär’s zu vergleichen
Mit dieses neunten Schlundes Weis’ und Art.[365]

22
Ein Faß, von welchem Reif’ und Dauben weichen,

Ist nicht durchlöchert, wie hier Einer ging.
Durchhau’n vom Kinn bis zu Gesäß und Weichen,

25
Dem zwischen beiden Beinen abwärts hing[366]

Das Eingeweide, bis wo sich die Speise
Wandelt in Koth, und offen das Geschling.

28
Ich schaut’ ihn an und er mich gleicher Weise,

Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf,
Und sprach zu mir: „Sieh, wie ich mich zerreiße.

31
Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf![367]

Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.

34
Sieh Alle, die, da sie auf Erden wallten,

Dort Aergerniß und Trennung ausgesät,
Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.

37
Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,

Er ist’s, der Jeglichen zerreißt und schändet
[159] Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,

40
Wenn wir den wehevollen Kreis vollendet;

Denn jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
Eh’ unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.

43
Doch wer bist du, der dort hernieder gafft?

Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
Wohin Geständniß dich und Urtheil schafft?“

46
„Er ist nicht todt, noch hergeführt von Sünden,“

So sprach mein Meister drauf zu Mahoms Pein,
„Doch soll er, was die Höll’ umfaßt, ergründen,

49
Und ich, der todt bin, soll sein Führer sein.

Drum führ’ ich ihn hinab von Rund’ zu Runde,
Und Glauben kannst du meinem Wort verleihn.“

52
Jetzt blieben hundert wohl im tiefen Grunde,

Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.

55
„Du wirst vielleicht die Sonn’ in Kurzem sehn,

Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,[368]
Eh’ ihn der Schnee belagert, sich versehn,

58
Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.

Allein vollbringt er, was ich rieth, so muß
Novara’s Heer ihn lang’ umsonst umkreisen.“

61
Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,

Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
Und setzt’ ihn hin und ging dann voll Verdruß.

64
Dann sah ich Einen mit durchbohrter Kehle,

Die Nase bis zum Auge hin zerhau’n,
Und wohl bemerkt’ ich, daß ein Ohr ihm fehle.

67
Und staunend sah auf mich dies Bild voll Grau’n,
[160]

Und öffnete zuerst des Schlundes Röhre,
Von außen roth und blutig anzuschau’n.

70
„Du, nicht verdammt für Sünden, wie ich höre,

Den ich bereits im Latier-Lande sah,
Wenn ich durch Aehnlichkeit mich nicht bethöre,

73
Kommst du den schönen Ebnen wieder nah,[369]

Die von Vercell nach Marcabo sich neigen,
So denk’ an Pier von Medicina da.[370]

76
Du magst den Besten Fano’s nicht verschweigen,[371]

Dem Guid’ und Angiolell, daß, wenn nicht irrt
Mein Geist, dem sich der Zukunft Bilder zeigen,

79
Nah bei Cattolica, schlau angekirrt,

Vom schändlichsten der Wütheriche verrathen,
Das edle Paar ersäuft im Meere wird.

82
Noch nimmer hat Neptun so schnöde Thaten

Von Cypern bis Majorka hin geschaut,
Von Griechenschaaren nicht, noch von Piraten.

85
Der Bub’, auf einem Aug’ von Nacht umgraut,

Jetzt Herr des Stadt, von welchem mein Geselle
Hier neben wünscht, nie hätt’ er sie erschaut,

88
Ruft sie als Freund und gibt dann so Befehle,

Daß sie nicht brauchen fürder sich zu scheu’n,
Wie wild der Wind auch von Focara schwelle.“[372]

91
Drauf ich: „„Soll dein Gedächtniß sich erneu’n,

So magst du dich zu sagen nicht entbrechen,
[161] Wer muß den Anblick jenes Land’s bereu’n?““

94
Da griff er, um den Mund ihm aufzubrechen,

Nach eines Andern Kiefer hin und schrie:
„Sieh her, der ist’s, allein er kann nicht sprechen,

97
Er, der, verbannt, einst Cäsarn Muth verlieh,[373]

Und alle seine Zweifel scheucht’, ihm sagend:
Dem Kampfbereiten fromme Zögern nie.“

100
O wie jetzt Curio ganz verblüfft und zagend,

Die Zunge tief am Schlund verschnitten, stand,
Die Zung’, einst kühn und eilig Alles wagend –

103
Und abgeschnitten die und jene Hand,

Stand Einer, in die Nacht die Stümpf’ erhoben,
Das Antlitz blutbespritzt mir zugewandt,

106
Und rief: „Denkt man des Mosca noch dort oben?[374]

Ich bin’s, der meine Hand zum Morde bot,
Ob deß jetzt Tuscien die Partei’n durchtoben.“

109
„„Der Grund auch war zu deines Stammes Tod!““

Setzt’ ich hinzu – und, häufend Grau’n auf Grauen,
Zog er davon in höchster Angst und Noth.

112
Ich aber blieb, die Andern anzuschauen,

Und was ich sah, so furchtbar und so neu,
Nicht wagt’ ich’s unverbürgt euch zu vertrauen,

115
Fühlt’ ich nicht mein Gewissen rein und treu,

Dies gute feste Schild, den sichern Leiter,
Und so mein Herz befreit von Furcht und Scheu:

118
Ich sah – noch ist dies Schreckbild mein Begleiter –

Ein Rumpf ging ohne Haupt mit jener Schaar
Von Unglücksel’gen in der Tiefe weiter.

121
Er hielt das abgeschnittne Haupt beim Haar,
[162]

Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
Und seufzte tief, wie er uns nahe war.

124
So kam er Eins in Zwei’n dahergegangen,

Und leuchtet’ als Laterne sich mit sich –
Wie’s möglich, weiß nur der, der’s so verhangen.

127
Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,

Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
Den Arm zusammt dem Haupte gegen mich,

130
Und sprach: „Hier sieh die schrecklichste der Plagen!

Du, der du athmend in der Höll’ erscheinst,
Sprich, ist wohl eine schwerer zu ertragen?

133
Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst:

Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,[375]
Dem König, gab ich bösen Rathschlag einst,

136
Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,

Wie zwischen David einst und Absalon,
Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.

139
Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn

Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,

142
Und so, wie ich gethan, ist mir geschehen.“
_______________

Neunundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 10. Bulge. Fälscher. Alchymisten.

1
Das viele Volk und die verschiednen Wunden,

Sie hatten so die Augen mir berauscht,
[163] Daß sie vom Schau’n mir ganz voll Zähren stunden.

4
Da sprach Virgil: „Was willst du noch? Was lauscht

Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
Wo’s Gräuelbild um Gräuelbild vertauscht?

7
Nicht also thatst du in den andern Schlünden.

An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Thal,[376]
Drum kannst du hier nicht Jegliches ergründen.

10
Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,[377]

Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
Denn noch zu sehn ist viel’ und große Qual.“

13
Ich sprach: „„Erlaubtest du, dir mitzutheilen,

Welch’ einen Grund ich hatt’, hinabzuspähn,
So würdest du wohl minder mich beeilen.““

16
Er ging, und ich ihm nach und gab im Gehn

Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde,
Und sprach: „„Wohl hab’ ich scharf hinabgesehn,

19
Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde

Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde.““

22
Mein Meister sprach darauf: „Nicht mache dir

Noch länger Sorg’ um diesen Anverwandten;
An Andres denk’, er aber bleibe hier.

25
Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten

Dich zeigen, und dir mit dem Finger drohn

[164]

Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten.[378]

28
Doch du bemerktest eben nichts davon,

Weil auf dem Beltram deine Blicke weilten;
Als dieser ging, war jener schon entflohn.“

31
„„Weil Rach’ und Schwert des Feindes ihn ereilten,““[379]

Sprach ich, „„und Keiner seinen Tod gerächt,
Von allen denen, so die Kränkung theilten,

34
Zürnt er auf mich und zürnt auf sein Geschlecht,

Und ging drum, ohne mich zu sprechen, weiter,
Und darin, glaub’ ich, hat der Arme Recht.““

37
Nun folgt’ ich hin zum Felsen meinem Leiter,[380]

Von wo man überblickt’ den nächsten Schlund,
Wär’ irgend nur von Licht die Tiefe heiter.

40
Von seiner Höh’ ward unserm Auge kund

Der letzte Klaus’ des Kreises Uebelsäcken,[381]
Und deren Ordensbrüder tief im Grund,

43
Und gleich den Pfeilen drangen, mir zum Schrecken,

Gespitzt durch Mitleid, Jammertön’ heraus,
[165] Und zwangen mich, die Ohren zu bedecken.

46
Wär’ aller Schmerz aus jedem Krankenhaus

Zur Zeit, da wild die Sommergluten flammen,
Und Valdichiana’s und Sardiniens Graus[382]

49
Und Seuch’ und Pest in einem Schlund beisammen:

Nicht ärger wär’s als hier, wo fauler Duft
Und Stank vom Eiter in den Lüften schwammen.

52
Wir stiegen auf den Rand der letzten Kluft[383]

Vom langen Felsen niederwärts zur Linken,
Und deutlicher erschien der Schooß der Gruft.

55
In diesen Grund läßt nach des Höchsten Winken

Die nimmer irrende Gerechtigkeit
Zur wohlverdienten Qual die Fälscher sinken.

58
Nicht in Aegina ist vor alter Zeit

Des Volkes Anblick trauriger gewesen,
Das krank darniedersank, dem Tod geweiht,

61
– Bis zu dem kleinsten Wurm jedwedes Wesen –

Durch tückisch böse Luft, worauf im Land,
Wie wir für sicher in den Dichtern lesen,

64
Ein neues Volk aus Aemsenbrut entstand:

Als hier zu sehn war, wie sich schwach und siechend
Das Geistervolk in manchem Haufen wand.

67
Die Einen auf der Andern Rücken liegend,
[166]

Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
Zum andern hin auf allen Vieren kriechend.

70
Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,

Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen,
Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.

73
Sich gegenseitig stützend, saßen zween,[384]

Wie in der Küche Pfann’ an Pfanne lehnt,
Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.

76
Gleichwie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt

Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
Die Striegel eiligst führt, und öfters gähnt;

79
So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben

Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
So gut es ging, ihr wüthend Jücken laben.

82
Und schnell war unter ihren Klau’n der Grind

Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
Die unter’m Messer schneller Köche sind.

85
„Du, vor deß Fingern jetzt die Schuppen sprangen,“[385]

Begann Virgil zu Einem von den Zwei’n,
„Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,

88
Sprich, fanden sich auch hier Lateiner ein,

Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
Dafür dir ewig scharf die Nägel sein.“

91
„Lateiner kannst du in uns beiden schauen,“

[167] Erwidert Einer drauf, von Qual durchbebt,
„Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen.“

94
Mein Führer sprach: „Von Fels zu Felsen strebt

Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
Die Höll’ zeig’ ich diesem, der da lebt.“

97
Da schien das Band, das Beide hielt, zerrissen;[386]

Und Jeder, dem’s der Rückhall kund gethan,
War zitternd nur mich anzuschau’n beflissen.

100
Dicht drängte sich an mich mein Meister an,

Und sprach: „Du magst sie nach Belieben fragen!“
Und ich, da Er es so gewollt, begann:

103
„„Soll dein Gedächtniß noch in späten Tagen

Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,

106
Wie du dich nennst und deine Heimath heißt?

Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
Daß du in deinen Reden offen seist.““

109
„Mich zeugt’ Arezzo, und den Tod in Flammen[387]

Verschafft’ einst Albero von Siena mir,
Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.

112
Wahr ist’s, ich sagt’ im Scherz: In’s Luftrevier,

Verstünd’ ich mich im Fluge hinzuschwingen.
Er, klein an Witz, und groß an Neubegier,

115
Bat mich, ihm diese Kenntniß beizubringen.

Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.

118
Doch Minos, dem sich Alles offenbart,

Hat, weil ich mich der Alchymie ergeben,
Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt.“

121
Zum Dichter sagt’ ich: „„Sprich, ob man im Leben

So eitles Volk, wie die Sanesen fand?

[168]

Selbst die Franzosen sind ja nichts daneben.““

124
Der andre Grind’ge, welcher mich verstand,

Rief: „Mag nur Stricca ausgenommen bleiben,[388]
Der all’ sein Gut so klüglich angewandt;

127
Und Niccol’, dem die Ehre zuzuschreiben,

Daß er zuerst die Braten wohl gewürzt,
Dort, wo dergleichen Lehren wohl bekleiben;

130
Und jener Klub, der wohl die Zeit gekürzt,[389]

In dem Caccia d’Ascian sammt seinem Witze
Auch Wald und Weinberg durch den Schlund gestürzt.

133
Doch willst du wissen, wer dir half, so spitze[390]

Den Blick auf mich, und stelle dich dahin,
Gerade gegenüber meinem Sitze;

136
Dann wirst du sehn, daß ich Capocchio bin.[391]

Metall verfälscht’ ich, daß ich Gold erschaffe,
Und, sah ich recht, so ist dir’s noch im Sinn,

139
Ich war von der Natur ein guter Affe.“
_______________

Dreißigster Gesang.
Fortsetzung. Personen-Fälscher. Falschmünzer. Lügner. Meister Adam. Sinon.

1
Zur Zeit, da Juno’s Herz in Zorn gerathen[392]

Ob Semele’s, in Zorn auf Thebens Blut,
[169] Wie sie so manches Mal gezeigt durch Thaten,

4
Ergriff den Athamas so tolle Wuth,

Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
Das jeden Arm mit einem Sohn belud,

7
Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:

„Die Löwin sammt den Jungen sei gefaßt!“
Dann streckt’ er aus die mitleidlosen Krallen;

10
Und wie er einen, den Learch, mit Hast

Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.

13
Und als das Glück, das Alles kühn zu wagen,

Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,

16
Und Hekuba, gefangen und verbannt,[393]

Geopfert die Polyxena erblickte,
Und sie ihr Mißgeschick an Thraciens Strand

19
Zum Leichnam ihres Polydorus schickte:

Da bellte sie, wahnsinnig, wie ein Hund,
Weil Schmerz den Geist verkehrt’ und ganz bestrickte.

22
Doch nichts in Theben ward noch Troja kund

Von einer Wuth, die Vieh und Menschen packte,
Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.[394]

[170]
25
Ein Paar von Geistern, todtenfahle, nackte,

Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
Indem’s auf Alles mit den Zähnen hackte.

28
Der schlug sie in den Hals Capocchio’s ein,

Und schleppt’ ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.

31
Der Aretiner, der voll Angst geblieben,

Sprach: „Schicchi ist’s, der tolle Poltergeist,[395]
Der solch ein wüthend Spiel schon oft getrieben.“

34
„„Wie du geschützt vor Jenes Zähnen seist,““

Entgegnet’ ich, „„so sprich, eh’ er entronnen,
Wer dieser Schatten ist, und wie er heißt.““

37
„Die Myrrha ist’s, die schnöden Trug ersonnen,“[396]

Erwiedert’ er, „die mehr als sich gebührt,
Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,

40
Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,

Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
Wie Jener, der Capocchio dort entführt,

43
Weil Simon ihn durch’s beste Roß verpflichtet,

Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
Und so für ihn ein Testament errichtet.“

46
Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,

Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen,
Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.

49
[171] Der Eine war der Laute zu vergleichen,[397]

Hätt’ ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.

52
Die Wassersucht, durch schlecht verkochten Saft

Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,

55
Hielt ihm die beiden Lippen offenstehend,

Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
Und dem Schwindsücht’gen gleich, vor Durst vergehend.

58
„Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,

Wie? weiß ich nicht in diesen Schmerzens-Thalen,“
Er sprach’s, „o schaut und merkt und seid belehrt

61
Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.

Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glühn;
Dort konnt’ ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.

64
Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün

Des Casentin zum Arno niederrollen,[398]
Und kühl und lind des Bettes Rand besprühn,

67
Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,

Und nicht umsonst – mehr, als die Wassersucht,
Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen!

70
So nützt Gerechtigkeit, die mich verflucht,

Noch selbst den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
Um zu vermehren meiner Seufzer Flucht.

[172]
73
Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen

Geringern Werths verfälscht das gute Geld,
Weshalb ich dort der Flamm’ anheimgefallen.

76
Doch wäre Guido nur mir beigesellt,[399]

Und Jeder, der zum Laster mich verführte,
Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.[400]

79
Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte

Er jüngst den Einen auf in dieser Nacht.
Doch da dies Uebel meine Glieder schnürte,

82
Was hilft es mir? Hätt’ ich nur so viel Macht,

Um im Jahrhundert einen Zoll zu schreiten,
Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,

85
Ihn suchend durch dies Thal nach allen Seiten,

Mag’s in der Rund’ auch sich eilf Miglien ziehn,[401]
Und minder nicht als eine halbe breiten.

88
Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,

Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
An schlechterm Zusatz drei Karat verliehn.“

91
Und ich: „„Was mochten jene Zwei verschulden,

Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand
Fest an dir liegend, ihre Straf erdulden?““

94
Er sprach: „Sie liegen fest, wie ich sie fand,

Als ich hierher geschneit nach Minos Winken,
Und werden ewiglich nicht umgewandt.

97
Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken[402]

Liegt Sinon mir, berühmt durch Troja’s Roß.
Im faulen Fieber liegen sie und stinken –“

100
Und dieser Letzte, den’s vielleicht verdroß,[403]

[173] Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,

103
Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.

Doch in das Angesicht des Andern warf
Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:

106
„Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,

Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf.“

109
„Als du zum Feuer gingst,“ rief Sinon, „rührtest

Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
Doch schneller, da du einst den Stempel führtest.“

112
Der Wassersücht’ge: „Darin sprichst du wahr,

Doch stelltest du in Troja kein Exempel
Von einem so wahrhaft’gen Zeugniß dar.“

115
„Fälscht’ ich das Wort, so fälschtest du den Stempel.

Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
Du aber dientest stets in Satans Tempel.“

118
So Sinon. „Denk’ an’s Roß, du Schelm!“ so fuhr

Ihn Jener an mit dem geschwollnen Bauche,
„Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr.“

121
„Und dir sei Qual“, der Grieche rief, „die Jauche,

Die stets zum Bollwerk blähet deinen Wanst,
Und Durst, der deine Zung’ in Flammen tauche!“

124
Der Münzer: „Der du stets auf Lügen sannst,

Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
Wenn du mich dürstend, schwellend sehen kannst,

127
Mög’ dich die Hitze quälen, Kopfweh stechen.

Spräch’ Einer kurz: Sauf’ aus den ganzen Bach!
Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen.“

130
Ich horchte stumm, was Der und Jener sprach,

Da rief Virgil: „Nun, wirst du endlich kommen?
Zu lange sah’ ich schon der Neugier nach.“

133
Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,

Wandt’ ich voll Scham zu ihm das Angesicht,
Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.

[174]
136
Wie man im schreckenvollen Traumgesicht

Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
Und das, was ist, ersehnt, als wär’ es nicht;

139
So bangt’ ich, daß mir Scham das Wort entzöge;[404]

Entschuld’gen wollt’ ich mich – Entschuld’gung kam,
Indem ich glaubte, daß ich’s nicht vermöge.

142
Es sprach mein guter Meister: „Mindre Scham

Wäscht größern Fehler ab, als du begangen;
Darum entlaste dich von jedem Gram;

145
Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,

So denke stets, daß ich dir nahe bin,
Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen,

148
Denn drauf zu horchen, zeigt gemeinen Sinn.“
_______________

Einunddreißigster Gesang.
Zum IX. Kreis. Der Brunnen. Die Giganten. Antäus setzt sie auf den Grund.

1
Dieselbe Zunge, die mich erst verletzte[405]

Und beide Wangen überzog mit Roth,
War’s, die mich dann mit Arzeneien letzte.

4
So, hör’ ich, hat der Speer Achills gedroht,

Und seines Vaters, der mit einem Zücken
Verletzt’ und mit dem andern Hülfe bot.

7
Wir kehrten nun dem Jammerthal den Rücken,[406]

Den Damm durchschneidend, der es rings umlag,
[175] Um, schweigend, mehr nach innen vorzurücken.

10
Dort war’s nicht völlig Nacht, nicht völlig Tag,

Daher die Blicke wenig vorwärts gingen;
Doch tönt’ ein Horn. Der stärkste Donner mag

13
Bei solchem Ton kaum hörbar noch erklingen,

Drum sucht’ ich nur, entgegen dem Gebraus,
Mit meinem Blick zu seinem Quell zu dringen.

16
Nicht tönte nach dem unglücksel’gen Straus,[407]

Der Karls des Großen heil’gen Plan vernichtet,
Des Grafen Roland Horn mit solchem Graus.

19
Wie ich mein Auge nun dorthin gerichtet,

Glaubt’ ich, viel hohe Thürme zu ersehn,
Und sprach: „„Ist eine Veste dort errichtet?““

22
Mein Meister drauf: „Weil du zu weit zu spähn[408]

Versuchst in diesen nachterfüllten Räumen,
Mußt du dich selber öfters hintergehn.

25
Dort siehst du, daß, wie oft, zu eitlen Träumen

Aus der Entfernung das Geschaute schwoll;
Drum schreite vorwärts ohne lang zu säumen.“

28
Dann faßt’ er bei der Hand mich liebevoll,

Und sprach: „Ich will dir die Bewandtniß sagen,
Weil’s nah dann minder seltsam scheinen soll.

31
Ob’s Thürme wären, wolltest du mich fragen?

Nein, Riesen sind’s, die rings am Brunnenrand
Vom Nabel aufwärts in die Lüfte ragen.“

34
Wie wenn der Nebel fortzieht, der das Land

In Dunst gehüllt, allmälig unsre Blicke
Das klar erkennen, was er erst umwand;

37
So, spähend durch die Luft, die trübe dicke,

Scheucht’ ich den Wahn, genaht dem tiefen Schlund,
Doch fühlte, daß mich neu die Furcht bestricke.

[176]
40
Gleichwie Montereggione’s Zinnen-Rund[409]

Zahlreiche Thürme ringsum mächtig krönen:
Thürmten sich, halb aufragend aus dem Grund,

43
Die Leiber von den wilden Erdensöhnen,

Von den Giganten, denen Jovis Droh’n
Noch immer gilt, wenn seine Donner dröhnen.

46
Vom nächsten sah das Angesicht ich schon,

Auch Schultern, Brust und großen Theil vom Bauche
Und hängend beide Arm’ abwärts davon.

49
Wenn die Natur nicht mehr nach altem Brauche

Dergleichen Wesen schafft, so thut sie recht,
Damit nicht Mars sie mehr als Schergen brauche.

52
Schafft sie den Walfisch auch und das Geschlecht

Der Elephanten noch, doch sicher findet,
Wer reiflich urtheilt, sie hierin gerecht,

55
Weil, wenn die Ueberlegung sich verbindet

Mit bösem Willen und mit großer Macht,
Jedwede Schutzwehr dann dem Volke schwindet.

58
Das Antlitz schien mir lang und ungeschlacht,

Sanct Peters Pinienzapfen zu vergleichen,[410]
[177] Und jedes Glied nach solchem Maß gemacht.

61
Es mochten wohl vom Strand, der von den Weichen

Ihn abwärts barg, der oberen Gestalt
Drei Friesen ausgestreckt nicht dahin reichen,[411]

64
Wo seine Stirn das borst’ge Haar umwallt,

Denn aufwärts maß er dreißig große Palmen,
Bis zu dem Ort, wo man den Mantel schnallt.

67
Raphel mai amech zabi almen!“[412]

So tönt’ es aus den dicken Lippen vor,
Die nicht sich eigneten für sanftre Psalmen.

70
Mein Führer rief: „Nimm doch dein Horn, du Thor,

Und magst du Zorn und andern Trieb empfinden,
So sprudl’ ihn flugs durch seinen Bauch hervor.

73
Du kannst an deinem Hals den Riemen finden,

Verwirrter Geist, der’s angebunden hält.
Sieh doch ihn dort die dicke Brust umwinden!“

76
Darauf zu mir: „Sich selbst verklagt der Held;

Der Nimrod ist’s, durch dessen toll Vergehen
Man nicht mehr eine Sprach’ übt in der Welt.

79
Mit ihm ist nicht zu sprechen. Mag er stehen!

Kein Mensch versteht von seiner Sprach’ ein Wort,
Und er kann keines Andern Wort verstehen.“

82
Wir gingen nun zur Linken weiter fort,

Und fanden schon in Bogenschusses Weite
Den zweiten größern, wildern Riesen dort.

85
Nicht weiß ich, wem’s gelang, daß er im Streite

Ihn fing und band; doch vorn geschnürt erschien
Sein linker Arm und hinterwärts der zweite!

88
Denn eine Kett’ umwand vom Nacken ihn,
[178]

Um, was von seinem Leib nach oben ragte,
Nach unten hin fünfmale zu umziehn.

91
Da sprach mein Meister: „Mit dem Donn’rer wagte

Sein kühner Stolz des großen Kampfes Loos.
Hier aber sieh den Preis, den er erjagte.

94
Ephialtes ist’s. Sein Thun war kühn und groß[413]

Im Riesenkampfe, zu der Götter Schrecken;
Nun ist sein droh’nder Arm bewegungslos.“

97
Und ich zu ihm: „„Den ungeheuren Recken,

Den Briareus, wenn dies geschehen kann,[414]
Möcht’ ich wohl gern in diesem Thal entdecken.““

100
Mein Führer drauf: „Du siehst hier neben an[415]

Antäus stehn. Er spricht, ist ungebunden,
Und setzt uns nieder in den tiefsten Bann.

103
Der, den du suchst, wird weiterhin gefunden,

Gleich diesem hier, nur schrecklicher zu schau’n,
Allein wie er mit Ketten fest umwunden.“

106
Hier schüttelt’ Ephialtes sich, und traun!

Kein Erdenstoß, von dem die Thürme schwanken,
War heftiger, erregte tiefres Grau’n.

109
Ich glaubte schon dem Tode zuzuwanken,

Und sah ich nicht, wie ihn die Kett’ umschloß,
So gnügten mich zu tödten die Gedanken.

112
Wir gingen weiter, ich und mein Genoß,

Und sahn Antäus, der dem tiefen Bronnen
Fünf Ellen bis zum Haupte hoch, entsproß.

115
„Der du im Thal, das ew’gen Ruhm gewonnen,

[179] Weil Hannibal in ihm, der kühne Feind,
Mit seiner Schaar vor Scipio’s Muth entronnen,

118
Einst tausend Löwen fingst! – wenn du, vereint

Mit deinen Brüdern kühn den Arm geschwungen
Im hohen Krieg, so hätten, wie man meint,

121
Die Erdensöhne doch den Sieg errungen.

Jetzt setz’ uns dort hinab, wo, fern dem Licht,
Die starre Kälte den Cocyt bezwungen.

124
Zu Tityus noch Typhäus schick’ uns nicht,[416]

Das, was man hier ersehnt, kann dieser geben,
Verzerre drum nicht also dein Gesicht!

127
Er kann auf Erden deinen Ruf erheben.

Er lebt und hofft, wenn ihn nicht vor der Zeit
Die Gnade zu sich ruft, noch lang zu leben.“

130
Er sprach’s, und Jener, schnell zum Griff bereit,

Streckt’ aus die Hand, um auf ihn loszufahren,
Die Hand, die Herkul fühlt’ im großen Streit.

133
Virgil, kaum konnt’ er sich gepackt gewahren,[417]

Rief: „Komm hierher, wo dich mein Arm umstrickt!“
Drauf macht’ er’s, daß wir Zwei ein Bündel waren.

136
Wie Carisend’, von unten her erblickt,[418]
[180]

Sich vorzubeugen scheint und selbst zu regen,
Wenn Wolken ihr der Wind entgegenschickt:

139
So schien Antäus jetzt sich zu bewegen,

Als er sich niederbog, und großen Hang
Empfand ich, fortzugehn auf andern Wegen.

142
Doch leicht zum Grund, der Lucifern verschlang

Und Judas, setzt’ er nieder unsre Last,
Und, so geneigt, verweilt’ er dort nicht lang,

145
Und schnellt’ empor, als wie im Schiff der Mast.[419]
_______________

Zweiunddreißigster Gesang.
IX. Kreis des ewigen Eises. 1. Kaina. Bluts-Verräther. 2. Antenora. Vaterlandsverräther.

1
O hätt’ ich Reime von so heiserm Schalle,

So rauh, wie sie erheischt dies Loch voll Graus,
Auf welchem ruhn die andern Felsen alle,[420]

4
Dann drückt’ ich, was ich will, vollkommner aus,

Doch, sie nicht habend, geh’ ich nur mit Bangen
Jetzt an die Rede, wie zum harten Straus.

7
Denn nicht ein Spiel ist ja mein Unterfangen,

Den Grund des Alls dem Liede zu vertrau’n,[421]
[181] Und nicht mit Kinderlallen auszulangen.

10
Doch fördern meine Reim’ jetzt jene Frau’n,[422]

Amphions Hülf’ an Thebens Mau’r und Thoren,
Dann wohl entspricht mein Lied der Tat an Grau’n.[423]

13
O schlecht’ster Pöbel, an dem Ort verloren,

Der hart zu schildern ist, o wär’st du doch,
In unsrer Welt als Zieg’ und Schaf geboren!

16
Wir waren nun im dunkeln Brunnenloch[424]
[182]

Tief unterm Riesen, näher schon der Mitte,
Und nach der hohen Mauer sah ich noch.

19
Da hört’ ich sagen: „Schau’ auf deine Schritte,

Daß du den Armen nicht im Weiterziehn
Die Häupter stampfen magst mit deinem Tritte.“

22
Drum wandt’ ich mich, und vor mir hin erschien

Und unter meinen Füßen auch, ein Weiher,
Der durch den Frost Glas, und nicht Wasser, schien.

25
Die Donau bleibt im Frost vom Eise freier,

Und nah dem Pol selbst in der längsten Nacht
Deckt nicht den Tanais ein so dichter Schleier.

28
Und wäre Tabernik herabgekracht[425]

Und Pietrapan, nicht hätte nur am Saume
Bei ihrem Sturz dies harte Eis gekracht.

31
Wie Abends, wenn die Bäuerin im Traume

Noch Aehren liest – die Schnauze vorgestreckt,
Der Frösche Volk quäkt aus dem nassen Raume;

34
Also, bis wo das Schamroth sich entdeckt, (bis zum Nacken)

Fahl, mit dem Ton des Storchs die Zähne schlagend,
War elend Geistervolk im Eis versteckt,

37
Zur Tiefe hingewandt das Antlitz tragend,

Vom Froste mit dem Mund, und von den Weh’n
Des Herzens mit den Augen Zeugniß sagend.

40
Als ich ein Weilchen erst mich umgesehn,

Schaut’ ich zum Boden hin und sah von oben
Zwei, eng umfaßt, vermischt das Haupthaar, stehn.

43
„„Ihr, die ihr drängend Brust an Brust geschoben,

Wer seid ihr?““ sprach ich; dann, als sie auf mich,
Die Hälse rückend, ihre Blick’ erhoben,

46
Sah ich die Augen, feucht erst innerlich,

Von Thränen träufeln, die, noch kaum ergossen,
Zu Eis erstarrten; und sie schlossen sich,

49
Fest, wie nie Klammern Holz an Holz geschlossen;

Drum stießen sich im Grimme wilden Streits,
Gleich zweien Böcken, diese Qualgenossen.

52
Und einer, der sein Ohrenpaar bereits

Durch Frost verlor, brach, stets gebückt, das Schweigen:
„Was hängst du so am Schauspiel unsres Leids?

55
[183] Soll ich, wer diese beiden sind, dir zeigen?[426]

Das Thal, das des Bisenzio Flut benetzt,
War ihnen einst und ihrem Vater eigen.

58
Ein Leib gebar sie, und durchsuche jetzt

Kaina ganz, du findest sicher Keinen
Mit besserm Grund in dieses Eis versetzt –

61
Nicht ihn, deß Brust und Schatten einst durch einen[427]

Stoß seines Speers durchbohrt des Artus Hand,
Focaccia nicht, noch ihn, deß Kopf den meinen[428]

64
So deckt, daß mir die Aussicht gänzlich schwand,

Den, hörst du Sassol Mascheroni nennen,[429]
Du ein Toskaner, sicher leicht erkannt.

67
Jetzt hör’, um mir nur schleunig Ruh zu gönnen,

Ich, Camicion, hoff’ bald Carlin zu schau’n,[430]
Und werde neben ihm mich brüsten können!“

70
Und Hunden gleich, vom Froste blau und braun,

Sah tausend Fratzen ich empor sich heben,
Weshalb noch jetzt mir jedes Eis macht Grau’n.

73
– Und weiter ging’s zum Mittelpunkt zu streben,[431]
[184]

Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht;
Selbst wandelt’ ich durch ew’gen Frost voll Beben.

76
War’s Vorsatz, war’s Geschick – ich weiß es nicht,

Genug, es stieß mein Fuß, beim Weitergehen
Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.

79
„Was trittst du mich?“, so hört’ ich’s heulend schmähen,

„Rächst du noch schärfer Montapert an mir?[432]
Wenn aber nicht, weswegen ist’s geschehen? –“

82
„„Mein Meister,““ sprach ich, „„harr’ ein wenig hier,

Denn gern belehrt’ ich mich von diesem näher,
Dann folg’ ich, wie dir’s gut dünkt, eilig dir.““

85
Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,

Und Jener fluchte noch so wild wie erst,
Da sprach ich: „„Wer bist du, du arger Schmäher?““

88
„Und du, der du durch Antenora fährst,“

Sprach er, „wer du, der so stößt Andrer Wangen,
Daß es zu arg wär’, wenn du lebend wärst?“

91
„„Ich lebe,““ sagt’ ich. „„Hättest du Verlangen

Nach Ruf, so wird er dir durch mich zu Theil,
Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen.““

94
Drauf Er: „Ich wünsche nur das Gegentheil,

Drum packe dich – in diesen Eisesmassen
Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil.“[433]

97
Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,

Und sagt’ ihm: „„Nöthig wird’s, daß du dich nennst,
Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen.““

100
Und Er: „Ob du mich zausen magst, du kennst

Mich dennoch nicht – nichts sollst du hier erkunden,
Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst.“

103
Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,

[185] Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
Schaut’ er hinab, und bellte gleich den Hunden.

106
Da rief ein Andrer: „Bocca, nun fürwahr,

Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?“

109
„„Dich““, rief ich, „„mag ich nicht zum Reden zwingen,

Verräther du, allein zu deiner Schmach
Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen.““

112
„Erzähle, was du willst, doch hintennach,“

Rief Bocca, „magst du diesen nur nicht schonen,
Der eben jetzo so geläufig sprach.

115
Sieh ihn für’s Gold der Franken hier belohnen,

Und sage, daß Duera da nicht fehlt,[434]
Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen.

118
Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,

Dort siehst du Becheria’s Augen triefen,[435]
Den jüngst die Florentiner abgekehlt.

121
Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,[436]

Gan, Tribaldello, der Faënza’s Thor
Den Feinden aufschloß, da noch Alle schliefen.“

124
Wir gingen fort und, etwas weiter vor

War Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
Das fest in einem Loch zusammenfror.

127
Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,

So fraß der Obre hier den Untern an,
Da wo sich Nacken und Gehirn verbinden.

130
Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn[437]
[186]

Ein Tideus voll von wilder Wuth geschlagen,
So ward von ihm dem Schädel hier gethan.

133
„„O du, der du mit viehischem Behagen

Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
Weshalb,““ begann ich, „„magst du dich beklagen?

136
Und hör’ ich, daß du dich mit Recht beklagst,

Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
So lohn’ ich’ dorten dir, wo du erlagst,

139
Wenn diese nicht verdorrt, mit der ich spreche.““[438]
_______________

Dreiunddreißigster Gesang.
IX. Kreis. 2. u. 3. Antenora und Ptolemäa. Vaterlands- und Freundes-Verräther.

1
Den Mund erhob vom schaudervollen Schmaus

Der Sünder jetzt und wischt’ ihn mit den Locken
Des angefressnen Hinterkopfes aus.

