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Herbstfarben

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Textdaten
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Autor: C. F.
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Titel: Herbstfarben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 683–684
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Herbstfarben.

Es ist müßig, zu streiten, welche der Jahreszeiten am schönsten sei. Sie sind alle schön, jede hat ihre besonderen Reize. Wenn wir aber vom ästhetischen Standpunkt die Landschaftsbilder in den jahraus jahrein wechselnden Kleidern betrachten, so dürfte in vieler Hinsicht der Herbst den Preis davontragen.

Im Herbst scheidet die Pflanzenwelt von uns und ihr Abschied gestaltet sich zu einem förmlichen Feste. Die Blumen sind verblüht, dafür aber erglüht jedes Blatt in wechselvollen Tinten, und namentlich unser Laubwald erscheint in einer Farbenpracht, mit der sich selbst die der tropischen Waldungen nicht messen kann.

Ich will dem Leser ein Bild, das ihm ohne Zweifel aus eigener Anschauung bekannt ist, in Erinnerung zurückrufen.

Vor meinem Fenster erheben sich bewaldete Höhenzüge. Der mittlere ist mit gemischtem Walde bestanden. Im Sommer ist er sozusagen ein langweiliger Berg, eine eintönige grüne Masse, in der selbst ein geübtes Auge einzelne Bäume nicht zu erkennen vermag. Anders im Herbst.

Der Grundton des Bergwaldes ist jetzt braunroth geworden. Er wird durch die vollen Kronen der Rothbuche gebildet, die eigentlich erst jetzt ihren Namen verdient. Auf diesen Teppich hat der Herbst wunderbare Muster gestickt. Aus den braunrothen, wolkenartig sich übereinander aufthürmenden Massen leuchten hellere Farben hervor.

Dort ragen spitze Kuppeln, die Weißbuchen, die noch im großen und ganzen grün, aber an der Spitze der Zweige bereits gelb gefärbt sind. Hoch oben am Berge züngeln ein paar Wipfel wie gelbe Flammen empor, es sind die schlanken, bereits ganz entfärbten Birken; an anderen Stellen wieder erheben sich einige abgerundete, schwefelgelbe Kuppen, die Kronen der Ahorne und neben ihnen sticht fast brennend wie Feuergluth der purpurrothe Gipfel einer Vogelkirsche hervor. Die Eichen sind noch grün, aber erst jetzt kommt ihre zerrissene vielzackige Krone zur kraftvollen Geltung.

Dieses bunte und doch harmonische Bild wird von den dunkelgrünen Tannenwäldern zur Rechten und zur Linken und oben von dem klaren blauen Himmel eingerahmt, während unten der Wiesengrund noch in frischem Grün prangt und die Erlen am Bache nicht die geringste Verfärbung zeigen.

Der Wald liegt im Sterben, aber für uns hat er erst in diesem Augenblick Leben gewonnen, denn wir sehen jetzt nicht mehr eine eintönige grüne Laubmasse, sondern Gruppen ausgeprägter Baumgestalten.

Das Schauspiel der herbstlichen Verfärbung des Laubes tritt nicht überall in derselben Schönheit auf: es wird durch die Mischung der Arten und Formen in einem Waldbestande bedingt. In Europa sind die Rhein- und Donauufer wegen ihrer herbstlichen Pracht berühmt.

Leider ist diese Herrlichkeit nur von kurzem Bestande; bald kommen die ersten Fröste und die kalten Nordwinde; das bunte Gewand der Bäume wird von den Zweigen gerissen und die dürren Blätter tanzen im Winde und werden zu unscheinbaren braunen Haufen zusammengeweht.

Etwas länger dauert die Verfärbung des Laubes in Nordamerika am Lorenzstrome und an den kanadischen Seen. Hier ist der Reichthum der gemischten Wälder an Arten und Formen bedeutend größer und die Farben sind glühender und mannigfaltiger. Eine Stromfahrt im Herbst gleicht in jenen Gebieten einer Fahrt durch ein Feenland, und keine andere Waldlandschaft der Welt kann in dieser Hinsicht mit der nordamerikanischen sich messen.

Bei uns in der Ebene und in den Hügellandern kommt der Wald in herbstlichen Farben zur Geltung, die niederen Sträuche und Stauden verschwinden gegen die Pracht der hohen Bäume, und die Wiesen bieten nur ein mattes Bild.

Dort aber, wo es keine Bäume mehr giebt, in den arktischen Gebieten und im Hochgebirge, welches über die Baumgrenze emporragt, ist der Herbst nicht minder schön und entfaltet Reize, von denen die sommerlichen Besucher der Berge kaum eine Ahnung haben.

