H. W. Dove

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Autor: Julius von Strzelno
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Titel: H. W. Dove
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 292
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[292] H. W. Dove. Ein Mann von den glänzendsten Verdiensten um die verschiedensten Zweige der physikalischen Wissenschaft, von strahlendem Ruhme in allen civilisirten Ländern der Erde und in allen Meeren, in denen Seefahrer verkehren, Heinrich Wilhelm Dove ist am 4. April dieses Jahres in Berlin im sechsundsiebenzigsten Altersjahre nach längerem Leiden aus dem Leben geschieden. (Vgl. sein Portrait, Jahrg. 1878, S. 295.)

Nationales Vorurtheil liebt es, den persönlichen Ruhm ausgezeichneter Männer der Wissenschaft auf die ganze Nation zu übertragen. Ist das auch ein patriotischer Irrthum – denn die großen Geister, welche die Wissenschaft ersinnen und ausbilden, sind weder auf bestimmte Geschlechter, noch Nationen beschränkt – so gereicht es doch der Nation zum Ruhme, wenn sie es verstanden hat und versteht, die großen Männer, die in ihr geboren wurden und in ihr gelebt und gewirkt haben, zu würdigen und sich den Schatz ihres Forschens und Wissens zu eigen zu machen. Es gereicht der Nation zum Ruhme, wenn in dem Bewußtsein des Volkes die Erkenntniß sich belebt und fortwirkt, daß die Verehrung der Wissenschaft und die Würdigung ihrer Träger die Grundbedingung einer Weiterpflege der Wissenschaft in der Nation ist. Gehört auch, was Dove geleistet hat, der ganzen civilisirten Welt an, so darf doch unser Volk um so mehr stolz auf den Ruhm sein, daß dieser Mann im deutschen Vaterlande gelebt und gewirkt hat und daß bei seinem Heimgang der Ausdruck der Verehrung in aller Welt nachhallt.

H. W. Dove wurde 1803 zu Liegnitz geboren, besuchte die dortige Ritterakademie, studirte auf den Universitäten Breslau und Berlin mathematische und physikalische Wissenschaft und habilitirte sich, kaum dreiundzwanzig Jahre alt, in Königsberg als Privatdocent der letztgenannten Disciplin. Sein vorzügliches Lehrtalent, in Vortrag und Experiment, brachte ihn schon 1829 als außerordentlichen Professor nach Berlin. Hier fingen damals, seit der Heimkehr Alexander von Humboldt’s aus Paris, die „heitern Saturnalien der tollsten Naturphilosophen“ Hegel-Schelling’scher Schule an zu verstummen und die neue Aera der exacten naturwissenschaftlichen Studien in Deutschland begann. Humboldt sammelte einen ganzen Generalstab jugendlicher Naturforscher um sich, und Dove gehörte zu einem der Ersten in demselben.

Sein Lehramt war ausgedehnt wie selten eins. Er lehrte an der Universität, an Gymnasien, an der Kriegsakademie und, wenn wir nicht irren, zu Zeiten auch an anderen Instituten. Sein Lehrtalent war ganz eminent; unterstützt durch lebendige Auffassung, sprach er in klarer und frischer Darstellung und mit wohlwollendem Humor. Im Experimentiren war er ungemein geschickt; viele dabei gebrauchte Apparate waren seine Erfindung und sind Zierde und unentbehrliches Geräth jeder guten physikalischen Sammlung, jedes Laboratoriums geworden. Die vielen Tausende seiner Schüler gehörten nicht blos der akademischen Jugend, sondern auch den militärischen Kreisen und den bürgerlichen Berufsclassen an; sie stammten nicht blos aus allen Theilen des Vaterlandes, sondern zum Theil von weit über den Grenzen desselben und den Ländern jenseits des Weltmeeres. Dove’s physikalische und namentlich meteorologische Vorlesungen waren eine berühmte, weither gesuchte Specialität der Berliner Hochschule.

In den einzelnen Zweigen der Wissenschaft, in der Metronomie, Akustik, Optik, Farbenlehre, sowie der Lehre von der Elektricität und dem Magnetismus verdankt man ihm zahlreiche Beobachtungen und Fortschritte. Eine feine Beobachtungsgabe und eine geschickte Anwendung derselben zeichnen fast alle seine Specialarbeiten in diesen Fächern aus.

Vor Allem aber verdankt die Meteorologie ihm ihre bisherige Entwickelung. Seit Dove mit der Doctordissertation „De Barometri mutationibus“ promovirte, berechnete er unermüdlich die barometrische, thermische und die atmische Windrose, erklärte er den Zusammenhang des Drucks, der Wärme und der Feuchtigkeit der Luft mit der Windrichtung in den verschiedenen Jahreszeiten und ist durch diese Arbeiten gewissermaßen der Begründer zweier neuer Wissenschaften geworden der Meteorologie und der Klimatologie.