4
Er sprach: „Du willst zum Reden mich verlocken:

Verzweiflungsvollen Schmerz soll ich erneu’n,
Bei deß Erinnrung schon die Pulse stocken?

7
Doch dient mein Wort, um Saaten auszustreu’n,[439]

Die Frucht der Schande dem Verräther bringen,
Nicht Reden werd’ ich dann, noch Thränen scheu’n.

10
Zwar, wer du bist, wie dir hieher zu dringen

Gelungen, weiß ich nicht, doch schien vorhin
Wie Florentiner-Laut dein Wort zu klingen.

13
Du höre jetzt: Ich war Graf Ugolin,[440]

[187] Erzbischof Roger Er, den ich zerbissen.
Nun horch, warum ich solch ein Nachbar bin.

16
Daß er die Freiheit tückisch mir entrissen,

Als er durch Arglist mein Vertraun bethört
Und mich getödtet hat, das wirst du wissen.

19
Vernimm darum, was du noch nicht gehört,

Noch haben kannst – den Tod voll Graus und Schauer,
Und fass’ es, wie sich noch mein Herz empört.

22
Ein enges Loch in des Verließes Mauer,

Durch mich benannt vom Hunger, wo gewiß
Man Manchen noch verschließt zu bittrer Trauer,

25
Es zeigte kaum nach nächt’ger Finsterniß

Das erste Zwielicht, als ein Traum voll Grauen
Der dunklen Zukunft Schleier mir zerriß.

28
Er jagt’, als Herr und Meister, durch die Auen

Den Wolf und seine Brut zum Berg hinaus,

[188]

Der Pisa hindert, Lucca zu erschauen.[441]

31
Mit Hunden, mager, gierig und zum Straus

Wohleingeübt, entsendet’ er Sismunden,
Lanfranken sammt Gualanden sich voraus.

34
Bald schien im Lauf des Wolfes Kraft geschwunden

Und seiner Jungen Kraft, und bis zum Tod
Sah ich von scharfen Zähnen sie verwunden.

37
Als ich erwacht’ im ersten Morgenroth,

Da jammerten, halb schlafend noch, die Meinen,
Die bei mir waren, und verlangten Brod.

40
Theilst du nicht meinen Schmerz, so theilst du keinen;

Theilst du, was bang zu ahnen ich begann,
Und weinest nicht, wann pflegst du dann zu weinen?

43
Schon wachten wir, die Stunde naht’ heran,

Wo man uns sonst die Speise bracht’, und Jeden
Weht’ ob des Traumes Unglücksahnung an.

46
[189] Da hört’ ich riegeln unter mir den öden,

Graunvollen Thurm – und in’s Gesicht sah ich
Den Kindern allen, ohn’ ein Wort zu reden.[442]

49
Ich weinte nicht, so starrt’ ich innerlich;

Sie weinten, und mein Anselmuccio fragte:
Du blickst so, Vater! ach, was hast du? sprich!

52
Doch weint’ ich nicht, und diesen Tag lang sagte

Ich nichts, und nichts die Nacht, bis abermal
Des Morgens Licht der Welt im Osten tagte.

55
Als in mein jammervoll Verließ sein Strahl

Ein wenig fiel, da schien es mir, ich fände
Auf vier Gesichtern mein’s und meine Qual.

58
Ich biß vor Jammer mich in beide Hände,

Und Jene, wähnend, daß ich es aus Gier
Nach Speise thät’, erhoben sich behende

61
Und schrien: Iß uns, und minder leiden wir!

Wie wir von dir die arme Hüll’ erhalten,
O, so entkleid’ uns, Vater, auch von ihr.

64
Da sucht ich ihrethalb mich still zu halten,[443]

Stumm blieben wir den Tag, den andern noch.
Und du, o Erde, konntest dich nicht spalten?

67
Als wir den vierten Tag erreicht, da kroch[444]

Mein Gaddo zu mir hin mit leisem Flehen:
Was hilfst du nicht? Mein Vater, hilf mir doch!

70
Dort starb er – und so hab’ ich sie gesehen,

Wie du mich siehst, am fünften, sechsten Tag,
Jetzt den, jetzt den hinsinken und vergehen,

73
Schon blind, tappt’ ich dahin, wo jeder lag.
[190]

Rief sie drei Tage, seit ihr Blick gebrochen;
Dann that der Hunger, was kein Schmerz vermag.“[445]

76
Und scheelen Blickes fiel er, dies gesprochen,

Den Schädel an, den er zerriß, zerbrach,
Mit Zähnen, wie des Hundes, stark für Knochen.

79
O Pisa, du, des schönen Landes Schmach,

In dem das Si erklingt mit süßem Tone,
Sieht träg dein Nachbar deinen Freveln nach,

82
So schwimme her Capraja und Gorgone,[446]

Des Arno Mund zu stopfen, daß die Flut
Dich ganz ersäuf’ und keiner Seele schone.

85
Denn, wenn auch Ugolino’s Frevelmuth,

Wie man gesagt, die Schlösser dir verrathen,
Was schlachtete die Kinder deine Wuth?

88
O neues Theben, war an solchen Thaten

Nicht ohne Schuld das zarte Knabenpaar,
Das ich genannt? nicht Hugo samt Brigaten? –

91
Wir gingen nun zu einer andern Schaar,[447]

Die, statt wie jene, sich hinabzukehren,
Das Antlitz aufwärts, eingefroren war.

94
Die Zähren selber hemmen hier die Zähren,

Drum wälzt der Schmerz, der nicht nach außen kann,
Sich ganz nach innen, um die Angst zu mehren.

97
Denn, was zuerst dem trüben Aug’ entrann,

Das war zum Klumpen von Krystall verdichtet,
[191] Und füllte ganz die Augenhöhlen an.

100
Und ob vom Frost, der solches Eis geschichtet,

Mein Antlitz wie bedeckt mit Schwielen schien,
Und deshalb jegliches Gefühl vernichtet,

103
Doch fühlt’ ich, schien’s, mir Luft entgegenziehn;

Drum sprach ich: „„Herr, wie mag hier Luft sich regen,
Wo nie die Sonne, dunstentwickelnd, schien?““

106
Und Er: „Du gehst der Antwort schnell entgegen,

Und siehst, wenn wir noch weiter fort gereist,
Aus welchem Grund die Lüfte sich bewegen.“

109
Da rief ein eisumstarrter armer Geist:

„Grausame Seelen, ihr, die jetzt vom Lichte
Zu dieser letzten Stelle Minos weist,[448]

112
Hebt mir den harten Schleier vom Gesichte,

Damit ich lüfte meines Herzens Weh’n,
Eh neu die Thräne sich zu Eis verdichte.“

115
Ich sprach: „„Soll dir’s nach deinem Wunsch geschehn,

So nenne dich, und wenn ich’s nicht erzeige,
So will ich selbst zum Grund des Eises gehn.““

118
Drauf Er: „Ich bin’s, der Frucht vom bösen Zweige[449]

Als Bruder Alberich dort angeschafft,
Und speise hier die Dattel für die Feige.“[450]

121
„„O,““ rief ich, „„hat der Tod dich hingerafft?““

Und Er zu mir: „Ob noch mein Leib am Leben,
Davon bekam ich keine Wissenschaft.

124
Denn Ptolemäa hat den Vorzug eben,

Daß oft die Seele stürzt in dies Gebiet,
Eh’ ihr den Anstoß Atropos gegeben.[451]

127
Und daß du lieber mir vom Augenlid
[192]

Verglas’te Thränen nehmest, sollst du wissen:
Sobald die Seele den Verrath vollzieht,[452]

130
Wie ich gethan, wird ihr der Leib entrissen

Von einem Teufel, der dann drin regiert
Bis an den Tod, indeß in Finsternissen

133
Des kalten Brunnens sie sich selbst verliert.

Vielleicht ist oben noch der Körper dessen,
Der hinter mir in diesem Eise friert.

136
Kommst du von dort, so magst du’s selbst ermessen.

Herr Branca d’Oria ist’s, der jämmerlich[453]
Schon manches Jahr im Eise fest gesessen.“

139
„„Ich glaube,““ sprach ich, „„du betrügest mich,

Denn Branca d’Oria ist noch nicht begraben,
Und ißt und trinkt und schläft und kleidet sich.““

142
Und Er darauf: „Es konnte jenen Graben,

An dem beim Pech die Schaar von Teufeln wacht,
Noch nicht erreicht Herr Michel Zanche haben,

145
Da war sein Leib schon in des Dämons Macht.

So ging’s auch dem von d’Oria’s Geschlechte,
Der den Verrath zugleich mit ihm vollbracht.

148
Jetzt aber strecke zu mir her die Rechte,

Und nimm das Eis hinweg“ – doch that ich’s nicht,[454]
Denn gegen ihn war Schlechtsein nur das Rechte;

151
[193] O Genua, Feindin jeder Sitt’ und Pflicht,[455]

Ihr Genueser, jeder Schuld Genossen,
Was tilgt euch nicht des Himmels Strafgericht?

154
Ich fand mit der Romagna schlimmsten Sprossen

Der Euren Einen, für sein Thun belohnt,
Die Seel’ in des Cocytus Eis verschlossen,

157
Deß Leib bei euch noch scheinbar lebend wohnt.
_______________

Vierunddreißigster Gesang.
IX. Kreis. 4. Judecca. Erzverräther. Judas, Brutus, Cassius, Satan. Rückkehr zum Licht.

1
„Uns naht des Höllenköniges Panier![456]

Schau hin, ob du vermagst ihn zu erspähen,“
So sprach mein edler Meister jetzt zu mir,

4
Und wie, wenn dichte Nebel uns umwehen,

Wie in der Dämmerung, vom fernen Ort,
Windmühlenflügel aussehn, die sich drehen,

7
So sah ich jetzo ein Gebäude dort,

Und da ich nichts, mich vor dem Wind zu decken,
Sonst fand, drängt’ ich mich hinter meinen Hort.

10
Dort war ich, wo – ich sing’ es noch mit Schrecken –[457]

Die Geister, in durchsicht’ges Eis gebannt,
Ganz drin, wie Splitterchen im Glase, stecken.

13
Der lag darin gestreckt, und Mancher stand,
[194]

Der aufrecht, jener auf dem Kopf; der bückte
Sich bogengleich, das Haupt zum Fuß gewandt.

16
Als hinter ihm ich so weit vorwärts rückte,

Daß es dem Meister nun gefällig schien,
Mir Den zu zeigen, den einst Schönheit schmückte,

19
Da trat er weg von mir, hieß mich verziehn,

Und sprach zu mir: „Bleib, um den Dis zu schauen
Und hier laß nicht dir Muth und Kraft entfliehn.“

22
Wie ich da starr und sprachlos ward vor Grauen,

Darüber schweigt, o Leser, mein Bericht,
Denn keiner Sprache läßt sich dies vertrauen.

25
Nicht starb ich hier, auch lebend blieb ich nicht;

Nun denke, was dem Zustand dessen gleiche,
Dem Tod und Leben allzugleich gebricht.

28
Der Kaiser von dem thränenvollen Reiche

Entragte mit der halben Brust dem Glas,
Und wie ich eines Riesen Maß erreiche,[458]

31
Erreicht’ ein Riese seines Armes Maß.

Nun siehst du selbst das ungeheure Wesen,
Dem solch ein Glied verhältnismäßig saß.

34
Ist er, wie häßlich jetzt, einst schön gewesen,

Und hat den güt’gen Schöpfer doch bedroht,
So muß er wohl der Quell sein alles Bösen.

37
O Wunder, das sein Kopf dem Auge bot!

Mit drei Gesichtern sah ich ihn erscheinen,[459]
[195] Von diesen aber war das vordre roth.

40
Anfügten sich die andern zwei dem einen,

Gerad’ ob beiden Schultern hingestellt,
Um oben sich beim Kamme zu vereinen;

43
Das Antlitz rechts weißgelblich – ihm gesellt,

Das links, gleich dem der Leute, die aus Landen
Von jenseits kommen, wo der Nilus fällt

46
Groß, angemessen solchem Vogel, standen[460]

Zwei Flügel unter jedem weit heraus,
Die wir den Segeln gleich, nur größer fanden,

49
Und federlos, wie die der Fledermaus.

Sie flatterten ohn’ Unterlaß und gossen
Drei Winde nach verschiedner Richtung aus.

52
Dadurch ward der Cocyt mit Eis verschlossen.

Sechs Augen waren nie von Thränen frei,
Die auf drei Kinn’ in blut’gem Geifer flossen.

55
Und einen armen Sünder malmt’ entzwei

Und kaute jeder Mund, daher zerbissen,
Flachsbrechen gleich, die scharfen Zähne ihrer drei.

58
Der vordre Mund schien sanft in seinen Bissen,

Verglichen mit den scharfen Klau’n, zu fein,
Die oft die Haut vom Fleisch des Sünders rissen.

61
Da sprach Virgil: „Sieh hier die größte Pein!

Ischarioths Kopf steckt zwischen scharfen Fängen,[461]
Und außen zappelt er mit Arm und Bein.

64
Zwei Andre sieh den Kopf nach unten hängen;[462]
[196]

Hier Brutus an der schwarzen Schnauze Schlund
Sich ohne Laute winden, drehn und drängen;

67
Dort Cassius, kräftig, wohlbeleibt und rund. –

Doch naht die Nacht, drum sei jetzt fortgegangen,
Denn ganz erforscht ist nun der Hölle Grund.“

70
Jetzt winkte mir, den Hals ihm zu umfangen,

Und Zeit und Ort ersah sich mein Gesell,
Und, als sich weit gespreizt die Flügel schwangen,

73
Hing er sich an die zott’ge Seite schnell,

Griff Zott’ auf Zott’, um sich herabzusenken
Inmitten eis’ger Rind’ und rauhem Fell.

76
Dort angelangt, wo in den Hüftgelenken[463]

Des Riesen sich der Lenden Kugel drehn,
Eilt’ er, mit Müh’ und Angst, sich umzuschwenken.

79
Wo erst der Fuß war, kam das Haupt zu stehn;

Die Zotten fassend, klomm er aufwärts weiter,
Als sollten wir zurück zur Hölle gehn.

82
„Hier halte fest dich; denn auf solcher Leiter

Entkommt man nur so großem Leid,“ so sprach
Tief keuchend, wie ein Müder, mein Begleiter,

85
[197] Worauf er Bahn sich durch ein Felsloch brach,

Dann setzt’ er mich auf einen Rand daneben,
Und klomm mit mir den Fuß behutsam nach.

88
Ich blickt’ empor, und glaubte, wie ich eben

Den Dis gesehn, so stell’ er noch sich dar;
Doch seine Füße sah ich sich erheben.

91
Wem nun mein jäher Schreck’ nicht wäre klar,

Den bät’ ich, daß er erst erkennen lerne,
Durch welchen Punkt ich jetzt gedrungen war.

94
Da sprach Virgil: „Jetzt auf, das Ziel ist ferne,

Der Weg auch schwierig, den du vor dir hast;
Und Sol, aufsteigend, scheucht bereits die Sterne.“

97
Nicht war’s ein Gang durch einen Prachtpalast,

Der vor mir lag; er lief auf rauhem Grunde
Durch eine Felsschlucht, völlig dunkel fast.

100
Ich, aufrecht stehend, sprach: „„Eh aus dem Schlunde

Der Weg, den du mich leitest, mich entläßt,
Reiß aus dem Irrthum mich und gieb mir Kunde:

103
Wo ist das Eis? Wie steckt Dis köpflings fest?

Und wie hat Sol so schnell aus solchen Weiten[464]
Die Ueberfahrt gemacht zum Ost vom West?““

106
„Du glaubst dich auf des Centrums andrer Seiten,

Wo du am Wurme, der die Erde kränkt
Und sie durchbohrt, mich sahst herniedergleiten.

109
Du warst’s, so lang’ ich mich hinabgesenkt;

Allein den Punkt, der anzieht alle Schwere,
Durchdrangest du, da ich mich umgeschwenkt.

112
Jetzt kamst du zu der andern Hemisphäre,

Entgegen der, die großes trocknes Land
Bedeckt, und unter deren Zelt der Hehre[465]

[198]
115
So fehllos lebt’ und starb wie er entstand,

Du stehest jetzo auf dem kleinen Kreise,
Der hier Judecca’s andre Seit’ umspannt.

118
Und hier beginnt der Sonne Tagesreise,

Wenn sie dort endet, und im Brunnen steckt
Noch immer Lucifer nach alter Weise.

121
Vom Himmel ward er hier herabgestreckt.[466]

Das Land, das erst hier ragte, hat sich droben
Aus Furcht vor ihm im Meeresgrund versteckt,

124
Und sich auf jenem Halbkreis dort erhoben.

Um ihn zu flieh’n, drang auch die Erde vor
Aus dieser Höhl’ und drängte sich nach oben.“

127
So sprach Virgil – und sieh, vom Dis empor

Ging eine Schlucht, tief, wie die ganze Hölle,
Zwar nicht erkannt vom Auge, doch vom Ohr;

130
Denn rauschend lief ein Bach, deß rasche Welle[467]

[199] Sich Bahn durch Felsen brach, mit sanftem Hang
Und vielgewunden, bis zu jener Stelle.

133
Nun trat mein Führer auf verborgnem Gang

Den Rückweg an entlang des Baches Windung;
Und wie ich, rastlos folgend, aufwärts drang,

136
Da blickte durch der Felsschlucht ob’re Ründung[468]

Der schöne Himmel mir aus heitrer Ferne,
Und wir entstiegen aus der engen Mündung