„Unten in den Thalgründen,“ schildert Anton Kerner von Marilaun den Herbst im Hochgebirge, „welche wegen des tieferen Standes der Sonne auf weite Strecken schon im Schatten liegen, bleibt der Boden ununterbrochen weiß bereift, während oben auf den südlich sich abdachenden Bergeshöhen mit dem ersten Sonnenblick auch die nächtlichen Reife schwinden und tagüber milde Lüfte über die Gehänge wehen. Schneehühner sowie Schwärme der über Alpenpässe ziehenden, hier zu kurzer Rast weilenden Wandervögel sind geschäftig, die Beeren von dem in großer Zahl die Halden überziehenden niedern Strauchwerke abzupicken; die Falter aber, welche im Sommer um die großen Alpenblumen so geschäftig waren, sind verschwunden; hier und da erheben sich noch einzelne bleiche Skabiosen und die dunklen Aehren des spät blühenden norwegischen Ruhrkrautes, alles übrige ist schon in Frucht übergegangen und der Blüthenreigen ist abgeschlossen. Und dennoch machen die Gehänge jetzt den Eindruck sommerlicher Fluren, die mit ungezählten Blüthen geschmückt sind. Das sommergrüne Laub der niederen Stauden und Kräuter und insbesondere der verzweigten buschigen und teppichbildenden Sträucher gewinnt eben während dieser kurzen Zeit rothe, violette, gelbe Farbentöne, welche den lebhaftesten Blüthenfarben an Schmelz und Leuchtkraft nicht nachstehen. Am auffallendsten treten die sommergrünen Heidelbeergewächse und eine Art von Bärentrauben hervor. Während die Blätter der Moosbeere einen violetten Farbenton annehmen, kleiden sich die Heidelbeeren in tiefes Roth und die Alpenbärentraube in weithin sichtbaren Scharlach. Die herbstlich gefärbten Blätter dieser letzteren Pflanze zeigen überhaupt das schönste Roth, das an irgend einem Laubwerke im Herbst beobachtet wird, noch viel feuriger als jenes der nordamerikanischen Reben und des Essigbaumes, und wenn das Laub dieser Bärentraube auf einem Berggrate von den schief einfallenden Sonnenstrahlen durchleuchtet wird, so glaubt der tiefer unten stehende Beobachter Strontianflammen aus dem Boden hervorzüngeln zu sehen. Auch die Blätter zahlreicher nicht holziger Gewächse, so namentlich der alpinen Geranien und des Alpenhabichtskrautes, färben sich vor dem [684] Welken am Saume und längs der Nerven und nehmen sich von fern wie rothe, violette und scheckige Blüthen aus. Das Farbenspiel in der Alpenregion wird noch dadurch wesentlich gehoben, daß es an breiten Flächen mit dunklen Tönen nicht fehlte. Die Zahl der immergrünen Gewächse ist dort eine verhältnißmäßig große, und insbesondere erhalten mehrere jener Arten, welche bestandbildend auftreten, ihr grünes Laub unter der lange dauernden winterlichen Schneedecke bis in die Vegetationsperiode des nächsten Jahres. Die Bestände aus Legföhren, die Gestrüppe der Alpenrosen, die Gruppen der schwarzfrüchtigen Rauschbeere und die schimmernden Teppiche aus der immergrünen Bärentraube bringen mit ihren dunkelgrünen Farben eine gewisse Ruhe in das bunte Gewirr.“

Das reizende Schauspiel der Verfärbung des sommergrünen Laubes in der alpinen Region erstreckt sich in der Regel nur auf 14 Tage. Dann lösen sich die bunten Blätter von den Zweigen und Zweiglein ab, und bald breitet sich eine dichte, bleibende Schneelage über das Hochgebirge aus. „Die Kämme, Halden und Mulden, auf welchen kurz vorher noch feuriges Roth und helles Gelb zwischen den dunklen Legföhren und Alpenrosen aufflammte, heben sich jetzt mit blendendem Weiß vom winterlichen Himmel ab.“

Den Tropen fehlt die Pracht der Laubverfärbung. Der Herbst dauert dort überhaupt nur eine kurze Zeit. Auf die Regenzeit folgt in raschem Uebergang der sengende Winter und die meisten laubwerfenden Bäume verfärben sich nicht, ihre Blätter fallen noch grün von den Zweigen.

Wenn uns der Anblick der herbstlich geschmückten Wälder und Berglandschaften mit Entzücken und Bewunderung erfüllt, so ruft der gleichzeitig auftretende Laubfall wehmüthige Stimmungen in unserer Seele hervor.

