Hauswirthschaftsunterricht
[467] Hauswirthschaftsunterricht. (Zu den Bildern S. 461.) Das muß man unserer vielgeschmähten „modernen, realistischen, illusionslosen“ Zeit lassen: sie ist die erste, die gründlich Hand anlegt an die Bekämpfung der großen sozialen Uebel: Armuth, Krankheit, Unwissenheit. Die Erziehung zum Besseren schließt häufig schon die Verbesserung in sich, so vor allem in der Lebensführung der Arbeiter und Dienstboten. Es ist darum dringend zu wünschen, daß die schon vielfach in größeren Städten gegründeten Hauswirthschaftsschulen, von denen wir in Nr. 14 dieses Jahrgangs ein Beispiel geschildert haben, eine allgemeine dauernde Einrichtung werden. Die Erziehung zur Reinlichkeit, Geschicklichkeit und Pflichttreue findet ja am leichtesten im ersten Jugendalter statt; dort werden die Lehren mit Eifer und Freude angenommen, die später an den Ohren der Erwachsenen, Uebelgewöhnten wirkungslos verhallen. Freilich kann die große Menge der jugendlichen Fabrikarbeiterinnen an solchen Schulen für 15–18jährige Mädchen nicht theilnehmen, es würde sich also darum handeln, die allernothwendigsten Kenntnisse der häuslichen Handarbeit schon in den obersten Volksschulklassen durch praktischen Unterricht allen Schülerinnen einzuprägen. Ein wirkliches Hinderniß dagegen besteht nicht: dreizehnjährige Mädchen waschen und fegen mit größtem Vergnügen, ihnen ist eine solche Körperbewegung schon als Abwechslung neben dem anderen Lernen hochwillkommen, und sicherlich würden sie sich in den mit geringer Mühe herzustellenden Wäsche- und Bügelräumen der Volksschulen ebenso munter bewegen wie die kleinen Engländerinnen, deren hauswirthschaftliche Thätigkeit wir heute unseren Lesern im Bilde vorführen.
Die Londoner oberste Schulbehörde hat im Einverständniß mit den städtischen Innungen und hauptsächlich mit Unterstützung der berühmten Tuchhändlergilde diese Unterweisung in hauswirthschaftlicher Thätigkeit ins Leben gerufen. Der Lehrplan, das Werk einer Frau Lord, unter deren Oberaufsicht dieser Unterrichtszweig auch heute noch steht, umfaßt den ganzen Kreis der täglichen und wöchentlichen Geschäfte in einem Arbeiterhaus: Feueranzünden, Bettmachen, Waschen und Bügeln, Zimmer kehren und putzen, Tisch decken sowie das Scheuern der Küchengeräthe. Die Mädchen werden mit den Grundregeln der häuslichen Gesundheit und mit deren praktischer Anwendung bei jeder einzelnen Arbeit bekannt gemacht, man erklärt ihnen die Nothwendigkeit, Bett, Zimmer und Hausgang zu lüften, und zeigt ihnen den kürzesten Weg, es zu thun. Ein Hauptgewicht aber wird auf das Waschen und Bügeln gelegt, hier ist ein eigentlicher Lehrkurs durchzumachen, aus dessen Betrieb unsere Bildchen einige Züge herausgreifen. Erst wird die Sache theoretisch betrieben durch Anschauungsunterricht und Aufschreiben an der großen Tafel, hierauf wäscht eine Lehrerin den in den Bänken sitzenden Mädchen etwas vor, um die Bewegung zu zeigen. Bald aber stehen sie selbst an den Waschbütten, um voll Eifer und Gründlichkeit Leibwäsche, wollene und baumwollene Kleider zu reinigen, dann wieder an breiten Tischen, um die Stärkebereitung zu erlernen und in der Führung des Plätteisens sich zu üben. Ist es ja doch ihr eigenes Zeug, das sie von zu Hause mitbringen dürfen und nach einigen Tagen voll Stolz als Beweis der erworbenen Geschicklichkeit wieder heimtragen, nachdem sie es selbst gestärkt und gebügelt haben. Das Trocknen geschieht in der Londoner Anstalt auf Schulgestellen und Kleiderrechen, könnte aber in unseren Schulpalästen viel leichter und besser auf den geräumigen Speichern besorgt werden. Die hübschen Abbildungen zeigen, mit welchem Ernste sich die kleinen Londoner Schülerinnen ihrer Arbeit unterziehen; es steht zu hoffen, daß die deutschen Schwesterchen ihnen darin nichts nachgeben werden.
Wir stellen diesen Wäsche- und Bügelunterricht aus dem Grunde ausführlich dar, weil er, im Gegensatz zu den auch schon mehrfach angeregten Kochschulen in den Oberklassen, praktisch und leicht möglich ist. Gegen letztere bestehen große Einwände. Sie sind schwerer einzurichten, beanspruchen viel Zeit, das gekochte Essen muß regelmäßige Abnehmer finden, die Mädchen sind zu jung, um das Erlernte sicher zu behalten: Kochen vergißt sich leichter als Zimmer- und Bettmachen. Außerdem ist das Kochen im Arbeiterhaushalt ein sehr einfaches und muß sich auf den kleinsten Kreis beschränken, dies kann die erwachsene Tochter eher nach dem mütterlichen Beispiel machen als die häuslichen Geschäfte. An Reinlichkeit und Ordnung, den beiden großen Quellen der Behaglichkeit für den heimkehrenden Mann, fehlt es dagegen vielfach gar zu sehr. Diese Tugenden sollten also dem Schulkinde bereits eingeprägt werden; kann dann später der Besuch einer eigentlichen Haushaltungsschule dazu treten, um so besser! Für das künftige Dienstmädchen sollte eine solche geradezu vorgeschrieben sein: eine Menge der bekannten und berechtigten Klagen über Ungeschick und mangelndes Pflichtgefühl würden dadurch beseitigt werden. Wieder und wieder muß man es sagen: möchten doch die vielen wohlhabenden und unbeschäftigten Damen, hauptsächlich Witwen und ältere Mädchen, überall zusammentreten, um im Einverständniß mit den Schulbehörden eine Erziehungsthätigkeit zu entfalten, die für den weiblichen Theil der untern Stände genau ebensoviel werth ist als das eigentliche Lernen. In jedem Schulhaus wird ein Zimmer im Erd- oder Kellergeschoß für diesen Zweck einzurichten sein. Der Vormittagsunterricht der beiden Oberklassen genügt für die eigentlichen Lernfächer vollständig, der Nachmittag müßte dann ausschließlich der Haus- und Handarbeit, einschließlich Nähen und Flicken gewidmet sein, dann könnte im Lauf der letzten Schuljahre etwas geschaffen werden, was später eine ganz beträchtliche Hebung unserer Volkswohlfahrt und sicher auch vermehrte Zufriedenheit im einzelnen Haus zur Folge haben würde. Das große soziale Heilmittel, nach welchem heute so viele ausschauen, besteht vielleicht nur in einer Reihe von Einzelverbesserungen, wobei die Hebung von Pflichtgefühl und Tüchtigkeit in erster Linie steht. Daher ist jede darauf abzielende neue Einrichtung der wärmsten Förderung werth. R. Artaria.