139
Und traten vor zum Wiedersehn der Sterne.
_______________

Anmerkungen der Vorlage

  1. 1. [Da der erste und zweite Gesang die Einleitung und Exposition des ganzen Werkes bilden, so sei über die göttliche Komödie im Allgemeinen zur Orientirung des Lesers Folgendes vorausbemerkt. Der seltsame Name des so ernsten Gedichtes stammt von Dante selbst gemäß alterthümlicher Eintheilung der Poesie, welche „Commedia“ ein Gedicht nennt, welches nach ernstem Anfang heiter endet. Dies trifft nun allerdings zu, wie wir gleich sehen werden. „Divina“ „die göttliche“ ist ein Beiname der bewundernden Nachwelt. – Der äußere Gang und Inhalt des Gedichts nun ist dieser. Dante macht eine Phantasie-Wanderung durch die Hölle, das Fegfeuer und das Paradies. Dabei begleiten ihn zwei Geister-Gestalten, erst Virgil, der röm. Dichter, dann Beatrix, seine eigene Jugendgeliebte. Es werden jene drei unsichtbaren Orte vom Dichter mit Insassen aller Art und aller Zeiten der Weltgeschichte, auch seine eigenen Gegenwart, bevölkert und Stufe für Stufe durchgangen und besichtigt bis hinauf vor Gottes Thron. Dabei werden im Verlauf Gespräche geführt, Strafgerichte verkündet, Seligkeiten zuerkannt, Lehren und Zeitbetrachtungen gegeben. – Daß eine solche Wanderung durch die ganze Welt, eine Art mittelalterlicher Faust, – daß eine solche visionäre Reise, wir wollen nicht sagen eine trockene Allegorie, nein, ein lebensvolles Sinnbild höherer geistiger Gedanken sein müsse, das wird sich jeder Leser selbst sagen. Welches sind aber diese Gedanken? Dieselben müssen natürlich im Gedankenkreis des Dichters, in seiner Welt- und Zeitanschauung liegen, welche Dante zum Glück in andern Werken deutlich genug niedergelegt hat. („Neues Leben“ „Vom Staat“ etc.). Hiernach war es vor allem ein Jugendgelöbniß von ihm, seiner frühentrissenen Geliebten und dem reinigenden, beseligenden Einfluß ihrer Liebe ein poetisches Denkmal zu stiften. Wir sehen ihn darum seine Höllen-, Fegfeuer- und Paradieses-Wanderung Schritt für Schritt [6] selbst innerlich miterleben, ein Sinnbild seiner eigenen Rettung aus der Sünde, seiner eigenen Buße (Hölle), Läuterung (Fegfeuer) u. Erhebung in die Seligkeit (Paradies). Dabei hält er aber dieses selbe Selbsterlebniß auch der Menschheit überhaupt als Spiegel ihres allgemeinen, ewigen Heilswegs vor. Wie er, so müssen wir alle gerettet, stufenweise innerlich zur Vollendung gebracht werden. Dies ist die persönliche Beziehung und der allgemein-moralische Sinn der göttl. Komödie. Man wird finden, daß Dante dabei auf dem Standpunkt eines gläubigen Christen, aber auch eines reformatorisch helldenkenden Katholiken steht. Letzteres ist für unsre Tage besonders interessant zu sehen. Man lese z. B. Hölle Gs. 19, 91 ff. 27, 87 ff. Fegfeuer 16, 94 ff. Paradies 11. 12. 22, 76 ff. 29, 88 ff. – lauter Strafreden wider Papstthum und Mönchswesen! – Wie nun diese beiden eben dargelegten Beziehungen der göttl. Kom. stets miteinander Hand in Hand gehen, so fügt sich ihnen endlich eine dritte organisch ein. Dies ist die zeitgeschichtlich-politische Beziehung des Gedichts. Dante, aus einer angesehenen florentinischen Familie 1265 geboren und sorgfältig erzogen und gebildet in allem damaligen Wissen, lebte also in dem 13. Jahrhundert, in welchem Italien aus einer Menge kleiner selbstständiger Stadtgebiete und Regierungen bestand, welche genöthigt waren zu ihrer Stütze sich theils dem Papst, theils der deutschen Kaiserpartei anzuschließen. So fiel sein ganzes Dasein in diesen Kampf des Welfen- und Ghibellinenthums hinein, zumal als er im Jahre 1300 einer der „Prioren“, der politischen Leiter der Vaterstadt ward. In Florenz besonders bestanden neben jenen großen Hauptparteien noch zwei adelige Stadtparteien, die Weißen und Schwarzen, von denen die ersteren mehr kaiserlich, die letzteren mehr welfisch waren. Dante, in all’ diese Kämpfe hineingezogen, zog endlich, als Karl von Valois unter dem Schutz von Bonifaz VIII. in Florenz einzog und die Ghibellinen stürzte, 1302 ins Elend und in die Verbannung, aus der er bis zu seinem Tod 1321 nie wiederkehrte. Aber beugen oder umstimmen ließ er sich dadurch nicht. Ein Patriot und Staatsmann vom Scheitel bis zur Sohle, ein glühender Ghibelline dabei, welcher die Rettung seiner zerklüfteten Zeit einzig von Heinrich VII. Zug nach Italien (1310–1313), vom deutschen Weltkaiserthum erwartet, welches unabhängig neben dem Papstthum bestehen müsse, hat er, der Ersten einer, am Ende des 13. Jahrhunderts schon, den modernen Staatsgedanken erfaßt. Es versteht sich und ist neuerdings allgemein anerkannt, daß er auch diesen denn predigen will in seinem Gedicht. Ja, nach seiner Anschauung gibt es für die Menschheit auch kein ewiges Heil ohne die zeitliche Bedingung einer bürgerlichen Wohlordnung. Unter dem Elend, woraus Dante retten will, unter der Hölle, die er sieht, dem Führer, der ihn geleitet, der Läuterung und Freiheit, die er (Fgf. 27, 127 ff.) erlangt, den Rettungsmitteln und der Rettung, wovon er spricht, hat also der [7] aufmerksame Leser immer neben 1. dem Persönlichen und 2. Allgemein-Menschlichen, was damit gemeint ist, auch 3. das politische Elend etc. die politische Rettung jener Zeit miteinzubegreifen. Indessen wird der unter 1. und 2. genannte ideale Gehalt des Gedichts immerhin für unsre Zeit der wichtigste bleiben und der Leser mag sich demgemäß an folgende Summa halten: Grundgedanke der göttlichen Komödie ist die Rettung, Erhebung und Beseligung des Menschenherzens, wie sie bei Dante und seinen Zeitgenossen unter gewissen persönlichen und zeitgeschichtlichen Bedingungen, im Wesentlichen aber für alle auf dieselbe Weise, durch denselben Stufengang sich vollzieht. – Begründung, sowie nähere Durchführung dieser Idee der göttl. Komödie nebst einleitender Uebersicht über das ganze Werk und Biographie seines Dichters findet der Leser in des Herausgebers Schrift „Die göttliche Komödie nach Inhalt und Gedankengang übersichtlich dargestellt mit biographischer Einleitung, Stuttgart 1871.“ Nach dem Bisherigen deuten sich nun mit Leichtigkeit die Allegorien, welchen der Leser sofort im ersten Gesang begegnen wird und welche zum Voraus hier besprochen seien. Der „finstre Wald“, von dem Dante ausgeht, ist seine eigene Jugendverirrung; ist seine und des Menschen Sinnlichkeit, Sündhaftigkeit überhaupt: ist schließlich, speciell auf des Dichters Gegenwart angewendet, die von ihm so sehr verabscheute staatlich-kirchliche Mißordnung, die Kaiserlosigkeit und Papstübermacht. Alle diese Gesichtspunkte liegen ineinander. Es bedarf keiner Worte, was also „der rechte Weg“ bedeutet, welchen Dante, welchen seine Zeit im Schlaf verloren. Aber mitten in dieser Irre glänzt dem Dichter, dem Menschen auch eine ferne „selige Höhe V. 13 ff.“ entgegen, das höhere Leben, die Erhebung zu Gott und seiner Weltordnung. Er kann aus eigenem Antrieb diesem Ziel entgegenstreben (V. 19–30.). Aber drei Thiere V. 31–61, d. h. die sinnlichen Triebe hemmen den Weg. Er kann das Ziel nicht allein und nicht direct erreichen. Von oben, von Beatrix, d. h. der göttlichen Gnade, gesendet, muß ihm Hilfe kommen, ein Führer, Virgil. Er ist gewählt, als ein bekannter Liebling des Mittelalters. Er ist die Vernunft, die natürliche Gottesahnung, zugleich die politische Einsicht und führt den Dichter erst durch Hölle und Fegfeuer. Durch Sündenerkenntniß und Läuterung bekommt er so die Heilsgrundlage. Aus Virgils Hand übernimmt ihn Beatrix, die Gnade, die himmlische Weisheit zur Heilsvollendung im Himmel. Dies ist der klare Gang der Wanderung, welche aber Dante poetisch und um desto besser als Prophet auftreten zu können, „auf halbem Weg des Menschenlebens“, in sein 35stes Jahr setzt, sieben Tage, vom Charfreitag Nacht bis wieder zum Freitag des Jahre 1300 dauern läßt und welche wir nun mit ihm antreten.]
  2. 13 ff. [Emporschauend auch aus der Nacht des Irrthums sieht der Mensch immer die Höhe des Heils von der Sonne der Wahrheit beschienen.]
  3. 22 ff. 28. [Der erste Rückblick auf das entronnene Verderben gibt Muth zum langsamen, vorsichtigen, Fuß für Fuß setzenden Weiterschreiten.]
  4. 32–36. Aber noch sollen wir nicht ungestört emporklimmen. Die Lust der Sinne – der Panther – tritt zuerst und so lange der Körper noch jugendlich frisch ist, uns feindlich entgegen, und hemmt unsere Fortschritte zu dem Höhern. Droht sie auch den bessern Vorsatz in uns zu vernichten, so erscheint sie doch in minder abschreckender Gestalt, ja anziehend durch Munterkeit und Frische.
  5. 37–43. Aber wenn nun eben die Sonne der Wahrheit uns den [9] Morgen hat tagen lassen, wenn wir die Welt in neuem Glanze liegen sehen, dann schöpfen wir Muth, das Höhere zu erreichen. (Die Reise des Dichters wird, wie bedacht, in der heiligen Woche, im Beginne des Frühlings unternommen, in der Jahreszeit, in welcher das erneute Leben der Natur in uns selbst Muth und Hoffnung erneuert, und in welcher, wie der Dichter V. 38–40 vorausgesetzt, Gott die Welt erschaffen hat. Die Sonne steht zu dieser Zeit im Widder.)
  6. 44. Wenn die sinnliche Begier der Jugend sich auch mindert, so ist es der Ehrgeiz (der Löwe), welcher die kräftigeren Naturen von dem wahren Ziele echt menschlicher Bildung, von dem Streben nach dem einzig Wahren und Göttlichen ableitet – in seinem Uebermaße die mächtigste, furchtbarste der Leidenschaften, besonders in Zeiten politischer Parteiung, sei es, daß der Mensch selbst sie in sich empfindet, oder daß er ihr Opfer wird.
  7. 49–60. Endlich erscheint die Habsucht – die Wölfin –, welche alles irdische Gut an sich zu reißen strebt, und um so weniger befriedigt ist, je mehr sie verschlingt. Keine schlechte Leidenschaft, kein Laster ist, mit welchen sie sich nicht verbände, zu welchen sie nicht führte (vergl. V. 97–100). Sie, die gemeinste Leidenschaft, nie rastend, weil es ihr nie an einem Gegenstande fehlt, ist es, die dem Menschen auf dem Wege zum höhern Ziele am gefährlichsten wird, die dem [10] Dichter alle Hoffnung, es zu erreichen, raubt, und ihn zur Tiefe zurückstürzt. [Man denke hier auch an politische Beziehungen, an Rom’s alles an sich reißende Gier!]
  8. 62 ff. Da macht endlich die Vernunft sich geltend, welche aus dem, was von den Sinnen wahrgenommen, vom Verstand erfaßt ist, folgerecht weiter schließend, uns der Dinge Wesen zeigt, uns Falsches und Wahres erkennen läßt, und uns den Weg zeigt, jenes abzuwerfen und dieses uns anzueignen. Aber auch sie kann, wenn sie lang in uns geschwiegen, nicht sofort beim ersten Wiedererwachen klar und deutlich zu uns sprechen, sie scheint heiser durch zu langes Schweigen.
    Die Vernunft 1. im Allgemeinen sehen wir in dem klaren, gemäßigten und besonnenen Virgil personificirt. Wenn auch der Genius desselben ohne Zweifel dem unsers Dichters weit untergeordnet und die dichterische Art und Weise Beider unendlich verschieden, ja sich in vieler Beziehung entgegensetzt ist, so finden wir doch in der großen Verehrung, welche das Mittelalter diesem Dichter widmete, die Stellung hinreichend erläutert, welche Dante demselben in seinem Gedichte anweist. Fand man doch in einigen Versen desselben selbst die prophetische Verkündigung des Christenthums (vergl. Fegefeuer Ges. 22 V. 70–72). Um so mehr war er geneigt, die Vernunft darzustellen, welche als Führerin zum Höhern erscheint und, das Höchste vorahnend, uns demselben so nahe bringt, als dies ohne den Glauben möglich ist. [Sodann 2. war Virgil für Dante, als Sänger der Aeneis, der Verkündiger des heil. röm. Kaiserthums deutscher Nation, seines politischen Lieblingsgedankens und vertritt daher, wie schon S. 6 u. 7 gesagt, die Vernunft im Besonderen zugleich, d. h. die rechte politische Einsicht und Weltordnung, welche für Dante ebenfalls zu lang „überhört, durch zu langes Schweigen heiser“ – war.]
  9. 70. Spät, 70 v. Ch., als es mit dem Heidenthum und seinen falschen Göttern zu Ende ging, aber noch vor Cäsars Dictatur.
  10. 82. Sämmtliche Schriften des Dichters beweisen, daß er, ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Naturen, die Werke Virgils zum Gegenstand seines fleißigsten Studiums gemacht hatte. Vielleicht hat Virgils zierliche Einfachheit und Klarheit dazu beigetragen, ihn von dem Schwulst entfernt zu halten, welchen andere Dichter jenes Zeitalters hervorbrachten, und insofern verdient er wohl auch die Namen des Vorbildes und Meisters (vgl. Fegefeuer Ges 21 V. 49–63).
  11. 86. Dante’s gerechtes Selbstgefühl, als Schöpfers der italienischen Schriftsprache!
  12. 91. D. h. auf dem Wege durch die Hölle, die Buße allein kannst du zur Höhe des Heils kommen.
  13. 100. [BN 1]Sich gatten. Vgl. Anm zu 49 – 60.
  14. 101. [In Verona herrschte das hochgeehrte Ghibellinengeschlecht der Skaliger in seinem jüngsten, hochbegabten Sprossen Cane della Scala, [12] genannt Can grande. Auf ihn, den 1311 Heinrich VII. sogar zu seinem Stellvertreter in der Lombardei ernannt, richteten sich die Blicke aller Ghibellinen. Er ist zweifelsohne auch in dieser prophetischen, aber vielleicht erst später von Dante eingeschobenen Stelle unter „dem edlen Windhund“ gemeint, welcher zwischen Feltro im Piavethal und dem sog. Feltrischen Gebiet am nordöstlichen Appenninenhang aufstehen solle. Denn dies war eben Can grande’s Herrschaft. – Man sieht zugleich, wie unter der Wölfin, welcher C. grande den Garaus machen soll, vornehmlich politische, zeitgeschichtliche Beziehungen versteckt liegen. S. zu 46–60 Schluß. Derselbe Fürst hat später den verbannten Dante, 1317–20, aufgenommen, worauf sich die ehrenden Worte Parad. 17, 76–10 beziehen.]
  15. 107. 108. Camilla und Turnus starben, nach der Aeneide, bei der Vertheidigung, Euryalus und Nisus, bei der Eroberung Latiums.
  16. 111. „Der erste Neid“ der Satan. Weisheit 2, 24.
  17. 112 ff. [Um aus dem dunkeln Wald der Irrthümer und Sünden heraus zur Buße, zur Erkenntniß und zeitlichen Glückseligkeit zu gelangen, reicht die Vernunft, zugleich die rechte politische Einsicht und Weltordnung aus, indem sie uns das Laster, den falschen Zustand und seine Folgen zeigt (Hölle) und uns dadurch selbst reinigt und läutert (Fegfeuer).]
  18. 121. Weiter aber reicht die Vernunft nicht. Das Göttliche, die [13] ewige Glückseligkeit, nach welcher der gereinigte Geist strebt, und welche die Ahnung ihm verspricht, läßt uns nur der Glaube, und nur der christliche Glaube erkennen. Virgil, welchem dieser Glaube fremd geblieben, vermag daher nicht, den Dichter bis in die Stadt Gottes zu leiten. Er wird ihn, wenn er ihn, so weit die Vernunft reicht, gebracht hat, der Führung der Beatrix übergeben, unter welcher wir uns die himmlische Gnade, auch die beseligende Erkenntniß, das Anschauen Gottes im Gemüthe selbst – denken dürfen.
  19. 133. Dem heiligen Petrus sind die Schlüssel übergeben, welche die Pforte der Seligkeit aufschließen. Es ist gleichgültig, ob der Dichter unter dem Thore Petri den unmittelbaren Eingang des Paradieses oder das im Fegefeuer Ges. 9 V. 73 Beschriebene gemeint habe, da diejenigen, die durch das letztere gehen, der Seligkeit gewiß sind.
  20. II. 1–13. Ueber den Erwägungen der Vernunft ist der Tag verflossen. Die Nacht kommt und mit ihr neuer Zweifel; denn die [14] Entschließungen, die aus der Vernunft hervorgegangen, schwanken; nur der Glaube ist sicher. Der Dichter fragt: ob er auch tüchtig sei für den großen Zweck?
  21. 13–30. Wie der Dichter, um seine großen Ideen dem Geiste durch die Sinne einzuprägen, Bilder und Gleichnisse, wie sie sich darbieten, aus den Mythen des heidnischen Alterthums und aus der heiligen Schrift nimmt, so stellt er auch hier aus Beiden Beispiele solcher zusammen, die lebend in die Reiche der Todten versetzt wurden. Aeneas wurde in die Unterwelt geführt, um dort Nachrichten zu empfangen, welche die Gründung Roms, mithin des römischen Reichs und des päpstlichen Stuhles förderten. (Beiläufig möge nicht unbemerkt bleiben, daß der Dichter, so streng er auch allenthalben die Verdorbenheit der Päpste und ihr Streben nach weltlicher Herrschaft straft, doch V. 22 bis 24 wie überall vor dem Institute des Papstthums selbst, vor dem monarchischen Princip in der Kirche die größte Ehrfurcht zeigt.) Paulus ward in den Himmel entzückt, um durch das, was er dort sah, den Glauben auszubreiten und zu befestigen.
  22. 31–42. Aeneas und Paulus wurden, lebend noch, in die Reiche, [15] die jenseits des Lebens und seiner Irrthümer liegen, geführt, weil die Vorsehung durch Beide hohe Zwecke fördern wollte. Aber kann der Dichter dasselbe hoffen?
  23. 52. [Wörtlich „bei den unentschiedenen Seelen“ d. h. bei den tugendhaften Heiden wohnend, deren milder Aufenthaltsort, außerhalb der Hölle, sogleich im 4. Gesang beschrieben ist.]
  24. [53–75. Dante legt hier dem Virgil die Erzählung des ursprünglichsten Anlaßes seines ganzen Gedichtes in den Mund: Verherrlichung Beatricens, als seiner geistigen Retterin aus dem Verderben, aus der im „finstern Wald“ Gs. 1. 2 versinnbildlichten und schon S. 7 erwähnten Jugendverirrung. Man hat hierbei an des Dichters unbekehrte Jugend überhaupt, speciell vielleicht an eine Epoche zu denken, da er nach Beatricens frühem Tod sich in ein Leben des Genusses stürzte, aus dem ihn endlich die ideale Rückkehr zur Geliebten rettete. Er verheirathete sich dann ohne Neigung. – Beatrix also sendet aus alter Liebe dem Irrenden den Virgil. Dies ist zunächst die historische Bedeutung dieser Stelle. Immerhin liegt nebenbei auch der Sinn darin, daß auch die Vernunft, die natürliche Gottesahnung eine [16] Art Vorbotin der Gnade, eine Gabe des Himmels, uns erstmals nach oben zu weisen, sei. – Beiläufig sei hier kurz erwähnt, daß Beatrix Portinari aus Florenz als achtjähriges Mädchen von dem jungen Dante erstmals gesehen und von ihm mit idealster Liebe lebenslang in unauslöschlichem Andenken behalten wurde, wiewohl er sie nur zweimal wiedersah und sie niemals sprach!]
  25. 76–81. Der Glaube, nicht der Vernunft entgegen, aber über ihr stehend, beginnt seine Wirksamkeit da, wo die Vernunft aufhört. Sie selbst erkennt die Grenze, welche zu überschreiten ihr nicht gestattet ist. Deshalb folgt sie willig und eifrig dem Gebote, welches die höhere Macht ihr kund thut durch die Stimme des Herzens, in welchem Ahnung, Hoffnung und freudiges Vertrauen am Strahle göttlichen Lichts entzündet wurden.
  26. [82. ff. Mit dieser Frage, weshalb denn Beatrix vom ewigen [17] Licht herab zum kleinen Mittelpunkt der Welt, zur Erde, gestiegen sei, um Dante zu retten – wird schließlich wieder die persönliche Beziehung ins Allgemeine, Ewige erweitert. „Das edle Weib“, Maria, die ewige Liebe Gottes ist die letzte Ursächerin der Sendung der Gnade, welche hier etwas spitzfindig, in zwei Gestalten gespalten wird. Lucia ist die vergebende Gnade … Beatrix die eigentliche, thätige und vollendende Gnadenkraft und höchste Gotteserkenntniß. Lucia erscheint wieder Fegfeuer 9. Von ihr übernimmt dann Beatrix den Dante, ihn bis vor Gott geleitend. – Nach diesem tiefsinnigen Einblick in die Oeconomie des Ganzen kehrt die Schilderung mit V. 118 zu dem letzten Zuspruch des Virgil zurück, womit dieser den Dante nun zur sofortigen Höllenreise einlädt und anführt. Sie gelangen durch das Höllenthor zu den Halben, in die Vorhölle. Die Darstellung nimmt nun einen hinreißenden Schwung und entfaltet allmählich jene dichterische Erfindung, jene grandiose Plastik, wodurch sich Dante’s Höllengemälde so weit über alle ähnlichen mittelalterlichen Darstellungen erhebt, wenn auch leider selbst er öfters bis zum Unschönen und Gräßlichen geht.]
  27. 136–140. Herrliche Worte.
  28. [19] [III. 1–9. Weltberühmte Lapidarschrift „per me si va nella città dolente“ mit dem gnomischen Schluß: lasciate ogni speranza voi ch’entrate! – Sinn: die Ewigkeit der Höllenstrafen ist ein Werk, ein Erforderniß der Gerechtigkeit (V. 4) des dreieinigen Gottes (V. 6 Allmacht, Allweisheit, Liebe – Vater, Geist, Sohn.)] –
  29. 18. Das wahre Licht ist Gott. Die Verdammten können nie zu dem Ziele gelangen, ihn anzuschauen.
  30. 21. d. h. durch das Thor in das hohle Erdgewölbe, welches den ganzen Höllenschlund überspannt: die Vorhölle.
  31. 34. Wir müssen hier, ehe wir weiter vorschreiten, zuvörderst die Ansicht des Dichters über die von ihm dargestellten Höllenstrafen erläutern. Im Fegefeuer Ges. 25, V. 88 u. ff. beschreibt er, wie der Scheinleib, der Schatten, welcher die Gestalt der Seelen darstellt, gebildet wird. Dieser Schatten folgt den Bewegungen der Seele, und verleiht jeder Empfindung derselben ein deutliches Bild. Seelenleiden also sind es, die wir in den körperlichen Qualen der Verdammten ausgedrückt sehen, und wir werden im weiteren Fortschreiten erkennen, wie diese Leiden dem Fehler und Laster entsprechen, zu dessen Bestrafung sie bestimmt sind. Hier also zuerst jene Werth- und Charakterlosen, jene Elenden, die im Leben weder gut noch böse gewesen, vermischt mit den Engeln, die im Kampfe des Satans gegen Gott sich neutral verhalten haben – das verächtlichste Vergehen, besonders in Zeiten politischer Parteiung, wie die unsers Dichters waren. [21] Ausgestoßen aus dem Himmel, werden sie auch in der Hölle nicht aufgenommen, weil neben diesen Jämmerlichen die Verdammten selbst sich stolz fühlen würden (V. 40–42). Offenb. 3, 14. Ihr Zustand zwischen Hölle und Erde entspricht dem ihres Lebens. Ohne Rast und Haltung folgen sie einer Fahne, die jeder Windeshauch hier- und dorthin bewegt (V. 52–55). Kleine Leidenschaften stacheln und peinigen sie immerfort, wie hier das Geschmeiß der Insekten, und was diese aus ihnen hervorbringen, fördert nur das Gemeinste und Schlechteste (67–69).
  32. [59. Cölestin V., welcher 1291, durch den dem Dante verhaßtesten Papst Bonifaz VIII. bewogen, dem heiligen Stuhl entsagte und in seine Einsiedelei zurückkehrte. Dante sah dies als ein sträfliches Vergraben seines Pfundes an.]
  33. 73–81. Dante fragte, von welcher Art die sind, die so eilig [22] zum Strome ziehen? Diese Frage läßt Virgil unbeantwortet, weil es Sünder aller Art sind, und sich das Nähere bald von selbst ergeben wird. Mit großer künstlerischer Geschicklichkeit läßt der Dichter den Augenschein sprechen, um V. 121 ff. weit kürzer und eindringlicher, als es hier möglich gewesen wäre, Auskunft zu geben. Wenn Dante in seiner Beschämung über die voreilige Frage und in der Folge in seinem ganzen Benehmen gegen Virgil ein menschlich schönes Verhältniß des Jüngers zum Meister trefflich darstellt, so verleiht dies dem wunderbaren, keiner Gattung angehörigen, aber alle Gattungen umfassenden, das Allgemeine und Besondere gleich tief und wahr ergreifenden Gedichte oft beiläufig den eigenthümlichen Reiz des Dramas.
  34. [91.[WS 1] – Es sei hier ein für allemal des reichlichen Gebrauchs [23] mythologischer Gestalten gedacht, den Dante besonders in der Hölle macht. Die Höllenflüsse der Alten, der Fährmann Charon, Cerberus, der Höllenhund, Plutos, Giganten etc. treten auf. Sie sind aber nicht blos poetische Bilder oder technische Ausschmückung, noch allegorische Symbole, sondern als wirkliche Dämonen, als gefallene Engel, frei aufgefaßt. Denn das Mittelalter sah in der Mythologie nicht bloße Phantasie, sondern eine verirrte Auffassung der wirklichen Wahrheit.]
  35. 93. Dante ist nicht, wie die andern, ein leichter Schatten, er bringt vielmehr den schweren Leib mit zum Acheron. Durch dessen Last würde der nur auf Schatten eingerichtete Kahn versinken. Wie wir überhaupt die große plastische Kunst des Dichters bewundern müssen, die oft durch einzelne scheinbar nur nebenbei angebrachte Verse ein lebendiges Bild vollendet, so sehen wir hier den zornig scheltenden Alten, der, sprechend, mit dem Munde zugleich Kinnladen, Wangen und Bart heftig bewegt, in dem Ruhen dieser Bewegung meisterhaft dargestellt, ohne daß jene Bewegungen beschrieben worden wären.
  36. 125. Was wir oben bei V. 34 u. ff. bemerkt, ist auch hier bestätigt. Das Gewissen selbst treibt den Sünder der Strafe entgegen, so sehr er sich vor ihr fürchtet. Und sollte der Trieb des Gewissens nicht kräftig genug sein, so weiß die Vorsehung den Charon zu finden, der auf die Säumigen mit dem Ruder losschlägt, um sie dem verdienten Lohne zuzutreiben (V 110 u. 111). Zwischen beiden Stellen ist nur beim ersten oberflächlichen Anblicke ein Widerspruch.
  37. [127. D. h. Kein wahrhafter Christ. Denn die edelsten Heiden müssen auch hinüber s. Ges. 4.]
  38. [133. Der Windstoß aus der Tiefe, der Lichtblitz – Vorahnungen der Hölle. Sie machen ihn bewußtlos. So allein kann er hinüberkommen, was daher auch nicht beschrieben wird. Denn die Weise, wie ein Lebender ins Todtenreich gelangt, bleibt ins Dunkel gehüllt.]
  39. [IV. 7. Dante ist also drüben, am Rand des Kraters. – Wir wollen dem Leser die Mühe ersparen, den Bau der Dante’schen Hölle erst allmälich aus dem Verlauf des Gedichts sich zusammenzusetzen und geben hier im Voraus ein Bild davon. Im Innern der Erde ist, nach der Vorstellung des Dichters, eine Höhle, die sich bis zum Mittelpunkt herabzieht. Sie geht trichterförmig, jedoch in amphitheatralischen Absätzen, abwärts und verengt sich zuletzt zum Brunnen. Jeder dieser Absätze, rund um die Höhle herumlaufend, bildet einen Kreis, in welchem eine Gattung von Sündern ihre Strafe findet. Daß diese Kreise nach oben hin von Felsenbänken, zum Theil von Felsendämmen eingeschlossen sind und nach unten hin an die Leere des Abgrundes grenzen, ist zwar nicht allenthalben bestimmt angegeben, jedoch aus vielen einzelnen Stellen ersichtlich. Die untersten dieser Kreise sind noch öfters [25] in mehrere Unterabtheilungen, „Bulgen“, abgetheilt durch hohe Felsenringe, über die die Reisenden von einer zur andern herübersteigen müssen. Auch abwärts leitet sie an einer Stelle ein felsiger Pfad von Kreis zu Kreis hinab. Um an diese Stelle zu gelangen müssen Dante und Virgil also jedesmal ½–¾ der Terrasse durchwandeln, bei welcher Gelegenheit sie eben alle Inwohner betrachten können. Die Richtung des Ganges ist so, daß sie immer links die ansteigenden Wände, rechts den Abgrund haben. Gs. 14, 124 – 129. Der unterste Punkt, die Spitze des Trichters ist zugleich der Mittelpunkt der Erde, senkrecht unterhalb Jerusalem. Von Zeit zu Zeit geht’s über einen der vier, von Abhang zu Abhang niederstürzenden Höllenströme. (Gs. 14, 103 ff. 116 ff.) Man denke sich nun das riesige Rund, finster, dröhnend, dampferfüllt, flammendurchzuckt! – Aber so gewaltig, ins Große arbeitend sich hierin die Phantasie des Dichters zeigt, so fein und sublim offenbart sie sich dann in der moralischen Eintheilung der Hölle. Die räumliche Anordnung wird das äußere Abbild der sittlichen! Je schlimmer der Sünder, desto tiefer kommt er hinunter. Es werden im Ganzen dreierlei Sünderklassen unterschieden, wonach die Hölle drei Abtheilungen bekommt[WS 2] 1. unbewußte Sünder. Kreis 1, noch nicht zur eigentlichen Hölle gehörig: Die frommen Juden und Heiden. 2. Sünder der Unmäßigkeit; Kreis 2–6: Wollüstige, Schlemmer, Zornige, Geizige, Sinnenmenschen d. h. Epicureer, Gottesläugner. 3. Bosheitssünden, Kreis 7–9. – Die letzteren werden wir im 11. Gesang näher explicirt finden (s. dort). Zu den beiden ersten Abtheilungen gehen wir jetzt über und bemerken nur noch, daß der Leser sein beständiges Augenmerk auch auf die überaus zutreffend (oft freilich auch craß) erfundenen Strafen der Sünden richten möge, nicht vergessend übrigens, daß dieselben Seelenleiden abbilden.]
  40. 26. „Im ew’gen Thal.“ Alles in der Hölle ist ewig.
  41. 38. Diejenigen, die vor Christo gelebt, haben Gott nur dann gebührend geehrt, wenn sie an den künftigen Heiland geglaubt haben. Vgl. Paradies Gesang 32; auch Ges. 20, V. 103 f.
  42. 40. Diejenigen, die zwar menschlich würdig, aber ohne Glauben leben, können alles Irdische erlangen, nur die Ahnung und Hoffnung des höchsten Lichtes bleibt ihnen verschlossen. Und da Alles, was die Erde gibt, nie das Gemüth befriedigt, so verfließt ihr Leben in ewig ungestillter Sehnsucht nach einem unbekanntem Ziele. So finden wir die Seelen in diesem Kreise, welcher noch nicht zum eigentlichen Straforte gehört, sondern den Vorhof desselben bildet. Sie genießen die Schönheit der Erde wieder in dem Grün der Wiese und in dem schönen Flusse; sie genießen die Kunst, die das Leben verschönt; auch der Schein des Lichtes fehlt ihnen nicht, – aber es ist nicht das himmlische, und so bleiben sie in der Mitte aller von der Milde des Himmels ihnen gestatteten Genüsse, selbst im Bewußtsein eines würdigen Lebens, dennoch Verdammte.
  43. [46. Dante läßt durch Virgil, der ja selbst vor Christo starb, die Lehre von Christi Höllenfahrt vortragen, wodurch die dortigen Erzväter [27] auferstanden. Er nennt diese Lehre V. 47 eine Stärkung des Glaubens.
  44. 67. Nicht weit vom Abhang, der zwischen der Vorhölle und diesem ersten Kreis liegt.
  45. 69. Fast unübersetzbar. Eigentlich eine erleuchtete Halbkugel.
  46. 80. Virgil wird von den Andern begrüßt.]
  47. 91. Jedem gebührt der Name des hohen Dichters, welchen die Stimme V. 80 aussprach. Aber ein eigner Werth macht sie geneigt zur Anerkennung fremden Werthes. Daher die schöne Zwischenscene, daß sie Alle Dante huldigend in ihren Kreis aufnehmen.
  48. 106. Unter den sieben Mauern, welche das Schloß umringen, verstehen die Ausleger theils sieben Tugenden, welche man ohne Glauben erstreben kann, theils die sieben freien Künste.
  49. 109. Warum gehen die Dichter trocknen Fußes (im Original: wie auf harter Erde) durch den schönen Fluß? Vielleicht um anzudeuten, daß dieser Fluß nicht wahrhaft benetzt, erfrischt und erquickt, daß [29] also auch diese Zierde des Orts kein Wesen hat, wie alle Dinge, die nicht durch den Glauben in Zusammenhang mit dem Ganzen und Ewigen gebracht werden. – Die dem Uebersetzer bekannten Erklärungen der Ausleger sind nicht minder gewagt, als diese, aber theils völlig flach theils dem ganzen Inhalte des Gedichts wenig entsprechend.
  50. 131. Der Meister – Aristoteles. Die übrigen Namen der im Texte angeführten griechischen und römischen Männer und Frauen lassen wir ohne Bemerkung, welche dem Kundigen, da sie nur sehr kurz sein könnte, nicht nöthig ist, dem Unkundigen aber nichts nützen würde. Daß Sultan Saladin, als zu ihnen nicht gehörig, allein sitzt, erklärt sich von selbst.
  51. 145 – 151. Die Sechszahl. Die vier V. 88–90 benannten Dichter; Virgil und Dante, die beiden letzteren, trennen sich von ersteren und nahen dem eigentlichen Straforte, dessen Beschaffenheit, im Gegensatze zu der des Vorhofs, in den beiden letzten Versen angedeutet ist.
  52. V. 2. Dieser Vers ist durch das, was oben über den Bau der Hölle gesagt ist, erläutert.
  53. 3. Im Vorhofe hört man nur Seufzer (Ges. 4, V. 25–27), hier lautes Wehklagen.
  54. 4. In dem mythologischen Minos, dem Richter der Todten, wie er hier vom Dichter ausgestattet ist, wird man wohl schwerlich eine tiefere allegorische Bedeutung finden. Genug, daß die mit großer plastischer Kunst uns dargestellte phantastische Gestalt ganz dem Schrecken des Orts entspricht.
  55. [31] 28. [Wörtlich: „ein von allem Lichte stummer Ort.“ Berühmtes herrliches Bild!]
  56. 31. In diesem Kreise finden wir die fleischlichen Sünder bestraft. Wie im Leben der unbändige Trieb sie rastlos umherjagte und ihnen alle Ruhe raubte, so hier der höllische Wirbelwind. Wie dort die Stimme der Begier sie willenlos gegen Felsen und zu Abgründen führte, wo ihr geistiges, vielleicht auch ihr leibliches Leben unterging, so hier im Orte der ewigen Strafen. Und in der Nähe der Gefahr klagen sie nicht sich selbst an, daß sie die von Gott ihnen verliehene Vernunft und Willensfreiheit vom wilden blinden Triebe unterjochen ließen, sondern sie fluchen noch immer blind und thöricht der göttlichen Allmacht und Tugend (la virtù divina). Vielleicht läßt der Dichter sie eben hier, an den Felsentrümmern, diese Flüche ausstoßen, weil, wie wir weiter unten erfahren werden, der Fels durch [32] das Erdbeben beim Tode Christi zertrümmert wurde, sie daher dabei verzweifelnd an die Erlösung denken, die ihnen nicht zu Theil ward.
  57. 40. [Dem Leser sind die häufigen, ächt epischen Gleichnisse nicht entgangen, zu deren schönsten, wahrhaft homerischen, die folgenden zählen. Ebenso V. 82 ff. 13, 40 ff. 26, 25 u. a. m.]
  58. 56. Semiramis soll, um eine unerlaubte Neigung für ihren Sohn zu befriedigen, durch ein Gesetz die Ehe zwischen Mutter und Sohn erlaubt haben. In der Uebersetzung ist der Versuch gemacht worden, den Anklang zwischen dem libito und licito des Originals durch Gelüst und Gesetz wiederzugeben.
  59. [33] 81. Niemand etc. d. h. Gott, dessen Name in der Hölle nicht genannt wird.
  60. 88. Der Schatten der hier spricht, ist Franziska, die Tochter Guido’s von Polenta, welcher den verbannten Dante aufnahm. Ihr Vater zwang ihr den Johann Malatesta betrüglicher Weise zum Gatten auf statt ihres Geliebten Paolo, des Bruders des Johann. Mit diesem überraschte sie Jener im Verbrechen und tödtete Beide. Wenn nach den Lehren der Kirche Jeder, der im Vergehen und ohne dasselbe vorher bereut zu haben, stirbt, verdammt ist, so mußte Dante die unglückliche Franziska für verdammt halten. Aber der strenge Geist des Dichters fühlt doch für die Tochter seines Wohlthäters eine Theilnahme, die um so rührender ist, je seltener wir ihn, wenigstens in diesem ersten Theile, von einem ähnlichen weichen Gefühle durchdrungen sehen. Uebrigens brauchen wir auf die große dichterische Schönheit dieser berühmten Darstellung, eine Perle des ganzen Werks, wohl keinen Leser des Dante aufmerksam zu machen. Als bezeichnend für die Sitte der Zeit und den Charakter des Dichters muß es betrachtet werden, daß er kein Bedenken fand, noch bei Lebzeiten seines Wohlthäters und wohl jedenfalls nicht ohne Vorwissen desselben dies bekannt zu machen.
  61. 97. Die hier bezeichnete Stadt ist Ravenna, in deren Nähe der Po, nachdem er vorher viele kleine Flüsse aufgenommen, ins Meer fällt.
  62. 107. Kaina diejenige Abtheilung des letzten Kreises der Hölle, in welcher die Mörder und Verräther ihrer Verwandten bestraft werden. Als Dante dies schrieb, lebte wahrscheinlich Franziska’s Gemahl noch.
  63. 123. Unter dem Lehrer ist wahrscheinlich Boethius gemeint, in [35] der Stelle seines Buches de consolatione: in omni adversitate fortunae infelicissimum genus infortunii est, fui se felicem.
  64. 127. Lancelot, der Held eines zu seiner Zeit berühmten Ritter-Romans, einer der Ritter der Tafelrunde und Liebhaber der Königin Ginevra.
  65. 137. Eigentlich Galeotto. So hieß im Roman der Vermittler zwischen Lancelot und Ginevra. Zu Dante’s Zeit sollen die Unterhändler in Liebesangelegenheiten allgemein mit diesem Namen belegt worden sein.
  66. VI. 1 – 3. Dante beschreibt nicht, wie er vom zweiten Kreise in den dritten gekommen, wahrscheinlich um anzudeuten, daß er auch nach seinem Erwachen von der Ohnmacht sich noch zu tief erschüttert gefunden habe, als daß er auf den Weg Achtung hätte geben sollen. Erst die neuen Strafen ziehen seine Aufmerksamkeit auf sich.
  67. 7. Hier im dritten Kreise finden wir die Schlemmer, ewigem Regen ausgesetzt, der nichts erzeugt, als ekelhaften Schmutz, in welchem sie versinken. Erheben sie sich auch einen Augenblick, doch fallen sie bald wieder zurück, und zwar zuerst mit dem Haupte, dem Sitze der geistigen Kraft, welche durch wüßte Schwelgerei unterdrückt und zu Boden gezogen wird. (V. 91–93.)
  68. 13. Auch Cerberus ist ein Teufel. Er stellt aber zugleich mit seinem dreifachen Schlunde, seinem weiten Bauche und seiner hündischen Natur überhaupt, selbst ein Bild des Lasters dar, das hier bestraft wird, und der Begier, die schon im Leben den Schlemmer selbst bestraft (vgl. V. 24. 31–33). Der Schlamm, welchen Virgil ihm V. 25 in den Rachen wirft, deutet auf den Werth dessen hin, worin die Schlemmer im Leben ihre Befriedigung finden.
  69. [37] 35. Wir haben oben bei Ges. 3. V. 34 bemerkt, wie Dante die Entstehung des Scheinleibes oder Schattens erklärt, durch welchen die Geister sich dem Auge erkennbar zeigen. Diesem entspricht auch im obigen Verse die Bezeichnung desselben als ein Nichts, das Körper scheint. Indessen werden wir in diesem ersten Theile Manches finden, was jener Erklärung zu widersprechen und auf eine wirkliche materielle Körperlichkeit hinzudeuten scheint. So hebt Virgil den Dichter empor, hält ihm die Augen zu, umschließt ihn beim Heruntergleiten vom Abhange; Dante selbst reißt einem Schatten die Haare aus. Dies scheint also darauf hinzudeuten, daß in der Hölle die Geister sich von der Erde nicht ganz haben losmachen können, daß sie noch mit gröberen Stoffen verbunden sind. Im Fegef. dagegen verfeinert sich dieser Scheinleib. Dante, der den Casella dreimal umarmen will, kehrt dreimal mit den Armen zur Brust zurück (Ges. 2, V. 80). Im Paradiese endlich ist kaum noch von einer Gestalt die Rede, da alle Seelen vom Lichte ihrer Wonne umgeben sind. Indessen bleibt sich der Dichter hierin nicht ganz treu, und wir werden in künftigen Bemerkungen auf einige Widersprüche aufmerksam machen.
  70. 52. Ciacco soll nach einigen Auslegern ein Florentiner von trefflichen Einfällen und ein guter Gesellschafter gewesen sein, wie Boccaccio [38] einen Mann gleichen Namens und Schlages in der achten Novelle des neunten Tages beschreibt. Nach andern hat Ciacco nichts weiter als ein Schwein bedeutet und ist ein allgemeiner Ehrenname der Schmarotzer gewesen.
  71. [61. Hier, wie oft, berührt Dante die politischen Verhältnisse, besonders seiner Vaterstadt, klagend, rügend und prophezeiend.]
  72. 64. Woher den Schatten die Fähigkeit kommt, Künftiges vorauszusehen, erfahren wir genauer, wenn auch Ges. 10. V. 100 über diese Fähigkeit gesprochen wird. Die Weißen (die Waldpartei) behielten nach der Zeit, in welche Dante seine heilige Reise verlegt, die Oberhand, bis durch Karl von Valois, der V. 69 bezeichnet ist, sie in den Jahren 1302 und 1303 unterlagen. Diese Stelle ist als Beweis gegen die Vermuthung aufgestellt worden, daß Dante die sieben ersten Gesänge vor seiner Verbannung gedichtet habe. Da sie aber leicht später eingeschaltet worden sein kann, so beweist sie nicht, was sie soll.
  73. 73. Wer unter den zwei Gerechten verstanden sei, ist nicht mit Gewißheit auszumitteln. [Genug, der Dichter kannte eben nur zwei gerechte, parteilose Männer in seiner Vaterstadt.]
  74. [39] 93. Blinde d. h. am Geist.
  75. 95. Bis zum Weltgericht. Die Gewalt, die den Sündern zuwider (feindlich) ist, ist die des ewigen Richters. „Was ewig wiederhallend braust“ ist dessen Richterspruch.
  76. 103. Nach dem großen Urtheilsspruche beim Weltgerichte werden die Geister ihre Körper wieder erhalten. Sie werden also dann in der Verbindung beider Bestandtheile des Menschen, des Leibes und der Seele, vollkommener als jetzt, da sie nur Schatten sind, eben darum aber auch nach der Lehre des Meisters, des Aristoteles, größern Schmerz zu empfinden fähig sein. Auch die Verdammten erwarten dann vollkommener zu werden, folglich mehr zu leiden, da sie die wahre Vollkommenheit nicht erreichen können.
  77. VII. [1. Plutus, de Gott des Reichthums, steht billig diesem Kreise vor. – Seine verworrenen, unerklärbaren Worte sollen wohl eine Anrufung des Satans bedeuten.]