„Ein Herbsttag gießt über uns das Verständniß des Scheidens aus,“ sagt Roßmäßler, aber er fügt gleich hinzu: „das Scheiden ist eine erschütternde Stärkung für das sittliche Gemüth.“ Das Bild des Vergehens, welches uns der Herbst darbietet, ist schon darum nicht trostlos, weil wir in ihm den Knospenbilder, den Vater des kommenden Lenzes erblicken. So singt auch Homer:

„Muthiger Tydeussohn, was fragst Du nach meinem Geschlechte?
Folgen sich doch, wie die Blätter am Baum, die Menschengeschlechter:
Welkende streut auf die Erde der Wind und andere neue
Bildet der knospende Wald im wiedergeborenen Frühling.
Ebenso wächst ein Menschengeschlecht und das andere schwindet.“

Unter allen Eindrücken, die der Wechsel der Jahreszeiten hervorruft, ist der des Herbstes, des Laubfalles, der Laubverfärbung, sicher der nachhhaltigste, und dem Wanderer durch Berg und Thal bietet gerade der Herbst die schönsten Natürgenüsse. Das wissen viele und schieben ihre Reise klug über die heiße Sommerzeit hinaus.

Wenige, welche dann die Pracht des Herbstes genießen, wissen sich jedoch von den inneren Vorgängen in den Pflanzen, welche sie verursachen, Rechenschaft abzulegen. Und doch ist die Kenntniß der Ursachen der Verfärbung des Laubes dazu angethan, dem wechselvollen Bilde, das vor unseren Augen sich entfaltet, einen besonderen Reiz zu verleihen.

Der Haushalt einer Pflanze ist nach weisen wirthschaftlichen Regeln eingerichtet. Unnöthige Ausgaben werden in ihm vermieden. Wenn darum an die Pflanzen beim Abschluß der Vegetationsperiode die Nothwendigkeit herantritt, ihr Laub abzuwerfen, so sucht sie alles Brauchbare aus den Blättern zu retten. Es tritt alsdann von den Blättern eine Massenauswanderung der brauchbaren Stoffe nach den Zweigen und Wurzeln ein, wo sie bis zum Wiedererwachen der Pflanze aufbewahrt werden. Außer den Eiweißstoffen, den Kohlehydraten wandert auch der grüne Farbstoff, das Chlorophyll, aus und an seiner Stelle bleiben nur kleine gelbe Körnchen in den Blattzellen zurück. Diese bewirken alsdann die Gelbfärbung des Herbstlaubes.

In vielen Fällen aber muß diese Massenauswanderung der brauchbaren Stoffe vor den Sonnenstrahlen geschützt werden. Viele Pflanzen bilden zu diesem Zwecke einen Farbstoff, der von den Forschern Anthokyan (Blumenblau) genannt wird. Das Anthokyan ist blau, aber durch Säuren wird es roth und bei geringen Beimengungen von Säuren violett. Während der Auswanderung der Stoffe im Herbst wird nun in den Blättern gewisser Pflanzen das Anthokyan als schützende Decke ausgebreitet und schimmert je nach der Zusammensetzung der Blattsäfte in blauer, rother und violetter Farbe; dazu gesellen sich die übriggebliebenen gelben Körnchen, die Rückstände des ausgewanderten Chlorophylls, die, wenn sie in größeren Mengen vorhanden sind, mit dem Anthokyan Orangefarbe geben.

Fällt schließlich ein welkes Blatt zu Boden, so sind in ihm keine werthvollen Stoffe mehr vorhanden, die Pflanze hat nur ein todtes Gerüst abgeworfen.

Das Erglühen des Herbstwaldes ist somit kein Zeichen des Todeskampfes. Der Dichter mag darin den Tod erblicken, der Forscher weist vielmehr eine kraftvolle Aeußerung des Lebens nach. Dies erhöht unsere Freude an dem Anblick der herbstlichen Natur; in dem schönen Farbenglanz sehen wir nicht den Tod, sondern das sanfte Einschlummern. Diese Farbenpracht ist nicht das letzte Aufflammen einer verlöschenden Lampe, sondern das Abendroth im Pflanzenleben, aus welches bald der strahlende Morgen und der helle Tag, der Frühling und der Sommer folgen müssen. Das Anthokyan finden wir, wenn die Knospen im ersten Frühjahr springen, wieder. Die jungen Blättchen sind vielfach zuerst roth oder violett gefärbt, auch sie sind mit einer schützenden Decke gegen die zersetzende Kraft des Sonnenlichtes versehen. Erst wenn sie erstarken, entledigen sie sich derselben und prangen in frischem Grün. E. F.