Havanna (Das Ausland, 1828)

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Autor: Alexander von Humboldt
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Titel: Havanna (Das Ausland, 1828)
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr.  180 S.  717-719
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1826
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel: Essai politique sur l’île de Cuba
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Havanna.[1]


Die Ansicht der Stadt Havanna, beim Einlaufen in den Hafen, ist eine der lachendsten und malerischesten der Küstenländer des tropischen Amerikas. Diese Lage, gepriesen von den Reisenden aller Nationen, hat zwar nicht die Schönheit der üppigen Vegetation, welche die Ufer des Guayaquil schmückt, noch die wilde Herrlichkeit des Felsenstrandes von Rio Janeiro; aber der sanfte Reiz, den die Kultur über die Naturscenen unsrer Klimate verbreitet, verbindet sich auf Kuba mit der kraftvollen Thätigkeit der Pflanzenwelt und deren Großartigkeit in den Formen, wie sie der heißen Zone eigenthümlich ist. Unter dem Zuströmen so lieblicher Eindrücke vergißt der Europäer die Gefahr, die ihn im Schoße volkreicher Städte der Antillen bedroht: ein entzückendes Gemälde – diese immer blühende Landschaft, diese festen Schlösser im Osten des Hafens, dieser Hafen selbst, umgeben von Dörfern und Pachthöfen, endlich diese hinter dem Wald der Mastbäume und dem Vorhang der Segel halb sichtbare Stadt!

Die Einfahrt in den Hafen, 170 bis 200 Toisen breit und 3/5 Meile lang, führt zwischen dem Morro (Castillo de los Santos Reyes) und der kleinen Schanze Salvador de la Punta hindurch. Nach zurückgelegter Einfahrt gelangt man, indem das schöne Schloß San Carlos de la Cabanna nebst Casa blanca südlich liegen bleibt, in das Becken: es hat die Form eines Kleeblattes, dessen große Achse von SSW nach NNO 2½ Meilen in die Länge sich erstreckt. Das Becken steht in Verbindung mit drei Buchten, der von Regla, Guanavacoa und Atarès, wovon letztere einige Quellen süßen Wassers enthält. Die mit Mauern umgebene Stadt erhebt sich auf einem Vorgebirg, das im Süden von dem Arsenal, im Norden von der Schanze de la Punta begrenzt wird. Ueber die Gegend, wo einige versunkene Schiffe auf dem Grund liegen und über die Untiefen von la Luz hinaus, findet man nicht mehr als 8 bis 10, aber doch noch überall 5 bis 6 Faden Tiefe. Die Schlößer Santo Domingo de Atarès und San Carlos del Principe vertheidigen die Stadt im Westen, von deren innerer Mauer auf der Landseite das erstere 660, das letztere 1240 Toisen entfernt ist. Die Zwischenräume nehmen die Vorstädte (arrabales, barrios extra muros) Horcon, Jesus Maria, Guadalupe und Sennor de la Salud ein, welche von Jahr zu Jahr das Marsfeld mehr beschränken.

Die großen Gebäude Havanna’s, die Kathedrale, der Regierungspalast (casa del govierno), die Admiralität, das Arsenal, das Posthaus (correo), die Tabacksfaktorie, zeichnen sich weniger durch Schönheit als durch feste Bauart aus, die Straßen weder in der einen, noch in der andern Hinsicht, denn sie sind meistentheils eng und ungepflastert. Da die Steine von Veracruz gebracht werden und ihr Transport äußerst kostspielig ist, so hatte man den seltsamen Einfall, statt mit Steinen, mit Holz zu pflastern, in der Art, wie man durch Sumpfgegenden in Deutschland und Rußland Dämme baut. Man gab jedoch die Sache bald wieder auf, so daß der Reisende jetzt mit Verwunderung die schönsten Cahobastämme (Nierenbäume) in den Koth eingesenkt sieht. Es gab vor nicht langer Zeit keine Stadt im spanischen Amerika, die, so absolut aller Polizei ermangelnd, ungeachtet der anmuthigsten Außenseite, in der Nähe einen scheußlicheren Anblick dargeboten hätte. Man ging im Koth bis an die Knie; der Gestank von schlechtgedörrtem Fleische (Tasajo) erfüllt die krummen Gassen und qualmte aus jedem Haus hervor, so daß, wenn man so sehr Ursache hatte, seine Schritte zu beflügeln, man um so ärgerlicher war, wenn man nicht von der Stelle kam: denn um sich ganz in die jammervolle Lage eines Fußgängers daselbst zu versetzen, denke man sich die Menge der Volantes, (einer Art Kaleschen, die man sonst nirgends trifft), der Zuckerkarren, der Lastträger, die sich mit dem Ellbogen Platz machen u. s. w. Indessen ist in der neuesten Zeit Manches für die öffentliche Reinlichkeit geschehen: die Häuser sind luftiger gemacht worden und die Calle de los Mercadores gereicht der Stadt zur wahren Zierde. Aber hier, wie in allen altspanischen Städten, läßt sich die fehlerhafte Anlage nur allmälig verbessern.