  78. [41] 16. In diesem Kreise werden diejenigen bestraft, welche die irdischen Güter nicht zu würdigen wissen, indem sie theils als einzigen Zweck ihres Strebens sie zu hoch, theils als Mittel, die gemeine Noth des Lebens von sich selbst und Andern abzuwenden, zu niedrig schätzen, – die Geizigen und Verschwender. Bemerkenswerth ist, daß Dante außer den Verschwendern uns später die gewaltsamen Vergeuder als eine besondere Gattung von Sündern unter denjenigen aufführt, welche gegen sich selbst Gewalt verüben. Vgl. Ges. 11 V. 40 f. Ges. 13 V. 115 f.
  79. 22. Das Bild, unter welchem uns hier der Seelenzustand der Geizigen und Verschwender dargestellt wird, muß als ein sehr scharfsinnig erfundenes und meisterhaft ausgeführtes erkannt werden. Das mühsame und peinliche Streben beider ist ein völlig zweckloses, und beide suchen sich nur auf, um sich, sobald sie sich getroffen, feindselig abzustoßen. Denn der Geizige bedarf des Verschwenders, um sich höhere Vortheile, als die erlaubten, – der Verschwender des Geizigen, um sich neue Mittel zur Befriedigung seiner verworrenen Neigung zu verschaffen. Aber wie beide sich nur gegenseitig auf Kosten des Andern zu benutzen suchen, so kann auch die Folge ihres Zusammentreffens nur Feindseligkeit sein, die sich dann nicht, wie der Haß in kräftigeren Naturen, sondern durch gemeines Schimpfen und durch Vorwerfen des gegenseitigen Fehlers äußert. So sehen wir hier Geizige und Verschwender Lasten mit den Brüsten nach verschiedenen Seiten im Kreise wälzen, bis sie in der Mitte desselben an einander treffen, ihre schlechte Neigung gegenseitig schmähend, sich abstoßen, worauf sie dann wieder ihre Lasten zweck- und nutzlos zurückwälzen, um sich auf’s neue, [am andern Endpunkte des Halbkreises], mit gleicher Wirkung zu treffen.
  80. 49. Dies erläutert dasjenige, was wir oben bei V. 16 angedeutet. Kein namhafter Verbrecher ist unter diesen Leuten. Nur solche sind es, welche durch ihre zwecklose und gemeine Neigung irgend einen Namen zu erwerben verhindert worden sind. Alles verschwenden bis auf’s Letzte heißt im Italienischen sprichwörtlich dissipare in sino ai peli. – Daher die Verschwender hier durch die verschnittenen Haare bezeichnet werden. Die geschlossene Faust des Geizigen erläutert sich von selbst.
  81. [43] 73. Wir werden im dritten Theile erfahren, wie die Sterne in den verschiedenen Kreisen des Himmels Kräfte von oben empfangen, um nach unten damit nach allen Seiten hin zu wirken, und wie diese Wirkung von seligen Lenkern (beati motori) geregelt wird (Paradies Ges. 2. V. 112 – 129). Eine solche von Gott zur Vertheilung des Erdengutes bestimmte Lenkerin ist Fortuna, welche wir in der obigen schönen Stelle bezeichnet sehen. Sie gehört zu den Intelligenzen, wie die scholastische Sprache sie nennt, nach gewöhnlicher Sprache zu den Engeln, welche Gott vor andern Wesen zu seinen Dienern erschuf.
  82. 98. Die Worte: als ich fortgeschritten, weisen auf die Worte im letzten Verse des ersten Gesanges: Da schritt er fort – (im Original: quando mi mossi – allor si mosse). Als er fortschritt, verging der Tag, wie wir im ersten Verse des zweiten Gesanges lesen: es war also in der Zeit der Tag- und Nachtgleiche, die sechste Stunde nach Mittag vorbei. Da nun die Sterne die Hälfte ihrer Bahn über unserm Halbkreis in sechs Stunden vollenden, so muß jetzt, da die bei der Abreise aufgestiegenen Sterne wieder abwärts gehen, Mitternacht vorbei sein. Die Reise des Dichters hat daher bis jetzt sechs Stunden gedauert.
  83. 100. An dem Rande, welcher gegen den Abgrund zu den vierten Kreis begränzt, steigt der Dichter in den fünften hinab, in welchem diejenigen bestraft werden, welche der Zorn bezwungen hat. [Der Siedequell, welcher den Sumpf bildet, ist Sinnbild des Zorns, der darin gestraft wird und der darin sein wüstes Erdentreiben fortsetzt.]
  84. [45] VIII. 1. Aus den Worten, so fahr’ ich fort zu sagen (io dico, seguitando) schließen Einige, daß Dante die ersten sieben Gesänge in Florenz vor der Verbannung, die folgenden aber nach derselben gedichtet habe. Andere behaupten, das ganze Werk sei im Exil entstanden.
  85. 2. Der Thurm, von welchem das Zeichen der zwei Flammen gegeben wird, steht diesseits des Sumpfes und mit einem andern jenseits in Verbindung, von welchem eine Flamme aufsteigt, um zu erkennen zu geben, daß das erste Signal bemerkt worden sei und der Fährmann komme. Die zwei Flammen deuten wahrscheinlich auf die Zahl der Ankömmlinge.
  86. 18. [Durch die von Dante häufig angewandte Anrede an die Schatten oder von den Schatten (vgl. 84 ff.) wird der Gang der Erzählung dramatisch belebt.]
  87. 19. Phlegias, ein griechischer Fürst, der, als Apollo seine Tochter entführt hatte, aus Rache Delphi eroberte und den Tempel des Gottes verbrannte. Virgil sagt von ihm:
         Phlegiasque miserrimus omnes
         Adomnet, et magna testatura voce per umbras:
         Discite, iustitiam moniti et non temnere divos.
    Sehr bedeutungsvoll wird er hier als Fährmann gebraucht, um die Seelen über den Sumpf der Zornwüthigen, durch den Qualm, den dieser Sumpf ausdampft, in die Stadt überzufahren, die von empörten Dämonen vertheidigt und von Mißgläubigen bewohnt wird. Man möge übrigens den Namen, wie im Original, als Jambus lesen.
  88. 27. Man wird sich erinnern, daß der Kahn nur bestimmt ist, Schatten überzufahren, jetzt aber den Körper eines Menschen aufnehmen muß.
  89. [47] 44. Vielleicht will der Dichter mit dieser Liebesäußerung Virgils andeuten, daß sein eigner Zorn ein edler, selbstbewußter, begründeter, kein Fehler sei, wegen dessen die Verdammten in diesem Schlamm wühlen; vielleicht auch, daß er zur rechten Zeit die Zornwuth in ihren wahren Gestalt kennen lerne, um sich selbst vor ihr zu hüten. Mit dieser letzteren Auslegung stimmen auch V. 52–60 überein, in welchen wir sonst nur eine unedle Lust an fremden Qualen erkennen müßten. Wir möchten aus dieser Stelle, besonders aus dem 60sten Verse schließen, daß der Dichter selbst zum Jähzorn sehr geneigt gewesen sei.
  90. 61. Philippi Argenti nach Boccaccio aus dem Geschlechte der Cavicciuli, reich, angesehen und von großer Körperkraft, von der geringsten Veranlassung zu den tollsten Ausbrüchen des Zorns hingerissen.
  91. 71. Moscheen, Tempel der Mahomedaner, deuten hier im Allgemeinen an, daß die, so in der Stadt wohnen, im Leben nicht den Lehren der christlichen Kirche gefolgt sind. Denn eben diese Stadt bildet den sechsten Kreis.
  92. 81. Hier treten wir in den sechsten Kreis, in welchem die Ketzer, besonders die Stifter ketzerischer Sekten, bestraft werden. Unter Ketzern versteht der Dichter nicht blos diejenigen, welche von der Lehre der Kirche abweichen, sondern alle diejenigen, welche in Angelegenheiten des Glaubens eine einseitige Richtung verfolgen. Dies ergiebt sich daraus, daß er Ges. 10. V. 13 den Epikur mit seinen Anhängern in diesem Kreise seine Strafe finden läßt. Vgl. Anm. zu Ges. 9 V. 118. – Die gegen Gott empörten Dämonen sind es selbst, die mit eben so viel Vorsicht als Wuth dem von der Vernunft geleiteten Wanderer den Eingang wehren. Die Vernunft selbst wollen sie V. 89. ff. zu sich einlassen, wahrscheinlich um sie gefangen zu nehmen und den Wanderer ihrer Leitung zu berauben, nicht aber den von ihr geleiteten Menschen selbst. Von ihr verlassen, wird dieser gewiß die Beute der Verwirrung, die hier ihre Strafe findet Vergebens bestrebt sich der Repräsentat der Vernunft, mit diesen Dämonen zu verhandeln. Wie sollten auch Vernunftgründe auf diese wüthenden Vernunftlosen wirken? Aber Virgil ahnet, daß die höhere Kraft, welche in der ganzen Weltgeschichte sich als die Vertilgerin der Lüge, als die Beschützerin der Wahrheit zeigt, ihm zu Hilfe kommen werde; und diese Ahnung täuscht ihn nicht, wie wir im folgenden Gesange erfahren werden.
  93. [49] 91. [Stets wird daran erinnert, daß nur unter Virgils Leitung die Höllenreise, nur durch Einwirkung von Vernunft und Gewissen die Selbsterkenntniß und Buße möglich sei.]
  94. 98. Siebenmal: Ges. 1 bei den Thieren, Ges. 3 bei Charon, Ges. 4, 20, Ges. 5 bei Minos, Ges. 6 bei Cerberus, Ges. 7. bei Plutus, Ges. 8 bei Phlegias.
  95. 110. Ob er wiederkehren werde oder nicht.
  96. 125. Das Thor ist das im Anfange des dritten Gesanges beschriebene, an welchem die Dämonen dem Heilande, als er zur Hölle hinabstieg, den Eingang wehren wollten.
  97. IX. 7. Der Vernunft ist es erlaubt, zu sorgen und zu zweifeln. Wenn sie auch einsieht, daß etwas nicht mehr bestehen kann, daß es nach dem durch Weltgeschichte und Offenbarung gleich deutlich ausgesprochenen Willen Gottes als schlecht und verwerflich in Nichtigkeit zerfallen, daß der Kampf gegen das Verwerfliche am Ende ein siegreicher sein muß, so trübt doch wohl das längere Ausbleiben des erwünschten Erfolgs diese Einsicht und schlägt für den Augenblick die Hoffnung nieder. Dieser Zweifel theilt sich V. 13 natürlich auch Dante mit.
  98. [51] 22. Virgil ist früher durch Erichtho, eine thessalische Zauberin hinunterbeschworen worden – kennt also die Hölle. Man suche hier keine Allegorie!
  99. 27. „Judecca“ eine der untersten Höllenabtheilungen.
  100. 54. Theseus folgte seinem Freunde Pirithous zur Unterwelt, als dieser die Proserpina entführen wollte. Beide wurden aber gefangen und blieben es, bis Herkules den Cerberus besiegte und den Theseus befreite. Die Furien nehmen zum Haupte der Medusa ihre Zuflucht, damit der Dichter, durch dessen Anschauen versteint, nicht wie Theseus sich entferne. An den Furien hat es den Sekten zu keiner Zeit gefehlt. Unter dem Haupt der Tempelschänderin Medusa mag wohl der Dichter die personifizirte Ketzerei verstehen, welche, wie der schnelle Anwachs neuer religiöser Sekten zu beweisen pflegt, oft diejenigen, die sie nur betrachten, verwandelt und ihrer geistigen Freiheit beraubt. Der Uebersetzer glaubt, daß dies die Lehre sei, die nach V. 61 – 63 hier unter dem Schleier des Gedichts verborgen liegt.
  101. [61–103. Medusa, die Engelserscheinung. Die poetische Herrlichkeit dieser Stelle (64–81) möge sich der Leser durch die Dunkelheit des vielumstrittenen Sinnes nicht trüben lassen! Nach des Herausgebers Ueberzeugung (mit Notter, der selbst hier Rosetti folgt) ist dies eine derjenigen (vielleicht später eingeschobenen) Stellen, in welcher Dante wieder einmal den – ohnedies stets festzuhaltenden – politischen [53] Sinn seiner göttl. Kom. besonders neben dem anderen hervortreten läßt. Daß die Engelserscheinung zunächst, wie schon zu V. 7. bemerkt, im Allgemeinen die nicht vollkommene Zureichendheit der Vernunft und Medusa ein Sinnbild des Zweifels am Glauben der Kirche, eine Art „Personification der Ketzerei“ (Streckfuß) anzeigen könne, ist keine Frage. Aber V. 61–63 weisen auf einen weiteren Sinn, welchem man in der Hinweisung auf die politischen Mißstände von Florenz mit ihrer für so viele sinnverwirrenden, versteinernden Wirkung (Medusa) und in der prophetischen Vorausverkündigung des Siegeszugs Heinrichs VII. i. J. 1312 (gegen Florenz) finden mag, in welch letzteren Dante ja alle seine Hoffnung setzte. – Dazu stimmt, daß die Hölle schwerlich vor 1314 veröffentlicht ist; dazu stimmt des Engels zweideutig, halb menschlich gehaltene Erscheinung und Rede, in welcher zum eigentlichen Engel wol manches nicht paßte (V. 97. 102 etc.) und endlich der Umstand, daß man ohne diesen Nebensinn doch nicht ganz einsehen möchte, warum gerade hier Virgil nicht, wie selbst in den tieferen Kreisen, durch blose Entgegenhaltung des göttlichen Befehls seiner Wanderung (3, 95 u. a.) Einlaß erlangt. – Wir verweisen im Uebrigen auf [54] Notters Excurs in seiner Uebersetzung und was die politischen Beziehungen überhaupt betrifft, auf unsere eigene S. 7. angegebene Schrift im I. Abschnitt. Der Dichter; Nr. 2 „Italien u. Florenz; Dante’s politisches System nach seinem Buch de monarchia.“ –]
  102. 118–127.[WS 3] Die Ketzer sind zur Strafe eingeschlossen in Gräber, welche von Flammen durchglüht werden. Die Deckel derselben sind halb offen (sospesi, d. h. schwebend und so gestellt, daß sie sich zum Herablassen neigen). Einst beim Weltgerichte werden diese Gräber, wie wir Ges. 10 V. 10 erfahren, verschlossen werden. [Dante begreift unter „Ketzerei“ sowol im mittelalterlichen Sinn die Sektirer und Irrthumstifter als auch im Allgemeinen, wir könnten sagen, im protestantischen Sinn, die Irrreligiösen und Gottesläugner, die frechen Spötter gegen [55] die christliche Lehre, sowie gegen die Religion überhaupt. Daher sind auch Heiden hier, z. B. Epicur.] – Denn nur ein lebendiger Glaube an Gott, der da ist Einer in Dreien, in Macht, Liebe und Weisheit, an eine Versöhnung und ewige Vereinigung mit ihm, gibt der menschlichen Seele Leben. Dieser Glaube lag schon vor der Offenbarung durch Christus seinem Wesen nach in jedem reinen Gemüthe als Ahnung, die Gott hintergelegt hat. Wer von ihm abweicht, sei es, daß er ihn ganz verläßt, oder daß er ihn um des minder Wesentlichen willen aus den Augen verliert, ist, mag er Heide oder Christ sein, ertödtet, und er liegt im Grabe, ohne darin Ruhe zu finden. Denn Ruhe findet das Gemüth nur in jenem Glauben und wird ohne denselben gepeinigt von zweckloser Sehnsucht nach den irdischen Gütern, welche, wenn sie kaum erlangt sind, ihren Werth verlieren. Diese zwecklosen Wünsche sind Flammen, welche hier die Gräber durchglühen. Versinkt einst das Irdische ganz und mit ihm jeder Gegenstand eines solchen Wunsches, dann schließen sich die Gräber und der Unglückliche verliert sich ganz in der grauenvollen Nacht seines Bewußtseins.
  103. 120. D. h. Kein Kunsthandwerk braucht glühenderes Eisen zur Verarbeitung als hier diese Gräber glühten.
  104. X. 11. Im Thale Josaphat wird nach dem Propheten Joel (Kap. 3 V. 2) das allgemeine Weltgericht gehalten werden. Vgl. Anm. zu V. 118. Ges. 18. Die Ausleger suchen den Grund, aus welchem dann die Gräber sich schließen sollen, darin, daß bis dahin noch neue Ketzer darin aufgenommen werden müssen, mit dem jüngsten Tage aber die Ketzerei, folglich die Nothwendigkeit, die Gräber für neue Ankömmlinge offen zu halten, aufhören werde.
  105. 16. Das entdeckte Begehren ist das, die Bewohner dieser Gräber zu sehen (V. 7). Der verschwiegene Wunsch ist der, das Schicksal einiger seiner Landsleute, deren epikuräische Grundsätze ihm bekannt waren, zu erfahren. – Virgil durchschaut stets Dante’s Gedanken!
  106. 19. Ges. 3, 76 wurde Dante erinnert nicht zu viel und nicht zu voreilig zu fragen.
  107. [57] 32. [Farinata degli Uberti war von ghibellinischem, Dante vom welfischem Geschlechte, obwohl selbst ein eifriger Ghibelline. Daher ihre Ahnen Gegner waren, sie selbst nicht. Im Gegentheil. Unter Farinata’s Leitung erfochten die vorher vertriebenen Ghibellinen in der Mitte des 13. Jahrhunderts an der Arbia die Rückkehr nach Florenz, aber durch eine Hinterlist. Daher der Vorwurf V. 85. Der hochherzige Farinata mäßigte die Wuth seiner Partei (V. 91). Dennoch versetzt ihn der gerechte Dichter wegen seines Epicuräismus hierher!] –
  108. [48. Zweimal. Eben an der Arbia und vorher unter Friedrich II.
  109. 51. Nachher wieder vertrieben, kehrten die Uberti nicht mehr zurück. Alles vor Dante’s Zeit!]
  110. 53. Der hier sich erhebende Schatten ist Cavalcante Cavalcanti, dessen Sohn Guido zu den vertrautesten Freunden des Dichters gehörte. Als der Vater durch Dante’s Antwort auf Farinata’s Fragen vernommen hat, wer der Sprechende sei, vermuthet er, daß, wenn der eine Freund durch die Hoheit seines Geistes in die Hölle eingedrungen sei, auch der andere, sein Sohn, nicht fern sein könne. Das Suchen der väterlichen Augen nach dem Sohne ist V. 55 und 56 sehr plastisch ausgedrückt. Daß Farinata sich bis zum Gürtel, Cavalcante nur bis [58] zum Knie aus dem Grabe erhebt, mag die mehrere und mindere Keckheit und Heftigkeit des Einen und des Andern bezeichen.
  111. 61. 62. Nicht die Hoheit seines Geistes (ingegno, Genie) hat den Dichter hierher geführt, sondern die Vernunft, welche nicht immer die Hochbegabten leitet. Vielleicht hatte Guido dieses Führers nicht geachtet. Uebrigens war Guido, obwohl einige Gedichte von ihm sich erhalten haben, doch mehr Philosoph als Dichter, daher V. 63 auch nach dem Wortsinne ausgelegt werden kann: Er hat vielleicht die Werke des Virgil nicht studirt.
  112. 67–72. Die Worte: Er hatte — machten den Vater glauben, sein Sohn lebe nicht mehr. Erst nur bis zum Knie über das Grab hervorragend, richtet er sich bei dieser Vermuthung schnell ganz empor, und fällt zurück, als Dante mit der Anwort zögert. — Wie schön hier Vaterliebe und Gram mit wenigen Worten in bestimmter in sich vollendeter Handlung dargestellt sind, wird jeder Leser bemerken. Dies Bild des liebevollen von Schmerz niedergebeugten Vaters gewinnt an Wirkung durch den Gegensatz, welchen uns der gewaltige trotzige Farinata darstellt, der, ohne sich um das Vorgefallene zu bekümmern, V. 76 das vorher abgebrochene Gespräch wieder anknüpft.
  113. [59] 79. Die Herrin dieses Dunkels ist die dreigestaltige Göttin Proserpina, die auch als Diana und Luna erscheint. Von einem Ereignisse, das in noch nicht vollen fünzig Monden sich zutragen wird, ist daher die Rede. Die Kunst ist nach V. 49–52 die: aus der Verbannung zurückzukehren, daher denn auch die im Jahre 1304 fruchtlos versuchte Rückkehr der Weißen [sammt dem, damals mit ihnen verbannten Dichter hingedeutet ist. Vorbemerkung zu Ges. 1.] Du wirst das Gewicht dieser Kunst fühlen (quanto quell arte pesa) heißt: der fruchtlose Versuch wird dich belehren, wie schwer diese Kunst ist.
  114. 82. Wenn die Verbannten zurückgerufen wurden, blieben immer die Uberti, von deren Geschlechte Farinata war, ausgeschlossen.
  115. 101. Hier und an andern Orten sagen die Verdammten Künftiges vorher, ohne daß wir erfahren, woher ihnen diese Gabe der Wahrsagung und die mit ihr verbundene Unfähigkeit, das Gegenwärtige zu erkennen, kommt. [Das treffende Gleichniß von der schwachen Sehkraft fußt auf der Ansicht (nach Thomas), daß unreine Geister nichts Einzelnes, wol aber Allgemeines, wie die Zukunft, erkennen können.]
  116. 109. Der Dichter hat dem Cavalcante nach V. 70 nicht sofort über das Leben seines Sohnes Auskunft gegeben, weil er irrig geglaubt, die Geister müßten, wie sie das Künftige voraussehen, auch die Gegenwart erkennen. Jetzt trägt er dem Farinata auf, sein Schweigen mit diesem Irrthume zu entschuldigen.
  117. 119. Der Kardinal Octavian degli Ubaldini, verdächtig, im Herzen ein Ghibellin gewesen zu sein. – Friedrich II., sonst dem Dichter hochverehrt, wird im ganzen Mittelalter mit Recht oder Unrecht beschuldigt, ein Atheist, Spötter und Epicuräer gewesen zu sein. Daher sein Platz.
  118. 123. Die Prophezeiung der Vorgänge des Jahres 1304, während seiner Verbannung. Hierauf weist ihn Virgil auf klareren Bescheid V. 130, im Paradies, wo auf ihren Auftrag (der Beatix) ihm klarer geweissagt wird (Ges. 17).
  119. [61] XI. 4. Der Gestank kommt von dem Blutstrome in der ersten Abtheilung des nächsten Kreises, in welchem diejenigen büßen, welche gegen den Nächsten Gewalt verübten.
  120. [8. Papst Anastasius II. (um 497 lebend) ist der erste der vielen Päpste, welche Dante in die Hölle verdammt hat und welchen wir noch begegnen werden. – Durch seine Verdammung speciell will Dante darthun, daß auch ein Papst ein Ketzer, ein Irrlehrer sein könne und daß dies bei einem so mächtigen Mann nahe an Gewaltthat grenze. Daher locirt er diesen Papst hier auf die Marke zwischen den Ketzern und Gewaltthätigen. Also keine persönliche Unfehlbarkeit! Welch’ eine großartige Gesinnungsreife dies von einem Mann des 13. Jahrhunderts, einem guten Katholiken, wie Dante, bekundet, vermag der Leser zu ermessen und vgl. dazu fortlaufend die, schon in der Vorbem. zu Ges. 1. S. 6 genannten Stellen, welche nun alle der Reihe nach diese seine Anschauung nach allen Seiten ausführen. – In Beziehung auf Anastasius selbst aber befand sich unser Dichter in einem historischen Irrthum, was wir nur kurz anfügen. Eine Ketzerei läßt sich ihm nicht nachweisen; sondern, in den christologischen Kampf des Morgen- und Abendlandes verwickelt, wurde seine versöhnliche Haltung, auf die der Diacon Photin von Thessalonich einwirkte, von der Gegenpartei fanatisch verketzert und sein plötzlicher Tod zu der Fabel eines [62] Gottes-Strafgerichts verzerrt – was Dante ungeprüft annahm. – Dante war, wie nach Durchlesen der göttl. Kom. über alles klar ist, ein Polyhistor von großartigster Dimension des Wissens. Die göttl. Kom. ist in dieser Hinsicht eine bewundernswerthe Encyclopädie aller damaligen Gelehrsamkeit, eine grandiose Revue der Vergangenheit und Gegenwart. Im richtigen Blick hierauf verschwinden einzelne kleine Irrthümer! –]
  121. 16. Hier wird die schon zu Ges. 4, 7 erwähnte moralische Eintheilung der dritten Höllenabtheilung explicirt. An das dort Gesagte anknüpfend bemerken wir Folgendes:
    Die geringeren Sünden sind diejenigen, welche aus der Unenthaltsamkeit hervorgehen (V. 82 ff.), weil diese nicht bösen Willen, sondern nur einen Mangel an Selbstbeherrschung und richtiger Erkenntniß voraussetzt. Deshalb werden in dem zweiten, dritten, vierten und fünften Kreise minder hart bestraft die Wollüstigen, die Schwelger, die Geizigen, die Verschwender und die Jähzornigen. Ihnen folgen im sechsten Kreise die Ketzer, bei welchen wohl auch das Vergehen ohne Bosheit gedacht werden kann. Auf diese erst kommen die wirklich Bösen. Sie sind theils Gewaltthätige, theils Betrüger. Die ersten erscheinen minder strafbar, als die letzten, weil heftige Leidenschaft als Naturfehler beitragen kann, sie zur Gewalt zu verleiten, während der Betrüger bei kaltem Blute die den Menschen vor allen anderen Wesen auszeichnende Gabe der Vernunft mißbraucht, um Andern zu schaden. Daher wird Betrug V. 25 die dem Menschen eigene Sünde genannt.
    Die Gewaltthätigen werden im siebenten Kreise bestraft, und zwar in drei Unterabtheilungen, je nachdem der Sünder Gewalt gegen den Nächsten, gegen sich selbst oder gegen Gott verübt hat. Daß die Gewaltthätigkeit gegen sich selbst in einem tiefern Kreise, folglich härter bestraft wird, als die gegen den Nächsten, hat wohl darin seinen Grund, daß der Trieb der Selbsterhaltung der erste und mächtigste Trieb in allen Wesen ist – ein Trieb, der das Ganze der lebenden Schöpfung erhält, indem er jedem einzelnen Theil zuvörderst für seine eigene Erhaltung zu sorgen gebietet. Diesem Winke entgegen zu handeln, ist also eine Verletzung des ersten und wichtigsten durch den Instinct uns ertheilten göttlichen Gebotes.
    Der Betrug zerfällt in zwei Hauptgattungen, je nachdem er an Solchen verübt wird, gegen welche wir blos die allgemeinen menschlichen Pflichten zu erfüllen haben, oder an Solchen, mit welchen wir [63] durch besondere Bande des Vertrauens verknüpft sind. – Die erste Hauptgattung enthält die eigentlichen Betrüger, die wir nach zehn Untergattungen in eben so verschiedenen Abtheilungen des achten Kreises bestraft sehen. – Die zweite Hauptgattung dagegen umfaßt die Verräther, in vier Abtheilungen des neunten Kreises bestraft, je nachdem sie Verwandte, Vaterland, Freunde oder Wohltthäter verrathen. – [Diese Eintheilung im Allgemeinen folgt der Scholastik (Thomas von Aquino) und dem Aristoteles. Die Gliederung des Betrugs ist eine eigene, höchst originelle Eingebung des Dante.]
  122. 28. Im ersten Kreis, nämlich von den noch übrigen drei letzten. Die Hölle hat neun Kreise.
  123. 50. Sodom, bekannt durch das widerliche und ekelhafte Laster, welches von dieser Stadt seinen Namen führt – Cahors, zur Zeit des Dichters als ein Nest von Wucherern berüchtigt.
  124. 79. Deine Sittenlehre – Die Ethik des Aristoteles.
  125. [65] 97. Dante hat gefragt: Aus welchem Grunde behauptest du V. 50, daß die Wucherer Gottes Gabe Gewalt anthun? Virgil antwortet: Die Genesis, welche durch Gottes Eingebung geschrieben ist, spricht: Du sollst im Schweiße deines Angesichts dein Brod essen. Dasselbe lehrt die Natur, welche gleichsam die Tochter des göttlichen Geistes ist. Menschliche Wissenschaft und Kunst, welche wieder die Tochter der Natur ist, die man daher Gottes Enkelin nennen kann, lehrt folglich dasselbe. Weil nun die Wucherer, statt, dieser Lehre gemäß, ihr Brod im Schweiße des Angesichts zu erwerben, durch hohe Zinsen, und Zinsen von Zinsen, ohne Arbeit, nicht nur ihr Leben erhalten, sondern auch Reichthümer aufzuhäufen suchen, so empören sie sich gegen das Gebot der Gottheit, von welcher Natur und menschlichen Wissenschaft herstammen. Hiermit ist auch erläutert, warum das andere V. 50 angedeutete Laster eine Gewaltthat gegen Gott enthält, und wir können es dem Dichter nur Dank wissen, daß er seine schönen Terzinen nicht mit einer nähern Berührung dieses ekelhaften Gegenstandes befleckte. Ueberhaupt haben wir in diesem Gesange zwar wenige poetische Schönheiten, desto mehr aber die Klarheit, Schärfe und den richtigen Takt unsers Dichters in Entwicklung des Abstracten zu bewundern.
  126. 112. Dieser Stand der Sternbilder deutet auf das Herannahen des Morgens.
  127. XII. 2. Wahrscheinlich ist in diesem Verse vorläufig auf den Minotaurus hingedeutet.
  128. 4. [Zwischen Roveredo und Ala, bei der Eisenbahnstation Mori, sieht man noch den im 9. Jahrhundert geschehenen „Bergsturz von S. Marco“. Man nimmt noch deutlich wahr, wie die Etsch dadurch westlich gedrängt ist. Dante muß den Ort gesehen haben, wie er ja auch, nach alter Sage, länger in Tirol gewohnt haben soll.]
  129. 12. Minotaurus, die Ausgeburt der verruchten Liebe der Pasiphane mit dem Stiere, halb Mensch, halb Stier – ein Ungeheuer, [67] welchem jährlich sieben Mädchen und sieben Knaben aus Athen geliefert werden mußten. Ihn tödtete Theseus mit Hilfe Ariadne’s, der Tochter des Minos, die ihm durch einen Faden den Rückweg aus dem Labyrinth, dem Aufenthalte des Minotaurus, sicherte. In dieser phantastischen Gestalt des Minotaurus erkennen wir das Symbol der drei Arten von Gewaltthätigkeit, der gegen Gott durch seine Entstehung, gegen den Nächsten durch den Tribut Athens, und gegen sich selbst durch das, was V. 14 von ihm gesagt ist.
  130. 35. Vgl. Ges. 9 V. 19 ff. Die hier erzählte Begebenheit ist das Erdbeben bei Christi Tod.
  131. 41. Empedokles lehrte, die Welt bestehe aus den vier Elementen welche durch die Urkräfte der Liebe und des Streits bewegt würden. Liebe verbinde das Gleichartige, Feindschaft aber treibe das Ungleichartige [68] gegen einander und gebe dadurch der Welt ihre Gestalt und ihre das Verschiedenartigste in sich vereinigenden Erscheinungen. Ohne diese Feindschaft, durch das bloße Walten der Liebe, würde daher die Erde ihre Gestalt verlieren und ins Chaos zurückfallen.
  132. [45. Anderwärts; s. Ges. 23, 136, bei den Heuchlern.]
  133. 46. Der Strom von Blut, in welchem wir diejenigen, welche gegen den Nächsten Gewalt verübt, bestraft sehen, bedarf in Beziehung auf das Verhältniß der Strafe zum Verbrechen keiner Erläuterung. Wegen der Centauren V. 55 ff. ist sich auf die Bemerkung Ges. 3. V. 94 zu beziehen.
  134. 49. Die Zornigen haben wir bereits oben unter den Unenthaltsamen im fünften Kreise bestraft gesehen. Hier ist von denjenigen die Rede, die von ihrer Leidenschaft wirklich zu Gewaltthaten verführt worden sind.
  135. [69] 67. Nessus entführte die Dejanira, als er sie auf Herkules Geheiß über den Fluß Evenus trug. Aber Herkules durchschoß ihn mit einem in das Blut der lernäischen Schlange getauchten Pfeile. Er rächte sich, indem er, ehe er starb, die Dejanira überredete, daß ein mit seinem vergifteten Blute getränktes Gewand ihr die Treue des Herkules sichern werde. Ein solches Gewand brachte später dem Herkules die Qualen, die er auf dem Scheiterhaufen endete.
  136. 71. Chiron, ein Sohn des Saturn, war der Lehrer des Achilles, und stand im Rufe hoher Weisheit. Das gesenkte Haupt deutet wahrscheinlich auf Nachdenken.
  137. 72. Pholus, ein Genosse bei dem Raube der Hyppodamia.
  138. 80. An der Bewegung der Steine, welche Dante betritt, bemerkt Chiron, daß derselbe ein Lebender ist, weil die leichten Schatten darüber hinzugleiten pflegen, ohne eine solche Bewegung zu veranlassen.
  139. 107. Alexander, wahrscheinlich nicht Philipps Sohn, welchen der Dichter im Convito sehr rühmt, sondern Alexander Phereus, Tyrann von Thessalonien – Dionysius, Tyrann von Syrakus.
  140. 110. Ezzelino di Romano, Herr von Trevigi, Schwiegersohn und Statthalter Friedrich’s des Zweiten in der Trevigianer Mark und dessen mächtiger Bundesgenosse, der blutigste der vielen kleinen Tyrannen, welche das heillose Zeitalter erzeugte, dessen Verhältnisse so viele Thoren unserer Zeit so gern zurückführen möchten; mit Recht vom Dichter so tief in das siedende Blut getaucht, daß nur die schwarz behaarte Stirn noch hervorragt.
  141. 111. Obiz von Este, Markgraf von Ferrara und der Mark Ancona, welchen sein eigener Sohn getödtet haben soll. Der Dichter nimmt diese That, die niemals ins Klare gebracht worden, für erwiesen an.
  142. 113. Virgil weist den Dichter, der sich zu ihm gewandt, an Nessus, der ihn besser belehren kann, als Er.
  143. [71] 119. [Guido von Monfort, Statthalter Carls von Anjou in Toskana, Sohn des aus Frankreich ausgewanderten, in England zum Grafen von Leicester erhobenen Simon. Seines Vaters Leiche, im Kampf gegen Heinrich III. gefallen, ward von den Siegern verstümmelt. Dies zu rächen durchbohrte Guido den Neffen Heinrichs III., den Prinzen Heinrich von England – über dessen persönlichen Zusammenhang mit seiner Schandthat aber nichts bekannt ist – also ohne Zweifel aus purer Rachsucht gegen England im Jahr 1271 zu Viterbo in der Kirche, in dem Augenblicke, da die Hostie erhoben wurde, mit einem Dolchstoß. Das Herz Heinrichs wurde nach London gebracht.]
  144. 121 ff. Nach der Größe ihrer Verbrechen stecken die Gewaltthätigen mehr oder minder tief im Blutstrome, so daß die größten Uebelthäter darin ganz verborgen, den geringsten aber nur die Füße davon bedeckt sind.
  145. 133. 134. Attila, der Hunnenkönig, die Geißel Gottes – Pyrrhus, König von Epirus, der Römerfeind und Verwüster Griechenlands – Sextus, entweder Sextus Pompejus, der Seeräuber, oder der Sohn des großen Pompejus.
  146. 137. Rinier von Corneto und Rinier de Pazzi, beide verrufene Räuber und Mörder.
  147. 139. Es ist nicht deutlich ausgesprochen, daß Nessus den Dichter [71] wirklich nach den V. 91 u. 95 vom Virgil dem Chiron vorgetragenen Bitten über den Blutstrom gebracht, wie und wo er ihn auf den Rücken genommen und wieder abgesetzt habe. Da aber Dante herüber ist, ohne sich die Füße verbrannt zu haben, so müssen wir annehmen, daß es geschehen sei.
  148. [XIII. An Erfindung und Darstellung einer der schönsten Gesänge.]
  149. 7. Corneto, eine kleine Stadt im Kirchenstaate. Cecina, ein Fluß, der südwärts von Livorno ins Meer fällt. Zwischen beiden finden sich viele Wälder und Gebüsche, die mit Ebern, Hirschen und Rehen bevölkert sind.
  150. 10. Die Harpyen prophezeiten, nach Virgil, den Trojanern auf den strophadischen Inseln im ionischen[WS 4] Meere, daß sie, ehe sie die Stadt mit Mauern umgeben könnten, durch Hunger und Ungemach viel leiden würden.
  151. 16. Die zweite Abtheilung des siebenten Kreises enthält die Gewaltthätigen gegen sich selbst, zunächst Selbstmörder.
  152. [73] 41. [„Dort“ am andern Ende, wo der Luftzug tropfend Ausgang findet. Treffendes, originelles Bild!]
  153. 46. Virgil erzählt im dritten Gesange der Aeneis, daß Aeneas, einen Zweig abbrechend, die Stimme des Polidorus vernimmt. Hierauf ist schon V. 21 hingedeutet. Virgil hat den Dichter V. 28 angereizt, einen Zweig von diesem Baume zu brechen, wie es nach V. 49 scheint, nicht ohne die etwas eigennützige Absicht, seinem Liede bei dem Dichter Glauben zu verschaffen. Er fühlt jetzt, daß er damit Unrecht gethan hat, da es nicht löblich ist, dem Unglücklichen aus selbstsüchtigen Absichten noch größeres Leiden zu erregen. Deshalb bekennt er mit echter Menschlichkeit seinen Fehler und seine Reue, indem er zugleich dem verletzten Geiste Vergütung des ihm zugefügten Schadens durch die Erneuerung seines Andenkens in der Oberwelt verspricht.
  154. 55. ff. Der hier sprechende Geist ist Peter von Vinea (von Vineis, wie er auch sonst genannt wird), von geringem Herkommen, aber von Kaiser Friedrich dem Zweiten durch langjähriges unbeschränktes Vertrauen geehrt und zu den höchsten Würden emporgehoben. Endlich wurde er unredlichen Eigennutzes, des Einverständnisses mit dem Papste und selbst der Theilnahme an einem Versuche, seinen Wohlthäter zu vergiften, beschuldigt und ins Gefängniß gesperrt, wo er 1249, aus Verzweiflung seinen Kopf an die Mauern stoßend, sich selbst tödtete. – Ob Peter von Vinea der Verbrechen, deren er angeklagt war, wirklich schuldig gewesen, oder ob der Neid, unwillig über seine Größe, sie ihm angedichtet, ist eben so ungewiß, als ob Friedrich, von diesem Verbrechen bereits überzeugt, ihn, wie man erzählt, im Gefängnisse habe blenden lassen. Jedenfalls ist das Zeugniß eines Schriftstellers von Dante’s Scharfsinn und Kenntniß, der so kurze Zeit nach ihm lebte, für seine Unschuld sehr beachtenswerth. Peter war übrigens nicht blos als Staatsmann, sondern auch als Dichter von dem kunstliebenden Friedrich geschätzt. Ein Sonett von ihm, das für das älteste Gedicht dieser Art gehalten wird, theilt Raumer Gesch. d. Hohenstaufen Th. 6 S. 506 mit. –
  155. 64. Die Scheelsucht.
  156. [75] 93. In den folgenden Versen ist die Strafe, welche diejenigen trifft, die gegen ihr eigenes Leben Gewalt verüben, näher angegeben, und wir werden das oben angedeutete Verhältniß zwischen Verbrechen und Strafe auch in diesen sinnreichen Bildern erkennen. Wie der Selbstmörder, nicht erwartend die naturgemäße Entwickelung des allgemeinen Verhängnisses, sich hinabstürzt in das dunkle Land, so soll er in diesem nach Zufall dahin fallen, wohin ihn der Sturm treibt. Der Geist, den er naturwidrig entfesselte, soll naturwidrig gefesselt bleiben im Baume, benagt von den Harpyen der Gewissensbisse. Und wie er die Schauder seines Todes, sich selbst in seiner Phantasie als Leiche erblickend, in seinem Entschlusse mit sich herumtrug, so soll er sie für immer nahe haben durch den Leib, welcher an dem Baume, der die Seele birgt, einst aufgehangen werden wird.
  157. 109. In diesem Binnenkreise werden als Gewaltthätige gegen sich selbst auch diejenigen bestraft, die ihrem Gute Gewalt angethan (Ges. 11 V. 43, 44), die wüthenden Vergeuder ihrer Habe, besonders die Spieler, als Sünder anderer Art, geschieden von den lustigern Verschwendern, die wir oben Ges. 7 gefunden haben. Wenn diese nur in zwecklosen Bestrebungen sich bemühen, so werden jene von wüthenden Leidenschaften, wie von Hunden, gehetzt, und wir sehen sie in einem Zustande, der dem der unglücklichen Spieler an einer Pharaobank, die so eben ihr Letztes verloren, allerdings sehr wohl entspricht. Daß sie in der höchsten Noth sich noch höhnen, entspricht ebenfalls dem Charakter solcher Wüstlinge.
  158. 120. Lano von Siena, stürzte sich in einer Schlacht bei Toppo, obwohl er sich durch Flucht retten konnte, in die Feinde, um den Tod zu finden, und durch ihn dem Elende zu entgehen, in das er durch zügellose Verwüstung seines Vermögens sich gestürzt hatte. In der [77] Hölle ruft er den Tod vergeblich zu Hilfe, deshalb gehöhnt von seinem zügellosen Genossen Jacob, [einem andern Spieler, welcher sich V. 123 in dem Strauch eines Selbstmörders verbirgt, aus dem ihn die Hunde herausreißen, während dieser darüber zum Wort kommt und klagt V. 133 ff.]
  159. 133. Wer der hier sprechende Selbstmörder sei, ist nicht angegeben. Vielmehr war er für die Zeitgenossen hinreichend dadurch bezeichnet, daß Jacob sich in seinem Busche verbirgt, was wohl andeuten mag, daß dieser ihn zur Vergeudung seines Vermögens verleitet habe, und von seinem Selbstmorde alle Schuld trage, wie denn der Selbstmörder V. 135 den Vorwurf ablehnt, daß er nicht das Lasterleben Jacobs verschulde.
  160. 143. Der Sprechende gibt sich als Florentiner zu erkennen. Florenz nämlich soll, ehe das Christenthum eingeführt worden, unter dem Schutze des Mars gestanden haben, von welchem zu Dante’s Zeit noch ein rohes Bild an der Arnobrücke stand. Später wählte sie den Täufer Johannes zu ihrem Schutzpatron und prägte dessen Bild bald auf ihre Münzen. Die Stelle V. 144–159 bedeutet daher wohl: Florenz vertraut jetzt dem Golde, nicht der Tapferkeit, daher wird es im Kriege Unglück haben. Wäre nicht der Stadt ein Rest von Tapferkeit übrig gewesen, so würde der Wiederaufbau derselben nach der Zerstörung durch Attila, [vielmehr durch den Gothen Totila,] nicht möglich gewesen sein. Man vergleiche wegen Bezeichnung des Goldes durch Johannes Paradies Ges. 18 V. 133–136.
  161. XIV. 6. In diesem dritten Binnenkreise werden diejenigen bestraft, die Gott Gewalt anthun, die Gotteslästerer, die Wucherer, und die, welche unnatürlicher Wollust sich hingegeben haben. Vgl. Ges. 11 V. 46 u. 94.
    Der Strafort ist eine Sandebene, auf welche fortwährend Feuerflocken herniederfallen, die den Sand entzünden, so daß die Sünder der Glut doppelt, nämlich unmittelbar durch die auf sie fallenden Flocken, mittelbar durch den von den Flocken entzündeten Sand, ausgesetzt sind. Die Gotteslästerer liegen rücklings im Sande, die Wucherer sitzen; die Sodomiter müssen fortwährend herumlaufen. – [Das Licht der göttl. Liebe und Wahrheit, das sie verachtet, wird ihnen hier nicht als einiges, sondern in Gestalt gespaltener Flammen zur Qual. Dies mag der allgemeine Zusammenhang zwischen Sünde und Strafe sein bei dieser Darstellung, deren poetische Kraft und Klarheit der Leser vor allem bewundern wird.]
  162. 10. Hier, wie an vielen andern Orten, wird das oben gezeichnete Bild der Hölle mit ihren nach unten sich immer mehr verengenden Kreisen anschaulich gemacht. (Vgl. Anmerk. zu Ges. 4 V. 7 ff.)
  163. [79] 14. Cato der Jüngere führte die Ueberbleibsel der Armee des Pompejus durch die Wüste Libyens.
  164. 31–36. [Unhistorisch, aus dem angeblichen Briefe Alexanders an Aristoteles.]
  165. 52 ff. [Frechster Hohn und Lästerung der Ohnmacht Jupiters, d. h. nach Dante’s mythologischem Gebrauch, des wahren, von jedem Heiden erkennbaren Gottes. Daher die Strafe. –]
  166. 63. Kapaneus war einer der sieben Heerführer, welche im Bruderkriege zwischen Eteokles und Polynices Theben belagerten. Er wurde, als er die Mauer erstieg, vom Blitze getödtet. Hier stellt er uns ein Bild der verhärteten Sünde des Hochmuths in selbst verschuldeter Ohnmacht dar. Die Worte, die ihm Virgil V. 63–66 zuruft, und die er V. 70–72 noch durch einen Zusatz erläutert, sind eben so großartig und tief gedacht, als wahr.
  167. [81] 79. Der Sprudel bei Viterbo, ein ehedem besuchtes Bad, bei welchem auch viele Buhlerinnen sich einfanden.
