Heimweh (Die Gartenlaube 1879/34)
Auf der dampfenden Stadt liegt Mittagsgluth,
Und es sinkt mir die Wimper; es wallt mir das Blut.
Die Straßen so staubig, so dumpf und so schwül,
Und die Menschen so nüchtern, so seelenlos kühl,
Und so hastig ihr Schaffen, so wirr ihr Gedräng’,
Das Gewissen so weit und die Herzen so eng –
Im Gemüthe erwacht mir ein Heimweh tief,
Das lange schlief.
Wo am Strande die schimmernden Dünen steh’n,
Wo die Masten ragen, die Wimpel weh’n,
Wo die Möven am Felsen sich Nester bau’n,
Wo versunkene Städte vom Grunde schau’n,
Wo die rollende Fluth zu Lande schäumt
Und das Herz von vergangenen Tagen träumt
In dem wellenversilbernden Mondenschein –
Da möcht’ ich sein.
Eine trauliche Hütte am brandenden Meer
Und verständige, schlichte Nachbarn umher
Und ich selber mit Weib und mit Kindern darin –
O, wie würd’ ich genesen an Herz und Sinn!
Der Großstadt Wust, wo die Einfalt stirbt,
Wo der Leib früh altert, die Seele verdirbt,
Wo das Heiligste feil ist um eiteles Gold,
Hat Gott nicht gewollt.