Havanna besitzt zwei schöne öffentliche Spaziergänge: der eine (la Almada) befindet sich zwischen dem Theater, welches im J. 1803 durch den italienischen Künstler Peruani geschmackvolle Verzierungen erhalten hat, und dem Paulaspital; der andere (el passeo extra muros) zwischen dem Castillo de la Punta und der Puerta de la Muralla: hier versammelt sich nach Sonnenuntergang die große und kleine Welt der Stadt, um der erquickenden Kühle zu genießen. Der Marquis de la Torre, überhaupt der erste von allen Governadoren, der für die Verbesserung der Polizei und der Municipalverfassung mit Glück thätig [718] war, hatte die Anlage des passeo extra muros begonnen, Don Luis de las Lasas und der Graf de Santa Clara sie vollendet. Hier steht das marmorne Standbild Carls III. Der Platz war anfänglich zu einem Denkmal für Christoph Columbus bestimmt, dessen Asche, bei der Abtretung des spanischen Theils von Domingo, hieher geführt worden war. – In demselben Jahr wurde auch in Mexiko Fernando Cortez Asche nach einer andern Kirche gebracht und von Neuem beigesetzt. – In der Nähe liegt der botanische Garten, ein Gegenstand, der mit Recht die Aufmerksamkeit der Regierung in Anspruch nimmt, und – der Sklavenmarkt. Was der Landschaft um Havanna einen ganz eigenthümlichen Charakter gibt, ist die Königspalme (palma real). Ihr schlanker, gegen die Mitte etwas anschwellender, Stamm erhebt sich zu einer Höhe von 60 bis 80 Fuß; der untere Theil hat eine weißliche aufgerissene Rinde, wogegen das zarte Hellgrün des obern Theils, der wie Säule auf Säule, neue Schößlinge bildet, seltsam absticht. Die Palma real der Insel Cuba mit ihren gestreiften, gerade aufwärts stehenden, nur am Ende etwas gekrümmten, Blättern, ja mit ihrem ganzen Wuchs erinnert an die Vadgiai-Palme, welche die Wasserfälle des Orenoko bedeckt und ihre langen Spitzen über einem Nebel von Schaum wiegt. Mit dem Zunehmen der Bevölkerung zeigt sich auf Cuba, wie überall, eine Abnahme der Vegetation. Sümpfe, die eine Masse Leben erzeugen und nähren, werden ausgetrocknet und angebaut; die Erde wird ihrer Pflanzenhülle entkleidet und zeigt kaum noch Spuren ihrer vormaligen wilden Ueppigkeit. Von La Punta bis San Lazaro, von Cabanna bis Regla, von Regla bis Atarès ist Alles mit Häusern bedeckt; die längs der Bay sind von leichter und eleganter Bauart. Man entwirft den Plan zu einem solchen Haus und bestellt es in den Vereinigten Staaten, wie man ein Möbel bestellt. Während des gelben Fiebers begeben sich die Familien nach ihren Landhäusern zwischen Regla und Guanavacoa, wo bessere Luft ist. Ein entzückender Anblick von diesen Höhen herab, wenn des Nachts die Fahrzeuge die Bay durchschiffen und bei der Phosphorescenz des Wassers lange Lichtstreifen nach sich ziehen. Um die Fortschritte der Kultur zu beurtheilen, braucht der Reisende Nichts als die häufigen kleinen Mais-Pflanzungen, als die schnurgeraden Ananasalleen in den Feldern de la Cruz de Piedra, als den bischöflichen Garten zu betrachten.

Die eigentliche Stadt ist nicht über 900 Toisen lang, nicht über 500 breit: in diesem engen Raum drängt sich eine Bevölkerung von 44,000 Seelen, worunter 26,000 Neger und Mulatten. Die Bevölkerung der beiden großen Vorstädte Jesus Maria und Salud mag nicht viel schwächer seyn. Die letztere verdient den schönen Namen, den sie trägt, nicht ganz: die Hitze ist daselbst ohne Zweifel nicht so drückend, als in der Stadt, aber die Gassen sollten breiter und gebahnter seyn. Seit dreißig Jahren leben die spanischen Ingenieure mit den Bewohnern der Vorstädte in erklärter Fehde; nach ihrer Meinung stünden die Häuser den Festungswerken zu nahe, so daß sich der Feind daselbst ungestraft festsetzen könnte. Man hat aber nicht den Muth, die Vorstädte nieder zu reißen und eine solche Menge von Menschen (28,000 z. B. allein in la Salud) auszutreiben. Nach der letzten Feuersbrunst 1802 wurde la Salud beträchtlich erweitert; denn aus den Baracken, die man im ersten Augenblicke der Noth aufschlug, wurden nach und nach Häuser.