  168. 91. Das in dem folgenden Verse gemalte sinnvolle Bild ist in den Hauptzügen aus Daniel Kap. 2. V. 32 ff. entnommen, jedoch vom Dichter anders als von dem Propheten gedeutet. Dies Bild bedeutet hier ohne Zweifel die Zeit mit ihren verschiedenen Altern und der immer sich vermehrenden moralischen Verschlimmerung. Der Standpunkt des Bildes ist Kreta, liegend zwischen den damals bekannten drei Welttheilen. Hierher rettete Rhea ihren Sohn Jupiter, als Saturn – Kronos, die Zeit – schon mehrere seiner Kinder verschlungen hatte, ließ ihn in einer Höhle des Ida aufziehen, und durch Tonwerkzeuge und lautes Jubelgeschrei Getös machen, damit Saturn das Schreien des Kindes nicht hören und nicht auch diesen Sohn auffressen möge. Hieraus erklärt sich, aus welchen Gründen der Dichter, der heidnischen Mythe sich anschließend, das Bild der Zeit eben in Kreta aufgestellt. Die Zeit, die größte der irdischen Mächte, ist eine verborgene, die wir unaufhörlich fühlen, ohne sie zu sehen. Hierauf mag der Standtpunkt des Bildes im Innern des Berges gedeutet werden. Nur das Haupt ist von Gold, die andern Glieder von minder edlen Metallen, die immer geringer werden, je mehr sie dem Boden sich nähern. Ja der eine Fuß, auf welchem sogar die Last hauptsächlich ruht, ist von Thon. Nur das Gold ist ganz und ungespalten – Hindeutung auf der Unschuld und Eintracht des goldenen Zeitalters. Die anderen Metalle sind durch Risse getheilt, wie in der spätern Zeit die Laster das Glück des Friedens zerstörten. Aus diesen Rissen träufeln die Thränen, welche, vereint, sich den Eingang zur Grotte der Hölle brechen und dort die Flüsse bilden, in welchen wir theils die Sünder selbst bestraft, theils die Höllenkreise [82] eingeschlossen sehen. Auf dem Fuße aus Thon stand zu des Dichters Zeit das Bild noch, wie es zu Daniels Tagen stand und in unsern Tagen steht.
  169. [83] 134. Phlegethon bezeichnet einen brennenden Fluß. Das Sieden des durch den Graben hinfließenden Wassers gibt daher dieses als Phlegethon zu erkennen.
  170. 136. Lethe, der Strom, aus welchem man Vergessenheit trinkt, kann nicht in die Hölle fließen, in welcher das Andenken der Schuld ein Theil der Strafe ist. Wir finden diesen Fluß Ges. 28 V. 25 des Fegefeuers.
  171. 139. Der Phlegethon fließt zwischen steinernen Dämmen quer durch den dritten Binnenkreis. Diese Dämme sind von Stein und können daher nicht von den herabfallenden Feuerflocken entzündet werden, wie der Sand des Straforts. Ueberhaupt fallen die Flocken nicht darauf, weil sie, wie wir in dem folgenden Gesange V. 3 hören, von dem Dampfe, welchen der siedende Fluß aushaucht, verzehrt werden. Doch ist dieser Dampf in der Höhe, in welcher das Haupt der auf ihnen hinschreitenden Dichter sich befindet, nicht so stark mehr, daß er sie hindern könnte, auf dem Damme zu gehen. Daher gewährt derselbe einen sichern Weg durch den dritten Binnenkreis.
  172. XV. 9. Die Chiarentana, derjenige Theil der Alpen, in welchem die Brenta entspringt; im Winter meist mit tiefem Schnee bedeckt, der im Frühlinge die plötzlichen und gewaltsamen Ueberschwemmungen veranlaßt, welchen die Flußgegenden des nördlichen Italiens fast jährlich ausgesetzt sind.
  173. 13. Der Wald, der Strafort derer, die gegen sich selbst Gewalt verübt.
  174. 20. Der Dichter verschmäht, wie wir hier und anderwärts, selbst im Paradiese, bemerken, ganz gemeine Gleichnisse nicht. Aber sie werden immer ungemein durch die Klarheit und Schärfe, mit welcher sie uns die geschilderte Sache vors Auge stellen. Der alte Schneider, dessen Sehkraft schon geschwächt ist, hält, um einzufädeln, die Nadel nach oben, damit er durch das einfallende Licht das Oehr desto besser erkenne, und lugt scharfblickend hin, um es mit dem Faden zu treffen. Eben so lugen die unter dem Damme hinlaufenden Sünder durch die düstere Dämmerung nach oben, um die auf dem Damme fortschreitenden Dichter zu erkennen.
  175. [85] 30. [Brunetto Latini, einer der gelehrtesten Florentiner seiner Zeit, geboren um 1220, wurde gleich den andern Guelfen nach der Schlacht an der Arbia 1260 aus Florenz verbannt und lebte lange in Frankreich. Als er nach Manfred’s von Hohenstaufen Tode wieder zurückkehrte, ward er Guido Cavalcante’s und Dante’s Lehrer. Er starb 1294. Seine moralisch-philosophischen Werke, „il tresoretto“, das Schatzkästlein und „il tresoro“, der Schatzkasten (V. 119), sind matte Compilationen, aber sittlich rein. Auch von Villani wird er als ein wackerer, aber „weltlich“ gesinnter Mann bezeichnet. Wenn Dante’s Pietät gegen ihn auf der einen Seite rührend ist, so ist auf der andern wieder seine unerbittliche Rechtlichkeit darin hervorleuchtend, daß er das Laster nicht verschweigt, dem Brunetto gegen seine Theorie verfallen zu sein scheint und dessen Häufigkeit ein übles Licht auf seine Zeit wirft.]
  176. 37. Wenn hier der Stillstand dadurch bestraft wird, daß die Sodomiter, die im Rennen anhalten, nachher hundert Jahre liegen müssen, wie die Gotteslästerer, und die auf sie fallenden Flammen nicht abwedeln dürfen, so können wir hierin keine moralische Verbindung zwischen Vergeben und Strafe auffinden – denn der Stillstand im Laster muß immer der Rückkehr zur Tugend vorangehen. Vielleicht aber deutet der Dichter auf eine Eigenthümlichkeit des hier bestraften scheußlichen Lasters hin, welches diejenigen, die sich ihm einmal ergeben haben, bis in ihr höchstes Alter festhalten sollen.
  177. 55. Brunetto verkündet aus der Constellation bei des Dichters Geburt ihm Ruhm.
  178. 62. Fiesole liegt auf dem Gebirge. Die Einwohner, welche die Ebene am Arno für sich und ihren Handel bequem fanden, verließen großtentheils ihren Wohnsitz und legten einige Stunden davon Florenz an. Also die Florentiner sind gemeint.
  179. 67. Die Commentatoren erzählen, daß die Florentiner die Stadt Pisa bewahrten, als die Pisaner zur Eroberung der Insel Majorka ausgezogen waren. Diese boten, siegreich zurückgekehrt, den Florentinern, zur Bezeigung ihrer Erkenntlichkeit, von der gemachten Beute ein Geschenk an, und ließen ihnen die Wahl zwischen zweien schön gearbeiteten bronzenen Thüren, die noch den Dom von Pisa schmücken sollen, und zweien Säulen von Porphyr, die durch Feuer verdorben, aber von den Pisanern mit Scharlach bedeckt waren. Die Florentiner wählten, ohne die Decke zu lüften, die letzteren und erhielten davon den Spottnamen die Blinden.
  180. 70. Dante schrieb dies nicht prophezeiend im Vorgefühl künftigen Ruhmes, sondern im Bewußtsein des bereits erworbenen. Wie schlecht er von seinen Landsleuten, und zwar von beiden Parteien derselben, [87] denkt, geht aus dieser, wie aus vielen anderen Stellen des Gedichts hervor. Daß er sich von der einen und andern Partei losgemacht, gibt er im Paradies Ges. 17 V. 68 zu erkennen.
  181. 90. [D. h. Ciacco’s und Farinata’s Prophezeiungen.
  182. 92. Einer der wenigen eigentlich gnomischen Sprüche bei Dante.]
  183. 99. Im Originale ben ascolta chi la nota. Es wird vorausgesetzt, daß Virgil hier seine eigenen Worte im Sinne gehabt: Superanda omnis fortuna ferenda est.
  184. 109. Franz von Accorso, ein berühmter Florentiner Rechtsgelehrter.
  185. 110. Priscian. Man glaubt, daß Dante hier die Lehrer der Jugend, welche zu jener Zeit dem hier bestraften Laster sehr ergeben gewesen sein sollen, im Allgemeinen habe bezeichnen wollen, weil nicht bekannt ist, daß der berühmte Grammatiker Priscian damit befleckt gewesen ist. Dadurch erscheint die Sittenlosigkeit der Zeit nur in so üblerem Lichte.
  186. 112. Andreas Mozzi, Bischof von Florenz, welcher vom Papste nach Vicenza versetzt wurde.
  187. 124. Er lief so schnell wie der beste Wettläufer.
  188. XVI. 1. Dies Brausen kommt von dem Wasserfalle des Phlegethon, [89] welcher sich, wie wir in V. 92 ff. näher erfahren, in den achten Kreis hinabstürzt.
  189. 16–18. Wenn sie nicht, wie der Feuerregen bezeugt, hier als Sodomiter bestraft wären (oder auch, wenn nicht der Feuerregen dich hinderte), so würdest du, weil sie im Leben angesehnere Leute waren, als du, Veranlassung haben, ihnen eilig entgegen zu gehen, und nicht ihr Entgegenkommen zu erwarten. – Daher auch die Aufforderung zur Höflichkeit V. 15.
  190. 22–27. Die Beschreibung, welche in diesen sechs Versen enthalten ist, erscheint beim ersten Blicke vielleicht undeutlich. Aber sie wird immer klarer und plastischer, je näher man sie betrachtet. Kaum dürfte von irgend einem andern Dichter in so wenig Zeilen ein so bewegtes Gemälde aufgestellt worden sein.
    Im fünfzehnten Gesange V. 37 haben wir erfahren, daß keiner von denen, welche durch den Feuerregen laufen, je still stehen darf. Den Dreien, die sich jetzt dem auf dem Damme stehenden Dichter nähern, [90] bleibt also, wenn sie ihn sprechen wollen, nichts weiter übrig, als sich immer vor ihm herum zu bewegen. Die kreisförmige Bewegung bleibt hierbei die natürlichste, weil sie ihm dabei am wenigsten den Rücken zukehren, auch nicht umzuwenden brauchen, wie dies geschehen müßte, wenn sie entlang des Dammes vor ihm auf- und abgingen. Weil aber ihre Füße die kreisförmige Bewegung machen, während ihr Gesicht sich so viel als möglich dem Dichter zukehrt, mit welchem sie sprechen, so muß freilich ihr Hals eine andere Richtung nehmen als der Fuß. Dieses Drehen des Halses und das Verfolgen im Kreise macht sie aber den Kämpfern ähnlich, die vor dem Gefechte ihren Vortheil absehen wollen.
  191. 37–39. Waldrada, eine edle Florentinerin, Tochter des Bellincion Berti, welchen des Dichters Ahn, Cacciaguida, im Paradiese Ges. 15. V. 112 wegen seiner Einfachheit lobt. Ihr Enkel Guidoguerra zeichnete sich durch Tapferkeit in der Schlacht bei Benevent unter den Fahnen Carls von Anjou aus.
  192. 41. Tegghiajo Aldobrandini widerrieth den Guelfen, die Schlacht an der Arbia zu wagen, und sagte ihren unglücklichen Ausgang voraus.
  193. 44. Jacob Rusticucci, ein reicher Florentiner, hatte das Unglück, sich mit einer Xanthippe zu verheirathen, und fiel, als er sich von ihr getrennt hatte, aus Langerweile in das Laster, das hier bestraft wird.
  194. [91] 61. Hindeutung auf den Zweck der Reise. [„Die Galle“ ist die Sünde oder auch speciell die bittre Erinnerung an die politischen Wirren.]
  195. 63. „Mittelpunkt“ der Erde, zugleich tiefste Hölle.
  196. 70. Borsiere, nach Boccaccio ein gewandter und feiner Weltmann. Man wird nicht unbemerkt lassen, wie viele gleichzeitige ausgezeichnete Männer vom Dichter des Lasters beschuldigt werden, das hier bestraft wird.
  197. 73. Biagioli, einer der neueren Commentatoren, nennt es mit Recht einen Meisterzug, der des Dichters Gesinnung lebendiger, als die weitläufigste Beschreibung, ausdrückt, daß er, den Schatten Antwort gebend, sich nicht an sie kehrt, sondern in einen Ausruf ausbricht. In diesem Ausrufe, in dem emporgewandten Gesicht, zeigt sich mit der ansprechendsten Innigkeit das Gefühl des Verbannten, in welchem Liebe für sein Vaterland, Trauer über dessen Zustand und Groll über das ihm widerfahrene Unrecht kämpfen. Nicht minder meisterhaft ist die Art beschrieben, in der die Schatten, sich über jenen Ausruf äußernd, [92] darauf hindeuten, daß die Freimüthigkeit des Dichters nicht ohne üble Folgen für ihn bleiben werde. – Zum Verständniß des Ausrufs ist zu bemerken, daß Florenz zu jener Zeit durch Ansiedelung von Landbewohnern und Fremden an Bevölkerung sehr gewonnen hatte. [aber auch an demokratischen Elementen und unritterlichem Geist.]
  198. 79. D. h. droben würde eine so aufrichtige Antwort schlimmere Folgen haben.
  199. 94–101. Der hier beschriebene Fluß ist der Montone, welcher auf den Apenninen entspringt und nicht wie die andern dortigen Flüsse sich mit dem Po vereinigt, sondern bis zum Meere sein eigenes Bett behält. [Bis Forli hieß er Aquacheta, Stillwasser, von dort erst Montone.]
  200. [93] 102. [Das Benedictinerkloster dort wollte dessen damaliger Besitzer, Rugginri von Davadola mit mehreren Dörfern zu einer befestigten Stadt vereinigen. Auf diesen Plan geht V. 102.]
  201. 103. [Vom 7. zum 8. Kreis. Sinnbildlich: der Strom stürzt tosend von den Gewaltthätigen zu den Betrügern hinab. Dort fließt er still weiter.]
  202. 106. [BN 2]Nach einigen Nachrichten war Dante für den Franziskaner-Orden [d. h. dessen Unterabtheilung, die Tertiarier], bestimmt. Hier erfahren wir, daß er wenigstens als Novize den Strick getragen, mit welchem die Brüder dieses Ordens sich umgürten. Er hatte gehofft, mit diesem Stricke das bunte Pantherthier (die jugendliche Begier, die Wollust) zu zähmen. Vergebens! Jetzt auf das Gebot der Vernunft, macht er sich von dem Stricke los und läßt ihn von derselben in den Abgrund schleudern. Und was taucht aus diesem dafür auf? – das Bild des Betrugs! Anspielung auf die damalige Entartung des Ordens.
  203. 118. Bezieht sich wieder darauf, daß Dante hier die Nichtigkeit aller äußerlichen Heiligkeitsversuche (Orden u. dgl.) durch Virgils tieferen Blick einsehen lernt. S. zu V. 106.]
  204. 133. Die Gestalt bewegte sich wie ein Mann, welcher untergetaucht ist, um einen Anker vom Felsen los zu machen, wenn er wieder in die Höhe schwimmt, wobei er die Schenkel an den Leib zieht, die Hände aber von sich streckt. Das Bild wird jedem klar sein, welcher einen Menschen im Meere hat untertauchen und wieder gerade emporschwimmen sehen.
  205. XVII. 1. Das Bild des Betrugs, welches sich aus der Tiefe des achten Kreises emporschwingt, – eine Andeutung, daß sich der Betrug wohl auch zur Gewalt erhebt, wie die Gewalt zum Betruge hinabsinkt – wird V. 97 Geryon geheißen. In der Mythologie ist Geryon ein dreiköpfiger Riese, erzeugt von Chrysaor, der aus dem Blute der Medusa entsprungen war. Seine Schwester Echidna, die halb Nymphe halb Drache war, scheint mehr dem hier beschriebenen Bilde zu gleichen. Sie gebar mit anderen Ungeheuern auch die Sphinx und die lernäische Schlange. Man wird hierin die Gründe finden, aus welchen der Dichter eben den Geryon zum Bilde des Betrugs ausersah. Die ganze Darstellung des Bildes und seines Anlandens werden wir als höchst plastisch, und die Allegorie in jedem Zuge als sinnreich anerkennen. Namentlich wird man nicht übersehen, daß der Betrug V. 9 seine Waffe, den Schweif, nicht mit ans Land zieht, sondern sie im Freien läßt um auch nicht einen Augenblick in ihrem Gebrauche nach allen Seiten hin behindert zu sein. Die Tatzen sind mit Haaren bedeckt, damit die Kralle verborgen, das Auftreten auch leise und unhörbar sei. Die Knoten und Schnörkel deuten auf die dem Betrug eigenthümlichen Verwickelungen und Winkelzüge.
  206. [95] 6. Das felsige Ufer des Phlegeton.
  207. 22. Die Landsleute werden dem Uebersetzter verzeihen, wenn er die Tedeschi lurchi mit unhöflicher Treue durch deutsche Fresser wiedergibt. Es bedeutet nun einmal nichts Anderes. Auch sind ja die Deutschen damaliger Zeit gemeint, welche bei den Italienern, von denen sie auf den Zügen der Kaiser oft ernährt werden mußten, wegen der außerordentlichen Stärke ihrer Verdauungskraft im übelsten Rufe standen.
  208. 31. Wir sind noch im Kreise der Gewaltthätigen, und zwar im dritten Binnenkreise, wo diejenigen bestraft werden, die Gott Gewalt anthun. Zu diesen gehören, wie wir oben gesehen, die Wucherer, die hier im Feuerregen sitzen. Die Tasche an ihrem Halse deutet auf ihre [96] Geldgier und gibt dem Dichter Gelegenheit, die Wappen anzubringen, welche die Familien, denen die Sünder im Leben angehört, bezeichnen. [Den Leuen führten die Gianfigliazzi, die Gans die Ubriacchi, das Schwein die Scrovigni, lauter hohe florentinische und paduanische Geschlechter und zwar ebenso ghibellinischer wie welfischer Richtung. Im Ganzen liegt darin, daß sie ihre Wappen auf jener Tasche tragen, der beißendste Hohn über den damals unter dem Adel von Florenz etc. überhand nehmenden Krämergeist.] Eine nähere persönliche Bezeichnung einzelner Wucherer ist nicht zu finden, wahrscheinlich weil der Dichter sie, wie die Erbärmlichen im dritten und die Geizigen im siebenten Gesange, als aller Persönlichkeit entbehrend, für zu schlecht hält, einen Namen zu hinterlassen.
  209. [97] 68–75. [Vitalian, ein reicher Paduaner. „Der Ausbund etc.“ Messer Bojamenti de Bicci, ein florentinischer Ritter und verrufener Wucherer, prophetisch hierher verdammt, obwol noch lebend und ebenfalls höhnisch mit seinem Wappen benannt „Drei-Schnabel-“ oder „Drei-Böcke-Tasche“.] Ueber die V. 74 u. 75 beschriebene Geberde bemerkte Biagioli: der gemeine Mann in Italien pflege auf diese Art auszudrücken, daß etwas scheinbar zum Lobe Gesagtes den entgegengesetzten Sinn habe.
  210. 85–87. Der Schluß der obigen Stelle, im Original, läßt eine zwiefache Deutung zu. Wörtlich übersetzt lautet der Anfang: „Wie derjenige ist, welcher das Schauern des Wechselfiebers so nahe hat, daß seine Nägel schon bleich sind, und ganz zittert,“ – dann folgt: pur guardando il rezzo. Diese letzten Worte können bedeuten: Nur den Schatten erblickend – oder auch dennoch den Schatten bewahrend, [98] im Schatten bleibend. Diese letztere Deutung dürfte die bessere sein. Der Fieberkranke fühlt sich bei der Rückkehr des Anfalls verstört, niedergeschlagen und unentschlossen. Er hat nicht einmal den Muth und die Kraft, den kältern Ort, wo er eben ist, mit einem wärmeren zu vertauschen, und bleibt völlig leidend und unthätig. So Dante hier. Er kann nicht zurückbleiben, da sein Führer das Ungeheuer schon bestiegen hat; gleichwohl fürchtet er sich, dies selbst zu besteigen, bis ihn endlich die Furcht vor dem Vorwurfe des Meisters zum Aufsteigen zwingt.
  211. 98. Erinnerung, daß es kein Schatten, sondern ein gewichtiger irdischer Leib sei, welchen Geryon herunterbringen soll. Um ihn sanft abzusetzen, muß er daher nicht gerade aus, sondern im Bogen herunterfliegen.
  212. [100 ff. Die Plastik und Anschaulichkeit in der Ausmalung dieser Abfahrt gehört zu den Meisterstücken aller Poesie und die Uebersetzung der Stelle zu den meisterhaftesten Leistungen von Streckfuß.]
  213. 108. Die Milchstraße soll, nach der Mythe, Phaëtons unglücklichen Weg bezeichnen.
  214. [99] XVIII. 1. Uebelsäcken, im Original: Malebolge. Bolgia heißt ein Felleisen, ein Mantelsack. Diesen Namen gibt Dante den zehn Abtheilungen des achten Kreises, in welchen die verschiedenen Gattungen des Betrugs bestraft werden, wahrscheinlich um deshalb, weil er sie als lange enge Schlünde beschreibt, und in dieser Gestalt Aehnlichkeit mit einem Mantelsack, folglich wohl auch mit einem gewöhnlichen Sacke findet. Da die Benennung Malebolge im Italienischen einen bestimmten [100] Begriff erweckt, so hat der Uebersetzer geglaubt, sie durch ein Wort wiedergeben zu müssen, welches einen ähnlichen Begriff ausdrückt. Ganz dasselbe Bild gibt es allerdings nicht wieder, weil ein Sack nicht, wie ein liegendes Felleisen, der Länge nach oben geöffnet ist. Indessen ist kein passenderes und zugleich deutliches Bild, welches auch schicklich einen Ortsnamen abgeben könnte, zu finden gewesen. Das Bild des Ortes selbst, wie es zum achtzehnten Verse gezeichnet ist, wird hoffentlich bei aufmerksamer Betrachtung deutlich genug hervortreten und jede Erläuterung unnöthig machen, [vgl. noch V. 69, 70, 100–103].
  215. 19. Die Dichter gehen immer zur linken Seite in den Höllentrichter hinab. Wenn sie daher im Kreise vorwärts gehen, haben sie zur linken Hand den oberen bereits durchreisten Theil der Hölle, zur rechter den tiefern, ihnen noch unbekannten Kreis. So hier, indem sie auf dem Felsendamm hingehen, der die erste Abtheilung des achten Kreises nach oben zu begrenzt. Man wird, wenn man auch auf diese für die Tiefen des Gedichts sehr wenig bedeutenden Nebensachen Achtung gibt, bemerken, daß der Dichter sie mit einer bewunderungswürdigen Genauigkeit und Consequenz behandelt hat.
  216. 25. In dieser ersten Abtheilung werden diejenigen bestraft, welche [101] den Betrug gegen das weibliche Geschlecht verübten, die Kuppler und die Verführer. Beide sind getrennt, so daß sie in zwei Reihen in entgegengesetzter Richtung neben einander hinlaufen. Dies wird versinnlicht durch das Bild der in Rom bei der Feier des Jubeljahres 1300 errichteten Brücke, die der Länge nach in der Mitte getheilt ist, so daß auf der einen Seite diejenigen gehen, die gegen das Castell St. Angelo hin nach Sanct Peter hinwallen, auf der andern die, welche von dort zurückkommen und den Mons Janiculus vor sich sehen. In diesem Entgegenkommen der Kuppler und Verführer wird man ein Bild ihres gegenseitigen Verhältnisses erkennen.
  217. 50. Venedigo von Bologna, der, durch Geld gewonnen, seine schöne Schwester Ghisole, verheirathet mit Nicolo degli Alighieri, überredete, sich dem Markgrafen Obiz von Este hinzugeben. – Die Stimme des lebenden Dante ist hell und schön, die der Schatten dumpf.
  218. [60. Wörtlich: „als zwischen Savena und Reno Zungen sind, die Sipa sagen.“ Bologna liegt zwischen diesen beiden Flüssen und sipa war eine bekannte Formel des bologneser Dialekts, so viel als „ja“. Dante hat sich entweder während seiner Studienzeit oder später in Bologna aufgehalten und kannte die dortige Geldgier. Auf sein scharfes Urtheil war aber vielleicht auch noch von Einfluß, daß in Bologna um jene Zeit die Ghibellinen unterlegen waren.]
  219. 74. Siehe oben die allgemeine Beschreibung des achten Kreises V. 14–18.
  220. 75. Indem die Dichter auf dem Damme fortgehen, sehen sie nur den einen der beiden in entgegengesetzter Richtung fortlaufenden Schaaren ins Gesicht, die andern erblicken sie nur von hinten. Jetzt, indem sie auf der Felsbrücke stehen, die über den Strafort führt, können sie, je nachdem sie sich rechts oder links wenden, die eine oder andere Gattung von vorn sehen.
  221. [103] 82. Die jetzt den Dichtern Entgegenkommenden sind die Verführer.
    Mit den Argonauten kam Jason nach Lemnos. Kurz vor ihrer Ankunft hatte Venus aus Zorn gegen die Lemnierinnen den Männern eine bittere Abneigung gegen die dortigen Frauen eingeflößt, dergestalt, daß sie an deren Statt sich mit thracischen Sclavinnen verbanden. Die Frauen ermordeten dafür in einer Nacht die Männer im Schlafe. Nur Hypsipyle rettete, die anderen Frauen täuschend, ihrem Vater, dem Könige Thoas, das Leben. In Lemnos angekommen, ersetzten die Argonauten zwei Jahre lang die Stelle der Getödteten. Die junge Hypsipyle ward dem Jason selbst zum Theil. Aber der Zweck der Reise rief ihn weiter und zerriß die Verbindung. In Kolchis erwarb er sich die Liebe der Königstochter Medea und erbeutete mit ihrer Hilfe das goldene Vließ. Aber auch dieser wurde er untreu, um sich mit der Tochter Kronos zu vermählen.
  222. 99. Wenn der Uebersetzer die Schatten zerfleischen läßt, so wird man ihm wohl verzeihen, wenn man später liest, daß ein Teufel einem Schatten mit dem Haken ein Stück Fleisch aus dem Arme reißt, der Dichter selbst aber einem andern die Haare ausrauft.
  223. 103. Zweite Abtheilung des achten Kreises, in welcher die Schmeichler bestraft werden. Wie verächtlich dem Dichter dieses Schandgezücht sein mußte, wird man wohl aus seiner ganzen Art und Weise erkennen. Er versenkt sie in Menschenkoth, in welchem sie gegen sich selbst wüthen, da sie sehen, zu welchem Ziele sie die Süßigkeit ihrer Worte geführt hat.
  224. 122. Alex Interminei, ein Edelmann von Lucca, als großer Schmeichler bekannt.
  225. [105] 133. Thais, die Buhlerin aus den Eunuchen des Terenz, als Repräsentantin der ganzen Gattung buhlerisch sich einschmeichelnder Dirnen.
  226. XIX. 1. Simon Magus (Apostelgeschichte Kap. 8, V. 9 ff.) Von ihm hat das Verbrechen der Simonie, das in dieser dritten Abtheilung bestraft wird, seinen Namen erhalten. Man versteht darunter die Ertheilung und Erwerbung geistlicher Aemter für Geld. Diejenigen, welche dieses Verbrechens sich schuldig machen, finden wir, mit den Köpfen unten, eingerammt in engen Löchern, aus welchen noch die Beine bis an die Waden vorragen. Die Fußsohlen stehen in Flammen, die darauf hin und her gleiten. Für die Päpste, die dieses Verbrechens sich schuldig gemacht, ist ein besonderes Loch, und derjenige, der darin steckt, empfindet heftigern Schmerz als die anderen, da er wegen der heiligern Pflicht, welche die höchste Würde ihm auflegte, auch die schärfere Strafe für deren Verletzung verdient. Immer nur Einer steckt in diesem Loche, so lange bis ein anderer Papst wegen desselben Verbrechens zur Hölle fährt (V. 73–78). Der Vorgänger sinkt dann tiefer hinab, ohne daß wir erfahren, worin dann seine Strafe besteht. Aber sie muß wohl noch schwerer sein, weil die schwereren Verbrecher in tieferen Kreisen bestraft werden. Wer geistliche Aemter, zu welchen nur die Gaben des heiligen Geistes befähigen, für Geld ertheilt und erwirkt, kehrt die Ordnung der Kirche um, auf welcher ihre ganze segensreiche Einwirkung auf das Leben der Christen beruht. Das Obere unten, eingepfählt im engen Loche, jeder freien Bewegung beraubt, fühlt er in den Flammen der Füße, daß ihm das Licht des Evangeliums das er mit Füßen getreten, jetzt zum brennenden Gerichtsfeuer wird. – Der einzig hohen Würde des Papstes gebührt für die Verletzung der Pflicht ein einziges Loch und beim unaufhörlichen Fortwirken des Verbrechens ein immer tieferes Versinken, eine immer schwerere geheimnißvolle Strafe. – [Man denke übrigens bei diesem Gesang an das früher über Dante’s Stellung zum Papstthum Gesagte und staune über seinen Muth, besonders in der berühmten Stelle V. 52. 90 ff.!]
  227. 16. [In der älteren Zeit wurden die Taufen nur an gewissen Festen und noch durch Untertauchen vollzogen. Es gab daher ein Gedränge des Volks, daß die Priester fast erdrückt wurden von den Zuströmenden. Dem abzuhelfen müssen im Baptisterium St. Johann zu Florenz in die dicken Umfassungsmauern des großen Wasserbeckens cylindrische Löcher gehölt worden sein, worein die Priester stiegen. Nach Benvenuto da Imola fiel einst ein spielender Knabe in ein solches hinein und verwickelte sich so, daß er beinahe erstickte. Viel Volk kam auf sein Geschrei herbei aber niemand wußte Hilfe, bis Dante, damals Prior der Stadt, herbeieilte und mit einer Axt die Marmorwand zerschlug. Dies scheint man ihm als Verletzung des Heiligen ausgelegt zu haben, wogegen er hier sich zu verwahren Gelegenheit nimmt.]
  228. [107] [40. Ueber die Brücke wo sie in V. 8 Stand genommen zur vierten Thalwand, durch welche die 3. Bulge gegen innen begrenzt wird.]
  229. 43. Mit den Füßen weinen ist ungewöhnlich, wie Vieles in diesem Dichter, aber scharf bezeichnend. Nur die Füße ließen sich sehen, und gaben schmerzliches Zucken den Schmerz des Sünders zu erkennen.
  230. 49. Zu Dante’s Zeit wurden die Meuchelmörder, mit dem Kopfe unten, in ein Loch gesteckt, und in dieser Stellung lebendig begraben.
  231. 52. Der Schatten, der hier spricht, ist Papst Nikolaus der Dritte. Da er, mit dem Kopfe im Loche, hört, daß sich Jemand neben ihm befinde, den Erschienenen aber nicht sehen kann, so glaubt er, es sei Bonifaz der Achte, welcher komme, ihn abzulösen. Da der Dichter seine Reise in die Hölle im Jahre 1300 gemacht zu haben versichert, in welchem Bonifaz noch lebte, so mußte allerdings Nicolaus, der nach Ges. 10. V. 100 ff. gleich den andern Verdammten die Zukunft voraussehen konnte, über die unvermuthete Ankunft des Nachfolgers im Loche sehr erstaunt sein. – [Es ist eine ebenso poetisch fein angebrachte, als kecke Weise, wodurch Dante hier seinem verhaßten Zeitgenossen, dem Feind der Weißen in Florenz, dem Verräther der Stadt an Karl von Valois, auch sonst einem um das Heil der Kirche nicht [108] sehr verdienten Papst, hier öffentlich den Platz in der Hölle anweist, nachdem er 1303 gestorben war. – Nikolaus des III. Regierung, 1277 bis 1280, an sich weniger verwerflich, war nach V. 70 ff. besonders durch Simonie befleckt. Die Bären bezeichnen seine Familie, die Orsini, für die er allzusehr sorgte. – Nach V. 73 steckten schon einige, noch ärgere, Simonisten-Päpste unter ihm, welche aber Dante nicht nennt. Genug, daß es mehrere sind!]
  232. 58. Die schöne Frau ist die Kirche.
  233. 59–60. Man denke, daß eine hohe Person, der wir, nach ihrer äußern Stellung, die höchste Ehrfurcht schuldig sind, uns für einen Andern hält, und in diesem Mißverständniß uns von sich selbst und von einer andern gleich hohen Person das Schändlichste erzählt habe, und stelle sich vor, wie wir uns benehmen würden – und man wird diese Stelle trefflich finden.
  234. [109] 82. [BN 3][Noch kühner, als die vorangehende, ist diese Stelle, wenn man bedenke, daß der Gemeinte, Clemens V., 1305-1314, ohne Zweifel damals noch lebte!] Der unmittelbare Nachfolger Bonifaz des Achten war der friedliebende Benedict XI., der jedoch nur kurze Zeit regierte. Ihm folgte Clemens, ein Franzose, der durch den Einfluß Philipps des Schönen von Frankreich zum päpstlichen Stuhle gelangte und seinen Sitz nach Avignon verlegte. – [Die schmachvollste Erniedrigungsepoche des Papstthums, unter Frankreichs Knechtschaft, 1309 bis 1377. Avignonenser Exil. Wie der Dichter über dies Ereigniß dachte, hat er nicht nur hier, sondern weit stärker im Fegefeuer Ges. 32 V. 114 ff. ausgesprochen.
  235. 85. Jason bot dem König Antiochus große Summen, um hoher Priester zu werden, und um die Erlaubniß zur Anlegung von Spielhäusern zu erlangen, und gewöhnte, als er diesen Zweck erreicht hatte, seine Leute zur Sitte der Heiden. Maccab. V. 2 Kap. 4 V. 7–10.
  236. 88. Der Dichter hat sich durch die Bekenntnisse des Sünders von seiner Verlegenheit erholt (V. 58 ff.) und Muth gefaßt, dem heiligen Vater in der Hölle die Wahrheit zu sagen. Doch ist er, indem er es erzählt, noch zweifelhaft darüber, ob er nicht in seiner Freimüthigkeit zu weit gegangen. Wie wahr und naturgemäß!
  237. 94. An die Stelle des Judas wurde einer von zwei dazu für geeignet gefundenen Männern, Matthias, durch das Loos zum Apostel-Amte gewählt. Apostelgesch. Kap. 1 V. 21–26.
  238. 99. Nikolaus, stolz auf seine Reichthümer, verlangte, daß Karl der Erste, König von Sicilien, einen seiner Verwandten mit einer Dame aus dem Hause Orsini vermählen sollte, und befeindete den König, da dieser eine solche Verbindung verschmähete.
  239. 106. Vgl. das 17. Kapitel der Apokalypse. Vielleicht deutet der Dichter auf die sieben Sacramente und zehn Gebote, welche der Kirche Kraft geben, so lange ihr Oberhaupt tugendhaft ist.
  240. 115. Der Dichter nimmt an, daß Kaiser Constantin die weltliche Macht des Papstes begründet habe, durch seine Schenkung, welche aber unhistorisch ist.
  241. [111] 131. Obwohl man nach dem Emporsteigen auf steilen Felsenwegen hätte glauben sollen, daß Virgil die schwere Last schnell und daher unsanft niedersetzen würde, setzte er sie doch langsam und daher sanft auf den Boden. Den katholischen Christen mag es allerdings schwer sein, nach der Betrachtung der Laster der Päpste sich wieder zum Glauben an die Vortrefflichkeit des Papstthums, als nothwendiger kirchlicher Anstalt, zu überzeugen. Aber die Vernunft lehrt Person und Sache unterscheiden, und trägt ihn aus der Tiefe, in welcher ihm die Verwerflichkeit der Person klar wurde, sanft und unverletzt empor zum höheren Standpuncte, von welchem aus die Sache zu betrachten ist.
  242. XX. 1. Die Dichter sehen von der Felsenbrücke hinab in die vierte Abtheilung des achten Kreises, in welchem Zauberer und Wahrsager bestraft werden. Die Sünder gehen in diesem Kreise mit zum Rücken gekehrten Gesichtern. Wie sie daher auch gehen mögen, sie gehen rückwärts und das Vorwärtsschauen ist ihnen entrissen und vernichtet (tolto V. 15). Wir dürfen in dieser Strafe die weise Lehre erkennen: Das Vordringen in die Zukunft ist naturwidriger Frevel. Ihr, die ihr euch dessen schuldig macht, sollt statt vor- immer rückwärts gehen und nicht sehen, was in der natürlichen Richtung vor euern Füßen liegt
  243. 10. Der Dichter hat erst, geradeaus blickend, den Strafort von der Brücke aus überschaut und nur einen Zug von Büßern gesehen. Jetzt [112] senkt er die erst vorwärts gerichteten Augen, d. h. er blickt vom Brückenende mehr gerade unter sich, und nun erkennt er die wunderliche Verrenkung.
  244. 19–24. Das hier folgende Bild ist von vielen gemein gefunden worden, als wenn der plastische Künstler nicht auch die Theile der Menschengestalt darstellen müßte, welche man in den Salons der feinen Welt am Theetische nicht nennen darf! Wir finden das Bild ungemein, da es die Sache mit höchster Klarheit vor die Augen stellt, und uns zu ernster Betrachtung auffordert.
  245. 28. Im Original: qui vive la pietà quand’ è ben moria – ein Wortspiel, das im Deutschen nicht wiederzugeben ist, da wir kein Wort haben, welches zugleich Mitleid und Frömmigkeit bedeutet. Die Lehre, welche die Vernunft hier gibt, ist unbestreitbar richtig. Aber der Dichter zeigt, daß es dem Herzen schwer wird, sie aufzufassen und zu befolgen. – Wir müssen erkennen, daß die innere oder äußere Strafe, welche dem Verbrechen folgt, Wirkung der ersten Liebe des Schöpfers ist (Ges. 3 V. 6). Aber wir werden nicht umhin können, Mitleid zu fühlen, wenn wir den Verbrecher, unser Ebenbild, der Strafe anheimgefallen sehen.
  246. 31. Amphiaraus, einer der sieben Anführer im Kriege gegen [113] Theben, weigerte sich lange, an diesem Kriege Theil zu nehmen, weil er, in die Zukunft blickend, seinen Untergang dabei voraussah. Ihn verschlang während der Schlacht die Erde.
  247. 40. Tiresias, ein thebanischer Wahrsager, ward, indem er zwei Schlangen mit seinem Stabe schlug, in ein Weib, und auf dieselbe Weise sieben Jahre später wieder in einen Mann verwandelt.
  248. 47. Aruns, ein toscanischer Wahrsager, der in der Gegend von Carrara wohnte.
  249. 55. Manto, eine Tocher des Tiresias, ebenfalls eine Wahrsagerin, floh, nach dem Tode ihres Vaters, als Theben unter Kreons Herrschaft gekommen war, durch manche Länder nach Italien, und gründete dort Mantua.
  250. 63. Benaco, der heutige Garda-See.
  251. 68. Drei verschiedene Hirten, die Bischöfe von Trient, von Brescia und von Verona, deren Sprengel dort zusammenstoßen. Wer sich übrigens von der hier beschriebenen Gegend näher unterrichten will, möge eine Specialkarte in die Hand nehmen. Eine prosaische Erläuterung der Stelle dürfte schwerlich deutlicher werden, als die so sehr klare Beschreibung im Texte.
  252. [115] 95. Pinamonte de’ Buonacossi überredete den Grafen Albrecht Cassalodi, Herrn von Mantua, daß er, um das aufgebrachte Volk zu beruhigen, die mächtigsten und tapfersten seiner Anhänger aus der Stadt verbannen müsse. Als der Graf diesem Rathe gefolgt war, bemächtigte sich Pinamonte mit Hülfe des Volkes selbst der Herrschaft und tödtete und verbannte alle diejenigen, von welchen er Gefahr befürchtete.
  253. 106. Eurypylus, welcher, als die Griechen gen Troja zogen, ihnen die rechte Zeit zur Abfahrt kund that.
  254. 112. Mein tragisch Lied, im Original: l’alta mia tragedia – die Aeneis, in welcher B. 2 V. 114 von Eurypylus die Rede ist, so benannt nach Dante’s Theorie vom tragischen, komischen und elegischen Stile.
  255. 115 – 120. Michael Scotto, ein spanischer oder schottischer [116] Wahrsager – Bonatti, ein Astrolog, der seine Weisheit in einer Schrift niedergelegt hat – Asdente, ein mystischer Schuster aus Parma.
  256. 124. Der Mond, der gestern Abend voll war, geht eben an der Gränze der östlichen und westlichen Hemisphäre unter. Also kommt der Morgen des zweiten Tages der Reise.
  257. 128. Ehe Dante die Sonne der Wahrheit scheinen sah, war er im Walde, Gs. 1. [Der Mond ist Repräsentant der verdunkelten Vernunft, die je dennoch uns oft noch vom Aergsten zurückhält.]
  258. XXI. 1. Wir sehen von der Felsenbrücke hinab in die fünfte Abtheilung des achten Kreises. In dieser werden diejenigen bestraft, welche betrügerisch ein Staatsamt mißbrauchen, um sich zu bereichern. Sie sind in einem Teiche voll siedenden Peches versenkt, in welchem sie von Zeit zu Zeit aufzutauchen versuchen, um sich etwas abzukühlen. Aber Teufel sind angestellt, um zu wachen, daß dies nicht geschehe. Wenn sich einer über die Oberfläche des Pechs vorwagt, wird er zurückgestoßen, oder wenn er es zu weit treibt, angehakt und herausgezogen, um geschunden zu werden, und dann ins Pech zurückgeworfen, um noch größere Qual zu empfinden.
    Auch hier werden wir ohne Mühe das Verhältniß zwischen Verbrechen und Strafe erkennen. Wer einmal ein Staatsamt mißbraucht, ist für immer besudelt mit Pech, das brennend an seiner Haut klebt [117] und durch kein Mittel wieder wegzubringen ist. Und das erste Verbrechen dieser Art, die innere und äußere Würde des Sünders zerstörend und ihm die Fähigkeit des Widerstandes gegen ähnliche Versuchung raubend, führt unfehlbar zu den folgenden, bis endlich der Gauner ganz im Pechpfuhle versinkt. – Unter den Teufeln, welche zugleich als Werkzeuge der Strafe und als Bestrafte erscheinen, mögen wir uns Vorgesetzte denken, welche erst den Verbrechen ihrer Untergebenen nachsehen, um selbst an dem Gewinne Theil zu nehmen, die nun aber, wenn einmal der Sünder ganz im Pechpfuhle versunken ist, das höchste Interesse dabei haben, daß er nicht wieder auftauche – die ihn daher immer wieder zurückstoßen mit ihren Haken, und wenn er zu weit über die Oberfläche sich erhebt, ihn herausziehen, um ihn zu schinden. Wir werden, wenn wir diesem Gedanken folgen, finden, daß die Teufelshetze im folgenden Gesange noch etwas mehr, als ein poetisches Spiel ist.
    Daß zu Zeiten bürgerlicher Unordnung die Classe der öffentlichen Beamten schlecht werde, ist unvermeidlich, und sie muß wohl zu Dante’s Zeiten sehr schlecht gewesen sein, da er ihr zwei volle Gesänge widmet. In Zeiten der Ruhe schleichen sich in die Staatsverwaltung die Mißbräuche ein, und drehen sich still in Schlangenwindungen weiter. In Zeiten der Unordnung brechen sie bewaffnet hervor, und verheeren ohne Scheu, was ihnen vorkommt.
  259. 37. Die Verwaltung von Lucca mag hiernach zu jener Zeit vorzüglich im Rufe der Bestechlichkeit gestanden haben. Der Spott wird im Original dadurch noch schärfer, daß die Stadt nicht genannt, sondern nur mit dem Namen ihrer heiligen Schutzpatronin, der S. Zitta bezeichnet wird.
  260. 38. Grimmetatzen, im Original Malebranche. Da dieser Name und die Namen der Teufel gewisse Begriffe bezeichnen, so sind sie durch deutsche, so gut es ging, ersetzt worden.
  261. 41. Bontur, offenbar der ärgste unter den Gaunern von Lucca.
  262. 48. Wahrscheinlich eine Andeutung, daß die Schlechtesten eben die Eifrigsten in der äußern Frömmigkeit sind.
  263. 49. Serchio, ein Fluß, der nicht weit von den Mauern der Stadt fließt.
  264. [119] 58. ff. Virgil räth dem Dante, sich nicht eher zu zeigen, bis er sich gegen die Teufel, so wie V. 79 ff. geschieht, legitimirt, und ihnen dadurch Respect eingeflößt habe, weil sie sonst sogleich wüthend über ihn herfallen würden.
  265. 63. Erinnerung an die frühere Reise Virgils durch die Hölle. Vgl. Ges. 9. V. 22 ff. Ges. 23, 124 Anm.
  266. 85. Der erste Eindruck, welchen Virgil mit seiner Eröffnung hervorbringt, ist ungefähr derselbe, welchen ein im Rufe unbestechlicher Strenge stehender hochfürstlicher Untersuchungs-Commissarius durch Vorzeigung seiner Vollmacht auf irgend eine bepichte Behörde zu machen pflegt. Aber wir sehen, daß der erste Schrecken bald vorüber ist, und die Hoffnung auflebt, sich des Bevollmächtigten durch Gewalt oder List wieder zu entledigen.
  267. 95. Caprona, ein Schloß der Pisaner, welches diesen von den Luchesen unter Beistand der toscanischen Guelfen abgenommen worden war. Die Pisaner belagerten nachher das Schloß und zwangen die Besatzung zur Uebergabe, versprachen ihr aber Schonung des Lebens. Indessen konnten die wüthenden Belagerer nur mit Mühe abgehalten werden die wehrlosen Luchesen zu ermorden, sobald diese die Festung verlassen hatten.