Dove’s „Drehungsgesetz“, eine Darlegung über die Drehung der Winde, ist mit Recht für die Erklärung und Berechnung der mannigfachsten complicirtesten Erscheinungen innerhalb der Atmosphäre maßgebend geworden. Immerhin geistvoll entwickelte er, daß die Witterungserscheinungen in unserer norddeutschen, dem Spiel aller Winde geöffneten Ebene vorzugsweise durch zwei mit einander wechselnde Luftströme erzeugt würde, durch einen Polar- und einen Aequatorialstrom.

Die Orkane, die in winterlichen Tagen über Europa einherziehen, lehrte Dove als tropische Gäste kennen; er wies ihre Wirbelnatur nach, führte Sturmwarnungen längs der heimischen Küste ein und faßte alles von Seefahrern und Physikern gesammelte Material in seinem berühmtesten Werke „Das Gesetz der Stürme“ in so umfassender und instructiver Weise zusammen daß der in der chinesischen See vom Typhon bedrohte Seefahrer nach seiner Vorschrift steuert, um dem Verderben zu entgehen.

Der Meteorologie steht die Klimatologie am nächsten, die Lehre von der Vertheilung der Wärme an der Oberfläche der Erde. Humboldt’s Methode, diese Vertheilung graphisch darzustellen, führte Dove in seinen Monatsisothermen und Normalen auf das Fruchtbarste weiter aus. Seinem rastlosen Eifer gelang es, ganz Deutschland mit einem Netz meteorologischer Stationen zu überziehen. Er organisirte, feldherrnähnlich, ein getreues Heer von Beobachtern, welche von den Alpen bis zum Kurische Haff, von der Saar bis zur Schneekoppe die meteorologischen und klimatologischen Erscheinungen nach seiner Angabe gleichzeitig mit gleichartigen, von ihm geprüften und verglichenen Instrumenten registrirt haben. Und wie auch dieser Zweig menschlicher Kenntniß sich gestalten möge, Dove hat ihm fundamentale Grundlagen gegeben, auf welche die deutsche Wissenschaft immer stolz sein darf.

Dove hat kein Lehrbuch der Physik, keins der Meteorologie geschrieben. Auch seine Vorträge hat er nicht veröffentlicht; daher blieb denn auch die Beliebtheit, deren er sich bei seinen Schülern während seines langen Lebens erfreut hat, immer unauflöslich an seine Person gebunden. Auch von seinen in Vereinen gehaltenen populären Vorträgen ist bis auf den einen Vortrag „Ueber Wirkungen aus der Ferne“ nichts in Druck erschienen. Nur in den Jahresberichten der Berliner polytechnischen Gesellschaft finden sich von den Vorträgen, die Dove hier in Wintersemestern gehalten hat, mehrere freilich sehr gedrängte stenographische Nachschriften. – Seine übrigen größeren und kleineren Schriften, seine einzelnen Abhandlungen in den Schriften der Akademien und in Journalen sind rein fachwissenschaftlichen Inhalts; ihre Zahl ist übergroß, und ihre Titel allein würden einen mehrere Bogen starken Katalog füllen.

Dove hat die gleichaltrigen Genossen seines Jugend- und Mannesstrebens um Jahrzehnte überlebt. Mitscherlich, die beiden Rose, Magnus, Moser, Poggendorff, Adolf Erman und verschiedene Andere, sie sind ihm alle früh vorangegangen. Er war der letzte jener jugendlichen auserwählten Schaar, die wir als den jungen Generalstab Alexander von Humboldt’s um das Jahr 1830 bezeichneten. Ein Schlaganfall, der ihn im Jahre 1872 traf, hatte seine Gesundheit erschüttert. Aber er erholte sich wieder und nahm seine Amtspflichten von neuem auf; erst, nachdem er 1876 seine fünfzigjährige Lehrtätigkeit abgeschlossen, gönnte er sich die dringend nöthig gewordene Ruhe, geehrt mit den höchsten äußeren Zeichen wissenschaftlichen Verdienstes und Ruhmes, mit den höchsten Titeln und Würden der gefeiertsten Akademien, der gelehrten Institute und des akademischen Amtes.

Dove’s Heimgang am 4. April war die Erlösung eines schon seit geraumer Zeit verlöschenden Geistes. Der Lebenskitt seines Körpers war mürbe und bröcklich geworden. So ist er nach langer fruchtreicher Arbeit von hinnen geschieden, aber ein ruhm- und verehrungsvolles Andenken wird fort und fort allüberall seinem Namen und seinen Arbeiten dankbar geweiht bleiben.
Julius von Strzelno.