Die Bewohner der Vorstädte, um ihre Existenz, die bis jetzt bloß geduldet ist, gesetzlich zu machen, haben der Regierung mehrere Entwürfe vorgelegt, wie man sie in die Befestigungslinie mit aufnehmen könnte. Man dürfte nur einen breiten Graben von Puente de Chaves, bei Matadero, nach San Lazaro ziehen und so Havanna zu Insel machen. Die Entfernung beträgt etwa 1200 Toisen und schon jetzt endigt sich die Bay zwischen dem Arsenal und dem Castillo de Atarès in einen natürlichen Kanal. In diesem Fall bekäme die Stadt auf der Landseite im Westen eine dreifache Befestigungsreihe: nämlich die sehr starken Werke von Atarès und del Principe auf den Anhöhen, hierauf den projektirten Graben, endlich die Mauer und den alten bedeckten Weg des Grafen Santa Clara, der 700,000 Piaster gekostet hat. Die Vertheidigung der Stadt von dieser Seite ist von der höchsten Wichtigkeit: denn so lange man sich im Besitz der eigentlichen Stadt und des südlichen Theils der Bay behauptet, sind der Morro und die Cabanna uneinnehmbar, weil man diesen Plätzen, wovon der eine 800, der andere 2000 Vertheidiger braucht, von Havanna aus Lebensmittel und Verstärkungen zukommen laßen kann. Französische Ingenieure, die gut unterrichtet waren, versicherten mich, daß der Feind, um die Cabanna zu beschießen, wo sich indessen die Garnison, in den Kasematten eingeschlossen, bei der Ungesundheit des Klimas nicht lange halten könnte, vorerst die Stadt weggenommen haben müßte. Die Engländer haben zwar, ohne Herren der Stadt zu seyn, den Morro erobert, aber damals war die Cabanna und das Fort Nro 4, welche den Moreo beherrschen, noch nicht vorhanden. – Die politische Bedeutung [2] der Insel Cuba gründet sich nicht bloß auf die Ausdehung [719] ihrer Oberfläche (3615 ☐ Lieues), welche die von England ohne Wales beinahe erreicht, oder auf die wunderbare Fruchtbarkeit ihres Bodens, auf die Beschaffenheit ihrer Bevölkerung, die zu drei Fünftheilen aus Freien besteht – sondern vor allen Dingen auf die Vortheile der geographischen Lage von Havanna. Der nördliche Theil des Meers der Antillen, unter dem Namen des mexikanischen Golfs bekannt, bildet ein kreisförmiges Becken, mit einem Durchmesser von mehr als 150 deutschen Meilen, ein Mittelmeer mit zwei Ausflüßen, dessen Küstenländer von der Spitze von Florida bis zum Cap Catoch an der Spitze von Yucatan ausschließliches Eigenthum der beiden Bundesstaaten von Nordamerika und Mexiko sind. Die Insel Cuba, oder vielmehr ihr Litoral zwischen dem Cap St. Antonio und der Stadt Matanzas an der Mündung des alten Bahamakanals, umschließt diesen Golf von der südöstlichen Seite und läßt dem sogenannten Golfstrom keinen Durchgang, als im Süden die Meerenge zwischen dem Cap St. Antonio und dem Cap Catoch und im Norden den Bahamakanal zwischen Bahia Honda und den Untiefen von Florida. Und gerade hier, wo sich zwei Straßen des Völkerhandels durchkreuzen, wo die Flotten, auf den Schiffswerften und aus dem Cedrela- und Cahobaholz der Insel gezimmert, den Eingang des mexikanischen Meeres verschließen und die gegenüber liegenden Küsten bedrohen, liegt Havanna, wie Cadix bestimmt, eine herrschende Seestadt zu seyn.


  1. Essai politique sur l’île de Cuba. Par Alexandre de Humboldt. Avec une carte, Tom. I–II. Paris, 1826
  2. Diese Wichtigkeit wurde von Spanien in dem Grade anerkannt, daß bis 1808 eine jährliche Summe von mehr als 1,800,000 Piastern aus dem mexikanischen Schatz auf die Bedürfnisse von Cuba und Havanna verwendet wurde. Durch das Wachsen des innern Reichthums sind jedoch diese Zuschüsse nach und nach überflüßig geworden. In der That ist von allen spanischen Besitzungen Cuba diejenige, die am Besten gediehen ist. Die jährliche Ausfuhr des Zuckers allein beträgt 70 Millionen Kilogr.; in diesem Artikel steht also Cuba blos Brasilien mit 125 Mill. und Jamaica mit 80 Mill. nach. (Die Gesammtproduktion des Zuckers jährlich = 503 Mill. angenommen, so kommen auf die übrigen engl. Antillen 85, auf die franz. 42, auf die holländ., dän., schwed. 18, auf ganz Guyana 40, auf Louisiana 13, auf Ostindien, Ile de Frace und Bourbon 30 Mill.; davon werden 456 Mill. in Europa eingeführt; 204½ Mill. in Frankreich und Großbritannien, 152 Mill. in den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz, Italien, Spanien, Protugall, Dänemark und Schweden verzehrt und 100½ Mill. bleiben für den Bedarf von Rußland, Kleinasien, Nordafrika u. s. w.)