  268. 106. [Maaßgebende Stelle für die Zeitbestimmung der Höllenwanderung Dante’s.] Christus starb im vierunddreißigsten Jahre, also war es, da Dante seine Reise ins Jahr 1300 verlegt, 1266 Jahre, seit das Erdbeben bei Christi Tode die Brücke zertrümmerte. (Vgl. Ges. 12 V. 34 ff.) Uebrigens betrügt der Teufel, wie wir in [121] der Folge sehen werden, die Dichter, indem er versichert, nur die Fortsetzung dieser Felsenbrücke, auf welcher sie sich eben befanden, sei eingestürzt, und sie würden, wenn sie auf dem Damme entlang des Schlundes fortgingen, weiterhin eine andere finden. Aber alle Brücken über die sechste Abtheilung sind, wie wir weiterhin Ges. 23 V. 136 erfahren, eingestürzt. Welchen Zweck diese Lüge habe, ist nicht zu erkennen. Höchstens kann die Absicht dahinter verborgen sein, die Dichter eine lange Zeit vergeblich nach der Brücke suchen und sie einen Theil des Kreises umgehen zu lassen. Aber eben deshalb ist der Zug charakteristisch. Denn wer einmal in Lügen verstrickt ist, lügt auch dann, wenn er ohne Schaden die Wahrheit sagen konnte und von den Lügen keinen weitern Vortheil hat, als Befriedigung seiner schlechten Neigung, oder höchstens einen sehr kurzen Aufschub umvermeidlicher Entdeckung.
  269. 120. Die originellen Teufelsnamen sind so gut es geht übertragen. Möglich, daß der Dichter, indem er eben zehn Teufel auswählt und den Sträubebart (Barbariccia) zu ihrem Führer macht, irgend eine aus so viel Personen bestehende hohe Rathsversammlung seiner Zeit im Sinne gehabt und sie durch diese Zahl und die Aehnlichkeit des Anführers mit ihrem Präsidenten bezeichnet habe.
  270. XXII. [Mag man in der folgenden sog. „Teufelshetze“ eine besondere, mehr oder weniger sinnreiche Beziehung auf das zu bestrafende Laster der Bestechlichkeit finden oder nicht – s. Anm. zu Ges. 21, 1 Schluß, S. 117: so viel muß auch der Vereher des Dichters gestehen, daß sie unter diejenigen Stellen der Hölle gehört, in denen Dante über das Maaß der reinen Schönheit hinausgegangen ist.]
  271. [4. Wahrscheinlich auf einen Kriegszug der Florentiner gegen Arezzo 1228 zu beziehen.]
  272. [123] 19–30. Die Delphine verkündigen durch ihr Erscheinen auf der Oberfläche des Meeres den nahenden Sturm. Man wird übrigens nicht übersehen, wie trefflich der Dichter durch die beiden Gleichnisse das, was er darstellen will, anschaulich macht.
  273. [38. Seit ihrer Auswahl – die in Ges. 21, V. 118 ff erzählt ist.]
  274. 48. Der hier sprechende Verdammte soll Giampolo heißen, welcher [124] seine Verhältnisse in den nächsten Versen selbst hinreichend kund thut. Die Ausleger wissen nichts Näheres über ihn anzugeben. [Unter dem König ist wohl Thibaut II. von Navarra gemeint.]
  275. 65. [Lateiner = Italiener. Darunter begreift Dante mittelbar gleich nachher auch einen Sardinier: V. 67 „einer jenes Land’s“, eigentlich „ein Nachbar jenes Land’s.“]
  276. 73. Der Hauptmann Sträubebart kann keine Ordnung unter seinen Schaaren erhalten. Dies Schicksal theilen alle Hauptleute, welche, selbst Teufel, über Teufel zu befehlen haben.
  277. [125] 81. Sardinien, welches damals unter der Botmäßigkeit der Pisaner stand, war in vier Bezirke eingetheilt: Logodoro, Callari, Gallura und Alborea. Den Bezirk Gallura verwaltete Nino von Visconti, dessen Gunst der Mönch Gomita sich im hohen Grade erwarb. Er trieb damit allen Mißbrauch, welchen Günstlinge kleiner und großer Herren oft zu treiben pflegen, verkaufte Aemter, verzehrte öffentliche Gelder und setzte die gefangenen Feinde seines Gebieters, weil sie ihm Geld gaben, in Freiheit, bis er von Nino aufgeknüpft wurde.
  278. 88. [Michael Zanche, ohne Zweifel Seneschall Enzio’s, Sohnes Friedrichs II., bewog nach dessen Gefangennahme durch die Bolognesen seine Frau Adelasia, weil sie Erbin von Gallura in Sardinien war, ihm ihre Hand zu geben. Dies betrachtet Dante als eine Erschleichung.]
  279. 97-151. Wir sehen im Folgenden, wie der Sünder seine Aufseher und Wächter betrügt, um aus ihren Krallen wieder ins Pech zurückzukommen. Der eine Teufel, der den Sünder scheinbar in Schutz nimmt, der andere, der, obwohl er vorher der Strengste schien, doch nun zuerst auf den Vorschlag, ihm einige Freiheit zu lassen, eingeht; [126] der Gönner, der, als der Sünder nun wirklich ins Pech springt, ihm wüthend nachsetzt, ihn aber nicht mehr einholt, – derjenige endlich, welcher, über dies Entkommen aufgebracht, den Collegen, der es verschuldet, anpackt und sich mit ihm herumbalgt, bis beide selbst in den Pechpfuhl zu den untergeordneten Sündern herabfallen und sogar durch die Hilfe des Vorstehers und der Gefährten nicht gerettet werden können, – alles dies sind im Einzelnen treffend gezeichnete Figuren.
  280. [116. 117. Die Teufel wollen Versteckens mit dem Sünder spielen und gehen deshalb hinter den Damm gegen die 6. Bulge hin zurück, wo er sie, der auf der andern Seite, am Rand der 5. Bulge steht, nicht sehen kann.]
  281. [127] [150. Das erkaltete Pech hatte eine Rinde über sie gebildet.]
  282. [XXIII. Nach dem Tumult des vorangehenden Gesanges führt uns der wunderschöne Ges. 23 – in poetisch fein empfundenem Contrast – durch lautlose Räume, beim schweigenden Jammerzug der Heuchler uns zu tiefstem Mitleid sanft bewegend.]
  283. 6. [Der Frosch, erzählt Aesop, band in böswilliger Absicht den Fuß der befreundeten Maus an den seinigen, um sie mit sich ins [127] Wasser zu ziehen und zu ersäufen. Dies gelang ihm auch. Als aber der geschwollene Körper der Maus auf der Wasserfläche von dem Raubvogel bemerkt und weggeholt wurde, da zog dieser auch den Frosch am Faden mit unter dem Wasser hervor und verschlang ihn. – Frosch und Maus sind die beiden Teufel, die V. 136 ff. im vorigen Gesang einander verderben wollen und beide dem Pechpfuhl zum Opfer fallen.]
  284. [129] 43. Man erinnere sich, daß die Dichter, weil hier keine Brücke über die sechste Abtheilung führt, auf dem Damme hingingen, um nach der Versicherung des Teufels weiterhin die Brücke zu finden Ges. 21 106. An dem Abhang dieses Dammes, welcher die fünfte und sechste Abtheilung trennt, und in die Tiefe der letztern, gleitet also Virgil, seinen Schützling mit den Armen umschließend, hinab. Hier sind sie sicher, weil die Teufel außerhalb des ihnen angewiesenen Wirkungskreises keine Handlung der Amtsgewalt ausüben, ja sich nicht zeigen dürfen.
  285. 58. Die Erscheinung der Heuchler wird uns nicht lange über das Verhältniß ihrer Strafe zu ihrem Zustande im Leben in Zweifel lassen. Die bemalten Leute, ihre Mäntel, die von außen wie Gold glänzen und blenden, aber von innen Blei sind und den Träger selbst unerträglich drücken, ihm jeden freien, raschen Schritt verwehren – die Kapuzen, die ihr wahres Angesicht verhüllen, alles dies wird sich von selbst erklären.
  286. [63. Andre Lesart „in Köln“. Warum Dante das Eine oder das Andere gewählt, ist nicht nachweisbar.]
  287. 66. Kaiser Friedrich der Zweite soll diejenigen, die des Verbrechens der beleidigten Majestät schuldig waren, mit Mänteln von Blei bekleiden und sie in einem großen Gefäße übers Feuer haben setzen lassen, damit das geschmolzene Blei ihren Körper gänzlich verzehre – [ohne Zweifel ein böswillig ersonnenes Märchen.]
  288. 68. [„Links“ s. Ges. 18, 19. Anm.
  289. 69. „Mit ihnen“ d. h. in gleicher Richtung.
  290. 88. Die Schatten athmen nicht.]
  291. [131] 101. 102. Die Wage, die dies Gewicht trägt, sind die Sünder selbst, die unter der Last stöhnen, wie wohl eine Wage knarrt, wenn eine große Last auf ihr gewogen wird.
  292. 103. Von Urban dem Vierten war ein Ritterorden unter dem Namen des Ordens der heiligen Maria gestiftet worden, dessen Mitglieder gegen die Ungläubigen kämpfen sollten. Aber statt dies zu thun, blieben sie zu Hause und lebten in Lust und Freude, daher sie mit dem Spitznamen Lustbrüder (Frati godenti) belegt wurden. Die beiden, von welchen hier die Rede ist, wurden, – nach Manfreds Niederlage bei Benevent 1266 – von den Florentinern berufen, um gemeinschaftlich das Amt des Podesta zu verwalten, das sonst nur in der Hand eines Mannes war. [Ungeachtet man sie eben als unparteiische Männer berufen und der eine der guelfischen, der andere der ghibellinischen Richtung angehörte, damit sie sich gegenseitig das Gleichgewicht hielten, so verkauften sie sich beide, „trotz ihrer geheuchelten Unparteilichkeit“, doch den Guelfen und halfen ihnen zur Vertreibung der Ghibellinen. Die Häuser der Uberti, die am Gardingo, einer Straße von Florenz, standen, wurden bei dieser Gelegenheit zerstört.]
  293. 109. [– „ist wohlverdient“ mag man etwa ergänzen oder etwas Aehnliches.]
  294. 116. 121. Kaiphas und Hannas.
  295. 124. Virgil staunt, weil er bei seiner ersten Höllenwanderung (vor Christo) natürlich den Kaiphas noch nicht unten gefunden hatte.
  296. [136. S. Ges. 12, 36 ff. 45. – Das dortige „anderwärts“ bezieht sich auf diese Stelle. – Sinnig zeigen sich also die Spuren des Erdbebens an Jesu Todestag hier und bei den Gewaltthätigen. Denn an jenem Tage vollbrachte Gewaltthat das, was Heuchelei angesponnen hatte. Notter.]
  297. 137. Die Trümmer der eingestürzten Brücke bilden einen Abhang, auf welchem zwar nicht die Heuchler selbst mit ihren schweren Bleikutten (Ges. 24 V. 31), wohl aber Leute, die von der Vernunft geleitet unterstützt werden, den Weg aus den Tiefen der Heuchelei wieder herausfinden.
  298. 140 ff. Vergl. Anmerk. zu Ges. 21 V. 106. Ob übrigens Bruder Catalan die V. 142 – 144 vorgetragene Wahrheit, Joh. 8. 44, auf der Universität von Bologna gehört habe, oder ob die Moralität der [133] Bologneser, die Ges. 18 V. 58 und 59 eben nicht vortheilhaft geschildert ist, damit näher habe bezeichnet werden sollen, muß dahingestellt bleiben.
  299. XXIV. 1. Die Sonne tritt im letzten Drittheil des Januar in das Zeichen des Wassermannes, in welchem sie während der ersten zwei Drittheile des Februar bleibt. Die Zeit, von welcher hier die Rede, ist also die in der Mitte des Februar, in welcher die Nacht, wenn man die Abend- und Morgendämmerung abrechnet, etwa zwölf Stunden lang dauert und die eigentliche Tag- und Nachtgleiche bald bevorsteht. Um diese Zeit hat die Sonne in Italien schon eine solche Kraft gewonnen, daß Schnee zu den Seltenheiten gehört. Der Bauer darf daher erstaunt sein, wenn er am Morgen die Flur rings herum weiß sieht. Aber der Reif, mit welchem sie bedeckt ist, weicht bald der aufgehenden Sonne.
    Auf die Schönheit des Gleichnisses in sich selbst brauchen wir kaum aufmerksam zu machen. Auch wird man wohl erkennen, wie es die beschriebene Situation anschaulich macht. Dante, gewohnt, den Meister immer ruhig und wohlwollend zu sehen, sah ihn, am Ende des vorigen Gesanges, erzürnt über den Betrug des Teufels, und war daher, der weiteren Lehren des Meisters bedürfend, betreten, wie der Bauer, der, des Futters für seine Heerde bedürfend, im Frühlinge die Felder weiß sieht. Aber Virgils Zürnen dauert nicht länger, als der Reif im Frühlinge, und bald wird durch wiederkehrende Heiterkeit die Besorgniß des Dichters gehoben.
  300. 21. Im Anfang, als er Dante erschien, Ges. 1. 2.
  301. 22 ff. Vgl. Anm. zu V. 137 des vorigen Gesanges.
  302. [37. S. zu Ges. 18, 1. Der innere Abhang jeder Bulge ist niedriger als der äußere. Daher V. 40.]
  303. [135] [49. ff. Dante meint hier nicht eitlen Ruhm, sondern denjenigen, der im Streben nach dem Höchsten besteht.]
  304. 55. Hindeutung auf das beschwerliche Emporsteigen, das ihm auf dem Berg der Reinigung bevorsteht – und darauf, daß es mit größerer Schwierigkeit verbunden ist, die gewohnte Sünde abzulegen, als sie als solche zu erkennen. – [Die ganze Stelle ist Vorbild zu Fegef. 6. 46 ff.]
  305. 58. Die Ermahnung Virgils hat gewirkt. Immer noch fühlt sich der Dichter ermattet, aber er will stark sein, und so zeigt er sich stärker, als er sich wirklich fühlt.
  306. 61. Die Dichter sind V. 42 wieder auf den Felsendamm getreten, wo jenseits der Brücke über die siebente Abtheilung führt, die Fortsetzung der über der sechsten Abtheilung eingestürzten.
  307. 72. Da der Dichter von der Höhe des Brückenbogens die Tiefe nicht erkennt, so bittet er, daß Virgil mit ihm zu dem Damme, welcher die siebente und achte Abtheilung trennt, herabsteigen möge. Daß sie nicht ganz in die Tiefe hinabklimmen, sondern sich nur ihr mehr nähern, ersehen wir aus der Folge.
  308. 80. Also zur siebenten Abtheilung. Hier sehen wir die Diebe, theils als Schlangen, theils als Menschen gestaltet, gegenseitig aber sich durch Berührung verwandelnd, und den Einen in die Gestalt des Andern übergehend, sich zu ungewohnter Form verbindend, sich gegenseitig fesselnd, vernichtend und hassend. Indem wir in diesem und dem folgenden Gesange die außerordentliche Klarheit eines der seltsamsten Phantasiespiele bewundern, finden wir bei näherer Erwägung, daß dieses Spiel kein leeres sei, sondern den Charakter des hier bestraften Lasters und derer, die ihm ergeben sind, auf eine höchst scharfsinnige Weise darstelle. Denn es ist bekannt, wie die zu gemeinsamen Missethaten sich verbindenden Diebe gegenseitig auf sich einwirken, sich ihre Sprache, ihre Listen und Kunstgriffe mittheilen[WS 9], ihre Eigenthümlichkeiten austauschen und in einander verschmelzen, und bei der engsten Verbindung, die das Verbrechen erheischt, sich verachten, hassen und, wenn es Noth thut, gegenseitig aufopfern. Die listigen heimlichen Schlangenwindungen der Diebe, ihr plötzliches Verschwinden, ihr unerwartetes Wiedererscheinen, ihre Angst bei der Gefahr der Entdeckung, kurz Alles, was dieses schändliche Handwerk mit sich bringt, wird man in den folgenden Bildern auf höchst eigenthümliche und scharfsinnige Art dargestellt finden. Daß die Verdammten gegenseitig als Werkzeuge ihrer Strafe dienen, ist nicht minder aus dem Leben gegriffen.
  309. [137] [88. Hier scheint Dante die drei nordafrikanischen Wüsten im Auge gehabt zu haben, die libysche, die äthiopische und die arabische am rothen Meer.]
  310. [93. Wörtlich: daß sie Schlupfwinkel oder Heliotrop finden. Der Heliotrop, ein dunkelgrüner Stein, galt für einen unsichtbar machenden Talisman, gleich der Tarnkappe.]
  311. [111. Nach Ovid Metam. XV. 392, wo es heißt, daß der Phönix sich nur von den Ausschwitz-Tropfen („Thränen“) der Weihrauchstaude und dem Saft des Ingwer nähre und sich von den Aehren der Narde und von den Myrrhen ein Nest bereite, dann sich darauf lege und in Düften verende – um bald neu wieder aufzuleben.]
  312. 125. Fuccio de’ Lazeri, ein Pistojenser von übel berufenem Charakter, wüthendster Parteigänger der Schwarzen. Dante wundert sich, ihm hier unter den Dieben zu finden, da er ihn doch nach dem Rufe, in welchem er gestanden, eher unter den Gewaltthätigen zu finden erwartet hätte. Aber Fuccio hatte die Kirchengefäße aus dem Dom von Pistoja gestohlen und sie bei seinem Freunde Vanni della Mona versteckt. Als der Verdacht des Diebstahls auf ihn fiel und er verhaftet wurde, bat er den Podesta, im Hause des Vanni nachsuchen zu lassen. Hier fand man die Gefäße, und Vanni wurde gehenkt.
  313. [139] [143 ff. Dem diabolischen Fucci gereicht es zur Freude dem „Weißen“, ghibellinischen Dante die Niederlage seiner Partei vorauszusagen. Der Leser weiß, daß dieselbe schon geschehen war. Im Jahr 1301, ungefähr gleichzeitig mit dem Sieg der Weißen in Florenz, wurden auch in Pistoja die Schwarzen vertrieben. Aber als ein Halbjahr später Valois in Florenz einzog (s. zu Ges. 1, 1,) und damit auch Lucca in die Hände der Schwarzen gefallen war zogen die Lucccheser unter Malaspina gegen Pistoja und siegten auf dem Picener Feld. Jener Malaspina hieß von seinen Besitzungen im Thal der Magra „der Nebel-Mars aus dem Magra-Thal.“ Daher V. 145.]
  314. 144. [d. h. ebenfalls ganz zu den Schwarzen sich wenden.]
  315. XXV. 2. Far le fiche, den Daumen zwischen dem Mittelfinger und Zeigerfinger bei geballter Faust vorstrecken. Die Geberde zeigt in Italien höhnende Verachtung und herausfordernden Trotz an.
  316. 4. Dante hat sich seitdem mit den Schlangen um deswegen befreundet, weil er gesehen, wie sofort eine die Verruchtheit des Gotteslästerers bestraft hat.
  317. 14. Kapaneus. S. Ges. 14. V. 51 ff.
  318. 25. Als Herkules mit den Rindern des Geryon zum aventinischen Berge gekommen war, entschlummerte er. Während er schlief, zog Kakus, ein berüchtigter Räuber, die Rinder, eins nach dem andern, bei den Schwänzen in seine Höhle, um durch die rückwärts gewandten Fußtapfen die Verfolger zu täuschen. Aber das Gebrüll der Ochsen verrieth den Dieb, der unter der Keule des Herkules erlag. Als Räuber sollte er unter den Gewaltthätigen sein. Als listiger heimlicher Dieb ist er im tiefern Kreise.
  319. 32. Weil er vor den ersten zehn Streichen wahrscheinlich todt war. Das fortgesetzte Schlagen des Herkules auf den Leichnam ist ein gelegentlich angebrachtes lebendiges Bild herkulischer Wuth.
  320. [141] 43. Cianfa, aus der edlen Familie der Donati. Es ist nicht entschieden, ob er das Eigenthum der Bürger oder das des Staats gestohlen habe. Von den Andern, die sich in der Folge dieses Gesanges verwandeln, von Agnello Bruneleschi, Buoso Donati und Puccio Galigai, ist nichts weiter bekannt, als daß sie florentinische Bürger und zwar zum Theil aus edlen Geschlechtern waren.
  321. 49 – 78. Das Bild, das in den angegebenen Versen gezeichnet ist, wird durch die Anmerkung zum vorigen Gesange V. 80 erläutert. Zwei Diebe verbinden sich hier so fest, daß sie zu einer Gestalt werden, die mit keiner von beiden Aehnlichkeit hat, und von welcher man nicht weiß, ob es Zwei sind, oder Einer.
  322. [50. Nemlich Cianfa in Gestalt einer sechsfüßigen Schlange.]
  323. 79. Nachdem eine Schlange, einst ein Dieb, einen andern Dieb, der in menschlicher Gestalt gekommen, am Nabel verletzt hat und dann vor ihn hingefallen ist, dringt aus dem Maule der Schlange und aus der Wunde des Gebissenen Rauch, und indem sie sich ansehen, vertauschen Glied um Glied der Mensch und die Schlange ihre Gestalten. Der Mann wird zur Schlange, die Schlange zur Mannesgestalt, V. 103–141. [Diese gräßliche Schilderung gehört zu denjenigen, in welchen – mit Goethe zu reden – Dante’s „abscheuliche Großheit“ heraustritt. Aber bewundernswerth bleibt immerhin die unerhörte Lebenskraft der Erfindung wie der Darstellung eines solchen Vorgangs in den untersten Höllenräumen.]
  324. 94. In den Pharsalien des Lucan werden Sabell und Nasid, Soldaten Cato’s, beim Zuge durch Libyens Wüsten von Schlangen gestochen. [143] Der Erstere löst sich nach dem Schlangenbisse ganz in Asche auf – der Andere schwillt so an, daß sein Harnisch platzt und von menschlicher Gestalt nichts mehr zu erkennen ist.
  325. [124. Die zum Menschen gewordene Schlange.]
  326. [130. Der zur Schlange werdende Mensch.]
  327. 151. Franz Guercio Cavalcante wurde an einem Orte, Namens Gaville, ermordet, sein Tod jedoch von seiner Familie durch den Tod vieler Einwohner des Orts gerächt. [Dieser und Buoso sind es also, welche eben die Gestalten getauscht haben, indem der Eine schon vorher in Schlangengestalt in der Hölle gedacht ist, der Andre solche jetzt erst empfängt und jenem wieder die Menschennatur wird. Cianfa und Bruneleschi ferner waren es, welche in 52 ff. mit einander verschmelzen. Der Fünfte allein, Puccio Galigai bleibt unverändert.]
  328. XXVI. 1. Fünf Diebe aus Florenz, meist den edlen Geschlechtern [145] angehörig, hat Dante in der Hölle gefunden, und schämt sich der Verdorbenheit seiner Vaterstadt, über welche der äußere Glanz derselben ihn nicht trösten kann. –
  329. 7. Da Dante voraussetzt, er schreibe im Jahre 1300, so prophezeit er hier Unglücksfälle, welche zur Zeit, da er schrieb, sich wirklich bereits zugetragen hatten, z. B. eine von den Schwarzen angelegte Feuersbrunst, welche gegen 1700 Häuser verzehrte – und hauptsächlich[WS 11] wohl das mannigfache Unglück, welches die Parteiung über die Stadt verbreitete. Selbst die Nachbarn, namentlich die Bewohner des Kastells Prato, wünschen der Stadt wegen ihrer Sittenlosigkeit und Gewaltthätigkeit dies Unglück und freuen sich darüber.
  330. 10. Dies Unglück ist allerdings verdient, und käme daher, wenn es jetzt einträte, nicht zu zeitig. Aber die Liebe des Dichters für die Vaterstadt, die er so streng tadelt, spricht sich in den folgenden beiden Versen aus. Dies Unglück wird ihn selbst tief beugen, um so mehr, wenn höheres Alter seine Kraft geschwächt hat. Darum wünscht er, daß das Unvermeidliche lieber bald eintreten möge, da er es im kräftigen Alter leichter ertragen würde.
  331. 13. Vgl. Ges. 24. V. 72. Die Dichter waren von der Felsenzacke, welche die Brücke über die verschiedenen Vertiefungen bildet, auf den Damm herabgestiegen. Jetzt steigt Virgil, den Dante unterstützend, wieder auf diese Zacke hinauf, um auf ihr, die auch ferner die Brücke bildet, zu der achten Abtheilung zu gelangen.
  332. [20 ff. „Zu festerm Widerstand“ gegen die Versuchungen zum Mißbrauch der, auch ihm verliehenen, hohen Geisteskraft, wie solchen Versuchungen die Sünder unterlegen waren, welche er als „böse Rathgeber“ in der nächsten Bulge sieht.]
  333. 25–30. [Das getreu ausgeführte Gemälde eines Abends im mittleren Italien, wenn um die Zeit der Sommersonnenwende nicht einzelne, nein tausende von Leuchtwürmchen über dem Boden schweben, aber auch statt der Tagesfliege die stechende Schnacke (Zanzara) schwärmt, welche jeder Reisende zu seiner Qual kennen lernt.]
  334. 34. Elisa, nachdem er die Himmelfahrt des Elias angesehen, ging gen Bethel, und als mehre kleine Knaben ihn verspotteten, fluchte er ihnen, im Namen des Herrn, worauf Bären aus dem Walde kamen, welche die Spötter zerrissen. 1. B. d. Könige K. 3. V. 23. 24.
  335. 43. Der Dichter steht etwas vorwärts gebogen am Brückenrande, unter sich die Tiefe, sich an einem Felsenblocke anhaltend.
  336. [147] 49. In dieser achten Abtheilung des achten Kreises finden wir die betrügerischen Rathgeber. Ihre Strafe ist, daß sie, mit einer Flamme bekleidet und unaufhörlich ihre Glut fühlend, einhergehen müssen. [Sie sprechen als feurige, knisternde Zungen, V. 85. ff. Ges. 27, 13–18. Hierin scheint der treffende Vergleichspunkt für Schuld und Strafe bei diesen Sünden zu liegen, deren Zunge, nach des Apostels Ausdruck Jac. 3, 5, im Leben „ein Feuer war, das ganze Wälder entzündete!“]
  337. 54. Eteokles und sein Bruder Polynices, sich um Theben befehdend, tödteten sich im Zweikampfe. Als man den Körper des letzteren auf den Scheiterhaufen warf, dessen Flammen jenen verzehrten, theilte sich die Glut, um nicht vereint diejenigen aufzulösen, die sich im Leben feindselig geschieden hatten.
  338. 58. Auf den Rathschluß des Ulyß wurde ein großes Roß von Holz erbaut, welches die Griechen, sich scheinbar von Troja zurückziehend, im Lager zurückließen. Nur Sinon war dabei geblieben und machte die Trojaner glauben, er suche bei ihnen Schutz vor der Verfolgung seiner Landsleute. Nach seiner Versicherung war dieses Roß gebaut worden, um die Minerva zu versöhnen, welche den Griechen über das von ihnen aus Troja entwendete Palladium zürnte. Dies Palladium, ein Bildsäule der Göttin, an welcher das Schicksal Troja’s hing, war von Ulyß und Diomed aus der Stadt entführt worden. – Die Trojaner, dem Truge Sinons trauend, führten das Roß jubelnd zur Stadt und rissen, da das Thor nicht geräumig genug war, es einzulassen, einen Theil der Mauer nieder. Aber in der Nacht entstiegen dem Bauche desselben die darin verborgenen griechischen Helden und eroberten mit ihren indessen zurückgekommenen Waffengefährten die Stadt. (S. Aeneis 2. B.) – [Jedoch sollten aus diesem Thor dann Aeneas und seine Schaar entkommen, welche später Rom, die ärgste Feindin Griechenlands, gründeten. Daher klagen sie auch „um das (geöffnete) Thor, das Ausgang Jenen bot.“]
  339. 62. Deidamia, Tochter des Lykomedes, Königs von Skyros. Zu diesem brachte Thetis ihren Sohn Achilles in Mädchenkleidern, um ihn der Gefahr zu entziehen, welche ihm nach den Orakeln von Troja drohete. Aber Ulyß entdeckte ihn, als Achill nicht, wie die andern Mädchen, nach weiblichem Schmucke, sondern nach den ihm dargebotenen Waffen griff, und überredete ihn, seine Geliebte Deidamia zu verlassen und am Zuge gegen Troja Theil zu nehmen.
  340. [74. Bezieht sich entweder darauf, daß Dante so viel von der Römer, aber nie von der Griechen Thaten singt – oder darauf, daß Dante des Griechischen nicht mächtig war.]
  341. [149] 91. Circe, die Zauberin, verwandelte die Gefährten des Ulyß in Schweine, ihn selbst aber, der durch ein Heilkraut des Hermes geschützt war, gewann sie lieb, und hielt ihn ein Jahr lang auf ihrer Insel fest.
  342. 92. Gaëta soll seinen Namen von Cajeta, der Amme des Aeneas, erhalten haben.
  343. 94. Wir kennen aus der Odysee den Vater des Ulyß, Laërtes, die keusche, fleißige Gattin Penelope und den Sohn Telemach. Die hier folgende Erzählung stimmt nicht mit Homers Gedicht überein, welcher den Helden nach langer Irrfahrt ins Vaterland und zu den Seinen zurückführt.
  344. 107. Die Meerenge von Gibraltar.
  345. 117. Dante setzt voraus, daß die ganze westliche Halbkugel vom Meere bedeckt sei und nur der Berg herausrage, an welchem er den Ulyß V. 113 ff. scheitern läßt und unter welchem er ohne Zweifel den [150] Berg des Fegefeuers versteht, welchen wir im zweiten Theile kennen lernen. Ob der Dichter die Odyssee nicht kannte, oder ob er sie kannte, und dennoch die folgende Erzählung erfand, um uns vorläufig dem Berge des Fegefeuers (V. 133) bekannt zu machen, muß unentschieden bleiben.
    Längst schon vor Columbus war die Idee, daß sich auf der westlichen Halbkugel ein großes Land befinden müsse, erwacht, da schon im eilften Jahrhundert scandinavische Schiffer von Island aus einen Theil des nördlichen Amerika befahren hatten. Wir können kaum zweifeln, daß die Kunde davon, wenigstens als dumpfes Gerücht, auch nach Italien gekommen sei, da während der thatenreichen Regierung der Hohenstaufen sich mannigfache Verhältnisse zwischen dem Norden und Süden gebildet hatten. Vielleicht hat der Dichter die Absicht gehabt, vor Unternehmungen zu warnen, welche bei der lebendigen Aufregung der Zeitgenossen, bei ihrer Geneigtheit zu kühnen Plänen und bei den Fortschritten der Italiener in der Schiffahrt gar wohl in der Regierung eines der Seestaaten entstehen konnten und vielleicht bereits entstanden waren. [Oder er will damit (– vgl. V. 21 ff. u. Anm.) eben überhaupt sagen, daß der Geistesdrang, wenn er gegen die von Gott gesetzten Schranken anstoße, verderblich sei.]
  346. 124. Das Steuer des Schiffs ist am Hintertheil. Die Fahrt ging daher nach Westen, dann linker Hand, also nach Süden.
  347. 127. jenes Poles, des Südpols.
  348. [151] XXVII. 3. Wie Virgil dem Ulyß erlaubt hat, davon zu gehen, erfahren wir V. 21.
  349. 7–20. [Der Herausgeber maßt sich nicht an, diese besonders schwierige Stelle befriedigend wiedergegeben zu haben, hofft aber doch, daß bei möglichster Treue eine gewisse Verständlichkeit erreicht sei. – Zum Einzelnen ist zu bemerken, daß nach der Sage Perill von Athen dem Tyrannen Phalaris von Sizilien einen ehernen Stier fertigte, welcher, wenn ein Mensch darin schrie, während er glühend gemacht wurde, ein Gebrüll, ähnlich demjenigen eines lebenden Stiers, hervorbrachte. Phalaris aber hieß allererst – den Erfinder selbst hineinwerfen. Mit diesem durch einen Menschen hervorgerufenen Geräusch des Stiers vergleicht Dante das durch die innewohnenden Sünder hervorgebrachte Getön der wandelnden Flammen der achten Bulge, ehe dasselbe zur wirklichen Sprache wird. – Die Schilderung dieses letzteren Hergangs, V. 16–19, womit V. 58–61 zu vergleichen, ist jedenfalls außerordentlich fein gedacht. Die Zunge des in der Flamme Sprechenden erregt von unten herauf Schallwellen, welche, ehe sie sich durch die Flammenspitze Bahn gebrochen haben, nur ein Flackern und Knistern hervorbringen; dann aber, der Flammenspitze ihre eigene Schwingung mittheilend, brechen sie endlich in articulirten Tönen hervor.]
  350. 19. Die Rede ist an Virgil gerichtet und bezieht sich auf die nach V. 3 dem Ulyß ertheilte Erlaubniß, sich zu entfernen.
  351. 39. Krieg war dort immer, wenigstens im Herzen der kleinen, sich gegenseitig feindseligen Tyrannen, wenn auch, als Dante die Oberwelt verließ, also im Frühlinge des Jahres 1300, keine Fehde wirklich ausgebrochen war. – [Die Romagna ist das Land um Bologna, mit Bologna, Ferrara, Ravenna, Rimini, Forli, Faënza etc. als Hauptorten. Sein Zustand war damals ganz besonders verworren, nicht nur durch die ewigen Fehden der in jeder Stadt herrschenden Adelsgeschlechter, sondern noch besonders dadurch, daß Kaiser Rudolf die kaiserlichen Rechte [153] über den Landstrich auf den päpstlichen Stuhl übertragen hatte, wie denn derselbe dem Kirchenstaat bis in die neueste Zeit angehörte. – Im Folgenden Einzelheiten aus der romagnatischen Geschichte, erzählt von dem Haupthelden der Romagna selbst, Guido von Montefeltro, über den näher V. 67 ff.]
  352. 40. Guido von Polenta herrschte in Ravenna und erstreckte seine Herrschaft bis nach Cervia, einer kleinen, zwölf Miglien weit von Ravenna entlegenen Stadt. Das Wappen der Polenta war ein Adler.
  353. 43. [Forli, auf Befehl Martin’s IV. von einem, meist französischen Heere angegriffen, wurde von Guido von Montefeltro, dem Schatten, welcher eben zu Dante spricht, vertheidigt und durch eine Kriegslist gehalten. – Herren von Forli waren die Ordelaffi, die den grünen Löwen führten.]
  354. 46. Die beiden Malatesta, Sohn und Vater, Tyrannen[WS 12] von Rimini, benannt von Verruchio, einem in der Nähe dieser Stadt gelegenen Schlosse. Montagna, ein Edler von Rimini, war von ihnen grausam ermordet worden. [Sie waren, der eine der Vater, der andre der Bruder des Johann Malatesta, Gemahls – und des Paolo Malatesta, Geliebten der unglücklichen Franziska. Ges. 5.]
  355. 49. Faënza, wo der Fluß Lamone, und Imola, wo der Santerno fließt, wurden beherrscht vom Machinardo, welcher der Teufel benannt war. Sein Wappen war ein blauer Löwe im weißen Felde. Er trat bald von der Partei der Guelfen zu der der Ghibellinen, bald von dieser zu jener über.
  356. 52. Cesena am Savio, wo bald ein Einzelner herrschte und bald das Volk die Oberherrschaft gewann.
  357. [67. Guido, Graf von Montefeltro, durch Tapferkeit wie durch List gleich berühmt V. 75, zeigte erstmals sein Feldherrntalent als Führer der Ghibellinen in den Kämpfen von 1272–81, wo er Sieg um Sieg errang: sodann an der Spitze der Pisaner gegen Florenz mit Genua und Lucca. – Von Martin mit dem Bann belegt, von Cölestin V. wieder gelöst, von Bonifaz VIII. sehr geehrt und in Wiederbesitz aller seiner noch eingezogenen Güter gesetzt, trat er plötzlich, der Welt und seines Ruhmes müde, zu Ancona in den Franziskanerorden, um sich einer – wie Dante auch in seinem „Gastmahl“ anerkennt – offenbar sehr ernst gemeinten Buße zu unterziehen. Nun fiel aber eben in jene Zeit, 1296–1298, des Papstes Kreuzzug gegen die römische Adelsfamilie der Colonna’s. Nachdem er ihnen Nepi genommen, wollte der nimmersatte Kirchenfürst auch ihren letzten Zufluchtsort Preneste, das jetzige Palästrina bei Rom, an sich bringen; und um diesen Hochmuth (V. 97) durchzusetzen, ließ er Guido im Kloster um einen Rath bitten. Guido konnte nicht widerstehen, das V. 106 ff. Erzählte anzugeben, was Bonifaz getreulich ausführte. Dante aber versetzt um dieses üblen Rathes willen den kühnen Kämpen, der um 1298 dann im Kloster gestorben sein soll, hieher in die Hölle.]
  358. 70. Bonifaz der Achte.
  359. [155] 85. Wie den Papst selbst, verabscheut der Dichter seine Kardinäle und Prälaten. – Bonifaz kämpfte nicht gegen die Sarazenen, von welchen die Christen wieder aus dem heiligen Lande vertrieben wurden, nicht gegen diejenigen, welche ihnen beistanden und ihnen alle Bedürfnisse zuführten, sondern gegen die edle römische Familie Colonna.
  360. 94. Constantin bat den heiligen Sylvester, ihn vom Aussatze zu befreien, und dieser bewirkte die Heilung, indem er den Kaiser taufte.
  361. 105. Ueber Papst Cölestin vgl. Anm. zu Ges. 3. V. 59. 60.
  362. 110. Bonifaz ließ, auf Guido’s Rath, den Colonna völlige Verzeihung und Wiedereinsetzung in alle ihre Güter und Würden anbieten, wenn sie ihm Preneste übergeben würden. Kaum aber war die Uebergabe erfolgt, als er die Stadt von Grund aus zerstören ließ. – Die Vorwürfe, welche in dem großen Streite zwischen den Kaisern und Päpsten den letzteren gemacht worden waren, sind hier in Hinsicht eines Hauptgegenstandes derselben mit solcher Klarheit und Schärfe ausgesprochen, daß wir den Dichter als einen der ersten und kräftigsten Protestanten anerkennen müssen. Und wer vermag zu bestimmen, wie weit hin ein solches Wort gewirkt – wie es zu den späteren Ansichten über den Ablaßkram beigetragen, und welchen Einfluß es auf die Ereignisse gehabt habe, die in den nächsten Jahrhunderten sich zutrugen. [S. die Vorbemerkung S. 6 ober u. zu Ges. 11. V. 8. (Anastasius).]
  363. 124. Vgl. den Anfang des fünften Gesanges. – [Der Zug, daß er sich in den Schweif beißt, ist neu und könnte nur darauf deuten, daß Minos in gewissem Sinn zugleich das eigene Gewissen der Sünder repräsentirt.]
  364. [157] XXVIII. 7–18. Diese Verse enthalten Hindeutungen auf blutige Schlachten, die in den Samniterkriegen unter Decius Mus bei Maleventum, in den Kriegen zwischen den Römern und Karthaginiensern, zwischen den Normannen und Sarazenen und Griechen, und zwischen Manfred und Karl von Anjou vorfielen. Im Einzelnen bemerken wir nur bei V. 11, daß nach der Schlacht bei Cannä Hannibal mehr als drei Scheffel Ringe, welche erlegten römischen Rittern abgezogen worden, nach Karthago geschickt haben soll – und bei V. 16, daß bei Ceperano eine Schaar Puglieser (Apulier) von Manfred zu Karl von Anjou überging [während Dante aber irrthümlich dort eine Schlacht annimmt, welche vielmehr bei Benevent erfolgte] – endlich bei V. 18, daß die Schlacht von Tagliacozzo, in welcher Karl von Anjou von Konradin bereits fast völlig geschlagen war, durch Erard (oder Alard) von Valery, welcher mit einer kleinen, aber noch unversehrten französischen Schaar den unvorsichtig verfolgenden [158] Kriegern Konradins in den Rücken fiel, noch von den Franzosen gewonnen wurde. [Mit Recht spricht also der Dichter von „Apuliens Schicksalsau’n“ = schicksalsreichem Boden, da die fünf erwähnten Schlachten alle theils auf dem Boden theils um den Besitz Apuliens gestritten wurden.]
  365. 21. In dieser neunten Abtheilung finden wir diejenigen, die durch Betrug Zwietracht aussäen. Indem sie im Kreise umherziehen, werden sie von einem Teufel mit Säbelhieben zerfetzt. Allein die Wunden schließen sich, ehe sie wieder zu dem Standpunkte desselben zurückkommen, um von Neuem zerfetzt zu werden. Die Beziehung der Strafe auf das Verbrechen, durch welches frevelhaft der Theil von seinem Ganzen losgerissen und ihm verfeindet wird, spricht sich von selbst aus.
  366. [25 ff. Diese Schilderung zeigt den Anatomen. Während die offene Brusthöhle „das Geschling“ erblicken läßt, worunter Herz, Lunge etc. gemeint sein müssen, hängen abwärts die entfesselten Eingeweide heraus.]
  367. 31. Wir sehen zuerst diejenigen, welche Trennung in Religionsangelegenheiten stiften – allerdings die gefährlichsten unter allen Verbrechern dieser Art, wie wir erfahren haben.
    [Der Chalif Ali, (656–661), ein sonst reiner Charakter, ist dennoch hier, weil er zu der Spaltung der Muhamedaner selbst in Aliden und Schiiten Anlaß gab. Daher trägt er blos einen Theil gespalten und zwar denjenigen, den Muhamed noch ganz hat!]
  368. [159] 56. [Dolcino von Novara, ein Sektirer des 14. Jahrh., im Kampf gegen das verweltlichte Papstthum und für das staufische Kaiserthum mit Dante sich berührend, wird dennoch als zweiter Führer der Sekte der „Apostelbrüder“, welche von Gerhard von Parma ins Leben gerufen war – somit als Zwietrachtstifter in der Kirche hierher verdammt. Man kann hieraus Dante’s Stellung erkennen, dessen starkes Reformations-Verlangen noch streng auf dem Boden der bestehenden Kirche sich hält. – Der verfolgte Dolcin verschanzte sich zuletzt mit etwa 1000 Mann auf dem Berge Sebello, wo er, vom Bischof von Vercelli eingeschlossen und durch Hunger zur Uebergabe gezwungen, einen schrecklichen Märtyrertod erlitt, 1307. Darauf gehen die Verse 57–60.]
  369. 73. Die Lombardei, von Vercelli in Piemont bis zum Ausfluß des Po, an welchem ehedem das Schloß Marcabò lag.
  370. 75. Peter von Medicina, so genannt vom Orte seiner Geburt, im Gebiete von Bologna, stiftete Zwietracht zwischen den Bürgern der Stadt, dann auch zwischen dem Grafen Guido von Polenta und Malatestino von Rimini.
  371. 76. Malatestino, Herr von Rimini, auf einem Auge blind, lud die zwei vornehmsten Bürger von Fano, den Guido del Cassero und Angiolello von Carignano, ein, mit ihm in Cattolica zu speisen und Sachen von Wichtigkeit zu berathen. Er schickte ihnen Barken, um sie dahin zu bringen. Allein die Schiffsleute warfen sie auf seinen Befehl im Angesichte von Cattolica ins Meer. – [Dante läßt hier wieder prophezeien, was sich schon ereignet hatte.]
  372. 90. Focara, ein Berg nahe bei Cattolica, von welchem oft gefährliche Stürme den Schiffern entgegenwehen. [Der Sinn ist: er läßt sie treuloser Weise ertränken, so daß sie vor den Stürmen von Focara für immer keine Angst mehr zu haben brauchen!]
  373. [161] 97. Curio, von Rom verbannt, reizte Cäsarn, den Uebergang über den Rubikon zu wagen, und wurde dadurch die erste Veranlassung zu den folgenden Bürgerkriegen. Ihm ist die Zunge abgeschnitten, mit welcher er den bösen Rath gab.
  374. 106. Mosca degli Uberti beging an dem Buondelmonte, [einem florentinischen Edlen, der seine Braut aus vornehmem florentinischen Haus aufgegeben, jenen Mord, welcher die erste Veranlassung zu den weitgreifenden, zuletzt die Guelfen und Ghibellinen umfassenden Parteiungen in Florenz und Toscana überhaupt, gab.] Auch dieser ist durch den Verlust des Gliedes bestraft, durch welches das Verbrechen begangen wurde.
  375. 134. Beltram oder Bertrand von Bornio, Visconte von Hautefort [Autafort in Uhlands herrlicher Ballade wodurch der kampfbereite Troubadour unter uns bekannt geworden] wird beschuldigt, zwischen Heinrich dem Zweiten von England und seinen Söhnen Zwietracht ausgesäet und die letzten zur Empörung gegen den Vater angereizt zu haben. Wir überlassen es den Geschichtsforschern, zu entscheiden, ob Dante den ältesten Sohn, Heinrich, der schon im Alter von 15 Jahren bei Lebzeiten des Vaters gekrönt und deshalb der junge König (il re giovane) genannt wurde, oder den jüngsten gemeint habe, der Johann hieß, und zur Herrschaft über Irland bestimmt, König Johann (il re Giovanni) benannt werden konnte. – Beltram soll die Glieder der Familie gegen das Haupt derselben, den Vater, aufgewiegelt haben, [163] und trägt nun zur Strafe sein eignes Haupt vom Rumpfe getrennt. Es dient ihm in der Hölle als Leuchte, wie es ihm dazu auf Erden hätte dienen sollen, um ihm die Folgen seines Verbrechens zu zeigen.
  376. XXIX. 8. Hier bezeichnet der Dichter zuerst mit bestimmten Worten den Umfang des Höllentrichters, und läßt uns dadurch, daß er V. 86 des folgenden Gesanges den nächsten Kreis nur als halb so groß angiebt, auf das Verhältniß schließen, in welches seine Phantasie die verschiedenen Kreise in Hinsicht ihrer Größe zu einander stellt. Hierauf sich begründend, hat man den Umfang jedes Kreises sehr genau berechnet, womit wir aber unsere Leser nicht behelligen wollen. Wir würden durch Mittheilung einer solchen Berechnung die Phantasie des Lesers mehr verwirren als aufklären, da es kein Mittel giebt, den Raum, welchen die Dichter durchreisen, mit der Zeit, binnen welcher die Reise durch die Hölle vollbracht wird, in Uebereinstimmung zu bringen. Uebrigens ist diese Berechnung für den dichterischen Zweck völlig gleichgültig
  377. 10. Da der Mond voll war, als die Dichter ihre Reise begannen, so befindet sich, wenn der Mond unter ihren Füßen steht, die Sonne über ihren Häuptern; es ist daher jetzt auf der östlichen Hemisphäre Mittag.
  378. 27. Geri del Bello, ein Verwandter des Dichters, als Stifter von Zwietracht berüchtigt, war von einem Sachetti ermordet worden.
  379. 31. Der Dichter zeigt sich hier als echten Italiener, da er sich nicht von der Ueberzeugung trennen kann, der Schatten habe Ursache sich zu beschweren, daß Keiner seines Geschlechts seinen Mord durch blutige Selbsthülfe gerächt habe. Dreißig Jahre später soll, nach Landino, wirklich noch ein Verwandter des Geri, dieser von der italienischen Sittenlehre aufgelegten Pflicht gemäß, einen Sacchetti an der Thür seines Hauses ermordet haben.
  380. 37. Die Dichter überschauen nun von der Felsenbrücke die zehnte und letzte Abtheilung des achten Kreises, in welcher Fälscher aller Art an ekelhaften und gefährlichen Krankheiten darniederliegen. Auch diese Bezeichnung des Lasters durch die Strafe ist eine sehr allgemeine, denn jedes Laster ist eine moralische Krankheit, und ebenso gut würden die Sünder in den andern Kreisen mit derselben Strafe belegt werden können. Ob bei den besonderen Arten von Fälschung, welche wir im Folgenden mit besonderen Krankheiten bestraft sehen, ein genaueres Verhältniß zwischen Strafe und Verbrechen zu erkennen ist, wird sich weiter unten ergeben.
  381. 41. Ob der Dichter diese letzte Abtheilung hier nur zufällig eine Klause, einen Klosterbann nennt, weil die Verdammten überhaupt hier und in anderen Kreisen in ihren Strafort für immer gebannt sind, oder ob er aus besonderen Gründen den Strafort für die Fälscher so bezeichnet, weil er vielleicht voraussetzt, daß das klösterliche Leben meist zu einer fortgesetzten Fälschung Veranlassung gebe, möge unentschieden bleiben
  382. [165] 48. Valdichiana, eine sehr ungesunde Gegend bei Arezzo. Außer Sardinien, wo im Spätsommer in mehreren Gegenden eine sehr ungesunde Luft herrschen soll, ist im Original noch die Maremma benannt, ein sumpfiger Landstrich entlang des Meeresstrandes zwischen Pisa und Siena.
  383. 52. Die Dichter steigen wieder von der Höhe des Brückenbogens auf den Damm herunter, um der Tiefe näher zu sein, und so besser zu sehen, was sich dort befindet. – Der Leser ist vielleicht schon öfter auf die Frage gefallen: Wie Dante in dieser tiefen finstern Nacht überhaupt etwas sehen könne? – Der Uebersetzer weiß allerdings darauf keine bestimmte Antwort zu geben, da es dem Dichter nicht gefallen hat, die Sache näher zu erklären. Vielleicht verbreitet das Feuer, das wir an verschiedenen Orten der Hölle finden, namentlich das, welches den tugendhaften Helden leuchtet; das, welches auf die Gewaltthätigen gegen Gott herabfällt; das, welches in den Gräbern der Ketzer brennt; endlich das, in welchem die trügerischen Rathgeber verborgen sind, so viel Licht im ganzen Höllentrichter, daß darin allenthalben eine Dämmerung entsteht – vielleicht auch kann derjenige, welcher von Virgil, der Vernunft [und rechter politischer Einsicht, s. S. 7. 10] geleitet wird, nirgends von völliger Nacht umgeben sein.
  384. 73. Zwei Alchymisten, als Fälscher der Metalle, sitzen an einander gelehnt mit Aussatz bedeckt und von ewigem Jücken gequält, welches sie durch wüthendes Kratzen zu stillen suchen. Wir dürfen glauben, daß das gegenseitige Stützen beider ein gegenseitiges Vertrauen auf die trügliche Kenntniß des andern und deren Benutzung zu Erreichung des Zweckes deute, so wie wir in dem fortwährenden Kitzel den unaufhörlichen Reiz zu diesem thörichten Bestreben erkennen mögen, welcher dem, der damit beschäftigt ist, nicht Ruhe noch Rast lassen soll. Und wenn die Säfte dieser Kranken, anstatt sich, wie bei den Gesunden, zu Fleisch und Blut zu verkochen, in Schorf verwandelt nach Außen treten, so werden wir auch das Resultat der Goldmacherkunst bezeichnet finden.
  385. 85. Man muß bekennen, daß durch diese Anrede das Bild dessen, der vom Schorf, wie von einem Panzer, bedeckt ist, und im Kratzen eine schmerzhafte Labung sucht, mit wenigen Worten bis zur ekelhaften Lebendigkeit ausgemalt ist, und die außerordentliche Darstellungsgabe selbst dann bewundern, wo man nicht umhin kann, zu glauben, daß sie nicht wohl angewandt sei.
  386. [167] 97. Die Kranken lagen erst still dort, wie von ihrer Krankheit gebunden. Aber die Nachricht, daß ein Lebender unter ihnen sei, bringt plötzlich eine allgemeine Bewegung hervor.
  387. 109. Griffolino aus Arezzo, ein Alchymist, hatte den Albero von Siena, den natürlichen Sohn des dortigen Bischofs, überredet, daß er die Kunst zu fliegen verstehe. Albero drang ihn, auch ihn in dieser Kunst zu unterweisen, und bewirkte, als dies nicht gelang, daß Griffolino, der keinen Beweis seiner Zauberkunst geben konnte, als ein Zauberer verbrannt wurde.
  388. 125. Man sieht leicht, daß diejenigen Herren von Siena, welche hier vom Vorwurfe der Eitelkeit ausgenommen werden, gerade die eitelsten und liederlichsten waren. [Der Leser bemerke auch V. 123!]
  389. 130. Zu Dante’s Zeit soll, wie Benvenuto d’Imola mit vielen lustigen Nebenumständen erzählt, eine Gesellschaft von zwölf reichen jungen Leuten in Siena ihr ganzes Vermögen in Geld verwandelt, dadurch eine Summe von zweimalhundert und sechszehntausend Floren zusammengebracht und auf einen Haufen zusammengeworfen haben, um davon, so lange es gehen wollte, lustig zu leben. In zehn Monaten wußten sie mit diesem Vorrathe fertig zu werden.
  390. 133. Der Verdammte half dem Dante, indem er ihm noch manche Thatsachen nachwies, den Vorwurf der Eitelkeit, welchen er V. 121 den Einwohnern von Siena gemacht hatte, besser zu begründen.
  391. 136. Capocchio, wie man sieht, von Dante im Leben persönlich gekannt, ein Alchymist, der in Siena verbrannt worden war. Daher ist er wohl so bereit, Schlimmes von dieser Stadt zu sagen.
  392. XXX. 1. Semele, Tochter des Kadmus, gebar vom Zeus den [169] Bacchus. Juno verfolgte darauf aus Eifersucht das Geschlecht des Kadmus, besonders die Schwester der Semele, Ino, welche den jungen Bacchus gesäugt hatte. Deshalb entflammte sie den Gemahl derselben, Athamas, mit rasender Wuth. Nachdem er den ältesten Sohn Learchus an einem Felsen zerschmettert hatte, jagte er sie mit dem jüngern, dem Melicertes, bis zu einer Felsenspitze, von welcher sie sich in’s Meer stürzte. So ward zugleich der stiefmütterliche Haß bestraft, mit welchem Ino die Kinder der ersten Gemahlin des Athamas, Phryxus und Helle, verfolgt hatte.
  393. 16. Hekuba, die Gemahlin des Priamus. Ihre Tochter Polyxena wurde dem Schatten des Achilles geopfert. Den Leichnam ihres Sohnes Polydorus fand sie an Thraciens Küste.
  394. 24. Zwei Fälscher der Person, d. h. solche, welche durch Betrug bewirkten, daß man ihre Person für die eines Andern hielt, brechen als wüthende Tobsüchtige hervor, und tragen dazu bei, Andere noch mehr zu quälen. Ein besonderes Verhältniß des Verbrechens zur Strafe dürfte hier kaum zu erkennen sein. Die Strafe gleicht der, mit welcher Ges. 13 V. 112 ff. diejenigen gezüchtigt sind, welche ihrem Gut Gewalt angethan haben. Auch Ges. 7. V. 112 finden wir eine ähneliche Darstellung.
  395. 32. Johann Schicchi, berüchtigt durch das Talent, andere Personen täuschend darzustellen. Weil Buoso Donati [unter den Dieben Ges. 25, 140 ff.] in einem frühern Testamente, um sich wegen verübter Diebstähle Verzeihung vom Himmel zu verdienen, sein großes Vermögen größtentheils frommen Stiftungen vermacht hatte, ließ, als derselbe verstorben war, Schicchi den Leichnam heimlich wegschaffen, und legte sich statt seiner in’s Bett, um zum Vortheile des Simon Donati, der ihm dafür das beste Roß [im Original „die Königin der Koppel“] versprochen, ein falsches Testament zu errichten. Wirklich wußte er Stimme und Art des Verstorbenen so nachzumachen, daß Notarius und Zeugen nichts von dem gespielten Betruge entdeckten.
  396. 37. Myrrha, die Tochter des Cinyras, Königs von Cypern, pflog mit ihrem Vater, ohne daß dieser sie erkannte, eine Zeitlang im nächtlichen Dunkel blutschänderischen Umgang. Als einst zufällige Beleuchtung des Orts sie verrieth, verfolgte sie ihr Vater unter tausend Verwünschungen. Aber sie entkam nach Arabien und beweinte dort ihr Vergehen so lange, bis sie in eine Myrrhe verwandelt wurde.
  397. [171] 49. Die Laute hat bekanntlich einen runden weit vortretenden Bauch und einen verhältnißmäßig dünnen Hals. Die Gestalt eines Wassersüchtigen würde daher mit ihr zu vergleichen sein, wenn nicht durch die beiden Beine des Menschen die Aehnlichkeit aufgehoben würde. – Mit der Wassersucht sehen wir einen Falschmünzer, Meister Adam von Brescia, bestraft. Auf Verlangen der Grafen von Romena, die wahrscheinlich durch diese Operation ihre Finanzen verbessern wollten, verfälschte er die Goldgülden durch einen Zusatz schlechten Metalles, wofür er zuletzt auf dem Scheiterhaufen büßte. Die Wassersucht deutet auf den Zustand derjenigen Staaten, welche sich in der Noth durch Verschlechterung der Münzen und in neuerer Zeit durch Papiergeld zu helfen suchen. Sie scheinen auf den ersten Anblick wohlgenährt. Aber ihr wahrer Zustand ist krankhafte Aufblähung. – Die Erinnerung an das, was Meister Adam einst hatte, und was er jetzt durch eigene Schuld schmerzlich entbehrt, ist eben so wahr als schön ausgedrückt. Tasso, der überhaupt oft aus Andern geschöpft, scheint dies Bild im befreiten Jerusalem Ges. 13 St. 60 vor Augen gehabt zu haben.
  398. [65. Das Casentino ist das obere Arnothal.]
  399. 76. Guido, einer der Grafen von Romena, und dessen Brüder Alessandro und Aghinolfo.
  400. [78. Im Original Fontebranda, ein hochberühmter prachtvoller Brunnen in Siena.]
  401. 86. Vgl. Ges. 29. V. 8 und die Anmerkung.
  402. 97 u. 98 Potiphars Weib, und Sinon, Fälscher der Rede, weil jene den Joseph, den sie vergebens zur Unkeuschheit verführen wollte, fälschlich anklagte, – dieser den Trojanern über das von den Griechen zurückgelassene hölzerne Roß falsche Auskunft gab. Beide liegen am faulen Fieber darnieder. [„Wie alle Frauen in Dante’s Hölle, außer Franziska von Rimini, spricht auch Potiphars Weib nichts.“ Notter.]
  403. 100. Der hier folgende Streit zwischen den Sündern ist ganz aus der Natur gegriffen, wie jeder Aufseher in einem Zuchthause bezeugen [173] wird. Indessen ist diese Art, sich zu höhnen, den hier bestraften Sündern nicht eigenthümlich, sondern gehört allen gemeinen und schlechten Naturen an. Das Beste ist die Lehre, daß kein besser Gebildeter solchem Streite Aufmerksamkeit schenken soll. (V. 145.)
  404. 139. Dante verzweifelt daran, sich über seine den Streitern durch Aufmerksamkeit bewiesene Theilnahme entschuldigen zu können. Aber die Scham, die er zeigt, dient ihm bei Virgil zur besten Entschuldigung.
  405. XXXI. 1. Am Ende des vorigen Gesanges V. 131 hatte Virgil den Dichter durch seinen Tadel gekränkt, dann durch seinen Zuspruch V. 142 ihn wieder getröstet. Sein Wort war daher wie der Speer Achilles, der den Telephus erst verwundete und dann durch seine Berührung wieder heilte.
  406. 7. Die zehn Abtheilungen des achten Kreises mit den verschiedenen Gattungen von Betrügern sind nun durchwandert. Die Dichter gehen quer über den Felsendamm, um sich dem neunten Kreise zu nähern, in welchem die Verräther bestraft werden. Es ist der Brunnen, von welchem Ges. 18 V. 4 ff. die Rede ist.
  407. [175] 16. Karl der Große, welcher die Absicht hatte, die Mauren aus Spanien zu vertreiben, wurde durch den Verrath des Ganelon von Mainz bei Ronceval von den Feinden völlig geschlagen. Hier soll, nach Turpin, Roland mit solcher Gewalt in’s Horn gestoßen haben, daß der Schall meilenweit in der Runde gehört wurde.
  408. [V. 22–26 möchten wir auch allegorisch von der göttl. Kom. selbst verstehen und eine eigene Warnung des Dichters darin sehen, nicht zu viel in seinem vielsinnigen Werke suchen zu wollen, sondern nur das, was eine gesunde Symbolik ohne Zwang ergibt.]
  409. 40. Montereggione, ein Schloß in der Gegend von Siena. Wir sehen wieder ein bedeutsames Bild mit meisterhafter Klarheit uns vor die Augen gestellt. Von Weitem schien sich in der düstern Luft eine Veste, von Thürmen umgeben, zu erheben. In der Nähe wird erkannt, daß es Riesen sind, welche, mit dem halben Leibe im Brunnen, außerhalb desselben vom Nabel an in die Luft hervorragen. Diese Riesen sind die Giganten, die Söhne der Erde, welche sich gegen den Zeus empörten. Ihnen beigesellt ist Nimrod, der mächtige Jäger des alten Testaments, welcher durch seinen thörichten und frevelhaften Bau sich gleicher Empörung schuldig machte. – Der Verrath ist das schwerste aller Verbrechen, folglich die strafbarste Verletzung der Gebote Gottes, daher wir den Strafort sinnig und bedeutsam von offenbaren Empörern gegen die Gottheit umgeben sehen. Und da der Dichter, wie bereits bemerkt worden und weiterhin besonders im Fegefeuer zu bemerken sein wird, biblische und heidnische Gestalten zu seinen Zwecken benutzt, so darf uns nicht wundern, daß wir Empörer gegen den Jupiter hier finden, statt der gegen Gott empörten Engel, welche für den dichterischen Zweck eine minder bestimmte Gestaltung und eine minder klare Erinnerung an einzelne Züge dargeboten haben würden.
  410. 59. [Dieser bronzevergoldete, antike Pinienzapfen von 2½ M. Höhe, welcher ursprünglich das Pantheon oder das Grab Hadrians (jetzt Engelsburg) gekrönt hat, wurde von Papst Symmachus vor die alte Peterskirche geschafft, wo ihn Dante bei seinem römischen Aufenthalt [177] als Gesandter seiner Vaterstadt im Jahre 1301 noch sah. Jetzt schmückt das seltsam schöne Gebilde den hintersten, ans Belvedere grenzenden Hof des Vatican, welcher davon den Namen des Giardino della Pigna hat.]
  411. 63. Die Friesen scheinen zu jener Zeit in dem Rufe vorzüglicher Körpergröße gestanden zu haben. Also drei hohe Männer, über einander gestellt, würden ihm von der Mitte des Leibes an kaum bis an das Haar gereicht haben. [Die röm. Palme ist stark die Hälfte des Pariser Fußes. Also der ganze Leib etwas 3 mal 30 = 90 Palmen = 55 Pariser Fuß.]
  412. 67. Worte ohne Sinn, wie Virgil V. 80 zu erkennen giebt.
  413. 94. Ephialtes thürmte mit seinem Bruder Otus auf den Olymp den Ossa und auf den Ossa den Pelion, um den Himmel zu ersteigen. Und doch deckte noch kaum Milchhaar ihr Kinn, als Apollo mit seinen Pfeilen sie erlegte. Seine Arme sind gebunden, aber die Erde erzittert noch, wenn er sie schüttelt.
  414. 98. Briareus, der hundertarmige Riese, ein Sohn des Uranus und der Erde, [der ebenfalls in der Hölle nach Aeneis VI. 287. Nach anderer Sage hat er vielmehr den Göttern beigestanden.]
  415. 100. Antäus, ein Sohn der Erde, welche ihm, sobald er sie berührte, neue Kraft gab. Herkules mußte ihn daher ersticken, weil Antäus im Kampfe mit ihm, nach jedem Falle als ein fürchterlicherer Feind sich erhob. Er ist ungebunden, weil er nicht am Kriege gegen den Donnerer theilnahm. [Er gehört einer späteren Zeit an. Seine Heimat war nach Lucan bei Zama, wo Hannibal unterlag. Daher V. 118.]
  416. [179] [124 ff. „Typhäus und Tityus“ zwei andere Giganten. „Dieser“ Dante.
    „Das was man hier ersehnt“ der Nachruhm auf Erden, V. 127 und oft sonst.]
  417. 133. Virgil, wie er sich von Antäus gefaßt fühlt, ruft und faßt den Dante und umstrickt ihn so, daß Antäus sie beide als ein Bündel hinabbringen kann.
  418. 136. [Die Carisenda ist einer der beiden schiefen Thürme von Bologna, welche der Stadt ein so interessantes, landschaftliches und architektonisches Ansehen geben und zugleich ihr historisches Wahrzeichen sind. Denn während der schiefe Thurm zu Pisa ohne Zweifel durch unvorhergesehene Senkung des tiefgelegenen Domplatzes, worauf er steht, so geworden ist: scheinen die beiden in Bologna vielmehr von Anfang an schief angelegt, als Denkmäler der Prahlerei der Adelsgeschlechter, von denen sie zur Wehr erbaut wurden und den Namen haben. Der andere, von den Asinelli erbaut, heißt „die Asinelli“. Uebrigens sind die Akten über diese Weltwunder noch nicht abgeschlossen. So viel ist aber gewiß: wenn man dem einen oder dem andern von unten hinaufschaut während Wolken gegen denselben ziehen, so zeigt sich das seltsame Naturschauspiel, an welchem sich auch Dante als Verbannter in Bologna oft ergötzt zu haben scheint, daß die Wolken stille stehen, während der Thurm [180] sich abwärts bewegt, als wollte er über einen hereinstürzen. – Gleicherweise beugt sich also Antäus, um die Dichter auf den untersten Boden der Hölle hinabzusetzen.]
  419. 145. Der Dichter gebraucht fast immer nur weibliche Reime, nicht aus Wahl, sondern weil die italienische Sprache nur wenige und schlechte männliche Reime hat. In dem 143. und 145. Verse macht er eine der seltenen Ausnahmen von dieser Regel. Der letzte Vers lautet:
    E come albero in nave si levò
    Dieser Vers und der kurz abgebrochene männliche Reim soll, wie man meint, das plötzliche Emporschnellen des gebeugten Riesen auch durch den Klang versinnlichen. Der Uebersetzer hat dies wiederzugeben versucht, was nur möglich war, wenn von der Regel des Reimwechsels ebenfalls eine Ausnahme gemacht wurde.
  420. XXXII. 3. Der Felsendamm, der gegen Innen um den achten Kreis herumläuft, trägt das obere Gebäude, insonderheit zunächst diejenigen Felsen, welche quer über die verschiedenen Abtheilungen des achten Kreises springen und den Reisenden als Brücken gedient haben.
  421. 8. Nach dem Ptolemäischen System dreht sich der Himmel mit [181] allen seinen Sternen um die Erde. – Der Mittelpunkt der Erde muß daher auch der des Universums sein.
  422. 10. Amphion erbaute die Mauern von Theben und die sieben Thore dieser Stadt. Hierbei halfen ihm die Musen, die ihn zu Tönen begeisterten, durch welche selbst die Steine bewegt wurden, sich zu dem Bauwerke zusammenzufügen.
  423. [12. Nicht vergebns ruft hier Dante die Musen aufs Neue an. Die folgenden Gesänge, besonders 32 u. 33, gehören zu den großartigsten und schönsten des ganzen Werkes!]
  424. 16. [Der 9. Kreis der Verräther. In der äußersten Ferne von Gott, dem Quell der Wärme, des Lichts und Lebens, zu sein ist ihre Strafe. Dies ist der Sinn, wenn sie Dante im ewigen Eis stecken läßt, wo selbst die Thränen gefrieren, d. h. wo selbst der Reue ihre lindernde Kraft genommen ist. – Das Eis selbst wird gebildet durch den 4. Höllenstrom, den Cocyt, der aus den abgekühlten Abflüssen des glühenden Phlegethon entsteht und durch Satans Flügelschwingen frieren gemacht wird.]
    Dieser Kreis ist in vier verschiedene Bezirke getheilt, die der Dichter nicht, wie er dies anderwärts gethan, durch bestimmte Grenzen unterscheidet, sondern beim weitern Fortschreiten nur beiläufig nennt. Der Mauer zunächst ist Kaina, vom Brudermörder Kain benannt, wo diejenigen bestraft werden, die ihre Verwandten verrathen. Hierauf folgt Antenora, wo wir die Verräther des Vaterlandes finden, benannt vom Trojaner Antenor, welchem man vorwirft, den Griechen beim Raube des Palladiums beigestanden zu haben. Die Angesichter der in beiden Abtheilungen eingefrorenen Sünder sind hinabwärts gekehrt. In der dritten dagegen richten sich die Gesichter aufwärts, eine Stellung, die besonders in der Kälte weniger natürlich und daher auf die Dauer peinlicher ist, wahrscheinlich also die härtere Strafe andeuten soll. Sie heißt Ptolemäa, von Ptolemäus, König von Aegypten, der das Vertrauen des großen Pompejus in seine Gastfreundschaft durch Verrath vergalt. Hier sind die Verräther an besonderem Vertrauen. – In der vierten, Judecca, benannt von Judas, stecken die Verräther ihrer Wohlthäter ganz im Eise, wie Splitterchen im Glase. Doch finden die gräulichsten Sünder dieser Art ganz im Mittelpunkte ihre besondere Strafe, indem Dis, das Oberhaupt der empörten Engel, dort eingepfählt ist, und mit dreien Rachen den Judas, Cassius und Brutus fortwährend zermalmt.
  425. 28 u. 29. Berge in Slavonien und Toskana.
  426. [183] 55. Unter den Verräthern ihrer Verwandten, die in Kaina bestraft werden, finden wir zuerst Alexander und Napoleon degli Alberti, deren Vater das Thal Falterona besaß, durch welches der kleine Fluß Bisenzio dem Arno zufließt. Nach dem Tode des Vaters geriethen sie in Streit über die Erbschaft und tödteten sich gegenseitig.
  427. 61. Mordrec, Sohn des fabelhaften Königs Arthur von Britannien, empörte sich gegen seinen Vater. Aber dieser kam der Frevelthat zuvor, indem er mit der Lanze den Sohn dergestalt durchbohrte, daß die Sonne durch die Wunde schien.
  428. 63. [Focaccio gehörte zum „schwarzen“ (ghibellinischen) Zweige der Cancellieri in Pistoja und ermordete seinen zum „weißen“ (welfischen) Zweig der Familie gehörigen Vetter Detto meuchlerisch.]
  429. 65. [Sassol Mascheroni meuchelte seinen Neffen, um des Erbes willen. Er wurde, an ein Faß genagelt, durch die Straßen von Florenz geschleppt und dann geköpft. Diese Strafe machte allgemeines Aufsehen, daher sich der Redende V. 65 ff. darauf beruft.]
  430. 68. Camicione, aus dem Geschlecht der Pazzi, ein Verwandten-Mörder, erwartet den Carlin, aus demselben Geschlechte, den er für einen weit ärgern Verbrecher hält. [Denn dieser verrieth ein von ihm für die Weißen behauptetes Castell endlich an die Schwarzen von Florenz. Weil dies erst 1302 geschah und Dante die Reise ins Jahr 1300 setzt, so muß Camicione es weissagen.]
  431. 73. Weiter zur zweiten Abtheilung Antenora (V. 88), welche die Verräther des Vaterlands enthält.
  432. 80. Bocca degli Abbatti hieb im Anfange der Schlacht von Montaperti an der Adria dem Bannenträger der Guelfen, zu welchen er selbst gehörte, dem Jacob del Nachacha de’ Pazzi, mit dem Schwerte die Hand ab, und veranlaßte dadurch den Verlust der Schlacht. [Obwol selbst Ghibelline, verdammt Dante dennoch energisch dies absichtliche Bubenstück.]
  433. [96. In diesem Höllenkreise wollen die Sünder nicht mehr, was sonst ihr höchstes Sehnen ist (zu 31, 124) in der Oberwelt genannt oder gereinigt werden. Ihr teuflisches Vergnügen ist einzig, hier und dort ihre Mitschuldigen und ihre Feinde gebrandmarkt zu wissen.
  434. [185] 116. Der Ghibelline Buoso da Duera, ein Cremoneser gestattete, von dem französischen General Guido von Montfort bestochen, diesem den Uebergang über den Oglio, jenseits dessen er sich mit den Guelfen vereinigte.
  435. 119. Becheria von Pavia, Abt von Balombrosa. Man entdeckte bei ihm eine Verhandlung, nach welcher Florenz in die Hände der Ghibellinen geliefert werden sollte, und schnitt ihm dafür den Kopf ab (1258).
  436. 121–123. Soldanier, ein Ghibelline, welcher zu Gunsten der Guelfen, zum Verräther an seiner Partei ward. – Gan von Mainz, der im Sagenkreise Karls des Großen (s. zu 31, 16), insonderheit in Ariosts fünf Gesängen, den Verräther und im Allgemeinen die schlechte Person spielt. – Tribaldello öffnete des Nachts den Franzosen ein Thor von Faënza.
  437. 130. Tideus befand sich im Thebanischen Kriege unter den Belagerern [186] der Stadt; indem er mit Menalipp kämpfte, tödteten sich beide, und Tideus nagte, wie Statius erzählt, noch sterbend aus Wuth an den Schläfen des eben verschiedenen Feindes.
  438. 139. Die Zunge.
  439. XXXIII. [7. 8. S. das zu 32, V. 96 Bemerkte. Hiernach ist auch das Versprechen Dante’s am Schluß des vorigen Gesanges aufzufassen.]
  440. 13. [Die Tragödie von Ugolino und Ruggieri bietet ein charakteristisches Bild von den alles zerfressenden, wüthenden Parteikämpfen, welche damals in fast allen Städten des oberen und mittleren Italiens geführt wurden. Die historischen Umstände sind in der Kürze diese: Graf Ugolino della Gheradesca stützte sich als Podestà von Pisa – welches Amt die höchsten Gewalten des Richters und Feldherrn vereinte und welches er seit 1284 bekleidete – hauptsächlich auf die Guelfische Partei, wodurch er natürlich die Ghibellinen der Stadt, die [187] Familien der Lanfranchi, Gualandi und Sismondi, an ihrer Spitze den Erzbischof Ruggieri (Roger), gegen sich bekam. Pisa stand damals im Krieg mit Genua, sowie den mit ihm verbündeten Städten Florenz und Lucca. Da nun Ugolin schon vor seiner Amtsführung in der für Pisa so unglücklichen, Seeschlacht bei der Insel Meloria (1282) als Heerführer eine nicht ganz klare Rolle gespielt und nachher den Lucchesen ohne Zustimmung der Pisaner – allerdings um sie vom Bund mit Genua und Florenz zu trennen – einige Vesten übergeben hatte, was ihm wenigstens auch Dante zum Verrath anrechnet (Gs. 33. V. 86); da ferner seine Verwaltung selbst nicht von tyrannischer Gewaltthätigkeit und egoistischem Laviren zwischen den Parteien, sein Charakter nicht von dem Flecken freizusprechen ist, die Erhaltung der eignen Macht zum obersten Grundsatz gemacht zu haben: so war es damals schon seinem Gegner nicht schwer, das Volk allmälig gegen ihn einzunehmen. Indessen aber wurde von Roger dem Gewaltigen die beste Freundschaft geheuchelt, der auch seinerseits das Bündniß mit dem Erzbischof, diplomatisch wie er war, eifrig suchte. Endlich kam der Tag, an welchem der wirklich teuflische Verrathsplan ausgeführt werden sollte. Der sichere Machthaber befand sich eben außerhalb der Stadt. Da ließ Roger die Glocken ziehen, ein „Tod dem Tyrannen“ durch die Straßen schreien, seine Banden zum Handgemenge vorgehen. Die Guelfen erlagen. Der Podestà selbst, auf der Flucht nach Lucca eingeholt, begleitet von zwei Söhnen, Gaddo und Uguccione (Hugo), und zwei Enkeln, Brigata und Anselmuccio wurde mit diesen Unschuldigen in den Thurm der Gualandi, später der „Hungerthurm“ genannt, eingeschlossen und nach siebenmonatlichem Gefängniß dort dem Hungertode auf Befehl des Erzbischofs preisgegeben. Der Thurmschlüssel wurde in den Arno geworfen. Es war im Jahr 1289. Niemand erhob sich [188] ob diesem Gräuel, obwohl der Thurm auf dem Forum der Republik, der jetzigen Piazza de’ Cavalieri (– man kommt auf dem Wege zum Domplatz an der Stätte vorbei –) stand und jedermann noch mehrere Tage lang das Winseln der Unglücklichen gehört haben soll. Dante aber stellt die historische Gerechtigkeit wieder her, indem er zwar den stolzen Pisaner selbst als Staatsverräther in die Hölle versetzt, ihm aber den, übrigens erst ziemlich lange nachher gestorbenen Erzbischof dort in die Hände gibt als einen noch ärgeren Sünder, als einen Verräther an der Unschuld der Kinder und an dem besonderen Vertrauen, das er dem Gegner unter der Maske der Freundschaft abzulocken gewußt hatte. Darum darf auch Ugolin selbst sein Geschick erzählen, indem ihm dazu die Menschheit und menschliche Erinnerung wiederkehrt und wir fühlen, ohne weiter Anstoß daran zu nehmen, daß das nicht Ugolin selbst, sondern nur sein verworfener Schatten war, welcher eben noch seinen Feind so scheußlich zernagte. –
    Mit der nun V. 16 beginnenden Erzählung selbst betritt der Leser ein Heiligthum der Poesie. Man kann über diese Stelle, in welcher der grandiose Realismus der Darstellung mit unübertrefflicher Kunst gemildert erscheint durch den versöhnenden Gegensatz des Heldenmuths und der zarten Gefühle der Sterbenden, nur mit Goethe sagen, der sonst kein Verehrer Dante’s war, daß sie zum Höchsten gehöre, was die Dichtung aller Zeiten hervorgebracht hat.]
  441. 30. Der Berg San Giuliano, der zwischen Pisa und Lucca liegt. Der Traum deutet, wie wir sehen, auf die Flucht Ugolino’s und seine Gefangennehmung. Daß er sich als Wolf bezeichnet, beweist ebenso, wie die Stelle, welche der Dichter ihm angewiesen, daß dieser ihn des Verraths am Vaterlande wirklich für schuldig gehalten hat.
  442. [189] 48. [Ein poetisch feiner Zug, der den Eindruck des ganzen steigert, daß Dante alle vier Mitgefangenen zu unschuldigen „Kindern“ macht, während jedenfalls die zwei Söhne erwachsene Männer waren, gegen welche aber kein geschichtliches Zeugniß der Mitschuld an Ugolino’s Plänen vorliegt!]
  443. 64. Im Original weit schöner und ausdrucksvoller: Da beruhigt’ ich mich, um sie nicht trauriger zu machen.
  444. 67. Im Original wörtlich: Als wir den vierten Tag erreicht, warf sich Gaddo ausgestreckt zu meinen Füßen hin. Der Kundige, welcher von den Grenzen der Uebersetzungskunst einen Begriff hat, wird den Uebersetzer entschuldigen, wenn derselbe lieber einen minderbedeutenden Zug hat durch einen andern ersetzen, als durch erzwungene Wortstellung und schiefe Ausdrücke den Eindruck der gewaltigen Darstellung stören wollen.
  445. 75. Im Original: Dann vermochte der Hunger mehr als der Schmerz. D. h. der grausamste Schmerz hatte es nicht vermocht mich zu tödten, aber der Hunger vermochte es. Wenn wir den Vater, so lange noch eins der Kinder lebt, um sie zu beruhigen, den qualvollsten Seelenschmerz in sich verschließen und die Folter des Hungers schweigend ertragen, erst nach dem Tode Alle seinem Jammer durch das Ausrufen ihrer Namen Luft machen, den durch das Vergehen seiner Kräfte Erblindeten noch auf die Leichen der Geliebten hinwanken sehen – dann erhebt uns eben diese großartige Standhaftigkeit, diese Liebe, über die Schrecken der Jammerscene und gibt unserm Gemüthe einen sittlichen Genuß, welcher uns ihre Schauer erträglich macht.
  446. 82. Capraja und Gorgone, kleine Inseln nicht weit vom Ausflusse des Arno.
  447. 91. Die Dichter betreten die dritte Abtheilung Ptolemäa.
  448. [191] [111. Er hält sie für Sünder, welche Minos in die unterste Hölle gewiesen wegen eines besonders „grausamen“ Verraths.]
  449. 118. [Alberigo de Manfredi von Faënza, einer von den Lustbrüdern Gs. 29. 130, lud einen ihm verhaßten Verwandten mit seinem Söhnlein zu Tisch. Am Ende des Mahles rief er „bringt die Früchte“ und versteckte Mörder aus seiner eigenen Familie brachen hervor und tödteten Vater und Kind.]
  450. [120. Selbstironie. Die fremde Dattel galt für kostbarer noch als die einheimische Feige. Damit vergleicht er seinen Höllenlohn.]
  451. [126. Ehe Atropos, die dritte Parze, den Lebensfaden abgeschnitten hat.]
  452. 129. Eine höchst sinnreiche Beziehung der Strafe auf das Verbrechen. Wer Verrath an Vertrauen übt, dessen Seele wird sofort eine Beute der Höllenqual, welche im Leben Vorwurf, fruchtlose Reue und Selbstverachtung bereiten. Und wie die von ihr erzeugte Verzweiflung die wildesten und schlechtesten Leidenschaften aufregt, so scheint fortan nicht mehr eine Menschenseele, sondern ein Teufel den Leib des Verräthers zu regieren.
  453. 137. Branca d’Oria tödtete bei Tische seinen Schwiegervater, Michael Zanche, welchen wir oben im Pechpfuhle gefunden, um sich seines Amtes und seiner Reichthümer zu bemächtigen. Ihm half dabei ein Verwandter, der V. 146 erwähnt wird.
  454. 149. 150. In dem Versprechen V. 116 lag ein Doppelsinn, den der Dichter absichtlich hineinlegt, um den Verdammten zu täuschen. Dante hat ohnehin die Absicht, zum Grunde des Eises niederzusteigen, und kann sich daher unbedenklich anheischig machen, dies zu thun, wenn er nicht das Verlangte gewähre. Wenn er nun jetzt sein Versprechen wirklich nicht hält und glaubt, es sei Unrecht, die Strafe, die Gott auferlegt, durch Gefälligkeit zu lindern, so wird man doch nicht umhin können, sein sittliches Gefühl durch diesen Zug verletzt zu finden. [193] Doch möge man bedenken, daß der Dichter in diesem Theile nur die Sünde erkennen, im folgenden aber erst von derselben sich reinigen soll; [ferner, daß es entschuldbar ist, wenn sein Herz in der Anschauung dieser Erzsünder und ihrer grausen göttlichen Strafen so versteint, daß er fühllos die Ges. 20. 28 ausgesprochene Lehre Virgils befolgt!]
  455. [151. Wie wenig Dante in dieser Schilderung übertrieben, weist Philalethes in seinem Commentar nach.]
  456. XXXIV. [1. 2. „Vexilla regis prodeunt inferni (adversum nos“) im Original. Es ist dies der Anfang des Karfreitags-Hymnus.]
  457. 10. Wir betreten die vierte Abtheilung des letzten Kreises, Judecca, wo diejenigen bestraft werden, welche an ihren Wohlthätern Verrath üben, indem sie in verschiedenen Stellungen ganz und gar im Eise stecken. In der Mitte dieser Abtheilung oder des Alls finden wir die vier Hauptverräther dieser Art, den Dis oder Lucifer, das Oberhaupt der abgefallenen Engel, Judas Ischarioth, Cassius und Brutus.
  458. 30. [D. h.: so wenig ich – so wenig etc.]
  459. 38. Dis oder Lucifer, das böse Princip, das zuerst durch den Abfall von Gott in die Welt getreten. [Der Leser wird dem Dichter nicht zum Vorwurf anrechnen, daß sein Satan, z. B. gegenüber Milton’s kämpfenden Drachen, nichts weniger, als eine großartige Gestalt ist. Der Gang und Plan des Gedichts gebot, ihn durchaus als schon gefallenen Engel aufzufassen.] Wir sehen ihn denn hier eben als Bestraften und als Werkzeug der göttlichen Strafe, wie wir an vielen Orten die Sünder gefunden haben. Er hat drei Gesichter, welche nach Lombardi’s Erklärung auf die drei damals bekannten Welttheile, und somit auf die Allgemeinheit der Sünde und die Herrschaft des Lucifer hindeuten sollen – das rothe auf die rothwangigen Europäer, das gelbe auf die Asiaten, das schwarze auf die Afrikaner. Nach Landino und andern ältern Auslegern bezeichnen die Farben der Gesichter Zorn, Geiz und Trägheit, der Kamm darüber hingegen Hochmuth – Laster, durch welche die Herrschaft des Lucifer vorzüglich begründet und ausgedehnt wird.
  460. [195] 46. Die Flügel sind nicht die, welche den Vogel aufwärts in das heitere Licht tragen, sondern die der nächtlichen Fledermaus. Nach allen Seiten der physischen und moralischen Welt hin strömt ihre Bewegung den Wind aus, welcher in seiner nächsten und unmittelbarsten Wirkung das Eis des Cocytus, den starren Schauder der schlimmsten Verbrecher, hervorbringt.
  461. 62. Ischarioth, der Verräther seines göttlichen Wohlthäters, nimmt mit Recht den ersten Platz unter den drei größten Verräthern ein.
  462. 64. 67. Brutus und Cassius, die Verräther und Mörder Cäsars. Der ausgezeichnete Platz, den ihnen der Dichter vor andern ähnlichen Verräthern anweist, wird hinreichend durch die Meinung desselben erklärt, daß das römische Reich auf Gottes unmittelbare Veranstaltung gestiftet sei, um die weltliche Herrschaft über den Erdkreis zu führen. [Der Leser weiß aus unserer Vorbem. bei Gs. 1. 1, sowie aus Ges. 1, 62; 9, 61–103 und der Anm. dazu, daß Dante jene [197] Ansicht von der providenziellen Stiftung des römisch-deutschen Reichs nicht nur in einem besonderen Buch „de monarchia“ entwickelt, sondern auch als einen der leitenden Grundgedanken der ganzen göttl. Kom. einverleibt hat. Wir werden dieselbe im 3. Theil, Parad. Ges. 6; 18, 108 ff; Ges. 20, V. 8. 9, noch besonders ausgesprochen finden. – Daß der „hagere“ Cassius als fett geschildert wird, beruht auf einem historischen Irrthum.]
  463. 76. Wenn man mit der Phantasie bis in den Mittelpunkt der Erde gedrungen ist, so findet man allerdings kein anderes Mittel, auf der anderen Seite, mit dem Kopfe zuerst, wieder herauszukommen, als sich so umzuschwenken, wie Virgil, dessen Hals Dante umfaßt, hier thut. Man wird es aber auch ganz natürlich finden, daß Virgil bis zum Mittelpunkte niederwärts, von diesem an aber, nachdem er sich umgedreht, wieder aufwärts steigt, obwohl er immer ohne alle Unterbrechung in derselben Richtung fortklimmt. Eben so natürlich ist es auch, daß, da die Mitte des Lucifer gerade der Mittelpunkt der Erde ist, die Reisenden, da sie jenseits desselben angelangt sind, Lucifers Füße emporragen sehen. Uebrigens ist auch die moralische Deutung nicht schwer zu finden. Der Mensch, der, nachdem er die Sünde erkannt hat, sich von ihr reinigen will, muß, um zu seinem Ziel zu gelangen, in ganz entgegengesetzter Richtung vorwärts streben. Er muß das böse Princip hinter sich und unter sich haben, und von dem Augenblicke an, da er es erkannt hat, emporklimmen.
  464. [197] 104. Ehe sie den Mittelpunkt überschritten, sagte Virgil V. 68: Es naht die Nacht. Jenseits desselben sagte er V. 96: Und Sol, aufsteigend, scheucht bereits die Sterne. Dieser anscheinende Widerspruch ist’s, über welchen Dante sich hier die Erklärung erbittet, die er in den folgenden Versen erhält. Bei jener Stelle dachte Virgil an die östliche, bei dieser, nachdem sie den Mittelpunkt überschritten, an die westliche Hemisphäre – an die Gegenfüßler, bei welchen der Morgen tagt, wenn bei uns die Nacht kommt.
  465. 114. Der Hehre, Christus, dessen Name in der Hölle nie ausgesprochen worden ist.
  466. 121. Dante nimmt an, Lucifer sei auf der damals unbekannten Seite der Erdkugel, wo Amerika liegt, vom Himmel herabgeschleudert worden. Vor Schrecken über seinen Fall versteckte sich das Land dort unter die Oberfläche des Meeres, und drang auf der östlichen Halbkugel hervor, auf welcher der Berg Zion eben den entgegengesetzten Punkt bildet. Allein nicht minder entsetzte sich die Erde in ihrem Innern, da er bis zum Mittelpunkte hin sie in seinem Sturze durchbohrte. Was er hier berührte, drängte sich nach oben und bildete dort den Berg des Fegefeuers, das einzige Land, welches sich nach des Dichters Erfindung auf jener Halbkugel befindet. Im Innern aber blieb die Höhle, durch welche die Dichter emporstiegen.
    Daß dasjenige Land, welches der Grund und Boden ist, worauf die Seelen zur Reinigung emporsteigen, durch Lucifers – des bösen Princips – Fall erzeugt wurde, daß es dasjenige ist, welches aus Furcht vor ihm aus der Nacht der innern Erdmasse ans Licht und den Himmel zu sich erhob, daß dieser Berg und der Berg Zion diesseits und jenseits des Erddurchmessers, welchen das böse Princip durchbohrte, in gerader Linie liegen - das Alles dürfen wir als mannigfach bedeutungsvoll ansprechen.
  467. 130. Da auf der jenseitigen Halbkugel kein Land außer dem Berge des Fegefeuers sich befindet, so muß von diesem her der Bach kommen, von welchem wir nicht erfahren, wohin er fließt. Oben Ges. 14 V. 113 ff. haben wir gesehen, daß die Höllenflüsse von den Zähren entstehen, die durch die Spalten der minder edlen Metalle träufeln – von den Zähren, welche die Sünde auspreßt. Wir dürfen daher glauben, daß dieser Bach mit seiner sanftern Windung die Zähren bedeute, ausgepreßt von Sünden, von welchen die Schatten auf dem Berge sich gereinigt haben – die Sünden selbst, welche, nachdem die Lethe [199] ihre Erinnerung abgewaschen, zu dem bösen Princip, von welchem sie ausgegangen sind, zurückfließen und sich in der Nacht der Vergessenheit verlieren.
  468. 136. Jeder Theil des Werkes schließt sich mit dem Worte: Sterne, und wir dürfen annehmen, daß das Emporstreben nach dem höchsten Erkennbaren hindurch als Ziel und letzter Schluß des ganzen Gedichts angedeutet worden sei. – [Der Leser erinnere sich auch wieder an die bisher hervorgetretenen Zeitbestimmungen der visionären Reise. Ges. 1 der erste Abend. Ges. 34, 68 der dritte Abend, so daß also die Höllenreise 24 Stunden dauerte. Jetzt (V. 126), nach dem Hinaufklettern zur anderen Seite der Erde, ist es dort Morgen, der 3te, der Ostermorgen. An diesem werden wir sogleich die Dichter mit dem Fegefeuerberg beginnen und dessen Besteigung vier Tage in Anspruch nehmen sehen. Am siebenten, letzten Morgen schwingt sich Dante endlich ins Paradies auf, Par. 1, 43.]

Berichtigungen und Nachträge

  1. Ges. 1, V. 100, Anm. Das Nähere über Can grande und den Dante’schen Erretter überhaupt vgl. zu Parad. 17, 50 und 90, Fegf. 33, 45. Berichtigungen und Nachträge, S. 621
  2. Ges. 16, 106 Anm. Eine der, im Text belassenen, gewöhnlichen Auffassungen des Stricks entgegengesetzte, neue Auslegung gibt Scartazzini. Er stellt denselben in keinen Zusammenhang nach vorwärts mit dem Heraufkommen des Geryon, sondern nur nach rückwärts mit der Ueberwindung des Panthers, d. h. mit der Durchwanderung der, den Fleisches- und Leidenschafts-Sünden gewidmeten Kreise, welche D. nun selbst hinter sich hat. Demnach bedeutete er ein, nunmehr abgelegtes Laster, keine Tugend irgend einer Art: „Soltanto o un vizio, il quale egli per sempre depone, o cosa per se indifferente, che da ora in poi gli è superflua.“ Wie diese interessante, mit V. 109 ff. wohl stimmende Fassung, sich mit V. 107 ff. vereinigen lasse, wollen wir dem Leser zu prüfen anheimstellen. Berichtigungen und Nachträge, S. 621
  3. Ges. 19, 82 Anm. ff. Die Annahme, daß Clemens bei Abfassung der vorliegenden Stelle noch gelebt, wird wegen der Verse 79–81 neuerdings von den Auslegern aufgegeben (Wegele, Witte, Notter, Scartazzini). Man sagt, D. habe nicht wissen und sagen können, Bonifaz werde nicht so lange in dem Loche oben stecken, als Nicolaus, (der 1280–1303, also gegen 23 Jahre dort war), bis ihn der nächste, Clemens, ablöse. Dies ist an sich ganz unzweifelhaft. Nun ist aber bekannt, daß nach der schmählichen Aufhebung des Tempelherrenordens und dem unschuldigen Feuertod des Jacob von Molay am 19. März 1314, mit welchem sich die Sage von einer Weissagung baldigen Todes des Papstes wie des Königs aus dem Mund des Sterbenden verband, sich weithin unter dem Volk die Erwartung eines baldigen Gottesgerichts über jene Beiden verbreitete, welches ja auch in demselben Jahre und bei Clemens genau nach einem Monat, am 20. April 1314, eintraf. Lehnt sich nun D. überhaupt gerne an allgemeine oder bestimmtere, zeitgenössische Erwartungen oder Weissagungen an, wie durch die ganze göttl. Kom. zu bemerken und besonders zu Fegf. 33, 45 und Parad. 12, 141 hervorgehoben worden ist, so dürfte dies auch hier nicht unmöglich erscheinen, wo überdies noch sein glühender Haß gegen die französische Wirthschaft und seine Sympathie für die Templer und ihr Geschick, Fegf. 20, 93, in Betracht kommt. Somit [622] könnte die Abfassung unsrer Stelle wohl in die Zeit nach Molay’s, aber vor Clemens’ Tod fallen, wodurch ja die allgemein angenommene Zeitbestimmung über die Veröffentlichung der Hölle (im Laufe des Jahres 1314) nicht berührt, dagegen ein ästhetisches Bedenken, welches die andere, allerdings historisch leichtere und einfachere, Annahme mit sich führt, gehoben wird. So gewöhnlich nämlich auch D. das vaticinium ex eventu gebraucht, so hat dasselbe doch hier gerade, bei zwei Päpsten hintereinander mit derselben Feierlichkeit angebracht, etwas Einförmiges, der überraschende, wirkungsvolle Griff in V. 52 ff. wird durch eine sinnverwandte Wiederholung abgeschwächt, wogegen wir andernfalls eine Steigerung haben, welche man im Geiste des Dichters und seines kühnen Patriotismus, gegenüber dem, gar nie nach Rom gekommenen Papst, jedenfalls lieber annehmen möchte. Berichtigungen und Nachträge, S. 621 f.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Reihenfolge der vertauschten Anm. zu V. 91 und V. 93 korrigiert.
  2. Vorlage: bekrmmt
  3. Reihenfolge der vertauschten Anm. 118–127 und 120 korrigiert.
  4. Vorlage: ironischen
  5. Vorlage: Luft
  6. Vorlage: ver
  7. Vorlage: lies
  8. Vorlage: VII. Kreis
  9. Vorlage: mit heilen
  10. Vorlage: VII. Kreis
  11. Vorlage: hauptsachlich
  12. Vorlage: Tyranen